Blind Dragon von Lethal (Das Auge des Orion) ================================================================================ Kapitel 10 ---------- Wir tauchten in das schummrige Licht der Karaokebar. Drinnen stand eine junge Frau auf der Bühne und quietschte Time Of My Life aus Dirty Dancing in gebrochenem Englisch. „Schlimmer als die kannst du nicht sein“, befand Jazz. „Ich bin mir da nicht so sicher“, sagten Nick und ich im Chor. Sie kicherte. „Wozu braucht ihr zwei eigentlich ne Frau? Ihr versteht euch offensichtlich blendend.“ „Ganz bestimmt nicht!“ beteuerte Nick. Ich nickte zustimmend. „Gut, ihr zwei Turteltauben. Wie ihr meint.“ Manchmal, dachte ich, könnte ich sie umbringen. Kaum hatten wir uns hingesetzt, schnappte sich Jazz die Songliste. „Ich könnte mir vorstellen, dass du den hier kennst“, mutmaßte sie nach kurzer Lektüre und zeigte Nick den Song, den sie meinte. „Wie kommst du darauf, dass ich so ne Schnulze kenne?“ fragte dieser entrüstet. „War das ne rhetorische Frage?“ „KORI! Guck dir an, was ich singen soll...“, sagte er, während er mir die Liste reichte. „...was ich natürlich nicht tun werde!“ Im letzten Satz überschlug sich seine Stimme. „Hast du etwa Angst?“ versuchte ich ihn aus der Reserve zu locken. „Nein!“ „Lügt er immer so schlecht?“ „Ausnahmslos.“ „Hey, so langsam glaube ich, ihr amüsiert euch hier auf meine Kosten!“ „Finanziell gesehen könnte das passieren, so wie ich Kori kenne“, gab Jazz trocken zurück. „Aber guck mal da rüber“, wisperte sie dann in sein Ohr. Nick drehte sich in die Richtung, die sie ihm zeigte. Hastig knuffte sie ihn in die Seite. „Doch nicht so auffällig. Siehst du die Brünette da drüben?“ „Hmhm“, machte er und knotete seine Hände ineinander. „Gefällt dir, was?“ „Und wie... äh, sorry. Nichts gegen dich... ähm...“ „Schon gut, schon gut. Du bist ja auch nicht mein Typ. Aber ihrer. Siehst du, wie sie dich anstarrt?“ „Ähh... Angewidert?“ „Nein, das gilt mir. Wenn sie dich anschaut, dann lächelt sie“, belehrte ich ihn. „Wenn ich singe, wird sie mich garantiert genauso ansehen wie dich.“ „Quatsch, wird sie nicht“, munterte Jazz ihn auf und gab ihm wieder einen Seitenhieb, der allerdings sehr viel sanfter ausfiel als der vorige. „Wird sie doch.“ „Wird sie nicht. Guck dir an wie schüchtern sie dasitzt. Wenn du dich da oben blamierst, wird sie sich ein Herz fassen und dich ansprechen.“ „Du willst mich verarschen.“ „Nein“, versicherte ich. „Ich hab das Aufreißen bei ihr gelernt.“ „Waas? Jetzt verarscht ihr mich beide.“ Völlig synchron schüttelten wir die Köpfe. Dann neigte Jazz den Ihren in Richtung Bühne, wickelte Nick mit einem Lächeln um den kleinen Finger und winkte den jungen Mann heran, der die nächsten Kandidaten aufnahm. Wenig später stand Nick auf der Bühne und sang Unbreak My Heart von Whitney Huston. Ich hatte den Song noch nie gemocht, aber just in diesem Moment wünschte ich mir keine Ohrenstöpsel mehr, sondern einen Revolver, um entweder Nick oder mich damit zu erschießen. Selbst Jazz, die einige schiefe Töne verschmerzen konnte, wenn es Freunden zuliebe war, hielt sich ein Ohr zu. Um mich nicht auf das Gequietsche konzentrieren zu müssen, schaute ich mich im Laden um. Die Brünette war äußerst angetan von der Leidenschaft, die Nick in seinen Katzenjammer legte. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass er Chancen bei ihr hatte. Ein paar Tische weiter fiel mein Blick auf ein Pärchen. Eng umschlungen saßen die beiden da und ertrugen Nicks Folter gemeinsam. Kurz bereute ich, Yasemin damals durch mein dummes Verhalten vertrieben zu haben. Wir waren enge Freunde gebelieben, denn sie war nicht nachtragend. Jedoch war sie lernfähig genug, sich nicht noch mal mit mir einzulassen. Ich wünschte mir, ich wäre nur ansatzweise so clever gewesen und hätte meine Frauengeschichten eingestellt. Hoher Preis für so ein Bisschen Freiheit. Mein Blick wanderte weiter. Eine Clique kichernder Mädchen hier, einige Buh-Rufer da und mittendrin – nein, das konnte nicht sein. Ich schaute zweimal hin. Doch, er war es. Dort drüben saß Ronga, einen höchst amüsierten Ausdruck im Gesicht und eine Frau im Arm. Seine Begleitung kannte ich ebenfalls. Mir gefror sämtliches Blut in den Adern, als ich sah, mit wem er hier war. „Verräter“, flüsterte ich und als hätte er mich gehört, drehte Ronga den Kopf in meine Richtung. Die Freude wich aus seinem Blick und er musterte mich ernst. Fühlst dich also schuldig, dachte ich. Solltest du auch. Niemanden hasste und fürchtete ich mehr als die junge, blondgelockte Frau in seinem Arm. Ich kannte niemanden, der äußerlich so schön und gleichzeitig innerlich so abgrundtief hässlich sein konnte. Ausgerechnet Ronga, der ach-so-weise Hellseher machte mit ihr gemeinsame Sache. Er wusste, wie ich zu ihr stand. Noch am Nachmittag hatte er es ausgenutzt. War es ihm leichtgefallen, ihr Bild heraufzubeschwören? Vielleicht trafen sie sich ja sogar jeden Abend hier und lachten sich ins Fäustchen. Ha, heute haben wir Kori aber wieder mächtig in die Pfanne gehauen. Keine Angst, mein Engelchen, bald bekommst du ihn wieder. Am liebsten hätte ich laut geschrieen. Ich hörte nicht, wie Jazz sich kurz entschuldigte und bemerkte auch nur am Rande, dass sie den Tisch verließ. Meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Paar auf der anderen Seite des Raumes. Wie auf Watte gehend stand ich auf und ging gemessenen Schrittes auf die beiden zu, während ich die Zähne so heftig aufeinander biss, dass ich Kopfschmerzen davon bekam. Mein Puls raste, meine Hände waren Eisklumpen, aber es trieb mich immer näher zu dem Tisch, an dem die beiden saßen, die Augen hatte ich fest auf Ronga geheftet. Er schaute zurück und was ich als schuldige Miene missdeutet hatte, wurde ein Ausdruck tiefer Überzeugung. Der Bastard sah sich auch noch im Recht mit dem, was er tat! „Undo this hurt you caused...!” heulte Nick von der Bühne herunter und es war ohrenbetäubend. Die schwache Beleuchtung brannte plötzlich grell in meinen Augen, der Rauchgeruch war erstickend und die Luft schien so dick, dass ich glaubte, sie auf jedem Quadratzentimeter meiner Haut spüren zu können. „Wie klein die Welt doch ist“, höhnte ich, als ich endlich den Tisch erreichte. Meine Stimme klang selbstsicher, aber meine Knie fühlten sich an wie Pudding. Auch dieses Mal ließ Ronga sich von meinem Beleidigungsversuch nicht im Geringsten beeindrucken. Er wartete einfach und harrte der Dinge, die da kommen sollten. „Hast du das hier auch vorhergesehen?“, fragte ich zynisch. „Nein“, antwortete er knapp und tonlos. Lavande, die Frau an seiner Seite, kuschelte sich enger an ihn und lächelte ein honigsüßes Lächeln. „Ich hätte euch beiden kein so baldiges Wiedersehen gewünscht.“ „Glaub ich dir. Schließlich hättest du mich dann noch länger „unterrichten“ können“, versetzte ich. In seine Miene mischte sich Bedauern, doch keine Spur von Reue. Statt auf meine Äußerung einzugehen, nahm er einen Schluck von dem Rotwein, der auf seinem Tisch stand, wobei er kurz das Gesicht verzog, als Nick einen der höheren Töne erreichte. „Unser Abkommen ist damit wohl hinfällig...“ sagte er in einem Tonfall, der perfekt zu seinem Gesichtsausdruck passte. „Scheint als hättest du verloren“, säuselte Lavande Ronga zu. „Mit deiner Einmischung machst du es uns beiden nur noch schwerer.“ Ich fröstelte, als ich ihre Stimme zum ersten Mal seit meinem einen Jahr hier in Tokio wieder hörte. „Würdest du mir bitte den Gegenstand in deiner Tasche geben?“ bat sie. Dort befand sich noch immer das Auge des Orion. „Wie Ronga schon sagte... Die Abmachung ist hinfällig. Ich werde Nick bitten, seine Magie rückgängig zu machen.“ Ihr Lächeln wurde eine Spur breiter. „Den Jungen, der gerade von der Bühne abgeht? Wenn das so ist...“ Sie machte Anstalten aufzustehen. Ich stieß sie heftig auf die Sitzbank zurück und hielt ihre Schultern krampfhaft umklammert. Ohne eine Regung beobachtete Ronga die Szene. „Hast du Angst, dass noch jemand durch deine Hand stirbt?“ flüsterte sie zärtlich. Ohne es zu wollen, drückte ich fester zu. Die Knochen unter meinen Händen bewegten sich knirschend in ihren Gelenken. „Nicht meine Hand war das, sondern deine“, entgegnete ich. „Ganz allein deine. Das einzige menschliche Wesen, das durch meine Hand sterben wird bist du, wenn du dich nicht aus meinem Leben raushältst. Das schwöre ich dir.“ Irrte ich mich, oder war da gerade ein Lächeln über das Gesicht ihres Begleiters gehuscht? Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, denn Lavande, explodierte förmlich vor Lachen. Was zum Donnerwetter war an meiner Bemerkung so komisch gewesen? War sie einfach nur arrogant, oder merkte sie wirklich nicht, dass ich es todernst meinte – im Wahrsten Sinne des Wortes? „Wäre das schön!“ rief sie irre. „Ach wie wundervoll wäre die Welt, wenn du das auch nur ansatzweise könntest!“ Das war genug. Ich packte ihren Hals und drückte mit aller Kraft zu. „Willst du Beweise?“ presste ich hervor. Rongas Stimme unterbrach unser Gespräch. Immer noch klangen seine Worte trocken wie die Wüste zur Mittagszeit. „Hör auf“, sagte er ruhig. „Du verschwendest deine Kräfte.“ „Halt’s Maul!“ brüllte ich. „Kori!“ Ich hatte Nick fast vergessen. „Alles in... Ordnung...?“ Die Leute sahen her. „Was bringt dir ein Leben ohne sie, wenn du es mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe vergeudest?“ Der große Ronga, der immer recht hatte. Verdammt, sogar dieses Mal hatte er völlig recht. Wie ich ihn verachtete. Ihn und seine vermaledeite Klugheit. Ich löste meine Hände und registrierte höchst zufrieden, dass sie wenigstens heftig nach Luft rang und sich purpurrote Flecken dort ausbreiteten, wo ich ihren Hals zusammengequetscht hatte. „Wer ist das?“ fragte Nick leise. „Luv“ antwortete ich in derselben Lautstärke. „Nach dem englischen Wort für Liebe. Der beste Witz, den ich je gehört habe.“ Dann zu ihr: „Halt dich raus aus meinem Leben oder du bist tot. Und glaub mir, ich finde einen Weg.“ Sie fasste sich. „Nun, das hoffe ich sehr, auch wenn ich es stark bezweifle. Hallo Nick, es hat mich gefreut, dich kennen zu lernen. Noch mehr freue ich mich auf den Tag, an dem ihr beiden euch zum gegenseitigen Verhängnis werdet.“ „Es reicht“, unterbrach Ronga ihren Redefluss. „Reißt euch zusammen - und zwar alle. Es ist besser, wir gehen jetzt.“ Als er weitersprach, war sein Gesicht ein Spiegel reinster Aufrichtigkeit. „Ich hätte ihr das Auge des Orion nicht gegeben, sondern seinem rechtmäßigen Besitzer. Das hätte ich von Anfang an tun sollen. Ich gebe dir eine Frist bis morgen Abend. Wenn du es mir dann nicht gebracht hast, tue ich, was ich angekündigt habe. Zu deinem Wohl, zu seinem“ Er deutete auf Nick „und zu ihrem.“ Ich sah rot. Meine Faust bahnte sich ihren Weg in seine aufrichtige Grimasse, nur um gleich zum nächsten Schlag auszuholen. Ich hörte ein Glas zerspringen. Den ersten Schlag steckte Ronga weg; den zweiten verhinderte er, indem er so abrupt aufsprang, dass der Tisch umfiel. Er packte meine Handgelenke, drehte sie mir auf den Rücken und hielt mich fest, doch auch das konnte nicht mehr verhindern, dass das Chaos losbrach. Leute stürmten auf uns ein, andere schrieen, überall klirrte und krachte es. Irgendwo in dem ganzen Gewirr sah ich Yasemin, die versuchte, sich zu mir durchzukämpfen. Mit aller Kraft versuchte ich, mich Rongas Griff zu entwinden, doch es war, als wolle man eine geschickt gebundene Schlinge vom Hals lösen. Je mehr ich zappelte, desto fester wurde sein Griff. Nick holte seinerseits aus. Der Schlag ging ins Leere. Wo war Luv in all dem Gewühl? Sie würde doch nicht hier vor all den Leuten... „Nick! Raus hier!“ Irgendwie bekam ich eine Hand frei und drehte mich blitzschnell zu Ronga um. Nick stand unschlüssig da. Keine Spur von Luv. Dann sah ich gar nichts mehr. Mit einem dumpfen Knall streckte mein Gegenüber mich nieder. Von weiter Ferne erreichte mich seine Stimme. „Ich sagte, es reicht.“ Dass er tatsächlich einmal verärgert klang, war für mich wie ein weiterer Schlag. „Morgen Abend“, wiederholte er und dann hörte ich, wie seine Schritte sich von mir entfernten. Mühsam rappelte ich mich auf und nahm mit einer Mischung aus Dankbarkeit und verletztem Stolz wahr, wie Nick und Jazz mich auf dem Weg nach draußen stützten und schließlich in ein Taxi einluden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)