Some Shorties von abgemeldet (klitzekleine Szenen aus dem Leben zweier alter Bekannter) ================================================================================ Kapitel 1: Hoher Gast sucht kleine Party- oder: Was für ein Kostüm soll das denn sein? -------------------------------------------------------------------------------------- Ich habe eine Party. Genauer gesagt läuft hier gerade etwa Folgendes: Yugi übergibt sich über das Balkongeländer, weil er ein paar Glas Bowle zu viel getrunken hat, Tristan macht sich auf seine etwas tollpatschige Art an Thea ran, Duke spielt mit dem Geist des Pharaos Dungeon Dice Monsters, der seinen kotzenden Alter Ego mal lieber allein lassen wollte, Serenity sitzt daneben und macht Duke schöne Augen, so dass er sich kaum auf das Spiel konzentrieren kann und ich habe Mokuba fest um die Hüfte gekrallt, kitzle ihn und drehe ihn gleichzeitig schnell im Kreis, so dass er sich vor Lachen nicht mehr einkriegt. Dazufügen sollte man vielleicht noch erwähnen, dass wir alle mehr oder weniger peinliche Kostüme tragen. Es ist Hallowien. Aber das kümmert mich im Moment wenig. Außerdem sieht mich mit dem peinlichen Dalmatinerkostüm ja keiner, wenn ich nicht damit auf die Straße gehe. Und ich hoffe, um jenes Ereignis komme ich dieses Jahr herum. Doch, ich bin im Großen und Ganzen recht zufrieden mit der Gesamtsituation, denke ich. Als Yugi wieder reinkommt und sich ein neues Glas Bowle einschenkt, breit grinsend und Yami grüßend, sehe ich alle meine Gäste mit einem Grinsen und bin glücklich. Und trotzdem… Er fehlt. Es ist einfach nicht lustig so ganz ohne ihn. Manchmal denke ich, auch Mokuba gelegentlich zur Tür starren zu sehen, so als hoffe auch er noch auf seine Ankunft. „Joey…?“, fragt mich der Kleine nach einer Weile nachdenklich, aber kichernd, ich höre auf ihn zu kitzeln, aber schwenke ihn weiter im Kreis umher. Er schaut mich an, so gut es eben geht. „Ja…?“, frage ich grinsend und er hält sich krampfhaft an mir fest. Dabei braucht er sich keine Sorgen machen, ich würde ihn niemals loslassen. Außerdem würde mich sein großer Bruder umbringen, wenn ich seinen kleinen Moki quer durchs Zimmer schleudern würde und er sich wohlmöglich noch was bricht. „Denkst du, er kommt noch?“, fragt er wohl zweifelnd und versucht, die Tür zu fixieren, doch es hat keinen Sinn, so wie ich ihn herumwirbele. Auf seine Frage hin verschwindet mein Grinsen für eine Sekunde. Ich halte still und sehe ebenfalls zur Tür. Doch dann hebe ich Mokuba hoch in die Luft, lache ihn an und werfe ihn ein paar Zentimeterchen in die Luft, worauf er erschreckt fiept. „Klar kommt er!“, verspreche ich und er lächelt auch wieder. „Wirst schon sehn. Ich weiß nicht wann, aber er kommt, darauf kannst du dich verlassen, Kleiner.“ Mokuba wirkt überzeugt, schnippt mir von da oben auf die Nase und lacht. In dem Moment klingelt es. „Na huch?“, ich grinse ihn verheißungsvoll an. „Wollen wir mal sehen, wen wir da haben. Vielleicht einen Nachbarn, der sich über die Musik beschwert?“, scherze ich und Mokuba guckt mich böse an. Ohne ihn auf den Boden zu lassen, die Arme hoch erhoben und er darauf, mache ich mich auf den Weg zur Tür, darauf achtend, dass er sich nicht an der Decke stößt. „Tür aufmachen.“, befehle ich, als wir da sind, da ich beide Hände mit großem schwarzen Wollbüschel genannt Mokuba voll habe. Wer draußen vor der Tür steht, ist kein Nachbar. Wer draußen vor der Tür steht, ist fast 1.95 m groß, braunhaarig, geschniegelt, gut gekleidet, trägt einen grauen, langen Mantel zusammengefaltet über dem Arm und starrt mich und das Bündel entgeistert an. Ich muss lachen. „Du bist wirklich gekommen!“, rufe ich, stelle Mokuba achtlos neben mir ab und springe ihn regelrecht an. Unsere Lippen berühren sich nur kurz. Dann mustert er mich knapp. „Vorsicht, bissiger Hund.“, kommentiert er mein Outfit und ich hebe anklagend den Zeigefinger. „Du trägst kein Kostüm!“, kritisiere ich seinen Aufzug. „Natürlich tue ich das!“ Er wirft sich seinen grauen Mantel über und tritt ein. „Ich bin Seto Kaiba, sieht man doch!“, fügt er hinzu und zieht mich weiter in die Wohnung, um die Tür schließen zu können. „…“ Ich muss lachen. „Ja, das sieht man.“, sage ich und beschließe, mich nicht weiter an seiner Einfallslosigkeit zu stören, oder der Tatsache, dass ich mich hier total blamieren muss, während er mal eben in seinen Alltagsklamotten reinspaziert kommt. Er hat es sich redlich verdient, allein dafür, dass er gekommen ist. Dafür könnte ich ihn knutschen. „Großer Brudeeeeer!“, höre ich nur und Mokuba okkupiert, was ich gerade für mich beanspruchen wollte. Na, dann vielleicht später, denke ich, lache ihn an und ziehe die beiden zurück ins Wohnzimmer, wo sich nicht allzu viel verändert hat. Dann vielleicht später. Kapitel 2: Ein ungebetener Besucher - oder: Als ich die Bücher Seto Kaibas verschandelte ---------------------------------------------------------------------------------------- Ich hatte ihm ja eigentlich nur aufgemacht, um ihm seine blöden Schulbücher zu geben. In der Hoffnung, er würde das Eselsohr in „Mathematik 12“ und den Teefleck auf Seite 136 in „Biologie - Ein Handbuch für die gymnasiale Oberstufe“ nicht finden. Ist ja nicht so, dass ich vor ihm zu Kreuze gekrochen wäre, um ihn zu bitten, mir seine Bücher zu geben. Im Gegenteil. Er war die ganze Woche schon nicht in der Schule und hatte angemeldet, auch die nächste nicht zu kommen. Soweit ich verstanden hatte, flog er dieses Wochenende nach sonst wohin für internationale Übereinkünfte oder so einen Scheiß, und musste die letzten Tage, und Nächte, nehme ich an, dafür planen. So bat mich die Lehrerin, und fragt mich verflucht noch mal nicht, warum ausgerechnet mich, wusste doch jede Kanalratte, die ein Loch in unseren Schulmauern ihr Heim nannte, von unserer Fehde, ihm seine blöden Schwarten vorbei zu bringen. Und noch weniger verstehe ich, warum ich auch noch zustimmen musste. Ich erinnere mich nur noch an das bettelnde Gesicht meiner Lieblingslehrerin, mit ihrem entwaffnenden Kätzchenblick, und dann war schon alles zu spät. Doch bevor ich ihm den blöden, nutzlosen Stapel bringen konnte, ich gebe es zu, ich habe das Biobuch für meine Hausaufgaben benutzt, weil ich Seite 136 irgendwann mal für einen Papierflieger benutzt hatte, stand er schon vor der Tür. Freundlich wie immer, mit einer schlechte-Laune-Fresse wie drei Jahre Winter, meinte er nur: „Meine Bücher und zwar schnell, ich habe es eilig. Und gnade dir Gott, wenn du irgendwas Dummes damit angestellt hast.“ “Für wen hältst du mich, du arroganter Arsch!“, giftete ich zurück und hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil er mich natürlich mal wieder voll ertappt hatte. Blöd gelaufen. Und so ließ ich ihn wortlos stehen, auf der Suche nach seinen Büchern, die natürlich schon lange nicht mehr säuberlich auf einem Stapel lagen, sondern irgendwo in meinem Zimmer verstreut und eins sogar in der Abstellkammer, woran ich mich aber glücklicherweise rechtzeitig erinnerte. Als ich zurückkam, bewaffnet mit gefühlter dreißig Kilo schweren Oberstufenquälereien in Papierformat, bot sich mir das wohl schrecklichste und für mich peinlichste Schauspiel, das ich in den letzten Monaten gezwungen war, mit anzusehen. Ok, abgesehen vielleicht, von diesem Hallowien, wo Serenity sich als sexy-Zimmermädchen verkleidete und in meiner Schule auftauchte, mitten in der Stunde die Tür aufriss und „Überraschung, Joey-Brudiiiiii!“, rief, worauf ein langes Schweigen folgte. Ein paar Sekunden später brach einer meiner nicht so wohlgesonnenen Mitschüler die Stille, indem er Serenity darauf hinwies, dass ihr „rosa gepunkteter Omaschlüpfer“ unter ihrem Rüschenminirock hervorlugte. Wir beide liefen in fast genau demselben Augenblick knallrot an und der scheiß Mathelehrer witterte seine Chance zu einem hübschen Beitrag und forderte die Kleine auf, ihre unpassend gekleidete Person samt Omaschlüpfer augenblicklich seines Unterrichtes zu entfernen. Der darauf folgende Unterricht war die Hölle für mich. Nicht, was die Lehrer anbelangte, sondern eher, was die Schüler alles unternahmen, um mich daran zu erinnern, dass meine kleine Schwester manchmal doch ein wenig tölpisch war. Aber nun ja, ich will nicht ablenken. Ich kam jedenfalls in den Flur mit diesem Haufen Papiermüll genannt Kaibas Bücher, betend, dass er sie nicht durchgucken würde, oder, ach was soll’s, er würde es ja hundert pro tun, mich dann wenigstens nicht gleich dafür töten lassen würde. Doch Kaiba stand nicht mehr vor der Haustür, er stand mitten im Flur. Und ihm gegenüber, mit einem Sicherheitsabstand von vielleicht 2 Metern, mein Vater. Dabei hatte ich doch so gehofft, dass nie, ich wiederhole, nie jemand aus meiner Klasse auf meinen Vater treffen würde, denn mein Vater hatte die Angewohnheit, gerne Stunk zu machen, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Ich sah sein Gesicht nicht, da er mir den Rücken zugewandt hatte, jedoch könnte ich wetten, dass seine Laune nicht die beste war, denn er hatte die letzten Nächte mal wieder gegrübelt und kaum geschlafen. Die Arbeitslosigkeit tat ihm einfach nicht gut. Er ist ein Arbeitsmensch, mein Vater. „… nur eben etwas abholen.“, hörte ich Kaiba Gott sei Dank höflich sagen. „Sie sind Mr. Wheeler, nehme ich an? Josephs Vater?“, fragte er dann mit nicht allzu interessiertem Gesichtsausdruck. „Sehe ich so aus, als wär ich an diesem unerzogenen Bengel schuld?“, fragte mein Vater statt einer Antwort gereizt und Kaiba verzog minimal die schmalen Augenbrauen. Aus Überraschung, schien mir. Er schwieg. „Also, raus mit der Sprache, was willst du von Joe?“, wollte er misstrauisch wissen. Ich hielt die Luft an und wartete gespannt auf seine Reaktion. Da ich etwas im Schatten, nah an der Wand stand, nahm ich an, die beiden hatten mich noch nicht bemerkt. Zumindest hatte mich noch kein Blick getroffen. „Er hat ein paar Dinge, die mir gehören.“, antwortete Kaiba ganz ruhig und emotionslos. „Soso…“, hörte ich nur unzufrieden. „Sach mal, Kleiner…“, grummelte mein Alter vor sich hin, „Kommst mir bekannt vor, warste schon ma hier?“ Kaiba entwich ein sarkastisches Grinsen, ganz schmal nur. Ich hätte wetten können, dass der unhöfliche Tonfall meines Vaters ihn anpissen würde, aber er blieb weiterhin gelassen, jedoch verriet sein Blick ein gewisses Gefühl von Überlegenheit, als er antwortete. „Oh, glauben Sie mir, das hier ist mein erster und sicherlich einziger Besuch in ihrem Heim.“, sagte er leicht überheblich, obwohl noch immer vordergründig höflich. „Kommst du mir blöd, du Spießer? Hasste irgendein Problem, hm?“, fauchte er zurück und ich erwartete das schlimmstmögliche, jedoch ging ich nicht dazwischen, ich war viel zu gespannt, wie Kaiba reagieren würde. „Wie kommen Sie darauf?“, entgegnete dieser und die Herablassung war seiner Stimme jetzt schon deutlicher zu entnehmen. „Wie alt biste, Kleiner? 15? Und schon sone große Klappe, he?“ Mein Vater war gereizt, und sein Körper spannte sich langsam an, ich sah, wie sich die Fingernägel seiner Rechten in den Handballen gruben. „Sehen Sie… Es ist nicht mein Problem, wenn Sie sich grundlos angegriffen fühlen.“, meinte Kaiba, dieses unterkühlte Arschloch, immernoch vollkommen entspannt, wo ich schon längst Angstzustände bekommen hätte. „Du brauchst wohl auch ein paar Manieren, was? Die Jugend hat einfach keine Erziehung mehr!“, brüskierte sich sein inzwischen angriffslustiger Gegenüber und ließ Knöchel knacken. Nur Kaiba, dieses riesengroße, dämliche, überhebliche Snobgesicht, wusste wohl nicht, was gut und gesund für ihn war und hielt seine Klappe immernoch nicht. Nein, er setzte noch einen drauf. „Dann sollten Sie anfangen, etwas Gutes für die Jungend zu tun, und ihre Versäumnisse nachholen, indem Sie ihren Sohn wenigstens jetzt noch ein bisschen erziehen.“, schlug er mit einem unschuldigen Engelsgesicht vor. „Verfickter Klugscheißer, ich fang lieber bei dir an, was hältst du davon?!“, schrie mein Vater und machte sich daran, den Abstand zwischen ihnen schneller zu verringern, als mir lieb war. Kaiba schien weiterhin unbeeindruckt. Doch ich konnte ihn einfach nicht seine eigene Suppe auslöffeln lassen, immerhin war der Typ, der ihn gleich seiner Zähne erleichtern würde, mein Vater und somit meine Verantwortung. „Nein! Stopp!“, schrie ich gehetzt und eilte mich, zwischen die beiden zu kommen. „Kaiba, raus! Sofort!“, fauchte ich ihn an, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, während ich seine Bücher zu Boden fallen ließ und die Hände möglichst beruhigend auf die Schultern meines Vaters legte und ihn damit etwas zurückschob, auch wenn ich das Zittern schon in meinen Knien spürte. „Ruhe und scher dich aus dem Weg, dummes Gör!“, schrie mein Vater und wischte mich einfach zur Seite, so dass ich fast fiel. Doch ich fing mich und hatte nicht vor, aus dem Weg zu gehen, um ihn Kaiba zu Kleinholz raspeln zu lassen, der sich nicht vom Fleck bewegt hatte. Ich konnte es mir schon lebhaft ausmalen: Kaiba kriegte ordentlich ein paar gepfeffert und machte sich schließlich mit einem gebrochenen Arm und hübschen Veilchen davon, stieg in seine Limousine und drei Tage später kam die Klage bei uns an, mein Vater landete wegen Körperverletzung im Knast und ich landete beim scheiß Jugendamt. Nein danke. „Ich sagte, verzieh dich!“, schrie ich Kaiba über die Schulter an und bekam dank meiner Unaufmerksamkeit ein paar gewischt, was meinen Kiefer knacken ließ und mir ein Stöhnen entlockte. Jedes Mal erstaunte es mich wieder, wie viel Kraft und wie viel Aggression in diesem Mann steckte. Kaum viel größer als ich, schlank, auf den ersten Blick freundlich wirkend und trotz Arbeitslosigkeit immernoch gewissenhaft gekleidet und frisiert war er keiner von denen, die man auf den ersten Blick als Schläger abstempeln würde. Und eigentlich war er ja auch keiner. Er konnte sehr freundlich sein und sehr interessiert. Er hatte nur diese… Phasen. Wenn er mal wieder tagelang für ein Vorstellungsgespräch gelernt hatte und dann schon halb auf der Türstelle abgewiesen worden war. Oder wenn er seit Nächten nicht mehr geschlafen, sinniert und Stellenanzeigen gewälzt hatte. Dann wandelte sich seine Resignation langsam in Aggression um und ließ ihn nur auf eine passende Gelegenheit warten, um sie loszuwerden. Kaiba rührte sich immernoch nicht und ich stöhnte innerlich mehr über seine Sturheit als über den Schmerz. „Du hast doch mehr auf dem Kasten als Einstecken, Wheeler. Tu endlich was!“, forderte Kaiba mich kühl auf und ich drehte mich überrumpelt zu ihm um. „Spinnst du, das ist mein Vater!“, fuhr ich ihn an. „Du bist sein Sohn.“, sagte er, die Schultern zuckend. „Und stört es ihn?“ Er machte mich sauer. Er verstand das einfach nicht. Ich kannte meinen Vater doch, ich wusste, dass er nicht immer so war, und wenn er wieder ruhiger gestimmt war, tat es ihm Leid. Und ich verstand ihn ja auch irgendwie. Aber trotzdem hatte er mir gerade mindestens den Kiefer angeknackst. „Als ob das so einfach wäre, Klugscheißer!“, fauchte ich zur Antwort und wich einem Hieb aus. „Natürlich ist das so einfach. Oder willst du, dass er dich grün und blau schlägt?“, fragte er hochtrabend und verschränkte die Arme mit diesem „Du bist so bescheuert“- Blick, für den ich ihn töten könnte. „Sagst du gerade, wer ist denn schuld, he?“, antwortete ich angepisst, doch er störte sich wie erwartet nicht sehr daran. „Du bist einfach zu idealistisch, Wheeler.“, war sein dämlicher Kommentar. Ich wich einem weiteren Schlag aus, doch er streifte mich am Arm, was mir zeigte, dass ich meinem Vater mal wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zollen sollte, statt mich gerade jetzt mit Kaiba zu zoffen. „Und du bist einfach zu abgehoben. Sag mal, wo lebst du, dieser Mann ist meine Familie! Sorry, dass du keine hast!“ „Sag das mal dem, der dir gerade…“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern zog mich an einem Arm nach hinten, so dass ich stolperte und auf dem Allerwertesten landete. Die Faust, die mich im Gesicht getroffen hätte, wäre ich noch dort, wo ich eben war, sah ich erst jetzt. „… Das Nasenbein brechen will.“, fuhr Kaiba ungerührt fort und schubste meinen vermutlich kurzzeitig verwirrten Vater nach hinten, bis er strauchelte. „Halt dich da raus, Klugscheißer!“, grollte mein Vater, nun wieder am Gespräch beteiligt, nachdem er sich gefangen hatte und ging zurück in Angriffsposition. „Genau, halt dich raus und hau ab, auf der Stelle!“, pflichtete ich meinem Erzeuger bei und drängelte mich erneut zwischen die beiden. „Du bist erbärmlich Wheeler. Prügelst dich mit den dreckigsten Schlägern, aber lässt dich von einem wie dem fertig machen!“, versuchte Kaiba weiter, mich zu belehren. „Was interessierts dich?!“, schrie ich angepisst und wich weiter aus. Es wäre einfacher, wenn der Arsch endlich gehen würde, dann könnte ich mich jetzt einfach in meinem Zimmer einschließen und warten, bis er sich wieder abregte. Aber nein, Mr. Superschlau musste sich ja einmischen und auf großer Macker machen. „Gar nicht. Ich bin nur zufällig gerade betroffen!“, erklärte Kaiba und zu meiner Überraschung glaubte ich, in seiner Stimme einen gewissen Trotz zu erkennen. Oder vielleicht etwas anderes, aber es ließ ihn jedenfalls nicht mehr völlig kalt, was hier abging. „Duuuuuu Scheißkerl!“, schrie ich ihn an, kurz davor ihm eine zu scheuern für seine verfickte „Was geht’s mich an“- Visage und seine Unfähigkeit, wenigstens einmal auf mich zu hören, auch wenn er sah, dass es gerade unheimlich wichtig war. Doch ich ließ es. Nachher wäre ich noch auf gleicher Ebene, wie mein Vater. Und wieder musste ich mich ducken. Als ich aufstand bekam ich einen Ellenbogen in die Seite. Mit einem gedehnten „verfluuuu~cht“ sackte ich zurück auf den Boden. Ich sah die Faust auf mich zukommen, schloss die Augen, doch dann… Als ich sie nach zwei Sekunden wieder öffnete und keinen neuerlichen Schmerz spürte, fand ich mich mehr als verwirrt wieder. Kaiba stand halb über mir. Er hatte den Schlag geblockt. Ich sah, wie er das Handgelenk meines Vaters packte, ihn ruckartig vorwärts an sich vorbei zog und ihm schnell ein Bein stellte, so dass er der Länge nach fiel. Ich rappelte mich auf und wollte dazwischen gehen, doch es war schon zu spät, Kaiba ließ sich mit einem Knie auf seinem Rücken nieder, beugte sich über ihn und – ich weiß bis heute nicht, wie er das tat, doch er berührte ihn irgendwie mit einer seltsam verrenkten Handhaltung seitlich am Hals – legte ihn einfach lahm. Als er sich erhob und sich leicht die Hände abklopfte, regte sich mein Vater kein Stück mehr. Ich starrte ihn an, dann meinen Vater. „Scheiße, was hast du getan?!“, schrie ich panisch und schmiss mich neben ihm zu Boden, um zu sehen, ob er noch atmete. „Er ist bewusstlos.“, erklärte Kaiba achselzuckend. Im selben Moment spürte ich das pochende Herz an seiner Halsschlagader. Ich war so erleichtert wie schon lange nich mehr. Wütend fixierte ich Kaiba. Ich fand einfach keine Worte mehr, um zu beschreiben, was ich in diesem Moment über ihn dachte. Deswegen sagte ich nach kurzem Schweigen einfach nur: „Nimm deine scheiß Bücher und raus hier. Sofort.“ Meine Stimme war leise und klang ungewohnt und ungewollt drohend. Er schwieg und sah auf mich hinab. Als er sich nicht rührte, schrie ich ihn an. „Raus!!!!“ Meine Stimme überschlug sich fast. Er blinzelte noch einmal, dann bückte er sich, hob seine Bücher auf und verließ ohne ein weiteres Wort meine Wohnung durch die noch offene Tür. Ich hörte seine Schritte im Treppenhaus verhallen. Er sah nicht zurück. Drei Stockwerke tiefer fiel schließlich die Haustür zu und ich atmete erst da irgendwie erleichtert aus. Das war das erste Mal, dass Kaiba meine Wohnung betrat. Das zweite und letzte Mal war mindestens genauso aufregend, aber davon vielleicht ein andermal. Kapitel 3: Neutralisation á la Wheeler - oder: 45 Minuten und der Versuch, diese zu überleben --------------------------------------------------------------------------------------------- Wir hatten Chemieunterricht. Experimente mit Säuren und Basen. Genauer gesagt sollten wir eine möglichst perfekte Neutralisation auf die Beine stellen, deren pH-Wert auf Anhieb bei 7 lag. Das allein wäre nicht weiter schwierig, wenn ich nicht heute besonders viel Pech hätte. Um das zu präzisieren: Wenn ich nicht heute ausgerechnet mit Joseph Jay Wheeler zusammen arbeiten müsste. Und eben jener hatte natürlich die letzten zehn Stunden Chemie mit seinem Kumpel Tristan und jeder Menge Partien Käsekästchen, oder wie diese Dinger alle hießen, verbracht und hatte dementsprechend keine, aber auch gar keine Ahnung von dem, was er zu tun angewiesen war. Es wäre lustig gewesen, seine verzweifelten Versuche mit anzusehen und die skeptischen Kommentare der Lehrerin mit skeptischen Kommentaren meiner selbst zu unterstützen, wenn da nicht eine kleine störende Tatsache wäre: Joey Wheeler ließ alles explodieren, was auch nur im Entferntesten brennbar war. Diesmal brauchten wir nicht einmal einen Brenner, sondern nur ein kleines Feuerzeug, und doch hatte er in dieser Stunde schon eine Rolle pH-Papier verbrannt und einen Erlenmeyerkolben kohlrabenschwarz anlaufen lassen. Er war wirklich ein Pechvogel. Und ich war ein noch größerer, denn ich war dazu verdonnert worden, ihn die ganze Stunde lang zu ertragen. Ich hatte mich sogar so weit erniedrigen lassen, eine dieser schrecklichen Schutzbrillen aufzusetzen, bei Wheeler war schließlich alles möglich und ich fürchtete um mein Sehvermögen. Auch wenn ich mir jetzt unheimlich lächerlich und ein bisschen gedemütigt vorkam, ich war mehr oder weniger sicher. Was konnte so Schlimmes passieren? Ich trug lange Ärmel, feste Schuhe, meine Haare waren relativ kurz und ich ging nicht allzu nah an seine Experimente heran. Ich konnte auch von hier, einem Ort in 2 Meter Sicherheitsabstand, ganz gut erkennen, was für einen Mist er baute. Oder braute, je nach dem. Leider war es bisher noch jedes Mal zu spät gewesen, um „Bloß nicht!“, zu schreien, bevor er etwas zum Ex- beziehungsweise Implodieren brachte. Ich sah mich kurz um, doch was an den anderen Tischen geschah interessierte mich nur geringfügig mehr als meine eigene misslungene, traurige Neutralisation, an der sich Wheeler gerade versuchte, bis ich die Geduld verlieren und es selbst machen würde. Mein Blick schweifte zur Lehrerin, die das Geschehen hinter mir, vermutlich den werkelnden Joey, misstrauisch begutachtete. Ihre Augenbrauen verzogen sich finster und sie setzte sich in Bewegung, doch ehe sie auch nur einen Schritt machen konnte, hörte ich ein ahnungsvolles „Oh oh…“, hinter mir und als ich erschrocken herumfuhr, sah ich nur noch, wie er sich schnell unter den Tisch duckte, dann ein ohrenbetäubender Knall und Schmerz an vielen Stellen meines Körpers, meiner Haut. Ich hatte die Augen instinktiv zugekniffen und die Arme zum Schutz vor das Gesicht gehoben. Nach sekundenlangem Schweigen und absoluter Stille öffnete ich sie vorsichtig wieder und riskierte einen knappen Blick auf unseren Tisch. Joey lugte unter dem Tisch vor. Auf der Arbeitsplatte stand nur noch der Boden eines Gefäßes, das explodiert zu sein schien, die letzte Flüssigkeit rann aus dem zerstörten Kolben auf den Tisch und tropfte von der Kante. Das Glas schien in alle Richtungen gesplittert zu sein, aber der Großteil davon, so fühlte es sich zumindest an, steckte nun in meinen Armen, in meinem Hals, meiner Brust, meiner Seite, die ich ihm zugewandt hatte. Ich hätte es ahnen müssen. Chemie mit Wheeler war einfach viel zu riskant für eine öffentliche Person wie mich. Als ich die Arme sinken ließ und an mir hinabblickte, zeichneten sich die ersten Blutrinnsale auf meiner Kleidung ab. „Wheeler…?“, grollte ich, doch ich kam nicht mehr zu der geplanten Äußerung einer ernst gemeinten Morddrohung, denn in diesem Moment kam die Lehrerin bei mir an und blieb vor dem Tisch stehen, auf Joey herabsehend, der langsam und schuldbewusst unter dem Tisch hervorkrabbelte. „Joey… Was war in diesem Behälter???“, fragte sie langsam und mit todernster Stimme. Er wurde augenblicklich rot und hüstelte. „Ähm… Etwas Wasser und… Schwefelsäure…“, wisperte er unbequem und stand nun vollends auf. „Drei Tropfen Schwefelsäure, wie ich gesagt hatte?“, hakte die Frau nach. Er grinste verschwommen und sehr peinlich berührt. „Naja… Kann etwas mehr gewesen sein… Hab mich wohl… Ein paar mal verzählt, wissen Sie…?“, antwortete er leise und manchmal, dachte ich, manchmal könnte ich ihn einfach nur packen, schütteln und dann gaaaaanz langsam erwürgen… „Was noch?“, fragte die Lehrerin bedrohlich leise. Er schluckte. „Ähm…“ Er sah aus, als wolle er gleich wieder unter den Tisch zurück krabbeln. Und wenn ich er wäre, und ich danke Gott, dass ich es nicht bin, dann würde ich es auch tun. Wenn ihn die nette Frau Beamtin nicht umbrachte, dann würde ich ihre Versäumnisse mit Freude nachholen. „… Das da?“, fuhr er fort und deutete auf eine Dose am Rand des Tisches. „Die Frau bewegte sich ganz langsam, ohne den Blick von Wheeler zu nehmen, gen Dose und drehte sie dann so lange, bis sie das Etikett lesen konnte. Ich sah es von hier aus nicht, aber ich konnte mir denken, dass es eine Substanz war, die niemand, aber auch niemand anderer außer Joey Wheeler so blöd war, in Schwefelsäure zu kippen. Zumindest vermutete ich das angesichts des unheilvoll zuckenden Gesichtes der armen gepeinigten Dame. Meine Hand wanderte wie von selbst zu meinem Hals, um ihn abzutasten. Ich spürte viele kleine Glassplitterchen. Und ich fragte mich, wie Wheeler es geschafft hatte, davon verschont zu bleiben. „Joseph Jay Wheeler, wie kannst du nur so unvorsichtig sei - “, begann die Frau zu kreischen, doch Joey unterbrach sie, und das bedeutete entweder großen Mut oder grenzenlose Blödheit. Ich persönlich weiß ja, wofür ich meine Stimme abgeben würde… „Kaiba, du blutest!“ Für diesen schlichten Satz hatte Joey seine Chemielehrerin unterbrochen und somit sein Leben aufs Spiel gesetzt. Nicht dass einmal mehr oder weniger sein Leben aufs Spiel setzen bei einem wie Wheeler noch eine Rolle spielte, aber… Er kam auf mich zu und ließ die Frau einfach stehen, die immernoch vor Wut rauchte. „Ist mir nicht entgangen, Vollidiot.“, war meine kühle Antwort. „Aber hallo, schau mal deine Ärmel an“ Und da!“, er deutete auf einen großen Schnitt an meinem linken Handrücken, in dem noch die Scherbe steckte. Ich versuchte sie zu entfernen, doch ließ es schnell bleiben. Vermutlich würde ich mich beim Herausziehen noch mehr schneiden als auf dem Weg hinein schon. „Ähm… War ich das etwa?“, fragte er mit Unschuldsmiene. Ich hob zur Antwort nur die Augenbrauen. „Ah… Ups?“, brachte er hervor und wirkte etwas ratlos und mit der Situation überfordert. „Also… Sollte ich vielleicht… Soll ich dich ins Krankenzimmer bringen… oder so…?“, stotterte er verlegen. Ich könnte ihn jetzt töten. Doch statt einem tödlichen Dolchstich ins Herz bekam er nur einen scharfen Blick von mir. „DU – Tust gar nichts, Wheeler! Ich werde mich jetzt jedenfalls zum nächsten Chirurgen begeben und dieses Problem aus der Welt schaffen. Und du –“, ich warf der Lehrerin einen bedeutungsvollen Blick im Vorbeigehen zu und machte mich auf zur Tür, „Hast hoffentlich viel Spaß dabei, die nächsten drei Monate nach der Schule den Keller zu schrubben.“ Ich grinste diesmal nicht einmal. Ich schloss nur noch die Tür hinter mir. Dieser riesig untalentierte, idiotische, unfähige, dämliche… Ich machte mich mit meinen mörderischen Gedanken auf zum Treppenhaus, doch als ich die Tür öffnete, stoppte mich ein lautes Krachen hinter mir und schnelle Schritte, beinahe rennend, auf weichen Gummisohlen. Ich hätte es mir fast denken können. Ich seufzte entnervt und drehte mich zu ihm um. Fast hätte man mir den Schreck angesehen. Dass er so nahe vor mir stand hatte ich nicht erwartet. Uns trennten noch etwa 50 cm, was definitiv zu wenig war. „Du, Kaiba, hör mal…“ „Fass dich kurz, Wheeler!“, stutzte ich ihn zurecht. „Also weißt du, ich hab das nicht gemacht, weil du gerade du bist oder so, ich wollte dir wirklich nicht… Ich meine, es war halt ein Unfall, verstehst du, das kann ja mal vorkommen… Oder?“, er tippte seine Zeigefinger nervös vor der Brust aneinander, während er sprach und schaute mit gesenktem Kopf vorsichtig zu mir auf. „Es ist die Frequenz, mit der dir ‚Unfälle’ passieren, die mich beunruhig, Wheeler. Und jetzt nerv nicht, sonst überlege ich mir bei Gelegenheit einen hübschen Unfall ganz allein für dich.“, drohte ich. Er wusste genau wie ich, dass meine Drohungen unerfüllt blieben, doch er hielt dennoch einmal seine vorlaute Klappe, was mich beinahe wunderte. Ich musterte ihn noch einmal streng, dann ließ ich ihn stehen und ging ins Treppenhaus. Erst auf halber Treppe nach unten hörte ich seine leicht dumpfe Stimme noch einmal. „Ich wollte doch nur sagen, dass es mir Leid tut, du arroganter Arsch!“, schrie er mir nach. Diesmal musste ich grinsen. Und ich wusste nicht mal wieso. Aber so war er eben. Er ließ mich meine eigenen Reaktionen auf seine Taten nicht verstehen. Ein Blutstropfen rann von meinem Handrücken auf den Steinboden. Ich störte mich nicht daran und ließ ihn wo er war, ging weiter meines Weges, überquerte den Schulhof und stieg vor dem Tor in die Limousine, die dort seit dem Schulbeginn geparkt war. Mir war durchaus bewusst, dass er im zweiten Stock am großen Flurfenster stand, eine Hand an der Scheibe, auf seiner Unterlippe kauend und mir nachstarrend. Doch ich machte mir nicht die Mühe, ihm zu winken und ihn so darauf aufmerksam zu machen, dass mir seine Anstrengungen nicht entgingen. Vielleicht ein andermal… Kapitel 4: Gelinkt - oder: Als mir aufging, dass ein Wheeler nicht immer nur das hirnlose Etwas auf dem Stuhl hinter mir darstellt ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- „Weißt du Kaiba…“ Ich drehte mich nach dem Störenfried um, der es gewagt hatte, mich vom Arbeiten abzuhalten. Er war blond, schlecht frisiert und mit verplantem Gesicht, sowie einer kleinen Stupsnase gesegnet. Er grinste mich gerade an. Er hatte leise gesprochen, so als wolle er mir ein Geheimnis mitteilen, mit seiner leicht verschwörerischen Säuselstimme. Klar, der perfekte Augenblick dafür war ja auch der Englischunterricht am Donnerstagmittag. Und auch noch ausgerechnet Englisch. Wo doch jeder Idiot, sogar Wheeler, eigentlich wusste, dass die Schreckschraube von einer Englischlehrerin jedes Mal, wenn sie jemanden Tuscheln hörte, einen halben epileptischen Anfall bekam vor lauter Schreien und den Klassenraum so überschwemmte, dass sogar jemand wie ich mit immerhin 1.92 m Statur sich einen Rettungsreifen wünsche, um nicht zu ertrinken. Nun ja, zurück zum Thema. Joey Wheeler machte mich dumm von hinten an. Ich drehte den Hals zu ihm herum, um ihm einen halb genervten, halb arroganten Blick zuzuwerfen. „Ja, ich nehme an sogar eine ganze Menge mehr als du, Klugscheißer.“, kommentierte ich seinen dummen Beitrag und wollte mich schon wieder umdrehen. „Nein, weißt du, ich wollte nur sagen: Also wenn ich DU wäre…“ Mit einem Ruck drehte ich mich wieder zu ihm. Mit diesen schlichten Worten hatte er meine ungeteilte Aufmerksamkeit erzielt. Wenn ich du wäre… Ich hasste es. Ich hasste es, wenn mir jemand versuchte, mitzuteilen, dass er in meiner Position, in meinem Leben alles dreihundert Mal besser machen würde. Wenn ich du wäre… Wenn ich du wäre! Alleine wenn ich das schon hörte, bekam ich Kotzkrämpfe und Wutzitteranfälle. Nein, das würde ich ihm nicht durchgehen lassen. Sollte er sich doch von mir aus still seine Gedanken darüber machen, was er so tun würde, würde er mein Leben leben, aber mir den Mist auch noch unter die Nase zu binden war eindeutig zu viel. Arschloch. „DICH möchte ich gern mal in meinem Leben sehen, Wheeler! Du wärst doch schon längst krepiert, du untalentierter Nichtsnutz!“, fuhr ich ihn an. Vielleicht eine Spur zu laut für Donnerstagmittag während des Englischunterrichts. Mist. „Mr. Kaiba! If you think that Mr. Wheeler is more interesting than my class, so get off of my classroom now, inmediatly!!“, kreischte eine furchtbar schrille Frauenstimme zu mir herüber und ich wünschte mir ein Gewehr, um erst Wheeler und dann sie zu erschießen. Und wenn das nicht ging, dann wenigstens mich selbst. Verflucht. „I’m sorry, Miss. I really don’t think anything could be more interesting than your class, and Wheeler –“ „I don’t care, Mr. Kaiba. I told you to get out and I won’t argue with you. Hope you have a nice class cleaning the floor. Goodbye, have a nice day, Mr. Kaiba!“ „Maybe we could have a conversation about this event another time, Miss, wouldn’t you better have a look at your class now?“, versuchte ich es noch einmal vorsichtig. „GET OUT, Mister Kaiba, get out NOW, or I have to think about other consequences, if you aren’t able to follow the rules!“ Sie klang doch wirklich ernst. Sie wollte mich rausschmeißen? Nein, mehr! Sie wollte mich Gänge putzen lassen?? Und sie weigerte sich, das vernünftig mit mir auszudiuskutieren? Über diese Dreistigkeit hatte ich doch glatt Wheeler vergessen. Doch jetzt meldete sich der Kotzbrocken wieder. Er zischte mir ganz leise hinter meinem Rücken noch einen Abschiedsgruß zu, während ich meine Sachen zusammenräumte. „Wenn ich du wäre, würde ich mich nicht so schnell von meinem Sitznachbarn ablenken lassen, wenn ich eine so grässliche Lehrerin habe. Angenehmes Gänge putzen noch!“ Er kicherte. Ganz leise. Und erst jetzt fiel es mir auf. Dieser Arsch! Dieser miese kleine Rüpel hatte mich reingelegt! Er hatte mich mit Absicht provoziert, damit die Lehrerin sehen würde, dass ich in ihrem Unterricht mit Wheeler quatschte! So ein intrigantes… gerissenes, kleines Biest! Moment mal… Ich sprach hier von Wheeler… Wheeler war nicht intrigant und nicht gerissen. Er war verplant und strohdoof… Mein Blick muss wohl etwas verwirrt gewesen sein, als ich meine Tasche und meinem Laptop in die Arme klemmte und mich auf den Weg zur Tür machte. Doch an der Tür warf ich dem Blondschopf dann doch noch einen Mörderblick zu, damit er nicht auf die Idee kam, das noch einmal abzuziehen. Er schien unbeeindruckt. Wie immer. „You’ll get a message during the next days, Miss. Till then try to enjoy your job.“ Dann verließ ich den Klassenraum. Statt zu putzen verbrachte ich den Rest der Stunde, eh nur noch 7 Minuten, damit, über Wheelers beschissene Taktik nachzudenken und wie sein Hundegehirn überhaupt auf so eine Idee gekommen sein konnte. Ich kam zu keiner Antwort. Ein paar Tage später wurde ich von Wheeler freudestrahlend dafür beglückwünscht, dass ich ihm, mir und der ganzen Klasse den Schrecken aller Schüler vom Leib geklagt hatte. Ich wusste nicht so richtig, ob ich beleidigt oder geschmeichelt reagieren sollte. Ich entschied mich dafür, nicht zu antworten, doch irgendwo in mir drin, fühlte ich mich wie ein Samariter und erstaunlicherweise fühlte es sich gut an. Kapitel 5: Blackout - oder: Wenn ein Seto Kaiba nicht genug Zeit hat, um darüber anchzudenken, dass etwas Nettes zu tun seinem Image schaden könnte --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Ich spürte seinen Herzschlag. Er war ganz langsam. Mein eigenes Herz schlug wie wild. Ich hoffe, er spürte es nicht. Das wäre so peinlich… Obwohl, ich könnte es ja auf den Ausfall schieben. Jedenfalls spürte ich sein Herz, ich bildete mir sogar ein, es zu hören. Es war so nah an meinem Ohr. Er hatte meine Stirn an seinen Hals gelegt und mein Kinn lag auf seiner Brust auf. Sein Hals war glatt und schlank und ich spürte jeden Muskel unter dem Rollkragenpullover. Er war nicht sehr muskulös, nicht gerade ein Bodybuilder, aber er hatte einen kräftigen Körper, besser in Form, als ich von einem Büroheini wie ihm erwartet hatte. Und das wo er doch nie auch nur mehr als einen unnötigen Schritt zu Fuß machte. Und sein Herz schlug so langsam… Ich glaube, mein Herz hat noch nie in meinem Leben so langsam geschlagen, und seines tat das, obwohl er mich trug! Mich immerhin 64 Kilo schweres Etwas. Gut, er wiegt sicher mehr als ich, er ist zwar schlank, aber so groß… Ich glaube, er ist vielleicht 1,95 Meter groß. Es wirkt so einschüchternd, wenn man vor ihm steht… Nun ja, er trug mich. Und zwar nicht über die Schwelle oder sonst wohin, er trug mich nur von der Straße herunter. In der Mitte der Hauptverkehrsstraße hatte ich ein Blackout bekommen. Auf einem Schulausflug wohlgemerkt. Und er war eben leider die Person hinter mir, in dessen Arme ich gestolpert war. Und er war nicht aus dem Weg gegangen, hatte mich nur dumm angemacht, dann fester zugepackt und mich vollends auf seine Arme gezogen. Mein Herz schlug wie wild. Es war mir so peinlich. Gerade vor ihm. Dabei ist Joey Wheeler doch niemals krank, hat niemals Probleme und ist immer, immer fröhlich! Und jetzt schaffte ich es noch nicht mal allein über die Straße, bis es wieder rot wurde. Doch dann erreichte er den Bürgersteig, ging noch zwei Meter, bevor er mich seitlich auf die Beine stellte und mich, ungeachtet dessen, ob ich stehen konnte oder nicht, nach vorn direkt in Tristans Arme schubste, der mich Gott sei Dank noch festhielt und mir zur nächsten Parkbank half. Kaiba der Arsch warf mir nicht einen einzigen Blick mehr zu, doch ich starrte ihm unentschieden hinterher. „Danke!“, rief ich schließlich und zur Antwort bekam ich ein fast unmerkliches Winken seiner erhobenen rechten Hand, kaum mehr, als dass er seine Finger etwas bewegte, ohne dass er sich auch nur umdrehte oder stehen blieb. Dennoch war ich milde gestimmt. Manchmal ist er kein ganz so großes Arschloch, wie er es gerne hätte. Meistens ist das dann, wenn er nicht genug Zeit hat, sich zu überlegen, dass jemandem Helfen, etwas Nettes Sagen oder auch einfach nur nicht so ein unerträgliches Monstrum sein seinem Image schaden könnte. Kapitel 6: Die Portugiesin - oder: Was Joey wohl am wenigsten erwartet hätte ---------------------------------------------------------------------------- Sein Anblick jagte mir einen Schauer von Unbehagen über den Rücken. Ich war nicht ganz sicher, ob es wirklich an seinem ungewohnten Auftreten lag oder doch nur an dem Fakt, dass ich seine Visage einfach nicht ertragen kann. Er saß an seinem Schreibtisch, vornüber gebeugt und mit einem Arm um den Bauch geschlungen. Es sah etwas verkrampft aus, wie er da einhändig auf seiner Tastatur herumhackte und die Finger seiner anderen Hand von Zeit zu Zeit fahrig an seinem Pullover zupften. Seine Gesichtsfarbe wirkte noch ungesünder als sonst, blass, vielleicht etwas grünlich. Mir war klar, dass dies ein perfekter Moment wäre, um ihn so richtig zu ärgern, denn so wie es aussah, ging es ihm nicht gut und er würde sicherlich allein schon von meiner Anwesenheit reichlich genervt sein. Dennoch war ich froh, hier draußen zu stehen und seinen Anblick nur von hier aus der Ferne zu genießen. Ich zögerte und starrte noch einige Sekunden, doch er bemerkte mich nicht und tippte weiter, warf Blicke in Akten und Schubladen, verschiedenste Ordner und einen Kalender und wirkte im Großen und Ganzen sehr beschäftigt. Ich zwang mich, den Blick abzuwenden und weiter meiner Wege zu wandern, immerhin war ich ja nicht hierher gekommen, nur um einen Typen anzustarren, den ich in der Schule jeden Tag zur Genüge begaffen konnte und der es zudem nicht einmal wert war, mehr als einen schiefen Blick von mir zu empfangen. Als ich weiterstolperte, glaubte ich aus dem Augenwinkel zu bemerken, dass er aufsah, offensichtlich von meinen Schritten alarmiert. Doch dann war ich auch schon um die Ecke und bemühte mich, den jungen Mann aus meinen Gedanken zu verbannen. Immerhin musste ich dringend etwas mit meiner Tante besprechen, die peinlicherweise Mr. Kaibas persönliche Terminsklavin war, und es sollte mich einen Dreck interessieren, was deren Vorgesetzter an einem Freitagnachmittag im Büro tat, statt sich zu amüsieren. Jawohl. Etwa eine halbe Stunde später kam ich noch einmal an der offenen Tür vorbei. Und jetzt wusste ich auch, warum Mr. „Ich brauch Ruhe zum Arbeiten“ die Tür offen ließ. Auf seinem Schreibtisch standen etwa 4 Kaffeetassen übereinander gestapelt und in großer Gefahr demnächst zu kippen. Außerdem war er gerade dabei, ich hörte es schon 10 Meter vor der Kurve zu jenem Korridor, sich quer durch den Flur mit einem anderen Mann über irgendeine anstehende Versammlung zu beratschlagen, ohne dabei überhaupt aufzusehen. Kurz bevor ich in den Lichtkegel des Eingangs trat, überlegte ich es mir spontan anders. Ich wollte nicht, dass er mich sah. Aber im Moment war ich nicht sicher, ob ich mich unbemerkt an der Tür vorbei schleichen könnte. Ich wippte kurz auf den Zehenspitzen und zwirbelte mir unschlüssig eine Haarsträhne um den Zeigefinger, dann ging ich zurück zu einem Kaffeeautomaten an der Ecke und ließ mir von diesem einen dampfenden Becher Kaffee mit extra viel Milch servieren. Den schlürfte ich und wartete, bis das „Gespräch“ der beiden ein Ende fand. Nach ein paar Minuten schnipste ich den Becher in einen Papierkorb und kehrte zurück. Ich linste im Vorbeigehen ganz unauffällig ins Zimmer und achtete darauf, dass meine Turnschuhe nicht penetrant quietschten auf dem Linolboden. Er hatte das Tippen eingestellt. Stattdessen lagen beide seiner Hände um seinen Körper, um seinen Bauch, und die Finger der Hand, die ich sehen konnte, krallten sich regelrecht in seinen Pullover. Seine Stirn lag auf der Tischplatte auf und sein ganzer Oberkörper war somit nach vorn gebogen und gekrümmt. Ich sah, wie er seine Unterlippe zerkaute und die Augen schloss. Seine Schultern hoben sich unter zwei tiefen Atemzügen, dann stoppte seine Atmung kurz und er erhob die Stimme, ohne aufzusehen. „Marélle?“, fragte er laut und dennoch nicht so befehlend schneidend wie normalerweise. „Was gibt’s?“, antwortete eine Frauenstimme irgendwo dumpf aus der Ferne. „Bringst du mir ne Aspirin?“ Es folgte kurze Stille. „Das wäre die Dritte heute.“ „Ich bin nicht dement.“ Eine weitere Stille folgte. „Marélle?“ Die Stimme klang etwas angepisst, als sie antwortete. „Migräne schon wieder?“ „Nur Stress.“ Und wieder folgte Schweigen. „Marélle?“ Ich wartete mit angehaltenem Atem dem Gespräch, bis ich zusammenschreckte, als Schritte aus einem angrenzenden Korridor zu hören waren. Ich tat ein paar große erschrockene Sätze zur Seite und tat unbeteiligt, sah mich dennoch kurz nach der Frau um, deren Stimme einen leichten südlichen Akzent aufgewiesen hatte und deren Name „Marélle“ zu sein schien. Sie hatte einen dunklen Teint und ein freundliches Gesicht, eine gerade Nase und große dunkle Augen. Ihre gelbe Bluse zeigte einen minimalen Ausschnitt und sie schritt energischen Schrittes voran, ein Glas Wasser in der einen, eine Packung Tabletten in der anderen Hand. Kurz trafen sich unsere Blicke und ich wollte schon zur Seite treten, um sie vorbeizulassen, doch dann bog sie ab und trat in besagtes Zimmer ein. Das Glas klirrte ganz leicht, als es auf der Tischplatte abgestellt wurde und ich hörte etwas knacken, vermutlich irgendein verspanntes Körperteil Kaibas. „Danke“, hörte ich diesen freundlich sagen und es raschelte, als er die Packung öffnete. „Nimm das Zeug mit Wasser. Du solltest eh nicht so viel Kaffee trinken. Deine Nerven.“ Eine kurze Stille folgte und dann klirrte das Glas erneut. „Ich hab seit 30 Stunden nicht geschlafen, ohne Koffein wird das heute sicher nichts mehr.“ „Du bist unverbesserlich.“ Er schwieg. Sie stöckelte kurz umher, verließ das Zimmer aber nicht. „Marélle…“, hob er dann doch noch die Stimme an. „Hmhm?“, brummte sie fragend und ihre Schritte stoppten. Kleidung raschelte und ich nahm an, dass er aufgestanden war. Als er sprach, war seine Stimme ungewohnt leise und beinahe sanft. „Mach die Tür zu und gib mir einen Kuss.“ Ich stand auf der Stelle und mein Mund stand offen. Ich hätte ja nie erwartet… Ich wusste ja nicht… Ich konnte mir einfach nicht vorstellen… Ihre Stöckelschühchen setzten sich in Bewegung und ein paar Sekunden später schloss sich die Tür. Ich blieb noch einen Augenblick stehen, schluckte schwer und machte mich dann auf den Weg nach Hause. Immerhin gab es einen Freitagnachmittag herumzukriegen und der verging am schnellsten, wenn man sich amüsierte. Kapitel 7: Milch und Kekse - oder: Auch einem Kaiba entgleisen mal die Gesichtszüge ----------------------------------------------------------------------------------- Ich hatte schlechte Laune. Nicht, dass es irgendeinen Grund für dieses eigenartige Ereignis gäbe, ich war einfach am Morgen aufgestanden und hatte schlechte Laune gehabt. Und seitdem hielt sich diese mit eisernen Klauen in meinem Kopf fest und ließ mich bei allem, was ich heute tat, Langeweile, Sinnlosigkeit und Missgunst empfinden. Für mich stand fest: So konnte das nicht weitergehen. Dieses beklemmende Gefühl würde mir den ganzen Tag versauen und das gerade jetzt, wo ich doch soeben aus dem Schulgebäude getreten war. Ich sollte Spaß haben! Mich frei fühlen! Herumrennen und Blödsinn machen! Doch auf nichts davon hatte ich Lust, alles schien so blöd öde zu sein. Ich hätte mich in mein Bett gelegt und bis zum nächsten Morgen geschlafen, wenn ich nicht so ganz und gar keine Lust darauf gehabt hätte, mich hinzulegen. Tris warf mir einen prüfenden Blick zu. Er hatte mich schon den ganzen Tag mit seiner Fragerei nach meiner Laune genervt. Jetzt knuffte er mich nur noch und verabschiedete sich. Thea winkte und machte sich auch vom Acker und Yugi lief bis zur nächsten Straßenecke schweigend neben mir her. Ich spürte, dass er mich unsicher beobachtete, doch ich sah nicht zurück, geschweige denn ihm mitzuteilen, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Am Ende seiner Straße bog er ab und winkte freundlich, ich hob schwermütig eine Hand zum Gruß und drehte mich dann ab. Was sollte ich nur mit der Laune anfangen? Wie sollte ich so den Tag herumkriegen? Lustlos stapfte ich vor mich hin und überlegte, was ich tun würde, wäre ich erstmal zu Hause. Wer hätte ja auch ahnen können, dass ich so schnell nicht zu Hause ankommen würde… Ich folgte dem Weg, den meine Füße vorschlugen, ohne darüber nachzudenken, wohin ich sie setzte. Es kam, was kommen musste. Ich verpasste meine Straße und bog in die nächstfolgende ein. Da ich mich dort hinten nur selten herumtrieb, kam mir die Gegend nicht sehr bekannt vor und schon nach wenigen Minuten blieb ich stehen, um mich überrascht umzusehen und die saubere Wand, statt der eigentlich ein kleiner Park hier stehen sollte, kritisch zu begutachten. Nach ein paar Sekunden erkannte ich meinen Aufenthaltsort jedoch wieder und drehte seufzend um. Auf halbem Weg zurück hörte ich hastige Schritte. Jemand in der kleinen Seitengasse schien es sehr eilig zu haben. Sie wurden immer schneller, schließlich schien die Person zu rennen und auf einmal, mit einem leichten „Wousch“, sprintete ein ziemlich schnelles Etwas aus eben jener Gasse zu meiner Rechten an mir vorbei, wobei es mich leicht streifte. Ich sah ihm nach. Im Laufen sah es sich um. Unsere Blicke trafen sich und ich erkannte das Etwas. Er blieb stehen und bewegte sich für Bruchteile von Sekunden kein bisschen mehr. „Verflucht!“, meckerte er dann und stapfte auf mich zu. „Komm mit, beeil dich, wir müssen hier weg!“, erklärte er eilig und packte mich dann am Unterarm, drehte sich um und zerrte mich mit sich. Ich stolperte nur widerwillig hinter ihm her. Sein Mantel streifte meine Knie, als er die Richtung änderte und ich tollpatschig beinahe gegen ihn rannte. „Halt! Renn nicht so! Lass mich los! Was geht hier eigentlich ab?!“, beschwerte ich mich garstig und wollte mich losreißen, doch sein Griff um meinen Arm wurde fester, schmerzte schon, und er rannte weiter, schleifte mich hinter sich her. „Hör auf, dich zu wehren und renn, dein beschissenes Leben hängt davon ab! Und meins übrigens auch!“, fauchte er und zog weiter an mir herum. Ich biss mir auf die Lippe statt einer Erwiderung und ließ mich dazu herab, statt zu zappeln doch noch etwas aus eigener Kraft zu rennen. Sofort wurde Kaiba schneller. „Ich… Wo willst du hin? Und warum so schnell? Und was hat das mit mir zu tun?“, brach es nach ein paar Sekunden der Stille aus mit heraus. „Ich will nirgendwohin, ich flüchte, Wheeler! Und wenn du hier bleibst und sie dich finden, bringen sie dich vermutlich um!“ „Warum? Was hast du angestellt? Und warum sollten sie MICH umbringen? Und wer ist SIE??“, fragte ich weiter, inzwischen schon außer Atem, genauso wie er. „Weil sie wissen, dass wir uns kennen. Sie wissen alles über mich! Und frag nicht weiter, du machst es nur schlimmer!“, antwortete er atemlos und bog wieder einmal ab. Mir schien als würde er Zickzack laufen. „Aber warum wollen sie dich umbringen?“ „Je weniger du weißt, desto besser für dich, also halt die Klappe und frag nicht mehr!“ „Das sagst du so einfach, du hast mich doch da mit reingezogen!“ „Klappe! Du wohnst doch hier in der Gegend, oder?“, wollte er plötzlich wissen. “Da drüben!“, ich zeigte mit dem Finger die Straße entlang. „Ok!“, sagte er nur, dann bog er in eben jene Straße ein. Ohne mich loszulassen, rannte er weiter, mit der anderen Hand irgendwo in seinem Mantel. Als er sie wieder hervorzog, hielt er einen Revolver in der Hand. Oder eine Pistole, was auch immer, damit kannte ich mich nicht aus. Ich schreckte zurück, doch er zerrte unerbittlich an mir. „Schlüssel?“ „Wen willst du damit erschießen?“, fragte ich statt einer Antwort entsetzt. „Nur für den Notfall. Hast du einen Schlüssel?!“, fragte er ungeduldig und ich nickte. „Ist es noch weit?“ „Da, Nummer 12.“, antwortete ich und streckte den Arm zum Zeigen aus. Er folgte der Bewegung und schon waren wir da. Er ließ mich los und schob sich nah an die Wand. „Los, rein“ Schließ alles ab und warte mindestens drei Stunden, ehe du wieder auf die Straße gehst!“, forderte er mich auf und schaute sich nervös um. Als ich zögerte, fuhr er mich an. „Jetzt mach schon, bevor uns jemand sieht!!“ Ich biss mir wieder auf der Unterlippe herum, doch ich zog den Schlüssel aus meiner Hosentasche, schloss auf und warf Kaiba einen Blick zu. Er drehte sich zum Gehen, ließ mich jedoch noch nicht aus den Augen. Auch ich sah mich nervös um, dann packte ich ihn am Kragen und zog ihn hinter mir ins Haus. Endlich schloss ich die Tür und fühlte mich auf einmal wieder sicher. Ich lehnte mich nach hinten an die Wand und schloss die Augen für ein zwei Sekunden, atmete einmal tief durch. Als ich sie wieder öffnete, starrte er mich aus seinen eisblauen Augen ungläubig an. „Was soll das?“, fragte er unsicher und außer Puste. „Wenn das stimmt, was du sagst, bringt dich irgendwer um, falls sie dich finden. Also will ich nicht dran Schuld sein, dass sie dich finden!“, erklärte ich Hände fuchtelnd. „Das… Also – Das geht nicht! Wenn sie das je rauskriegen, steckst du so tief in der Patsche! Ich kann hier nicht bleiben, Wheeler, das brächte deinen ganzen Haushalt in Gefahr!“ „Ich wohne allein.“ „Deine Schwester!“ „Die können doch nicht – wart mal… Könnten die echt meiner Schwester was tun?“ „JA! Sag ich doch! Wenn die sich für dich erstmal interessieren, recherchieren sie. Und in einer Stunde wissen sie über dein halbes Leben bescheid!“ „…Glaub ich nicht…“ „Dann bist du selbst schuld, aber wie auch immer, ich kann hier nicht bleiben!“, er drehte sich um und wollte die Tür öffnen, doch ich streckte beide Hände an seinem Rücken vorbei und schloss die Tür ab, ehe er die Klinke hinunter drücken konnte. Den Schlüssel zog ich ab und ließ ihn in die Tasche gleiten. „Du gehst nirgendwohin!“, fauchte ich. „Wenn sie auch nur halb so viel über dich wissen, wie du behauptest, dann würden sie dich in meinem Haus am Allerwenigsten suchen!“ „Aber -“ „Kein Aber, hier findet dich niemand! Und jetzt sei still, sonst hört man dich noch auf der Straße!“ Er seufzte. „Du bist doch verrückt, Wheeler…“ „Damit muss ich wohl leben.“ Plötzlich entfuhr mir ein Grinsen. „Jetzt wo wir schon mal so gemütlich hier sind…“ Ich feixte breit. „Willst du Milch und Kekse?“ Sein Gesichtsausdruck war einfach unbezahlbar. Kapitel 8: Konfliktlösung mal anders- oder: An dem Tag, als unser Wortgefecht ein Ende in Schweigen fand -------------------------------------------------------------------------------------------------------- Alles fing damit an, dass ich mich mal wieder tierisch mit dem Arschloch gezofft hatte. Ich will jetzt gar nicht beschreiben, was bei dieser Auseinandersetzung so alles für Wörter fielen, jedoch kann ich dir versichern, dass keines davon wirklich jugendfrei war und in einer amerikanischen Talkshow sich das Ganze in etwa so anhören würde: „Du bist einfach nur so ein pieeeeeeeeeeeeeeeep pieeeeeeeeeeeeeeeeeeep piiiep! Du hast doch total pieeeeeeeeeeep pieeeep!!!!!“ Nun ja, zumindest war das mein Teil der Unterhaltung, während er, der Kotzbrocken, sich darauf beschränkte, mich seelenruhig mit Fremdwörtern zu titulieren, die ich noch nicht mal richtig genug schreiben konnte, um sie in einem Fremdwörterlexikon wieder zu finden. Aber das ist im Grunde ja nichts Neues. Es ist nicht so, dass ich einen beschränkten Wortschatz hätte, meine Deutschnote ist immer noch gutes Mittelmaß und das nicht ohne Grund, aber was der für Sachen raushaut, da frage ich mich ja manchmal, ob er die Bedeutung dieser Wörter denn selbst kennt, und ob diese überhaupt existieren oder er sich das ganze Zeug gerade spontan einfallen lässt. Wenn, dann hätte er aber jedenfalls eine blühende Phantasie und die traue ich einem Seto Kaiba eigentlich nicht wirklich zu. Nein, Phantasie ist so eines von diesen Dingen, die ein Seto Kaiba einfach nicht besitzt. Zu diesen Dingen, und ich bin schon wirklich froh, dass ich diese Liste der menschlichen Schwächen Seto Kaibas mit der Zeit aufzustellen in der Lage war, gehörten zum Beispiel auch musikalisches und künstlerisches Talent, sowie Einfühlungsvermögen, Höflichkeit, Anstand und Selbsteinschätzung. Leider gehörten all diese Dinge auch nicht zu den Eigenschaften, die Seto Kaiba gerne besäße, was heißen soll, dass es ihn nicht sonderlich störte, all diese wichtigen Fähigkeiten nicht zu besitzen. Jedenfalls hatten wir uns am Morgen, ok, eher gegen Mittag ziemlich heftig in der Wolle gehabt, ich meine, noch heftiger als normalerweise und irgendwann, als er mich als etwas bezeichnete, das ich ausnahmsweise einmal verstand, und das ich als zudem besonders beleidigend empfand (es handelte sich dabei um den einfachen Satz „Du bist doch einfach ein Schandfleck in der Natur und zu nichts zu gebrauchen, Wheeler“), weil es mich auf abstruse Weise an etwas erinnerte, das meine Mutter zu mir sagte, kurz bevor sie ausgezogen war, und das sie unglaublicherweise mit genau der gleichen abscheulichen Wortwahl auszudrücken gedacht hatte. Jedenfalls kam, was kommen musste. Mir riss der Geduldsfaden. Ich sah rot wie ein Stier und Kaibas Mantel bot mir ein hübsches Torero-Tuch als Angriffsfläche. Kurzum, ich holte aus und schlug ihm die Fingerknöchel meiner Rechten in die arrogante Visage. Der Schlag war so hart, dass er rückwärts fiel, auf dem Boden landete und sich gleich noch mal die Schulter an einer Wand stieß. Als er sich aufrichtete, lief Blut in Strömen aus seiner Nase und auch seine Lippen färbten sich schnell rot von dem Blut, das ihm langsam aus dem Mund sickerte. Er sah mich kurz und durchdringend an, spuckte dann einen Schwall Blut zur Seite auf den Asphaltboden des Schulhofes, Gott sei Dank hatten wir uns in einer abgelegeneren Ecke in die Haare bekommen, und wischte sich mit dem Ärmel über Mund und Nase, womit er aber alles nur noch hübsch breit schmierte. Dann schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder mir, stand auf, wobei er mir skeptisch betrachtete und legte einen Arm an seine linke Schulter, die offensichtlich etwas schmerzte von der unsanften Bekanntmachung mit der Turnhallenaußenwand. Bei seinem Anblick tat es mir schon fast wieder Leid, ihn so kräftig geschlagen zu haben, zumal das doch irgendwie nicht nötig gewesen wäre, und zumal unsere Keilereien in der Regel ohne Handgreiflichkeiten von statten gingen. Er kam schweigend auf mich zu und ich starrte ihn an wie versteinert. Ob ich Angst hatte? Aber wie ich Angst hatte! Nicht direkt davor, dass Kaiba jetzt zurückschlagen würde, ich war ja schließlich ein stadtbekannter Raufbold und verdiente mir meinen Ruhm, sondern vor der Möglichkeit, dass er mich nun verklagen oder vielleicht ein paar seiner Männer schicken könnte, die mich dann des nachts stillschweigend beseitigten, um mich später in einer 2 Meter-Durchmesser Paella-Pfanne schön weich zu kochen und an ein Rudel hungriger Bernhardiner zu verfüttern. Wohlmöglich noch garniert mit etwas Pfefferminze. Oh, ja, das würde ich ihm zutrauen. Der Gedanke daran ließ mein Hirn auf Hochtouren arbeiten und veranlasste mich schließlich dazu, leise etwas zu stammeln, das bei ihm etwa wie ein „Kaiba… Ich – ähm… Weißt du…“ ankommen würde. Doch besagter junger blutverschmierter Mann ging nur schweigend auf mich zu, ohne das Gesicht zu verziehen, und dann, ich glaubte es nicht, an mir vorbei. Hähä. Bis, ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, ich auf einmal am Arm herumgezogen wurde und Sekundenbruchteile in sein eiskaltes Gesicht mit den brennenden Augen darin blicken durfte, bevor ein starker Schmerz sich von meiner Wange über mein ganzes Gesicht ausbreitete und ich Blut schmeckte. Darauf, denn das war immerhin Mr. Freezer Seto Kaiba, darauf war ich wirklich NICHT gefasst gewesen. Ich sah noch, wie er sich die Hände an der Hose abklopfte, bevor er von dannen zog, dann ließ ich mit einem Stöhnen hinten überfallen, auf dem Boden lag ich eh schon. Man, von dem linken Haken konnte manche meine ehemaligen Gangkollegen nur träumen, und versteht mich nicht falsch, auf eine sehr seltsame Art war das als Kompliment gemeint! Nun ja, alles begann eben damit, dass wir zwei uns an diesem Morgen ein wenig zankten und nach dieser Auseinandersetzung, beide mit viel Blut im Gesicht, natürlich nicht wieder zurück in den Unterricht gingen, sondern uns lieber auf den Weg nach Hause machten, um uns die hässlichen Flecken aus dem Gesicht zu waschen und von unseren Gesichtern zu retten, was noch zu retten war. Kapitel 9: Quite a good match - oder: Der Tag, an dem selbst karierte Schlafanzüge stylish wurden ------------------------------------------------------------------------------------------------- Zum ersten Mal hier ein Kommentar, obgleich das Kapitel wie immer sehr kurz ist: Vieeeeelen vielen Dank an Joyla und Dark-Sora_atilein, meine treuen, wenn auch einzigen Kommischreiberinnen, ohne die ich diese FF schon längst aufgegeben hätte, da sie ja keinen zu lesen schien. Zum Kapitel: Die folgenden Stories sind eher als Lückenfüller gedacht und gehören zu den ersten, die ich geschrieben habe, also müsst ihr verzeihen, wenn sie kitschig, weltfremd oder einfach nur noch dämlicher als die anderen sind. Außerdem wollte ich anmerken, dass ich auch noch ein paar etwas längere Stories in der Hinterhand habe, von denen momentan aber keine beendet ist, wenn ihr also Geduld habt, kann ich den Anfang schon mal hochladen, falls es euch interessieren sollte. So, nun gehts aber los: ------------------ --------- Als er erwachte, taten ihm sämtliche Glieder weh. Er öffnete die Augen und wartete sekundenlang, bis die Welt um ihn her aufgehört hatte, sich zu drehen. Langsam nahm sie auch schärfere Konturen an. Er lag auf dem Rücken und der Himmel, den er anstarrte, war dunkel und eigenartig schattig. Es dauerte einen Augenblick, bis er den Himmel als Zimmerdecke identifizierte. Mit Holz verkleidet, alt und morsch. Mühevoll drehte er sich zur Seite. Und ihm wurde schlecht. Als er sich blinzelnd umschaute, entdeckte er einen buschigen schwarzen Wuschelkopf neben sich. Das Gesicht war von ihm abgewandt und er hatte sich ganz klein zusammengekuschelt. „Mokuba!“, rief er instinktiv und streckte die Arme nach dem Jungen aus. Seine Hände tasteten sich vorwärts und fanden den weichen Stoff eines Pullovers. Er ächzte und streckte sich und schaffte es, den Jungen zu sich heranzuziehen und so zu drehen, dass er sein Gesicht sehen konnte. Blass war er, doch verletzt schien er nicht zu sein. Sein Mund stand etwas offen und bewegte sich mit jedem leisen und langsamen Atemzug, den er tat. Die Brust hob und senkte sich gleichmäßig. So lange hatte er dieses zarte Gesicht entbehren müssen. So lange hatte er die kleine Stupsnase und die großen runden Augen nicht mehr gesehen. Und jetzt war er so friedlich, lag vor ihm und schlief. „Mokuba! Mokuba…“, entfuhr es ihm, als er von Erleichterung überwältigt die Arme um den kleinen Körper schlang und ihn an sich drückte. Seine Hände fuhren über den schmalen Rücken, über weiches und doch widerspenstiges, kräftiges Haar. In diesem Moment bewegten sich die kleinen Hände des Jungen, die Finger zuckten kurz und wanderten dann in die Höhe, legten sich an die Schultern seines Beschützers und drückten diese von sich. „Seto…?“, fragte seine quengelnde Stimme unsicher und leise. Er sah nur weißen fließenden Stoff, denn sein Gesicht lag in einem Meer aus Baumwolle. Aus Bettlaken. „Mhm…“, flüsterte Kaiba und ließ nicht von seinem Bruder ab. „Du erdrückst mich, Seto!“, maulte Mokuba da nur. Daraufhin ließ dieser etwas lockerer und Mokuba schaute endlich in sein selig lächelndes Gesicht, gleißend blaue Augen, die ihn entspannt ansahen. Kaiba entgegnete seinen Blick und fand tiefdunkelblaue runde Kinderaugen, die unschuldig zu ihm herübersahen. „Schön, dass du wach bist, aber jetzt lass mich mal los, bitte“, bat Moki nur und drückte sich noch ein wenig energischer von dem anderen los. Dieser gab widerwillig nach und hastig rappelte er sich auf, setzte sich im Schneidersitz vor seinen Bruder hin. „Wie meinst du das?“, fragte Kaiba überrascht. Auf diese Bemerkung konnte er sich keinen Reim machen. „Na, du warst jetzt immerhin 48 Stunden lang bewusstlos.“, erklärte er und klang dabei fast ein bisschen anklagend. Überrascht blinzelte Kaiba ein paar mal, schaute sich dann um und erkannte ein kleines Zimmer, ein paar Bücherregale und ein großes sehr flaches Futon, fast auf Bodenhöhe, auf dem er noch immer lag. Ächzend stemmte er sich auf die Ellenbogen, um einen besseren Überblick zu bekommen. „Und wo ist das hier?“, fragte er nach einer Weile. Mokuba lachte leise. „Nach dem Duell sind die anderen in einer kleinen Unterkunft eingekehrt. Sie wollten nicht nach Hause gehen, ehe du nicht wach bist. Joey wollte schon nen Krankenwagen rufen. Nur Tristan und Duke sind nach Hause geflogen.“, erklärte er und zählte an den Fingern ab, als müsse er sich noch einmal genau erinnern. „…Also… Das heißt, wir sind hier in einem… Hotel, nur mit Wheeler, Gardner und Muto, ja?“, fragte Kaiba skeptisch. Die Sache ging ihm gegen den Strich. „Also ein Hotel würde ich das hier jetzt vielleicht nicht unbedingt…“, setzte er zögernd an, doch weitere Antwort wurde Mokuba jäh erspart. Eine Klinke quietschte, und eine Tür ging auf. Hinter ihm betrat jemand den kahlen Raum. Kaiba schoss herum, so weit, wie es in seiner Position eben möglich war, denn er lag noch immer auf der Seite, auf die Ellenbogen gestützt und die langen Beine etwas angewinkelt. Noch ehe er den Besucher erkannte, streckte sich ihm eine Hand entgegen. Er starrte sie an. Eine schmale, zarte Hand, nicht blass, sondern von der Sonne leicht gebräunt, mit langen Fingern. Es folgte ein Arm, der in eine zierliche Schulter überging, ein dünner Hals, helle Haarfransen fielen luftig auf die Schultern hinab und… „Wheeler!“, entfuhr es ihm. „Tolles Spiel, Kaiba.“, sagte Joey und lächelte. Er wedelte etwas mit der Hand herum. Dann verzog er einen Augenblick lang nachdenklich das Gesicht. „Aber wer hätte ahnen können, dass du danach ne 2-Tage-Heilkoma-Phase einlegst?“, fügte er etwas pikiert hinzu, lächelte dann aber wieder, diesmal zu Mokuba. „Der Kleine hat sich Sorgen gemacht, weißt du?“ Kaiba starrte ihn mit offenem Mund an. Er wusste nicht, ob er sich über das Kompliment wundern oder die seltsame Bemerkung ärgern sollte. Als Joeys Blick zu ihm zurückkehrte, grinste er noch etwas breiter und beugte sich vor, wedelte wieder ein bisschen mit der Hand. „Nun mach schon!“, wies er ihn an. Kaiba verstand erst kein Wort, doch irgendwann begriff er, dass Joey ihm aufhelfen wollte. Ein Reflex stieg in ihm auf, die Hand weg zu schlagen, doch er zögerte nur kurz und packte dann zu. Joey lächelte und verstärkte den Griff, bevor er die Hand zu sich zog und Kaiba somit zum Sitzen kam, ihn dann mit einem kräftigen Ruck rückwärts auf die Füße zog. Einen Moment lang schwankte Kaiba, doch Joey ließ seine Hand nicht los und so fand er nach kurzem Schwindel doch noch zu einem sicheren Stand. „Wenn du dich traust, so das Zimmer zu verlassen, kriegst du noch Frühstück.“, meinte Joey dann und sein Grinsen wurde noch breiter. Was bedeutete SO? Was wollte Joey damit sagen? Als er an sich heruntersah, fand er die Antwort auf Anhieb. Er trug einen Schlafanzug. Eines von den scheußlichen Modellen, die er im Leben nie freiwillig tragen würde. Er war dunkelgrün und in verschiedenen Farbnuancen kariert, bestand aus dicker weicher Baumwolle. Die Hosenbeine waren ein gutes Stück zu kurz und die Ärmel waren zum Glück weit und nur halblang. Das Oberteil war eher ein Nachthemd, reichte ihm bis weit über den Hintern und war viel zu groß und zu weit. Skeptisch zog er eine Augenbraue hoch. „Ach komm, so schlimm ist es auch nicht!“, lachte Joey und begutachtete ihn nun ebenfalls fachmännisch. „Nein, eigentlich ist es geradezu ‚stylish,’ nicht?“, konterte Kaiba triefend vor Sarkasmus. „Aber du hast Hunger, oder? Also sieh doch einfach drüber weg. Die lachen bestimmt auch nicht!“ Dass er das für alle Anwesenden nur hoffen konnte, sagte er nicht. Er hatte auch keinen Hunger, doch sein Hals fühlte sich kratzig und trocken an und er war ziemlich durstig. Als keine Antwort und schon gar keine Zustimmung folgten fuhr Joey fort, zu raten, wie er Kaiba zum Frühstück bekommen konnte. „Tasse Tee? Kaffee?“, fragte er zweifelnd und schaute fragend zu Kaiba auf, der im Stehen immerhin fast einen Kopf größer war als er. „Mhm…“, nickte Kaiba dann und Joey war ganz überrumpelt von seinem Erfolg. „Zieh dich an, ich reservier dir ne Tasse Kaffee und Wasser oder so, ja?“ Kaiba nickte erneut und starrte Joey Stirn runzelnd hinterher, wie er das Zimmer mit federndem Schritt verließ. Er schien gute Laune zu haben. Mokuba folgte ihm grinsend. Die Tür ging zu und er war ganz allein in dem seltsam eingerichteten Raum. Na das konnte ja heiter werden… Kapitel 10: Drei kleine Worte - oder: Träume sind Schäume bis man sie von jemandem erfüllt bekommt -------------------------------------------------------------------------------------------------- Es war Anfang Dezember, als du es mir das erste Mal sagtest. Ich war so überrascht, dass mir die Kippe aus dem Mund fiel und ich dich einfach nur stillschweigend anstarrte. Du wirktest unruhig und ich sah dir an, dass du dich nicht wohl fühltest in deiner makellosen, hellen Alabasterhaut. Kein Wunder. Hingegen ein Wunder war für mich, dass ich diese Worte an einem leicht schneebedeckten Wintermorgen aus deinem Wund vernehmen durfte. Und es würde nicht das einzige Mal bleiben. Ich hätte es gern gleich noch einmal gehört, aber ich bat dich nicht darum. Es wäre unfair dir gegenüber gewesen. Ich wusste, was es dir bedeutete und abverlangte. Fakt war dennoch, dass wir nun schon seit Monaten in so einer stillen Übereinkunft zusammengelebt hatten. Ich hatte es dir schon oft gesagt. Mehr als oft, eigentlich ständig. Ich spürte ständig das Bedürfnis, dich wissen zu lassen, was ich dachte und fühlte. Ich mochte es, wenn du dann lächeltest. Du schweigst diese Sachen hingegen gerne aus. Solche Themen scheinen dir einfach nicht zu liegen. Und ich kann es dir schlecht verübeln. Aber ich arbeite hart daran, es dir abzugewöhnen. Ich wollte dir viel, viel Zeit geben und warten, bis es von allein irgendwann einmal kam. Ich wollte, dass du es mir sagtest, wenn du auch so fühltest und nicht einfach nur um der Worte willen, damit ich zufrieden war. Ich wusste ja, dass du gut heucheln konntest, als Geschäftsmann. Aber ich war kein Geschäft und ich wollte nicht, dass du mich zu einem machtest, mich als eines empfandest. Ich konnte in deinen Augen lesen, was ich hören wollte. Du musstest es mir nicht sagen. Und dennoch begehrte ich deine Stimme, deine Worte, deine Sehnsucht, dein Verlangen. Ich hätte ja nie gedacht, dass es kein leerer Traum war, den ich da manchmal träumte. Du wusstest immer, was ich wollte, wonach ich nich sehnte. Ich liebe dich dafür, dass du dir solche Mühe gibst, mir alle meine Ziele immer näher zu schieben und wenn sie sich nicht bewegen lassen, dann würdest du mich noch hintragen. Nur für mich tust du das, für mich ganz alleine. Und wenn ich mich strahlend bedanke, bekomme ich ein kleines Lächeln dafür. Und du schweigst. Früher, bevor das mit uns richtig anfing, hast du nie geschwiegen, selbst wenn ich mit tödlicher Stimme und gefletschten Zähnen „Halt endlich deine dreckige Fresse!“, schrie und dich anfunkelte, wie den Teufel persönlich. Du bliebst niemals still. Wenn du in der Nähe warst, spieltest du immerzu den Kommentator meines Lebens. Und meistens gefiel es mir nicht, was du über mich zu sagen hattest. Und jetzt tust du alles für mich. Du sprichst und schweigst und lachst und machst mir Frühstück und trägst mich auf den Armen ins Bett, wenn ich vor dem Fernseher oder über den Hausaufgaben weggenickt bin. Dich habe ich noch nie vor dem PC wegpennen sehen. Ich wünsche mir eine Gelegenheit, dir etwas Gutes zu tun, doch du bist zu selbstständig für mich, du brauchst keine Hilfe, du lehnst immer ab. Du arbeitest die ganze Nacht durch, findest keinen Schlaf, wenn du es endlich ins Bett schaffst, und trotzdem bist du so, wie du bist. So kräftig und unnahbar. Ich fragte mich, wie du das machst. Es muss ein Trick dahinter stecken. Gib es zu! Du lächelst leicht, küsst mich im Vorbeigehen auf die Nase und antwortest knapp „Es gibt keinen Trick, den du nicht schon lange kennst“ auf deine niedliche, poetische und irgendwie so erwachsene Art, bevor du das Zimmer verlässt. Ich schaue auf die leere Tür, die du hinterlässt, doch dann steckst du den Kopf noch einmal ins Zimmer und sagst mir, was ich so gerne von dir höre. Dass du mich liebst. Kapitel 11: Migrania - oder: Sag mal, macht ir das Spaß oder gibts für deine Pose auch nen Grund? ------------------------------------------------------------------------------------------------- „Schatz?“, frage ich in die Stille und schließe die Tür hinter mir. Stille. „Seto-Liebling? Arbeitest du immernoch?“, frage ich erneut. Es ist schon halb 2 in der Nacht. Du hast mir versprochen, heute vor Mitternacht mit der Arbeit abzuschließen. Aber du kannst dich ja nie von deinem PC trennen. Ich durchquere den Eingangsbereich und öffne die Wohnzimmertür. Eigentlich erwarte ich dich darin nicht, bin in Gedanken schon auf dem Weg ins Büro, um dich brutal von deinem Schreibtisch wegzuschleifen. Das Sofa und der Eckbereich sind leer. Kein Mensch in Sicht. Mein Blick schweift über den teuren Teppich. Du liegst vor mir und stellst ein 1.92 m großes Häufchen Elend dar. Du liegst auf dem Boden in deinem Wohnzimmer. Ich blinzle kurz. Wenn du nicht so vernünftig wärst, würde ich es für einen dämlichen Scherz halten. Oder glauben, du hättest ein Glass zu viel gekippt. Aber nichts von beidem ist in irgendeiner Weise typisch für dich. So muss ich wohl einen anderen Grund finden. Ich knie mich nieder. Unsicher. Aufgeregt. „Seto…?“, flüstere ich und stupse dich an. Du bist warm. „Seto. Darling…? Was ist los? Hey!“, ich berühre deine Wange und dein heißer Atem streift mich. Er beruhigt mich etwas. Vorsichtig drehe ich dich auf den Rücken und strecke dich aus, damit ich dich besser betrachten kann. Die Panik in meinem Bauch, in meinem Hals, unterdrücke ich, so gut es geht. „He! Bist du wach? Rede mit mir! Sag irgendwas!“, meckere ich mit immer lauter werdender Stimme, die mich selbst mit ihrem zitternden Unterton erschreckt. Du stöhnst zur Antwort und öffnest die Augen. Zwischen deinen völlig zerzausten Haarsträhnen hindurch findet dein Blick den meinen. „Joey…“, seufzt du und ich starre dich an, mit offenem Mund und dem Schreck in den Gliedern. „Ich dachte, du kommst diese Nacht gar nicht mehr nach Hause...“, hauchst du zu mir hinauf und ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. „Was ist los mit dir? Hast du Schmerzen?“, frage ich unsicher und streiche dir den chaotisch aufgelösten Pony aus der Stirn. „Ich bin ok… Mir ist nur ein bisschen… Schwindelig geworden.“, meinst du, nachdem du kurz die Augen geschlossen hieltst, als würdest du meine knappe Berührung genießen. „Und ich hab solche Kopfschmerzen… Mal wieder Migräne.“ Ich nicke knapp und knie mich vor dich, um dir aufzuhelfen. „Komm, ich bring dich ins Bett, dann sehen wir weiter. Soll ich einen Arzt rufen?“, frage ich ernst, doch du schüttelst schnell den Kopf. „Nein. Es dauert sicher nicht lange“, lehnst du ab, und obwohl ich nicht überzeugt bin, lasse ich dich selbst entscheiden und begnüge mich damit, dich beim Aufstehen zu stützen und dich dann halb schleifender-, halb tragenderweise die Treppe hinauf in unser Schlafzimmer zu befördern. Oben angekommen lässt du dich müde fallen. „Seit wann lagst du da schon auf dem Boden rum?“, frage ich dich leise, während ich mich neben dich fallen lasse. Du grinst unmerklich. „Nur ein paar Minuten, denk ich. Seit… etwa 10 vor 1 Uhr.“ Ich schweige kurz. „Es ist nach 2, Schatz.“ „Oh… Ich muss kurz… weggenickt sein…“ Ich küsse deine Stirn und ziehe dir die Schuhe aus, dann fallen meine eigenen Stiefel. Ich strecke mich weit und erhasche einen Zipfel unserer kuscheligen großen Decke, die ich über dich ziehe und mich anschließend mit darunter kuschele. Mit der freien Hand angele ich nach dem Lichtschalter. „Versuch zu schlafen, dann geht es sicher schnell vorbei.“, ermuntere ich dich und du gähnst prompt und verziehst sofort darauf das Gesicht, offensichtlich unter Kopfschmerzen. Dann nickst du. „Gute Nacht.“, nuschelst du leise und kuschelst dich an mich heran. „Nacht…“, murmele ich deine Schulter an und schlinge die Arme um deinen Rücken. Stille. Ich bin am Wegdämmern, als ich eine Regung spüre. „Joey…“, nuschelst du. „Hmm…“; gebe ich zur Antwort. „Ich kann nicht schlafen…“ … Kapitel 12: Geliebtes Unterbewusstsein - oder: Auf irgendeine abwegige Art und Weise bin ich froh, dass es dich gibt. --------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Du bist wie eine Spieluhr, die man nicht aufziehen muss und der man nicht den Strom abdrehen kann. Du bist immer in Bewegung, genau wie dein loses Mundwerk, ob man es nun will oder nicht. Du sitzt nicht gern wie andere Menschen ruhig und normal da. Wenn du schon einmal still hältst, dann sicherlich in einer sehr verrenkten Körperhaltung, mit verknoteten Beinen etwa, oder kopfüber. Wenn du mit deinem Schäferhund-Husky-Mischling auf die Straße gehst, bist du derjenige von euch beiden, der mehr bellt und zappelt. Ich weiß auch konkretere Dinge über dich. Du bist 1,74 m groß, blond, braunäugig, 17 Jahre alt und ledig. Du lebst in einer kleinen Wohnung mitten im Stadtzentrum, allein. Deine Eltern sind geschieden, seit du 9 bist. Deine Schwester zog mit deiner Mutter nach Tokio und du bliebst bei deinem Vater, zogst jedoch letztes Jahr aus, da ihr wohl Differenzen hattet. Deine Mutter unterstützt dich finanziell, dennoch brauchst du einen Halbzeitjob neben der Schule, um deine Lebenskosten abzudecken. Deine Lieblingsfächer sind Musik, Kunst und alle Sprachen, die du in die Finger bekommen kannst. Chemie und Bio magst du nicht. Du gehst gern joggen und spielst Fußball in einem Verein. Außerdem hast du in unregelmäßigen Abständen Öl- und Aquarellkurse und spielst für dich allein ein wenig E-Gitarre. Deinen besten Freund Tristan hast du schon in der Grundschule kennen gelernt. Er wollte dich damals eigentlich verprügeln, aber nachdem es drei große Jungs gebraucht hatte, dir deine Käsestulle zu klauen, befand man dich als würdig, gab dir dein Brot zurück und nahm dich in die Bande auf. Als du Yugi Muto trafst, hingst du das Schlägerdasein an den Nagel und begannst, dich mit diesem Kartenspiel auszutoben, dass uns alle einige Zeit in seinen Bann gezogen hatte. Doch nachdem wir des Öfteren in Schwierigkeiten geraten waren, gabst du auch das Spiel auf, der festen Überzeugung, ohne die Karten würden auch die Weltherrschaftsfanatiker aufhören, sich für dich zu interessieren. Du wirkst zwar auf den ersten Blick nicht so, aber auch du wünschst dir tief in deinem Bauch einfach nur ein ruhiges, erholsames, entspanntes Leben ohne allzu große Überraschungen. Obwohl du nicht gut in Japanisch bist, würde ich ein Wortgefecht mit dir durchaus als abwechslungsreiche Herausforderung ansehen, der ich mich jederzeit gern stelle. Und obwohl ich dir das niemals sagen werde, mir wäre in der Schule schon ziemlich langweilig, ohne die angriffslustigen Blicke, die du mir schickst, wo immer ich gehe und stehe. Du bist eine der wenigen Personen, die mich wenigstens soweit interessieren, als dass ich mehr als ihre Personalausweisdaten über sie weiß. Das macht dich zu etwas Besonderem. Und diesen Rang in meinem Leben erkenne ich dir ohne zu Zögern an. Dein Name ist Joseph Jay Wheeler. Auf irgendeine abwegige Art und Weise bin ich froh, dass es dich gibt. Meistens. Manchmal hasse ich dich auch. Aber ich schwöre dir bei Gott, bei meinem Bruder und meiner Firma, du warst mir nie egal und wirst es nie sein. Du bist der süßeste Störfaktor in meinem Leben, den ich je zu beseitigen gezwungen war. Kapitel 13: Dear Doctor House - oder: Heute schockt mich gar nichts mehr, ich habe einen Alligator mit Wheelers Frisur gesehen ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ Schule, arbeiten, Kaffee, arbeiten, mit Mokuba telefonieren, mehr Kaffee, arbeiten, Aspirin, arbeiten, arbeiten, Mokuba per Telefon ins Bett schicken, eine Koffeintablette nehmen (da meine Sekretärin schon lange zu Hause ist), arbeiten und am nächsten Morgen für eine Stunde nach Hause fahren, um zu duschen, einen Kaffee zu trinken und Mokuba in die Schule zu fahren, bevor ich selbst zur Schule gehe, wobei der einzige gute Grund, in die Schule zu gehen, darin besteht, dass ich in den Pausen arbeiten kann. So sah mein Alltag in der letzten Zeit aus. Ich denke, seit etwa 4 Tagen habe ich nicht mehr geschlafen, wenn man dieses eine Mal nicht mitrechnet, als ich gegen halb drei Uhr morgens auf meinem Schreibtisch eingeschlafen war und eine halbe Stunde später durch die elektronische Stimmnachricht "Einkommendes Fax auf Laufwerk D gesichert" aus den Lautsprechern meines Laptops geweckt wurde, mir kurz die Augen rieb, mich orientierte und dann mit Schrecken feststellte, dass mir eine halbe Stunde Arbeitszeit verloren gegangen war, die ich fest in den Soll-Plan des Tages mit einberechnet hatte. Ich hatte ja gedacht, dass sich nach spätestens drei Tagen der Schlafmangel nicht mehr so negativ auf meine Konzentrationsfähigkeit auswirken wurde, dass ich nach 72 Stunden ohne Schlaf daran gewöhnt sein müsste, immerhin könne ich ja genug schlafen, wenn dieser ganze Stress in einer Woche dann vorbei sei, doch jetzt merke ich, dass ich einfach nur noch erschöpft bin, dass es mir schwer fällt, mich auf einfachste Dinge zu konzentrieren, dass ich permanent mental völlig abwesend bin ,mich zusammenreißen muss, um nicht auf der Stelle im Sitzen, Stehen oder Laufen einzuschlafen und dass ich diesem ganzen Vorhaben einfach mal nicht im Mindesten gewachsen bin. Beim nächsten Mal weiß ich es besser und lege mir bei Zeiten einen anständigen Assistenten zu, der mir ein wenig Arbeit abnehmen kann, solange ich ein paar Stunden schlafe. Aber nun ist es zu spät. Es fehlen drei Tage und die muss ich nun auch noch durchziehen. Dann ist dieser schreckliche Abgabetermin vorbei und ich habe die Einigung mit dieser koreanischen Softwarefirma erfolgreich abgeschlossen, doch bis dahin führt kein Weg daran vorbei, ich muss dieses Programm rechtzeitig fertig haben. Und fertig heißt auch überprüft, ausprobiert und absolut fehlerfrei. Wenn ich die Koreaner nicht von meiner Kompetenz überzeugen kann, hat sich der ganze Aufwand nicht gelohnt und das wäre vermutlich das Ende. Allein der Gedanke, dass all dieser Stress, den ich mir gerade selbst mache, am Ende zu rein gar nichts führen könnte, ist absolut tödlich für den Rest Entschlossenheit irgendwo ganz hinten in meinem Gehirn. Ich frage mich eh, ob es inzwischen nicht schon reine Routine ist, die mich vorantreibt. von wegen Entschlossenheit. Sowas müsste man doch spüren, oder? Sowas müsste einen doch vorantreiben und vom Einschlafen abhalten! Naja, immerhin habe ich noch ein Ass im Ärmel. Sollte ich nicht rechtzeitig fertig werden, kann ich immernoch die Schule ausfallen lassen und diese Zeit zum Arbeiten nutzen. Wheeler lacht mich an und sagt, wir würden heute in Bio zusammenarbeiten müssen. Irgendetwas ist komisch an ihm, ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll. Es ist mehr ein Gefühl als eine Gewissheit. Und so etwas zu sagen passt ja eigentlich überhaupt nicht zu mir. Mutou grinst auf seine kindlich naive Art und wünscht uns beiden viel Glück. Ich will mich sofort ans Arbeiten machen, denn je schneller wir fertig sind, desto mehr der verbleibenden Zeit dieser Stunde kann ich für mein Projekt nutzen. Er lässt sich neben mir auf den Stuhl fallen und sucht eine leere Seite in seinem Ringblock. Erst jetzt fällt mir auf, was so seltsam an ihm ist. Er ist ganz grün im Gesicht. Und diese unglaublich große Nase dürfte auch nicht normal sein, oder...? Und... Diese Zähne, hatte er die schon immer? Und warum stiert er mich auf diese Weise an und... Oh mein Gott! Ist das Wheeler?! "Kaiba... Jetzt bist du dran!", grölt Haifresse Wheeler und packt mich an den Schultern, bereit, sich für alle Gemeinheiten, die ich ihm je an den Kopf geworfen habe, zu rächen. "Neeeeein!", schreie ich geschockt und weiche zurück, doch den Stuhl dort habe ich leider übersehen. Ich falle rückwärts, ich spüre Schmerz an meinem Hinterkopf explodieren und halte mir die Unterarme reflexartig vors Gesicht. Als ich sie wieder fortnehme, ist Wheeler verschwunden. Ebenso wie das Klassenzimmer, Mutou und dem Rest der Idioten, dem Mikroskop auf unserem Tisch und eigentlich allem, an das ich mich erinnern kann. Als ich mich umsehe, stelle ich fest, dass ich noch immer in meinem Büro sein muss. Draußen dämmert es und der PC und mein Laptop sind immernoch an. Der Anrufbeantworter zeigt vier Nachrichten an und auf dem Monitor blinken mehrere Meldungen. Ok... es gibt nur eine vernünftige Erklärung für das Ganze. Ich bin eingeschlafen, und das vor offensichtlich etwa 3 Stunden, ich hatte einen Alptraum und ich bin, peinlich aber nicht zu verleugnen, vom Stuhl gefallen. Und noch dazu, wie ich an einem roten Fleck auf dem Parkett hinter mir feststellen kann, habe ich mir den Kopf aufgeschlagen. Ich taste nach der Wunde. Ein stechender, aber nicht allzu starker Schmerz durchzuckt mich und als ich die Finger zurückziehe, sind sie an den Spitzen voll mit roter, klebriger Flüssigkeit. Ih brauche mir das Zeug nicht erst direkt unter die Nase zu halten, um zu wissen, dass es metallisch riecht. Ich stöhne genervt auf. All das hat mir nun wirklich so gar nicht in meinen Plan gepasst. Zudem ist es schon ziemlich spät und es lohnt sich nicht mehr, jetzt noch mit der Arbeit fortzufahren. Ich speichere alles ab und klemme mir mein Notebook unter den Arm, bevor ich mein Büro verlasse und mich auf den Weg nach Hause mache, wo ich duschen gehe und dann Mokuba wecke. Ich koche Kaffee während er sich fertigmacht und decke den Tisch für das Frühstück, zumindest für ihn, während ich mich nur mit einer dampfenden Tasse frisch aufgebrühten Kaffees auf einem Stuhl niederlasse. Schon stürmt Mokuba herein, wünscht mir einen guten Morgen und lässt sich schwungvoll mir gegenüber fallen. Während er sich Kornflakes in eine Schüssel schüttet und dann Milch darüber gießt, mustert er mich mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Irgendwann scheint ihm dann auch etwas aufzufallen, denn beinahe fließt ihm die Milch über den Rand des Gefäßes. "Seto, was hast du da?", fragt er mich misstrauisch, gleich nachdem er nur knapp den Tisch vor einer drohenden Überschwemmung gerettet hat. "Nichts, was meinst du?", antworte ich und versuche dabei so wie immerzu klingen, doch vor meinem Bruder scheine ich wohl doch nichts geheim halten zu können. Er macht ein ungläubiges Gesicht, springt vom Tisch auf und wandert einmal um mich herum, dass ich mich garnicht so schnell mitdrehen kann. "Ha!", stößt er aus, in diesem Ton als würde er gleich noch hinzufügen "Ich hab's doch gewusst!". Ich will mich umdrehen, doch er grabscht nach meinen Haaren und berührt dann mit dem Finger die Stelle, wo meine Haut aufgerissen ist und sich noch immer kleine Rinnsale unter dem getrockneten Blut hervorkämpfen. "Au!", bschwere ich mich, befreie mich endlich aus Mokubas kleinen Händchen und werfe ihm einen anklagenden Blick zu, den er jedoch nur ungerührt erwidert. "Also, was hast du angestellt?", fragt er mit einer Stimme, die ich einem so kleinen und so lieben Jungen bisher nie zugetraut hätte. "Ich bin nur... ähm... gefallen.", antworte ich mehr oder weniger wahrheitsgetreu und lege die Hand an den Hinterkopf damit er nicht auf dumme Gedanken kommen kann. "Soso, und du hälst es nicht für nötig, mir zu sagen, dass du eine Wunde am Kopf hast, aus der Ströme von Blut fließen, damit ich sie vielleicht besser verbinden kann?!", bohrt er weiter nach, immernoch mit dieser scharfen Stimme. "Bei mir meckerst du schon, wenn ich mir mal beim Fußball das Knie aufgeschrammt hab! Nennst du das etwa fair?", ereifert er sich nun weiter und mir bleibt beinahe der Mund offen stehen angesichts seiner Argumentationsreihe. "Schon gut, du hast ja Recht.", bringe ich schließlich besänftigend hervor und Mokuba stürmt davon, nicht aber ohne sich vorher noch einen großen Löffel Kornflakes in den Mund zu stopfen. Er kommt mit einem weißen Kasten wieder und grinst über beide Ohren und aus irgendeinem Grund kann ich den Gedanken nicht loswerden, er hätte das schon immermal machen wollen. Jedenfalls experimentiert er in der folgenden halben Stunde eifrig herum und am Ende habe ich zwei Tassen Kaffee getrunken, trage einen weißen Verband um den Kopf, den man wenigstens nicht gleich sieht, da er an den meisten Stellen von Haar verdeckt wird, und bin etwas in Zeitnot. "Ok, jetzt reicht es aber!", beende ich Mokubas Tätigkeiten jäh als er sich daran macht, den Rest des Koffers und dessen Tauglichkeit auszukundschaften. "Aufessen und dann fahren wir los, du kommst sonst zu spät!", sage ich in einem Ton, der keine Widerrede zulässt. Und das scheint sogar Mokuba einzusehen, denn mit einem Seufzen packt er den Koffer wieder ein, lässt ihn auf einem Stuhl stehen und stopft sich einen weiteren Löffel der inzwischen aufgeweichten Kornflakes in den Mund. Er hat dieses Grindsen auf dem Gesicht, das mir sagt, dass er sich im Mment für Doctor House irgendeinen Star von Emergency Room hält, und mich befürchten lässt, dass er seine unglaublichen Fähigkeiten heute in der Schule einer breiten Öffentlichkeit vermitteln wird. Aber ich muss vermutlich dankbar sein, denn noch peinlicher wäre es gewesen, wenn mir in der Schule stetig langsam Blutrinnsale aus dem Haar in den Kragen getropft und den Rücken hinuntergelafen wären. Während Mokuba mal wieder seine letzten Hausaufgaben jetzt noch macht, bringe ich im Bad meine Frisur etwas in Form und überprüfe, dass man den Verband auch ja nicht sieht, bevor ich das ganze mit einer Menge Haarspray fixiere, damit es auch ja nicht verrutscht, und dann endlich, ist auch Mokuba so weit. Ich weiß, dass Mokuba man wieder mit dem Klingeln in den Raum rauschen wird und ich selbst vielleicht ein paar Minuten zu spät kommen werde, aber seis drum, heute schockt mich schließlich gar nichts mehr, ich habe einen Alligator mit Wheelers Frisur gesehen. Kapitel 14: Tequila Sunrise - oder: Tony Blair wäre mir lieber gewesen ---------------------------------------------------------------------- Als ich erwachte, spürte ich bereits, dass etwas nicht in Ordnung oder zumindest nicht normal war. Ich blinzelte und starrte zur Decke. Ich brauchte nicht erst mein müdes Hirn zu überanstrengen, um sich sicher zu sein, dass er sich wie eigentlich jeden Morgen in seinem Bett, in seinem Zimmer befand. Und doch, irgendetwas war anders als sonst, irgendein Teil, vermutlich ein sehr abgelegener Teil meines Gehirns versuchte, mich an etwas Wichtiges zu erinnern, nur dass ich mich leider nicht mehr genau daran erinnerte, was es war. Ich gähnte und streckte mich ausgiebig, doch schon bei der ersten Bewegung spürte ich etwas. Etwas Warmes, Weiches neben mir im Bett. Ganz langsam drehte ich den Kopf, auf alles vorbereitet. Da lag tatsächlich etwas, jemand, neben mir, den Rücken zu mir gewandt und die Decke gab einen braunen Schopf, einen langen, blassen Hals und ebenso blasse, nackte Schultern frei. Mit einem mulmigen Gefühl und spitzen Fingern hob ich die Decke ein Stück an und schielte darunter. Ich war nackt. Ich was splitterfasernackt, nicht ein müdes Gramm Stoff trug ich am Leib! Und als ich die Decke noch ein wenig weiter hob, die Wangen leicht rötlich gefärbt, musste ich feststellen, dass für meinen Gast ebenfalls zutraf. Nun, wen immer ich mir da gestern nach dem siebten Tequila Sunrise ins Bettchen mitgenommen hatte, ob es nun Thea war oder Tony Blair oder bestenfalls eine sexy Brünette, die ich gar nicht kannte, offensichtlich waren wir nicht ganz tatenlos geblieben. Ich schluckte schwer. Ich erinnerte mich an nichts mehr, zumindest nichts, das sich nach diesem Amateur-Gogo-Auftritt von einem völlig getrunkenen Duke und der sich daraufhin radikal anheizenden Atmosphäre in der Disko ereignet hatte. Aber vielleicht sollte ich ja zuerst einmal herausfinden, ob ich die schnieke Braut da neben mir eigentlich kannte. Ich krabbelte auf alle viere und beugte mich vorsichtig, mit angehaltenem Atem über den Körper. Schnell schüttelte ich mir das Haar aus dem Blickfeld, um auch etwas sehen zu können. Na toll, große Brüste hatte sie jedenfalls nicht. Und zierliche Schultern auch nicht gerade… Lange, dünne Finger… Moment mal… Und dann das Gesicht. Verborgen hinter einem langen Pony und einzelnen Haarsträhnen eine gerade Nase, weiche Lippen… Hey, immerhin war sie nicht pickelig und hatte auch keine Zahnspange. Sie war nicht geschminkt… Vorsichtig und unstillbar neugierig schob ich ihr leicht den Pony aus dem Gesicht, bis… Nein… Nein! Ich legte den Kopf schief, beugte mich weit über den Körper meines Besuchers und… Oh Gott, es war real, es war die echte, grausame Wirklichkeit! Oh verdammt, allein der Gedanke, wir könnten… Wir hätten… Ausgerechnet ER! Niemals! Ein kalter Schauer schüttelte mich und vorsichtig ließ ich mich wieder auf meiner Seite des Bettes nieder. Das durfte nicht wahr sein, allein die Vorstellung, dass wir… Dass auch nur irgendetwas passiert sein könnte… Möge Gott, der mir immer gnädig war, ihn bitte nie niemals erwachen lassen, denn wenn er erwachte, dann war ich ein toter Mann! Wie konnte er das bloß vertuschen, es musste doch möglich sein, eine gute Erklärung für all das hier zu finden, die nicht unverzüglich mit meinem eigenen, qualvollen Tod endete! Problem Nummero 1 dabei: Seto Kaiba hatte einen leichten Schlaf. Und das würde ich spätestens nach dieser gemeinsamen Klassenfahrtshorrorszene nie wieder vergessen! … Vielleicht, auch wenn ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern konnte, wie wir uns gestern Abend getroffen hatten, hatte Kaiba ja auch genug Alkohol intus, um sich an nichts erinnern zu können und würde mir eine schnelle Notlüge abnehmen…? Egal, jetzt mussten erstmal Klamotten her. Ich sah mich um. Meine Kleidung vom Vortag lag zwischen Kaibas Kleidung überall auf dem Teppich um das Bett herum verstreut. Ein weißes Hemd hing an der Türklinke, außen, denn die Tür stand sperrangelweit offen. Ach du liebe Güte. Jetzt musste ich leise sein, wenn mir mein Leben lieb war. Eine Viertelstunde später war ich säuberlich frisch gekleidet und Kaibas Klamotten lagen ordentlich zusammengefaltet auf einem Stapel, inklusive der Krawatte und dem Gürtel, die ich im Flur gefunden hatte. Ich hatte geputzte Zähne und frischen Minzatem und eine perfekte Geschichte parat. Jetzt musste ich nur noch den Löwen wecken. Mit den Nerven bis zum Zerreißen gespannt stellte ich mich neben dem Bett in Position, auf der Seite, von der aus ich ihm ins Gesicht gucken konnte, und begann zu beten, im übertragenen Sinne natürlich. Vorsichtig legte ich eine Hand an seine nackte Schulter und wollte ihn leicht rütteln, doch schon bei der ersten kleinen Berührung regte er sich leicht, blinzelte verschlafen, bis sein Blick sich schließlich auf mir fokussierte. „Wheeler…?“, fragte er ungläubig und wohl noch immer halb im Traumland. Dann rieb er sich die Augen, strich sich die Sicht frei von Haar und setzte sich auf. „Wo bin ich, was ist passiert und vor allem: Warum bin… ich…“, was am Anfang noch anklagenden Charakter gehabt hatte, wurde immer leider und leiser und verebbte schließlich in geschockter Stille. Er sah an sich hinab, dann wieder zu mir auf, und schwieg dabei mit reglosem Gesicht. Die Ruhe vor dem Sturm. Hey, ich war auch gerade eben aufgewacht, nackt und mit einem ebenso nackten Erzfeind neben mir und mit der ziemlichen Gewissheit, dass hier irgendetwas gelaufen sein musste, an das ich mich nicht erinnern konnte. Machte ich deshalb so eine theatralische Szene daraus? … Ok, ich gebe es ja zu. „Ähm…“, begann ich etwas ratlos und sah ihn leicht beunruhigt an. „Wir waren gestern wohl beide ziemlich zu, was?“, fragte ich verlegen. Angesichts seiner ausbleibenden Reaktion malte ich mir eine kleine Überlebenschance aus. Doch dann sah mich Kaiba plötzlich sehr durchdringend an und mit sehr ruhiger Stimme, mich keine Sekunde aus den Augen lassend, fragte er mich: „Erinnerst du dich an gestern?“ Ich wurde darauf nur noch verlegener. „Also… weißt du…“, stammelte ich zusammenhanglos vor mich hin, doch unter seinem Röntgenblick verstummte ich sofort und schüttelte betreten den Kopf. Er nickte langsam. „Dann erzähle ich dir jetzt mal was.“, sagte Kaiba leise und wich war mir sicher, dass ich es gar nicht hören wollte, was auch immer er mir da zu erzählen hatte. Er würde mich eliminieren und dann rösten, so viel war klar. Zumal bei diesem ausdruckslosen, nichts sagenden Blick! Doch dann ließ er sich plötzlich einfach rücklings auf das Bett zurück fallen und gab mit einem ungläubigen und resignierten Seufzen von sich: „Du hast mich flachgelegt.“ Ich wurde dunkelrot und versuchte die Situation mit einem dümmlichen Grinsen und einem völlig daneben geratenen Witz zu retten. „Und… Wie war’s denn so?“ Er zog die Nase kraus und starrte zur Zimmerdecke. „Schmerzhaft.“, antwortete er schließlich schlicht. Ich schluckte schwer. „Äh… Kaiba…“, fragte ich schließlich irritiert , seltsamerweise nicht zitternd vor Angst sondern einfach nur verwirrt vom Ausbleiben seines Zornes: „Eliminierst und röstest du mich jetzt…?“, brachte ich schließlich hervor mit leichtem misstrauen in der Stimme, den Blick immer auf Kaiba gerichtet, der mit geschlossenen Augen und von sich gestreckten Gliedern da lag und offensichtlich deprimiert war. „Pf…“, machte er nur abfällig, öffnete kurz die Augen und schenkte mir einen herablassenden Blick. „Als ob ich auch nur stehen könnte, Wheeler.“ Kapitel 15: Vierte Dimension - oder: Was kein anderer kann ---------------------------------------------------------- Ich glaube zu wissen, dass Seto Kaiba zu genau drei Gesichtsausdrücken im Stande ist: Ekel, Wahnsinn und Selbstliebe. In Situationen, in denen jeder normale Mensch einen Ausdruck auf seine Visage zaubern würde, die nicht in diesem Accessoire enthalten ist, übertuscht er die Unfähigkeit zu einer solchen Äußerung mit einem desinteressierten, versteinerten Blick, der zumindest bei mir immer den Eindruck erzeugt, er sei eine aus Blei gegossene Statue eines rachebesessenen Hindugottes. Allerdings schafft er es doch meistens, wenn wir beide mal aufeinander treffen, eine der genannten, oder auch im Laufe des Gespräches alle drei, in seinem Möglichkeitsbereich enthaltenen Gesten zu vollführen. Daher gestaltet sich unser Gespräch meistens nach einem vorgefertigten Muster: Während ich so ziemlich jede Grimasse, die man sich vorstellen kann, mindestens einmal für ein paar Sekunden benutze und diese ständig wechsele, genauso wie meine Gesichtsfarbe und meine Körpersprache, begegnet mir der Bleiklotz zuerst sehr von sich selbst überzeugt, um mir dann später klarzumachen, dass ich in seinem Leben eine etwa so große Rolle spiele wie der Schlamm im Profil seiner Limousine nach einem Regentag, um mir danach noch einmal seine überwältigende Überlegenheit mit einer gut durchdachten Beleidigung zu demonstrieren und schließlich mit wehendem Mantel abzustolzieren, wobei er während der ganzen Schose nicht eine einzige Geste vollführt oder auch nur blinzelt. Nur manchmal, manchmal, ganz selten, schaffe ich es, etwas in sein Gesicht zu zaubern, und ich denke nicht einmal, dass er sich dessen bewusst ist oder dass er diesen Ausdruck mit Absicht vor dem Spiegel nachstellen könnte. Es ist so eine Art Ausdruck, die man nicht bewusst benutzt, die nur zum Vorschein kommt, wenn man vom Leben oder anderen Personen aufs Äußerste zu diesem provoziert wird. Was ich dann jedenfalls manchmal zu sehen bekomme, ist es wert, sich durchschnittlich viermal am Tag mit ihm anzulegen, ohne dass auch nur irgendetwas passiert, nur damit vielleicht einmal die Woche für den Bruchteil einer Sekunde sich eben jene Grimasse auf seine verglaste Visage legt. Ich glaube nicht mal beschreiben zu können, was zur Hölle er da eigentlich mit seinen Augen und seinen Mundwinkeln macht, dass es am Ende diesen Effekt erzeugt, ich kann nicht einordnen, was er da eigentlich präsentiert und bin mir ziemlich sicher, einen solchen Ausdruck auch noch nie auf dem Gesicht eines Normalsterblichen gesehen zu haben, und dennoch finde ich das Ganze so erstaunlich, dass ich dann mitten im Satz verstumme, ihn anstarre und mein eigener Gesichtsausdruck für Millisekunden versteinert und meine Wangen sich vor Aufregung blitzschnell mit kochendem Blut füllen und sich rosé verfärben. Dann schaut er mich wiederum an, als wäre ich etwas ganz erstaunlich Abstoßendes und zugleich Unverständliches und Unnachvollziehbares und zögert auch nicht, mir seine Meinung auf die eine oder andere Art mitzuteilen, was mich aber meistens nicht so trifft, wie er es gerne hätte, denn im Gegensatz zu ihm, habe ich ja das Funkeln in seinen Augen und das Zucken seiner Lippen bemerkt, den Augenblick, in dem ihm, für andere kaum erfassbar, die Fassade entgleitet. Doch kaum hat er sich wieder gefasst, kaum verlischt das Feuer in seinen Augen, ist alles beim Alten, alles bis auf meine Laune, die plötzlich einen Luftsprung macht, mich zu einem zufriedenen und irgendwie überlegenen Grinsen bringt und dazu, sämtliche Beleidigungen, die ich danach an den Kopf geworfen bekomme, hinunterzuschlucken und mich nicht einen Deut dafür zu interessieren. Ich weiß ja selbst nicht genau, warum ich mich eigentlich so freue über diese „andeutungsweise menschliche Regung“, aber es zeigt mir, dass sein kleines, verschrumpeltes, metallisches Herz irgendwo in ihm doch noch schlägt und Blut durch seinen Körper pumpt, statt Benzin, wie der Großteil der Menschen, die Seto Kaiba persönlich mal begegnet sind, inzwischen glaubt. Und mit ein wenig Stolz kann ich dann behaupten, dass ich, ICH und kein anderer, es geschafft habe, in sein ´Maschinenwesen einzudringen und dort für die Dauer eines Augenaufschlages etwas aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ich weiß, das ist keine von diesen Errungenschaften, für die einem ein dicker glänzender Pokal verliehen wird, den man sich dann ins Wohnzimmer stellen kann, was vermutlich der Grund dafür ist, das in meinem Wohnzimmer die einzigen Pokale ein paar unabgewaschene Gläser vom Vortag darstellen, und ich weiß auch, dass mich jeder, dem ich von dieser Leistung berichten würde, mich für verrückt erklärte, und trotzdem lache ich von Zeit zu Zeit in mich hinein und denke daran, dass ich dieses Etwas an mir habe, das kein anderer von sich behaupten kann, zu haben. Kapitel 16: Die perfekte Schnecke - oder: "Denkst du, über so etwas mache ich mir den ganzen Tag Gedanken?" ----------------------------------------------------------------------------------------------------------- „Weißt du, Kaiba-Boy…“, er verzieht das Gesicht bei dieser Titulierung, doch das juckt mich nicht: „Ich wollte dich ja schon immer was fragen…“ Ich grinse und kratze mir mit dem Ringfinger an der Nase, was nicht schwer ist, da meine Finger eh schon in meinem Gesicht herumgammeln, so wie ich dasitze, tief nach vorn gebeugt, die Ellenbogen auf dem Tisch und das Kinn in den Handflächen. Er hebt die Augenbrauen, macht ein täuschend interessiertes Gesicht und rückt sich in seiner wohlerzogenen und leicht arroganten Haltung zurecht. Er hat das eine Bein über das andere geschlagen, sitzt leicht zur Seite geneigt und hält die Hände zu seiner Rechten auf der Sessellehne verschränkt. Er nimmt sich die Zeit, kurz den Blick über meine Schulter hinweg durch den Saal hinter mir schweifen zu lassen, bevor er nachfragt: „Und das wäre?“ Ich feixe noch etwas weiter ob seiner leicht desinteressierten, distanzierten Art, doch dann fixiere ich ihn und seine eisblauen Augen. „Warum hast du eigentlich nie was mit einem Mädchen? Was Ernstes mein ich!“ Kaiba blinzelt kurz und öffnet scheinbar ehrlich erstaunt den Mund, doch bevor er etwas Unüberlegtes von sich geben kann, besinnt er sich noch einmal kurz und gibt dann etwas frech zurück: „Vermutlich nicht aus dem selben Grund, warum ich DICH noch nie mit einer Frau gesehen habe.“ „Ahaaaa!“, töne ich gekünstelt empört: „Und was denkst du, ist dieser Grund genau, hm?“ Er zuckt kurz die Achseln und schenkt mir einen dieser Blicke, halb herablassend, halb kumpelhaft, die nur er zustande bringt. „Ist doch offensichtlich: Du kriegst einfach keine rum.“, erklärt er sein Gehabe dann, wie üblich etwas borniert. „Ach ja, und du schon oder wie?!“ „Natürlich.“ „Aber?“ „Ich versuche es nur nicht.“ Ich strahle selbstüberzeugt. „Und das, mein Lieber, das ist, was mich zu dieser Frage bringt!“ Meine Stimme klingt etwas altklug und ich bringe es doch tatsächlich fertig, dass seine Mundwinkel fast unmerklich zucken, mehr kann man nicht erwarten. „Was soll das werden, ein Interview für die Klatschpresse?“, hüstelt er schließlich und verzieht die Augenbrauen skeptisch. „Was du schon wieder denkst, du Idiot!“, maule ich und ignoriere seinen Blick. Der meinige verfängt sich derweil in einem hässlichen Gemälde hinter ihm, in das eine verirrte Haarsträhne seines viel zu geordneten Schopfes ragt. Ich betrachte es mir interessiert, aber wenig begeistert, während ich spreche. „Was ich sagen will, ist… Ich meine… Versteh mich nicht falsch, aber du bist jung, reich, berühmt, nicht besonders hässlich und… Na ja, über den Charakter kann man ja hinwegsehen. „He!“, unterbricht er mich, offenbar nicht ganz einverstanden, doch ich lache nur. „War nur ein Witz, reg dich ab. Was ich sagen will ist: Du kannst doch jede haben, findet sich denn da gar keine, die dir gefällt?“ Schlussendlich findet mein Blick wieder den seinen. Er blinzelt und schweigt, grübelt scheinbar sogar ernsthaft. Nach einer Weile öffnet er den Mund und spricht leise und bedächtig. „Schon möglich, aber… Ich will eben keine von denen, die man so einfach haben kann.“ Seine Antwort überrascht mich. „Echt? Ich dachte, du willst so eine… Eine, die dich nicht mit Gerede nervt, die dich verehrt und bekocht, immer für dich da ist, dir ihr Leben widmet und dafür nicht die geringste Gegenleistung erwartet?!“, führe ich meine Vorstellung mit leiernder und sich doch überschlagend schneller Stimme aus. Er starrt mich skeptisch an und fragt dann nur: „Wie kommst du denn auf so einen Blödsinn?“ Ich mache den Mund unentschlossen auf und zu. „Na ich dachte… Wo du doch nicht magst, wenn man dir widerspricht, stur und uneinsichtig ist und… Na so wie wir zwei in der Schule damals, weißt du nicht mehr?“ Ich lache und er, wenn auch etwas überrumpelt, lässt sich dann doch mitreißen und zeigt den Anflug eines Grinsens bei dem Gedanken an unsere früheren Streitereien. „Das ist fast zehn Jahre her.“, meint er dann nur und schüttelt missbilligend den Kopf: „Dass du so was überhaupt von mir denkst…!“, er schenkt mir einen spielerisch beleidigten Seitenblick, doch ich lache schon wieder. „Also wenn das nicht stimmt, wie stellst du sie dir dann vor?“ „Wen?“, fragt er unverständig und ich verdrehe die Augen. „Sie, man, SIE, deine Traumfrau, die perfekte Schnecke!“ Jetzt verdreht er die Augen. „Denkst du, über so etwas mache ich mir den ganzen Tag Gedanken?“ „Na, den ganzen Tag nicht, aber so ab und zu schon… „Zum Beispiel?“ „Zum Beispiel… Beim Masturbieren?“ Kaiba straft mich für diesen Beitrag mit einem ungläubig-mitleidigen Blick. Ich zucke die Achseln und hebe abwehrend die Hände. „Hey hey, sorry dass du so abnormal bist, aber außer dir tut das jeder potente männliche Jugendliche.“ „Ich bin kein Jugendlicher.“, wehrt nun Kaiba ab und mein Blick ist Ausdruck genug. Er weiß ja, was ich manchmal von seiner weltfremden, über allem stehenden Einstellung halte. Auf ein kurzes Schweigen hin räuspere ich mich nur und fahre fort. „Wie auch immer. Erzähl doch mal, wie ist sie so, deine Traumfrau?“ Ein tiefer Atemzug und ein unterdrückter Seufzer heben seine Brust an, zumindest sieht es so aus, bevor er sich an der Schläfe kratzt und zu sinnieren beginnt. „Auf jeden Fall muss sie unabhängig sein. Finanziell, sozial…“, er trinkt einen Schluck Wasser aus seinem Glas und schwenkt die Flüssigkeit lustlos darin, die verursachte Welle dabei desinteressiert beobachtend. „Am Besten wäre es, wenn sie ihre eigenen Bekannten hat und man sie unbesorgt mal ein paar Tage allein lassen kann, ohne dass sie ein Drama daraus macht.“ Ich sehe ihn ernst an und lausche seinen Ausführungen. Er scheint sich wirklich Gedanken darüber zu machen. Um ihn nicht zu unterbrechen, stecke ich mir statt einen Kommentar zu geben nur ein Stück Brot aus einem hellen Flechtkörbchen in der Tischmitte in den Mund und kaue darauf herum, während ich weiter zuhöre. „Und sie darf auf keinen Fall eifersüchtig sein. Sie darf keine Konkurrenz in meiner Arbeit sehen und muss mir auf jeden Fall meine Freiheit lassen. Intelligent sollte sie natürlich auch sein und gut erzogen. Sie muss diskutieren und argumentieren können und auf keinen Fall eine langweilige Jasagerin sein. Er schweigt einen Moment und sieht mich an und durchforscht meinen Blick, als wolle er wissen, was ich davon halte. Doch ich gebe nichts preis, den Röntgenstrahlen in seinem Blick bin ich schon lange gewachsen. Schließlich muss ich lachen: „Wie philosophisch!“, kommentiere ich, dich was ich von ihm hören wollte oder zu hören erwartet hätte, würde er nie begreifen. Er rückt sich erneut zurecht und bohrt mich mit seinen Blicken an eine Wand fast 20 Meter hinter mir. „Und wie sieht es bei dir aus?“ Ich lasse eine kurze Stille wirken und antworte dann ohne nachzudenken: „Groß, blond, heiß, gute Hausfrau, gut im Bett, unkompliziert zu handhaben.“ Er starrt mich wortlos an und ich starre zurück, doch nach zehn Sekunden rutscht mir das unterdrückte Lachen dann doch heraus. „War doch nur ein Witz, man, nur ein Witz!“, kläre ich ihn Tränen lachend auf und seine Augenbrauen heben sich in einem skeptischen Bogen. Kapitel 17: Zwei Schlangen im tödlichen Angesicht - oder: Uns einmal im Leben wie Erwachsene benehmen ------------------------------------------------------------------------------------------------------ Das kleine Monster wartet geduldig, schau von mir zu ihm und zu mir zurück. Mein Blick schweift von meinem zwergigen Freund über meine Hand zu ihm. Er steht mir gegenüber und starrt genauso unwillig zu mir hinunter, wie ich zu ihm hinauf. Seine Augen wirken kalt und herablassend. Ich bin es gewohnt. Der Kleine stöhnt genervt. „Jetzt macht schon, seid nicht kindisch!“, fordert er uns auf, doch keiner von uns beiden macht Anstalten, nachzugeben. Wir fahren nur darin fort, uns feindselig begutachten. Vielleicht ein Meter trennt uns, unsere Nasenspitzen, Auge in Auge genau gegenüber. Um uns herum Yugi, Tris, Thea, Moki und meine kleine Schwester und allesamt verzweifeln sie an dem Versuch, uns dazu zu bringen, uns einmal im Leben wie Erwachsene zu benehmen. Doch aus irgendeinem Grund, vermutlich ist der Trotz daran schuld, habe ich ausgerechnet jetzt gerade überhaupt keine Lust, erwachsen zu sein. Wenn wir noch etwas durchhalten, gibt Yugi vielleicht auf. Ich jedenfalls habe nicht vor, den ganzen Nachmittag hier schweigend herumzustehen und er sieht auch nicht so aus, als würde er darauf großen Wert legen. Doch seit ich einen Blick in seine eisblauen Augen riskiert habe, komme ich davon nicht mehr los. Ich frage mich ernsthaft, warum er noch hier ist. Niemand zwingt ihn zum Bleiben. Das sind nicht seine Freunde, nur Mokuba ist hier und wenn er gehen wollte, dann würde Mokuba ihm ohne zu zögern folgen. Aber etwas scheint ihn davon abzuhalten, es sieht fast so aus als würde er mich, nur dieses Mal, nicht sofort als Idioten abstempeln und verschwinden. Vielleicht ist er sogar wirklich beeindruckt. Vielleicht hat er ab jetzt ja doch ein klitzekleines bisschen Respekt für mich übrig! Und es war schließlich auch ein echt gutes Spiel, das ich ihm geliefert habe. Einmal in meinem Leben habe ich nicht verloren! Ok, ich habe auch nicht gewonnen, aber ich habe ein Unentschieden erkämpft und ich bin so unendlich stolz darauf. Jedoch gebe ich mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen, denn ich weißt, falls er auch seine Meinung über mich auch nur um ein winziges, kleines Grad geändert hat, dann liegt es nicht am Spielausgang, er könnte es einfach Glück nennen, sondern einzig und allein an der Art, wie ich mich jetzt benehme. Ruhig und beherrscht, nicht wie er und ich wohl erwartet hätten, völlig durchgedreht, Freudensprünge machend und mich selbst den Größten, den Imperator und den Herrscher der Welt nennend. „Wenn du jetzt kneifst, rede ich nie wieder ein Wort mit dir!“, zischt mir Thea von der Seite zu. Ich würde ihr gerne einen giftigen Blick schenken, doch meine Augen kleben immer noch an Kaibas unglaublich blauer, ausdrucksloser Iris fest. „So schlimm kann es doch gar nicht sein, wirst es schon überleben.“, mutmaßt Tristan und ich kann sein Grinsen fast vor mir sehen, obwohl er direkt hinter mir steht. „Da siehst du es. Also stellt euch nicht so an, ihr zwei!“, murrt er und lächelt dann so widerlich aufmunternd. Mein Blick lässt endlich von den Augen meines Gegenübers ab und schlägt kurz nieder. Ich kaue auf meiner Lippe herum und sinniere. Alles, was ich tun muss, ist die Hand ausstrecken. Es ist kein Weltuntergang. Niemand erwartet von uns, ewigen Frieden zu schließen. Also was genau kann daran so schwer sein? Als ich wieder aufsehe, beobachtet er mich immer noch, fixiert mich, durchbohrt mich geradezu. Ich atme tiefer, bewusster, während ich in seinem Ausdruck irgendetwas zu entnehmen versuche, das vermutlich nicht mal da ist. Für Bruchteile von Sekunden schließe ich die Augen, kaum mehr als ein Blinzeln. Als ich sie wieder öffne und mein Blick seinem begegnet, geht es plötzlich wie von allein. Erst zucken nur meine Finger kurz, dann strecke ich den Arm langsam aus. Dabei schweige ich ausdauernd und nehme den Blick nicht für eine Sekunde von ihm. Er jedoch blinzelt und seine Aufmerksamkeit huscht für einen Augenblick von meinem Gesicht zu meiner ausgestreckten Hand und dann zurück. Hinter seiner Stirn kann ich es förmlich rattern hören, auch wenn er äußerlich unverändert bleibt, nicht einmal sein Blick verliert die geringste Ausdruckskraft. Ich komme mir schon langsam blöd vor, wie ich dastehe, denn er scheint meine Geste offensichtlich nicht erwidern zu wollen, doch dann, nach unglaublich langen 10 Sekunden, streckt auch er langsam die Hand aus. Noch zögert er kurz, seine Finger zucken einen Moment lang und ich glaube fast, in seinem Blick etwas erkennen zu können, das ich dort zuvor noch nie gesehen habe und das ich erstrecht nicht einordnen kann. Doch dann ist es schon wieder fort und er ergreift meine Hand. Im völligen Gegensatz zu meinen Erwartungen ist die seinige warm und seine Haut fühlt sich weich, glatt und gepflegt an. Wir wissen beide, dass die anderen nicht weiter als das hier erwarten, nicht mehr als diese eine Millisekunde, in der unsere Finger sich berühren, wollten sie sehen und sie wären zufrieden, wenn wir uns jetzt wie von der Tarantel gestochen losließen und uns gegenseitig verfluchten. Ja, sie erwarten es sicher sogar von uns. Doch wir tun es nicht. Kapitel 18: Not prepared - oder: Der Tag, an dem Seto Kaiba die Kontrolle über seine Kiefermuskeln verlor und die Ursachen dieses Ereignisses. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Plötzlich legte er eine Hand an meinen Kragen und zog mich zu sich hinunter. Die freie Hand schob er um meinen Nacken und dann küsste er mich ganz schnell, sodass ich nicht mal die Zeit hatte, reagieren zu können oder müssen. Doch genauso schnell ließ er wieder von mir ab, entließ mich aus seinem Griff und schaute mit diesem Blick zu mir auf, vor dem ich liebend gern geflüchtet wäre. „…Also?“, fragte er nach einer Weile ungeduldig, als klar war, dass ich unaufgefordert nichts sagen würde. Die Wahrheit ist wohl, dass ich auch gar nichts definier- und verstehbares herausbekommen hätte. Ich versuchte es mit einer Antwort, stammelte aber untypisch für mich nur dämlich vor mich hin: „Ich ähm… Also…“ Enttäuschung schlich sich in seinen Blick, doch er machte es mir kein bisschen leichter und sah mich nur weiterhin erwartend aus seinen großen, rehbraunen Augen heraus an. „Das ist nicht fair!“, beschwerte ich mich schließlich hilflos gestikulierend. „Du kannst mich doch nicht einfach, noch dazu ohne jede Vorwarnung, mal eben küssen!“ Er wirkte darauf glatt etwas verwirrt und musterte mich prüfend, so als wolle er herausfinden, was er von dieser etwas seltsamen Reaktion zu halten hätte. „Maaaan…“, stöhnte er nach einer Weile: „Das kann doch nicht so schwer sein! Hat es dir nun gefallen oder nicht?!“ Darauf hatte ich nun allerdings erstrecht keine für ihn zufrieden stellende Antwort mehr parat. „Nun ja… ähm ja, ich meine nein, ich meine, gefallen schon, aber…“, stotterte ich unwirsch, sichtlich bemüht, meinen Standpunkt in Worte zu fassen, während er mich skeptisch ansah und erneut genervt aufstöhnte. „Was denn nun, ja oder nein?!“ „Weiß nicht.“ Aus seinem Blick war unschwer zu lesen, was er von meiner Antwort hielt. „So was muss man wissen!“, ereiferte er sich, wobei es mich wirklich interessieren würde, woher er dieses Wissen nahm. Als ob man so was sofort wüsste…! Was wusste ich schon, ob es mir gefallen hatte oder nicht, immerhin war es… Nun ja, seltsam gewesen. „Schon irgendwie“, gab ich nichts sagend zurück, nach einiger Überlegung. „Dann antworte anständig!“ Ich warf ihm einen Blick zu. Einen etwas skeptischen Blick, der einem kleinen, blonden Strohkopf, gut einen halben Kopf kleiner als ich, der entschlossen zu mir aufstarrte, mal etwas in seine Schranken zurückweisen sollte. „Es geht nicht nur darum, ob es mir gefallen hatte. Auch andere Faktoren spielen da eine Rolle. Ich muss an ziemlich viele Dinge denken, bevor ich dir eine definitive Antwort geben kann.“ „Zum Beispiel?“, er klang trotzig und unverständig. Wie immer also. „Zum Beispiel… an Mokuba. Und an meinen Ruf. Und die Frage, ob ich so etwas mit mir vereinbaren kann.“ „Maaaaaan! Du sollst doch hier nichts mit dir vereinbaren! Du sollst überhaupt nicht denken! Es geht hier nicht um deinen Ruf und schon gar nicht um Mokuba, man! Es geht um Liebe, Romance, Kitsch, Sex, das ganze gefühlsduselige Zeug eben, alles, was Hollywood zu bieten hat, und es geht darum, vor allem darum, man, ob es dir gefallen hat!“ Bei der Erwähnung des Wortes Sex musste ich gegen eine automatisch aufsteigende Röte auf meinen Wangen ankämpfen und fragte mich, in welcher Verbindung für Wheeler ein kleiner dämlicher Kuss mit so etwas wie Sex stand. „Bist wohl nicht so der Checker auf dem Gebiet Hollywood-Schnulze, was?“, fragte er nach einer Weile der Stille und einem lautlosen Seufzen seinerseits, obwohl meiner Meinung nach das Recht zu seufzen ganz auf meiner Seite stand. Wieder schwieg ich verlegen, hatte aber nicht vor, den Grund meiner Stille näher zu erläutern. Er stöhnte auf eine übertriebene, theatralische Art und Weise. „Also: Hat es dir nun gefallen? Ja oder nein?“, fragte er und verdrehte die Augen, mit einem Gesichtsausdruck als rede er mit einem sehr, sehr alten Menschen oder zumindest mit einem Minderbemittelten. Nach langem Zögern antworte ich noch immer unsicher aber wie ich selbst doch annahm einigermaßen der Wahrheit entsprechend nur schlicht „Ja.“ „Na geht doch!“, raunte er leicht lachend, schlang die Arme Besitz ergreifend um meinen Hals, zog sich so auf die Zehenspitzen und mich weiter zu sich hinunter und küsste mich dann erneut, wobei er mich diesmal aber nicht so schnell wieder freigab. Als wir uns lösten, besah er mich skeptisch und fragte dann sachlich: „Also wie sieht’s aus, zufrieden? Schläfst du jetzt mit mir oder was muss ich noch machen?“, und während er sprach schob er bekräftigend mein Hemd hinauf und die Hände darunter. „Bitte was?“, rief ich überrumpelt und starrte ihn an. Zu meinem eigenen Entsetzen konnte ich spüren, wie sich meine Wangen rot färbten. Er lachte herzlich und drehte sich von mir weg, meinem Bauch und meinem Hemd nicht mehr die geringste Aufmerksamkeit schenkend. „War doch nur ein Witz man, krieg doch nicht gleich Stressflecken!“, feißxte er gut gelaunt und ich nutzte die Gelegenheit, da er nicht hinsah, sofort, um mein Hemd hinunterzuziehen und es sorgsam glatt zu streichen. „Was denn, willst du hier Wurzeln schlagen? Du musst mir noch drei Kapitel Mathe eintrichtern!“, erinnerte er mich nun, als ob überhaupt nichts vorgefallen wäre, und winkte mich dabei zum Schreibtisch hinüber, wo er es sich schon bequem machte. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich glaubte, mein Mund stand offen, während ich ihn anstarrte, obwohl ich mehr al einmal den Befehl an mein Hirn gegeben hatte, ihn zu schließen. Kapitel 19: Kamille und Lilien - oder: Wenn Vertreter und Potmänner auf sich warten lassen und ominöse Gestalten unter Apfelbäumen vorbeihuschen. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Ich sitze am Esstisch meiner kleinen Wohnung herum und schaue auf die Straße vier Stockwerke unter mir hinunter. Da hält gerade ein Fahrzeug vor meiner Haustür, das ich hier noch nie habe entlang fahren sehen. Um es ganz genau zu nehmen habe ich diesen Wagen das letzte Mal vor fast zwei Jahren gesehen. Ebenso wie dich. Na gut, dich habe ich in der Zwischenzeit schon ab und zu mal gesehen. Im Fernsehen oder in der Zeitung. Aber ganz in echt, live, in 3D und Farbe, habe ich dir tatsächlich das letzte Mal vor beinahe zwei Jahren auf unserem gemeinsamen Schulabschluss gesehen.Du warst natürlich Jahresbester mit deinem unglaublichen Durchschnitt von ungelogenen 1,1 irgendwas, während ich mit meinem eher durchschnittlichen Zeugnis nicht mal sonderlich unzufrieden war. Es war wirklich ein komisches Gefühl, als du den Raum verließest. Ich wusste sofort, dass ich dich nun für lange lange Zeit nicht mehr sehen würde, immerhin war die Schule das einzige, was uns verband, nachdem ich genau wie du das Duell Monsters Spielen an den Nagel gehängt hatte. Nun jedenfalls beobachte ich die Straße unter mir, wo die pechschwarze, glänzende Limousine gerade anhält. Du willst doch nicht etwa zu mir, oder? Sicher hast du irgendeinen Geschäftspartner, der ganz rein zufällig in meinem kleinen Mietshaus wohnt. Vielleicht ist das ja auch gar nicht deine Limo. Vielleicht gehört sie irgendeinem andern neureichen Spinner. Aber so viele von deiner Sorte gibt es in klein Domino ja nun auch wieder nicht. Die Wagentür geht auf und ich brauche weniger als einen halben Agenblick, um dich zu erkennen. Du trägst Jeans und ein enges Shirt, das so weiß ist, dass es fast meie Augen blendet. Deine Haare wirken etwas länger als früher, aber auf die entfernung kann ich mich auch irren. Dass du eine schmale, schwarze Sonnenbrille trägst, erkenne ich hingegen sehr gut. Dein Blickt schweift weiträumig über das Haus. Dann nickst du dem Fahrer deiner Limo rücklings zu und dieser wenidet geschickt und verschwindet dann. Während du ganz langam zum Hauseingang hinüberkommst, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie sie am Ende der Straße stoppt und einparkt. Scheinbar willst du nicht lange bleiben. Jetzt verschluckt dich die Überdachung des Eingangs. Ich warte ein paar Sekunden lang, doch als nichts geschieht, nehme ich an, du bist hineingegangen. Also willst du doch nicht zu mir. bloß gut. Obwohl...Ich wende mich vom Fenster ab und mache, seltsamerweise etwas schlecht gelaunt, das Radio an. In exakt diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür. Verblüfft fahre ich herum. Ich kann nicht glauben, dass das dort tatsächlich Du sein sollst. Vielleicht bist du es ja auch gar nicht... Sichr nur irgend so ein Verteeter, der zufälligerweise gerade jetzt in diesem Moment einen Staubsauger oder eine Lebensversicherung an mich verkaufen will. Am Besten, ich mache einfach gar nicht erst auf. ... Und wenn du es doch bist...? Sicher nicht. Aber wenn doch...? Ich stelle das Radio ab. Schweigen. Dann war es wohl wirklich ein Vertreter. Der ist längst wieder weg. Es klingelt erneut. Ich starre wie abwesend auf die weiße Tapete an der Flurecke, hiner der sich die Tür befindet. Wie in Zeitlupe stehe ich auf. Ebenso langsam gehe ich in den Flur. Es klingelt noch einmal. Aus einem plötzlichen Impuls heraus muss ich grinsen, dann stürme ich zur Tür und reiße sie auf. Nein, es ist kein Vertreter. "Hey, wie geht's? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Was machst du denn hier? Komm rein! Willst du Kaffee?", sprudele ich hervor und dein leibhaftiger Anblick vor mich lässt mich noch breiter grinsen. "Nein danke", sagst du nur schlicht und rührst dich nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich über dein komisches Verhalten zu wundern, bis ich dich erstmal eingehend mustere. Du siehst mich sehr ernst an. Dein Haar ist wirklich länger geworden und deine Haare ist noch etwas spitzer, als sie es früher war. Du wirkst müde, zweifelllos von zu viel Arbeit, und leicht fehl am Platze. Die Jeans sehen ungewohnt aus an dir, doch sie stehen dir dennoch. Immernoch schweigst du. Fragend schaue ich dich an. "Willst du zu mir...?", frage ich nach einer Weile zögernd und etwas verunsichert, obwohl das ein wenig doof klingt. Du nickst. Was ist nur los mit dir, wie du so vor mir stehst und mich anschweigst, ist es gar nicht deine art. Zumindest nicht so, wie ich es von früher gewohnt bin. Dein Benehmen macht mich ein bisschen nervös und lässt mich zögern. "...Willst du reden?", frage ich nach ein paar Sekunden der Stille. "Ja.", antwortest du nur. Na, wenn du so weitermachst, können wir das Reden für heute vergessen. Unsicher mache ich einen Schritt aus der Tür hinaus in den Flur und auf dich zu, lege eine Hand wie beiläufig auf deinen Rücken und schiebe dich beinahe in meine Wohnung hinein. "Jetzt komm doch erstmal rein!", fordere ich dich dabei auf, obwohl du schon drinnen auf dem Schuhabtreter stehst. Endlich schließe ich die Tür hinter uns. "Scheint was Ernstes zu sein, was?", frage ich dich skeptisch und begutachte dich misstrauisch. "Ich denke schon, ja.", antwortest du und siehst dich flüchtig um. "Hättest du vielleicht ein paar Minuten für mich? es dauert sicher nicht sehr lange, ich werde mich kurz fassen", bittest du dann höflich. Mann, ich hätte ja nie gedacht, dass du jemals in diesem Ton mit mir reden würdest! "Für dich hab ich den ganzen Tag Zeit", grinste ich freundlich ironisch, aber irgendwie auch ein wenig ernst gemeint. Du gehst nciht darauf ein, sagst nur mit einem undefinierbaren Nicken "Gut." "Komm mit.", sage ich darauf und drehe mich um. An deinen leiden Schritten hinter mir stelle ich fest, dass du mir ins Wohnzimmer folgst, wo ich auf ein Sitzeckchen deute und meinen Blick wieder dir schenke. "Setz dich. Soll ich dir Kaffe machen?", frage ich und mache mich ohne eine Antwort abzuwarten schon halb auf den Weg zur Küche, zumindest gedanklich. "Nein danke" "Äh... Sicher nicht...? Ich meine...", stottere ich überrascht nach, doch du schüttelst nur den Kopf. "Wirklich nicht." Auf einen neugierigen, durchborenden Blick von mir hin, fügst du seufzend hinzu "Das Koffein verträgt sich nicht mit meinen Medikamenten." Was für Medikamente?", hakte ich sofort misstrauisch nachm doch du winkst ab und vertröstest mich mit einem kleinen "Später." Kurz will ich protestieren, doch dann schlucke ich den Drang hinunter und setze mich in einen Sessel schräg neben dem Sofa, auf das zu dich soeben niedergelassen hast. Neugierig und gespannt will ich nun endlich erfahren, warum es dich hierher verschlagen hat, doch als ich den Mund öffne, um dich das zu fragen, bleibt er mir offen stehen und mir entfährt ein etwas ungepflegtes "Meine Fresse, bist du dünn geworden!", als mein Blick auf dein Profil fällt, auf das Nichts von einer Taille und deine Hose, die Falten schlägt an Stellen, wo meine Beine nicht mal hineinpassen würden. Du zuckst desinteressiert die Schultern. Schnell wende ich den Blick ab, denn dein nahezu ungesund schlanker Körper fängt meinen Blick als wäre er magnetisch geladen, was mir ehrlich gesagt ziemlich peinlich ist. "ich bin gleich wieder da.", entschuldige ich mich hastig und springe auf, mache mich doch noch auf den Weg in die Küche. Unwillkürlich überfliege ich im Flur die Bücherregale und finde es auf Anhieb: unser Abi-Jahrbuch. Ich kann nicht widerstehen, wie magisch gesteuert halte ich an und ziehe es aus dem Regal. Meine Finger blättern fahrig durch das Hochglanzpapier, bis ich deine Seite gefunden habe. sie ist fast leer. Ganz unten in der Ecke steht mit krakeliger Handschrift "Die Welt wird mein Imperium sein - muaharhahrhahrhaaar!", versehen mit einem grässlichen Smiley, der irre Lacht und Kaibas Frisur hat. Das ist auf meinem Mist gewachsen, aber hey, du hast es wirklich verdient, immerhin hast du meine Seite mit einem Hundetapser entstellt, genau an der Stelle, wo ich eigentlich meine extra für diese Seite in Stundenlanger Arbeit designte Unterschrift hatte hinsetzen wollen. Kunststück, es war die einzig freie Fläche auf der ganzen Seite, denn sie war so vollgequetscht mit Anekdoten, mit Witzen und mit Kommentaren von Yugi und Tris und Wünschen für die Zukunft von Thea, dass man die einzelnen Texte kaum entziffern konnte. Meine Rache ärgerte dich allerdings nicht hal so sehr, wie ich gehofft hatte. Du fandest es nur kindisch und dämlich. Dein Bild ist klein und schlecht kopiert, aber man erkennt es. Du wirkst schlecht gelaunt wie immer und guckst nicht einmal in die Kamera. Ich nehme an, dieses Foto ist ohne dein Wissen entstanden. Du wirkst schlank, doch kräftig und gesund. Vermutlich hast du das Essen komplett aufgegeben, seit Mokuba in Eurpoa studiert und du allein in dieser riesigen Villa haust. Noch ein letztes Mal lasse ich die Seiten durch meine Finger gleiten, dann klappe ich das Buch zu und lasse es wieder im Regal verschwinden. Als ich Sekunden später mit einem Glas Wasser in der Hand noch einmal daran vorbeikomme, begutachte ich es erneut etwas abschätzend, doch schließlich kehre ich ins Wohnzimmer zu dir zurück. Ich stelle mein Glas ab, lasse mich in meinen Sessel fallen, ziehe die Beine auf die Polsterf und sehe dich fragend an. "Also wenn du nach dieser Zeit schon freiwillig zu mir kommst, nur um mit mir zu reden, dann muss es schon echt ernst sein! Spucks aus, haben sie Mokuba mal wieder entführt?" Du hebst die Augenbrauen. Meine Stimme klingt unbeschwert und daran liegt es mir, aber eigentlich ist es mir sehr ernst. Leute wie du, die stehen nicht ganz plötzlich vor der Tür und wollen mit mir über Belanglosigkeiten reden, wenn sie mich noch nicht einmal leiden können. "Dann würde ich sicher nicht ausgerechnet dich um Hilfe anflehen", antwortest du sarkastisch. "Sei freundlich zu mir oder ich schmeiß dich raus!", warne ich dich, obwohl ich es sicher nicht tun würde. Naja, später vielleicht, wenn er mal wieder richtig beleidigend wirst und mit Fremdwörtern, die nicht mal der Duden kennt, um sich wirfst. Du allerdings scheinst es mir zuzutrauen. Du schweigst. "Sollte ein Witz sein.", tue ich ab und verdrehe die Augen. "Also worum geht es wirklich?" Du atmest tief durch und schlägst nun das andere Bein über das erste. "Ich bin nicht hier, um dich um etwas zu bitten. Eigentlich will ich dir nur etwas mitteilen. Ich dachte, es würde dir mehr liegen, als es später über die Medien zu erfahren." Du machst eine Pause und siehst mich durchdringend an, deine Stimme ist seltsam entspannt und ruhig und hat einen angenehmen, sonoren Unterklang. Ich starre nur wartend zurück. Bei dem Aufwand, den du hier betreibst, scheint es etwas Wichtiges zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, was ausgerechnet du mir so Wichtiges zu erzählen hast, dass du dich persönlich zu mir bequemst und dann sogar noch meiner Einladung nachkommst und Platz nimmst. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, denn du machst es ja auch ziemlich spannend. Doch je länger ich dich betrachte, wie du schweigst und starrst, desto sicherer bin ich, dass ich es eigentlich gar nicht wissen will. Eine erfreuliche Nachricht ist es jedenfalls nicht, die du mir da bringst. Düstere Vorahnung plagen mich ja schon unterschwellig seit deiner Ankunft. Du verbreitest eine eigenartige Stimmung in mir. Trostlos, ja so müsste man es nennen, trostlos. Wir schweigen noch eine ganze Weile, ich, weil ich mich nicht traue zu fragen, du... nun, wer weiß das schon, vielleicht ja, weil du dich nicht traust, fortzufahren. Doch nach zwei oder drei Minuten habe ich genug. Ich frage dich, etwas wankende Entschlossenheit in der Stimme, den Ponny puste ich mir dabei aus der Stirn und bin mir nun sicher, dass du darauf gewartest hast. "Was ist es?" Du siehst zur Seite und sprichst sehr leise. Deine Stimme hat nichts schneidendes mehr an sich. "Tödlicher Krebs im Endstadium. Es ist die Lunge." Erneut klebt mein Blick reglos an dir und ich versuche zu entziffern, ob du lügst. Doch du siehst nicht so aus, als würdest du lügen. Außerdem weiß ich, so wenig ich auch manchmal von dir halte, dass du über ein so selsibles Thema keine Witze machst. Du hast nie Witze über den Tod gemacht. Du bist erwachsen genug, um dem Leben seine Rolle anzuerkennen. Dennoch kann ich es nicht glauben. Auch jetzt wirkst du so wie früher, unantastbar, unübertrefflich. Unsterblich. Der Gedanke, dass dein Untergang, deine Niederlage von innen kommt, dass du dein eigener Feind bist und dich selbst besiegen wirst, wie es kein anderer vermag, ist auf eine abstruse Art logisch für mich. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun könnte, so schweige ich weiter und sehe dich an. Du guckst fragend zurück, doch ich will nichts sagen, mich selbst, oder eher uns beide, nicht in diese Verlegenheit bringen. Ich will dir nicht sagen, wie unglaublich beschissen, unfair, unbeschreiblich, unvorstellbar und grotesk ich das alles gerade finde. Ich will dir nicht sagen müssen, dass du mir Leid tust. Du würdest es eh nicht hören wollen. Ich würge die kleinen, sinnlosen Worte also hinunter, bevor sie mir doch noch über die Lippen rutschen, und höre mich stattdessen ohne jegliche Zustimmung meinerseits sagen "Ach deshalb bist du so dünn geworden." Du siehst mich eindeutig so an, als ob du noch auf etwas anderes warten würdest. Offensichtlich hast du noch mehr als diesen einen dämlichen Satz erwartet, doch ich halte auch meine Stammelei, die sich nach außen buddeln will, zurück und sage nichts weiter, was sollte ich auch sagen, wer weißt schon in so einer Situation, was er da sagen würde. Nichts, aber auch gar nichts, was man dann sagst, kann auch nur irgendetwas bewirken oder gar verbessern. Worte scheinen sinnlos gegen so viel geballte Ungerechtigkeit. Doch nach ein paar Minuten der totalen Stille, in denen ich dich aufmerksam mustere und du leicht mit dem Fuß wippst, während dein Blick im Raum umherschweift und kurz aus dem Fenster fällt, festigt sich meine Stimme wieder etwas. Plötzlich bin ich mir beinahe sicher. "Du lügst doch", prangere ich ihn fast beleidigt an, meine Stimme ruhig, aber etwas bissig: "Du bist echt ein ziemlich gemeiner Lügner, ich meine, lügen konntest du schon immer gut, aber ich hätte etwas mehr Respekt von dir erwartet! Warum bist du so abgrundtief gemein zu mir, warum spielst du mir so einen fiesen Streich, das ist doch sonst nicht deine Art, hm? Denkst du, das wäre lustig? 'Hey, ich statte Wheeler mal einen Besuch ab und verarsch ihn ein bisschen, vielleicht heult er ja sogar?!'", meine Stimme wird deutlich lauter, je länger ich spreche, und meine Hände schlagen sich in meinen T-Shirt-Saum in meinem Schoß. Du bist nicht beeindruckt und sollte mein Ausbruch irgendetwas in dir ausgelöst haben, nun, zeigen tust du es jedenfalls nicht. Langsam und sachte schüttelst du den Kopf. "Es ist wahr.", bestätigst du nachdrücklich und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Ich schüttele sehr energisch den Kopf darauf und fauche dich wütend an: "Nein, das ist es nicht, dann wärst du jetzt nicht hier, warum solltest du extra zu mir kommen, zu Joey Wheeler, und mir deine Nachricht persönlich überbringen, hm? Warum? Außerdem ist das total unmöglich, ich meine, wir reden hier nicht von irgendwem, wir redne von dir, von DIR! Und wenn es jemanden gibt, der immun gegen alles ist, dann bist du es, du kannst überhaupt nicht krank werden und unheilbar ja schonmal gar nicht!", knurre ich etwas hysterisch, anklagend und ziemlich tief gekränkt. Meine Stimme klingt gegen Ende etwas brüchig, so wie ich mich fühle, kurz vor dem Heulen. Doch du nickst ein weiteres Mal und bekräftigst erneut "Es ist wahr." Und dann heule ich doch noch oder sagen wir, ich bekomme zumindest etwas feuchte Augen. Ich will mir die Sicht freiwischen, bevor mir eine Träne aus dem Augenwinkel rutscht, doch vor dir ist mir das peinlich und vor mir selbst noch umso mehr. Warum flenne ich hier auf rum wegen einem Typen, den ich kaum kenne und schon gar nicht leiden kann und den ich seit Jahren nicht gesehen hab und der mir immer nur Ärger beschert hat?! Wegen dem Arsch, der mich so gerne und ausdauernd Streuner, Amateur, Versager, Wauwau, Loser oder Gossentöle betitelt hat und den ich morgens bis abends am Liebsten ständig verprügeln hätte wollen, wenn ich mich nur getraut hätte. Warum ausgerechnet wegen dem? Das ist doch absurd! Aber so absurd es auch sein mag, dein Anblick, wie du mir gegenüber sitzt mit deinen gefassten Gesicht und deinen kühlen, hellen Augen, verhindert, dass meine Augen wieder zum Trocknen kommen. Ich hasse dich dafür, fast mehr, als ich dir früher gehasst habe. Ich starre dich noch immer wutentbrannt an und hoffe insgeheim, dass meine verzerrte, anklagende Miene dich so ablenkt, dass du meine glitzernden Augen gar nicht bemerkst, da zauberst du eine Packung Zellstofftaschentüch aus der Hosentasche und ziehst eines heraus, das du mit einer raschen Bewegung des Handgelenks entfaltest. Dann stockt mir fast der Atem, als du es mir hilhälst, auf dem Sessel weiter nach vorn rutschst, dich dann auch noch weiter zu mir beugst und mir schließlich eine Hand aufs Knie legst. Ich wiederhole, deine Hand liegt auf meinem Knie und deinem Blick nach bist du niht einmla besonders angewidert. Ich schaue von dir zu dem Taschentuch, zu deiner Hand, zu dir, und ich weiß, mein Mund steht offen und vor Verwirrung ist mir glatt das Heulen vergangen. Als du ein wenig mit dem weißen Papierpaschentuch herumwedelst und mich undeutbar fixierst, nehme ich es dir mehr aus Reflex ab und wende mich dann demonstrativ zum Fenster hin weg, um mir die Augen flüchtig trocken zu wischen. Danach verspüre ich keine große Lust, dich wieder anzusehen. Dein Taschentuch riecht nach Kamille. "Tut mir Leid", murmele ich schließlich, mit dem Fenster redend statt mit dir, das Taschentuch lasse ich langsam mit beiden Händen gedankenverloren umklammert in den Schoß sinken. "Ich hätte nicht erwartet, dass ich dir Taschentücher ausgerechnet bei dir brauen würde.", gibt er zurück, doch es ist nicht zu deuten, was er mir mit diesem Kommentar sagen will. Ich pflichte ihm beinahe grinsend bei. "Das hätte ich erst recht nicht gedacht." Schließlich ziehe ich die Füße zu mir auf das Sofa und das Papiertuch rutscht mir dabei vom Schoß, ohne dass ich ihm Beachtung schenke. Mein Blick gilt wieder dir. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, es wäre Schulbewusstsein, was da in deinen hellen Augen zwischen den Wimpern hervorblinzelt, dein Blick ist gesenkt und schweift irgendwo links hinter mir knapp über den Boden, da, wo eine fröhlich wuchernde Topfpflanze so ungezähmt vor sich hinsprießt, dass ich Angst habe, sie wird mich irgendwann einmal zerquetschen. Du siehst nich wirklich groß und Respekt einflößend, sportlich und energisch aus. Du wirkst groß, aber schlaksig und fehl am Platze. Bist ja auch in meiner Wohnung, wo Topfpflanzen eine ernst zu nehmende Gefahr darbieten, das würde jeden einschüchtern. Ich entscheide schließlich, deinen Blick wieder auf mich zu lenken, indem ich das Gespräch fortsetze. "Wie lange weißt du es schon?", frage ich und deine Pupillen finden mich sofort. "Seit fast zwei einhalb Jahren.", sagst du leise und bringst mich zum Staunen. Vor zwei Jahren haben wir beide unseren Abschluss gemacht. Das war ein halbes Jahr vorher. Du hast es geheimgehalten, du hast mich jeden Tag gesehen, jeden Tag mit mir gestritten und doch nicht einmal auch nur mit einem Wimpernzucken verraten, was in dir vorging! "Warum hast du es mir damals nicht gesagt?!", will ich etwas verletzt wissen, weiß nicht mal, warum ich mich jetzt so persönlich beleidigt fühle. Du scheinbar auch nicht. "Was hätte es geändert?", fragst du achselzuckend. Eine ganze Menge, denke ich, doch ich schweige. "Außerdem dachte ich du dieser Zeit noch, es wäre eventuell heilbar." "Und ist es das nicht?", frage ich zaghaft nach. Du schüttelst den Kopf. "Die Therapie ist anstrengend und wirkungslos, für eine derart kleine Chance verschwende ich nicht meine letzten Tage." Mein Blick ist sofort empört und hellwach. "Es gibt eine Chance und du versuchst es nicht? Bist du total bescheuert oder was?!", fahre ich dich an, doch du lässt dich nicht provozieren, du antwrtest mehr als gelassen. "Ich will in Ruhe sterben, mehr erwarte ich nicht." "Arsch." "Wenn du meinst..." "Was sagst Mokuba dazu?" "Er weiß nichts von der Chemo, er würde sich sinnlose Hoffnungen machen." "Du hast ja leicht reden!", zische ich: "Dich braucht es ja dann nicht mehr zu interessieren, was mit deiner Familie geschieht, mit deinem Leben!" Du antwortest diesmal nicht sofort. "Stimmt...", gibst du nach einem Augenblick des Überdenkens zu. "Natürlich stimmt es!", bekräftige ich nachrücklich und dein Blick ruht nachdenklich auf mir, doch du antwortest nicht mehr. "Bist du dir ganz sicher, dass du es nicht versuchen willst?", frage ich nach einer Weile hoffnungsvoll nach. "Todsicher.", antwortest du und ein ironisches Lächeln schleicht sich auf deine entspannten Geischtszüge, mit einem Ellbogen stützt du dich auf der Lehne des Sofas rücklings ab, denn du sitzt sehr seitlich und sehr tief in die Polster hgesunken da, der andere liegt bequem auf deinem Bauch herum. "Spar dir deine blöden Witze!", fahre ich dich etwas grantig an und wider Erwarten verschwindet dein Lächeln. "Wohnst du alleine? Mokuba hat mir mal geschrieben, er sei auf Austausch in Australien." "In Sidney, ja." "Aber...", setze ich an, doch du schüttels den Kopf. "Es ist besser so. Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit im Krankenhaus verbracht und er braucht nicht zu erfahren, dass es so schnell bergab geht." Ich blinzle. "Du verschweigst es ihm? Ernsthaft?!, will ich ungläubig wissen und starre dich an." "Natürlich meine ich es ernst", meinst du achselzuckend und lehnst dich noch weiter zurück. "Und irgendwann steht er guter Laune morgens auf und findet eine Nachricht auf dem AB, in der ihm irgendein Gerichtsmediziner erzählt, dass sein großer Bruder letzte Nacht in irgendeinem Hospiz still und heimlich verreckt ist", kommentiere ich bitter und wohl auch in gewisser Weise respektlos, aber es stört dich nicht einmal. Du nickst nur. "Kann sein. Besser für ihn als mich sterben zu sehen." Ich bleibe schon wieder still und mein Blick ruht auf deinem knorrigen Leib. "Und wer sieht dich dann sterben?", frage ich leise und ernst. Wieder zuckst du die dünnen Schultern. "Niemand vermutlich. Hoffe ich." "Ich besuch dich.", biete ich ohne zu zögern an. "Nein.", lehnst du aber mit fester Stimme ab, ohne zu zögern, ohne auch nur nachzudenken. Ich schiebe meine Finger im Schoß ineinander und betrachte sie mir ruhig. Die Antwort war nicht gerade unerwartet für mich. "Wie viel Zeit bleibt dir noch?" Du zögerst. "... Unsicher. Vielleicht ein halbes Jahr. Vielleicht noch eine Woche." "So schnell?!", sprudelt es aus mir heraus. Du beugst dich erneut vor und nimmst einen Schluck aus meinem Wasserglas, dann siehst du mich wieder an. "Ich habe keine Luft, das alles bis zum Ende mitzumachen. Vielleicht geht es schnell, vielleicht zieht es sich ewig hin, das ist mir zu unsicher." Ich gucke sehr fragend drein und habe definitiv keine Ahnung, was du mir damit sagen willst. "Sobald es rapide schlimmer wird, nehme ich ne Überdosis", erklärst du und lehnst dich entspannt wieder an, während ich mich fast an meinem eigenen Atemzug verschlucke. "Bitte was? Du willst...?!" Ich rede nicht aus, doch dir muss meine Verblüffung klar werden. Schon wieder zuckt er nichtssagend die Schultern. "Was bringen mir schon ein paar Tage Leben an Geräten mit einem Herz aus Strom und Blech und einer Hirnaktivität, die gerade ausreicht, um mich atmen und Scherz fühlen zu lassen?", fragst du beinahe bitter. Auch wenn ich deinen Entschluss nicht befürworten kann, nicht mal im Mindesten, irgendwo kann ich es verstehen. Wer will schon so zu Grunde gehen, längst schon tot und doch noch irgendwie lebendig, das Blut noch im Kreis fließend und die das Fleisch noch arbeitend, aber der Geist schon lange verwest. Ich schweige. Du auch. Nach fünft Minuten stehst du auf. "Das war, was ich sagen wollte, tut mir Leid, für die Umstände", erklärst du unerwartet und wendest dich zur Tür, wobei ich automatisch aufstehe und dir den Weg in den Flur folge. Dann öffnest du die Haustür und machst einen Schritt in den Flur hinaus. Ich bleibe im Türrahmen stehen und lege eine Hand auf die Klinke. "Wiedersehen", sagst du, ich nicke darauf nur, und dann verbeugst du dich knapp vor mir. Ich sehe auf deinen Nacken hinab. In deinem Hals teilen sich die etwas zu langen Haare und fallen die über die Schultern. "Werden wir nicht, oder? Uns wiedersehen, meine ich." Du schüttelst den Kopf und stimmst mir zu. "Nein, vermutlich nicht." Dein Gesicht scheint wie versteinert und ich sehe immer die leben schwächelnden Emotionen darin, insofern man denn überhaupt welche erkennen kann. Müdigkeit, Schmerz, Zweifel, Resignation, Gleichgültikeit. Du drehst dich um und machst dich auf den Weg zum Treppenabsatz. "Kaiba!", rufe ich dir nach. Du wendest dich noch einmal fragend um ich tapse dir auf Socken auf den Hausflur hinaus hinterher, verblüfft bleibst du stehen. Vor dir komme auch ich zum Stehen und obwohl ich nicht gaz so genau weiß, warum, lege ich dir Arme um deinen Hals und ziehe dich in eine Umarmungzu mir hinunter. Deine Fingerspitzen liegen an meiner nackten Taille, wo das T-Shirt sich gehoben hat, da ich mich so strecke. Du scheinst nicht sicher zu sein, ob die die Arme um mich legen sollst oder nicht. "Ich hoffe, du genießt den Rest", spreche ich leise und mein Körper zuckt fast ein wenig, als ich für Sekundenbruchteile deine Hände auf meinem Rücken spüre, doch dann ziehst du sie zurück und auch ich lasse dich frei. "Ich versuch's", stimmst du zu, schenkst mir einen ernsten letzten Blick und gehst dann die Treppen hinunter. Ich haste zum Geländer und sehe dir nach, lausche deinen Schritten, bis unten die Haustür ins Schloss fällt. Dann gehe ich wieder hinein, plücke dein nach Kamille duftendes Taschentuch vom Sessen, lasse mich auf das große Sofa fallen und und wische mir das feuchte Geischt damit ab. Und ich dachte immer, für einen Seto Kaiba wäre alles möglich. Sieben Monate, vierzehn Tage und ein paar Stunden später stehe ich wieder am Fenster. Ich beobachte den Mini, der in Richtung meines Hauses die Straße entlang kriecht. Er ist Meerblau, dunkelblau, und hat diese schönen, eisblauen, klaren Lichreflexe, die mich an Autos immer faszinieren, wenn sie im Sonnenlicht glitzern. Ich mag die Farbe sehr. Den Wagen auch. In den letzten Tagen habe ich ihn des Öfteren gesehen. Fast täglich kommt er hier vorbei. Er fährt die Straße so langsam hinab, dass man denken könne, die Bewegung sei eine optische Täuschung, denn er steht fast still, Schritttempo wäre wirklich übertrieben zu sagen. Dann stoppt er kurz vor meinem Haus. Niemand steigt aus oder ein, er steht dort nur ein paar Sekunden lang, manchmal auch etwas länger, und wartet auf etwas Unsichtbares, dann fährt er mit deutlich höherem Tempo davon und schon ist er um die nächste Kurve, wo ich ihn nicht mehr sehen kann. Heute steht er sehr lange vor meinem Haus. Schon an die drei Minuten. Ein Teil des Autodaches ist von einem Apfelbaum verdeckt, der unerklärlicherweise vor dem Hauseingang herrlich gedeiht und längst aus dem Setzkasten unter dem Vordach der Haustür hervorgewachsen ist. Ich will das Radio anstellen, stehe auf, stelle meine Kaffeetasse ab und lasse meine Beobachtung fallen, halb fühle ich mich schon wie die alte Dame unter mir, die immer hinter den Gardinen hervorlugt und Strichlisten führt, wer von ihren Nachbarn wann nach Hause kommt und ob er sich an die Nachtruhe hält. Sollte sie über mich auch so eine Liste haben, dann ist es sicher eine schwarze. Gerade will ich auf den Power-Knopf am Radio drücken, doch ich werde daran gehindert, an der Tür klingelt es. Vielleicht die Post, denke ich mir und mache mich barfuß und mit einer Butterkeksecke im Mund auf den Weg zur Tür. Ich trage nur eine ausgewaschene Jeans und ein weites, langes, ebenfalls ausgeleiertes T-Shirt, doch wer mich beim Spionieren stört, der wird meinen Anblick schon ertragen müssen. Dann öffne ich die Tür. Deine Augen strahlen lebendig, so wie dein Haar, deine helle Haut. Nichts an dir sieht matt oder knochig aus. Ich blinzle. Du grinst. Dann drückst du mir einen großen Strauß orange-roter Linien in die Hand. Ich starre. Du schweigst. Dann lasse ich den Keks fallen, umklammere die Blumen und stolpere die zwei Schritte aus der Tür auf dich zu, schlinge die Arme besitzergreifend um deinen Hals. Hinter mir fällt krachend die Wohnungstür zu. Ausgesperrt. Kapitel 20: When it pays off - oder: A lil less conversation a lil more acting please! -------------------------------------------------------------------------------------- Ich will wirklich nicht sagen, dass ich es in irgendeiner Art und Weise geahnt hätte. Das habe ich zugegeben wirklich nicht, obwohl mir sonst nur wenig entgeht, aber was diese zwischenmenschlichen Dinge angeht, fehlt mir jegliches Gefühl und wohl auch das Interesse. Aber bei ihm… Nun, ich war überrascht. Andererseits denke ich nun, dass es ja beinahe so hatte kommen MÜSSEN, denn mal ehrlich: Er war der einzige Mensch in meinem Leben, der mich permanent störte, der nie Ruhe gab, der alles daran setzte, keine Mühen scheute, meine Routine durcheinander zu bringen. Und warum das alles, die Schadenfreude musste sich in Grenzen halten, immerhin hatte er von mir sicherlich nie eine von diesen Reaktionen wie Fassungslosigkeit, ungerechtfertigte Wut, Haltlosigkeit oder einfach nur Überstürztheit gesehen. Also musste es einen plausiblen Grund für all seine Anstrengungen geben. Und nun endlich hatte ich ihn erfahren. Zwar fragte ich mich in den ersten paar Minuten, ob ich es nicht lieber niemals erfahren hätte und wie ich dieses Problem jetzt am Besten würde beseitigen können, aber im Nachhinein stellte sich bei mir schnell ein Gefühl des Glücks ein, etwas wie Freude über das bessere Wissen, über die Vollständigkeit des Puzzles und vermutlich auch auf etwas animalische Weise über meine Überlegenheit ihm gegenüber. Kurz: Ich fühlte mich großartig. Und er merkte dies schnell. Und genauso bemerkte er, dass diese positive Aufnahme meinerseits nicht Gutes für ihn bedeuten konnte. Natürlich nicht. Ich musste fast lachen vor Glück, zumindest stahl sich ein selten gewordenes Lächeln oder wohl mehr ein Grinsen über meine schmalen Lippen, während ich ihn mir seelenruhig betrachtete. Er schwieg. Ich schnalzte mit der Zunge. „Erklär mir nur eins: Warum setzt du dich der Erniedrigung aus, mir das zu verraten?“, fragte ich irgendwie genüsslich, aber auch aus echtem Interesse und nicht nur mit rhetorischem Wert. Er schwieg kurz und zuckte dann die Achseln. „Ich bin kein Mensch für viel Geschweige. Außerdem…“, er zögerte und dann stahl sich ein Ausdruck auf sein Gesicht, dass ich gerade jetzt nie erwartet hätte. Es war eine Mischung aus Enttäuschung und beleidigt Sein. „Außerdem hatte ich gehofft, du würdest wenigstens ein bisschen fassungslos reagieren, du weißt schon, so mit Gesichtsentgleisung und unkontrolliertem Zucken und Wutäderchen!“ Seine Augen bekamen einen leicht träumerischen Ausdruck und ich konnte nur vermuten, dass er sich gerade mich vorstellte, mich in einem Zustand schwerster konzentrierter Selbstkontrolle, kurz vor dem völligen Verlust meiner Haltung. Irgendwie erschien mir diese Vorstellung einfach nur lächerlich, ich konnte mir nicht einmal wirklich vorstellen, wie ich in einer solchen Situation aussehen oder mich verhalten würde. Ihn jedoch schien der Gedanke gut zu amüsieren. Ich hob die Augenbrauen in einem skeptischen Bogen und an meinem linken Mundwinkel zog der Schalk des Spottes. „Weißt du, mir ist es vollkommen egal, solange du mir nicht zu nahe kommst.“, sagte ich dann hochmütig und Desinteresse vortäuschend und drehte mich dann provokant um, um von dann zu streiten. Ich hörte seine schnellen Schritte zu mir eilen und erwartete, dass er im nächsten Moment an mir vorbeischliddern und sich mir in den Weg stellen würde, doch er überholte mich nicht. Stattdessen spürte ich ihn plötzlich hinter mir, seine Arme umschlossen meinen Körper, eine Hand hatte er auf meinem Bauch, die andere bedenklich tiefer irgendwo jenseits meines Hosenbundes. Sein Bauch lag an meinem Rücken, seine Lenden pressten sich geradezu an mein Gesäß und im Gegensatz dazu eher sanft legte sich sein Atem in meinen Nacken. Ein Schütteln zog durch meinen Körper, als er mich kurz ruckartig mit den Händen an sich drückte, wobei sein Überschenkel sich zwischen meine Beine drückte und mich dann wieder losließ. „War das jetzt zu nahe?“, hauchte er mir von hinten über die Schulter, dann nahm er etwas Abstand von mir und lachte, als hätte er einen gelungenen Witz erzählt und freute sich nun, dass die anderen sich auch amüsierten. Ich fuhr nur herum und meine Fingerknöchel trafen seinen sich in diesem Moment ach so verführerisch darbietenden Kiefer. Kapitel 21: Offene Konfrontation - oder: Wer einen Löwen triezt, lernt unweigerlich das Fliegen. ------------------------------------------------------------------------------------------------- „Ich bin doch keine Hure!“, schrie ich halb panisch, halb wütend. Da erst sah er sich um, hielt an und ließ meinen Arm los. „Eine männliche, sich prostituierende Person nennt man Gigolo, Wheeler“, informierte er mich nach einer Weile des Schweigens nur ruhig und zu meiner Überraschung konnte ich in seinen Augen ziemliche Verwirrung entdecken. Er schien gar nicht zu verstehen, was dieser Satz mit der Situation zu tun hatte. „Das ist mir doch scheißegal! Ändert doch nichts!“, fauchte ich trotzig. Ich nutzte die Gelegenheit mich unauffällig von ihm zu entfernen und rutschte einen Schritt zurück. Mein Blick schwankte nervös zwischen ihm und dem großen Bett, auf das er mich zu gezerrt hatte, hin und her. Erst, als er meinem Blick folgte, schien sich Verstehen in ihm auszubreiten. „Du glaubst doch nicht wirklich, irgendjemand auf dieser Welt würde für Sex mit dir bezahlen, oder?“, fragte er nach einer weiteren Pause und als ich den Mund aufmachte, um zu antworten, schien ihm die endgültige Erleuchtung gekommen zu sein: „Du dachtest doch nicht etwa, ICH hätte… würde…!“, setzte er an, doch dann brach er ab, offensichtlich mangels der richtigen Worte. Ich war glatt etwas erleichtert. „Also… Nicht?“, fragte ich mit etwas Verspätung und meine Muskeln, die zum Sprung, zur Flucht bereit gewesen waren, entspannten sich etwas. Er schüttelte den Kopf, er wirkte vollkommen entrüstet. „Das hieße ja, du hältst mich nicht mich nicht nur für absolut geschmacksverirrt, sondern auch noch für unendlich skrupellos!“, gab er nach einer Weile von sich und etwas später noch: „Und neben allem anderen auch noch für schwul!“ Ich tat erstmal gar nichts, wollte seine Reaktion ja nicht überstrapazieren, wer weiß, wozu ein wütender Seto Kaiba fähig war… Erst nachdem wir eine Weile reglos so einander gegenüber, einander anstarrend, verblieben waren, zuckte ich kurz die Schultern, zum Zeichen, dass ich seiner Schlussfolgerung nichts entgegen zu setzen hatte. Er sah mich an, als würde er mich für verrückt erklären. „Ist das deine bescheuerte Idee oder gibt es noch mehr Leute, die das denken?“, fragte er nach einer Weile misstrauisch. Ich zögerte unbehaglich. „Denk dran, ich sehe es, wenn du lügst!“, erinnerte er mich mit eindringlichem Blick und ich wurde etwas rot unter seinen stechenden Augen. „Na ja…“, begann ich sehr zögerlich, seufzte dann genervt auf und entschloss mich, ihm dann doch gleich die Wahrheit zu erzählen, immerhin war es jetzt eh schon zu spät: „Es gab da mal diese Wette auf dem Schulhof…“ „Was für eine Wette?“, fragte er augenblicklich scharf nach. „Na, weißt du noch, als Watashiba aus der Parallelklasse dich angerempelt hat und du hingeflogen bist und er…“, meine Stimme verlor sich im Nichts und ich wurde noch etwas verlegener. Zuerst sah er nur verwirrt aus, dann aber schlimm sich Erkenntnis in seinem Blick. „Du meinst, das war…?“, fragte er schließlich und nun sprach er endgültig, als rede er mit einem Wahnsinnigen. „50 Mäuse für den, der sich traut, du weißt schon, dich ein bisschen anzu…“ „Ich dachte, er hätte motorische Störungen oder irgendsoetwas Abartiges!“, fiel mit Kaiba ins Wort, absolut entrüstet. „Hätte ja sein können!“, verteidigte ich mich schulterzuckend und mit einigem Trotz in der Stimme. „Du spinnst doch!“, knurrte Kaiba. „War ja nicht meine Idee!“, antwortete ich in genau demselben Tonfall. „Sehe ich etwa schwul aus?“, fragte er mit einer mir nicht ganz verständlichen Geste. Ich schwieg eine Weile. „… Ja“, antwortete ich nach einer ganzen Weile und meine Stimme klang mehr, als wäre es eine Frage denn eine Antwort. Ihm blieb der Mund offen stehen. Er machte nur ein paar Mal Ansätze, etwas zu sagen und hob dabei die Arme, um zu gestikulieren, ließ sie aber am Ende nur wieder sinken. Allerdings brauchte man nicht darauf zu warten, bis er endlich etwas herausbekam, um zu verstehen, dass es sich hierbei um einen Protest handelte. Also war ich so freundlich und erklärte meine Meinung, ohne, dass er mich dazu auffordern musste. „Na sieh mal… Wie du dich bewegst… Wie du die Beine übereinander schlägst! Oder wie du läufst, ich bitte dich! Ein Mann läuft doch nicht so!“, im Gegensatz zu seinen gewählten, sauberen und feinen Gesten waren meine völlig wirr und unkoordiniert, aber genauso ausdrucksstark: „Und schau doch mal, deine Frisur! Die sitzt immer perfekt! Genauso wie deine Klamotten! Welcher Mann trägt so taillierte Mäntel bitte! Welcher Mann außer dir hat überhaupt eine Taille! Und deine Mannieren! Männer haben keine Mannieren! Männer rülpsen und prügeln sich und gähnen, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten!“ Er schwieg wieder einmal eine Weile. Dann machte sich so etwas wie ein mitleidiges kleines Lächeln auf seinem Mund breit. „Das ist nicht männlich, sondern einfach nur eklig, Wheeler!“, sagte er und zuckte dabei die Schultern: „Aber mir war ja schon immer klar, dass du das eine nicht vom anderen unterscheiden kannst“ „Ok ok!“, ich versuchte es mit einer anderen Taktik: „Aber ich hab dich noch nie mit einer Frau gesehen, du guckst nicht mal den Mädels hinterher, wenn sie kurze Röcke tragen, du guckst den Lehrerinnen nicht in den Ausschnitt, wenn sie sich über den OH-Projektor beugen, du hast überhaupt keine Sexualität, oder?“, faselte ich nun und mit jedem Wort, das ich sprach, wurde mir klar, dass das nicht gerade eine überzeugende Argumentationsreihe war. Zumindest nicht in seinen Augen. „Das nennt man Anstand Wheeler. Und die Mädchen auf unserer Schule sind so unreif, da lohnt es sich ja kaum, hinterher zu schauen, die haben Hüften wie 12-Jährige!“ „Stimmt doch gar nicht, Thea zum Beispiel…“, setzte ich an und er schnitt mir promp das Wort ab: „Deine Freundin Gardner ist eine unerträgliche Nervensäge mit einem unerträglich gebärfreudigen Gesäß!“, schnarrte er und obwohl ich den zweiten Teil nicht sofort verstand, wusste ich sofort, dass es sich nur um eine Beleidigung handeln musste, die ich sofort zu rächen hatte. Sofort, nachdem ich herausgefunden hatte, was es bedeutete. „Thea ist doch keine… Moment mal, hast du sie gerade fettärschig genannt?“, fragte ich etwas dümmlich und sah Kaiba fragend an. „Bravo, Wheeler, so kann man es auch ausdrücken“, antwortete dieser nur kühl. „Selber!“, fauchte ich nur beleidigt. Ich war einfach kein sonderlich guter Rhetoriker… Statt einer Antwort sah Kaiba nur demonstrativ an seinem übermäßig schlanken Leib hinab. Ich tat es ihm gleich. Mist… Ich hätte ihm ja alles an den Kopf werfen können, aber dass er sic beleidigt fühlte, weil ich ihn fettärschig nannte, war doch eher unwahrscheinlich… Sein Hüftumfang maß wahrscheinlich keinen halben Meter. Da hatte ich ja noch mehr Hintern, und das, obwohl ich fast 20 Zentimeter kleiner war als er. Warum musste ich nur immer verlieren, wenn wir uns stritten? „Schwuler!“, griff ich zu meiner letzten, noch verbliebenen Rettungsbeleidigung. „Jungfrau“, konterte er, ohne mit der Wimper zu zucken. Es schien ihn gar nicht zu stören, dass ich ihn als Schwulen beschimpfte. Das konnte nur heißen, dass er doch nicht schwul war. Verdammter Mist, ich war mir so sicher gewesen! Ich atmete tief durch und mit einem letzten, klagenden seufzen fragte ich: „Und du bist sicher, dass du nicht schwul bist?“ „Willst du darauf wirklich eine Antwort, Wheeler…?“, fragte er zurück. „Aber damals, weiß du noch, beim Erste-Hilfe-Kurs in der Aula…“ „Ich mag es nicht, von Streunern angefasst zu werden!“, erklärte er kalt. „Das ist doch noch kein Grund, so zu zittern!“ „Für mich schon. „Ahaaaaaaa!, kam es da aus meinem Munde voller Triumph, noch ehe ich selbst wusste, was ich damit eigentlich andeuten wollte. „Du hast Berührungsängste!“, stieß ich hervor und die Lache, die aus meinem Mund ertönte, überraschte sogar mich selbst, sie klang ein bisschen wie die von Dr. Jackel und Mr. Hide an dessen etwas wahnsinnigeren Tagen. Noch im selben Moment erklärte ich bin selbst für vollends bescheuert. Als ob Kaiba Berührungsängste haben würde! Der hatte doch überhaupt keine Ängste! Nicht mal Angst vor Spinnen oder wilden Raubtieren hatte der! Er schüttelte den Kopf und knurrte etwas hastig vielleicht: „Jetzt reicht es aber!“ Ich hob die Augenbrauen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt sagen, ich hätte Recht gehabt. Aber das war doch total absurd! Ich machte einen Schritt auf ihn zu und sah, wie seine Arme kurz nur ein paar Zentimeter nach hinten zuckten, als tasteten sie hinter sich den Fluchtweg ab. „Ach findest du?“, grinste ich fies und machte einen weiteren Schritt vorwärts. Uns trennte nur noch ein halber Meter. Gerade eben hatte er mich noch hinter sich hergezerrt, jetzt war er in der Fluchtposition und ich in der jagenden. Seine Miene schien eisern, stählern, als ob er sich zu seinem sonst so leichfertigen Pokerface nun zwingen müsste. Ich grinste nur noch breiter. „Ja, finde ich allerdings!“, antwortete er etwas weniger selbstüberzeugt als eben. Als ich einen weiteren Schritt nach vorn machte, machte er scheinbar instinktiv einen zurück. Ich machte noch einen vorwärts. Er einen zurück. Überlegen grinsend sah ich zu ihm auf, nichts sagend, und eisig schaute er zu mir hinab, aber seine Gestik sagte etwas anderes als sein Gesicht mir weismachen wollte. Er floh vor mir, er wich immer weiter zurück, bis er nach nur wenigen Schritten mit dem Rücken an die Wand stieß. Er schien nicht bemerkt zu haben, wo er war, da er die ganze Zeit lang mich im Blick gehabt hatte. Erst jetzt, als er den Widerstand spürte, wandte er den Blick nach hinten und dann sofort wieder zu mir. „Tja…“, lachte ich und schob mich etwas näher, aber nur so nah, dass noch locker jemand zwischen uns gepasst hätte. Wir sahen uns in die Augen aber sein Blick zuckte des Öfteren zu meinen Händen, er verfolgte jede meiner Bewegungen ganz genau. „Was soll das werden, Wheeler?“, brachte er nach einer Weile hervor. „Warum fragst du mich das?“, erwiderte ich und lachte etwas. Im Gegensatz zu ihm war ich entspannt, wenn auch irgendwie neugierig und ich spürte in mir ein kämpferisches Feuer, das sich in meiner herausfordernden Stimme niederschlug. „Bist du sicher, dass du keine…“, ich streckte die Hände aus und legte sie auf seine Unterarme, die er an die Wand gelegt hielt: „… Berührungsängste hast?“, fragte ich provozierend und starrte mit feurigem Blick zu ihm auf. Sein ganzer Körper war an die Wand geschmiegt, seine Hände lagen neben dem Körper eng an der Wand an. Mir schien, als stünden seine Knochen unter Strom, seine Haltung war noch straffer und gerader als sonst und sein Blick noch eisiger. Bei meiner Berührung zuckten seine Arme kurz, aber mehr unternahm er nicht. „Siehst du?“, entgegnete er und ich grinste noch breiter. Als ob ich mich von seiner Selbstbeherrschung überzeugen lassen würde… Nein, das war noch kein Beweis, da musste er schon noch andere Tests überstehen! Ich schob die Hände seine Arme hinauf und kam noch näher, so dann meine Nase nur zehn Zentimeter pure Luft von seinem Schlüsselbein trennten. Unter meinen Fingerspitzen zitterten seine Arme, ich konnte es fühlen, auch wenn er sich vermutlich einbildete, ich könne es nicht. Meine Hände wanderten langsam über die Schultern zur Brust, zu seinem Bauch, dann zur Seite, wo ich sie kurz über seinem Gürtel, seitlich vom Körper auf seiner Taille liegen ließ. Ich konnte sehen, wie er die Zähne zusammenbiss und kam nicht umhin, mich zu wundern. Wem um alles in der Welt wollte er denn hie etwas beweisen? Es war am Anfang nur ein Scherz, aber jetzt schien es ernst zu sein. Ich fragte mich, ob… Ich nahm den Blick immer noch nicht von seinen Augen und er schien den seinen ebenfalls auf mir zu konzentrieren um nicht meinen Händen zu folgen. Ich wusste, dass es fies war und ich wusste auch, dass das jetzt langsam genug Beweis für mich war, meine Theorie war längst bestätigt, und ich wusste auch, dass ich mich hier gerade in tödliche Gefahr begab, denn einen Löwen zu triezen, bis er ausrastete, konnte niemanden gut tun. Dennoch ließ ich die Hände tiefer rutschen, immer noch an seinen Seiten entlang, schob dann die Fingerspitzen unter seinen feinen Rollkragenpullover und eh er es sich versah, hatte ich beide Hände auf seinem nackten Bauch deponiert. Ich spürte deutlich, wie er angespannt seine Muskeln waren und ich spürte, wie sein Atem gezwungen langsam, aber sehr tief fiel. Dann dauerte es nur noch zwei Sekunden, bis ich mich auf dem Boden wieder fand. Er hatte meine Ellenbogen gepackt, mich herumgeschleudert, ehe ich überhaupt reagieren konnte und mich dann mit mehr Kraft, als ich vom ihn erwartet hatte, von sich gestoßen, so dann ich erstmal fünf Meter weit taumelte, bevor ich auf der Fresse landete. “Wag es ja nicht, mich noch einmal anzufassen, Wheeler!“, zischte er, als er an mir vorbeistiefelte und mit schallenden Schritten den Gang entlang hinauseilte. Ich wusste, dass sein Atem schnell und zittrig fiel und ich konnte mir vorstellen, dass sein Blick noch genauso verstört war, wie in dieser Millisekunde, als er mich von sich gezerrt hatte. „Wow…“, war das einzige, was ich hervorbrachte, als ich mich langsam aufrappelte und seiner Silhouette hinterher sah, wie sie in der Ferne hinter zwei Glastüren um die Ecke bog. Meine Stimme klang schlicht tief beeindruckt. Ich hatte Seto Kaibas Schwachpunkt entdeckt. Ich hatte Seto Kaiba zur Flucht getrieben. Na gut, ich lag auf der Nase im Dreck, aber Kaiba war schließlich abgehauen! Ich müsste Stolz sein, aber ich war einfach zu beeindruckt, um noch andere Gefühle in meinem kleinen Herzchen Platz finden zu lassen. Immernoch starrte ich auf den Fleck, an dem Kaibas heller Mantel vom Glas ganz verschwommen gerade eben verschwunden war. Seltsamerweise wusste ich, dass das gerade eben Erlebte niemals ein Mitschüler von mir erfahren würde, auch wenn ich nur zu gerne die Gesichter der Jungs sehen würde, wenn sie erfuhren, dass ich Seto Kaiba damit konfrontiert hatte, dass man hier für schwul hielt… ------------------ Anmerkung: An dieser Stelle ein sorry für die Lange Funkstille und eine Widmung: Dieses Kapitelchen ist, auch wenn es leider nichts als hirnverquirlter Nonsense ist, geht als persönliches Geschenk an Pancratia, die alle bisherigen Kapitel liebevoll und hilfreich kommentiert hat und mich immer wieder neu zum Schreiben aufmuntert und sowieso toll ist und mich sogar auf die Tippfehler aufmerksam macht! Pancratia, wie der Berliner sagt: Ick liebe dir! (Und nochmal Gomen für dieses blöde kapitel XD) Kapitel 22: Sensibelchen - oder: "Ist dein momentaner Zustand eher kurzweilig oder kann man auch noch morgen damit rechnen?" ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- „Sag mal, ist dein momentaner Zustand eher kurzweilig oder kann man auch noch morgen damit rechnen?“, fragte ich frech grinsend und versuchte mit meinem scherzhaften Tonfall zu kaschieren, dass hinter dem blöden Witz tatsächlich so etwas wie ernsthaftes Interesse steckte. Sein Blick begegnete mir verwirrt und er fragte auch gleich nach: „Was willst du denn damit andeuten?“ „Na ich meine…“, ich druckste etwas herum und wusste nicht, wie ich es ausdrücken konnte, damit es weder für mich peinlich wäre, noch bei ihm irgendwie als anklagend aufgenommen würde. „Du bist plötzlich so… ungewohnt ertragbar!“, versuchte ich es schließlich mit einer humorvollen und nicht allzu netten Version meiner Gedanken. Seine Miene vereiste sofort und seine Blick verlor diesen lebendigen, fast gut gelaunten Ausdruck. „Offensichtlich Stimmungsschwankungen“, sagte er auf seine übliche kühle Art und Weise, dann drehte er sich einfach von mir weg und sah in eine andere Richtung aus dem Fenster, wobei ich sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. Sofort tat mir Leid, was ich gesagt hatte. Scheinbar hatte es ihn verletzt, insofern Seto Kaiba überhaupt dazu fähig war, verletzt zu sein. Da war er einmal im Leben beinahe nett zu mir und schien so etwas wie, man könnte fast sagen Freude, zu empfinden, für Kaibas Verhältnisse zumindest, und ich machte seine positive Sinneswandlung gleich wieder zunichte… „Nein ich-“, stammelte ich ratlos vor mich hin: „Das sollte doch nur ein Scherz sein!“, brachte ich dann hervor: „War nicht so gemeint!“ Als ich ihn vorsichtig an der Schulter berührte, und weiß der Teufel, was mich dazu trieb, vielleicht nur um zu erreichen, dass er mich wenigstens ansah, drehte er sich fast ruckartig zu mir um und ein spöttisches, jedoch etwas bitteres Grinsen lag auf seinen Lippen. „Ich bitte dich, Wheeler! Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich so etwas Blödes persönlich nehme!“, schnarrte er mit einem undefinierbaren Tonfall, der mir aber überhaupt nicht gefallen wollte. Man sah ihm an, dass er ein wenig säuerlich gestimmt war. Klar, da war er mal freundlich zu mir und ich stieß ihn vor den Kopf… „Nein… Natürlich nicht, ich dachte nur…“, er hob eine Augenbraue zweifelnd und spöttisch, so als erwarte von mir gar nicht erst so etwas wie denken. Ich wartete praktisch nur noch darauf, dass er diesen Gedanken auch laut aussprach, aber er tat es nicht. „Jetzt sei nicht so!“, meckerte ich. „Ich bin doch immer so. So… unertragbar“, zitierte er mich mit etwas, das vermutlich ein amüsiertes Grinsen sein sollte, aber eines von der nicht so netten Sorte. Er war beleidigt. Mein Gott, Sensibelchen! „Du hast mir besser gefallen, als du eben noch gute Laune hattest. Da warst du mir gleich viel sympathischer!“, meinte ich grinsend, doch er zuckte desinteressiert die Achseln. „Ist ja nicht gerade mein Lebensziel, dass mich die Leute sympathischer finden. Geschweigedenn du!“ „Sollte es aber!“ „Es ist mir egal, was andere von mir denken.“ „Nein, ist es nicht.“ „Oh doch!“ „Und warum bist du dann beleidigt, nur weil ich gesagt habe, du seist ertragbarer als sonst?“, fragte ich siegessicher und mit triumphaler, sich leicht überschlagender Stimmlage. Sein Blick ruhte für ein paar Augenblicke auf dem Schulhof zu unseren Füßen, dann wandte er sich vom Fenster ab. „Ach lass mich einfach in Ruhe mit deinem schwachmatischen Gelaber!“, murrte der große Seto Kaiba und Stolzierte aus dem Raum. Notiz an selbst: Seto Kaiba niemals darauf hinweisen, dass er netter ist als normalerweise. Kapitel 23: Mental Skills - oder: Blumen sind meistens die direkte Folge von etwas sehr, sehr Schlechtem. --------------------------------------------------------------------------------------------------------- Diesmal ist er einfach zu weit gegangen. Ich meine, ich habe das garantiert schon eine Million Mal gesagt und vielleicht eine halbe Million Mal auch mehr oder weniger so gemeint, aber diesmal ist es mir wirklich ernst damit, todernst! Ich bin so wütend, dass meine Fingerknöchel, sogar meine Rippen zu vibrieren scheinen, ich bin so wütend, dass die Stelle seines Mantels, an der mein Blick gerade hängt, Flammen fängt, ohne dass ich bewusst ein Signal an mein Hirn geben muss, um Wahnvorstellungen hervorzuzaubern. Und was für Wahnvorstellungen erst... Langsam frisst sich das lodernde, brennend heiße Feuer über seinen Rücken, den er mir zugewandt hat, schließlich straft er mich einmal mehr mit Nichtachtung und stolziert auf seinen Wagen zu, der draußen auf dem Parkplatz vor der Schule wartet. Asche rieselt hinunter, wo er geht und zieht eine dunkle Spur hinter ihm her. Ich versuche sogar, mir den Geruch vorstellen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein unförmiger Klumpen Trockeneis, wie er es ist, beim Verbrennen mehr Geruch erzeugt, als eine riesige Wolke aus Wasserdampf es vermag. Die Flammen ändern ab und zu ihre Färbung von grün über bläulich zu der gewöhnlichen gelblich roten Farbe zurück. Sie züngeln hinauf und setzen seinen dämlichen, völlig überbewerteten Stehkragen in Brandt, sie krauchen seine Ärmel hinab, seine schwarze, hautenge Hose aus diesem dünnen Stoff, von dem keiner ahnt, dass er überhaupt brennen könnte, lodert wie Brennspiritus, und daraus besteht sie wahrscheinlich auch: Synthetikfaser, reines Erdöl! Ha, da hat er jetzt die Quittung für diese Sünde, warum trägt er auch keine Jeans, wie jeder andere normale Bürger auch, die brennen wenigstens nicht so schnell nieder! Hahahahaha! Mir entfährt ein leicht geisteskrankes, hicksendes Lachen, das man über den ganzen Parkplatz hört. Auch er wird scheinbar stutzig, denn er dreht sich fragend um und mustert mich kurz. Doch zu spät, in einem großen Rauchschwall gehen nun auch seine Haare unter und ich sehe sein Gesicht nur ein letztes Mal, schreckensverzerrt, jetzt, wo er endlich begriffen hat, dass es aus mit ihm ist! Ich lache noch einmal auf diese unkontrollierbare, irre Art und Weise, dann ist es vorbei. Das Feuer legt sich langsam und die letzte Asche fällt auf der Stelle direkt vor der Hintertür seiner Limousine herab. Er öffnet die Tür und wirft mir noch einen vernichtenden, abfälligen Blick zu, verständlich, wo ich doch noch immer so bescheuert lache und ihn dabei angaffe, doch es kümmert mich nicht. Er schlägt die Wagentür hinter sich zu und ich drehe mich zufrieden um, sein Gesicht in Gedanken noch einmal vor mir, vom Ruß geschwärzt, von brennenden Haarbüscheln und seinem lodernden Stehkragen umrahmt, vor Schmerz und Panik verzerrt, bevor alles, sein ganzes Antlitz, in einer dreckigen Rauchwolke verpufft. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich bei einer seiner Hinscheidungsvorstellungen nicht von mir selbst angeekelt. Er hat es wirklich verdient, einer wie er, oder besser genau er, denn einen zweiten wie ihn wird es wohl kaum geben, ist einfach eine Gefahr für die Allgemeinheit und gehört auf den Scheiterhaufen oder wenigstens in eine einsame Zelle, irgendwohin, wo er keinerlei Schaden anrichten kann! In dem Moment, als ich das Schulgebäude wieder ins Auge fasse und einen Fuß hebe, um mich dorthin auf den Weg zu machen, wo ich herkam, nämlich zum hinteren Teil des Hofs zu meinen Freunden, dringt ein komisches Geräusch an mein Ohr. Ab da habe ich das Gefühl, die Gegenwart in Zeitlupe wahrzunehmen. Erst das Schrammen, dann den Druck, der mich nach vorne drückt, dann den irren Knall und schließlich, viel später erst, als ich schon dem Boden entgegenfliege und mich mit den Händen abstützen muss, um mir nicht den Kiefer zu brechen, die Hitze. Eine flaue, kontinuierliche Hitze, als ob die Sonne plötzlich nur noch halb so weit von der Erde entfernt wäre. Irgendetwas sehr Heißes, sehr Großes ist da hinter mir, ich spüre es praktisch pulsieren. Als ich mich umdrehe, habe ich für den Bruchteil einer Sekunde die Vision von dem Häufchen Asche, das einmal Kaibas Mantel und seine blöde schwarze Hose gewesen war, wie es erneut in Flammen aufgeht. Die Wirklichkeit allerdings ist um Einiges vernichtender, erschreckender, beängstigender, grausamer, wie mir jetzt schlagartig klar wird. Die Hitze stammt nicht von der Sonne, die spontan ihr Plätzchen geändert hat, der Druck kommt nicht von einem kleinen Wind, den die Sonne erzeugt, weil die schnell erhitzte Luft aufsteigt und kalte nachzieht, der Krach kommt auch nicht daher, dass die Steinplatten, mit denen der Schulhof ausgelegt ist, langsam durch den raschen Temperaturwechsel zerspringen, nein, das alles hat einen anderen, viel einleuchtenderen Grund: Kaibas Limousine brennt wie Zunder, steht in Flammen, kokelt vor sich hin! Im Umkreis von 10 Metern vielleicht ist der Boden dunkel angesengt und die Luft flackert. Langsam, mit bis zum Anschlag klopfendem Herzen richte ich mich auf, auf alle Viere erst, drehe ich mich um und lasse mich achtlos auf dem schmutzigen Boden nieder, stütze mich nach hinten auf meine vom Sturz leicht aufgeschrammten Handflächen und beobachte betreten das Geschehen. Dass dies keine Wahnvorstellung meines überhitzten Gehirns mehr ist, wird mir spätestens jetzt klar, als um mich her eine kreischende und tuschelnde Menge aus Schülern und Lehrern aufbauscht, die genauso gebannt von dem Schauspiel ist, wie ich. Keiner traut sich näher an das fackelnde, lodernde Fahrzeug heran. Tristan erscheint neben mir, ich nehme es aber kaum wahr. Er fragt mich, ob mit mir alles ok sei, zumindest glaube ich das, bei seinem besorgten Tonfall. Ich antworte nicht und spüre meinen ganzen Körper zittern, ich mache mir Sorgen, nicht Sorgen um den Wagen, um die Leute hier herum, nicht um Kaiba, na gut, vielleicht ein bisschen um Kaiba, aber vor allem um mich! Was wird nur mit mir passieren, wenn das hier vorbei ist, werden sie mich verhören, werden sie mich einsperren? Woher wollen sie denn eigentlich wissen, dass ich Schuld daran bin? Na gut, ich habe gelacht, wie ein Psychopath, als er einstieg, aber das ist noch lange kein Beweis! Und wie habe ich das eigentlich gemacht? Durch pure Gedankenübertragung? Habe ich mir wirklich nur vorgestellt, wie Kaiba verbrennt und er tut es? Er hört doch sonst nie auf mich, warum heute? Und wieso, ich meine, das war doch nicht ernst gemeint! Nicht so ernst! Und Herrgott nochmal, was denke ich hier eigentlich, bin ich verrückt geworden? Natürlich bin ich nicht schuld daran! Es war ein Unfall! Ich kann nicht durch den puren Gedanken Dinge explodieren lassen! Dafür muss es eine Erklärung geben. Eine Bombe, einen Idioten mit einer brennenden Zigarette, eine kaputte Gasleitung direkt unter dem Auto, irgendwas! Und... Scheiße, er wird doch nicht tot sein, oder...? Ich meine, das wäre doch total... Nein... Ich richte mich auf, zugegeben, mein Blick bleibt an der Tür gefesselt, in die Kaiba eingestiegen ist, an dem rußschwarzen Fenster und meine Gedanken sind ein wenig besessen von der Vorstellung, dass er jeden Moment die Tür öffnet und herausspaziert. Könnte doch sein... Der Wagen ist ja nicht zerfetzt oder zersplittert oder zerschmolzen oder vaporisiert... oder so. Ich starre reglos auf den Türgriff. Ich hypnotisiere ihn. Gleich geht er auf. Gleich. Jetzt... Ich starre weiter. Nichts passiert. Ein Mädchen fällt in Ohnmacht. Tristan legt seine Hand beruhigend auf meine Schulter. Mit einem Ruck geht der Türgriff hinunter. Die Tür öffnet sich einen Spalt breit. Meine Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt, meine Augen sperrangelweit offen trotz des herumwirbelnden Staubs und Rauchs damit ich auch ja kein Detail verpasse. Herzhaftes Husten und Röcheln kommt aus dem Wagen. Dann bleibt alles still. Der Kreis der Schaulustigen ist etwas größer geworden, bei der Regung aus dem Inneren des Unglückswagens sind die Leute zurückgeschreckt. Ich warte noch einen Augenblick, worauf weiß ich nicht genau, dann springe ich auf, löse mich aus Tristans Griff, ignoriere seinen Ruf hinter mir und stürze auf den Wagen zu. Als ich die Tür mit meinen bloßen Händen aufziehe, brennen meine Fingerspitzen schmerzhaft, das Metall ist heiß, natürlich, und es riecht unangenehm beißend nach schmelzendem Kunststoff, nach angesengtem Haar und glühendem Leder. Er liegt vor mir, auf dem Bauch, die Hände zur Tür ausgestreckt, und sieht nicht so aus, als hätte er demnächst vor, sich von selbst von hier zu entfernen. Ich rüttle an seiner Schulter und er bewegt sich nur kurz, bleibt dann still. Ich rüttle ihn erneut und er hebt den Arm kurz, wie um nach meiner Hand zu tasten, lässt ihn aber sofort wieder sinken. Ich packe seine Oberarme grob, ziehe mit aller Kraft, bis sein Körper aus dem Wagen ist und auf das Pflaster draußen rutscht, etwas unsanft, aber wen stört es. Er rührt sich erneut kurz und ich verpasse ihm eine schallende Ohrfeige. Er reagiert nur mäßig darauf. Ich schiebe die Arme unter seinen Achseln durch, verschränke die Finger vor seiner Brust ineinander und schleppe ihn ein Stück vom Wagen weg, wo die Luft besser ist. Ein paar Leute versammeln sich um mich herum, ein Lehrer greift nach Kaibas Arm, wahrscheinlich sucht er seinen Puls. Ich spüre sein Herz unter meinen Fingern leise schlagen, also zweifle ich nicht daran, dass er noch lebt. Ich will, dass er die Augen öffnet, der Arsch tut aber nicht dergleichen. Ich tätschele ihm noch ein bisschen die Wangen, jemand anderes würde es vielleicht als gemäßigte Ohrfeigen bezeichnen. Ich knie ziemlich verraucht auf dem Boden, sein Kopf liegt auf meinen Knien und ich sehe sein geschwärztes Gesicht auf dem Kopf. Seine Ponyspitzen und das Haar im Nacken sind tatsächlich etwas angesengt, zumindest macht es den Eindruck. Sein ehemals weißer Mantel ist jetzt schwarz gescheckt und lässt viel Platz für Vermutungen über dessen Zustand. Er trägt keine Schuhe. Vermutlich hat er sie gerade erst ausgezogen, als er eingestiegen ist. "Du hättest auch heute nicht auf mich hören brauchen!", schnauze ich ihn an und unter meinen Händen auf seiner Brust spüre ich, wie sein Brustkorb sich stärker als eben noch hebt und senkt. Es scheint ihm gut zu tun, dass er hier einigermaßen frei atmen kann. Vermutlich wäre er drinnen bald erstickt. Wenn nicht verbrannt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sich jemand an der Fahrertür zu schaffen macht, er benutzt einen Stock oder eine Brechstange, wohl etwas schlauer als ich eben. Doch nach einem Blick hinein entfernt er sich wieder. Es scheint sonst niemand drinnen zu sein. Seltsam... Ich verpasse Kaiba noch eine Ohrfeige, ich weiß, dass das nicht viel bringt und dass ich ungeduldig bin, aber ich will, dass er endlich ein Lebenszeichen von sich gibt und ich will, dass er gleich irgendetwas sagt, was mich davon überzeugt, dass diese Explosion eben nichts mit meiner höchst intimen Gedankenwelt zu tun hat. Aber als er sich bewegt, scheint es nicht so, als wolle er überhaupt etwas sagen oder auch nur die Augen aufmachen. Er dreht sich zur Seite und winkelt die Beine an und legt die Arme locker um meine Hüfte. Dann hustet er ausgiebig. Hat irgendwie was von Embryonalstellung. Aus einem mir nicht ganz bekannten Grund lege ich die Hände um seinen Nacken und rühre mich dann nicht mehr. Nur wenige Minuten später trudelt der Krankenwagen ein. Sie wollen mich mitnehmen, aber ich sage sofort, dass ich nichts habe, dass ich nur dreckig bin und duschen will. Ich entlasse Kaiba aus meinem Griff und löse seine Arme von mir, bevor ich ihn recht grob dem Arzt oder Krankenhelfer oder dergleichen übergebe. Er braucht nur einen Arm, um ihn festzuhalten. Als die Türen zugemacht werden und das leuchtend rote Gefährt sich in Bewegung setzt, rückt die Feuerwehr endlich an und der Wagen wird innerhalb von Sekunden gelöscht. Mein Lehrer will mich nach Hause schicken, doch es interessiert mich, wie es dazu kommen konnte. Zwei Stunden verbringe ich auf dem Hof, bis schließlich die letzten Schrottteile beseitigt werden und unter in der Motorhaube Plastiksprengstoff gefunden wird. Ich frage mich, wer außer mir das Bedürfnis haben könnte, Kaiba zu töten. Immerhin meine nicht einmal ich diesen Wunsch ernst, wer könnte es dann? Die Frage beschäftigt mich noch, als ich auf dem Weg nach Hause ein paar Blumen kaufe und sie Mokuba durch den Türschlitz stopfe. Sie kommen wohl recht zerzaust auf der anderen Seite an, aber der Gedanke ist wohl, was zählt. Kapitel 24: Bordsteinschwalbe - oder: Ein grauer Novembertag lädt zum Träumen und frühen Schlafengehen ein ---------------------------------------------------------------------------------------------------------- Er tut nichts, steht nur da, mit den Zehenspitzen auf der Bordsteinkante, etwas wackelig, ständig seine Balance korrigierend, den Rücken zur befahrenen Straße. Er wartet auf den Bus. Ich weiß, dass er erst in zwanzig Minuten kommt. Es ist uninteressant, ihm zuzusehen, zumal er von hier aus, vom 10. Stock aus, im grauen Tageslicht mehr ein Schatten ist als dass ich ihn wirklich erkennen könnte. Trotzdem sehe ich ihn genau vor mir, die Details, die der Abstand seinem Bild stielt, dichtet meine Erinnerung wieder hinzu. Seine Haare sind von Wind und Nieselregen des Novemberwetters zerzaust und er friert ein wenig in seiner Jeansjacke. Seine Laufschuhe sind abgewetzt und vom Matsch auf den Straßen verschmiert. Er wippt ein wenig auf den Zehenspitzen, als wolle er provozieren, doch noch den Rest Halt, den er hat, zu verlieren und nach hinten zu stürzen. Bei der Nässe und leichtem Frost könnte kein Wagen mehr stoppen. Mit Glück wäre er verletzt. Mit Pech vielleicht tot. Er tritt einen Schritt vor und dreht sich auf dem Absatz um, mit dieser Leichtigkeit, die er so oft an den Tag legt. Er umfasst beide Hände hinter dem Rücken. Fast wirkt es, als gelte sein Blick mir, der ich hier oben an meinem Fenster im Warmen sitze und dem Vortrag nicht lausche, dem ich zu lauschen angehalten bin. Unter seinem dicken, wollenden Schal schaut nur die obere Hälfte seines Gesichter hervor. Ich wette, seine Schwester hat ihm den gestrickt. Vielleicht auch Yugi, das passt zu ihm. Ich wende mich ab, aber zwei Minuten später klebt mein Blick wieder an ihm. Ob es nur die Langeweile ist oder tatsächliches Interesse, ich vermag es nicht zu unterscheiden. Vermutlich von beidem etwas. Die große Uhr, die direkt hinter ihm steht, zeigt 4 Uhr und es beginnt schon zu dunkeln. Der Wintereinbruch ist eine so hässliche Zeit in den Städten. Wer weiß, wahrscheinlich ist er das an jedem Ort. Ich versuche, dem Vortrag noch ein wenig zu folgen, doch dann greife ich meinen Mantel von der Stuhllehne und den Koffer, entschuldige mich und gehe hinaus. Während ich mich anziehe, rufe ich meinen Chauffeur an und teile ihm mit, wo er mich finden kann. Er ist höflich und stellt keine Fragen, obwohl er weiß, dass er mich erst in zwei Stunden hatte abholen sollen. Mir geht die Konzentration aus. Ich habe dieses Problem in letzter Zeit öfter. Schiebe es auf die Kälte. So stehe ich, mit meinem halblangen, schwarzen Fließmantel und einem weißen Kaschmirschal an der Kreuzung, in der Hand einen Sicherheitskoffer mit einer Zahlenkombination, die ich mir nicht einmal selbst merken könnte, wenn ich nicht schlussendlich aufgegeben und die Handynummer meines Bruders dafür benutzt hätte. Ich fühle mich fehl am Platze in diesem trotzlosen Teil der Stadt. Er steht mir direkt gegenüber, auf der anderen Straßenseite, mit dem Rücken zu mir und mit den Zehenspitzen auf dem Bordstein wippend. Autos, helle, dunkle, bunte, schwarze, schnelle und langsame, aber allesamt nass, trennen unseren Weg zueinander. Natürlich will ich gar nicht zu ihm hinüber, sonst hätte ich mich zum Warten zu ihm gestellt, aber es bleibt festzuhalten. Ich beobachte ihn, kann nicht anders, ist er doch das einzig Interessante hier, neben den grauen Häusern, zwischen grauem Himmel und grauer Straße kommt er mir nahezu wie eine Attraktion vor mit seinem gelben Kapuzensweatshirt, das unter seiner Jeansjacke herauslugt und das sich mit dem bunt gestreiften Schal beißt. Ein Farbtupfer auf einem Gemälde grau in grau. Es scheinen Ewigkeiten zu verstreichen, ohne dass einer von uns sich rührt, nur er wippt ein wenig und balanciert immer wieder seinen Stand aus, einmal muss er beide Arme strecken, um nicht zu fallen. Dann kommt der Bus und er dreht sich um und steigt ein. Erst als er im ersten Stock wieder auftaucht und sich an einen Fensterplatz zu meiner Seite setzt, bemerkt er mich und meinen interessierten Blick. Natürlich kann man in meinem Blick nicht lesen, was ich denke und selbst wenn, wäre nichts Spannendes darin zu lesen, dennoch fühle ich mich ertappt, schaue aber aus Gewohnheit nicht weg. Er starrt eine Weile zurück, tut nichts, guckt nur. Erst, als die Türen zugehen und der Bis ganz langsam anfährt, hebt er eine Hand und winkt mir frech zum Gruß, dabei grinst er und ist bald aus meinem Blickfeld verschwunden. Zu meiner Überraschung winke ich zaghaft zurück, ohne zu lächeln. Allerdings erst, nachdem der Bus schon um die Ecke verschwunden ist. Ohne seinen gelben Kapuzenpulli wirkt die Stadt im Novemberwetter noch grauer als zuvor. Seltsamerweise revidiere ich diese Erkenntnis auch auf dem Weg nach Hause nicht, obwohl die Limousine sehr angenehm geheizt ist und mein Gehirn nicht mehr unter der Kälte leiden sollte. Vielleicht braucht es einige Zeit, um sich zu akklimatisieren? Ich weiß es nicht, aber ich will eigentlich auch nicht dahinter kommen. Selbst in meinem Leben sollte es doch ein paar ungelöste Fragen geben, über denen ich hin und wieder brüten kann, so wird es zumindest nicht langweilig. Vielleicht sehe ich ihn morgen wieder. Wenn er mir dann wieder winkt, antworte ich vielleicht früher als heute, so dass er es noch sieht, bevor er um die Kurve verschwindet. Ich gehe zu Bett und lasse die Frage, ob es sich für mich schickt, um 17 Uhr schlafen zu gehen, ebenfalls unbeantwortet, damit ich morgen etwas zu tun habe, falls er nicht da an der Straße steht und ich ihn beobachten kann, wie er auf der Bordsteinkante bedächtig um sein Gleichgewicht kämpft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)