Some Shorties von abgemeldet (klitzekleine Szenen aus dem Leben zweier alter Bekannter) ================================================================================ Kapitel 19: Kamille und Lilien - oder: Wenn Vertreter und Potmänner auf sich warten lassen und ominöse Gestalten unter Apfelbäumen vorbeihuschen. ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Ich sitze am Esstisch meiner kleinen Wohnung herum und schaue auf die Straße vier Stockwerke unter mir hinunter. Da hält gerade ein Fahrzeug vor meiner Haustür, das ich hier noch nie habe entlang fahren sehen. Um es ganz genau zu nehmen habe ich diesen Wagen das letzte Mal vor fast zwei Jahren gesehen. Ebenso wie dich. Na gut, dich habe ich in der Zwischenzeit schon ab und zu mal gesehen. Im Fernsehen oder in der Zeitung. Aber ganz in echt, live, in 3D und Farbe, habe ich dir tatsächlich das letzte Mal vor beinahe zwei Jahren auf unserem gemeinsamen Schulabschluss gesehen.Du warst natürlich Jahresbester mit deinem unglaublichen Durchschnitt von ungelogenen 1,1 irgendwas, während ich mit meinem eher durchschnittlichen Zeugnis nicht mal sonderlich unzufrieden war. Es war wirklich ein komisches Gefühl, als du den Raum verließest. Ich wusste sofort, dass ich dich nun für lange lange Zeit nicht mehr sehen würde, immerhin war die Schule das einzige, was uns verband, nachdem ich genau wie du das Duell Monsters Spielen an den Nagel gehängt hatte. Nun jedenfalls beobachte ich die Straße unter mir, wo die pechschwarze, glänzende Limousine gerade anhält. Du willst doch nicht etwa zu mir, oder? Sicher hast du irgendeinen Geschäftspartner, der ganz rein zufällig in meinem kleinen Mietshaus wohnt. Vielleicht ist das ja auch gar nicht deine Limo. Vielleicht gehört sie irgendeinem andern neureichen Spinner. Aber so viele von deiner Sorte gibt es in klein Domino ja nun auch wieder nicht. Die Wagentür geht auf und ich brauche weniger als einen halben Agenblick, um dich zu erkennen. Du trägst Jeans und ein enges Shirt, das so weiß ist, dass es fast meie Augen blendet. Deine Haare wirken etwas länger als früher, aber auf die entfernung kann ich mich auch irren. Dass du eine schmale, schwarze Sonnenbrille trägst, erkenne ich hingegen sehr gut. Dein Blickt schweift weiträumig über das Haus. Dann nickst du dem Fahrer deiner Limo rücklings zu und dieser wenidet geschickt und verschwindet dann. Während du ganz langam zum Hauseingang hinüberkommst, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, wie sie am Ende der Straße stoppt und einparkt. Scheinbar willst du nicht lange bleiben. Jetzt verschluckt dich die Überdachung des Eingangs. Ich warte ein paar Sekunden lang, doch als nichts geschieht, nehme ich an, du bist hineingegangen. Also willst du doch nicht zu mir. bloß gut. Obwohl...Ich wende mich vom Fenster ab und mache, seltsamerweise etwas schlecht gelaunt, das Radio an. In exakt diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür. Verblüfft fahre ich herum. Ich kann nicht glauben, dass das dort tatsächlich Du sein sollst. Vielleicht bist du es ja auch gar nicht... Sichr nur irgend so ein Verteeter, der zufälligerweise gerade jetzt in diesem Moment einen Staubsauger oder eine Lebensversicherung an mich verkaufen will. Am Besten, ich mache einfach gar nicht erst auf. ... Und wenn du es doch bist...? Sicher nicht. Aber wenn doch...? Ich stelle das Radio ab. Schweigen. Dann war es wohl wirklich ein Vertreter. Der ist längst wieder weg. Es klingelt erneut. Ich starre wie abwesend auf die weiße Tapete an der Flurecke, hiner der sich die Tür befindet. Wie in Zeitlupe stehe ich auf. Ebenso langsam gehe ich in den Flur. Es klingelt noch einmal. Aus einem plötzlichen Impuls heraus muss ich grinsen, dann stürme ich zur Tür und reiße sie auf. Nein, es ist kein Vertreter. "Hey, wie geht's? Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Was machst du denn hier? Komm rein! Willst du Kaffee?", sprudele ich hervor und dein leibhaftiger Anblick vor mich lässt mich noch breiter grinsen. "Nein danke", sagst du nur schlicht und rührst dich nicht. Mir bleibt nichts anderes übrig als mich über dein komisches Verhalten zu wundern, bis ich dich erstmal eingehend mustere. Du siehst mich sehr ernst an. Dein Haar ist wirklich länger geworden und deine Haare ist noch etwas spitzer, als sie es früher war. Du wirkst müde, zweifelllos von zu viel Arbeit, und leicht fehl am Platze. Die Jeans sehen ungewohnt aus an dir, doch sie stehen dir dennoch. Immernoch schweigst du. Fragend schaue ich dich an. "Willst du zu mir...?", frage ich nach einer Weile zögernd und etwas verunsichert, obwohl das ein wenig doof klingt. Du nickst. Was ist nur los mit dir, wie du so vor mir stehst und mich anschweigst, ist es gar nicht deine art. Zumindest nicht so, wie ich es von früher gewohnt bin. Dein Benehmen macht mich ein bisschen nervös und lässt mich zögern. "...Willst du reden?", frage ich nach ein paar Sekunden der Stille. "Ja.", antwortest du nur. Na, wenn du so weitermachst, können wir das Reden für heute vergessen. Unsicher mache ich einen Schritt aus der Tür hinaus in den Flur und auf dich zu, lege eine Hand wie beiläufig auf deinen Rücken und schiebe dich beinahe in meine Wohnung hinein. "Jetzt komm doch erstmal rein!", fordere ich dich dabei auf, obwohl du schon drinnen auf dem Schuhabtreter stehst. Endlich schließe ich die Tür hinter uns. "Scheint was Ernstes zu sein, was?", frage ich dich skeptisch und begutachte dich misstrauisch. "Ich denke schon, ja.", antwortest du und siehst dich flüchtig um. "Hättest du vielleicht ein paar Minuten für mich? es dauert sicher nicht sehr lange, ich werde mich kurz fassen", bittest du dann höflich. Mann, ich hätte ja nie gedacht, dass du jemals in diesem Ton mit mir reden würdest! "Für dich hab ich den ganzen Tag Zeit", grinste ich freundlich ironisch, aber irgendwie auch ein wenig ernst gemeint. Du gehst nciht darauf ein, sagst nur mit einem undefinierbaren Nicken "Gut." "Komm mit.", sage ich darauf und drehe mich um. An deinen leiden Schritten hinter mir stelle ich fest, dass du mir ins Wohnzimmer folgst, wo ich auf ein Sitzeckchen deute und meinen Blick wieder dir schenke. "Setz dich. Soll ich dir Kaffe machen?", frage ich und mache mich ohne eine Antwort abzuwarten schon halb auf den Weg zur Küche, zumindest gedanklich. "Nein danke" "Äh... Sicher nicht...? Ich meine...", stottere ich überrascht nach, doch du schüttelst nur den Kopf. "Wirklich nicht." Auf einen neugierigen, durchborenden Blick von mir hin, fügst du seufzend hinzu "Das Koffein verträgt sich nicht mit meinen Medikamenten." Was für Medikamente?", hakte ich sofort misstrauisch nachm doch du winkst ab und vertröstest mich mit einem kleinen "Später." Kurz will ich protestieren, doch dann schlucke ich den Drang hinunter und setze mich in einen Sessel schräg neben dem Sofa, auf das zu dich soeben niedergelassen hast. Neugierig und gespannt will ich nun endlich erfahren, warum es dich hierher verschlagen hat, doch als ich den Mund öffne, um dich das zu fragen, bleibt er mir offen stehen und mir entfährt ein etwas ungepflegtes "Meine Fresse, bist du dünn geworden!", als mein Blick auf dein Profil fällt, auf das Nichts von einer Taille und deine Hose, die Falten schlägt an Stellen, wo meine Beine nicht mal hineinpassen würden. Du zuckst desinteressiert die Schultern. Schnell wende ich den Blick ab, denn dein nahezu ungesund schlanker Körper fängt meinen Blick als wäre er magnetisch geladen, was mir ehrlich gesagt ziemlich peinlich ist. "ich bin gleich wieder da.", entschuldige ich mich hastig und springe auf, mache mich doch noch auf den Weg in die Küche. Unwillkürlich überfliege ich im Flur die Bücherregale und finde es auf Anhieb: unser Abi-Jahrbuch. Ich kann nicht widerstehen, wie magisch gesteuert halte ich an und ziehe es aus dem Regal. Meine Finger blättern fahrig durch das Hochglanzpapier, bis ich deine Seite gefunden habe. sie ist fast leer. Ganz unten in der Ecke steht mit krakeliger Handschrift "Die Welt wird mein Imperium sein - muaharhahrhahrhaaar!", versehen mit einem grässlichen Smiley, der irre Lacht und Kaibas Frisur hat. Das ist auf meinem Mist gewachsen, aber hey, du hast es wirklich verdient, immerhin hast du meine Seite mit einem Hundetapser entstellt, genau an der Stelle, wo ich eigentlich meine extra für diese Seite in Stundenlanger Arbeit designte Unterschrift hatte hinsetzen wollen. Kunststück, es war die einzig freie Fläche auf der ganzen Seite, denn sie war so vollgequetscht mit Anekdoten, mit Witzen und mit Kommentaren von Yugi und Tris und Wünschen für die Zukunft von Thea, dass man die einzelnen Texte kaum entziffern konnte. Meine Rache ärgerte dich allerdings nicht hal so sehr, wie ich gehofft hatte. Du fandest es nur kindisch und dämlich. Dein Bild ist klein und schlecht kopiert, aber man erkennt es. Du wirkst schlecht gelaunt wie immer und guckst nicht einmal in die Kamera. Ich nehme an, dieses Foto ist ohne dein Wissen entstanden. Du wirkst schlank, doch kräftig und gesund. Vermutlich hast du das Essen komplett aufgegeben, seit Mokuba in Eurpoa studiert und du allein in dieser riesigen Villa haust. Noch ein letztes Mal lasse ich die Seiten durch meine Finger gleiten, dann klappe ich das Buch zu und lasse es wieder im Regal verschwinden. Als ich Sekunden später mit einem Glas Wasser in der Hand noch einmal daran vorbeikomme, begutachte ich es erneut etwas abschätzend, doch schließlich kehre ich ins Wohnzimmer zu dir zurück. Ich stelle mein Glas ab, lasse mich in meinen Sessel fallen, ziehe die Beine auf die Polsterf und sehe dich fragend an. "Also wenn du nach dieser Zeit schon freiwillig zu mir kommst, nur um mit mir zu reden, dann muss es schon echt ernst sein! Spucks aus, haben sie Mokuba mal wieder entführt?" Du hebst die Augenbrauen. Meine Stimme klingt unbeschwert und daran liegt es mir, aber eigentlich ist es mir sehr ernst. Leute wie du, die stehen nicht ganz plötzlich vor der Tür und wollen mit mir über Belanglosigkeiten reden, wenn sie mich noch nicht einmal leiden können. "Dann würde ich sicher nicht ausgerechnet dich um Hilfe anflehen", antwortest du sarkastisch. "Sei freundlich zu mir oder ich schmeiß dich raus!", warne ich dich, obwohl ich es sicher nicht tun würde. Naja, später vielleicht, wenn er mal wieder richtig beleidigend wirst und mit Fremdwörtern, die nicht mal der Duden kennt, um sich wirfst. Du allerdings scheinst es mir zuzutrauen. Du schweigst. "Sollte ein Witz sein.", tue ich ab und verdrehe die Augen. "Also worum geht es wirklich?" Du atmest tief durch und schlägst nun das andere Bein über das erste. "Ich bin nicht hier, um dich um etwas zu bitten. Eigentlich will ich dir nur etwas mitteilen. Ich dachte, es würde dir mehr liegen, als es später über die Medien zu erfahren." Du machst eine Pause und siehst mich durchdringend an, deine Stimme ist seltsam entspannt und ruhig und hat einen angenehmen, sonoren Unterklang. Ich starre nur wartend zurück. Bei dem Aufwand, den du hier betreibst, scheint es etwas Wichtiges zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, was ausgerechnet du mir so Wichtiges zu erzählen hast, dass du dich persönlich zu mir bequemst und dann sogar noch meiner Einladung nachkommst und Platz nimmst. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt, denn du machst es ja auch ziemlich spannend. Doch je länger ich dich betrachte, wie du schweigst und starrst, desto sicherer bin ich, dass ich es eigentlich gar nicht wissen will. Eine erfreuliche Nachricht ist es jedenfalls nicht, die du mir da bringst. Düstere Vorahnung plagen mich ja schon unterschwellig seit deiner Ankunft. Du verbreitest eine eigenartige Stimmung in mir. Trostlos, ja so müsste man es nennen, trostlos. Wir schweigen noch eine ganze Weile, ich, weil ich mich nicht traue zu fragen, du... nun, wer weiß das schon, vielleicht ja, weil du dich nicht traust, fortzufahren. Doch nach zwei oder drei Minuten habe ich genug. Ich frage dich, etwas wankende Entschlossenheit in der Stimme, den Ponny puste ich mir dabei aus der Stirn und bin mir nun sicher, dass du darauf gewartest hast. "Was ist es?" Du siehst zur Seite und sprichst sehr leise. Deine Stimme hat nichts schneidendes mehr an sich. "Tödlicher Krebs im Endstadium. Es ist die Lunge." Erneut klebt mein Blick reglos an dir und ich versuche zu entziffern, ob du lügst. Doch du siehst nicht so aus, als würdest du lügen. Außerdem weiß ich, so wenig ich auch manchmal von dir halte, dass du über ein so selsibles Thema keine Witze machst. Du hast nie Witze über den Tod gemacht. Du bist erwachsen genug, um dem Leben seine Rolle anzuerkennen. Dennoch kann ich es nicht glauben. Auch jetzt wirkst du so wie früher, unantastbar, unübertrefflich. Unsterblich. Der Gedanke, dass dein Untergang, deine Niederlage von innen kommt, dass du dein eigener Feind bist und dich selbst besiegen wirst, wie es kein anderer vermag, ist auf eine abstruse Art logisch für mich. Ich weiß nicht, was ich sagen oder tun könnte, so schweige ich weiter und sehe dich an. Du guckst fragend zurück, doch ich will nichts sagen, mich selbst, oder eher uns beide, nicht in diese Verlegenheit bringen. Ich will dir nicht sagen, wie unglaublich beschissen, unfair, unbeschreiblich, unvorstellbar und grotesk ich das alles gerade finde. Ich will dir nicht sagen müssen, dass du mir Leid tust. Du würdest es eh nicht hören wollen. Ich würge die kleinen, sinnlosen Worte also hinunter, bevor sie mir doch noch über die Lippen rutschen, und höre mich stattdessen ohne jegliche Zustimmung meinerseits sagen "Ach deshalb bist du so dünn geworden." Du siehst mich eindeutig so an, als ob du noch auf etwas anderes warten würdest. Offensichtlich hast du noch mehr als diesen einen dämlichen Satz erwartet, doch ich halte auch meine Stammelei, die sich nach außen buddeln will, zurück und sage nichts weiter, was sollte ich auch sagen, wer weißt schon in so einer Situation, was er da sagen würde. Nichts, aber auch gar nichts, was man dann sagst, kann auch nur irgendetwas bewirken oder gar verbessern. Worte scheinen sinnlos gegen so viel geballte Ungerechtigkeit. Doch nach ein paar Minuten der totalen Stille, in denen ich dich aufmerksam mustere und du leicht mit dem Fuß wippst, während dein Blick im Raum umherschweift und kurz aus dem Fenster fällt, festigt sich meine Stimme wieder etwas. Plötzlich bin ich mir beinahe sicher. "Du lügst doch", prangere ich ihn fast beleidigt an, meine Stimme ruhig, aber etwas bissig: "Du bist echt ein ziemlich gemeiner Lügner, ich meine, lügen konntest du schon immer gut, aber ich hätte etwas mehr Respekt von dir erwartet! Warum bist du so abgrundtief gemein zu mir, warum spielst du mir so einen fiesen Streich, das ist doch sonst nicht deine Art, hm? Denkst du, das wäre lustig? 'Hey, ich statte Wheeler mal einen Besuch ab und verarsch ihn ein bisschen, vielleicht heult er ja sogar?!'", meine Stimme wird deutlich lauter, je länger ich spreche, und meine Hände schlagen sich in meinen T-Shirt-Saum in meinem Schoß. Du bist nicht beeindruckt und sollte mein Ausbruch irgendetwas in dir ausgelöst haben, nun, zeigen tust du es jedenfalls nicht. Langsam und sachte schüttelst du den Kopf. "Es ist wahr.", bestätigst du nachdrücklich und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Ich schüttele sehr energisch den Kopf darauf und fauche dich wütend an: "Nein, das ist es nicht, dann wärst du jetzt nicht hier, warum solltest du extra zu mir kommen, zu Joey Wheeler, und mir deine Nachricht persönlich überbringen, hm? Warum? Außerdem ist das total unmöglich, ich meine, wir reden hier nicht von irgendwem, wir redne von dir, von DIR! Und wenn es jemanden gibt, der immun gegen alles ist, dann bist du es, du kannst überhaupt nicht krank werden und unheilbar ja schonmal gar nicht!", knurre ich etwas hysterisch, anklagend und ziemlich tief gekränkt. Meine Stimme klingt gegen Ende etwas brüchig, so wie ich mich fühle, kurz vor dem Heulen. Doch du nickst ein weiteres Mal und bekräftigst erneut "Es ist wahr." Und dann heule ich doch noch oder sagen wir, ich bekomme zumindest etwas feuchte Augen. Ich will mir die Sicht freiwischen, bevor mir eine Träne aus dem Augenwinkel rutscht, doch vor dir ist mir das peinlich und vor mir selbst noch umso mehr. Warum flenne ich hier auf rum wegen einem Typen, den ich kaum kenne und schon gar nicht leiden kann und den ich seit Jahren nicht gesehen hab und der mir immer nur Ärger beschert hat?! Wegen dem Arsch, der mich so gerne und ausdauernd Streuner, Amateur, Versager, Wauwau, Loser oder Gossentöle betitelt hat und den ich morgens bis abends am Liebsten ständig verprügeln hätte wollen, wenn ich mich nur getraut hätte. Warum ausgerechnet wegen dem? Das ist doch absurd! Aber so absurd es auch sein mag, dein Anblick, wie du mir gegenüber sitzt mit deinen gefassten Gesicht und deinen kühlen, hellen Augen, verhindert, dass meine Augen wieder zum Trocknen kommen. Ich hasse dich dafür, fast mehr, als ich dir früher gehasst habe. Ich starre dich noch immer wutentbrannt an und hoffe insgeheim, dass meine verzerrte, anklagende Miene dich so ablenkt, dass du meine glitzernden Augen gar nicht bemerkst, da zauberst du eine Packung Zellstofftaschentüch aus der Hosentasche und ziehst eines heraus, das du mit einer raschen Bewegung des Handgelenks entfaltest. Dann stockt mir fast der Atem, als du es mir hilhälst, auf dem Sessel weiter nach vorn rutschst, dich dann auch noch weiter zu mir beugst und mir schließlich eine Hand aufs Knie legst. Ich wiederhole, deine Hand liegt auf meinem Knie und deinem Blick nach bist du niht einmla besonders angewidert. Ich schaue von dir zu dem Taschentuch, zu deiner Hand, zu dir, und ich weiß, mein Mund steht offen und vor Verwirrung ist mir glatt das Heulen vergangen. Als du ein wenig mit dem weißen Papierpaschentuch herumwedelst und mich undeutbar fixierst, nehme ich es dir mehr aus Reflex ab und wende mich dann demonstrativ zum Fenster hin weg, um mir die Augen flüchtig trocken zu wischen. Danach verspüre ich keine große Lust, dich wieder anzusehen. Dein Taschentuch riecht nach Kamille. "Tut mir Leid", murmele ich schließlich, mit dem Fenster redend statt mit dir, das Taschentuch lasse ich langsam mit beiden Händen gedankenverloren umklammert in den Schoß sinken. "Ich hätte nicht erwartet, dass ich dir Taschentücher ausgerechnet bei dir brauen würde.", gibt er zurück, doch es ist nicht zu deuten, was er mir mit diesem Kommentar sagen will. Ich pflichte ihm beinahe grinsend bei. "Das hätte ich erst recht nicht gedacht." Schließlich ziehe ich die Füße zu mir auf das Sofa und das Papiertuch rutscht mir dabei vom Schoß, ohne dass ich ihm Beachtung schenke. Mein Blick gilt wieder dir. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast sagen, es wäre Schulbewusstsein, was da in deinen hellen Augen zwischen den Wimpern hervorblinzelt, dein Blick ist gesenkt und schweift irgendwo links hinter mir knapp über den Boden, da, wo eine fröhlich wuchernde Topfpflanze so ungezähmt vor sich hinsprießt, dass ich Angst habe, sie wird mich irgendwann einmal zerquetschen. Du siehst nich wirklich groß und Respekt einflößend, sportlich und energisch aus. Du wirkst groß, aber schlaksig und fehl am Platze. Bist ja auch in meiner Wohnung, wo Topfpflanzen eine ernst zu nehmende Gefahr darbieten, das würde jeden einschüchtern. Ich entscheide schließlich, deinen Blick wieder auf mich zu lenken, indem ich das Gespräch fortsetze. "Wie lange weißt du es schon?", frage ich und deine Pupillen finden mich sofort. "Seit fast zwei einhalb Jahren.", sagst du leise und bringst mich zum Staunen. Vor zwei Jahren haben wir beide unseren Abschluss gemacht. Das war ein halbes Jahr vorher. Du hast es geheimgehalten, du hast mich jeden Tag gesehen, jeden Tag mit mir gestritten und doch nicht einmal auch nur mit einem Wimpernzucken verraten, was in dir vorging! "Warum hast du es mir damals nicht gesagt?!", will ich etwas verletzt wissen, weiß nicht mal, warum ich mich jetzt so persönlich beleidigt fühle. Du scheinbar auch nicht. "Was hätte es geändert?", fragst du achselzuckend. Eine ganze Menge, denke ich, doch ich schweige. "Außerdem dachte ich du dieser Zeit noch, es wäre eventuell heilbar." "Und ist es das nicht?", frage ich zaghaft nach. Du schüttelst den Kopf. "Die Therapie ist anstrengend und wirkungslos, für eine derart kleine Chance verschwende ich nicht meine letzten Tage." Mein Blick ist sofort empört und hellwach. "Es gibt eine Chance und du versuchst es nicht? Bist du total bescheuert oder was?!", fahre ich dich an, doch du lässt dich nicht provozieren, du antwrtest mehr als gelassen. "Ich will in Ruhe sterben, mehr erwarte ich nicht." "Arsch." "Wenn du meinst..." "Was sagst Mokuba dazu?" "Er weiß nichts von der Chemo, er würde sich sinnlose Hoffnungen machen." "Du hast ja leicht reden!", zische ich: "Dich braucht es ja dann nicht mehr zu interessieren, was mit deiner Familie geschieht, mit deinem Leben!" Du antwortest diesmal nicht sofort. "Stimmt...", gibst du nach einem Augenblick des Überdenkens zu. "Natürlich stimmt es!", bekräftige ich nachrücklich und dein Blick ruht nachdenklich auf mir, doch du antwortest nicht mehr. "Bist du dir ganz sicher, dass du es nicht versuchen willst?", frage ich nach einer Weile hoffnungsvoll nach. "Todsicher.", antwortest du und ein ironisches Lächeln schleicht sich auf deine entspannten Geischtszüge, mit einem Ellbogen stützt du dich auf der Lehne des Sofas rücklings ab, denn du sitzt sehr seitlich und sehr tief in die Polster hgesunken da, der andere liegt bequem auf deinem Bauch herum. "Spar dir deine blöden Witze!", fahre ich dich etwas grantig an und wider Erwarten verschwindet dein Lächeln. "Wohnst du alleine? Mokuba hat mir mal geschrieben, er sei auf Austausch in Australien." "In Sidney, ja." "Aber...", setze ich an, doch du schüttels den Kopf. "Es ist besser so. Ich habe in den letzten Wochen viel Zeit im Krankenhaus verbracht und er braucht nicht zu erfahren, dass es so schnell bergab geht." Ich blinzle. "Du verschweigst es ihm? Ernsthaft?!, will ich ungläubig wissen und starre dich an." "Natürlich meine ich es ernst", meinst du achselzuckend und lehnst dich noch weiter zurück. "Und irgendwann steht er guter Laune morgens auf und findet eine Nachricht auf dem AB, in der ihm irgendein Gerichtsmediziner erzählt, dass sein großer Bruder letzte Nacht in irgendeinem Hospiz still und heimlich verreckt ist", kommentiere ich bitter und wohl auch in gewisser Weise respektlos, aber es stört dich nicht einmal. Du nickst nur. "Kann sein. Besser für ihn als mich sterben zu sehen." Ich bleibe schon wieder still und mein Blick ruht auf deinem knorrigen Leib. "Und wer sieht dich dann sterben?", frage ich leise und ernst. Wieder zuckst du die dünnen Schultern. "Niemand vermutlich. Hoffe ich." "Ich besuch dich.", biete ich ohne zu zögern an. "Nein.", lehnst du aber mit fester Stimme ab, ohne zu zögern, ohne auch nur nachzudenken. Ich schiebe meine Finger im Schoß ineinander und betrachte sie mir ruhig. Die Antwort war nicht gerade unerwartet für mich. "Wie viel Zeit bleibt dir noch?" Du zögerst. "... Unsicher. Vielleicht ein halbes Jahr. Vielleicht noch eine Woche." "So schnell?!", sprudelt es aus mir heraus. Du beugst dich erneut vor und nimmst einen Schluck aus meinem Wasserglas, dann siehst du mich wieder an. "Ich habe keine Luft, das alles bis zum Ende mitzumachen. Vielleicht geht es schnell, vielleicht zieht es sich ewig hin, das ist mir zu unsicher." Ich gucke sehr fragend drein und habe definitiv keine Ahnung, was du mir damit sagen willst. "Sobald es rapide schlimmer wird, nehme ich ne Überdosis", erklärst du und lehnst dich entspannt wieder an, während ich mich fast an meinem eigenen Atemzug verschlucke. "Bitte was? Du willst...?!" Ich rede nicht aus, doch dir muss meine Verblüffung klar werden. Schon wieder zuckt er nichtssagend die Schultern. "Was bringen mir schon ein paar Tage Leben an Geräten mit einem Herz aus Strom und Blech und einer Hirnaktivität, die gerade ausreicht, um mich atmen und Scherz fühlen zu lassen?", fragst du beinahe bitter. Auch wenn ich deinen Entschluss nicht befürworten kann, nicht mal im Mindesten, irgendwo kann ich es verstehen. Wer will schon so zu Grunde gehen, längst schon tot und doch noch irgendwie lebendig, das Blut noch im Kreis fließend und die das Fleisch noch arbeitend, aber der Geist schon lange verwest. Ich schweige. Du auch. Nach fünft Minuten stehst du auf. "Das war, was ich sagen wollte, tut mir Leid, für die Umstände", erklärst du unerwartet und wendest dich zur Tür, wobei ich automatisch aufstehe und dir den Weg in den Flur folge. Dann öffnest du die Haustür und machst einen Schritt in den Flur hinaus. Ich bleibe im Türrahmen stehen und lege eine Hand auf die Klinke. "Wiedersehen", sagst du, ich nicke darauf nur, und dann verbeugst du dich knapp vor mir. Ich sehe auf deinen Nacken hinab. In deinem Hals teilen sich die etwas zu langen Haare und fallen die über die Schultern. "Werden wir nicht, oder? Uns wiedersehen, meine ich." Du schüttelst den Kopf und stimmst mir zu. "Nein, vermutlich nicht." Dein Gesicht scheint wie versteinert und ich sehe immer die leben schwächelnden Emotionen darin, insofern man denn überhaupt welche erkennen kann. Müdigkeit, Schmerz, Zweifel, Resignation, Gleichgültikeit. Du drehst dich um und machst dich auf den Weg zum Treppenabsatz. "Kaiba!", rufe ich dir nach. Du wendest dich noch einmal fragend um ich tapse dir auf Socken auf den Hausflur hinaus hinterher, verblüfft bleibst du stehen. Vor dir komme auch ich zum Stehen und obwohl ich nicht gaz so genau weiß, warum, lege ich dir Arme um deinen Hals und ziehe dich in eine Umarmungzu mir hinunter. Deine Fingerspitzen liegen an meiner nackten Taille, wo das T-Shirt sich gehoben hat, da ich mich so strecke. Du scheinst nicht sicher zu sein, ob die die Arme um mich legen sollst oder nicht. "Ich hoffe, du genießt den Rest", spreche ich leise und mein Körper zuckt fast ein wenig, als ich für Sekundenbruchteile deine Hände auf meinem Rücken spüre, doch dann ziehst du sie zurück und auch ich lasse dich frei. "Ich versuch's", stimmst du zu, schenkst mir einen ernsten letzten Blick und gehst dann die Treppen hinunter. Ich haste zum Geländer und sehe dir nach, lausche deinen Schritten, bis unten die Haustür ins Schloss fällt. Dann gehe ich wieder hinein, plücke dein nach Kamille duftendes Taschentuch vom Sessen, lasse mich auf das große Sofa fallen und und wische mir das feuchte Geischt damit ab. Und ich dachte immer, für einen Seto Kaiba wäre alles möglich. Sieben Monate, vierzehn Tage und ein paar Stunden später stehe ich wieder am Fenster. Ich beobachte den Mini, der in Richtung meines Hauses die Straße entlang kriecht. Er ist Meerblau, dunkelblau, und hat diese schönen, eisblauen, klaren Lichreflexe, die mich an Autos immer faszinieren, wenn sie im Sonnenlicht glitzern. Ich mag die Farbe sehr. Den Wagen auch. In den letzten Tagen habe ich ihn des Öfteren gesehen. Fast täglich kommt er hier vorbei. Er fährt die Straße so langsam hinab, dass man denken könne, die Bewegung sei eine optische Täuschung, denn er steht fast still, Schritttempo wäre wirklich übertrieben zu sagen. Dann stoppt er kurz vor meinem Haus. Niemand steigt aus oder ein, er steht dort nur ein paar Sekunden lang, manchmal auch etwas länger, und wartet auf etwas Unsichtbares, dann fährt er mit deutlich höherem Tempo davon und schon ist er um die nächste Kurve, wo ich ihn nicht mehr sehen kann. Heute steht er sehr lange vor meinem Haus. Schon an die drei Minuten. Ein Teil des Autodaches ist von einem Apfelbaum verdeckt, der unerklärlicherweise vor dem Hauseingang herrlich gedeiht und längst aus dem Setzkasten unter dem Vordach der Haustür hervorgewachsen ist. Ich will das Radio anstellen, stehe auf, stelle meine Kaffeetasse ab und lasse meine Beobachtung fallen, halb fühle ich mich schon wie die alte Dame unter mir, die immer hinter den Gardinen hervorlugt und Strichlisten führt, wer von ihren Nachbarn wann nach Hause kommt und ob er sich an die Nachtruhe hält. Sollte sie über mich auch so eine Liste haben, dann ist es sicher eine schwarze. Gerade will ich auf den Power-Knopf am Radio drücken, doch ich werde daran gehindert, an der Tür klingelt es. Vielleicht die Post, denke ich mir und mache mich barfuß und mit einer Butterkeksecke im Mund auf den Weg zur Tür. Ich trage nur eine ausgewaschene Jeans und ein weites, langes, ebenfalls ausgeleiertes T-Shirt, doch wer mich beim Spionieren stört, der wird meinen Anblick schon ertragen müssen. Dann öffne ich die Tür. Deine Augen strahlen lebendig, so wie dein Haar, deine helle Haut. Nichts an dir sieht matt oder knochig aus. Ich blinzle. Du grinst. Dann drückst du mir einen großen Strauß orange-roter Linien in die Hand. Ich starre. Du schweigst. Dann lasse ich den Keks fallen, umklammere die Blumen und stolpere die zwei Schritte aus der Tür auf dich zu, schlinge die Arme besitzergreifend um deinen Hals. Hinter mir fällt krachend die Wohnungstür zu. Ausgesperrt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)