Some Shorties von abgemeldet (klitzekleine Szenen aus dem Leben zweier alter Bekannter) ================================================================================ Kapitel 2: Ein ungebetener Besucher - oder: Als ich die Bücher Seto Kaibas verschandelte ---------------------------------------------------------------------------------------- Ich hatte ihm ja eigentlich nur aufgemacht, um ihm seine blöden Schulbücher zu geben. In der Hoffnung, er würde das Eselsohr in „Mathematik 12“ und den Teefleck auf Seite 136 in „Biologie - Ein Handbuch für die gymnasiale Oberstufe“ nicht finden. Ist ja nicht so, dass ich vor ihm zu Kreuze gekrochen wäre, um ihn zu bitten, mir seine Bücher zu geben. Im Gegenteil. Er war die ganze Woche schon nicht in der Schule und hatte angemeldet, auch die nächste nicht zu kommen. Soweit ich verstanden hatte, flog er dieses Wochenende nach sonst wohin für internationale Übereinkünfte oder so einen Scheiß, und musste die letzten Tage, und Nächte, nehme ich an, dafür planen. So bat mich die Lehrerin, und fragt mich verflucht noch mal nicht, warum ausgerechnet mich, wusste doch jede Kanalratte, die ein Loch in unseren Schulmauern ihr Heim nannte, von unserer Fehde, ihm seine blöden Schwarten vorbei zu bringen. Und noch weniger verstehe ich, warum ich auch noch zustimmen musste. Ich erinnere mich nur noch an das bettelnde Gesicht meiner Lieblingslehrerin, mit ihrem entwaffnenden Kätzchenblick, und dann war schon alles zu spät. Doch bevor ich ihm den blöden, nutzlosen Stapel bringen konnte, ich gebe es zu, ich habe das Biobuch für meine Hausaufgaben benutzt, weil ich Seite 136 irgendwann mal für einen Papierflieger benutzt hatte, stand er schon vor der Tür. Freundlich wie immer, mit einer schlechte-Laune-Fresse wie drei Jahre Winter, meinte er nur: „Meine Bücher und zwar schnell, ich habe es eilig. Und gnade dir Gott, wenn du irgendwas Dummes damit angestellt hast.“ “Für wen hältst du mich, du arroganter Arsch!“, giftete ich zurück und hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil er mich natürlich mal wieder voll ertappt hatte. Blöd gelaufen. Und so ließ ich ihn wortlos stehen, auf der Suche nach seinen Büchern, die natürlich schon lange nicht mehr säuberlich auf einem Stapel lagen, sondern irgendwo in meinem Zimmer verstreut und eins sogar in der Abstellkammer, woran ich mich aber glücklicherweise rechtzeitig erinnerte. Als ich zurückkam, bewaffnet mit gefühlter dreißig Kilo schweren Oberstufenquälereien in Papierformat, bot sich mir das wohl schrecklichste und für mich peinlichste Schauspiel, das ich in den letzten Monaten gezwungen war, mit anzusehen. Ok, abgesehen vielleicht, von diesem Hallowien, wo Serenity sich als sexy-Zimmermädchen verkleidete und in meiner Schule auftauchte, mitten in der Stunde die Tür aufriss und „Überraschung, Joey-Brudiiiiii!“, rief, worauf ein langes Schweigen folgte. Ein paar Sekunden später brach einer meiner nicht so wohlgesonnenen Mitschüler die Stille, indem er Serenity darauf hinwies, dass ihr „rosa gepunkteter Omaschlüpfer“ unter ihrem Rüschenminirock hervorlugte. Wir beide liefen in fast genau demselben Augenblick knallrot an und der scheiß Mathelehrer witterte seine Chance zu einem hübschen Beitrag und forderte die Kleine auf, ihre unpassend gekleidete Person samt Omaschlüpfer augenblicklich seines Unterrichtes zu entfernen. Der darauf folgende Unterricht war die Hölle für mich. Nicht, was die Lehrer anbelangte, sondern eher, was die Schüler alles unternahmen, um mich daran zu erinnern, dass meine kleine Schwester manchmal doch ein wenig tölpisch war. Aber nun ja, ich will nicht ablenken. Ich kam jedenfalls in den Flur mit diesem Haufen Papiermüll genannt Kaibas Bücher, betend, dass er sie nicht durchgucken würde, oder, ach was soll’s, er würde es ja hundert pro tun, mich dann wenigstens nicht gleich dafür töten lassen würde. Doch Kaiba stand nicht mehr vor der Haustür, er stand mitten im Flur. Und ihm gegenüber, mit einem Sicherheitsabstand von vielleicht 2 Metern, mein Vater. Dabei hatte ich doch so gehofft, dass nie, ich wiederhole, nie jemand aus meiner Klasse auf meinen Vater treffen würde, denn mein Vater hatte die Angewohnheit, gerne Stunk zu machen, wenn sich eine Gelegenheit ergab. Ich sah sein Gesicht nicht, da er mir den Rücken zugewandt hatte, jedoch könnte ich wetten, dass seine Laune nicht die beste war, denn er hatte die letzten Nächte mal wieder gegrübelt und kaum geschlafen. Die Arbeitslosigkeit tat ihm einfach nicht gut. Er ist ein Arbeitsmensch, mein Vater. „… nur eben etwas abholen.“, hörte ich Kaiba Gott sei Dank höflich sagen. „Sie sind Mr. Wheeler, nehme ich an? Josephs Vater?“, fragte er dann mit nicht allzu interessiertem Gesichtsausdruck. „Sehe ich so aus, als wär ich an diesem unerzogenen Bengel schuld?“, fragte mein Vater statt einer Antwort gereizt und Kaiba verzog minimal die schmalen Augenbrauen. Aus Überraschung, schien mir. Er schwieg. „Also, raus mit der Sprache, was willst du von Joe?“, wollte er misstrauisch wissen. Ich hielt die Luft an und wartete gespannt auf seine Reaktion. Da ich etwas im Schatten, nah an der Wand stand, nahm ich an, die beiden hatten mich noch nicht bemerkt. Zumindest hatte mich noch kein Blick getroffen. „Er hat ein paar Dinge, die mir gehören.“, antwortete Kaiba ganz ruhig und emotionslos. „Soso…“, hörte ich nur unzufrieden. „Sach mal, Kleiner…“, grummelte mein Alter vor sich hin, „Kommst mir bekannt vor, warste schon ma hier?“ Kaiba entwich ein sarkastisches Grinsen, ganz schmal nur. Ich hätte wetten können, dass der unhöfliche Tonfall meines Vaters ihn anpissen würde, aber er blieb weiterhin gelassen, jedoch verriet sein Blick ein gewisses Gefühl von Überlegenheit, als er antwortete. „Oh, glauben Sie mir, das hier ist mein erster und sicherlich einziger Besuch in ihrem Heim.“, sagte er leicht überheblich, obwohl noch immer vordergründig höflich. „Kommst du mir blöd, du Spießer? Hasste irgendein Problem, hm?“, fauchte er zurück und ich erwartete das schlimmstmögliche, jedoch ging ich nicht dazwischen, ich war viel zu gespannt, wie Kaiba reagieren würde. „Wie kommen Sie darauf?“, entgegnete dieser und die Herablassung war seiner Stimme jetzt schon deutlicher zu entnehmen. „Wie alt biste, Kleiner? 15? Und schon sone große Klappe, he?“ Mein Vater war gereizt, und sein Körper spannte sich langsam an, ich sah, wie sich die Fingernägel seiner Rechten in den Handballen gruben. „Sehen Sie… Es ist nicht mein Problem, wenn Sie sich grundlos angegriffen fühlen.“, meinte Kaiba, dieses unterkühlte Arschloch, immernoch vollkommen entspannt, wo ich schon längst Angstzustände bekommen hätte. „Du brauchst wohl auch ein paar Manieren, was? Die Jugend hat einfach keine Erziehung mehr!“, brüskierte sich sein inzwischen angriffslustiger Gegenüber und ließ Knöchel knacken. Nur Kaiba, dieses riesengroße, dämliche, überhebliche Snobgesicht, wusste wohl nicht, was gut und gesund für ihn war und hielt seine Klappe immernoch nicht. Nein, er setzte noch einen drauf. „Dann sollten Sie anfangen, etwas Gutes für die Jungend zu tun, und ihre Versäumnisse nachholen, indem Sie ihren Sohn wenigstens jetzt noch ein bisschen erziehen.“, schlug er mit einem unschuldigen Engelsgesicht vor. „Verfickter Klugscheißer, ich fang lieber bei dir an, was hältst du davon?!“, schrie mein Vater und machte sich daran, den Abstand zwischen ihnen schneller zu verringern, als mir lieb war. Kaiba schien weiterhin unbeeindruckt. Doch ich konnte ihn einfach nicht seine eigene Suppe auslöffeln lassen, immerhin war der Typ, der ihn gleich seiner Zähne erleichtern würde, mein Vater und somit meine Verantwortung. „Nein! Stopp!“, schrie ich gehetzt und eilte mich, zwischen die beiden zu kommen. „Kaiba, raus! Sofort!“, fauchte ich ihn an, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, während ich seine Bücher zu Boden fallen ließ und die Hände möglichst beruhigend auf die Schultern meines Vaters legte und ihn damit etwas zurückschob, auch wenn ich das Zittern schon in meinen Knien spürte. „Ruhe und scher dich aus dem Weg, dummes Gör!“, schrie mein Vater und wischte mich einfach zur Seite, so dass ich fast fiel. Doch ich fing mich und hatte nicht vor, aus dem Weg zu gehen, um ihn Kaiba zu Kleinholz raspeln zu lassen, der sich nicht vom Fleck bewegt hatte. Ich konnte es mir schon lebhaft ausmalen: Kaiba kriegte ordentlich ein paar gepfeffert und machte sich schließlich mit einem gebrochenen Arm und hübschen Veilchen davon, stieg in seine Limousine und drei Tage später kam die Klage bei uns an, mein Vater landete wegen Körperverletzung im Knast und ich landete beim scheiß Jugendamt. Nein danke. „Ich sagte, verzieh dich!“, schrie ich Kaiba über die Schulter an und bekam dank meiner Unaufmerksamkeit ein paar gewischt, was meinen Kiefer knacken ließ und mir ein Stöhnen entlockte. Jedes Mal erstaunte es mich wieder, wie viel Kraft und wie viel Aggression in diesem Mann steckte. Kaum viel größer als ich, schlank, auf den ersten Blick freundlich wirkend und trotz Arbeitslosigkeit immernoch gewissenhaft gekleidet und frisiert war er keiner von denen, die man auf den ersten Blick als Schläger abstempeln würde. Und eigentlich war er ja auch keiner. Er konnte sehr freundlich sein und sehr interessiert. Er hatte nur diese… Phasen. Wenn er mal wieder tagelang für ein Vorstellungsgespräch gelernt hatte und dann schon halb auf der Türstelle abgewiesen worden war. Oder wenn er seit Nächten nicht mehr geschlafen, sinniert und Stellenanzeigen gewälzt hatte. Dann wandelte sich seine Resignation langsam in Aggression um und ließ ihn nur auf eine passende Gelegenheit warten, um sie loszuwerden. Kaiba rührte sich immernoch nicht und ich stöhnte innerlich mehr über seine Sturheit als über den Schmerz. „Du hast doch mehr auf dem Kasten als Einstecken, Wheeler. Tu endlich was!“, forderte Kaiba mich kühl auf und ich drehte mich überrumpelt zu ihm um. „Spinnst du, das ist mein Vater!“, fuhr ich ihn an. „Du bist sein Sohn.“, sagte er, die Schultern zuckend. „Und stört es ihn?“ Er machte mich sauer. Er verstand das einfach nicht. Ich kannte meinen Vater doch, ich wusste, dass er nicht immer so war, und wenn er wieder ruhiger gestimmt war, tat es ihm Leid. Und ich verstand ihn ja auch irgendwie. Aber trotzdem hatte er mir gerade mindestens den Kiefer angeknackst. „Als ob das so einfach wäre, Klugscheißer!“, fauchte ich zur Antwort und wich einem Hieb aus. „Natürlich ist das so einfach. Oder willst du, dass er dich grün und blau schlägt?“, fragte er hochtrabend und verschränkte die Arme mit diesem „Du bist so bescheuert“- Blick, für den ich ihn töten könnte. „Sagst du gerade, wer ist denn schuld, he?“, antwortete ich angepisst, doch er störte sich wie erwartet nicht sehr daran. „Du bist einfach zu idealistisch, Wheeler.“, war sein dämlicher Kommentar. Ich wich einem weiteren Schlag aus, doch er streifte mich am Arm, was mir zeigte, dass ich meinem Vater mal wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zollen sollte, statt mich gerade jetzt mit Kaiba zu zoffen. „Und du bist einfach zu abgehoben. Sag mal, wo lebst du, dieser Mann ist meine Familie! Sorry, dass du keine hast!“ „Sag das mal dem, der dir gerade…“ Er sprach den Satz nicht zu Ende, sondern zog mich an einem Arm nach hinten, so dass ich stolperte und auf dem Allerwertesten landete. Die Faust, die mich im Gesicht getroffen hätte, wäre ich noch dort, wo ich eben war, sah ich erst jetzt. „… Das Nasenbein brechen will.“, fuhr Kaiba ungerührt fort und schubste meinen vermutlich kurzzeitig verwirrten Vater nach hinten, bis er strauchelte. „Halt dich da raus, Klugscheißer!“, grollte mein Vater, nun wieder am Gespräch beteiligt, nachdem er sich gefangen hatte und ging zurück in Angriffsposition. „Genau, halt dich raus und hau ab, auf der Stelle!“, pflichtete ich meinem Erzeuger bei und drängelte mich erneut zwischen die beiden. „Du bist erbärmlich Wheeler. Prügelst dich mit den dreckigsten Schlägern, aber lässt dich von einem wie dem fertig machen!“, versuchte Kaiba weiter, mich zu belehren. „Was interessierts dich?!“, schrie ich angepisst und wich weiter aus. Es wäre einfacher, wenn der Arsch endlich gehen würde, dann könnte ich mich jetzt einfach in meinem Zimmer einschließen und warten, bis er sich wieder abregte. Aber nein, Mr. Superschlau musste sich ja einmischen und auf großer Macker machen. „Gar nicht. Ich bin nur zufällig gerade betroffen!“, erklärte Kaiba und zu meiner Überraschung glaubte ich, in seiner Stimme einen gewissen Trotz zu erkennen. Oder vielleicht etwas anderes, aber es ließ ihn jedenfalls nicht mehr völlig kalt, was hier abging. „Duuuuuu Scheißkerl!“, schrie ich ihn an, kurz davor ihm eine zu scheuern für seine verfickte „Was geht’s mich an“- Visage und seine Unfähigkeit, wenigstens einmal auf mich zu hören, auch wenn er sah, dass es gerade unheimlich wichtig war. Doch ich ließ es. Nachher wäre ich noch auf gleicher Ebene, wie mein Vater. Und wieder musste ich mich ducken. Als ich aufstand bekam ich einen Ellenbogen in die Seite. Mit einem gedehnten „verfluuuu~cht“ sackte ich zurück auf den Boden. Ich sah die Faust auf mich zukommen, schloss die Augen, doch dann… Als ich sie nach zwei Sekunden wieder öffnete und keinen neuerlichen Schmerz spürte, fand ich mich mehr als verwirrt wieder. Kaiba stand halb über mir. Er hatte den Schlag geblockt. Ich sah, wie er das Handgelenk meines Vaters packte, ihn ruckartig vorwärts an sich vorbei zog und ihm schnell ein Bein stellte, so dass er der Länge nach fiel. Ich rappelte mich auf und wollte dazwischen gehen, doch es war schon zu spät, Kaiba ließ sich mit einem Knie auf seinem Rücken nieder, beugte sich über ihn und – ich weiß bis heute nicht, wie er das tat, doch er berührte ihn irgendwie mit einer seltsam verrenkten Handhaltung seitlich am Hals – legte ihn einfach lahm. Als er sich erhob und sich leicht die Hände abklopfte, regte sich mein Vater kein Stück mehr. Ich starrte ihn an, dann meinen Vater. „Scheiße, was hast du getan?!“, schrie ich panisch und schmiss mich neben ihm zu Boden, um zu sehen, ob er noch atmete. „Er ist bewusstlos.“, erklärte Kaiba achselzuckend. Im selben Moment spürte ich das pochende Herz an seiner Halsschlagader. Ich war so erleichtert wie schon lange nich mehr. Wütend fixierte ich Kaiba. Ich fand einfach keine Worte mehr, um zu beschreiben, was ich in diesem Moment über ihn dachte. Deswegen sagte ich nach kurzem Schweigen einfach nur: „Nimm deine scheiß Bücher und raus hier. Sofort.“ Meine Stimme war leise und klang ungewohnt und ungewollt drohend. Er schwieg und sah auf mich hinab. Als er sich nicht rührte, schrie ich ihn an. „Raus!!!!“ Meine Stimme überschlug sich fast. Er blinzelte noch einmal, dann bückte er sich, hob seine Bücher auf und verließ ohne ein weiteres Wort meine Wohnung durch die noch offene Tür. Ich hörte seine Schritte im Treppenhaus verhallen. Er sah nicht zurück. Drei Stockwerke tiefer fiel schließlich die Haustür zu und ich atmete erst da irgendwie erleichtert aus. Das war das erste Mal, dass Kaiba meine Wohnung betrat. Das zweite und letzte Mal war mindestens genauso aufregend, aber davon vielleicht ein andermal. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)