Some Shorties von abgemeldet (klitzekleine Szenen aus dem Leben zweier alter Bekannter) ================================================================================ Kapitel 3: Neutralisation á la Wheeler - oder: 45 Minuten und der Versuch, diese zu überleben --------------------------------------------------------------------------------------------- Wir hatten Chemieunterricht. Experimente mit Säuren und Basen. Genauer gesagt sollten wir eine möglichst perfekte Neutralisation auf die Beine stellen, deren pH-Wert auf Anhieb bei 7 lag. Das allein wäre nicht weiter schwierig, wenn ich nicht heute besonders viel Pech hätte. Um das zu präzisieren: Wenn ich nicht heute ausgerechnet mit Joseph Jay Wheeler zusammen arbeiten müsste. Und eben jener hatte natürlich die letzten zehn Stunden Chemie mit seinem Kumpel Tristan und jeder Menge Partien Käsekästchen, oder wie diese Dinger alle hießen, verbracht und hatte dementsprechend keine, aber auch gar keine Ahnung von dem, was er zu tun angewiesen war. Es wäre lustig gewesen, seine verzweifelten Versuche mit anzusehen und die skeptischen Kommentare der Lehrerin mit skeptischen Kommentaren meiner selbst zu unterstützen, wenn da nicht eine kleine störende Tatsache wäre: Joey Wheeler ließ alles explodieren, was auch nur im Entferntesten brennbar war. Diesmal brauchten wir nicht einmal einen Brenner, sondern nur ein kleines Feuerzeug, und doch hatte er in dieser Stunde schon eine Rolle pH-Papier verbrannt und einen Erlenmeyerkolben kohlrabenschwarz anlaufen lassen. Er war wirklich ein Pechvogel. Und ich war ein noch größerer, denn ich war dazu verdonnert worden, ihn die ganze Stunde lang zu ertragen. Ich hatte mich sogar so weit erniedrigen lassen, eine dieser schrecklichen Schutzbrillen aufzusetzen, bei Wheeler war schließlich alles möglich und ich fürchtete um mein Sehvermögen. Auch wenn ich mir jetzt unheimlich lächerlich und ein bisschen gedemütigt vorkam, ich war mehr oder weniger sicher. Was konnte so Schlimmes passieren? Ich trug lange Ärmel, feste Schuhe, meine Haare waren relativ kurz und ich ging nicht allzu nah an seine Experimente heran. Ich konnte auch von hier, einem Ort in 2 Meter Sicherheitsabstand, ganz gut erkennen, was für einen Mist er baute. Oder braute, je nach dem. Leider war es bisher noch jedes Mal zu spät gewesen, um „Bloß nicht!“, zu schreien, bevor er etwas zum Ex- beziehungsweise Implodieren brachte. Ich sah mich kurz um, doch was an den anderen Tischen geschah interessierte mich nur geringfügig mehr als meine eigene misslungene, traurige Neutralisation, an der sich Wheeler gerade versuchte, bis ich die Geduld verlieren und es selbst machen würde. Mein Blick schweifte zur Lehrerin, die das Geschehen hinter mir, vermutlich den werkelnden Joey, misstrauisch begutachtete. Ihre Augenbrauen verzogen sich finster und sie setzte sich in Bewegung, doch ehe sie auch nur einen Schritt machen konnte, hörte ich ein ahnungsvolles „Oh oh…“, hinter mir und als ich erschrocken herumfuhr, sah ich nur noch, wie er sich schnell unter den Tisch duckte, dann ein ohrenbetäubender Knall und Schmerz an vielen Stellen meines Körpers, meiner Haut. Ich hatte die Augen instinktiv zugekniffen und die Arme zum Schutz vor das Gesicht gehoben. Nach sekundenlangem Schweigen und absoluter Stille öffnete ich sie vorsichtig wieder und riskierte einen knappen Blick auf unseren Tisch. Joey lugte unter dem Tisch vor. Auf der Arbeitsplatte stand nur noch der Boden eines Gefäßes, das explodiert zu sein schien, die letzte Flüssigkeit rann aus dem zerstörten Kolben auf den Tisch und tropfte von der Kante. Das Glas schien in alle Richtungen gesplittert zu sein, aber der Großteil davon, so fühlte es sich zumindest an, steckte nun in meinen Armen, in meinem Hals, meiner Brust, meiner Seite, die ich ihm zugewandt hatte. Ich hätte es ahnen müssen. Chemie mit Wheeler war einfach viel zu riskant für eine öffentliche Person wie mich. Als ich die Arme sinken ließ und an mir hinabblickte, zeichneten sich die ersten Blutrinnsale auf meiner Kleidung ab. „Wheeler…?“, grollte ich, doch ich kam nicht mehr zu der geplanten Äußerung einer ernst gemeinten Morddrohung, denn in diesem Moment kam die Lehrerin bei mir an und blieb vor dem Tisch stehen, auf Joey herabsehend, der langsam und schuldbewusst unter dem Tisch hervorkrabbelte. „Joey… Was war in diesem Behälter???“, fragte sie langsam und mit todernster Stimme. Er wurde augenblicklich rot und hüstelte. „Ähm… Etwas Wasser und… Schwefelsäure…“, wisperte er unbequem und stand nun vollends auf. „Drei Tropfen Schwefelsäure, wie ich gesagt hatte?“, hakte die Frau nach. Er grinste verschwommen und sehr peinlich berührt. „Naja… Kann etwas mehr gewesen sein… Hab mich wohl… Ein paar mal verzählt, wissen Sie…?“, antwortete er leise und manchmal, dachte ich, manchmal könnte ich ihn einfach nur packen, schütteln und dann gaaaaanz langsam erwürgen… „Was noch?“, fragte die Lehrerin bedrohlich leise. Er schluckte. „Ähm…“ Er sah aus, als wolle er gleich wieder unter den Tisch zurück krabbeln. Und wenn ich er wäre, und ich danke Gott, dass ich es nicht bin, dann würde ich es auch tun. Wenn ihn die nette Frau Beamtin nicht umbrachte, dann würde ich ihre Versäumnisse mit Freude nachholen. „… Das da?“, fuhr er fort und deutete auf eine Dose am Rand des Tisches. „Die Frau bewegte sich ganz langsam, ohne den Blick von Wheeler zu nehmen, gen Dose und drehte sie dann so lange, bis sie das Etikett lesen konnte. Ich sah es von hier aus nicht, aber ich konnte mir denken, dass es eine Substanz war, die niemand, aber auch niemand anderer außer Joey Wheeler so blöd war, in Schwefelsäure zu kippen. Zumindest vermutete ich das angesichts des unheilvoll zuckenden Gesichtes der armen gepeinigten Dame. Meine Hand wanderte wie von selbst zu meinem Hals, um ihn abzutasten. Ich spürte viele kleine Glassplitterchen. Und ich fragte mich, wie Wheeler es geschafft hatte, davon verschont zu bleiben. „Joseph Jay Wheeler, wie kannst du nur so unvorsichtig sei - “, begann die Frau zu kreischen, doch Joey unterbrach sie, und das bedeutete entweder großen Mut oder grenzenlose Blödheit. Ich persönlich weiß ja, wofür ich meine Stimme abgeben würde… „Kaiba, du blutest!“ Für diesen schlichten Satz hatte Joey seine Chemielehrerin unterbrochen und somit sein Leben aufs Spiel gesetzt. Nicht dass einmal mehr oder weniger sein Leben aufs Spiel setzen bei einem wie Wheeler noch eine Rolle spielte, aber… Er kam auf mich zu und ließ die Frau einfach stehen, die immernoch vor Wut rauchte. „Ist mir nicht entgangen, Vollidiot.“, war meine kühle Antwort. „Aber hallo, schau mal deine Ärmel an“ Und da!“, er deutete auf einen großen Schnitt an meinem linken Handrücken, in dem noch die Scherbe steckte. Ich versuchte sie zu entfernen, doch ließ es schnell bleiben. Vermutlich würde ich mich beim Herausziehen noch mehr schneiden als auf dem Weg hinein schon. „Ähm… War ich das etwa?“, fragte er mit Unschuldsmiene. Ich hob zur Antwort nur die Augenbrauen. „Ah… Ups?“, brachte er hervor und wirkte etwas ratlos und mit der Situation überfordert. „Also… Sollte ich vielleicht… Soll ich dich ins Krankenzimmer bringen… oder so…?“, stotterte er verlegen. Ich könnte ihn jetzt töten. Doch statt einem tödlichen Dolchstich ins Herz bekam er nur einen scharfen Blick von mir. „DU – Tust gar nichts, Wheeler! Ich werde mich jetzt jedenfalls zum nächsten Chirurgen begeben und dieses Problem aus der Welt schaffen. Und du –“, ich warf der Lehrerin einen bedeutungsvollen Blick im Vorbeigehen zu und machte mich auf zur Tür, „Hast hoffentlich viel Spaß dabei, die nächsten drei Monate nach der Schule den Keller zu schrubben.“ Ich grinste diesmal nicht einmal. Ich schloss nur noch die Tür hinter mir. Dieser riesig untalentierte, idiotische, unfähige, dämliche… Ich machte mich mit meinen mörderischen Gedanken auf zum Treppenhaus, doch als ich die Tür öffnete, stoppte mich ein lautes Krachen hinter mir und schnelle Schritte, beinahe rennend, auf weichen Gummisohlen. Ich hätte es mir fast denken können. Ich seufzte entnervt und drehte mich zu ihm um. Fast hätte man mir den Schreck angesehen. Dass er so nahe vor mir stand hatte ich nicht erwartet. Uns trennten noch etwa 50 cm, was definitiv zu wenig war. „Du, Kaiba, hör mal…“ „Fass dich kurz, Wheeler!“, stutzte ich ihn zurecht. „Also weißt du, ich hab das nicht gemacht, weil du gerade du bist oder so, ich wollte dir wirklich nicht… Ich meine, es war halt ein Unfall, verstehst du, das kann ja mal vorkommen… Oder?“, er tippte seine Zeigefinger nervös vor der Brust aneinander, während er sprach und schaute mit gesenktem Kopf vorsichtig zu mir auf. „Es ist die Frequenz, mit der dir ‚Unfälle’ passieren, die mich beunruhig, Wheeler. Und jetzt nerv nicht, sonst überlege ich mir bei Gelegenheit einen hübschen Unfall ganz allein für dich.“, drohte ich. Er wusste genau wie ich, dass meine Drohungen unerfüllt blieben, doch er hielt dennoch einmal seine vorlaute Klappe, was mich beinahe wunderte. Ich musterte ihn noch einmal streng, dann ließ ich ihn stehen und ging ins Treppenhaus. Erst auf halber Treppe nach unten hörte ich seine leicht dumpfe Stimme noch einmal. „Ich wollte doch nur sagen, dass es mir Leid tut, du arroganter Arsch!“, schrie er mir nach. Diesmal musste ich grinsen. Und ich wusste nicht mal wieso. Aber so war er eben. Er ließ mich meine eigenen Reaktionen auf seine Taten nicht verstehen. Ein Blutstropfen rann von meinem Handrücken auf den Steinboden. Ich störte mich nicht daran und ließ ihn wo er war, ging weiter meines Weges, überquerte den Schulhof und stieg vor dem Tor in die Limousine, die dort seit dem Schulbeginn geparkt war. Mir war durchaus bewusst, dass er im zweiten Stock am großen Flurfenster stand, eine Hand an der Scheibe, auf seiner Unterlippe kauend und mir nachstarrend. Doch ich machte mir nicht die Mühe, ihm zu winken und ihn so darauf aufmerksam zu machen, dass mir seine Anstrengungen nicht entgingen. Vielleicht ein andermal… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)