Der letzte Drache von Karen_Kasumi ================================================================================ Kapitel 6: 1/2: Mamura ----------------------- Die Name "Mamura" bezeichnete eine weite, große Grasfläche, ganz ähnlichen den Trockenen Ebenen auf der anderen Seite des Osaki. Im Prinzip war sie jedoch ein einziger, großer Talkessel, der im Norden und Westen von den Namuren begrenzt wurde und im Süden wieder in jene Hügellandschaft überging, aus der auch der Osaki entsprang. Allerdings konnte von Osten weit mehr Regen diesen Kessel erreichen, so dass es hier einige Waldinseln gab und die Vegetation nicht ganz so karg und rau war wie in den Trockenen Ebenen. Mit der Vielfalt der Pflanzenwelt ging auch eine größere Anzahl von Tierarten einher, so dass sie meist einen gut gedeckten Tisch hatten. Nun, wie sie schon für drei Leute Fleisch brauchten (Physales aß ja keines), war es ganz gut, dass Korell mit seinem Bogen praktisch alles traf, was er länger als eine halbe Sekunde anvisieren konnte. So war er es auch, der meist dafür sorgte, dass sie genug zu essen hatten, auch wenn die Fähigkeiten von Yelin und Thame bei weitem nicht zu verachten waren. Das einzige, was Bemerkenswertes auf ihrer Reise geschah, waren die weiteren Begegnungen mit immer mehr magischen Wesen, von denen jedoch kein Palyn mehr dabei war. Dafür häuften sich die Treffen mit anderen zusehends. Yelin stellte erschüttert fest, dass es einmal überall so ausgesehen haben mochte auf dieser Welt, bis...ja, bis die menschlichen Bewohner kamen und damit begannen, die Erde ihrem Willen unterjochen zu wollen. Traurig dachte er an all die Arten, die er nie mehr kennen lernen würde......Thame schien zu ahnen, was in ihm vorging, denn eines Tages nahm sie ihn beiseite und klopfte ihm kurz auf die Schulter. Dann lächelte sie leicht. "Du brauchst dir keine Vorwürfe zu machen, Yelin. Menschen sind nun einmal so, es ist ihre Art zu leben, genau so wie die Würgefeige einen Baum tötet, um leben zu können, verstehst du?" Yelin schüttelte leicht den Kopf. "Aber die Würgefeige ist von Natur aus so. Wir können denken, können uns ändern! Wir haben die Fähigkeit, unsere Taten zu ändern und sie so zu gestalten, dass sie besser werden." Thame sah ihn traurig an. "Das magst du vielleicht glauben, aber tief in sich ist jeder Mensch gleich, glaub mir. Aber die Zeit der Magie, der Phantasie vergeht immer schneller, wie Sand, der dir durch die Finger rinnt. Bald schon werden die letzten magischen Wesen entweder ausgestorben sein oder tief versteckt an den letzten Zufluchtorten leben. Du kannst diese Entwicklung nicht aufhalten, Yelin, ebenso wenig wie du es vermagst, das Schicksal zu ändern. Das einzige, was du tun kannst, ist mitzuhelfen, eine Nische zu schaffen, wo die schönsten Wesen der Magie überleben können. Vielleicht kannst du es ja auch erreichen, dass die Menschen versuchen, ihre Bedürfnisse denen der anderen anzupassen.....doch das ist allein deine Entscheidung. Jetzt wirst du dich erst einmal der Suche nach den Enuya widmen, nicht wahr? Doch weißt du auch, was du tun willst, wenn du sie gefunden hast?" Yelin zögerte. "Nein, eigentlich noch nicht so genau. Bis jetzt konzentriere ich mich eher darauf, sie zu finden.....eigentlich dachte ich, dass sie mir sagen würden, was ich zu tun hätte." An dieser Stelle lächelte Thame nur geheimnisvoll und ließ sich wieder ein wenig zurückfallen, um mit Physales zu reden, der bei Korell auf der Schulter saß. Die beiden schienen sich recht gut zu verstehen, nachdem der Gúdo sie anfangs eher misstrauisch beäugt hatte. Ein anderes Mal erzählte Thame ihnen ein wenig von der 'Alten Sprache', wie sie es nannte. Angeblich hatten sie einst alle Völker gesprochen und sogar die Elben, bevor der große Bruch gekommen war. Nun war sie größtenteils vergessen, denn keine der beiden Rassen hatte sich an die gemeinsame Zeit zurück erinnern wollen. Doch es waren noch immer Bruchstücke davon geblieben in ihrer heutigen Sprache. Zufälligerweise trugen die beiden Freunde noch einen Namen in der Alten Sprache, wie sie ihnen erzählte. Yelin, das bedeutete Licht, Korell war die Dunkelheit und Enuya bedeutete angeblich Weisheit. Nach dieser überraschenden Erkenntnis dachte Yelin wieder ein wenig über sich und Korell nach.....damals, da mochte es durchaus gestimmt haben. Er war immer derjenige gewesen, der mit seinem Lachen alle Leute hatte anstecken können, voller Lebenslust und Freude. Korell jedoch war immer schon der schweigsamere von beiden, stiller und zurück gezogener. Nur all zu oft hatte man sie als Gegenstücke bezeichnet, die zusammen gesetzt perfekt ineinander griffen wie die Zähne eines Raubtiergebisses. Doch wenn dies alles stimmte, so war nun die Sonne verschwunden und spendete kein Licht mehr für ihn. Noch oft wurde in der Nacht von Albträumen gequält, in denen silbernes Blut, elfenbeinerne Krallen und grün glitzernde Schuppen eine entscheidende Rolle spielten und aus denen er meistens schweiß- und tränenüberströmt erwachte. Die Schuldgefühle fraßen sich immer weiter in sein Herz und seine Seele, so wie Säure sich durch festen Stein beißen konnte. Er musste die Enuya finden! Vielleicht waren sie ja auch diejenigen, die nicht nur ihn, sondern auch Korell wieder dabei helfen konnten, ihren inneren Frieden wenigstens ein bisschen wieder zu finden. Korell...sie versuchten es zwar nach Kräften, ihre Beziehung wieder mit neuem Leben zu füllen, doch die unsichtbare Mauer, die sich zwischen ihnen zu befinden schien, vermochten sie noch immer nicht einzureißen. Sie vertrauten sich, das hatten sie immer getan. Sie scherzten und sie kämpften miteinander, doch alles immer ohne die Nähe, die sie damals immer so fest verbunden hatte. Yelin fühlte sich, als versuche er verzweifelt, Wasser mit bloßen Händen zu halten und doch rann ihm alles durch die Finger. Er spürte, dass er am Ende nicht mehr viel behalten würde... Ihre Übungskämpfe wurden nun immer unterhaltsamer und anspruchsvoller, da es sich Thame natürlich nicht nehmen ließ, auch ein wenig mitzumachen. Erst setzten sie nicht ihre volle Kraft ein, weil sie dachten, die alte Frau schonen zu müssen, doch nach einem gebrochenen Finger bei Korell und jeder Menge tiefer und vor allem äußerst schmerzhafter Schnitte änderten sie ihre Meinung doch recht schnell. Von nun an fochten sie alle mit vollem Einsatz, lediglich darauf bedacht, die anderen nicht zu verletzen. Denn bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegten, konnte selbst die kleine Unachtsamkeit böse Folgen nach sich ziehen. Doch was ihn am meisten erstaunte, war, dass die alte Frau selbst ihm noch Tricks beibringen konnte, um seine Technik zu verfeinern. Dies bestärkte ihn weiter in der Ansicht, dass sie es hier wohl kaum mit einer normalen Sterblichen zu tun haben konnten... Doch immer, wenn er auf Themen dieser Art zu sprechen kam, verstand sie es erstaunlich gut, ihm entweder nicht zuzuhören oder schnell etwas anderes zur Sprache zu bringen. Die Wesen, denen sie während ihrer Durchquerung der Mamuraebene begegneten, waren hauptsächlich eher klein und harmlos. Das gefährlichste, was sie sahen, war ein weißer Pegasus. Diese waren bekanntlich ein wenig wilder als ihre schwarzen Artgenossen, die am liebsten einsam blieben. Doch er kam ihnen nicht sehr nahe und bald konnten sie ihn nur noch als kleinen Punkt am Horizont erkennen. Dagegen trafen sie umso mehr auf Elementargeister, was eigentlich Physales sehr freuen müsste. Aber immer, wenn eines dieser Wesen in ihrer Nähe auftauchte, versteckte er sich in der Kleidung von einem von ihnen, als würde er nicht bemerkt werden wollen. Seine seltsame kleine Gestalt zeigte sich auch immer dann erst wieder, wenn ihm die anderen versichert hatten, dass auch ja keiner seiner Artgenossen noch in der Nähe war. Yelin war nicht der einzige, der dies seltsam fand. Wenn sie den Kleinen jedoch darauf ansprachen, schien er plötzlich seine Zunge verschluckt zu haben. Lediglich in seinen Augen stand ein plötzlicher Ausdruck von Einsamkeit und Trauer, so dass sie schon sehr bald damit aufhörten, ihm mit Fragen zu Leibe rücken. Der ehemalige Prinz argwöhnte, dass sein kleiner Freund ihn nicht nur aus reinem Zufall ausgesucht hatte....Doch sie alle hier hatten Geheimnisse, als wären sie ein ständiger Begleiter ihrer kleinen Reisegruppe. Dabei waren diese Treffen für sie selbst immer sehr amüsant bis hin zu geheimnisvoll gewesen. Die Sylphiden spielten am liebsten in ihren Haaren herum, bis Thame genug davon hatte, dass sie ihr andauernd ihre Kapuze vom Kopf bliesen und dabei albern kicherten. Sie verjagte sie schließlich mit ihrem Schwert und ein paar Worten, die fast so scharf wie ihre Klinge waren. Von den kleinen Gúdos, denen sie begegneten, waren meist sowieso nur ein paar durchsichtige Flügel oder neugierige, große Augen zu sehen, die hinter kleinen Blättern hervor lugten. In einer Nacht waren wohl ein paar der kleinen Erdgeister ein wenig frecher geworden, denn als Yelin am nächsten Morgen aufwachte, stellte er zu seinem Erstaunen fest, dass irgendjemand in der Nacht ihren ganzen Vorrat an den Wurzeln gestohlen hatte, die Physales so gut schmeckten. Offenbar nicht nur ihm. Ansonsten blieben sie aber von weiteren "unliebsamen" Ereignissen wie Diebstählen oder ähnlichem verschont. Sie waren gute drei Wochen unterwegs, bis sie endlich am Fuße der großen Ausläufer der Namuren standen. In den letzten Wochen war der Sonnenschein zwar noch immer stark gewesen und es hatte kaum geregnet, aber die letzten paar Tage machte ihnen ein immer stärker und kälter werdender Wind zu schaffen, der von den Bergen zu kommen schien. Die Sonne würde bald nicht mehr die Kraft haben, die Erde so weit zu erwärmen, dass aus Eis Regen wurde. Mit einem unguten Gefühl stellte Yelin fest, dass sie sich nun besser an die Kälte gewöhnen sollten... Das Massiv der Namuren war wirklich riesig. Sie gehörten zu den höchsten Bergen dieser Welt und auf ihren Gipfeln lag selbst im Sommer immer Schnee, obwohl sie doch so weit im Süden waren. Sie bildeten nicht ohne Grund die Kette, an der die Elben ihre große Feste errichtet hatten, denn sie zu überschreiten war schwer. Thame jedoch meinte, dass sie einmal einen Reisenden getroffen habe, dem dies schon einmal gelungen war, und zwar genau an dieser Stelle. Er hatte gemeint, dass man, wenn man aufstieg, auf einen Taleinschnitt traf, der tief genug war, dass dort nur im Winter Schnee lag. Und selbst dies nicht so viel, als dass es unmöglich gewesen wäre, es zu durchqueren. Jedoch hatte der Abenteurer dringend davon abgeraten, dies zu versuchen. Mit der Kälte kam nämlich angeblich nicht nur der Schnee von den Berggipfeln herunter... Dennoch waren sie sich sicher, dass sie versuchen wollten, die großen Gipfel vor ihnen zu bezwingen. Und der Schnee...es blieb ihnen eben nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass er sich dieses Jahr noch lange genug in Zaum halten würde, damit sie es schafften, die Namuren trockenen Fußes zu überqueren. Am letzten Abend, bevor sie in die Berge aufstiegen, beschlossen sie, zu ihren Füßen noch einmal Rast zu machen und dabei alles bis auf den letzten Platz mit Vorräten aufzufüllen. Sie konnten nicht wissen, ob es weiter oben noch genug Nahrung gab, dass sie alle vier es bis auf die andere Seite schaffen würden. An diesem Abend herrschte eine ganz besondere Stimmung an dem kleinen Feuer, das sie entzündet hatten, um die klammen Finger der Kälte zu vertreiben, die sich um sie legen wollten. Sie wussten alle, dass es kein Zurück mehr gegeben würde, wären sie erst einmal mitten in dem großen Massiv, das jetzt noch vor ihnen aufragte. Denn waren sie erst einmal auf der anderen Seite, so war es bedeutend einfacher, mit zu den Enuya zu kommen, als diese Strapazen noch einmal auf sich zu nehmen. Yelin spürte, dass Korell besonders verschlossen war. Er konnte sich auch gut vorstellen warum...jeder Schritt, den sie jetzt machten, brachte sie näher an die Elbenfeste heran, dem Ursprung seines ganzen Schmerzes und der Grund, warum sie nun nicht mehr so zusammen fanden wie es einst der Fall gewesen war. Er mochte nicht einmal erahnen, was für ein Konflikt sich nun in seinem Inneren abspielte. Doch als der Mond schon lange am Himmel stand und er ihm in die blaugrauen Augen sah, da wusste er, wie er sich entschieden hatte. In stummer Dankbarkeit legte er ihm seine Hand auf sein Knie und lächelte leicht. Dass er sich für ihn entschieden hatte, nahm er ein wenig als ein Zeichen, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden. Aber er las auch in seinem Blick, dass er lange nicht der einzige Grund gewesen war, der ihn zu dieser Entscheidung bewogen hatte. Da war noch etwas anderes, etwas, das tief in ihm schlummerte und weitaus finsterer Natur war......Yelin verscheuchte diese Gedanken mit einem unwirschen Kopfschütteln. Unsinn! Sein Freund beherbergte keine "finstere Seite". Er sollte besser aufpassen, dass er nicht in jeder irgendwie seltsam gearteten Beobachtung den Beweis für eine zwingende Veränderung seines Wesens zu erkennen. Um sich weiter von diesem Thema abzulenken, wandte er sich Thame zu. Thame.....sie kam ihm immer seltsamer vor, je weiter sie zusammen reisten. Eine Aura wie von etwas sehr Geheimnisvollen schien die alte Frau zu umgeben, als wäre sie weit mehr, als sie ihnen bis dahin verraten hatte. Und manchmal kam es ihm auch so vor, als würde sie sie mit einem gewissen amüsierten Grinsen von oben beobachten....Ihre unheimlichen Fähigkeiten im Umgang mit Waffen konnten einfach nicht normal sein! Aber auch darüber hatte er sich jetzt weiß Gott genug Gedanken gemacht. Und Physales....nun, der Kleine war so lebendig wie eh und je. Er war zusammen mit Thame mit Sicherheit der Aktivste und Lebenslustige in ihrer Gruppe, ein Gegenpol zu ihnen, den sie nur allzu nötig hatten. Und ein manches Mal hatte er es auch schon geschafft, dass sie kurzfristig die Last vergaßen, die sie auf dem Herzen trugen. Aber auch Thame hatte hin und wieder Dinge von sich gegeben, die sie zu einem herzlichen Lachen brachten. Wieder wandte er seinen Blick nach vorne auf die Ebene, die nun hinter ihnen lag und sich jetzt noch einmal in ihrer ganzen Weite und Schönheit vor ihm ausbreitete. Auch fühlte er nun einen Hauch von Endgültigkeit, der über dem ganzen lag. Wenn er noch einmal wiederkommen sollte, so würde er ein neuer Mensch sein. Kehrte er nicht mehr zurück, so hatte der lange Marsch zu den Enuya wahrscheinlich seine Opfer gefordert... Er war fast überzeugt davon, dass sie es über die Berge schaffen würden. Das, was danach kam, machte ihm viel mehr Sorgen, denn dann würden sie mit intelligenteren Wesen zu kämpfen haben als mit dem Winter. Die Elben...er hoffte nur, dass sie einen ebensolchen Respekt vor den Enuya hatten, wie es alle anderen auch zu haben schienen. Und er betete dafür, dass diese keine ungebetenen Eindringlinge auf ihrem Gebiert duldeten. Wofür er nämlich auch nicht garantieren konnte, war Korells Verhalten, falls sie auf Elben stoßen sollten. Er befürchtete, dass ein solches Treffen für beide nicht besonders günstig verlaufen würde, wenn dann überhaupt noch jemand am Leben wäre. Nein, um Korells Willen wollte er nicht den Weg der Langohrigen kreuzen. Und auch er selbst wusste nicht, was er tun würde, wenn er noch einmal dem schwarzen Krieger mit den weißen Haaren begegnen sollte.....vielleicht würde ja auch er die große Macht in seinem Inneren nicht mehr zurück halten können. Seufzend sah er zu seinem Gefährten hinüber, von denen der kleinste schon wieder längst zu schlafen schien. Auch die anderen beiden sahen schon recht müde aus und ihm selbst fielen auch bald die Augen zu. Vielleicht sollten sie jetzt besser schlafen gehen, damit sie morgen kräftig genug waren für den Aufstieg, der ihnen bevorstand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)