Blut auf dem Mond von Fellfie ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Hallo zusammen ^^ Das wird ein kleines Projekt, um mich auf die nächste Story, die ich nach „Mondlicht“ anzufangen gedenke, einzustimmen, was das Pärchen betrifft. Deshalb mache ich es mir am Anfang etwas einfacher und packe das Ganze in ein alternatives Universum. Ihr werdet hier keine Magie im Sinne von Zauberstabgefuchtel, aber die Charaktere aus HP wiederfinden ^^ Und wenn euch einige Elemente an „Tanz der Vampire“ erinnern, so ist das verständlich, denn das war meine Inspirationsquelle =) Pärchen: Tom Marvolo Riddle x Harry Potter Rating: R Warnungen: AU, später vielleicht OOC, blood, violence, slash (wie dem Pärchen zu entnehmen ^^°), sexual content Weitere Anmerkungen: Der Rufname von Tom wird hier Marvolo sein. Das erscheint mir irgendwie passender. Fragt mich nicht, warum. Teil: 1/vermutlich 5 Blut auf dem Mond Die Nacht war vor wenigen Stunden hereingebrochen. Dunkle Wolkenfetzen trieben orientierungslos über das sternbeglänzte Firmament und verhüllten von Zeit zu Zeit den prächtigen, silbernen Vollmond, der das gesamte Land in sein unheimliches Licht tauchte. Im Dorf hatte man sich längst zur Nachtruhe begeben. Die Türen und Fenster waren fest verriegelt, aus Angst vor den Geschöpfen der Nacht, die in dieser Gegend umgehen sollten. Man war abergläubisch und die seltsames Todesfälle, die sich des Nachts ereigneten, bestärkten die Dorfbewohner in ihrem Glauben, es mit Vampiren zu tun zu haben, obgleich niemand von ihnen je einen gesehen hatte. Dennoch traf man Vorsichtsmaßnahmen. Aß viel Knoblauch, bestückte das gesamte Haus damit, in jedem Zimmer befanden sich wenigstens zwei Kruzifixe. Und natürlich besuchte man jeden Gottesdienst im benachbarten Dorf, um sich segnen zu lassen. Doch die Furcht blieb, ebenso wie die Toten, die in geweihter Erde begraben lagen. Den Ursprung allen Übels vermutete man im alten Schloss des Grafen. Denn den Lehnsherren hatte schon lange niemand mehr gesehen. Nie sah man Besuch bei Tage ein und ausgehen, es wurden kaum Nahrungsmittel aus dem Dorf auf das Schloss beordert. Gelegentlich brachte der bucklige Diener des Grafen, nicht minder gefürchtet wie die Geschichten, die man sich über seinen Herren erzählte, die Weisung, eines der jungen Mädchen hinauf zu schicken, damit es dort tanzte und sang, um den Grafen zu erfreuen, doch kaum eines dieser verwunschenen Kinder war je zurückgekehrt. Und wenn, dann waren sie zu verstört, um zu sprechen und verschwanden bald darauf. Die Menschen im Dorf nahmen sich oft vor, mit ihren Familien fortzuziehen, sprachen viel davon, doch ein unsichtbarer Zauber hielt sie gefangen und nie hatte einer von ihnen die Dorfgemeinschaft auf ewig verlassen, um in einem anderen Dorf zu leben. Wenn sie tatsächlich fort gingen, so rief sie eine unbestimmte Sehnsucht bald zurück in ihr Heimatdorf. Magie ging von dem alten Schloss hoch oben auf einem Berg in der Nähe aus. Magie, die die Menschen verängstigte, aber sie gleichzeitig so fesselte, dass sie ihr nicht entfliehen konnten. Und weil sie tief in ihrem Herzen ahnten, dass sie Gefangene waren, versuchten sie, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Dazu gehört es, frühzeitig schlafen zu gehen und dafür zu sorgen, dass eventuellen „Besuchern“ der Zutritt verwehrt blieb. Wer nachlässig war, bezahlte es unter Umständen mit dem Leben. Doch die leeren Häuser fanden nach und nach neue Besitzer. Denn dann und wann verirrten sich unwissende Fremde in dieses abgelegene Dorf und auch sie wurden Gefangene, ohne es zu merken und ließen sich dort trotz der eindringlichen Warnungen nieder. Ein Paar intensiv grüner Augen hatte das Geschehen im Dorf seit Jahren aufmerksam verfolgt. Das Zimmer ihres Besitzers lag unter dem Dach, so dass er einen guten Überblick über die Geschehnisse draußen hatte. Das war auch das Mindeste, das sie für ihn tun konnten, fand Harry. Schließlich sperrten seine Verwandten ihn praktisch seit seiner Geburt hier oben ein und leugneten seine Existenz. Natürlich, um ihn zu schützen, doch langsam fiel es dem Jungen schwer, gehorsam zu sein. Er zählte jetzt fünfzehn Sommer und sein Zimmer und das Haus genügten nicht mehr, um seinem Bewegungsdrang zu befriedigen. Er wollte über die Felder und Wiesen laufen, sich im grünen Gras wälzen, das goldene Korn endlich einmal mit seinen eigenen Händen berühren und die frische Waldluft in vollen Zügen genießen, von der manchmal nach einem Regenguss ein schwacher Hauch zu ihm herüber wehte. Natürlich hatte er mitbekommen, was mit den Menschen geschah, die sich frei bewegen durften. Er hatte oft am Fenster gestanden, wenn es mal wieder über den Dorfplatz schallte, dass jemand vermisst wurde oder wenn man eine blutleere Leiche vorbei trug. Selbstverständlich hatte er stets darauf achten müssen, dass ihn niemand sah, denn offiziell gab es ihn ja gar nicht... offiziell hatte seine Mutter das Kind in ihrem Leib, bei dessen Geburt sie gestorben war, nicht lebend zu Welt gebracht... Aber er war neugierig. Neugierig auf die Welt dort draußen, ungeachtet der Gefahren wollte er all die Dinge, die er bisher nur aus der Ferne gesehen und von denen er nur gehört hatte, selbst erfahren, mit seinen eigenen Händen berühren, mit allen Sinnen wahrnehmen. Und von Tag zu Tag wurde der Wunsch stärker. Raubte ihm neuerdings sogar den Schlaf. Und wie so oft in jenen schlaflosen Nächten stand er auch jetzt an seinem Fenster und blickte in die Nacht hinaus. Es wirkte alles so friedlich. Er hatte es gewagt, das Fenster zu öffnen und sich ein wenig hinauszulehnen, konnte er doch sicher sein, dass jeder im Dorf schlief. Der laue Nachtwind spielte sanft mit ein paar Strähnen seines widerspenstigen, schwarzen Haares und Harry schloss die Augen, um tief einzuatmen. In diesem Augenblick fiel die Entscheidung. Einen besseren Moment konnte es nicht geben. Jetzt oder nie. Schöner wurde die Nacht nicht. Entschlossen wandte sich der Junge mit den rabenschwarzen Haaren ab, schloss das Fenster leise und schlich auf Zehenspitzen hinunter in das Erdgeschoss. Die Dachluke quietschte leise, als er sie öffnete, um hinunterzuklettern, doch nachdem er einen Moment inne gehalten hatte, war er sich sicher, niemanden geweckt zu haben. Von seinem Onkel und seinem Cousin hatte er nichts zu befürchten, aber seine Tante hatte zu seinem Leidwesen einen sehr leichten Schlaf und sie hatte ihn schon einmal dabei ertappt, als er sich hatte hinaus schleichen wollen. Damals war er noch jung genug gewesen, um sich nicht wehren zu können, als sie ihm den Hintern versohlt hatte, und auch die Hungerkur an den nächsten drei Tagen, die er zur Bestrafung verordnet bekommen hatte, hatte ihn genug beeindruckt, um dafür zu sorgen, dass er es sobald nicht wieder probiert hatte. Beim nächsten Mal war sein Onkel durch einen unglücklichen Zufall noch wach gewesen und hatte ihn auf frischer Tat ertappt. Seine Verwandten rührten ihn sonst nicht einmal mit der Kneifzange an, aber an diesem Abend hatte es so eine Tracht Prügel gegeben, dass sich Harry hinterher für Tage nicht richtig hatte bewegen können. Die Erinnerung an den Schmerz, an die Demütigung waren genug gewesen, ihn für mehr als ein Jahr vor einem weiteren Versuch zurückschrecken zu lassen. Doch die heutige Nacht schien wie geschaffen. Körperlose Stimmen riefen ihn, lockten ihn nach draußen. Wie in so vielen Nächten zuvor. Und heute konnte er nicht länger widerstehen. Er wollte wissen, was auf ihn wartete da draußen. Mit heftig schlagenden Herzen öffnete er die Tür, die über den Garten des Hauses von hinten in die Küche führte. Sollte es dieses Mal gelingen? Sollte er dieses Mal wirklich frei sein? Das wäre zu schön um wahr zu sein! Doch tatsächlich- er schlüpfte durch den Spalt, hielt inne... und die Nacht war immer noch ruhig. Nichts deutete darauf hin, dass man ihn bemerkt hatte. Beinahe hätte er laut aufgelacht, befreit von der Spannung, befreit von seinem Gefängnis, doch er presste rasch die Hand vor den Mund, so dass nur ein fröhliches Glucksen zu hören war und rannte los. Er wusste nicht, wohin er wollte. Er wusste nur, dass es sich herrlich anfühlte, den Wind in den Haaren und dieses unglaubliche Gefühl von Freiheit zu spüren. Alles war neu und aufregend. Es war schon beinahe unwirklich, wie leicht es gewesen war. Hatten seine Verwandten wirklich nicht damit gerechnet, dass er noch einen Ausbruchsversuch unternehmen würde? Dachten sie, er sei sich endlich der Gefahr bewusst? Und wieder hatte er das Bedürfnis zu lachen und dieses Mal tat er es auch. Welche Gefahr? Die Nacht war friedlich, der Wind warm und die Sterne über ihm funkelten wie Diamanten. Was wollte er mehr? Was sollte ihm passieren? Es gab hier keine Gefahren! Nur Freiheit und einige Horrormärchen, die ihn seiner Freiheit beraubt hatten. Aber wenigstens für heute Nacht war Schluss damit! Befreit von allen Fesseln und allen Sorgen lief und tanzte der Junge durch die Nacht, und bemerkte das Augenpaar nicht, das auf ihm ruhte. ooOoOoo Pünktlich nach Sonnenuntergang hatte seine innere Uhr ihn geweckt. Der Herr des Schlosses, als Tom Marvolo Riddle geboren, nun als Lord Voldemort bekannt, setzte sich langsam auf und spürte, wie ihm kurzzeitig schwindelig wurde. Er hasste diesen schwachen Moment direkt nach dem Aufwachen, wenn das zähe Blut in seinen toten Adern erst wieder in Bewegung gebracht werden musste. Er strich sich eine der kurzen, schwarzen Haarsträhnen aus den Augen und blickte dann angewidert auf die Reste seiner letzten Mahlzeit. Der Junge, an dem er letzte Nacht seine sexuellen Begierden und seinen Blutdurst gestillt hatte, lag immer noch in seinem Bett und starrte mit gebrochenem Blick ins Leere. Er sollte sich angewöhnen, die Reste des Essens sofort wegzuräumen, damit sie ihn nicht noch bis zum nächsten Abend verfolgten. Zumal der Knabe sowieso nicht besonders gut geschmeckt hatte. In letzter Zeit waren alle Blutmahlzeiten erschreckend fade geworden. Was den Bedarf an Blut anging, so musste er nicht jede Nacht jagen, von einer einzigen Blutmahlzeit konnte er durchaus ein paar Tage leben. Und doch ging er Nacht für Nacht auf die Jagd. Immer weiter und weiter trieb ihn die Suche nach einem neuen, unerwarteten Erlebnis, nach etwas, das ihn fesselte, vom Schloss fort. Manchmal kehrte er tage- oder wochenlang nicht zurück. Die Tage verbrachte er in Häusern, die er sich genau zu diesem Zweck gekauft hatte. Doch er konnte sein Schloss nicht allzu lange unbeaufsichtigt lassen. Er lebte hier nicht alleine. Der Nordflügel gehörte ganz ihm, doch in den anderen Flügeln wohnten seine Untergebenen, rangniedere Vampire, die dafür sorgten, dass ihm Schloss stets alles sauber und zu seiner vollsten Zufriedenheit war. Aber Rangstreitereien waren keine Seltenheit unter ihnen. Je länger der Herr fort war, desto größenwahnsinniger wurden die Zurückgelassenen und desto heftiger und blutiger die Kämpfe. Nicht, dass er Wert auf ein besonders gutes Verhältnis zu seinen Untergebenen brauchte, die einzige Bedingung, die er an sie stellte, war absoluter Gehorsam ihm gegenüber. Es machte ihm nichts aus, sie hart zu bestrafen, doch in letzter Zeit war kam ihm das alles einfach nur unglaublich lästig vor. Er hatte den Punkt erreicht, an dem ein ewiges Leben begann, langweilig zu werden. Und keines der Spielzeuge, die er ab und zu einmal mitnahm, vermochte ihn für längere Zeit abzulenken. Die Jagd war ein kurzlebiger Zeitvertreib, der jedoch seinen Reiz verlor, sobald er die Zähne in den Hals des Opfers geschlagen hatte. Marvolo stand auf, erledigte seine Morgentoilette und kleidete sich an, bevor er hinunterging, um seinen nachtschwarzen Hengst zu satteln. Vampire waren schnell und ausdauernd, trotzdem ging nichts über ein gutes Pferd, das schonte die eigenen Kräfte. Er schwang sich in den Sattel und gab dem Tier die Sporen. Wenn er wiederkam, das wusste er, würde er sein Gemach in tadellosem Zustand wieder finden. Der leblose Körper würde verschwunden sein und es würde aussehen, als wäre nicht geschehen. Er hatte nur einige wenige Exempel statuieren müssen, damit das Aufräumen tadellos klappte. Im rasanten Galopp ging es in einen weiter entfernten Teil seiner Grafschaft. Er konnte nicht nur Opfer aus dem nahe gelegenen Dorf wählen. Binnen weniger Tage hätte die Vampirmeute die Häuser entvölkert. Nein, diese Menschen waren eine Notreserve oder ein Leckerbissen zu besonderen Anlässen. So wie sich die Dorfbewohner ihr Vieh hielten, hielten sich die Vampire die Dorfbewohner, sich ihrer eigenen, magischen Anziehungskraft wohl bewusst. Schließlich kündigten ihm sein Geruchsinn und sein scharfes Gehör an, dass ihm jemand zu Pferde entgegen kam. Der Wind, der in seine Richtung wehte, trug ihm den schwachen Geruch nach Schweiß und Tabak zu, der auf einen Mann schließen ließ, vermutlich um die Dreißig. Marvolo brachte sein Pferd zum Stehen und stieg ab. Zeit für eine kleine Inszenierung. Es dauerte nicht lange und eine zierliche braune Stute wurde neben ihm zum Stehen gebracht. Nervös tänzelte das Tier auf der Stelle, spürte- im Gegensatz zu ihrem Herrn- ganz genau die Gefahr, die von dem Fremden ausging. „Kann ich Euch helfen, Sir?“, fragte der Reisende freundlich. Das braune, lockige Haar trug er straff zurückgekämmt, aber ein paar Strähnen hatten sich verselbstständigt und seine Sachen waren staubig. Anscheinend war er bereits den ganzen Tag unterwegs gewesen. Der Fremde sah gut aus, war aber nicht gerade eine außergewöhnliche Schönheit. Aber vielleicht hatte er andere Qualitäten, die sein Ableben ein wenig spannend gestalteten. Marvolo jedenfalls beschloss, dem jungen Mann eine Chance zu geben, ihn mit seinem Tod zu unterhalten. „Ja, ich fürchte, mein Pferd lahmt vorne links. Vielleicht könnt Ihr Euch das einmal ansehen?“ Der Reisende musterte ihn kurz, doch dann stieg er ab und beugte sich hinunter zu den Hufen des Hengstes. „Nun ja, ich bin auch kein Fachmann, aber-“ Er verstummte schlagartig, als er zwei kräftige Hände an seiner Hüfte spürte, die ihn gegen den Schoß des hinter ihm stehenden Grafen zogen. Verwirrt und errötend richtete er sich auf. „Sir, bitte-“ Mit einem Japsen verstummte er erneut, als sich die spitzen Zähne in seinen Hals gruben. Marvolo wusste, dass es sich zunächst wie ein Kuss anfühlte. Wie eine erotische und erregende Liebkosung. Der Schmerz kam erst mit einiger Verspätung. Während er die ersten Schlucke trank, stöhnte der Mann in seinen Armen leise und lehnte sich gegen ihn. Für den Vampirfürsten selbst war es nicht erregend, aber er fand es immer wieder erstaunlich, wie leicht sich die Sterblichen um den Finger wickeln ließen. Wie leichtfertig sie das wertvollste Geschenk, das ihnen je gegeben wurde, ihr Leben, wegwarfen. Noch nie hatte einer der Versuchung widerstehen können, in seinen Armen den Tod zu finden. Dann kam der Schmerz. Wie gewöhnlich bäumte sich der Körper auf, versuchte der Umklammerung zu entkommen, doch es war schon zu spät. Das Opfer hatte zu viel Blut verloren, um mit dem Leben davon zu kommen und das begriff es in eben diesem Moment auch. Mit dieser Erkenntnis und der Todesangst veränderte sich der Geschmack des Blutes und angewidert ließ Marvolo von ihm ab. Er hasste diesen Moment, aber er war zum Glück nicht so ausgehungert, dass er unbedingt hätte weiter trinken müssen, um seinen Hunger zu stillen. Der sterbende Körper fiel schwer zu Boden und für einen Moment blickte der Graf in die brechenden Augen, bevor er den kleinen, silbernen Dolch zog, den er in seiner Kleidung verborgen hatte, und seinem Opfer die Halsschlagader aufschlitzte. Das verbliebene Blut sickerte träge in den sandigen Boden und die Bisswunden waren kaschiert. So würde es nach einem gewöhnlichen Raubüberfall aussehen. Die Vampirhysterie, die anderenfalls wieder ausbrechen würde, würde ihm das Jagen nur unnötig schwer machen. Mit einem leisen Seufzen und ohne den leblosen Körper eines zweiten Blickes zu würdigen, stieg Marvolo wieder in den Sattel. Der Mann war keine Herausforderung gewesen, nichts Neues. Der Vampirfürst beschloss, heute schon früh zurück zum Schloss zu reiten und noch ein wenig in der Umgebung des Dorfes umherzustreifen. Das hatte er lange nicht mehr gemacht. Er würde sich davon überzeugen, dass es seinem Dorf gut ging. Wenn die Menschen gut ernährt waren, dann schmeckten sie einfach besser als leidende, ausgehungerte Kreaturen. Zum Zeitvertreib könnte er sich mal wieder ein junges Mädchen hinaufschicken lassen, überlegte der Vampirfürst. Mädchen waren sehr viel ängstlicher als Jungen und er genoss die verängstigten Geräusche, die sie machten, wenn ihnen bewusst wurde, wo sie hineingeraten waren. Er hatte seine Erkundungstour kaum begonnen, da fing sein empfindliches Gehör ein helles, ausgelassenes Lachen auf, das seine Neugierde weckte. Und das alleine war schon erstaunlich zu nennen, denn es war Jahrzehnte her, dass er überhaupt so etwas Ähnliches wie eine neugierige Regung verspürt hatte. Elegant stieg er ab und nährte sich der Geräuschquelle schnell und lautlos. Dann erstarrte er verblüfft zur Bewegungslosigkeit. Direkt vor ihm sprang und rannte eine wilde, ursprüngliche Schönheit durch das hüfthohe Gras der Wiese hinüber zum Wald und strahlte dabei so viel pure Lebensfreude aus, das man meinen könnte, sie wäre für die Nacht geboren worden. Der laue Nachtwind spielte zärtlich in den unbändigen schwarzen Haaren und die Gräser, ebenfalls vom Wind bewegt, schienen um ihn herumzutanzen. Zurückzuweichen, um ihm möglichst wenig Widerstand zu bieten und sich ihm gleichzeitig entgegenzulehnen, um ihn für einen kurzen Augenblick zu berühren. Für einen Moment kam Marvolo der Gedanke, ob er vielleicht gerade einem Naturgeist begegnet war, doch er verwarf ihn sofort wieder. Ihre Existenz war umstritten. Es hatte sie einmal gegeben, doch seines Wissens war der letzte vor ungefähr 15 Jahren gestorben, ohne einen Nachkommen hinterlassen zu haben. Aber selbst wenn es einer von ihnen geschafft haben sollte, im Verborgenen zu überleben, so wäre er doch ein äußerst scheues Geschöpf, das keineswegs so ausgelassen durch die Nacht springen würde. Um wen handelte es sich bei diesem sonderbaren Wesen dann? Um einen Menschen? Es konnte niemand aus seinem Dorf sein, denn er kannte jeden einzelnen. Wusste, wer dort geboren und aufgewachsen und wer erst später zugezogen war. Diesen Jungen hatte er noch nie gesehen. Und was machte ein Junge wie er so spät nachts außerhalb des sicher geglaubten Heimes? Warf er sich mutwillig dem Tod in den Arm? Oder trieb ihn etwas anderes zu nachtschlafender Zeit hinaus auf die Wiesen und Felder? Hatte er einfach den Ruf der Vampire vernommen und hatte ihm nicht widerstehen können? Wieso fürchtete er sich nicht? Gehörte er vielleicht einem Vampir? Es war nicht unüblich, dass Vampire menschliche Sklaven hatten, die für sie die Geschäfte bei Tage erledigten. Ihnen war jedoch eines gemeinsam: Sie trugen an einer gut sichtbaren Stelle (meist am Hals) das Mal ihres Besitzers und wenn ein anderer Vampir sie zur Ader ließ, hatte das eine Menge Ärger zur Folge. Nicht, dass sich Marvolo sich durch Besitzmarkierungen gestört fühlte. Er war mächtiger als alle anderen Vampire und deshalb würde es niemand mit ihm aufnehmen können. Mit einer Ausnahme vielleicht, aber wenn der alte Mann jetzt anfing, sich so junge und gut aussehende Sklaven zu halten, dann wurde es langsam wirklich grotesk. Um Gewissheit zu erhalten, würde er sich dem Jungen nähern müssen. Doch zunächst galt es, ein anderes Problem zu eliminieren. Gereizt, weil er sich mit solchen Nebensächlichkeiten befassen musste, wo es doch etwas viel Interessanteres gab, wandte sich Marvolo dem Vampir zu, der unweit von dem ahnungslosen Menschenkind durch die Dunkelheit schlich. Wenn jemand das Blut dieses Jungen trank, dann war er das, und niemand sonst! Mit eisigem Blick stellte er sich dem Konkurrenten in den Weg und seine Lippen zogen sich in einer Drohgebärde zurück und entblößten schneeweiße Zähne mit langen, spitzen Eckzähnen. Sein Gegenüber zögerte kurz, seine geduckte Haltung verriet seine Angst, aber er war offensichtlich unwillig von seinem Opfer abzulassen. Anscheinend war auch er von dem Jungen fasziniert. Erst als Marvolo einen Schritt auf ihn zu tat, um seine Ansprüche notfalls mit Gewalt zu untermauern, wich er zurück, neigte demütig den Kopf und trollte sich, um ein anderes Opfer zu finden. Als Marvolo sich umwandte, war der fremde Junge bereits im Wald verschwunden, doch es sollte nicht schwer sein, ihn wieder zu finden. Er machte sich an die Verfolgung. ooOoOoo Der Wald wirkte in der Dunkelheit unheimlich, überall um ihn herum waren Geräusche, die er nicht kannte, die er nie gehört hatte, wenn er nachts am Fenster gestanden und sehnsüchtig hinaus geblickt hatte. Die Finsternis schien voll von tanzenden Schatten zu sein, Bäume griffen mit langen, dünnen Ästen nach ihm und ein paar Mal meinte er, ein leuchtendes Augenpaar zu sehen, dass ihn aus einem Gebüsch heraus musterte. Es wäre gelogen gewesen, zu sagen, dass er nicht fürchtete, aber die Angst war so schwach, dass sie seine Freude nicht zu trüben vermochte. Seine Schritte trugen ihn ohne Zögern und mit Leichtigkeit immer weiter vom Dorf fort. Nein, beschloss der Junge, er würde nicht zurückkehren. Nachdem er endlich wusste, wie großartig es sich anfühlte, frei zu sein, würde er nie wieder in sein Gefängnis zurückkehren. An den Menschen, bei denen er bisher gelebt hatte, lag ihm nichts, obwohl sie seine letzten lebenden Verwandten waren, sodass ihn nun nichts mehr zurückhielt. Außer Atem hielt er an einem kleinen See inne. Er hatte mitbekommen, dass die Kinder aus dem Dorf an warmen Sommertagen stets in den Wald zu einem kleinen See gingen, um sich abzukühlen. Wenn der Wind in seine Richtung geweht hatte, hatte er manchmal sogar ihr ausgelassenes Lachen hören können. Wie hatte er sie beneidet... Doch damit war ab heute Schluss. Jetzt legte ihn niemand mehr in Ketten, niemand fesselte ihn an ein Haus, in dem er nicht leben wollte. Niemand schrieb ihm vor, was er zu tun und zu lassen hatte. Genau deshalb würde er jetzt all das tun, wovon er schon lange geträumt hatte, angefangen mit einem Bad im See. Rasch streifte Harry seine Sachen ab und musterte die glatte, pechschwarze Wasseroberfläche für einen Moment. Dann überwand er seine instinktive Furcht vor dem dunklen Gewässer mit einem tiefen Atemzug und tauchte langsam einen Fuß hinein. Niemand hatte ihm je gezeigt, wie man schwamm, aber es konnte ja nicht so schwer sein, oder? Er war fest entschlossen, es auszuprobieren. Langsam schritt er weiter in den See hinein, machte sich vorsichtig mit dem unbekannten Element vertraut, bevor er ganz darin eintauchte und leise seufzte, als das kühle Nass weich an seiner Haut entlang glitt. ooOoOoo Bewegungslos stand Marvolo zwischen den Bäumen und Dunkelheit umhüllte ihn wie ein Mantel. Das Menschenkind hatte ihn noch nicht bemerkt, aber er war sich nicht sicher, ob es daran lag, dass der Junge so ein unglaublich schlechtes Gespür für Gefahr hatte oder daran, dass er im Moment eindeutig abgelenkt war. Aber es erstaunte ihn, dass ein Mensch überhaupt auf die Idee kam, mitten in der Nacht, während der Zeit der Vampire, ein Bad zu nehmen. Dass er sich einfach seiner Sachen entledigte und in den See schritt, als wäre es das natürlichste auf der Welt um diese Uhrzeit zu baden. Vielen würde dieser Gedanke unglaublich absurd erscheinen, doch den Jungen störte das anscheinend nicht. Einen Moment lang hatte er zwar gezögert, doch dann hatte er sich überwunden. Und Marvolo war es vergönnt gewesen, den unbekleideten Körper des Jungens in diesem Augenblick genau in Augenschein zu nehmen. Ob er sich mit Absicht so gestellt hatte, oder ob es Zufall gewesen war, konnte Marvolo nicht sagen, aber als er zögernd am Ufer gestanden hatte, war sein Körper in das silbrige Licht des Vollmonds getaucht gewesen, das seiner gesamten Erscheinung ein beinahe unirdisches Strahlen verliehen hatte. Die Haut war glatt, frei von Unreinheiten, und darunter bewegten sich wohl definierte Rückenmuskeln auf eine betörende Art und Weise. Die Schultern waren nicht breit, aber seine Entwicklung war auch noch nicht vollkommen abgeschlossen, die Taille hingegen war bereits wundervoll schmal und der Hintern war rund und wohlgeformt. Fasziniert verfolgte der Vampirfürst wie seine Beute sich langsam weiter ins Wasser vorwagte. Vorsichtig und behutsam, als wäre es sein erstes Mal. Seine Bewegungen bedacht, aber von eigentümlicher Anmut. Er hörte den wohligen Seufzer als der Junge gänzlich ins Wasser eintauchte und unwillkürlich fuhr seine Zungenspitze über seine Lippen. Spätestens jetzt stand es fest- er musste diesen Jungen haben. In ihm regte sich ein Verlangen, von dem er seit vielen Jahrzehnten angenommen hatte, es wäre verloschen gewesen. Diese hinreißende, faszinierende Kreatur musste ihm gehören! ooOoOoo Seine ersten Schwimmversuche waren unbeholfen und tollpatschig, aber das machte Harry nichts aus. Schließlich war noch kein Meister vom Himmel gefallen. Er ließ sich zunächst an der Wasseroberfläche treiben ohne dass er Kontakt zum Boden hatte und versuchte linkisch, sich mithilfe von Paddelbewegungen der Hände und Füße fortzubewegen. Das klappte recht gut, allerdings war es auch sehr anstrengend. Als er sich zu einen kleinen Pause entschloss, stellte er erschrocken fest, dass er zu weit hinaus geschwommen war und den Boden nicht mehr mit den Füßen erreichen konnte. Überrascht schluckte er Wasser, begann heftig zu husten und ging beinahe unter, bevor er endlich wieder festen Grund unter sich spürte. Er ging noch ein Stück auf das Ufer zu, nur um sicher zu gehen, während das Husten langsam verebbte und blieb schwer atmend stehen. Das war knapp gewesen. Aber er war nicht ertrunken. Das war doch schon einmal ein guter Anfang, fand Harry. Wenn er wieder zu Atem gekommen war, würde er es noch einmal versuchen. Dann plötzlich stellten sich seine Nackenhaare auf und sein Nacken begann zu kribbeln. Eine Warnung. Er war nicht mehr alleine. Jemand beobachtete ihn. Wie versteinert überlegte der Junge, was er tun sollte. Er war unbewaffnet, unbekleidet und nahezu wehrlos. Angestrengt lauschte er nach hinten, doch er vernahm kein verräterisches Geräusch. Eine kurze Windböe fegte durch seine Haare und verlor sich raschelnd im Laubdach des Waldes. Harry fröstelte. Er hielt sich nun schon eine ganze Weile im Wasser auf und langsam wurde ihm kalt. Er würde den See entweder verlassen oder sich bewegen müssen. Doch er wollte dem Unbekannten durch sein unbeholfenes Herumgeplansche nicht noch mehr Gelegenheiten zum Angreifen geben, also blieb nur eine Möglichkeit. Langsam drehte er sich zum Ufer um und behielt den Wald unter gesenkten Augenlidern sehr genau im Blick. Wenn seinen Beobachter glauben machen konnte, dass er nichts bemerkt hatte, war er bei einem Angriff vielleicht für einen entscheidenden Sekundenbruchteil im Vorteil. Vielleicht konnte er ihn überrumpeln und fliehen. Doch in der Dunkelheit des Waldes regte sich nichts. Seine Augen hatten sich zwar für menschliche Verhältnisse hervorragend an die Dunkelheit angepasst, aber das helle Mondlicht warf viele dunkle Schatten zwischen den Bäumen, in denen sich leicht jemand verbergen konnte. Scheinbar arglos schlenderte er zu seinen Sachen, als eine plötzliche Bewegung zwischen den Bäumen seinen Blick auf sich lenkte. Sofort ging Harry in eine Verteidigungsstellung, doch es war bereits zu spät. Er spürte zwei kräftige Hände auf seinen Schultern und verspannte sich augenblicklich. Wie war das möglich? Er hatte gerade eben erst die Bewegung in den Schatten vor sich gesehen und nun stand jemand hinter ihm, ohne dass Harry ihn bemerkt hatte. Wie war er dort hingelangt? In seinem Rücken war der See, also konnte er sich nicht von hinten angeschlichen haben. Wer immer es war- er musste übermenschlich schnell sein. „Du hast mich also doch bemerkt. Welch erstaunlich scharfe Sinne…“, hauchte ihm eine dunkle Stimme ins Ohr und Harry erschauderte. Eine solche Stimme hatte er noch nie gehört, tief und melodisch, mit einem seltsamen zischelnden Unterton, der sie unheimlich erotisch machte. Wer war dieser Mann? „Nein!“ Der Befehl war nicht laut, aber mit unmissverständlicher Nachdrücklichkeit ausgesprochen. Harry, der gerade den Kopf hatte wenden wollen, erstarrte. „Wenn du dich umdrehst, werde ich dich töten. Und wäre doch wirklich bedauerlich, nicht wahr?“ Eine Hand verließ seine Schulter und ein einzelner Finger strich Harrys gesamten Arm herab bis zum Handgelenk und der Junge bekam eine Gänsehaut. Gleichzeitig spannte er verärgert seine Muskeln an. Der Fremde spielte mit ihm! Würde er ihn nicht ohnehin töten, sobald er des Spiels überdrüssig war? Was machte es für einen Unterschied, ob er ihn nun sah oder nicht? Er schielte hinunter auf seine Schulter ohne den Kopf zu bewegen und sah eine elegante, weiße Hand mit ungewöhnlich langen Fingern. „Wenn du artig bist, dann wirst du diesen Ort unversehrt verlassen“, versicherte die Stimme ihm und Harry war versucht, ihr zu glauben. Der ruhige, leise zischelnde Ton hatte etwas Hypnotisierendes an sich. Er wirkte vertraut, ohne dass Harry sagen konnte, woher er ihn kannte. Außerdem verströmte der Mann einen eigenartigen Duft. Ein Teil von Harry wollte fortlaufen, so schnell und so weit er konnte, ein anderer war von diesem Geruch fasziniert. „Ich habe es nicht nötig zu lügen“, sagte die Stimme sanft und Harry entspannte seine Muskeln wieder. „So ist es gut. Und nun verrate mir deinen Namen“, gurrte der Mann leise und für einen Moment schlossen sich Harrys Augen ganz gegen seinen Willen. Er spannte sich wieder an. Reiß dich zusammen, dachte er ärgerlich. „Harry“, sagte er steif. „Harry...“ Sein gehauchter Name klang geradezu verboten sinnlich aus diesem Mund, die Lust in der Stimme des Fremden war nun kaum noch verhüllt und das Kribbeln in Harrys Nacken kehrte zurück. Stärker als zuvor, doch dieses Mal war es kein Gefühl von Bedrohung. Nun verließ auch die zweite Hand seine Schulter und beide Arme des Fremden schlangen sich um seine Mitte und drückten ihn gegen den größeren Körper hinter sich. „H-He!“, protestierte der Junge und fühlte die Hitze in seine Wangen steigen. Von hinten kam ein leises, beruhigendes Zischen, dann bewegte sie eine Hand aufwärts, wanderte über sein empfindsames Sonnengeflecht hinauf zu seinem Schlüsselbein und zeichnete die Kontur des Knochens nach. Gleichzeitig flatterte eine Zunge kurz und provozierend über die Haut seines Halses. Unwillkürlich legte Harry den Kopf nach hinten, bog seinen Körper der streichelnden Hand entgegen. Seine Lippen teilten sich, um seinem Gefallen wortlos Ausdruck zu verleihen. „Komm morgen wieder her. Dann werde ich dir das Schwimmen beibringen… Harry…“ Dann war die Umarmung plötzlich verschwunden und nur sein Name hing noch einen Moment lang in der Luft, als wäre er allein durch die Aussprache des Anderen zu etwas Magischem geworden. Dann blinzelte der Junge und kam wieder zu Sinnen. Er fand sich alleine und nackt am Ufer des Sees stehen, das Gefühl der Präsenz des Unbekannten verschwunden und der warme Nachtwind als einziger Gefährte. Er errötete heftig, als er bemerkte, welche Auswirkungen dieser kurze Kontakt auf seinen Körper gehabt hatte und schalt sich einen Narren, sich so einfach von einem Fremden einlullen zu lassen. Doch er hatte Wort gehalten. Er hatte ihm kein Leid zugefügt, Harrys Gedanken jedoch waren ein einziges verwirrtes Chaos. Was sollte das? Warum hatte der Unbekannte ihm aufgelauert, um dann nach kurzer Zeit wieder zu gehen und ihn für morgen wieder herzubestellen? War das irgendeine Falle, die er noch nicht durchschaute? Sollte er tatsächlich hingehen? Das bedeutete, dass er erst einmal wieder nach Hause musste, in sein Gefängnis, zu Verwandten, denen er nicht einmal ein Kupferstück wert war. Seine Flucht wäre damit gescheitert. Und doch… es wäre nicht mehr dasselbe. Dieser Mann hatte förmlich nach Freiheit gerochen und er hatte in Harry ein kleines, beharrliches Feuer entzündet, das auch die Einsamkeit seines Dachzimmers nicht mehr löschen konnte. Er würde sich nicht frei bewegen können, aber im Geiste war er freier denn je. Es war, als wäre eine Tür aufgestoßen worden. Harry war neugierig. Was konnte ihm der Unbekannte wohl noch alles zeigen? Er blickte hinauf zum Mond, dessen Licht sich weich und beruhigend an ihn schmiegt. Ja, er würde wiederkommen. Morgen Nacht. -wird fortgesetzt- Bitte hinterlasst mir doch einen Kommentar mit eurer Meinung zu diesem Kapitel ^.~ Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Teil 2/5 Blut auf dem Mond „Autsch, verdammt!“, fluchte Harry leise, als er sich zum wiederholten Male mit der Nadel in den Finger gestochen hatte. Ihm wurden vorwiegend Arbeiten aufgetragen, bei denen er sich in seinem Zimmer aufhalten konnte und bei denen nicht die Gefahr bestand, dass ihn jemand sah. Und heute stand das Flicken der Sachen seines Cousins auf dem Tagesplan. Wieder einmal. Dudley hatte überhaupt keinen Respekt vor dem materiellen Wert seiner Kleidung, denn seine Eltern kauften ihm neue, sobald seine alten Kleidungsstücke mehr als einmal repariert worden waren. Die verschlissene Kleidung wurde dann an den ungeliebten Mitbewohner der Dursleys weitergereicht- Harry. Dementsprechend behandelte Dudley seine Sachen natürlich. Ständig musste Harry Risse in den Hosen und Oberhemden nähen und Löcher stopfen. Es hing ihm zum Hals heraus. Ärgerlich musterte er die Hose in seinen Händen als wäre sie schuld daran, dass er sich heute nicht auf seine Arbeit konzentrieren konnte. Dabei lag das Problem ganz woanders. Bei einem unbekannten Mann mit betörender Stimme und nahezu magischen Händen. Es ärgerte ihn, dass er sich durch diesen Fremden so aus der Bahn werfen ließ, doch gleichzeitig freute er sich auf das Wiedersehen heute Nacht. Dieser Mann war sein erster Kontakt zur Außenwelt. Er war jemand, der ihm das Leben dort draußen zeigen konnte, ohne dass Harry Gefahr lief, jeden Fehler, den man machen konnte, wirklich machen zu müssen um zu lernen. Die Welt da draußen war neu und aufregend, der Junge wollte sie entdecken, aber ihm war klar, dass es auch Gefahren gab. Und so ungern er es sich eingestand, er wäre dankbar für jemanden, der ihn in der ersten Zeit etwas an der Hand nahm und ihn führte. Obwohl Harry nicht sicher war, ob die größte Gefahr dort draußen nicht von dem Unbekannten selbst ausging. Er kannte nicht einmal dessen Gesicht. Sein Herz schlug aufgeregt, als Harry sich fragte, ob es ihm heute vielleicht erlaubt sein würde, den anderen Mann anzuschauen. Und wenn nicht, dann würde er sich diese Freiheit einfach nehmen, entschied der Junge. Er wollte so gerne wissen, wie der Andere aussah und außerdem- ein bisschen Gerechtigkeit musste sein. Schließlich kannte der Unbekannte auch Harrys Gesicht. „Argh!“, entfuhr es ihm gereizt, als er sich erneut in den Finger stach. Frustriert schob er die Fingerkuppe zwischen die Lippen um kurz an der schmerzenden Stelle zu saugen. Heute war nicht sein Tag. Es sah ganz so aus, als würde diese einfache Näharbeit ein abendfüllendes Programm werden, aber er konnte seine Gedanken beim besten Willen nicht von dem Fremden abwenden. ooOoOoo An diesem Abend erwachte Marvolo früher als sonst. Die Sonne stand schon tief am Horizont, wie er an dem wenigen Licht, dass durch einen Spalt zwischen den schweren Vorhängen an seinem Fenster fiel, erkennen konnte, aber sie war noch nicht untergegangen. Es war ungewöhnlich für ihn, vor der gewohnten Zeit aufzuwachen, doch heute verspürte er ein seltsames Gefühl der Anspannung. Andere würden es vielleicht als Vorfreude bezeichnen, doch einen solchen Begriff gab es in Marvolos Wortschatz schon lange nicht mehr. Er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal ernsthaft auf etwas gefreut hatte. Das musste in seiner Kindheit gewesen sein und die lag nun schon ein paar hundert Jahre zurück. Doch diese Nacht versprach etwas Besonderes zu werden. So wie auch an die letzte, würde er sich noch lange an sie erinnern, denn sie stach aus dem gewohnten Alltag heraus. Er wusste nicht genau, was es war, doch das Menschenkind zog ihn geradezu magisch an. Der Junge war eine Herausforderung. Noch war er tapsig wie ein neugeborener Welpe, schien von der Welt keine rechte Ahnung zu haben, doch schon in kurzer Zeit könnte ihm der Knabe nahezu ebenbürtig sein. Zwar fehlte dem Kind jede Bildung, doch sein Mut und sein Stolz waren unübertroffen. Deswegen hatte Marvolo ihn in der vergangenen Nacht am Leben gelassen. Er war gespannt, zu sehen, wie sich der Junge unter seiner Führung entwickeln würde. Ob er wirklich so herausragend war, wie der Vampirfürst annahm. Wie hatte es ihn befriedigt, als er keine Kennzeichnung am Hals von Harry gefunden hatte. Dieses Menschenkind gehört niemandem außer sich selbst und Marvolo würde alles daran setzen, es zu besitzen. Es dazu zu bringen, sich ihm aus eigenem Antrieb anzuschließen. Allerdings war die Frage, woher dieser seltsame Junge so plötzlich geklommen war, immer noch unbeantwortet. Die Antwort darauf interessierte den Vampirfürsten brennend. Vom Himmel konnte er ja schwerlich gefallen sein, aber er hatte auch kein Gepäck dabei gehabt, das darauf schließen ließ, dass er eine längere Wanderung hinter sich gebracht hatte. Das war alles höchst mysteriös. Entschlossen, heute Antworten zu bekommen, stand Marvolo auf. ooOoOoo Die Nacht war einsam und still, als Harry schließlich am Ufer des Sees stand und wartete. Weit entfernt ertönte der leise Ruf eines Käuzchens auf der Jagd, dann war es wieder ruhig und der Junge trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. Sie hatten keine Zeit ausgemacht, deshalb war er so schnell gekommen wie er konnte. Es war ihm so schwer gefallen, zu warten, nachdem das laute Schnarchen seines Onkels erklungen war, aber er hatte sicher sein müssen, dass alle Familienmitglieder schliefen, bevor er sich hinausschlich. War er zu spät? Oder einfach nur wesentlich zu früh? Wie lange hatte der Fremde wohl vor, ihn warten zu lassen? Irgendwie kam sich Harry sehr dumm vor, denn zeugte sein frühes Erscheinen nicht zu sehr von seiner Begierde, den Anderen wiederzusehen? Kurzentschlossen zog Harry sich aus und watete langsam ins Wasser. Es sollte nicht so aussehen, als erwarte er die Ankunft des Älteren sehnsüchtig und als wäre er nicht fähig, vorher irgendetwas zu tun. Er war zum Schwimmen hergekommen, also würde er das auch tun. Seine Schwimmbewegungen waren immer noch so unbeholfen wie am ersten Tag, dennoch genoss Harry das Gefühl, wieder im Wasser zu sein. So wie der Wind flüsternde Stimmen zu tragen schien, verbarg auch das leise Plätschern des Wassers Geschichten, die erzählt werden wollten. Wie die raschelnden Blätter berichteten ihm auch die kleinen Wellen, die er durch sein Paddeln erzeugte, Erstaunliches über die Dinge unterhalb der Wasseroberfläche. Über Fische, so groß, wie er selbst, Lebewesen so winzig, dass er sie kaum mit dem bloßen Auge erkennen könnte, Wasserpflanzen, die sich aufwärtsstrebend im Wasser bewegten, als würde sie tanzen, die kleineren Fischen Zuflucht und Schutz vor größeren Räubern des Wassers und auch der Lüfte boten, alltägliches aus dem Leben der Bewohner dieses Gewässers noch aus einer Zeit, in der es hier keine Menschen gegeben hatte. Gefesselt lauschte der Junge, während er träge auf der Stelle paddelte, und fasziniert ließ er sich weiter und weiter aus der ihm bekannten Welt entführen und schreckte erst auf, als es plötzlich eine Störung im Fluss der Wellen gab. Der Rhythmus kam ins Stocken und die Stimmen verstummten. Harry fuhr herum und fand sich nur eine halbe Armlänge von einem blutroten Augenpaar entfernt, dass ihn mit solch einer aufwühlenden Intensität musterte, dass Harry zunächst davor zurückschreckte. „Sei gegrüßt, Harry“, sagte die bereits vertraute Stimme und Harrys Herz machte einen Satz, als er begriff, dass er nun auch endlich das Gesicht dazu sah. Sein Gegenüber schien wenig älter zu sein als er selbst, aber er sah unbeschreiblich gut aus mit seinen glatten, dunklen Haaren, die ihm ein wenig ins Gesichts hingen, mit seiner reinen, schneeweißen Haut, der geraden Nase, den anmutig geschwungenen, roten Lippen. Und die Augen... die blutroten Augen... Harry bekam eine Gänsehaut und fand sich nicht in der Lage, seinen Blick zu lösen. Auch nicht als der Andere langsam auf ihn zuschwamm und ihn mit gleichmäßigen, eleganten Bewegungen umkreiste, die mit seinem Hundepaddeln überhaupt nicht vergleichbar waren. Sein Körper glitt durch das silbrig-schwarze Wasser als wäre er Teil davon. „Du hast so abwesend gewirkt, als würdest du träumen. Hast du leise Stimmen gehört, die dir von unerforschten Welten und fremdartigen Lebensformen erzählten? Du solltest dich nicht zu sehr in diesen alten Geschichten verlieren, Harry, das ist nicht gut.“ Der Junge fand es seltsam, dass der Andere genau zu wissen schien, was ihn gerade so gefesselt hatte. Erlebten das andere Menschen auch? Dann war es kein Wunder, dass die Kinder des Dorfes so wild darauf waren, baden zu gehen. Doch schon wieder schien sein Gegenüber genau zu wissen, was er dachte, denn er schüttelte den Kopf. „Nein, Harry. Diese Gabe besitzen nicht viele. In der Tat ist sie... einzigartig.“ Die roten Augen ruhten wieder auf ihm, dieses Mal taxierend, als würde ihr Besitzer einzuschätzen versuchen, was Harry noch alles beherrschte und ob er eine Bedrohung darstellte. Unbehaglich wand sich der Junge. „Wer seid Ihr? Wie soll ich Euch nennen?“ Sein Gegenüber blieb einen Moment stumm, schien die Alternativen abzuwägen. Dann sagte er. „Nenne mich Marvolo.“ Harry räusperte sich. „In Ordnung... Marvolo... Ihr wolltet mir beibringen, wie man richtig schwimmt, nicht wahr?“ „Ja richtig... fangen wir an. Die Nacht ist nicht mehr ganz so jung.“ Einen Moment lang ruhte der abschätzende Blick noch auf ihm, dann wandte sich Marvolo anderen Dingen zu. Harry bemühte sich, den Anweisungen zu lauschen und alles genau zu befolgen, doch es war anstrengend und bald war er erschöpft. Doch wie sich herausstellte, war schwimmen viel einfacher als Harry angenommen hatte. Es brauchte nur einige wenige Hilfestellungen und schon bald bewegte sich Harry wesentlich sicherer durch das nasse Element, doch da es so ungewohnt für ihn war, fühlte er sich schon bald erschöpft. Mit dem Nachlassen seiner Kräfte schwand auch seine Fähigkeit, sich zu konzentrieren, rapide. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab zu den seltsamen Stimmen, die er gehört hatte und zu den Bildern, die sie mit ihren Geschichten in seinen Kopf gesetzt hatten. Er seufzte und wünschte sich, dass er einfach für ein paar Stunden in diese andere abenteuerliche Welt abtauchen, sie selbst erkunden könnte. Es war eigentlich nicht schwer. Er musste nur aufhören, sich zu bewegen und tief ausatmen. Sein Körper sank dann von ganz alleine nach unten. Die kleinen Wellen schlugen über seinem Kopf zusammen und das seidige Wasser umhüllte ihn nun vollständig. Harry öffnete die Augen und blickte nach oben, wo er durch die sich bewegende Oberfläche den Mond sehen konnte. ‚Schön…’ Er fühlte, wie Ruhe und Frieden ihn erfüllten und schloss die Augen wieder, um vollständig zu entspannen. Ja, das war sein Element. Hier fühlte er sich wohl. Hier wollte er bleiben. Dann veränderte sich die Strömung. Das Wasser, das eben noch ruhig und streichelnd an seiner Haut vorbei geglitten war, bildete unruhige Wirbel und schien vor etwas hinter ihm zurückzuweichen. ‚Jemand kommt…’ Doch er kam nicht mehr dazu zu reagieren, denn kaum hatte er den Gedanken zu Ende gedacht, legten sich zwei starke Arme um ihn und zogen ihn mit unwiderstehlicher Kraft nach oben. Harry wehrte sich, er wollte dieses Reich der Ruhe nicht verlassen, doch es war vergebens. Als sein Kopf jedoch die Wasseroberfläche durchbrach, war es, als wäre er aus einem Traum erwacht. Plötzlich spürte er, wie nahe er dem Ertrinken gewesen war. Seine Lungen brannten und hastig schnappte er nach Luft, sodass ihm schwindlig wurde und er wieder untergegangen wäre, hätten ihn die Arme von seinem Retter nicht immer noch fest umschlungen. Nun wehrte er sich nicht länger gegen den Griff, sondern klammerte sich mit aller Kraft an die Arme, die ihn hielten. „Du dummes Kind!“, fauchte es ungehalten von hinten. „Deshalb habe ich dir gesagt, du sollst dich nicht zu sehr in diesen Geschichten verlieren. Du kannst nicht unter Wasser überleben.“ „Das hatte ich vergessen“, keuchte Harry und drehte den Kopf, um Marvolo in die Zorn funkelnden Augen zu blicken. „Entschuldigt. Ich wollte Euch keine Mühe machen.“ Der Sturm der Wut in den roten Augen legte sich nach einigen Augenblicken langsam und der Junge lehnte sich zurück an der schlanken Körper des anderen, in dem so viel mehr Kraft steckte, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Auch das fühlte sich gut an, entschied Harry. Der feste Körper in seinem Rücken, die starken Arme um seinen Oberkörper. Sicherheit. Geborgenheit. „Du bist erschöpft. Wir sollten Schluss machen für heute. Schaffst du es alleine bis ans Ufer?“, fragte die samtige Stimme des Älteren und Harry öffnete die Augen um über die Schulter hinweg den Blick des anderen zu suchen. Der Ausdruck in den blutroten Augen war undeutbar und doch ließ er Harry einen wohligen Schauer den Rücken hinab rieseln. Gerne hätte der Junge noch etwas weiter an dem Größeren gelehnt, aber er wollte diesem nicht schon wieder Umstände bereiten. Also nickte er und obwohl ihm der Weg zurück zum Ufer unendlich lang erschien, kämpfte er sich solange voran, bis er wieder den weichen, sandigen Boden unter den Füßen spürte und erleichtert aufatmend verließ er das Wasser. Wieder gewohnt trockenes Land unter den Füßen stolperte er die wenigen Schritte auf seine Sachen zu und fragte, sich, warum seine Gliedmaßen ihm so bleiern vorkamen. Es war erstaunlich, wie sich die Wahrnehmung veränderte, wenn man sich eine Weile im Wasser aufhielt. Jetzt, da seine Beine wieder sein gesamtes Körpergewicht tragen mussten, kam er sich selbst ungewohnt schwer vor. Er griff gerade nach seinen Sachen, als ihn etwas am Kopf traf. Verdutzt griff der Junge danach und stellte fest, dass es sich um ein Handtuch handelte. „Trockne dich ab, bevor du dich erkältest“, kam die Anweisung von hinten und Harry befolgte sich dankbar und ohne zu fragen. Er hatte nicht gewagt, eines der Handtücher aus dem Haus mitzunehmen aus Angst, man könnte später vielleicht Spuren daran entdecken, die ihn verraten würden. So musste er wenigstens nicht klatschnass in seine Sachen schlüpfen. Er war kaum angezogen, da verrieten ihm die Geräusche hinter ihm, dass Marvolo bereits dabei war, den Ort des Geschehens zu verlassen. Harry beeilte sich, ihm zu folgen, doch er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass jedes Geräusch, das der Andere verursachte Absicht war. Dass jedes raschelnde Blatt und jeder knackende Zweig unter seinen Füßen wohl geplant war. Schließlich hatte er selbst ja schon mitbekommen, dass sich der Ältere auch völlig lautlos und vor allem übermenschlich schnell bewegen konnte. Sie waren erste wenige Schritte den Waldweg, der zum See führte, hinunter gegangen, als ein leises Schnauben Harrys Blick auf ein pechschwarzes Pferd lenkte, das am Wegesrand angebunden war. „Oh“, entfuhr es ihm leise. Er selbst hätte das Tier übersehen, denn mit seiner Fellfarbe verschmolz es nahezu vollständig mit dem dunklen Wald und er war voll und ganz auf den Rücken von Marvolo fixiert gewesen. Natürlich kannte er Pferde, auch im Dorf hielt man sie, doch die schweren Arbeitstiere waren nicht mit diesem kraftvollen und eleganten Hengst zu vergleichen. Das war kein Tier, das zur Arbeit gedacht war, sondern das dem Zeitvertreib eines wohlhabenden Mannes diente. Wem, das klärte sich auch schon einige Sekunden später, als Marvolo zielstrebig auf das Pferd zusteuerte und mit einem sanften Nasenstupser begrüßt wurde. Harry klappte der Unterkiefer herunter und einen Moment musterte er den Anderen verblüfft, bevor er sich einen Narren schalt. Dass er es nicht mit einem Bauer zu tun hatte, hätte er sich auch alleine denken können. Allein die ausgefeilte Sprache, der jeglicher ländlicher Dialekt fehlte, und die aristokratische Haltung verrieten Marvolo als einen Adligen. Doch warum gab sich jemand so Hochgestelltes mit jemandem wie ihm ab? „Komm ein Stück näher“, lockte der Ältere ihn mit sanfter Stimme. „Du fürchtest dich doch nicht vor Pferden, oder?“ „Nein“, antwortete Harry wahrheitsgemäß und trat nahe zu Marvolo heran. Und ehe er wusste, wie ihm geschah, fand er sich mit dem Rücken gegen einen Baum gedrückt, Marvolos Körper eng an ihn gepresst. Rasch biss er sich auf die Lippe, um den Laut der Überraschung und der Erregung im Keim zu ersticken. Nein, er würde sich nicht noch einmal wie Spielzeug behandeln lassen. „Was-“, setzte er ärgerlich an, doch der Zeigefinger, der sich unter sein Kinn legte und es sanft anhob, ließ er verstummen. „Wovor fürchtest du dich dann? Vor Werwölfen? Vampiren?“ Harry schüttelte den Kopf. „Nein, nein natürlich nicht.” Der Ton seiner Stimme klang nun fast zärtlich und ein wenig amüsiert. Der Ältere lehnte sich näher und schnupperte an seinen Haaren. „Du riechst nicht nach Knoblauch. Isst du keinen?“ Wieder schüttelte Harry den Kopf. „Ich bin allergisch gegen Knoblauch. Als ich noch sehr jung war, gab man mir einmal Knoblauch und ich wäre beinahe daran gestorben. Seitdem hat es niemand mehr versucht.“ „Ahh“, seufzte Marvolo und mit einer unerwartet schnellen Bewegung legten sich seine Lippen auf Harrys. Der Kuss war nicht herrisch, aber fordernd. Er war sanft, aber gleichzeitig fest genug, um ein Versprechen nach mehr zu sein. Ein Locken. Und er war unschuldig genug, um Harry nicht zu erschrecken und gleichzeitig das Verlangen nach mehr in ihm zu wecken. Die Hände des Jungen wanderten zu den kraftvollen Oberarmen des Vampirfürsten und seine Finger krallten sich in den Stoff seines Oberteils, in dem vergeblichen Versuch, die Flut von Gefühlen aufzuhalten, die ihn fortzuschwemmen drohte. Sein Bauch schien aus flüssigem Feuer zu bestehen, das sich über die Adern überall in seinem ganzen Körper verteilte. Marvolos Zunge spielte mit der seinen, schmiegte sich an sie, um sich im nächsten Moment wieder zurückzuziehen. Harrys Zehen rollten sich lustvoll ein und in stillem Genuss drängte er sich gegen den Älteren. „Dann sag mir noch eins, Harry“, hauchte Marvolo als sich seine Lippen wieder einige Millimeter von Harrys entfernt hatten und klang selbst ein klein wenig atemlos. „Wo kommst du her?“ Der Junge rang nach Atem, während sein ganzer Körper immer noch kribbelte. Fühlten sich alle Küsse so unglaublich an? Dann wollte er mehr davon! Unbewusst fuhr er sich mit der Zungenspitze über die Lippen und Marvolos Augen folgen ihr für einen Moment gebannt, bevor er wieder Harrys Blick fixierte. „Aus einem Dorf ganz in der Nähe. Es liegt am Ende des Waldweges, am Fuße des Schlosses“, antwortete der Junge und spürte, dass sich die Atmosphäre augenblicklich änderte. Hatte er etwas Falsches gesagt? Marvolo trat einen Schritt zurück. „Ich frage dich noch einmal und dieses Mal denke genau nach, bevor du antwortest: Woher kommst du?“ Dieses Mal lag ein kaum hörbares, drohendes Beben in seiner Stimme. Irritiert blickte Harry ihn an. Wieso sollte er noch einmal über seine Antwort nachdenken? Und warum schien es dem anderen so unglaubwürdig, dass er aus dem Dorf kam? Mit Nachdruck wiederholte er: „Ich komme aus dem Dorf am Fuße des Schlosses.“ Er spürte, dass Marvolo ihn an der Schulter packte und dann flog er plötzlich durch die Luft. Er landete hart auf dem steinigen Waldweg und schrammte sich die bloßen Arme auf. Verschreckt und ärgerlich rappelte er sich auf, um beim Anblick des anderen Jungen zu erstarren. Rote Augen glühten zornig in der Dunkelheit, die Oberlippe war zurückgezogen und entblößte bedrohlich lange, weiße Eckzähne, als der Vampirfürst zischte: „Lügner! Warum lügst du mich an? Was hast du zu verbergen?“ „Ich habe nicht gelogen!“, verteidigte sich der Junge und stolperte ein paar Schritte rückwärts. Das Bild, das sich ihm bot, war beängstigend. Seine Gedanken rasten. Sollte es doch Vampire geben? Sollte Marvolo tatsächlich einer von ihnen sein? Der Gedanke, einem tatsächlichen Raubtier, das Menschen jagte, gegenüber zu stehen, sprach alle seine Urängste an und löste den sofortigen Fluchtreflex aus. Er trat noch einen Schritt zurück. „Ja, fürchte dich ruhig. Denn wenn das alles ist, was du mir zu sagen hast, wirst du für die impertinente Lüge sterben, sobald ich dich zu fassen bekomme.“ Das war keine bloße Drohung, sondern ein Versprechen und Harrys Nackenhaare stellten sich auf. Rasch sah er sich nach etwas um, mit dem er sich verteidigen konnte, doch in der Hektik vermochte er nichts auszumachen. Also blieb nur noch eine Möglichkeit. Er fuhr auf dem Absatz herum und lief um sein Leben. Marvolo sah ihm zornesbebend nach, folgte ihm jedoch nicht. Es machte keinen Unterschied, wann er den Bengel erwischte. Selbst wenn er ihn heute laufen ließ, Menschen waren so langsam. Morgen Nacht würde er ihn mit Sicherheit bekommen. Und mit etwas Vorsprung machte die Jagd noch viel mehr Spaß. Der Junge war des Todes. - wird fortgesetzt- Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Diesen Teil widme ich Iris, dem an mich gebundenen „Meerschweinchen“ in zweibeiniger Gestalt, denn er ist fast zur Gänze an ihrem Laptop entstanden, als ich auf Chori aufgepasst habe =) Du solltest öfter wegfahren *g* Teil: 3/5 Blut auf dem Mond Es vergingen zwei Wochen, in denen Harry nicht einen Fuß vor die Tür setzte. Er konnte es nicht leugnen, dass ihn dieser Vorfall ziemlich verschreckt hatte. Also hatte er sich zunächst in seine schützende Behausung zurückgezogen um nachzudenken. Er mochte sich hier vielleicht nicht besonders wohl fühlen, aber dieses Haus bot ihm Sicherheit. Vampire konnten es schon alleine wegen dem Knoblauch und den Kreuzen nicht betreten. Richtig? Doch nachdem er zur Ruhe gekommen war, hatte er angefangen, nachzudenken. Er hatte zwei Nächte mit dem Vampir verbracht. Zwei Nächte, in denen er ihn leicht hätte beißen können. Jedes Mal, wenn Marvolo ihm nahe gekommen war, war Harry wie paralysiert gewesen. Es wäre also ein Leichtes gewesen, ihn zu töten. Und trotzdem hatte Marvolo es nicht getan. Warum? War das für ihn ein Spiel gewesen? Hatte der Vampir mit ihm gespielt, wie eine Katze mit der Maus? Ja, manchmal hatte Harry das Gefühl gehabt. Aber nicht immer. Hieß das, das war nicht alles, oder verbarg Marvolo seine Absichten einfach zu gut? Wenn Harry ehrlich war, dann wollte er gerne daran glauben, dass es Marvolo nicht nur um ein bisschen Spaß vor dem Essen ging. Er wollte sich auch nicht sein restliches Leben selbst einsperren, weil er Angst vor den Konsequenzen hatte, wenn er hinausging. Und er wollte vor allem Marvolo wieder sehen. Trotz allem übte dieser Mann eine schier unwiderstehliche Faszination auf ihn aus. Vielleicht lag es ja daran, dass er ein Vampir war, doch eigentlich spielte der Grund keine Rolle, fand Harry. Allerdings würde er einen Weg finden müssen, das Missverständnis, das es offensichtlich zwischen ihn gab, aus der Welt zu räumen, sonst bestand beim nächsten Zusammentreffen Lebensgefahr für ihn, so viel war immerhin sicher. Marvolo war überraschend jähzornig und Harry hatte den leisen Verdacht, dass seine Wut nicht durch ein wenig Zeit, die verging, zu besänftigen war. Er musste sich also etwas einfallen lassen, damit der andere ihm glaubte. Vielleicht konnte er einen Knoblauchzopf mitnehmen, um den Vampir erst einmal auf Abstand zu halten? Zunächst musste er nämlich klären, warum es so unglaubwürdig erschien, dass er aus dem Dorf kam. Dann konnte er sich daran machen, diese Zweifel zu zerstreuen. Ja, heute Nacht würde er es versuchen. Sein Plan war alles andere als ausgefeilt, aber nach zwei Wochen Abstinenz von seiner neu gewonnene, heiß geliebten Freiheit, war er bereit, jedes Risiko auf sich zu nehmen, um sie zurück zu erlangen. ooOoOoo Als Marvolo an diesem Abend durch sein Schloss schritt, schien sich die Welt in seiner unmittelbaren Umgebung vor Angst zu krümmen und zusammenzuziehen. Nach zwei Wochen erfolgloser Jagd, hatte seine Laune den bisher bekannten und gefürchteten Nullpunkt bei weitem unterschritten. Man vermied es ihm zu begegnen, wenn man konnte, und die steigende Zahl der Toten oder zumindest bis zum Rande des Todes Gefolterten, gab den rangniederen Vampiren Recht in diesem ausweichenden Verhalten. Wer an seinem untoten Leben hing, kam Marvolo besser nicht unter die Augen. Zuerst hatte der Vampirfürst gedacht, er hatte vielleicht in der falschen Richtung gesucht. Möglicherweise hatte das Menschenkind trotz seines Schreckens noch genug Verstand besessen, irgendwann nach Sonnenaufgang kehrt zu machen und in die andere Richtung, aus der es gekommen war, zu fliehen, um Marvolo auf eine falsche Fährte zu locken. Doch nichts. Egal, in welcher Himmelsrichtung er suchte, ob in den Wäldern, auf den Feldern oder in den stinkenden Städten und Dörfern der Menschen, Harry blieb wie vom Erdboden verschluckt. Hielt er ihn zum Narren? Rote Augen verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen und der schwarze Umhang hinter seinem schlanken Körper bauschte sich auf, obwohl sich kein Lüftchen regte. Er musste etwas übersehen haben. Kein Mensch verstand es, die hoch entwickelten Sinne eines Vampirs so vollkommen auszutricksen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und wenn der Junge tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte? Wenn er tatsächlich aus dem Dorf kam? Er musste ja nicht dort geboren sein. Vielleicht war er erst kürzlich hinzugezogen. Es war ungewöhnlich, dass so junge Menschen ins Dorf kamen, weil sie meist auf den elterlichen Gehöften gebraucht wurden, aber vielleicht stammte er aus einer kinderreichen Familie und seine Brüder waren genug Hilfe. Das einzige, was Marvolo an dieser Theorie störte, war, dass er über einen Neuzugang Bescheid gewusst hätte. Er hatte seine Spitzel unten im Dorf, die ihn über jede Veränderung informierten. Hatten sie es dieses Mal versäumt? Daran mochte der Vampir nicht so recht glauben, denn er hatte diejenigen für diese Aufgabe gewählt, die gerne redeten. Die viel Tratsch erzählten und die begierig waren, ihm Neuigkeiten mitzuteilen. Bei so etwas Wichtigem wären sie noch in der Sekunde angelaufen gekommen, in der der Junge das Dorf betreten hatte. Nein, etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Aber um ganz sicher zu gehen, würde er seine Suche heute Nacht auf das Dorf beschränken. Er würde notfalls jeden Stein umdrehen und wenn das Ergebnis negativ war, würde er einen neuen Plan machen müssen. Dieser Junge würde ihm nicht entkommen! Wenig später stand er auf der breiten Straße, die durch das Dorf führte. In der näheren Umgebung jedenfalls war nichts zu finden gewesen. Weder der Junge selbst noch ein Erdloch, das groß genug gewesen wäre, ihn zu verbergen. Auch in den Scheunen und Lagern war nicht die geringste Spur zu finden gewesen, dass dort jemand in letzter Zeit Unterschlupf gesucht hätte. Blieben noch die Häuser selbst. Vielleicht hatte ihm ein mitleidiger Bewohner Unterschlupf gewährt. Es war nicht wirklich ein Geräusch oder ein Geruch, nichts wirklich mit den normalen fünf Sinnen Greifbares, das seine Aufmerksamkeit auf ein Haus weit die Straße hinunter lenkte. Es war eher eine geringfügige Veränderung der Luftströmung, in dem Moment, in dem sein Blick darüber hinweg glitt. Die Eheleute, die darin wohnten, hatten einen Sohn, das wusste er. Fett wie ein Mastschwein und unerträglich verzogen. Zog mit einer Bande durch das Dorf und verprügelte andere Kinder. Von diesem missglückten Versuch, die menschliche Population aufrecht zu erhalten, abgesehen, waren die Dursleys die normalste Durchschnittsfamilie, die man sich vorstellen konnte. Nicht überragend im Äußeren, die Frau eine Klatschbase erster Güteklasse, doch beide noch nie durch Absonderlichkeiten aufgefallen. Sie legten Wert auf Normalität und waren stolz darauf, nicht aus dem Rahmen zu fallen. Nie im Leben würden sie einem fremden Jungen Unterschlupf gewähren. Nicht einmal als Haushaltssklave würden sie ihn in ihr Haus lassen, denn so etwas war nicht „normal“. Und was nicht normal war, gehörte sich einfach nicht. Aber vielleicht, überlegte Marvolo, waren sie ein wenig zu sehr auf Normalität bedacht. Geradeso als würden sie ein Geheimnis bewahren, das unter keinen Umständen ans Licht kommen durfte. Es war einen Versuch wert. Mit diesem Haus würde er beginnen. Doch er hatte den Gedanken gerade zu Ende gedacht, da erregte der schattenhafte Umriss einer zarten Gestalt, die sich die Straße hinunter schlich, seine Aufmerksamkeit. Wieder spürte er diese sachten Luftverwirbelungen und zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. Dieses Wesen war nicht menschlich. Niemand konnte sich auf dieser Erde bewegen, ohne die Luftströmung zu stören, doch Menschen taten es auf geradezu brachiale Art und Weise. Sie suchten sich nicht den Weg des geringsten Widerstandes, sondern rannten buchstäblich mit dem Kopf durch die Wand. Deswegen waren sie auch so langsam. Sie mussten wesentlich mehr Kraft aufwenden, um sich zu bewegen. Das Wesen dort vorne, erinnerte in seiner Art der Fortbewegung mehr an einen Vampir... oder an etwas, das er seit Jahren ausgestorben geglaubt hatte. Sein ursprüngliches Ziel vergessen, bewegte er sich neugierig näher, bis ihn nur noch wenige Meter von dem Geschöpf trennten. Da hielt es plötzlich mitten im Schritt inne und nach einem kurzen Prüfen der Umgebung mit seinen Sinnen, drehte es sich zu ihm um. Marvolo stockte der Atem, als er in tiefgrüne, klare Augen blickte. Harry? Aber wie war das möglich? Kein Mensch konnte sich so bewegen, wie er es gerade getan hatte. Und kein Mensch, mochten seine Sinne auch noch so fein sein, hätte ihn bemerkt. Wer war dieser Junge? Was war er? Wieso erinnerte Harry ihn so an den letzten Naturgeist, den er je gesehen hatte? Eine Frau mit langem, feuerrotem Haar und geradezu hypnotisierenden grünen Augen. Ein sanftes Wesen, das jedoch genügend Willenskraft besaß, für das zu kämpfen, was ihr wichtig war. Eine Frau mit unheimlich viel verborgener Kraft. Das waren die Gründe, weshalb er sie so respektiert hatte und weshalb er versucht hatte, sie zu töten. Zu seinem großen Verdruss war er jedoch gescheitert. Mehrmals. Schließlich war sie auch ohne sein Zutun gestorben, doch sie hatte nie ein Kind bekommen, so weit er wusste. Wieso also musste er an sie denken, wenn er Harry sah? Und wieso war ihm das nicht schon früher aufgefallen? War er so damit beschäftigt gewesen, seine Spielchen mit dem Jungen zu treiben? „Marvolo“, grüßte Harry ihn und beäugte ihn misstrauisch. Irgendwie schien der Vampir nicht mehr wütend zu sein. Er konnte nicht genau sagen, was an die Stelle des Zorns getreten war, aber er befand sich nicht mehr in unmittelbarer Gefahr. Das war allerdings kein Grund, sich zu entspannen und so umklammerte er den Knoblauchzopf in seiner Hand fester. Marvolos Blick fiel darauf und spöttisch zog er eine Augenbraue in die Höhe. „Fürchtest du dich etwa vor mir, Harry?“ Der Trotz und sein Stolz, befahlen ihm, umgehend mit „Nein!“ zu antworten, doch was er schließlich sagte, war: „Ja. Ja, ein bisschen. Ich möchte gerne noch eine Weile leben. Und ich möchte verstehen, warum du geglaubt hast, ich würde lügen, als ich sagte, ich würde hier im Dorf leben.“ „Weil ich dieses Dorf in- und auswendig kenne. Ich kenne die Menschen hier. Ich kenne die genaue Einwohnerzahl, ich weiß, wer hier geboren und wer zugezogen ist. Doch jemand wie du ist mir noch nicht untergekommen. Dich habe ich hier noch nie gesehen und ich habe auch noch nie von dir gehört. Wo kommst du also her?“ „Wo ich her komme, weiß ich selbst nicht. Aber ich bin nicht hier geboren. Mein Vater ist gestorben, bevor ich geboren wurde und meine Mutter starb bei meiner Geburt. Ein Bekannter der beiden brachte mich dann hierher zu meinen Verwandten.“ Marvolo folgte seinem Blick zu dem Haus der Dursleys. „Die Dursleys?“ „Ja. Bei ihnen lebe ich solange ich denken kann, aber sie haben meine Existenz immer geheim gehalten, weil sie sich für mich schämten. Ich durfte das Haus nie verlassen und ich durfte mich Besuchern nicht zeigen. Die meiste Zeit meines 15jährigen Lebens habe ich oben in meinem Zimmer auf dem Dachboden verbracht.“ Nun, das erklärte so einiges. Aber den Jungen unbemerkt in einer Nacht- und Nebelaktion in dieses Dorf zu schmuggeln, dazu gehörte schon einiges an Raffinesse und Können. Marvolo trat näher an den Jungen heran, bis sie nur noch eine Armlänge voneinander entfernt standen. Der Knoblauchgeruch stach ihm in die Nase. Oh, er hasste dieses widerliche Zeug. „Sag mir Harry, wer bist du?“ Der Junge verstand die Frage nicht und runzelte irritiert die Stirn. „Ich bin Harry. Einfach nur Harry.“ „Dann sag mir, einfach nur Harry, hast du denn auch einen Nachnamen?“ Das verlockende Gurren, das Harry schon kannte, war zurück in seiner Stimme und der Junge bekam eine Gänsehaut. „Potter. Harry Potter.“ „Tatsächlich?“ Marvolos Stimme wurde seidenweich. „Und wie hießen deine Eltern?“ „Lily und James Potter so viel ich weiß. Aber warum? Was spielt das für eine Rolle?“ Lily... Lily Potter... Plötzlich lachte Marvolo auf. Das war doch nicht zu fassen! Der alte Mann hatte ihn hereingelegt. Hatte ihn komplett genarrt! Er erinnerte sich noch an die Nacht, in der er James Potter getötet hatte. Dieser unvernünftige Mann hatte sich ihm in den Weg gestellt, als er es auf Lily abgesehen hatte. Und was ihn vollkommen überrascht hatte, war, dass Lily tatsächlich geflohen war, als der Körper ihres Geliebten leblos zu Boden fiel. Das hätte er nie erwartet. Lily war eine Kämpferin, warum stellte sie sich ihm nicht? Doch nun war alles klar. Sie musste damals schon schwanger gewesen sein und um ihr Baby zu schützen, war sie geflohen und hatte sich versteckt. Doch eine Schwangerschaft ging nie gut für Naturgeister aus, wenn der Vater nicht auch einer war. Das musste sie gewusst haben. Dennoch hatte sie das Risiko auf sich genommen und schließlich mit ihrem Leben bezahlt. Dumbledore, dieser senile und gleichzeitig geniale Greis, hatte das Neugeborene genommen und es genau unter Marvolos Nase versteckt. Unheimlich gerissen. Bis vor kurzem hatte er noch nicht einmal etwas von einem Nachfahren geahnt. Der alte Mann hatte jedoch nicht bedacht, dass man so freiheitsliebende Geschöpfe nicht ewig einsperren konnte und schon gar nicht in ein Haus mit der erstickenden Gegenwart von Menschen. Ein ganz, ganz dummer Fehler. Was sollte er nun tun? Sein Blick fiel auf Harry, der ihn ansah, als hätte er den Verstand verloren. Er hatte ja nicht ohne Grund Jagd auf alle noch lebenden Naturgeister gemacht. Wenn die Prophezeiung Recht behielt, dann würde dieser Junge sein Untergang sein. Langsam nahm er Harry den Knoblauchzopf aus der Hand und warf ihn weit fort. Die Augen des Jungen folgten seiner Bewegung. „Und das macht dir nichts aus? Den Knoblauch anzufassen, meine ich. Normalerweise sollte allein die Berührung ausreichen, um Vampiren Schmerzen zuzufügen.“ „Nun, Harry, ich bin nicht wie die Anderen. Vampire mögen eine Rasse sein, die den Menschen weit überlegen ist, doch niemand von ihnen kann mir das Wasser reichen. Ich besitze alle Stärken der Vampire doch ohne die meisten ihrer Schwächen. Obwohl ich zugeben muss, dass dieses Zeug widerwärtig stinkt.“ Er schloss den Abstand zwischen sich und Harry, legte einen Arm, um dessen Taille und zog den kleineren Körper gegen sich, um sein Gesicht in dem widerspenstigen, schwarzen Haar zu vergraben. Ah... ja... das war besser. Dieser Junge roch nach Wald. Nach starken, alten Bäumen, jungen, frischen Kräutern und wildem, ungebändigtem Wasser. Er liebte diesen Geruch. Es war ein Jammer... wirklich ein Jammer... Langsam ließ er seinen Kopf nach unten wandern, seine Zunge glitt liebkosend über die Ohrmuschel des Jungen und ein Zittern lief durch den schmaleren Körper. Oh, er wollte diesen Jungen so sehr. Er wollte ihn besitzen, mit allem, was er zu geben hatte. Sein Körper, sein Herz, seine Seele. Verlangen, heiß und berauschend, schoss durch seine Adern und schien ihn von innen heraus zu verbrennen. Die Körperwärme des Jungen entfachte das Feuer nur noch mehr und Marvolos Finger, die über Harrys Nacken glitten, fanden nichts als feine, weiche Härchen und seidige Haut vor. Eine Verlockung, mehr davon zu entblößen, mehr davon zu streicheln... Doch der Junge würde sich niemals freiwillig ergeben. Harry würde sich ihm niemals schenken und deshalb musste er es tun. Jetzt, bevor er sich zu sehr in diesem sinnesbetörenden Geruch verlor. Sacht leckte Marvolo über den schlanken Hals des Jungen. Die Hände auf seiner Brust verkrampften sich ein wenig. Er spürte, das Blut unter der Haut pulsieren, heiß und schnell. Rote Augen schlossen sich langsam, die spitzen Eckzähne wuchsen zu ihrer vollen Länge, als er den Mund öffnete. Er würde das hier genießen. So etwas würde er nie wieder erleben. Mit Bedacht nährte er sich der Halsschlagader, öffnete den Mund noch ein klein wenig weiter, um- Plötzlich zuckte er zurück, als ihn ein Stromschlag traf. „Lass mich los!“, befahl Harry ihm mit klarer, fester Stimme, die er so noch nie bei dem Jungen gehört hatte. Beinahe gegen seinen Willen löste sich Marvolo von ihm und trat einen Schritt zurück, um ihn zu mustern. „Ich bin nicht dein Spielzeug“, erklärte Harry ihm und kleine Funken Elektrizität umgaben seine Gestalt. Marvolo verengte die Augen und sah genauer hin. Etwas glitzerte dort... klein und im schwachen Licht fast nicht zu sehen... Wassertropfen! Amüsiert legte der Vampirfürst den Kopf schief. So wie er selbst als die Luft beherrschte, hatte der junge Harry Potter also die Macht, Wasser nach seinem Willen zu beeinflussen. Und da Wasser viele Ionen enthielt, war die Leitung von Strom absolut kein Problem. Interessant, wie rasant sich die Kräfte des Jungen entwickelten. Wie schnell er ein instinktives Verständnis dafür entwickelte, wie er sie einsetzen musste. Glühende, grüne Augen musterten ihn und Marvolos Belustigung ließ auch nicht nach, als er merkte, dass dieses kleine Zwischenspiel ihn selbst mehr erregt hatte als Harry. Seine Hände öffneten und schlossen sich unwillkürlich, weil sie etwas berühren, halten wollten, das ihnen versagt blieb. Oh, es war so schade, dass dieser Junge niemals ihm gehören würde. Oder doch? Bestand vielleicht die Möglichkeit, Harry an ihn zu binden? Der Junge war so unerfahren in dieser Welt und wenn er ihm gab, wonach er sich sehnte- Abenteuer, neue Entdeckungen- konnte er ihn dann vielleicht dazu bringen, bei ihm zu bleiben? Diese Vorstellung hatte etwas Verlockendes. Er lächelte und Harry sah, dass seine Eckzähne auf eine Größe schrumpften, die sie fast menschlich aussehen ließ. Anscheinend gab er sich geschlagen. „In Ordnung, Harry. Ich werde dich nicht anrühren, wenn du es nicht willst. Aber vielleicht gestattest du mir, dich ein wenig herumzuführen. Kannst du reiten?“ Harry schüttelte stumm den Kopf. Meinte sein Gegenüber es ernst? Oder war das nur ein Trick, um ihn zu täuschen? „Dann wirst du es lernen. Ich werde dich morgen an dem See erwarten. Komm früh und bring etwas Zeit mit. Und wenn du jemals Hilfe brauchen solltest, dann zögere nicht, hinauf zum Schloss zu kommen. Zeige ihnen diesen Ring und man wird dich sicher nicht abweisen.“ Marvolo warf ihm den Ring zu, nickte ihm noch einmal zum Abschied zu, drehte sich dann um und Harry konnte förmlich zusehen, wie ihn die Dunkelheit verschluckte. Schon nach wenigen Schritten war er nicht mehr zu sehen. Der Junge spürte, wie die Kraft, die ihn durchfloss, verschwand und ihn zitternd und mit butterweichen Knien zurückließ. Warum genoss er es so sehr, Marvolo nahe zu sein? Selbst, als ihn sein Instinkt vor der Gefahr gewarnt hatte, hatte er still gehalten, als der Vampir seinen Hals liebkost hatte. Es hatte sich zu gut angefühlt, als dass Harry etwas dagegen hätte unternehmen wollen und für einen Moment war ihm sogar der Gedanke gekommen, dass es in Ordnung war, jetzt zu sterben, solange es durch Marvolos Biss war. Dann hatte sich sein Überlebenswille eingeschaltet. Es machte keinen Sinn zu sterben, wenn es noch so viel zu entdecken gab. Nein, er würde nicht zulassen, dass Marvolo sich einfach nahm, was ihm nicht gehörte. Und als wäre das der Schlüssel gewesen, hatte er gespürt, wie ihn plötzliche eine Macht durchfloss, die er noch nie zuvor gespürt hatte. Und sie hatte ausgereicht, um den Anderen in seine Schranken zu verweisen. Nachdenklich betrachtete Harry den Ring in seiner Hand. Ein schwerer Goldring mit einem großen, matt glänzenden schwarzen Stein. Ein teures Stück, möglicherweise ein Familienerbstück. Und das hatte er ihm einfach so anvertraut? Entweder schwamm Marvolo geradezu im Geld, sodass es ihn nicht kümmerte, das ein oder andere Schmuckstück zu verlieren, oder er war sich sehr sicher, dass es Harry über kurz oder lang ins Schloss verschlagen würde. Ein wenig ärgerte sich Harry über diese Berechnung; allerdings- wenn er ihm ebenbürtig sein könnte, wenn er der Herausforderung, die Marvolo darstellte, gewachsen war, überlegte der Junge, dann wäre eine Beziehung zu Marvolo kein schlechter Gedanke. Absolut nicht. wird fortgesetzt Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Blut auf dem Mond Kapitel 4 Er hätte es wissen müssen. Es wäre zu einfach gewesen, zu gut um wahr zu sein, wenn tatsächlich alles nach Plan gelaufen wäre. Natürlich war er auf seine Art gerissen, aber er hätte sein Verwandten nicht so unterschätzen dürfen. Vielleicht war er nachlässig geworden, nachdem der Umgang mit Marvolo so selbstverständlich und einfach geworden war. Sie trafen sich fast jede Nacht und immer hatte der Vampir etwas in petto, das Harry faszinierte. Er zeigte ihm diese unbekannte Welt und nach und nach hatte Harry gelernt, wie er mit ihm umzugehen hatte. Wie er Marvolo auf Abstand hielt, um zu verdeutlichen, dass er ihm ebenbürtig und keineswegs ein Spielzeug war. Diese Grenze wurde bei jeder Begegnung neu getestet und neu definiert, aber Harry hatte den Eindruck, dass er nicht der Einzige war, der Spaß daran hatte. Allerdings waren die Treffen meist nicht sehr lang, denn Harry kam erst spät in der Nacht aus dem Haus und musste früh wieder zurück sein, denn seine Tante wurde wach, sobald die ersten Sonnenstrahlen müde über den Horizont krochen. Und meist wurde er dann auch geweckt, was in letzter Zeit zu einem kaum mehr zu übersehenden Schlafdefizit führte. Vielleicht waren sie dadurch misstrauisch geworden. Er hielt sich zwar die meiste Zeit in seinem Zimmer unter dem Dach auf, doch ab und an schaute einer der Dursleys vorbei, um ihm neue Arbeiten aufzuladen oder ihm eine karge Mahlzeit zu bringen. Am Anfang war Harry durch ihre schweren Schritte auf der Treppe immer rechtzeitig hoch geschreckt, doch je mehr Nächte er mit wenig oder gar keinem Schlaf auskommen musste, desto tiefer nickte er zwischendurch weg und manchmal war er erst erwacht, als er unsanft an der Schulter gepackt und geschüttelt wurde. Natürlich musste seinen Verwandten das verdächtig vorgekommen sein. Im Nachhinein hätte sich Harry dafür treten können, dass er nicht vorsichtiger gewesen war. Dass er sich von seiner Begeisterung für die Welt da draußen- und für Marvolo- so hatte mitreißen lassen, dass er seine nächtlichen Ausflüge immer schlechter verbergen konnte. Er war gerade beim Stopfen einer Hose eingenickt, da ließ ihn ein drohendes Grollen hochschrecken: „Potter!“ Harry fuhr hoch und stieß mit dem Kopf hart gegen den seines Onkels, der sich Unheil verkündend über ihn gebeugt hatte. Mit einem Stöhnen sank er zurück auf seine unbequeme, strohgefüllte Matratze und brauchte einen Moment, bevor er wieder mehr als nur Sterne sehen konnte. Auch sein Onkel presste seine fleischige Hand gegen seine Stirn und funkelte ihn erbost an. „Ist das deine Art, deiner Tante und mir zu danken, dass wir dich aufgenommen habe, du Faulpelz? Du schläfst den ganzen Tag und vernachlässigst deine Aufgaben. Das kann ich nicht dulden!“ Harry spürte, wie seine Hände feucht wurden. Jetzt musste er ganz vorsichtig vorgehen. Wenn sein Onkel ahnungslos war, dann konnte er die Situation vielleicht noch retten. „Nun ja...“ begann er zögernd. „Ich schlafe schlecht in letzter Zeit...“ Auf der Stirn seines Onkels pochte eine dicke Ader, als er die kleinen Schweinsäuglein verengte. „Und kannst du mir erklären, woran das liegt?“ Harry wich seinem Blick aus, um ihn nicht weiter zu provozieren und schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich nehme an...“ Sein Onkel trat einen Schritt näher. „Nicht? Dann will ich dir mal auf die Sprünge helfen.“ In Harrys Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Er wusste es! Der Junge war wie gelähmt, unfähig zu entscheiden, was er tun sollte. Wie betäubt lauschte er den bedrohlichen Worten seines Onkels. „Du schleichst dich nachts heimlich aus dem Haus. Obwohl wir es dir verboten haben.“ „Nein, ich-“ „Lüg nicht!“, brüllte sein Onkel. Harrys Kopf flog zur Seite als Vernon ihn ohrfeigte. Bei seinem Onkel saß die Hand locker, das wusste der Junge, aber selten schlug er ihn so hart. Harry spürte wie seine schmerzende Wange heiß wurde und schmeckte Blut. Er hatte sich versehentlich auf die Zunge gebissen. „Wie oft warst du draußen? Jede Nacht in den letzten Wochen? Du glaubst wohl wir sind dumm, was Junge?“ „Nein, ich würde nie-“ „Ganz recht, wir das sind wir nicht“, fiel ihm sein Onkel ins Wort und sein Schnurrbart zitterte erzürnt. „Oh nein! Als du angefangen hast, dich so merkwürdig zu verhalten, haben wir den Braten sofort gerochen und letzte Nacht haben wir die Haustüren präpariert. Hast den kleinen Zettel im Türspalt wohl nicht gesehen, hä? Sonst hättest du wohl daran gedacht, ihn wieder dort zu platzieren.“ Harry spürte seinen eigenen, rasenden Herzschlag und ihm wurde schwindlig. Natürlich hatte er gewusst, dass seine Verwandten bösartig waren, aber dass sie dabei clever genug waren, ihm eine solche ausgeklügelte Falle zu stellen... Du bist selbst schuld, teilte ihm die kleine, spöttische Stimme seines Verstandes mit. Das passiert, wenn man sich zu sicher fühlt und alle Regeln der Achtsamkeit außer Acht lässt. Nach 15 Jahren hättest deine Lektion gelernt haben müssen. Diesen Leuten kann man nicht trauen. Harry wünschte sich, die Stimme würde endlich schweigen. Sie hatte ja Recht. Er war selbst schuld. Er hatte sich wie ein Narr benommen. Niemals hätte er selbstverständlich davon ausgehen dürfen, dass sein Onkel und seine Tante nichts mitbekamen. Und nun hatte leugnen keinen Sinn mehr. Was er jetzt noch tun konnte, war Schadensbegrenzung. „So war das nicht. Ich hatte die letzten Nächte nicht schlafen können, es war so warm hier oben und ich habe schlecht geträumt. Letzte Nacht auch. Also bin ich runter gegangen und habe die Hintertür geöffnet, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Es war mitten in der Nacht, es hat mich bestimmt niemand gesehen.“ „Es geht nicht darum, dass dich niemand gesehen hat“, sagte sein Onkel langsam und zeigte Harry, was er in der Hand hielt, die er bis jetzt hinter dem Rücken verborgen hatte. Einen schweren Ledergürtel. Der Gürtel, mit dem Harry schon Bekanntschaft gemacht hatte, als er vor Jahren versucht hatte, sich aus dem Haus zu schleichen. Panik schnürte dem Jungen die Luft ab. „Es geht darum, dass dich jemand hätte sehen können. Wir sind davon ausgegangen, dass du deine Lektion damals gelernt hast. Aber offensichtlich bis du ein dummer Taugenichts. Ich werde dir wohl erneut zeigen müssen, was geschieht, wenn du uns keinen Gehorsam leistest.“ Damit holte er aus und ließ den Gürtel in einer schnellen, geübten Bewegung niedersausen. Erschrocken riss Harry die Arme vor das Gesicht und mit einem hässlichen Peitschen traf Leder auf Haut. Harry stöhnte vor Schmerz auf, doch er wusste, dass das nur der Anfang war. Das war noch gar nichts. Die Erinnerungen an das erste Mal als Vernon die Beherrschung verloren hatte, waren immer noch so lebendig, als wäre es erst gestern geschehen. Doch heute war er kein kleines Kind mehr. Heute war er nicht mehr so hilflos wie damals. Heute wusste er, wohin er fliehen konnte. Als sein Onkel zum zweiten Mal ausholte, brachte der Junge rasch seine Beine unter seinen Körper und warf sich mit einem Aufschrei gegen die massige Gestalt des Älteren, der überrascht zurücktaumelte und Harry so den Weg zur Dachluke freigab. Schnell Doch gerade, als der Junge durch die Öffnung klettern wollte, wurde er am Kragen gepackt und zurückgezogen. „So einfach entkommst du mir nicht, du unerzogener Bengel.“ Verzweifelt kämpfte Harry gegen den Griff an, die rettende Treppe im Blick, obwohl der vordere Teil von Dudleys altem Hemd gegen seinen Hals drückte und ihm die Luft abschnürte. Gerade als Schwärze begann, sein Sichtfeld kleiner werden zu lassen, gab es ein lautes Reißen und Harry stolperte ohne Oberteil nach vorne und fiel mehr als dass er lief die Treppe hinunter. Unter angekommen japste er kurz nach Luft, doch das Poltern und laute Schnaufen hinter ihm machte ihm klar, dass er keine Zeit für eine Pause hatte. Sein Onkel mochte unglaublich fett sein, doch wenn er wollte, konnte er sich unheimlich flink bewegen. Rasch spurtete der Junge die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, an dessen Fuß seine Tante und sein Cousin standen, durch den Lärm angelockt. Seine Tante zuckte erschrocken zurück, als sie ihn auf sich zulaufen sah- in der Tat schien sie sich auch nach 15 Jahren immer noch nicht an seinen Anblick gewöhnt haben-, doch sein Cousin grinste plötzlich gemein. Das hätte Harry eine Warnung sein müssen, schließlich hatte ihn der Junge Zeit seines Lebens terrorisiert, doch sein Blick war so auf die Ausgangstür fixiert, dass er den Gesichtsausdruck nur am Rand wahrnahm- und mit voller Wucht in die Faust hineinlief, die der ältere Junge in seine Magengegend schwang. Unfähig zu atmen stürzte Harry zu Boden und blieb nach Atem ringend liegen, während sich Vernon schwer schnaufend mit einem triumphalen Grinsen im geröteten Gesicht über ihm aufbaute. „Gut gemacht, mein Junge. Immer bereit, dem Vater zu helfen. Das lob‘ ich mir.“ Als Harry mit Tränen des Schmerzes in den Augen nach oben in Dudleys grinsendes Gesicht blinzelte, vermutete er allerdings, dass sein Cousin das nicht getan hatte, um seinem Vater zu helfen, sondern einfach, weil der kleine Sadist sofort die Chance erkannt und genutzt hatte, Harry wieder einmal eins reinzuwürgen. Und verdammt, sein Magen tat wirklich höllisch weh. Er schloss seine grünen Augen und versuchte sich auf seine stockende Atmung zu konzentrieren und sie zu normalisieren. Das klappte gut- bis der Gürtel mit aller Kraft, die Vernon in seinen fetten Armen hatte, auf die nackte Haut an Harrys Oberkörper traf und der beißende Schmerz ihm erneut den Atem raubte. Seine Augen flogen auf und der zweite Hieb traf ihn, bevor er die Chance hatte sich zu bewegen. Keuchend versuchte er über den Boden davon zu robben, doch es kostete seinen Onkel nur einen kleinen Schritt, um den harten Gürtel erneut zielsicher auf seinen Rücken niedersausen zu lassen und dieses Mal war das Gefühl, das harte Leder würde ihm die Haut regelrecht abziehen, mehr als nur ein Gefühl. Der Junge spürte sein eigenes, warmes Blut auf der Haut. „Vernon!“, keuchte Petunia erschrocken und Harry erinnerte sich, dass sie auch schon beim ersten Mal nicht in der Lage gewesen war, ihren Mann zu stoppen. Vernon hatte Spaß daran, sein Pflegekind zu misshandeln und der Junge hasste sich dafür, dumm genug gewesen zu sein, seinem Onkel einen Vorwand geliefert zu haben. Vielleicht hatte er einen Teil des Schmerzes wirklich verdient für seine Gedankenlosigkeit. Zwei weitere Schläge fügten ihm blutige Striemen auf dem Rücken zu, bevor Harry sich wieder auf seinen ursprünglichen Plan besann. Er musste hier raus. Die Tür war nicht weit... Seine Muskeln protestierten, als er sich noch während des nächsten Hiebes hochstemmte und zu einem Spurt in Richtung Tür ansetzte. Er kam nur nicht weit. Er hatte kaum ein paar Schritte Abstand zwischen sich und seinen verblüfften Onkel gebracht, da rammte sich die schwere Gestalt seines Cousins in seine Seite und beide gingen zu Boden, Dudley begrub Harry dabei halb unter sich. Scharfer Schmerz flammte auf, als sein geschundener Rücken über den rauen Boden schrammte und das Gewicht seines Cousins trieb ihm jede Luft aus den Lungen. Einige Momente lang dachte Harry, er würde ohnmächtig werden, dann ebbte der Schmerz zu einem stetigen, deutlich spürbaren Pulsieren ab und der Junge konnte wieder klar denken. Er sah hinauf in das wutverzerrte, schwitzende Gesicht, seines Onkels, der sich ihm nährte, und wusste, dass er keine Wahl mehr hatte. Er konnte nicht einfach still halten, bis es vorbei war. Jetzt, nachdem er Vernon durch seine Fluchtversuche so sehr gereizt hatte, musste er es aus dem Haus schaffen, wenn er leben wollte. Diese Erkenntnis gab ihm neue Kraft. Er schaffte es seine Arme, unter seinem Cousin hervorzuziehen und sah sich im Erdgeschoss, das sowohl Wohnraum, als auch Küche war, nach etwas um, das er als Waffe benutzen konnte. Erfolglos. „Du hältst dich wohl für besonders schlau, was?“, höhnte Vernon und seine Schweinsäuglein funkelten in bösartigem Vergnügen. „Du hast uns unterschätzt, Potter.“ Er holte erneut aus, weiter als zuvor, Dudley rollte rasch zur Seite und Harry wusste, dieser Schlag würde weh tun wie kein anderer zuvor. „Nein!“, rief er verzweifelt, schloss die Augen und riss die Hände vors Gesicht. Es gab ein lautes Platschen und der Schlag blieb aus. Dafür ertönte es ein zweistimmiges, schmerzerfülltes Heulen, gefolgt von einem spitzen Aufschrei seiner Tante. Verblüfft blinzelte Harry vorsichtig hinter seinen Händen hervor und er brauchte einen Moment um Sinn in die Szene zu bringen. Sein Onkel hatte den Gürtel fallen lassen und hielt sich brüllend das Gesicht, sein Haar war klatschnass und es befanden sich Dinge darin, die seltsamerweise wie Kartoffelstückchen aussahen, auf seinen Schultern lag etwas, das an Gemüse erinnerte. Dudley bot einen ähnlichen Anblick. Petunia war zu ihren Männern geeilt, um das Ausmaß der Katastrophe zu begutachten und immer wieder wanderten ihre entsetzten Blicke zu Harry und dem Herd. Der Junge kam schwankend auf die Füße und blickte ebenfalls zum Herd. Dort, wo eben noch der Eintopf für das Mittag gekocht hatte, stand nur noch ein leerer Topf auf dem Feuer. Harry begriff, dass er es irgendwie geschafft hatte, die Suppe über seinen Onkel und seinen Cousin zu schütten, ohne den Topf zu bewegen. Verblüfft starrte er einen Moment länger auf die drei Dursleys, bevor ihm klar wurde, dass er die Gunst der Stunde nutzen musste. Ohne sich noch einmal umzudrehen, rannte er zur nahen Vordertür und hinaus auf die Straße. Dorfbewohner, die gerade vorbeikamen, verharrten verdutzt in ihrem Schritt und starrten ihn an. Drei alte Damen, die in der Nähe zusammenstanden und den neusten Klatsch austauschten verstummten perplex, um kurz darauf sofort wieder tuschelnd die Köpfe zusammen zu stecken. Es musste aber auch seltsam aussehen, wenn ein halbnackter Halbwüchsiger, den zuvor noch nie jemand gesehen hatte, mit blutigen Striemen auf dem Rücken aus dem Haus einer Familie gestürmt kam, die man im Dorf wegen ihrer Unauffälligkeit respektierte und von der man genau wusste, dass sie nur ein einziges Kind hatte. Harry stellte sich vor, was für Gerüchte die Klatschbasen des Dorfes innerhalb der nächsten Stunden verbreiten würden und lächelte grimmig. Das hatten die Dursleys seiner Meinung nach verdient dafür, dass sie ihn aus Scham jahrelang versteckt, ihn der ihm zustehenden Freiheit beraubt und ihn über Jahre hinweg physisch und psychisch misshandelt hatten. Von diesem Abschiedsgeschenk würden sie sich vielleicht nie wieder erholen und es tat dem Jungen nicht im Geringsten leid. Er wurde langsamer, nachdem er die Häuser hinter sich gelassen hatte und auf einer kleinen Anhöhe blickte er noch einmal zurück auf das Dorf, in dem er 15 Jahre gelebt hatte ohne dass die anderen Bewohner etwas davon gewusst hatten. Er konnte nicht mehr zurück, aber als er auf die kleine Ansammlung alter Fachwerkhäuser blickte, stimmte ihn das nicht traurig. Schließlich verband er mit ihnen kaum Erinnerungen. Der Gedanke wiederum machte ihn schon ein wenig wehmütig. Mit einem Seufzen wandte sich der Junge ab und folgte dem Weg zum Schloss, der erst durch den Wald und dann einen Hügel hinauf führte. Er war noch nie bei Tageslicht draußen gewesen, aber es gefiel ihm. Er mochte die Wärme der Sonne auf seiner Haut, das Wechselspiel von Licht und Schatten im Wald, die vielen, verschiedenen Farben der Pflanzen und Insekten und all die Laute der tagaktiven Tiere. Einmal blieb er stehen, um einen großen, grün irisierenden Käfer zu beobachten, der eilig über den Waldweg krabbelte, bis er im Gras auf der anderen Seite verschwand. Oft hielt er inne, um nach dem Ursprung der vielstimmigen Vogelgesänge um ihn herum Ausschau zu halten, doch nie konnte er auch nur einen der gut getarnten Vögel entdecken. Als er aus dem schattigen Wald hinaustrat, blickte er blinzelnd hinauf zu dem Schloss. Die Sonne streichelte warm über seine Haut und der Junge hatte das erste Mal seit er sich erinnern konnte das Gefühl, wirklich zu atmen. Zum ersten Mal war er wirklich frei, erkannte Harry, und trotz der Schmerzen in seinem Rücken war es ein berauschendes Gefühl. Dieses Mal hatte er das Haus der Dursleys für immer verlassen und es gab kein Zurück mehr. Für ihn hatte jetzt ein völlig neuer Abschnitt seines Lebens begonnen. Nervös stieg er den gewundenen Weg hinauf zum Schloss und tastete in seiner Hosentasche nach dem Ring, den Marvolo ihm gegeben hatte und den er seitdem immer bei sich trug, und schloss seine Faust fest darum. Eigentlich war es verrückt. Er hatte so viele unheimliche Geschichten über das Schloss und seine Bewohner gehört und ein Teil von ihm hatte sich immer davor gefürchtet, während der andere fasziniert war. Trotzdem hätte er Stein und Bein geschworen, dass er sich niemals freiwillig hier hinauf wagen würde. Das Leben nahm seltsame Wendungen. Was würde Marvolo wohl mit ihm machen, wenn er an seine Tür klopfte? Würde er ihn aufnehmen? Oder würde er seinen Ring nehmen, ihn auslachen und ihn fortschicken? Ihm sagen, dass er sein Angebot aus einer Laune heraus gemacht hatte, und ihn naiv nennen, weil Harry tatsächlich geglaubt hatte, dass er es ernst gemeint hatte? Nervös stand der Junge vor der schweren Schlosstür und fand beim besten Willen nichts, womit er hätte anklopfen können. Nach kurzem Zögern drückte er probehalber gegen die Tür und tatsächlich- sie schwang auf. Unsicher trat der Junge hindurch in eine düstere Empfangshalle, die nur von einigen wenigen Fackeln an den Wänden erleuchtet wurde. Seine Augen brauchten einen Moment, um sich nach der Helligkeit des Tages draußen an das gedämpfte Licht hier drinnen zu gewöhnen. „Hallo?“, rief Harry, als sich auch nach Minuten keine Menschenseele zeigte, doch er erhielt keine Antwort. Als auch ein zweiter Versuch erfolglos blieb, nahm er allen Mut zusammen und erkundete das Schloss auf eigene Faust. Es wirkte wie ausgestorben… oder schlafend. Unwohlsein überfiel Harry, als er sich an all die Vampirgeschichten erinnerte. Und so beäugte er jede dunkle Ecke doppelt wachsam und vergaß auch nicht, ab und zu einen sichernden Blick nach hinten zu werfen. Das Schloss sah aus, wie er es sich immer vorgestellt hatte. Ritterrüstungen und gruselige Steinfiguren am Rand der Gänge und an den Wänden, ab und zu ein Gemälde, das vornehme Herrschaften zeigte, deren Gesichter alle nichtssagend waren, die ihn aber zu beobachten schienen. Kurz: Es war unheimlich. Und als er schon glaube, für immer durch die Gänge irren zu müssen, hörte er leise Stimmen und Gelächter. Beinahe hätte er auf dem Absatz kehrt gemacht, um wieder hinaus ins Freie zu laufen, doch dann atmete er einmal tief durch und sammelte noch einmal allen Mut zusammen, um den Stimmen zu folgen. Den Ring holte er vorsichtshalber schon einmal aus der Tasche. Schließlich kam er zu einer Tür, die nur angelehnt war, der flackernde Lichtschein von Fackeln fiel durch den Spalt auf den Gang und mit so heftig schlagendem Herzen, dass Harry meinte, man müsse es bis in das Zimmer hinein hören, schlüpfte er schließlich durch die Tür und räusperte sich leise. 5 Augenpaare richteten sich auf ihn. Vier Männer und eine Frau in vornehmer Kleidung saßen im Licht der Fackeln zusammen, tranken Wein (das war doch Wein, oder?) und starrten ihn nun verblüfft an. Schwere Vorhänge versperrten dem Sonnenlicht den Zugang zum Salon. Verlegen starrte Harry zu Boden. „Tut mir leid. Ich wollte nicht einfach so eindringen, aber unten an der Tür hat niemand auf mein Rufen reagiert. Also dachte ich…“ Er zuckte etwas hilflos mit den Schultern. Die überraschten Edelleute fassten sich schnell. „Wie unhöflich von uns. Wir hatten keinen Besuch erwartet“, sagte der Mann, mit den langen, blonden Haaren, die ihm in perfekter Ordnung bis über die Schulter fielen. Er verströmte Aristokratie aus jeder Pore. Unwillkürlich strich Harry mit der Hand über seinen Kopf, in dem vergeblichen Versuch, seinen eigenen wilden Mopp an Haaren zu bändigen. Der blonde Mann lächelte und deute auf den freien Sessel neben seinem eigenen. „Setz dich doch. Und Gregory, schließ‘ doch bitte die Tür. Es zieht.“ Harry beäugte ihn noch einen Moment misstrauisch, dann nahm er tatsächlich Platz und ein Mann, dessen blutrotes Wams sich über einen üppigen Wohlstandsbauch spannte, erhob sich, um die Tür zu schließen. „Ich bin Lucius Malfoy“, stellte der Mann zu Harrys Rechten sich vor. „Und das sind Vincent Crabbe, Gregory Goyle, Rodolphus Lestrange und seine Frau Bellatrix.“ Harry nickte jedem der Vorgestellten höflich zu. „Mein Name ist Harry Potter“, stellte er sich nun ebenfalls vor und rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her, als er die anderen Anwesenden musterte. Ihre Blicke hatten dieselbe Intensität wie Marvolos, aber bei ihnen verspürte er nicht diesen wohligen Schauer. Im Gegenteil. Er hatte das Gefühl, er sollte hier schnellst möglichst verschwinden. Und er sollte etwas zum Anziehen finden. Es gefiel ihm nicht, dass er hier halb nackt saß, während alle anderen so edel gekleidet waren und ihn abschätzend musterten. „Darf ich dir etwas zu trinken anbieten, Harry?“, fragte Lucius Malfoy seidenweich und seine Körperhaltung war die einer Schlang kurz vor dem Angriff. Harry, der nicht daran gewöhnt war, dass man ihm etwas anbot, nickte perplex. Niemand fragte ihn, wieso er hier war und was mit ihm geschehen war und obwohl Harry nicht die geringste Lust verspürte, solche Fragen zu beantworten, beunruhigte es ihn. Malfoy reichte ihm ein Glas mit einer roten Flüssigkeit und ohne zu überlegen nippte Harry daran, um es sofort wieder auszuspucken. „Das ist ja Blut!“, keuchte er entsetzt und alle um ihn herum lachten. Malfoys berechnender Blick lag auf ihm, als er sagte: „Natürlich, du dummer Junge. Wir sind Vampire. Was würde uns besser schmecken, als Blut?“ Bellatrix lachte. „Ausgenommen warmes Blut von Lebenden natürlich.“ Okay, entschied Harry, das war wohl der Moment, in dem er einen möglichst schnellen Abgang machen sollte. Er sprang auf und schlagartig waren auch alle anderen auf den Beinen. Bevor er auch nur einen Schritt tun konnte, zwang ihn ein harter Stoß zurück in den Sessel und vor Schreck ließ er den Ring los, der lautlos über den dicken Teppich rollte. Harrys Augen folgten ihm, als könne er den Ring allein durch seine Willenskraft zurück in seine Hand zwingen. „Nicht doch“, gurrte Malfoy und Harry blickte zu ihm auf. „Du willst doch nicht etwa schon gehen? Der Spaß hat doch gerade erst angefangen.“ Als er dieses Mal lächelte, sah Harry die langen, spitzen Vampirzähne deutlich hervorstechen. „Rühr mich nicht an“, fauchte er und drückte dem blonden Vampir, der sich vorlehnte, ablehnend die Hände gegen die Brust. Mit einem kalten Lachen drückte Malfoy seine Hände zur Seite und überwand die letzten Zentimeter, um dem Jungen die Zähne in den Hals zu schlagen. „Lucius, nein!“, erklang Bellatrix‘ Stimme befehlend. Der blonde Vampir rollte mit den Augen, bevor er sich zu ihr umwandte. „Keine Sorge, Bella. Ich lasse dir schon noch etwas übrig.“ „Das ist es nicht.“ Sie hielt ihm ihre schmale Hand hin, auf ihrer Handfläche lag Marvolos Ring. „Den hat der Junge gerade verloren.“ Malfoy richtete sich sofort auf und Harry wusste nicht, wem er in diesem Moment dankbarer sein sollte. Marvolo, weil er ihm den Ring gegeben hatte, oder Bellatrix, weil sie bemerkt hatte, dass er ihn verloren hatte. Malfoys kalte, grauen Augen fixierten Harry. „Wo hast du den Ring her? Hast du ihn gestohlen?“ Bellatrix lachte. „Bitte, Lucius. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ein so gewöhnlicher Mensch unseren Lord bestehlen könnte.“ Ihre schwarzen Augen musterten Harry. „Ich glaube eher, dass er ihn gefunden hat. Stimmt das?“ Harrys Mund war plötzlich staubtrocken. Natürlich, er hatte gewusst, dass Marvolo adliger Herkunft war und der Vampir hatte ihm selbst einmal gesagt, dass ihm kein anderer das Wasser reichen konnte. Aber dass Marvolo der Herr dieses Schlosses war, von dem Harry schon so viel gehört hatte, das hätte sich der Junge nie träumen lassen. Wie betäubt schüttelte er den Kopf. „Nicht? Wo hast du ihn dann her? Mach den Mund auf Junge!“, herrschte Belatrix ihn an. Der herrische Ton verfehlte seine Wirkung nicht bei Harry, der es gewohnt war, Befehle zu befolgen. „Er hat ihn mir gegeben.“ Einen Moment herrschte erstauntes Schweigen, dann schnaubte Crabbe: „Der Bengel lügt.“ „Ich lüge nicht!“, empörte sich Harry sofort. „Warum sollte unser Lord einem Menschen so ein kostbares Familienerbstück anvertrauen?“, wollte Malfoy wissen und sein Ton verriet, dass auch er Harry nicht glaubte. „Er hat ihn mir gegeben und mir gesagt, dass ich hinauf zum Schloss kommen soll, wenn ich in Schwierigkeiten bin. Wenn ich diesen Ring vorzeige, dann wird mich jemand zu ihm bringen.“ Erneut ungläubiges Schnauben. „Vermutlich ist der Ring eine Fälschung“, warf Goyle ein. Bellatrix warf ihm einen hässlichen Blick zu. „Glaubst du, ich erkenne den Ring nicht, den ich so oft an der Hand seiner Lordschaft gesehen habe?“, fauchte sie und Goyle schien in sich zusammenzuschrumpfen. Nachdem sie Harry lange nachdenklich angesehen hatte, fragte sie: „Wie hieß der Mann, der dir den Ring gab?“ „Marvolo“, antwortete Harry und wieder richteten sich alle Augenpaare ungläubig auf ihn. „Diesen Namen kann er nicht kennen, wenn er dem Lord nicht tatsächlich begegnet ist“, sagte Malfoy langsam, aber Harry wagte noch nicht aufzuatmen. „Und was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Rodolphus nach langer Stille. „Was schon? Wir bringen den Jungen zu ihm. So hat er es offensichtlich gewollt.“ „Aber... es ist mitten am Tage. Sicher schläft er noch. Du weißt, wie er reagiert, wenn man ihn weckt.“ „Habe ich gesagt, dass ich ihn wecken will?“, gab Bellatrix ungehalten zurück und ihr Mann sah sie skeptisch an. „Du willst den Jungen in seine Gemächer lassen, während er schläft?“ „Was soll er denn machen, in Luzifers Namen? Dem Lord mit bloßen Händen das Herz herausreißen? Himmel, sieh ihn dir doch an. Der Bengel kann kaum auf sich selbst aufpassen, wie soll er da eine Gefahr für andere darstellen?“ Das war keine sehr schmeichelhafte Beurteilung seiner selbst, fand Harry und schmollte ein wenig. Das Schlimmste daran war, dass sie Recht hatte. „Komm, Berry.“ Sie gestikulierte in seine Richtung. Der Junge blinzelte. „Harry“, korrigierte er sie dann, als er begriff, dass sie ihn gemeint hatte, doch sie zuckte nur mit den Schultern, verließ den Raum und erwartete ganz offensichtlich, dass er ihr folgte. Eilig lief er ihr hinterher und achtete darauf, dicht hinter ihr zu bleiben, als sie ihn durch das Labyrinth der Schlossgänge führte. Sie war eine schöne Frau, stellte Harry fest. Sie hatte eine schlanke, weibliche Figur, geheimnisvolle, schwarze Augen und schwere Augenlider, die ihr eine verruchte, sinnliche Aura gaben. Ihr dichtes, schwarzes Haar fiel ihr ein weichen Wellen bis weit über die Schulter und ihre Stimme war angenehm tief und rauchig. Außerdem schien sie Marvolo treu ergeben zu sein. Und obwohl der Junge wusste, dass er kein Recht dazu hatte, verspürte er einen heftigen Stich der Eifersucht, als er daran dachte, dass der Vampirfürst ständig von solch schönen Frauen umgeben war. Und während er noch dabei war, sich dafür zu schelten, war sie schon stehen geblieben und um ein Haar wäre er in sie hineingerannt. Ihre hochgezogene Augenbraue sagte ihm, dass das nicht unbemerkt geblieben war und er lief rot an. „Das ist sein Schlafgemach“, sagte sie und deutete auf eine schwere Tür aus dunklem, glänzendem Kirschholz. Harry nickte und war plötzlich wieder nervös, als er die Klinke hinunter drücke und die Tür lautlos öffnete. Noch einmal warf er einen unsicheren Blick zurück, doch als sie ihm zunickte, trat er schließlich ein und schloss die Tür wieder leise hinter sich. Wie zu erwarten waren die Fenster auch hier durch schwere Vorhänge verdeckt, sodass es im Zimmer beinahe völlig dunkel war, und so brauchten Harrys Augen ein wenig Zeit, bis er etwas von seiner Umgebung erkennen konnte. Marvolos Schlafgemach war beeindruckend, so viel konnte der Junge selbst in dieser Finsternis erkennen. Allein dieser Raum stellte das gesamte Haus der Dursleys in den Schatten und die hohe Decke verstärkte Eindruck von Größe. Zu seiner Rechten befand sich direkt auf seiner Höhe noch eine geschlossene Tür, die offensichtlich in einen angrenzenden Raum führte und auf Höhe der Fenster befand sich etwas, das wie eine Sitzecke aussah. Eine Sitzecke in einem Schlafzimmer! Zu seiner Linken stand das Himmelbett. Kaum zu übersehen und von gewaltigem Ausmaß. Drei erwachsene Männer hätten bequem darin Platz gefunden, ohne sich beim Schlafen in die Quere zu kommen. Daneben befand sich eine weitere, geschlossene Tür. Unsicher schlich Harry etwas näher. Die Bettvorhänge waren zugezogen und einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Marvolo zu wecken, um Bescheid zu geben, dass er da war. Doch dann erinnerte er sich daran, dass Bellatrix‘ Mann angedeutet hatte, dass der Lord nicht gut darauf zu sprechen war, geweckt zu werden. Und da Harry Marvolo keinesfalls verärgern wollte, zog er sich leise auf die Couch der Sitzecke zurück und beschloss ebenfalls noch ein Nickerchen zu halten, bis Marvolo von alleine erwachte. Die Ereignisse des Tages hatten ihn erschöpft und trotz aller Aufregung fiel es ihm Dank der bleiernen Müdigkeit nicht schwer, in einen tiefen Schlaf zu sinken. - wird fortgesetzt- Aww, so wenig Marvolo. Aber das wird sich im nächsten Kapitel ändern, versprochen ^.~ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Blut auf dem Mond Kapitel 5 Marvolo nahm sich Zeit beim Aufwachen, denn er wusste, dass in der heutigen Nacht nichts Besonderes anstand. Obwohl Harry bei ihrem letzten Treffen nicht weniger enthusiastisch gewesen war als sonst, hatte er sehr müde gewirkt. Marvolo wusste, dass der Junge nicht wie er selbst den Tag verschlafen konnte, sondern stattdessen im Haushalt mithelfen musste, deshalb hatte der Vampirfürst ihnen beiden ein paar Tage Pause verordnet, damit der Junge auch mal wieder ein wenig Schlaf bekam und nicht einfach irgendwann zusammenbrach. Jetzt bereute er seinen Entschluss beinahe, denn vor ihm lag eine lange, dunkle Nacht, die er alleine verbringen musste. Vielleicht konnte er den Jungen einfach zu Hause besuchen und in seinem Bett zu Tode erschrecken. Marvolo lachte leise. Ja, der Gedanke hatte etwas. Andererseits, wie sollte er Harry erklären, dass er seine eigene Bestimmung gebrochen hatte? Er würde dem Jungen mit Sicherheit nicht sagen, dass er ihn vermisste. Weder mit Worten noch mit Taten. Ausgeschlossen. Also würde er diese Nacht alleine verbringen. Er hatte lange kein gutes Buch mehr gelesen und die Schlossbibliothek war voll davon. Ja, überlegte Marvolo, als er sich langsam aufrichtete, das war eine gute Idee. Es wurde Zeit, dass er mal wieder ein Buch in die Hand bekam, sonst würde er am Ende noch genauso dumm wie viele seine Mitbewohner in den anderen Flügeln. Vielleicht stieß er bei Lesen ja auf etwas, das auch Harry interessieren könnte- Stopp. Nein. Diese Nacht gehörte ihm allein und Harry hatte gar nichts damit zu tun. Anscheinend hatte er den Jungen schon viel zu sehr in sein Leben integriert. Er dachte zu oft an ihn. Ein paar Tage Urlaub von dem Menschenkind würden ihm sicher gut tun und solche Gedanken verschwinden lassen. Beunruhigt über diese Anwandlungen erledigte Marvolo seine Morgentoilette, putze die Zähne und duschte kurz, bevor er in sein Schlafzimmer zurückkehrte, um zum an den Nebenraum angrenzenden Ankleidezimmer zu gehen. Doch kaum hatte er sein Schlafgemach betreten, hielt er sofort inne und schnupperte erneut, um sicher zu gehen, dass er sich nicht geirrt hatte. Aber nein. Das Zimmer roch ganz eindeutig nach Harry, was de facto unmöglich war. Mit gerunzelter Stirn musterte er seinen Raum aufmerksam und schließlich blieb sein Blick an einer zusammengerollten Gestalt auf seinem Sofa hängen. Marvolo blinzelte. Einmal. Zweimal. Dann zog er die Vorhänge auf, um das Mond- und Sternenlicht in den Raum zu lassen und entzündete die Fackeln und Kerzen in seinem Raum. Anschließend blickte er erneut zum Sofa und es blieb dabei. Zusammen gerollt und friedlich schlafend auf dem dunkelgrünen Leder lag die schwarzhaarige Schönheit, die in seinen Gedanken in letzter Zeit viel zu viel Platz einnahm. Wie war das möglich? Wann war der Junge hier hinein gelangt und vor allem wie? Ah, richtig, er hatte Harry ja den Ring gegeben. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, sein Menschenkind tatsächlich einmal bei sich im Schloss anzutreffen. Als er näher an die Couch trat, fiel ihm ein weiterer Geruch auf. Süß und klebrig. Eindeutig Blut. Wieso roch Harry nach Blut? Was war am Tage, während er geschlafen hatte, geschehen? Behutsam berührte er Harry an der Schulter und dabei fiel sein Blick auf das getrocknete Blut auf dem Rücken des Jüngeren und heiße Wut kochte in ihm hoch. Die Striemen erzählten ihm die Geschichte auf ihre eigene Weise. Nicht die ganze Geschichte vielleicht, aber genug, um Marvolo jedes Recht zu geben, diese unsägliche Familie, bei der sein Menschenkind gewohnt hatte, vom Erdboden zu tilgen. Harry murrte bei der Berührung, schob zunächst müde den Kopf unter den Arm, offensichtlich um dem schwachen Licht im Raum zu entkommen, und schreckte dann plötzlich hoch. „Ich habe nicht geschlafen! Ich bin wach!“ „Ich bin entzückt“, erwiderte Marvolo ironisch und Harry sah ihn verwirrt an. Er wusste im ersten Moment offenbar nicht, wo er sich befand. Dann wurden die Augen des Jungen kugelrund, er lief tiefrot an und wandte seinen Blick blitzschnell dem grünen Leder des Sofas zu. Richtig, Marvolo war immer noch nicht dazu gekommen, sich anzuziehen und das schien Harry ziemlich nervös zu machen. Der Vampirfürst hätte beinahe gelacht. Doch stattdessen fragte er: „Was verschafft mir die Ehre?“ Unruhig bewegte sich der Junge auf dem Sofa. „Ähm… könntest du dir vorher etwas anziehen?“ „Du platzt mitten am Tage in mein Schlafgemach, machst es dir auf meinem Sofa bequem und nun möchtest du mir auch noch vorschreiben, was ich in meinen eigenen Gemächern trage?“, fragte er Vampir mit hochgezogener Augenbraue. „Nein, ich... Entschuldigung“, murmelte Harry unbehaglich. Dass Harry sich unwohl fühlte war nun nicht gerade Marvolos Ziel. Um die Stimmung wieder etwas aufzulockern, lehnte der Vampir sich zu ihm hinunter und hauchte ihm ins Ohr: „Du könntest dich auch ausziehen. Dann hätten wir Gleichstand.“ Der Junge erschauerte und starrte Marvolo entsetzt an. Dieses Mal lachte der Vampirfürst wirklich. „Nicht? Schade.“ Er meinte, was er sagte. Zwar hatte er sich eben noch vorgenommen gehabt, Harry in paar Tage nicht zu sehen, aber nun war er froh, den Jungen hier zu haben. Und trotz seines erbärmlichen Zustandes sah er in seinem halbbekleideten Zustand einfach zum Anbeißen aus. Vielleicht, überlegte Marvolo, sollte er sich tatsächlich etwas anziehen, bevor sein Körper zu viel von seinen Gedanken verriet. „In Ordnung. Komm mit ins Nebenzimmer. Du kannst es dir dort schon mal gemütlich machen, während ich mir etwas anziehe.“ Harry folgte ihm gehorsam, den Blick auf den Teppich fixiert. Erst im Nebenzimmer, dessen Kerzen tragender Kronleuchter und Kandelaber schon von irgendjemandem entzündet worden waren, hob er seine Augen wieder, um sich umzusehen. Marvolo war indes in ein weiteres angrenzendes Zimmer verschwunden. Der Raum, in dem Harry nun stand, stand dem Schlafgemach in Sachen Größe um nichts nach, war aber eindeutig als Lese- und Arbeitsraum gedacht. An den Wänden standen bis unter die Decke Regale mit Büchern- Harry sah zum ersten Mal in seinem Leben welche- und ein großer Schreibtisch. Im Zentrum des Raumes gruppierten sich eine luxuriös große Couch mit hoher Lehne und zwei Ohrensessel, die überaus komfortabel aussahen. Alles lud zum Entspannen und Lesen ein, Harry bedauerte, dass er es nie gelernt hatte. Ähnlich wie im Schlafzimmer waren die vorherrschenden Farben hier schwarz und dunkelgrün. Harry entschied, dass er diese Farbkombination mochte Beeindruckt und ein wenig eingeschüchtert nahm Harry auf dem Sofa Platz und fühlte sich unheimlich fehl am Platz. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen herzukommen. Sein Blick wanderte hinüber zu der Tür, hinter der sein Gastgeber verschwunden war und er wurde augenblicklich wieder feuerrot, als er versuchte nicht daran zu denken, wie gut der Vampirfürst ohne seine Sachen ausgesehen hatte. Harry mochte seine breiten Schultern, die schmale Taille und die wohldefinierten Brust- und Bauchmuskeln. Angestrengt versuchte er die Erinnerung zu verdrängen, wie kurz davor er gewesen war, einfach die Hand auszustrecken und sie neugierig über den Brustkorb des Anderen gleiten zu lassen. Mit einem Seufzen schloss Harry die Augen und ließ sich gegen die Sofalehne sinken. Er saß weit genug vorn auf dem Sofa, dass nur der obere Teil seiner Schultern das Leder berührte und der verletzte Teil seines Rückens nicht damit in Kontakt kam. Er seufzte erneut leise und lehnte seinen Kopf nach hinten. Seine Verwandten hatten wohl all die Jahre doch Recht gehabt. Er war ein Freak. Er war anders und für ihn musste man sich schämen. Wieso war es für ihn so einfach, für einen anderen Mann so zu empfinden, wenn es so falsch war? Er würde darauf achten müssen, dass Marvolo nichts davon mitbekam, wenn er nicht sofort auf der Straße sitzen wollte. Andererseits… hatte der Vampir nicht auch schon ähnliches Interesse bekundet? Ständig hatte er solche Andeutungen gemacht, ständig hatte er Harrys Nähe gesucht und sie hatten sich sogar geküsst! War das alles ein Spaß gewesen? Fest stand, solange Harry nicht wusste, wie ernst der Andere es meinte, würde er seine Absichten verbergen. „Nun erzähl, Harry. Was treibt dich in mein Schloss?“ Erschrocken zuckte der Junge zusammen und setzte sich wieder aufrecht hin. Marvolo saß ihm gegenüber in einem Sessel und hielt ein Glas mit einer roten Flüssigkeit in der Hand. Verwirrt fragte sich Harry, wann er den Raum wieder beteten hatte. „Oh nein, lehn dich ruhig wieder zurück. Ich mochte deine entspannte Haltung.“ Der Vampir lächelte. Harry versteifte sich und erinnerte sich an den Vorsatz, den er gerade gefasst hatte. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass seine Augen musternd über Marvolos Kleidung glitten. Er trug eine einfache, eng anliegende schwarze Hose, die seine schlanken, muskulösen Beine hervorragend betonte und ein weißes Hemd, mit an den Enden leicht ausgestellten Ärmeln, dessen Ausschnitt bis zum Ende seines Sternums reichte und so eine Menge seiner schneeweißen Haut zeigte. Die Kleidung sah teuer aus und Harry mutmaßte, dass das wohl Marvolos Vorstellung von legerer Freizeitkleidung war. Mit einiger Mühe wandte er seine Augen wieder dem Gesicht seines Gastgebers zu. Unter der kühlen Fassade des Vampirs schien es zu brodeln und Harry fragte sich, ob er etwas falsch gemacht hatte. Hätte er lieber vor der Tür seines Schlafgemachs warten sollen? Hatte er Marvolo verärgert, indem er in seine Privatsphäre eingedrungen war? „Ich. Zu viel. Verwandten“, erklärte er und in den Augen des Vampirfürsten blitzte es amüsiert auf. Harry stutzte und ließ das Gesagte noch einmal Revue passieren. Stöhnend vergrub er sein Gesicht in seinen Händen und nahm sich vor, Marvolo nie wieder anzusehen, wenn er vorhatte, einen vernünftigen, zusammenhängenden Satz heraus zu bringen. Was war nur los? Lag irgendetwas in der Schlossluft, das seine Sinne verwirrte? „Ich wollte sagen: Ich habe ein bisschen zu viel geschlafen in letzter Zeit. Tag und Nacht wach zu sein ist wohl doch ein wenig anstrengend. Jedenfalls sind meine Verwandten misstrauisch geworden und haben mir eine Falle gestellt. Sie haben die Tür präpariert und ich habe es nicht gemerkt. Mein Onkel hat mich heute zur Rede gestellt und wir hatten eine kleine… Auseinandersetzung.“ „Das sehe ich“, sagte Marvolo ruhig und musterte ihn. Wieder fiel Harry auf, dass er mit seine abgetragenen, übergroßen Kleidung hier völlig fehl am Platz war. Und seine Wangen brannten auch schon wieder vor Verlegenheit. „Keine Sorge. Ich werde dafür sorgen, dass sie nicht ungeschoren davon kommen.“ In seiner Stimme lag mehr als eine unterschwellige Drohung. Es war ein düsteres Versprechen. Harry hatte nicht gewagt, sich Marvolos Reaktion auf seine Geschichte auszumalen, aber dass der Vampir ihn offensichtlich beschützen wollte, weckte etwas Warmes, Flauschiges in seinem Bauch. „Danke“, sagte er, den Blick immer noch auf den Teppich fixiert. „Aber das kommen sie ohnehin nicht. Dass sie mich all die Jahre versteckt haben, hat sich nun gerächt. Kannst du dir vorstellen, wie die Leute geschaut haben, als ich so auf die Straße gerannt kam?“ Er lachte leise. Ja, hier oben, sicher in Marvolos Schloss, kam ihm die Episode schon fast ein wenig komisch vor. „Die Leute im Dorf werden sich für Wochen die Mäuler darüber zerreißen. Diese Geschichte wird die Dursleys bis ans Ende ihrer Tage verfolgen. Ihr guter Ruf ist hinüber. Ich denke, härter kann man sie kaum treffen.“ Er blickte dem Vampirfürsten wieder ins Gesicht und sah das kleine, kaum sichtbare Lächeln, das seine Lippen umspielte, als er an seinem Glas nippte. Das kleine, flauschige Ding in Harrys Magen machte einen freudigen Überschlag. Unruhig rutschte er auf seinem Platz hin und her. „Also ist es in Ordnung, wenn ich erst einmal hier bleibe? Ich meine, bis ich irgendwie… irgendwas…“ Mit einem ratlosen Schulterzucken ließ er den Satz in der Luft hängen, denn er hatte sich noch überhaupt keine Gedanken gemacht, wie es weiter gehen sollte. All sein Denken war zunächst darauf fixiert gewesen, Marvolo wiederzusehen. „Nicht doch, Harry. Du musst keine übereilten Entscheidungen treffen.“ Marvolos blutrote Augen bohrten sich in Harrys und einen Moment vergaß der Junge das Atmen. „Du bist hier solange willkommen wie du möchtest.“ Mit einem Zug leerte er den Rest seines Glases und erhob sich mit einer eleganten Bewegung. „Lass mich deine Wunden sehen.“ „Ah, das ist nichts Schlimmes, wirklich nicht“, wiegelte Harry verlegen ab, doch unter dem unnachgiebigen Blick seines Gastgebers erhob er sich schließlich doch und drehte dem Vampir den Rücken zu. Marvolos Augen begutachteten die gerade verschorften Striemen und eine Hand strich abwesend über Harrys Schulter und Oberarm. Der Junge biss die Zähne zusammen, um sich zu zwingen, nichts zu fühlen, doch er hatte keinen Erfolg. Diese kleinen, gedankenverlorenen Liebkosungen fühlten sich einfach zu gut an. Nachdem ihm in seinem Leben nie Beachtung oder gar Liebe geschenkt wurde, trank er die Aufmerksamkeit des Vampirfürsten nun in sich hinein wie ein Verdurstender. Auch Marvolo entging nicht, wie sich die Muskulatur des Jungen unter seinen Fingern entspannte und wie sich der kleinere Körper ein ganz klein wenig, fast unwillig, zurücklehnte, um mehr Kontakt zu ihm zu suchen. Fasziniert beugte er sich vor, lehnte seinen Kopf gegen Harrys und atmete dessen frischen, natürlichen Geruch ein. Sein Geruch, der heute mit Blut vermengt war. Süßes, reines Blut, das nur wenige Zentimeter entfernt unter seiner hellen Haut pulsierte… Abrupt trat der Vampirfürst zurück, wandte sich ab und ging zum Klingelzug neben der großen Eingangstür. Das gab ihm genügend Zeit seinen inneren Tumult wieder unter Kontrolle zu bringen und als er sich wieder zu Harry herumdrehte, sah man ihm nicht mehr an, dass er um ein Haar die Kontrolle verloren hätte. „Ich habe einen Diener gerufen, der dich verarzten wird und dann sehen wir mal, was wir mit deiner Kleidung machen können.“ „Aber das… das ist nicht nötig“, stammelte Harry erschrocken. „Doch ist es. Ich kann dich als meinen Gast nicht in Lumpen herumlaufen lassen. Vorausgesetzt, du möchtest überhaupt Kleidung tragen“, sagte Marvolo, erlaubte sich eine bedeutungsvolle Pause mit hochgezogener Augenbraue und Harry wurde erneut hochrot, „Bestehe ich darauf, dass du annehmbar aussiehst.“ Ein Klopfen an der Tür lenkte beide ab. „Herein!“, rief der Vampir und durch die Tür hinkte der hässlichste Mann, den Harry je gesehen hatte. Er ging gebeugt und unter seinem einfachen, sandfarbenen Hemd zeichnete sich ein großer Buckel ab. Eines seiner Glubschaugen war halb von einem herabhängenden Augenlid verdeckt und schielte nach innen, während das andere seinen Herrn und Meister fixierte ohne Harry zu beachten. Darüber war der Junge auch sehr froh, denn im ersten Moment hatte er einen instinktiven Schritt zurück gemacht. Dafür schämte er sich sogleich, denn schließlich konnte der Mann nichts für sein Aussehen. Und hatte er nichts selbst am eigenen Leib erfahren, wie weh es tat, wenn man als Aussätziger behandelt wurde? Der Diener seiner Lordschaft verschwand kurz, um gleich darauf mit Salben und Verbänden zurück zu kehren. Harry zwang sich nicht einmal mit der Wimper zu zucken, als sich ihm der bucklige Diener mit misstrauischem Blick nährte und überraschend sanft seine Wunden versorgte. Marvolo kehrte zum Tisch zurück und schenkte sich ein neues Glas Blut ein. Seine aufmerksamen, roten Augen verließen Harry dabei jedoch kaum eine Sekunde. Und während er beobachtete, wie der Junge unter der vorsichtigen Behandlung immer wieder ein wenig vor Schmerz zusammen fuhr, obwohl er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, wurde Marvolo bewusst, dass ihm die Demütigung der Dursleys als Vergeltung nicht ausreichen würde. Im Stillen schwor er sich, dafür zu sorgen, dass sie denselben Schmerz erfuhren, den sie ihrem Pflegekind angetan hatten. Denselben Schmerz und noch ein wenig mehr. „Wegen der Sachen…“, begann Harry zaghaft, als sie wieder alleine waren. „Mir ist natürlich klar, dass ich etwas zum Anziehen brauche, aber… ich weiß nicht, wie ich das bezahlen soll.“ Wieder umspielte ein Lächeln die Lippen des Vampirs, als er sein halbleeres Glas abstellte. Mit raschen Schritten nährte er sich Harry, zog den Jungen an sich und schnupperte probehalber an ihm. Ja, der Geruch nach Blut war fort, ersetzt durch den scharfen, medizinischen Geruch der Heilsalben. Gut. Nun lief er nicht mehr Gefahr, die Kontrolle zu verlieren. „Du könntest mit deinem Körper bezahlen“, flüsterte er dem Jungen zu, sein Atem strich über Harrys Ohr. Der Junge in seinem Arm erschauerte und gab einen protestierenden Laut von sich. Natürlich, dachte Marvolo, zu so etwas würde sich sein Menschenkind niemals herablassen. Dafür war Harry viel zu stolz. Und gerade jetzt, wo er endlich seine Freiheit zurückerlangt hatte und über sich selbst bestimmen könnte, würde er sich sicher nicht gleich wieder verkaufen. Schon gar noch für so etwas Banales wie Kleidung. Marvolo lachte leise. „Das war nicht ernst gemeint, Harry.“ Dennoch ließ er den Jungen nicht los, aber Harry machte auch keine Anstalten mehr, sich zu wehren. Den Kopf gegen die Schulter des Vampirfürsten gelehnt, konzentrierte er sich einfach nur auf das Gefühl der Hand, die geisterhaft auf seinem Rücken auf und ab streichelte, kaum fühlbar durch die Bandagen, die ihm angelegt worden waren, und durch die schmerzstillenden Salben, die die Haut betäubten. Dann wanderte die Hand über seine Schulter, den Oberarm und die überraschend empfindsame Innenseite seiner Unterarme zu seiner eigenen Hand und umfasste sie. Fasziniert und bewegungslos beobachtete Harry wie Marvolo seine Finger nacheinander küsste und seine Lippen dann gegen die Handinnenfläche drückte. Überrascht zuckte Harry zurück. „Das kitzelt“, sagte er leise und Marvolos Griff um seine Hand wurde fester, bevor der Vampir sich zu ihm hinunter beugte und ihn ungestüm küsste. Einen Moment setzte Harrys Herz aus, um dann aufgeregt weiter zu flattern. Ihr erster und einziger Kuss war lange her und danach hatte es eine ziemlich hässliche Szene gegeben. Doch jetzt… jetzt standen keine ungeklärten Fragen mehr zwischen ihnen… nichts hielt ihn davon ab, den Kuss einfach zu genießen… Seine Augen fielen zu und seine Zunge stupste fragend gegen Marvolos Unterlippe. Der Vampir ließ sich nicht zweimal bitten. Sofort fand sich der Junge in ein leidenschaftliches Zungenspiel verstrickt, das ihm den Atem raubte. Es dauerte nicht lange, bis Harry eine sehr eindeutig Reaktion darauf zwischen seinen Beinen spürte. Er wusste, das war falsch, es gehört sich nicht, aber es fühlte sich so gut an… so gut… Als er ein Stück von Marvolo abrückte, um zu verhindern, dass der Andere etwas von seiner Erregung mitbekam, reagierte der Vampir sofort, indem er den Jüngeren an den Hüften eng an sich heranzog. „Nicht“, keuchte Harry, aber es war zu spät. Verlegen wandte er den Blick ab. Eng aneinander gepresst wie sie standen, musste Marvolo einfach mitbekommen, wie es um ihn stand. Und er würde ihn auslachen, sich angewidert abwenden… „Ah!“, stöhnte der Junge auf, als die schlanke Hand des Vampirfürsten zwischen ihre Körper glitt und seinen Schritt massierte. Er riss sich los und stolperte erschrocken zurück, stieß gegen die Couch in seinem Rücken und fiel. Marvolos Hand in seinem Nacken bremste den unkontrollierten Sturz jedoch rechtzeitig und legte ihn sanft auf dem dunkelgrünen Leder ab, sodass Harry seine Verletzung nicht spürte. Nur Sekundenbruchteile später kniete Marvolo über ihm und Harry drückte sich unsicher enger gegen das Leder. „Wovor fürchtest du dich, Harry?“, wisperte der Vampir und im Hals des Jungen bildete sich ein Kloß, der es ihm unmöglich machte zu sprechen. „Hiervor?“ Und wieder war die Hand in seinem Schritt und massierte ihn durch seine Hose hindurch. Aufkeuchend bog sich Harry der Berührung entgegen, unfähig dem erregenden Gefühl zu widerstehen. „Das ist… nicht richtig...“, brachte der Junge schwer atmend heraus, während er seinen Unterkörper schamlos gegen die verlockende Hand rieb. „Nicht richtig? Obwohl es sich so gut anfühlt?“, hauchte Marvolo, überwand die stoffliche Barriere und umfasste Harrys Erektion in seiner Hose. „Wie kann das hier falsch sein?“ Mit leuchtenden Augen beobachtete, wie sich der Junge atemlos unter ihm wand, als er seine Erektion massierte, die Wangen erhitzt und gerötet. Jung wie er war, brauchte Harry nicht lange um zum Orgasmus zu kommen. Marvolo stöhnte leise auf, als Harry in seiner Hand zu zucken begann und seine Hand mit jedem Zug die Essenz seines Höhepunktes verteilte, doch der Junge war zu sehr in dieser neuen Erfahrung gefangen, um es zu bemerken. Er war zu sehr mit all den unbekannten Gefühlen beschäftigt, um zu erkennen, wie sehr er den Vampir erregte. Was Marvolo nur Recht war. Die Macht, die der Junge über ihn hatte, erschreckte ihn selbst. Er hatte nicht vor, Harry auch noch mit der Nase darauf zu stoßen. Langsam zog der Vampirfürst seine Hand zurück und während er sie gewissenhaft sauberleckte, ließ er Harry, der langsam wieder zu Atem kam, keine Sekunde aus den Augen. „Du möchtest vielleicht mein Badezimmer benutzen“, sagte er schließlich mit einem kleinen Grinsen und richtete sich auf. „Ich werde dir in der Zwischenzeit saubere Sachen raussuchen.“ Harry blinzelte, rappelte sich auf und flüchtete mit hochrotem Kopf aus dem Raum. „Die Tür neben meinem Bett“, rief Marvolo ihm noch hinterher und lachte dann leise. Während er in seinem Ankleidezimmer verschwand, revidierte er, was er zuvor beim Aufwachen gedacht hatte. Er hatte den Jungen nicht in sein Leben integriert. Harry hatte sein Leben ohne zu fragen regelrecht infiltriert. -wird fortgesetzt- So, das war's für heute =) Ich hoffe, ihr könnt euch dazu aufraffen, die Autorin mit Kommis zu füttern ^.~ Kapitel 6: Kapitel 6 -------------------- Oje, das war eine ewig lange Pause. Zwischen meinen Diplomprüfungen habe ich leider keine Zeit zum Schreiben gefunden. Aber hier ist jetzt endlich das neue Kapitel. Oh... und was die 5 Kapitel angeht... oO Vergesst das am besten einfach wieder. Harry und Marvolo sind außer Kontrolle >.< Blut auf dem Mond Kapitel 6 Die folgenden Tage erlebte Harry wie im Traum. Er folgte Marvolo blind wie ein verlorener Welpe überall hin, ließ sich das Schloss zeigen und wurde den anderen Bewohnern vorgestellt. Dabei staunte Harry wieder wie viel Macht und Einfluss der Vampirfürst zu haben schien. Er sagte einfach nur: „Darf ich vorstellen? Das ist Harry.“ Mehr nicht. Und alle schienen damit zufrieden zu sein. Niemand stellte Fragen. Natürlich entgingen dem Jungen die misstrauischen und zum Teil auch offen neidischen Blicke der Vampire nicht, aber niemand wagte auch nur falsch in seine Richtung zu blinzeln. Besonders angespannt in den ersten Tagen waren die Vampire, denen Harry in diesem Schloss zuerst begegnet war, allen voran Lucius Malfoy. Offenbar fürchtete er, dass der Junge erzählen könnte, was sich in dem Kaminzimmer zugetragen hatte, doch Harry hatte nichts dergleichen vor. Es würde Marvolo nur unnötig aufregen und außerdem war er nicht nachtragend. Die Vampire hatten ihrer Natur gehorcht und das konnte er ihnen ja schlecht übel nehmen, oder? Lucius Malfoy war es auch, der sofort seine Haus- und Hofschneiderin Madam Malkins empfahl, um Harry angemessene Kleidung zu besorgen, denn in den zu großen Sachen von Marvolo konnte er ja nicht für immer rumlaufen. Wenn Marvolo über Malfoys Eifer, behilflich zu sein, verwundert war, so ließ er sich nichts anmerken. Die Benachrichtigung, dass ihre Dienste gebraucht wurden, war kaum einen Tag unterwegs, da stand Madam Malkins auch schon vor den Toren des Schlosses, vermaß Harry und war so schnell verschwunden, wie sie gekommen war. Einige Tage später tauchte sie wieder auf, mit 2 Kutschen voller Kleidung. Mit maßlosem Erstaunen, beobachtete Harry sich selbst dabei, wie er ein teures Kleidungsstück ums andere anprobierte, stillstand, damit die Vampirin mit Stecknadeln markieren konnte, wo noch Änderungen von Nöten waren, und es dann wieder auszog, um ins nächste zu schlüpfen. Marvolo saß die ganze Zeit mit einem Glas Blut und einem Buch, das vergessen auf seinen überschlagenen Beinen lag, im Hintergrund und wählte am Schluss die Stücke aus, die er zu kaufen gedachte. Am Ende dieser Nacht war Harry rechtmäßig erschöpft und hatte nicht das geringste Problem alleine in seinem großen Bett einzuschlafen. Marvolo hatte ihm ein eigenes, großes Zimmer zur Verfügung gestellt, nur ein paar Türen den Gang abwärts von seinen eigenen Gemächern. Harry war ihm unglaublich dankbar dafür und doch fühlte er sich durch die schiere Größe des Zimmers erschlagen. Es war zwar nur ein Raum, der sowohl Schlafzimmer als auch Wohnbereich war und nicht einmal ganz so groß war, wie Marvolos eigenes Schlafzimmer, aber er war trotzdem größer als das gesamte Haus der Dursleys. Und der Gedanke, dass er das nun wirklich sein Eigen nennen durfte, war überwältigend. Harry war an sein schmales, hartes Bett oben auf dem engen Dachboden gewöhnt. Die ersten Tage hatte er sich in dem großen, weichen Bett so verloren und fehl am Platz gefühlt, dass er kaum hatte schlafen können. Er zog auch immer noch den Kopf ein, wenn er sich am Abend aus dem Bett rollte, um sich nicht an der nun nicht mehr vorhandenen Dachschräge zu stoßen. Einige Tage später trafen dann die maßgeschneiderten Sachen ein. Ein wenig bedauerte Harry es, denn es bedeute, Marvolos Kleidung abzulegen und das wiederum fühlte sich so an, als würde er damit auch ein Stück ihrer Verbundenheit ablegen. Das war natürlich Blödsinn, schließlich änderte seine Kleidung nichts an Marvolos Einstellung ihm gegenüber, trotzdem schlüpfte Harry nur mit einem schweren Seufzer in die neuen Sachen. Er hatte noch niemals in seinem Leben etwas so Teures und Wertvolles besessen. Die ersten Tage wagte er kaum, sich darin zu bewegen aus Angst, sie mit Flecken zu beschmutzen oder gar kaputt zu machen. Danach gewöhnte er sich langsam daran, nicht zuletzt natürlich, weil auch Marvolo ähnliche teure Kleidungsstücke trug, sich aber ganz natürlich darin bewegte. Was Harry ganz besonders ans Herz gewachsen war, war ihr allmorgendliches Ritual vor dem zu Bett gehen noch ein wenig in Marvolos Lesezimmer zusammenzusitzen, zu reden oder einfach zu lesen. Das hieß- Marvolo las und Harry rollte sich gemütlich auf dem Sofa zusammen und sah ihm dabei zu. Er mochte den konzentrierten Ausdruck auf dem Gesicht des Vampirs, wenn dieser die Welt um sich herum vergaß. Harry bemühte sich auch stets, ganz still zu liegen, um Marvolo nicht zu stören. Meistens schlief er dabei ein und wachte am nächsten Abend in seinem Bett auf. Er fragte sich, wer ihn jedesmal ins Bett brachte. Ob sich Marvolo selbst die Mühe machte oder ob er Koukol, seinen buckligen Diener, damit beauftragte, aber Harry wagte nicht zu fragen. Einmal hatte er versucht, wach zu bleiben und nur so zu tun, als schliefe er, aber er hatte es nicht durchgehalten. Vermutlich hatte Marvolo ihn ohnehin sofort durchschaut. Inzwischen hatte sich der Junge auch daran gewöhnt, dass der Vampir Blut trank. Ihm selbst wurden Säfte oder Tee serviert und häufig begleitete Marvolo ihn hinunter in den Speisesaal, wo Harry seine Mahlzeiten einnahm. Obwohl der Vampirfürst selbst nichts zu sich nahm, beobachtete er Harry mit großem Interesse beim Essen. Das hingegen irritierte den Jungen nach wie vor und er glaubte auch nicht, dass er sich je daran gewöhnen würde, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Außerdem überraschte es ihn, dass er hier in diesem Schloss, das von Vampiren bevölkert wurde, die ja außer Blut nichts zu sich nahmen, so leckeres und reichhaltiges Essen bekam. Harry hatte angeboten, seine Mahlzeiten selbst zuzubereiten, weil er nicht noch mehr Umstände machen wollte, doch Marvolo hatte davon nichts wissen wollen. „Sie sehen ihre Lebensaufgabe darin, zu dienen. Sie würden dich keinen Handschlag tun lassen“, hatte er gesagt und Harry- verblüfft, weil sein Angebot zu helfen noch nie abgewiesen worden war- hatte geschwiegen und das Thema nicht weiter verfolgt, obwohl er diese Aussage recht kryptisch fand. Wer waren „sie“? Vampire? Oder andere Geschöpfe? Gab es außer Koukol und ihm etwa noch andere Menschen in diesem Schloss? Und, waren das dieselben, die heimlich und unsichtbar so viele Arbeiten in diesem Schloss verrichteten? Wie zum Beispiel das Entzünden der Kerzen jeden Abend, bevor die Bewohner des Schlosses erwachten? Oder das Machen seines Bettes, wenn er es mal wieder vergessen hatte? Während er darüber nachdachte, wanderte Harrys Blick träge hinüber zu dem Tisch, der die Couch, auf der er lag, von dem Sessel trennte, in dem Marvolo las. Eine leere Flasche und ein halbleeres Glas Blut standen auf Marvolos Seite und eine halbleere Flasche Weißwein, sowie ein leeres Glas auf Harrys Seite. Es war das erste Mal, dass Marvolo Harry etwas Alkoholhaltiges angeboten hatte und der Junge hatte festgestellt, dass er den süßen, fruchtigen Geschmack des lieblichen Weißweins mochte. Ein bisschen zu sehr vielleicht, denn inzwischen merkte Harry, dass sich Gedanken nur noch im Schneckentempo bewegten. Der Raum drehte sich ein wenig um ihn, aber er fühlte sich sehr zufrieden. Der Alkohol wärmte ihn von innen und Marvolo sah fantastisch aus, wie er so da saß und las. Als der Vampirfürst seinen Blick spürte, sah er auf und blickte in halb geschlossenen, verschleierten tiefgrüne Augen. Einen Moment starrte Marvolo einfach zurück und befeuchtete sich unbewusst mit der Zunge die Lippen, denn das war einer der erotischsten Anblicke, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Harrys Augen folgten der Bewegung seiner Zungenspitze. Er klappte das Buch zu, stellte es zurück ins Regal und trat dann wieder zu Harry. Schwankend setzte der Junge sich auf. Der Raum drehte sich nun stärker um ihn und als er nach vorne fiel, fand er Halt an Marvolos Körper. Gegen den Bauch des Vampirfürsten gelehnt blieb er sitzen, aber die Welt kam nicht zu Stillstand. Eigentlich wollte Harry sagen, dass er müde sei und nun schlafen gehen wolle, doch er hörte sich selbst nur unverständliche Worte lallen, die keinen Sinn ergaben. Aber irgendwie war ihm das egal. Marvolo warf einen Blick auf die halbleere Flasche, blickte dann wieder auf den dunklen Haarschopf herunter, der an seinem Bauch lehnte und schmunzelte dann. „Du bist betrunken. Du solltest ins Bett. Komm.“ Er half Harry auf die Beine und kaum stand dieser auf seinen Füßen, lehnte er sich wieder Halt suchend gegen ihn. Der Junge nuschelte etwas Undeutliches, das man als Entschuldigung auslegen konnte, machte aber keine Anstalten, sich aufrecht hinzustellen. Vermutlich war ihm selbst klar, dass der Versuch scheitern würde. Marvolo legte ihm einen Arm um die Schultern und machte Anstalten, einen Schritt vorzutreten, um Harry in sein Bett zu geleiten, doch der Junge rührte sich nicht vom Fleck. Den Blick auf den Boden geheftet, vergrub er seine Finger schweigend in den Stoff von Marvolos Oberteil. Der Vampir hielt inne, blinzelte und neckte ihn dann: „Was? Du willst nicht in dein Bett? Dann vielleicht in meines?“ Doch Harry reagierte auf diese Zweideutigkeit anders als erwartet- was vielleicht seiner Trunkenheit zuzuschreiben war. Er wurde nicht rot, stattdessen hob er den Blick vom Boden, sah Marvolo aus seinen vom Alkohol vernebelten Augen direkt an und lächelte. Der Vampirfürst starrte einige Herzschläge lang zurück, dann rutschte sein Arm hinunter zu Harrys Taille, drückte ihn an sich und in seinen Augen und in seinem Lächeln waren ein Hunger zu lesen, der erfahrenen Straßenhuren die Schamesröte aufs Gesicht getrieben hätte. Harry jedoch entging dieser Ausdruck und als Marvolo ihn in das Schlafgemach führte, hatte er alle Hände voll damit zu tun trotz des stützenden Arms um seine Taille auf den Beinen zu bleiben. Am Bett angekommen löste sich Harry von dem Vampirfürst und ließ sich mit einem leisen, zufriedenen Laut auf die Decke fallen. Trotz der trunkenen Trägheit seines Körpers, ging ihm ein Gedanke ganz klar durch den Kopf: Dass er endlich einen Ort hatte, den er Zuhause nennen konnte. Dann war er eingeschlafen. Marvolo blickte auf den Jungen auf seinem Bett hinunter. Erstaunlich, was der Alkohol für eine Wirkung auf ihn hatte. Einerseits enthemmend, andererseits einschläfernd. Eine Mischung, die dem Vampirfürsten überhaupt nicht gefiel. Seine roten Augen glitten hungrig über die schlafende Gestalt. Harry lag noch nicht einmal richtig im Bett, die Beine hingen immer noch über die Bettkante, beim Fallen hatte er das Kopfkissen nicht erwischt, die Spitzen seiner schwarzen Haare berührten es gerade eben. Doch all das schien den Jungen nur wenig zu stören. Seine Brust hob sich in langsamen, gleichmäßigen Atemzügen, dichte, schwarze Wimpern ruhten auf vom Alkohol geröteten Wangen, die Lippen waren leicht geöffnet und zu einem kleinen Lächeln verzogen. So schutzlos. So wehrlos. So erregend. Alles in Marvolo schrie danach, den Jungen jetzt zu nehmen, alles was er hatte, sein Blut, seinen Körper, ungeachtet des halb bewusstlosen Zustandes. Heiße Leidenschaft brodelte in seiner Brust und ließ sich kaum bezähmen. Als er Harry richtig aufs Bett legte und zudeckte, zitterten seine Hände, weil ihn die Selbstbeherrschung so viel Kraft kostete. Dieser Kontrollverlust machte ihn wütend, obwohl niemand da war, um es zu sehen. Trotzdem zeigte er, wie viel Macht der Junge über ihn hatte- und dazu musste er nicht einmal wach sein. Marvolo beugte sich zu der schlafenden Gestalt hinunter und flüsterte: „Du bist ein böser Junge, Harry.“ Seine Finger glitten über die Ohrmuschel, den Hals hinab zu dem bisschen Haut, dass der kleine V-Ausschnitt seines Oberteils preisgab. „Du solltest mich nicht so in Versuchung führen. Sogar meine Selbstbeherrschung hat Grenzen.“ Dann küsste er ihn auf die Stirn, die geschlossenen Augen, die Lippen und den Hals. Er spürte, wie sich seine Zähne gegen seinen Willen verlängerten, spürte das warme Blut unter seinen Lippen pulsieren und wandte sich abrupt ab, um den Raum zu verlassen und auf die Jagd zu gehen, obwohl die Morgendämmerung nicht mehr weit entfernt war. ooOoOoo Es fiel Harry schwer, wach zu werden. Er blinzelte träge, hob den Kopf und wurde von einer neuen Welle der Müdigkeit überrollt. Als er die Augen das nächste Mal aufschlug, ging es etwas besser. Als er sich aufsetzte, geriet die Welt unversehens in Bewegung und sein Magen schlug einen Purzelbaum. Schnell schloss er die Augen wieder und ließ sich zurück in sein Kissen fallen. Bei der Gelegenheit merkte er, dass ihm auch der Kopf etwas weh tat. Lag es an dem Wein, den er gestern konsumiert hatte? Er musste Marvolo fragen. Wenn ja, dann würde er das nächste Mal etwas umsichtiger trinken. Er versuchte, noch einmal einzuschlafen, in der Hoffnung, dass es ihm danach besser ging, doch es erwies sich als nutzlos. Er war wach. Egal, was sein Kopf oder sein Magen dazu zu sagen hatten. Mit einem leisen Seufzen drehte er den Kopf, schlug die Augen auf und erstarrte. Er war nicht allein. Neben ihm im Bett lag Marvolo. Und jetzt, als Harry sich die Bettwäsche besah, merkte er, dass sie nicht dieselbe Farbe hatte wie seine. Das war nicht sein Bett. Er hatte offensichtlich in Marvolos Schlafzimmer geschlafen. Mit klopfendem Herzen fragte er sich, was gestern passiert war. Seine Erinnerung an das Ende des Abends war verschwommen. Er hatte auf der Couch gelegen und Marvolo hatten ihm dann aufgeholfen. Er konnte sich vage erinnern, dass der Vampirfürst etwas zu ihm gesagt hatte... und dann? Wie war Harry in seinem Bett gelandet? Bilder von jenem Abend nachdem Harry zu ihm gekommen war, huschten dem Jungen durch den Kopf, begleitet von einem Ziehen im Unterleib, von dem Harry nicht sicher war, ob es tatsächlich unangenehm war. Der Kuss, die Couch... Rasch schüttelte er den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben und riskierte einen vorsichtigen Blick unter seine eigene Decke. Er war vollständig bekleidet. Er trug immer noch seine Sachen vom Vortag, die nun allerdings recht zerknittert waren. Er atmete auf und warf wieder einen Blick zu Marvolo. Betrachtete das von dunklen Haaren umrahmte, blasse Gesicht, das im Schlaf nahezu alle Schärfe verloren hatte. Nur die gerunzelte Stirn erinnerte an den sonst kühlen und dominanten Vampirfürsten. Harry streckte eine Hand aus, wie um die Falten in Marvolos Stirn zu glätten, die das Bild von Frieden störten, doch er zögerte und ließ sie dann wieder sinken. Eigentlich war es in Ordnung so. Ein anderer Ausdruck hätte Marvolo beinahe verletzlich wirken lassen und das war etwas, dass sich Harry bei ihm nur schwer vorstellen konnte. Schließlich hatte der andere immer alles im Griff, immer die Kontrolle... Langsam setzte der Junge sich auf. Der zweite Versuch klappte besser. Das Pochen hinter seinen Schläfen wurde stärker, aber sein Magen revoltierte nicht mehr und das Zimmer drehte sich auch nur ganz kurz. Vorsichtig schwang er die Beine aus dem Bett und stand auf. Das klappte gut und dadurch ermutigt lief er zum Fenster, öffnete die geschlossenen Vorhänge ein Stück und spähte hinaus. Es war jedoch unmöglich zu sagen, wie spät es war. Es war noch nicht dunkel, aber alles war gleichmäßig grau und Wolken verhangen. Es regnete in Strömen. Leise, um Marvolo nicht zu wecken, kroch Harry auf die Fensterbank, zog den Vorhang wieder hinter sich zu und öffnete ein Fenster, um die frische, nach Regen riechende Luft einzuatmen. Ein kühler Wind ließ ihn frösteln und er zog die Beine eng an den Körper und legte den Kopf auf die Knie, um dem sanften Rauschen des Regens mit geschlossenen Augen zu lauschen. Es war lange her, dass er draußen gewesen war. Seit er hierher gekommen war, hatte er das Schloss noch kein einziges Mal verlassen. Natürlich nicht, schließlich hatte er jede freie Minute mit dem Vampirfürsten verbracht und dieser hatte es vorgezogen, in seinem Schloss zu bleiben. Er mochte es, mit Marvolo Zeit zu verbringen, aber jetzt, wo er hier am Fenster saß, merkte er, dass es ihm fehlte, draußen herumzulaufen, den Wind auf seiner Haut zu spüren und im Mondlicht zu baden, wie er es mit dem Vampir getan hatte, als er noch bei den Dursleys gewohnt hatte. Urplötzlich fühlte er sich gefangen in diesem Schloss, obwohl Marvolo ihm nie ausdrücklich verboten hatte, nach draußen zu gehen. Das Bedürfnis diesen steinernen Wänden zu entkommen wurde beinahe übermächtig. Wenn er sich jetzt raus schlich, würde Marvolo nichts merken und vielleicht wäre er ja schon wieder zurück, bevor sein Verschwinden überhaupt auffiel… Harry vergrub seinen Kopf tiefer in den Armen, die er um seine Knie geschlungen hatte. Nein, er durfte so nicht denken. Es war undankbar. Es war unfair, dem Vampirfürsten vorzuwerfen, er würde ihn auch gefangen halten, obwohl dieser gar nicht wusste, wie sehr es ihn nach draußen, in die Natur zog. Er würde einfach mit ihm reden. Heute... später... wenn er wach war... Harry schreckte auf, als der Vorhang zurückgerissen wurde und an seiner kurzen Orientierungslosigkeit erkannte er, dass er geschlafen haben musste. Seine steifen Glieder bestätigten das. Erschrocken blieb er wie versteinert sitzen, als er den Zorn sah, der in den roten Augen loderte. Marvolos Stimme hingegen war ganz ruhig, als er sagte: „Hier hast du dich also verkrochen.“ Einige Momente schwieg er, dann sagte Harry vorsichtig: „Als ich vorhin aufgewacht bin, wollte ich schauen, ob es schon dunkel ist. Es hat geregnet, also war es schwer zu sagen, wie spät es ist. Ich bin wohl wieder eingeschlafen.“ Er blickte hinaus in die dunkle Nacht. Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Luft war immer noch frisch und kühl. Dann schaute er wieder zu Marvolo auf. „Tut mir leid. Ich wollte nicht einfach so verschwinden.“ Der Sturm in den rubinroten Augen legt sich kaum. „Es ist Zeit zum essen. Zieh dich um und dann gehen wir in den Speisesaal.“ Er umfasste Harrys Arm, um ihm vom Fensterbrett zu helfen. „Wie lange hast du da gehockt?“, herrschte er ihn plötzlich an und der Junge zuckte zusammen. „Du bist eiskalt. Liegt dir nichts an deiner Gesundheit? Es würde mir einige Umstände bereiten, wenn du krank wirst.“ Betreten schaute Harry zu Boden. „Tut mir leid.“ Der Vampirfürst gab einen unwirschen Laut von sich und zog ihn dann von der Fensterbank. Überrascht taumelte Harry gegen ihn, weil seine Beine, sein Gewicht noch nicht tragen wollten und Marvolo stützte ihn mit beiden Händen an den Oberarmen. Zum ersten Mal fiel Harry auf, wie warm sich der Körper des anderen anfühlte und er unternahm keinen Versuch, sich von Marvolo zu lösen. Dieser duldete es schweigend. „Marvolo...“ Harry stockte, weil der Name sich so ungewohnt auf seiner Zunge anfühlte. Obwohl sie viel Zeit miteinander verbrachten, nannte er den Vampirfürsten selten beim Namen. „Warum bist du so warm? Ich dachte immer, Vampire wären eher kalt.“ „Die meisten sind es“, antwortete der Größere unwillig und Harry beließ es dabei. Zwar hätte ihn interessiert, warum es bei Marvolo anders war, doch dieser schien heute ziemlich schlechte Laune zu haben. So blieb er einfach an den Anderen gelehnt stehen, gewärmt von dessen Körper. Nach einer Weile schob Marvolo ihn von sich. „Zieh dich jetzt um. Ich gehe schon vor.“ Harry nickte, ein bisschen enttäuscht darüber, dass der Moment der Nähe schon vorüber war, doch sein Magen meldete sich mit einem leisen Knurren, und verlegen machte er sich auf den Weg in sein Zimmer. Als er im Speisesaal eintraf, war die Tafel schon reich gedeckt und neben seinem Teller stand ein Becher mit einer heißen Flüssigkeit. Vorsichtig schnupperte er an dem Getränk, nachdem er sich gesetzt hatte und roch sofort den Alkohol. „Heißer Met“, erklärte Marvolo. „Der wird dich von innen wärmen.“ Harry dachte an den Weißwein und daran, dass er sich kaum noch an den letzten Abend erinnern konnte und seine Zweifel mussten ihm wohl deutlich anzumerken gewesen sein. Auf Marvolos Gesicht erschien ein kleines Lächeln. „Heute gibt es nur diesen einen Becher für dich. Ich habe nicht vor, dich wieder betrunken zu machen.“ In seinen Augen leuchtete dabei etwas, das Harry nicht identifizieren konnte und das ihn verunsicherte. Trotzdem trank er folgsam seinen Met, während er seinen Hunger stillte. „Ich habe überlegt“, begann Marvolo, nachdem Harrys Tempo beim Essen nachließ und er fast manierlich aß, was ein Zeichen dafür war, dass er satt war, „Für dich ist es sicher sehr langweilig immer nur daneben zu sitzen, während ich lese.“ Hastig schüttelte Harry den Kopf. „Überhaupt nicht“, versicherte er, was durchaus der Wahrheit entsprach, doch Marvolo ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Ich habe überlegt“, wiederholte er, „ob es dir gefallen würde, lesen zu lernen.“ Die Hand, die gerade die Gabel zum Mund führte, hielt auf halbem Wege inne und Harry starrte den Vampirfürsten sprachlos an. Er hatte schon lange darum bitten wollen, sich aber nie getraut. Dass Marvolo den Vorschlag nun von sich aus machte, ließ das kleine pelzige Ding in seinem Magen zu neuem Leben erwachen. Mit strahlenden Augen antwortete er: „Ich... ja, ich würde sehr gerne lesen lernen.“ „In Ordnung. Dann folge mir.“ Rasch legte Harry das Besteck nieder und folgte Marvolo. Sie steuerten dieses Mal nicht den Flügel an, in dem sie beide lebten. Stattdessen wurde der Junge tief ins Herz des Schlosses geführt, hinunter in die Kellerräume bis vor eine eisenbeschlagene Eichentür. Marvolo machte sich nicht die Mühe anzuklopfen, sondern trat einfach ein und Harry hatte sofort ein mulmiges Gefühl. Dieser Raum war gruselig und erinnerte an das Kuriositäten-Kabinett, das einmal im größeren Nachbardorf seine Zelte aufgeschlagen hatte und von dem seine Verwandten erzählt hatten. Es war nichts Wohnliches in diesem Raum. An nackten Steinwänden standen bis zur Decke Regale, auf denen sich Flüssigkeit gefüllte Gläser befanden, in denen allerlei herumschwamm. Vieles sah zumindest entfernt nach tierischen Lebewesen aus, einiges konnte Harry beim besten Willen nicht zuordnen- er gab sich allerdings auch die größte Mühe, nicht allzu genau hinzusehen. Stattdessen richtete er seine Aufmerksamkeit auf den großen Schreibtisch im Zentrum des Raumes. Der Mann, der an ihm saß, hatte überrascht aufgesehen, als sie ohne jede Vorankündigung sein Reich betreten hatten, doch als er seinen Herren erkannte, war er aufgestanden und hatte sich tief verbeugt. „Severus, wir hatten gestern schon einmal kurz über Harry geredet.“ Der Junge spürte, wie eine Hand in seinem Rücken ihn nach vorne schob, damit der schwarzhaarige Mann ihn besser sehen konnte. Er wünschte, er hätte sich weiter hinter Marvolos Rücken verstecken können. Der stechende Blick der pechschwarzen Augen machte ihm nicht gerade Mut. „Das ist der Junge, den ich unterrichten soll, Mylord?“ Marvolo nickte und wandte sich an Harry. „Harry, das ist Severus Snape. Er wird dir das Lesen beibringen.“ Harry fixierte seinen zukünftigen Lehrer. So sehr er sich auch anstrengte, er konnte nichts Sympathisches an diesem Mann finden, der wie eine zu groß geratene Fledermaus hinter seinem Schreibtisch stand und ihn abschätzig über seine Hakennase hinweg musterte. Der Unterricht würde wohl alles andere als spaßig werden, das ahnte der Junge schon jetzt. Er biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, ansonsten keine Miene zu verziehen, denn er spürte Marvolos Blick auf sich. Natürlich war er enttäuscht. Er hatte gehofft, dass der Vampirfürst ihn selbst unterrichten würde. Anderseits war es wohl ziemlich anmaßend, zu fordern, dass dieser noh mehr Zeit mit ihm verbrachte. Aber er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Natürlich durchschaute Marvolo ihn wie immer sofort. Er legte Harry einen Arm um die Taille, zog ihn an sich und sagte leise mit seiner seidigen Stimme: „Nun mach nicht so ein Gesicht. Ich bin als Lehrer völlig ungeeignet. Das einzige, was ich lehren kann ist Schmerz und Gehorsam. Von dem einen hast du genug erfahren und an dem anderen mangelt es dir nicht.“ Harry seufzte. Er hatte den leisen Verdacht, dass auch Severus Snape mit wenig Geduld gesegnet war. Das konnte ja heiter werden. -wird fortgesetzt- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)