Arguments von mystique (∼ Sieben Tage, sieben Auseinandersetzungen ∼ KaibaxWheeler) ================================================================================ Kapitel 5: Freitag - Retter der Witwen und Waisen ------------------------------------------------- 5. Auseinandersetzung: Retter der Witwen und Waisen Im Namen von Seto Kaiba wird der Zivilist Joey Wheeler, wohnhaft und gebürtig in Japan, der Rufschädigung und Missachtung von Autorität angeklagt. Des Weiteren wird erlassen, dass Joey Wheeler nicht befugt ist, sich Seto Kaiba ab dem heutigen Tag ohne Zustimmung weiter als zehn Meter zu nähern. Davon ausgeschlossen ist der Unterricht von Montag bis Freitag, in dessen Zeitraum sich der Mindestabstand auf zwei Meter beschränkt. Außerhalb der Schulzeit ist es Joey Wheeler im Namen von Seto Kaiba untersagt, ihn unaufgefordert anzusprechen, ebenso besteht das Verbot, die städtische Filiale der Kaiba Corporation, sowie den amerikanischen, europäischen oder chinesischen Hauptsitz aufzusuchen. Sollte Joey Wheeler gegen eine der oben genannten Erlasse verstoßen, drohen ihm weitere Zivilklagen und Geldstrafen. Heute Nachmittag um 15.30 Uhr findet im städtischen Gericht die Verhandlung gegen Joey Wheeler statt. Dazu soll der Angeklagte sich in Begleitung eines Anwalts im Verhandlungsraum 13 einfinden. Bei Verspätung oder Nichterscheinen muss mit Geldbußen gerechnet werden. Mit freundlichen Grüßen PR-Abteilung der Kaiba Corporation Hochachtungsvoll Seto Kaiba, CEO oOo Das war ein Witz. Ein schlechter, geschmackloser, billiger Kaibawitz. Anders konnte ich diesen Fetzen blütenweißen Papiers in meiner Hand nicht interpretieren. Ich hockte auf dem Klodeckel in einer Kabine des Jungeklos und starrte fassungslos auf den Brief in meinen Händen. Kaiba konnte das unmöglich ernst meinen. Er konnte mich nicht ernsthaft anklagen. Je länger ich darüber nachdachte, je länger ich die Worte in dem Schreiben auf mich wirken ließ, desto wütender wurde ich. Wie konnte dieser egoistische Mistkerl von einem Pinkel es wagen, mich zu verklagen und noch dazu auf so eine feige, hinterhältige und unverschämte Art und Weise! In dem Brief wurde ich kein einziges Mal direkt angesprochen, man behandelte mich wie einen Gegenstand, ein nichtswürdiges, lästiges Objekt mit keiner Berechtigung zur Existenz! Noch dazu – und das war die schlimmste aller Unverschämtheiten – hatte Kaiba mich einfach so der Berechtigung beraubt, ihm auch nur ansatzweise nahe zu kommen. Zehn Meter. Zehn Meter! Lächerlicher konnte es nicht mehr werden! Dafür würde Kaiba büßen. Ich würde ihn bereuen lassen, mich jemals verklagt zu haben. Sobald dieser Schultag zu Ende war, würde er sich wünschen, niemals gedacht zu haben, mich zu verklagen. Ruckartig erhob ich mich und zerknüllte den Brief achtlos. Zu meinem Glück war noch immer Pause und ich hatte die erste Möglichkeit, Kaiba bereuen zu lassen! Die Toilettentür fiel knallend hinter mir ins Schloss und im Umkreis mehrerer Meter richteten sich sämtliche Blicke auf mich, als ich mich mit entschlossenen Schritten Kaibas Standort näherte. In meiner Rechten hielt ich noch immer das Klageschreiben, das momentane Zentrum meiner Wut, mein Blick richtete sich auf Kaiba und ich ignorierte die Fragenden und besorgten Rufe meiner Freunde, die vor der Toilette auf mich gewartet hatten – ich hatte es kaum wahrgenommen – und nun darum bemüht waren, mit mir Schritt zu halten. Mehr als zehn Meter von Kaiba entfernt blieb ich stehen, den Blick unablässig auf den Urheber meines Hasses gerichtet, den Partner dem Teufels, Satans Gehilfen, dem Halter der eisigen Vorhölle oder kurz – Kaiba, der Schreckliche! Ich war mir bewusst, dass meine Freunde unmittelbar hinter mir standen, dass der Schulhof voller Schüler war, doch diese Tatsachen kümmerten mich nicht halb so sehr, wie Kaiba, der mich noch immer nicht bemerkt hatte. Den Mund vor Abscheu verziehend holte ich mit dem rechten Arm weit aus, zielte und warf. Rein statistisch und physikalisch konnte der zerknüllte Brief Kaiba nie treffen. Er war viel zu leicht, als dass er weit zu werfen war und dennoch, eine Fügung des Schicksals musste es gewesen sein – oder schlicht und ergreifend eine starke Windböe von hinten, kombiniert mit einem starken Wurfarm – wodurch die Papierkugel rasch an Geschwindigkeit gewann und in hohem Bogen über sämtliche Schülerköpfe hinweg, genau auf Kaiba zuflog und ihn noch genauer traf, als irgendein Mathematiker es hätte vorausberechnen können. Ich hörte Téas ersticktes Keuchen hinter mir, ebenso Dukes ungläubigen Ausruf, doch der Großteil meiner Aufmerksamkeit ruhte auf Kaiba, dessen Kopf hoch ruckte, während seine Hände auf der Tastatur seines Laptops verharrten. Sein Blick suchte nach dem Schuldigen und mir war klar, dass er mich inmitten der vielen Schüler zwischen uns und um mich herum kaum würde wahrnehmen können. Ich erhob die Stimme. „He, Kaiba!“. Rief ich über den Lärm des Schulhofs und seine Augen richteten sich augenblicklich auf mich, ebenso sämtliche Blicke der umstehenden Schüler, denen ich jedoch keine Beachtung schenkte. „Kann es sein, dass der Müll dir gehört?“ Der Lärmpegel auf dem Schulhof im Umkreis einiger Meter senkte sich merklich, als weitere Schüler auf mich aufmerksam wurden. Verwirrung verbreitete sich, weil niemand wusste, warum ich Kaiba über eine Entfernung von mehr als zehn Metern regelrecht anbrüllte, damit er mich verstand. „Ich schätze, der Abstand ist angemessen, findest du nicht auch?! Das dürften gut elf Meter sein, ich hab dir sogar einen Meter gut geschrieben, bin ich nicht großzügig?“ Ich konnte auf die Entfernung nicht erkennen, ob er erstaunt, wütend oder fassungslos war, doch ich sah, wie seine Lippen sich bewegten und zweifellos meinen Namen formten. „Aber sein wir doch mal ehrlich, wenn es nach dir ginge, dürfte ich nicht einmal dieselbe Luft atmen wie du, nicht wahr?! Ich frage mich, wie du es nur mit mir in einem Raum aushältst, rein mathematisch müsste ich dir dich einen ganz schönen Teil der kostbaren Luft wegatmen. Und bevor ich es vergesse“ – ich hob den Arm und winkte übertrieben hektisch, um seine Aufmerksamkeit noch länger auf mich zu richten – „zählt es eigentlich zu Vertragsbruch, wenn ich von nun an Duke oder Tristan in meinem Namen mit dir sprechen lasse?! Wobei ich ja hier in der Schule durchaus die Erlaubnis dazu habe. Wenn ich es mir recht überlege“, meine Tonlage wurde noch eine Spur lauter, begleitet von deutlich mehr Spott als noch zuvor, „dann darf ich mich dir eigentlich auch auf bis zu zwei Metern nähern, war es nicht so? Na wenn das kein Privileg ist?“ Lachend setzte ich mich in Bewegung, mir der Tatsache bewusst, dass sämtliche Anwesenden auf dem Schulhof mich mittlerweile unverhohlen anstarrten, während der Lärmpegel einen nie da gewesenen Tiefpunkt erreichte. Als ich gut zwei Meter von Kaiba entfernt war, blieb ich stehen. Schritte dicht hinter mir verdeutlichten, dass Yugi, Téa, Tristan und Duke mir gefolgt waren. Endlich konnte ich Kaibas Gesichtszüge deutlich erkennen und ihnen stand unverhohlener Zorn. „Wheeler, was in Teufels Namen ist in dich gefahren? Hast du soeben den letzten kümmerlichen Rest deines kaum existenten Verstandes verloren oder was tust du gerade?!“ Seine Worte waren nicht mehr als ein um Beherrschung ringendes Zischen und mit einer raschen Bewegung klappte er seien Laptop zu. Das Geräusch, welches entstand, hallte seltsam dumpf in meinen Ohren nach. Seine Worte schüchterten mich nicht im Geringsten ein. Stattdessen verschränkte ich überlegen die Arme vor der Brust und blickte selbstsicher auf ihn herab. „Ich tue nur das, was mir noch erlaubt ist. In dem Abklatsch von einer Anklage oder was auch immer dieser Müll sein sollte“, ich machte eine wegwerfende Handbewegung in die Richtung, in die der zerknüllte Brief gerollt war, nachdem er Kaiba getroffen hatte, „stand nicht, dass ich während der Schulzeit, nicht mit dir reden darf. Außerdem“, nun verzogen sich meine Lippen zu einem gehässigen Grinsen, „war von reden die tatsächliche Rede und nicht von schreien. Du siehst also, ich verstoße gegen keine meiner Auflagen. Selbst wenn du wolltest, könntest du mir augenblicklich nichts anhängen, da ich dich lediglich“ – und nun erhob ich erneut die Stimme – „nett anschreie!“ „Du bist verrückt, Köter. Geh mir aus den Augen, dein Anblick ist eine Beleidigung.“ „Du willst nicht wissen, was dein Anblick jedes Mal bei mir auslöst, Kaiba.“ „Und trotzdem zieht es dich immer wieder zu mir, Wheeler“, bemerkte er scharf. „Da stellt sich mir die Frage, welch eine Faszination ich auf dich ausüben muss, dass du einfach nicht ohne mich zu können scheinst. Ist es die Tatsache, dass ich im Gegensatz zu dir ein Gewinner bin, mein Geld oder meine Ausstrahlung?“ Ich musste den Drang niederkämpfen, zu knurren. „Weder noch. Es ist der Drang, dir zu beweisen, dass auf diesem Planeten nicht jeder bereits ist, alles zu tun, damit du dich am Ende gut fühlst. Leute wie du und gerade du müssen lernen, dass sie nicht das Zentrum des Universums sind, sondern nur ein kleiner, unbedeutender Teil davon, wie alle anderen.“ „Nett gesagt Wheeler und wenn die Worte nicht von dir kommen würden, würde ich mir sogar die Mühe machen, einige Sekunde über ihre Wertlosigkeit nachzudenken, doch nun entschuldige mich.“ Er erhob sich, den Laptop unter dem Arm. Als er an mir vorbeiging, schnellte meine Hand nach vorne und ich packte ihn am Arm. Stechend richtete sich sein Blick auf mich, doch ich war schneller, bevor er sprechen konnte. „Es könnte mir nicht gleichgültiger sein, ob ich hiermit gegen einen deiner absolut lächerlichen Erlasse verstoße, meinetwegen tue ich es auch noch zehn Mal, aber merk dir das, Kaiba: Du hast mich nicht umsonst verklagt.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein Knurren, sodass nur Kaiba mich verstand. Er zeigte sich mit keiner Regung von meinen Worten beeindruckt. „Damit wären wir bei der ersten Geldbuße, Wheeler.“ Dann riss er sich von mir los und ging, ohne mich weiter zu beachten. Als Kaiba verschwunden war, wurde ich mir der Aufmerksamkeit bewusst, die sich nun auf mich richtete. Ich blickte mich um, wunderte mich über die Stille auf dem Schulhof und zuckte die Schultern. „Habt ihr nichts zu tun? Wenn es euch dann besser geht, tut einfach so, als habe das hier nie stattgefunden.“ Nie wieder im Verlauf der zukünftigen Schulgeschichte würde die erste Pause an diesem Freitag auch nur eine Erwähnung finden. oOo „Ich habe mich entschieden - diese Anklage soll Kaiba nicht ungestraft gemacht haben. Sie ist ein Aufmarschbeispiel für all die, die Kaiba schon zu unrecht verklagt hat und –“ „Paradebeispiel“, unterbrach Téa mich genervt und ich stockte. „Wer?“ „Es heißt Paradebeispiel, nicht Aufmarschbeispiel. Wo hast du das nun wieder aufgeschnappt?“ „Ist doch auch egal. Ich werde jedenfalls dafür sorgen, dass Kaiba den Tag noch verfluchen wird, an dem er mich, Joey Wheeler, verklagt hat.“ Theatralisch legte ich eine Hand auf die Brust, dann beugte ich mich verstohlen zur Seite und raunte Tristan zu: „Heute ist nicht zufällig der dreizehnte? Dann könnte ich Kaibas eindeutigen Fehler noch durch Pech begründen und würde dazu Ausstrahlungspunkte sammeln können.“ „Nee, Alter, heute ist der siebte.“ „Verdammt.“ „Du willst dich echt zum Rächer machen?“ „Nicht Rächer, Tristan. Ich bin ein Retter!“ „Ein Retter der Witwen und Waisen, was?“, spottete er. „Nimm dich vor den Witwen in Acht.“ „Ach quatsch.“ „Komm mal wieder runter, Joey“, holten Téas mahnende Worte mich schmerzhaft in die Realität zurück. „Dir scheint nicht ganz klar zu sein, in welcher Lage du momentan steckst!“ „Wieso? Ich habe Kaiba genau da, wo ich ihn haben will. Er sitzt jetzt wahrscheinlich in der Schulbibliothek und kann sich vor Angst nicht mehr halten.“ Diese Worte waren lachhaft, aber die Vorstellung, sie könnten in einer Parallelwelt möglicherweise zutreffen, war es einfach wert. Téa schien anderer Meinung zu sein. Ein schmerzhafter Griff an meinem Ohr holte mich rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. „Du hast heute Nachmittag eine Vorladung ins Gericht und hast keinen Anwalt! Wie willst du auch nur eine Minute gegen Kaiba und seine millionenteuren Staranwälte bestehen, wenn du dich nicht einmal ein bisschen verteidigen kannst?!“ „Au, au, au, au, – Téa, lass los, ich – au!“ Ich heulte auf, als ihr Griff eine Spur fester wurde. „Daran hab ich nicht gedacht – au! – tut mir – au, au! – leid, ich dachte, ich könnte – Téa, mein Ohr stirbt ab!“ Endlich ließ sie los und ich wich einige Schritte zurück, mir murrend und jammernd das malträtierte, pochende Ohr reibend. Seufzend ließ sie sich auf einen Stuhl im leeren Klassenzimmer fallen und warf einen Blick auf dir Uhr an der Wand. „Joey, die Freistunde dauert noch zwanzig Minuten, wenn wir bis dahin keine halbwegs brauchbare Lösung haben, wir Kaiba dich heute Nachmittag so hoch verklagen, dass dir Hören und Sehen vergeht!“ Ich schluckte schwer. In einem Anflug destruktiven Pessimismus bemerkte ich: „Das kann er nicht. Er weiß, dass es bei mir nicht viel zu holen gibt.“ Ich lachte wenig überzeugend. „Oder kann er?“, fügte ich unsicher hinzu. Téas Blick war Antwort genug und ich wurde blass. „Scheiße.“ „Schön, dass dir das auch endlich bewusst wird.“ „Aber Kaiba kann unmöglich vorhaben, mich hoch zu verklagen!“, warf ich ein und erkannte im Moment des Aussprechens die Lächerlichkeit meiner Worte. „Na und? Dann fordert er eben eine Zivilstrafe, Sozialstunden oder was weiß ich?! Willst du am Ende den Grünstreifen der Autobahn abklappern und Müll aufsammeln?“ Bei dem alleinigen Gedanken daran wurde mir ganz anders. „Nein“, gab ich kleinlaut zu und senkte den Blick. „Du könntest dich bei Kaiba entschuldigen.“ Es waren die ersten Worte, die Yugi seit langem sprach und ich stellte fest, dass er von mir aus noch gut weitere Minuten hätte schweigen können, wenn er dadurch niemals diese Worte ausgesprochen hätte. „Auf keinen Fall!“ „Joey, sei nicht albern!“, wies Téa mich scharf zurecht. „Wenn du es nicht wenigstens versuchst, dann kannst du gleich den Eimer und das Kehrblech holen!“ „Na und? Das wäre noch immer besser, als sich bei Kaiba zu entschuldigen!“, protestierte ich. „Ihr wisst doch, wie er ist! Er würde mich auslachen, dann würde er über mich herziehen und die Anklage trotzdem nicht fallen lassen. Das ist Kaiba, ich könnte ihm Rosen und Pralinen schenken und er würde erst nach dem Preis fragen, dann lachen und sie schließlich in den Müll werfen, ohne etwas an seiner Meinung zu ändern!“ Ich starrte sie wütend an und brauchte Sekunden, um die bedrückende Stille zu realisieren. „Was ist?“ „Das war ein sehr“, Duke räusperte sich unangenehm berührt, „blumiger Vergleich, wenn du verstehst, was ich meine.“ „Hä?“ „Zweideutig“, fügte er erklärend hinzu und verdrehte angesichts meiner Ratlosigkeit die Augen. „Joey - Kaiba, Rosen und Pralinen in einem Satz von dir. Noch dazu dein seltsames Verhalten und ...“ Er brach ab und zuckte hilflos die Schultern. „Ihr denkt ... ich will Kaiba Rosen und Pralinen schenken?“, fragte ich fassungslos. „Aber warum sollte ich so was absolut wahnsinniges tun?!“ „Das ist es ja“, meinte Tristan und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „In den letzten Tagen verhältst du dich im Bezug auf Kaiba mehr als nur schräg. Und wir meinen richtig schräg, nicht das übliche.“ Ich schwieg und Téa fuhr fort: „Du stürmst am Montag mitten im Unterricht aus dem Raum und verbarrikadierst dich im Jungenklo und kommst erst raus, nachdem Kaiba bei dir war. Am Dienstag willst du plötzlich seine Telefonnummer haben, am Mittwoch halluzinierst du von ihm und gestern“, sie machte eine bedeutungsschwere Pause, „du hast keine Ahnung, was für einen Eindruck euer Dialog im Gerichtsrollenspiel auf alle gemacht hat, oder?“ Ich schüttelte hilflos den Kopf. „Ich dachte, das wäre klar. Ich hab ihn zur Rede gestellt und bin zu weit gegangen, woraufhin er die Beherrschung verloren hat.“ „Schon, aber du klangst, als ob es dir sehr sehr ernst wäre und offen gesagt“, sie sah mir fest in die Augen, „schien es beinahe wie ein Beziehungsstreit.“ Und endlich verstand ich das seltsame Verhalten meiner Freunde. Was mir allerdings nicht auffiel, war, dass ich nicht widersprach, sondern einfach nur schwieg und sie anstarrte, bis das Läuten der Schulglocke das Ende der Freistunde verkündete. oOo Beziehungsstreit. Beziehungsstreit. Das konnten sie nicht ernst meinen. Sie irrten sich und hatten zu viel in die Situation hineininterpretiert. Das musste es sein. Es konnte nicht ... die Welt konnte nicht auf einmal derart Kopf stehen. Ich konnte nicht einfach so ohne Vorwarnung Kopf stehen. Es war eine Phase, diese Woche hatte mich körperlich wie geistig stark gestresst, alles resultierte daraus. Dennoch konnte ich es nicht verhindern, dass sich vor meinem inneren Auge Abbilder von Kaiba und mir manifestierten, beleuchtet von den glimmenden Buchstaben des Schriftzugs Beziehungsstreit. ~ „Wheeler, ich habe das sagen, keine Widerrede.“ „Kaiba, sieh es ein! Ich bin derjenige, der mehr Erfahrung in Sachen Beziehung hat.“ „In welcher alternativen Welt ist das der Fall, Köter?“ „In der alternativen Realität, Großkotz und jetzt akzeptiere es. Ich hab nicht vor, mich von dir herumkommandieren zu lassen!“ „Hast du Angst, vernachlässigt zu werden? Armer Wheeler, ich werde dir eine Hundehütte bauen lassen und mit einem besonders liebevollen Namensschild verzieren.“ „Dann schenke ich dir bei Gelegenheit einen Kratzbaum, damit du deine Krallen daran wetzen kannst!“ „Dafür hast du sicherlich nicht annähernd genug Geld.“ „Ich hasse dich, Kaiba!“ „Ich dich auch, Wheeler!“ ~ „Großer Gott, nein“, entwich es mir voller Verzweiflung und ich vergrub das Gesicht in meinen Händen, dabei ignorierend, dass um mich herum Unterricht stattfand. Die folgenden Schulstunden verbrachte ich in einem Zustand zwischen Apathie und einem Delirium, unansprechbar für meine Freunde und jeden Lehrer. Während der Mittagspause holte Téa mich in die Realität zurück (sie hatte wahrlich einen mädchenuntypischen, schmerzhaften Griff!) und zwang mir das Versprechen ab, mich bei Kaiba zu entschuldigen. Die Mittagspause war keine fünf Minuten alt, da stand ich in ihrer Schuld und sah mich mit dem Problem konfrontiert, Kaiba zu finden, und mich bei ihm zu entschuldigen. In der schuleigenen Cafeteria zu suchen war lachhaft, sie wäre der letzte Ort, an dem Kaiba sich aufhalten würde, darum suchte ich instinktiv zunächst in der Bibliothek nach ihm, und anschließend, nachdem er dort nicht auffindbar war, in dem Aufenthaltsraum der oberen Jahrgänge. Auch hier war er nicht und ich überlegte bereits, ob ich es wagen konnte, Téa ohne Erfolg unter die Augen zu treten, doch eine Vision von ihr, umgeben von einer roten Aura und einem Blitzen in den Augen, lenkte meine Beine automatisch in die entgegengesetzte Richtung. Ausgelaugt, frustriert und mehr als nur wütend auf Kaiba fand ich mich schließlich vor dem unbenutzen Klassenzimmer wieder und verspottete meine Naivität, während ich die Tür aufschob. Kaiba wäre überall, nur ... hier! Tatsächlich sah er an seinem Platz, den Rechner vor sich auf dem Tisch und arbeitete. Es war nicht zu fassen, verbrachte der Wahnsinnige jede Mittagspause hier?! Ich zögerte, bevor ich eintrat und die Tür hinter mir schloss. Er musste mich längst bemerkt haben, schenkte mir jedoch keine Beachtung. Zwei Meter von ihm entfernt griff ich nach einem leeren Stuhl, setzte mich verkehrt herum und stützte mich mit den Ellbogen von der Lehne ab. „Was gibt es, Wheeler?“, fragte Kaiba, ohne mich anzusehen. Er unterbrach seine Arbeit nicht und ich musste zugeben, dass es mich beeindruckte, wie er mit mir sprach und gleichzeitig regelrecht auf seine Tastatur einschlug. Erst dann erinnerte ich mich wieder daran, weswegen ich überhaupt hier war. „Weißt du, es heißt Mittagspause, weil man in dieser Stunde eine Pause macht, Kaiba?“ Das war nicht das, was ich ursprünglich hatte sagen sollen, aber die Worte hatten meinen Mund verlassen, bevor mein Verstand mir Téas Befehl in Erinnerung hatte rufen können. Kaiba verharrte mitten in der Bewegung, hatte das Wort, an welchem er in diesem Moment saß, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht fertig geschrieben und richtete seinen Blick auf mich. „Könntest du das wiederholen, Wheeler?“ „Nein“, erwiderte ich selbstbewusst und stützte meinen Kopf auf meine Handflächen, Kaiba dabei provozierend ansehend. „Du erkennst rhetorische Fragen nicht, wenn man sie ausspricht, habe ich Recht?“ „War die Frage jetzt rhetorisch?“ „Gibt es einen Grund, der es auch nur ansatzweise rechtfertigt, weswegen du meine Zeit raubst, Wheeler?“ „Wenn es nach mir ginge, nein“, nuschelte ich mehr zu mir selbst und setzte übergangslos und lauter an: „Ja, den gibt es.“ „Aha.“ Seine Augenbrauen hoben sich und der Laptop beschien sein Gesicht geradezu gespenstisch. „Entschuldigung.“ Sekunden verstrichen, dann hob er die Hand, strich beiläufig über den oberen Rahmen des Laptops als entferne er nicht vorhandenen Staub und richtete anschließend desinteressiert den Blick wieder auf mich. „War das alles?“ „Ich denke, das reicht allemal aus!“, protestierte ich empört. „Wenn du es so siehst, Wheeler“, bemerkte er nun eine Spur abweisender und brach den Blickkontakt. „Fühle dich frei, zu gehen.“ Ich blieb sitzen, den Blick unverwandt auf Kaiba gerichtet. „Und? Was ist jetzt? Lässt du die Anklage fallen?“ „Nein.“ Ich spürte, wie mir die Gesichtszüge entglitten. „Bitte?! Wie darf ich das jetzt verstehen? Ich habe mich entschuldigt, zeig ein bisschen mehr Dankbarkeit!“ Seine Hand fuhr knallend auf den Tisch hinab, als er sich ruckartig erhob und mich scharf ansah. „Dankbarkeit für was, Wheeler? Dafür, dass du mich seit Tagen belästigst, meine Firma terrorisierst und letztendlich mein Ansehen in der Schule ernsthaft beschädigt hast? Wenn du für diese Verdienste Dankbarkeit suchst, dann in einem Mindestabstand von zehn Metern bei jemand anderem und nirgendwo sonst, hat dein überfordertes Kleinhirn das verstanden?!“ „Hat man vergessen, deine Batterien aufzuladen, Mr. Selfmade-Firmenboss, oder sind deine Schaltkreise gerade durchgebrannt?! Was für einen Mist redest du da? Wer terrorisiert hier bitte wen?! Und inwiefern habe ich dein Ansehen beschädigt?! Die Kids aus der unteren Stufe fürchten dich immer noch wie den Vorboten des Bösen und selbst die Schüler aus unserer Stufe wagen sich keinen Meter an dich heran! Bist du so paranoid oder tust du nur so?!“ „Damit hast du ein weiteres Bußgeld heraufbeschworen, Wheeler.“ „Na und, was kümmert es mich?! Ich hab von Anfang an gewusst, eine dämliche Entschuldigung wäre eine Verschwendung an dir und es stimmte!“ „Wenn du fertig bist, dann geh.“ „Geh doch selber!“ „Wenn du es darauf anlegst, Köter.“ Er klappte den Laptop zu und machte Anstalten, den Klassenraum zu verlassen. „Du läufst echt weg?“, entwich es mir fassungslos. Kaiba erstarrte. „Weglaufen?“ Er drehte sich zu mir um. „Wer hat etwas von Weglaufen gesagt?“ „Ich.“ „Dann kann ich es nicht ernst nehmen.“ „Du läufst weg, Kaiba.“ „Mach dich nicht lächerlich, Wheeler. Wenn von uns beiden jemand wegläuft, dann du.“ „Aber du stehst vor der Tür.“ Diesem Argument hatte der mächtige Seto Kaiba nichts entgegenzusetzen. Mich mit verächtlichen Blicken strafend setzte er sich auf den Platz, der ihm am nächsten war. „Ich laufe nicht davon, Wheeler. Das war bis jetzt deine beste Eigenschaft.“ Ich schwieg und musterte ihn lange, versuchte die Erinnerung an das geistige Zwiegespräch, welches Stunden zuvor in meinem Kopf zwischen Kaiba und mir stattgefunden hatte, zu verdrängen. Beziehungsstreit. Lächerlich. „Was ist Wheeler. Wird es heute noch etwas?“ Er deutete auffordernd auf die Klassentür. Ich folgte dem Wink, jedoch lediglich mit meinen Augen und schenkte Kaiba ein ernst gemeintes, mitleidiges Lächeln. „Du hast dich gerade selbst ins Aus manövriert. Ich kann nicht raus, ohne den geheiligten Zwei-Meter-Radius zu durchbrechen.“ „Dann tu es von mir aus, wenn du dann endlich verschwindest.“ Ich zuckte die Achseln und stand auf. Unberührt, ging ich an ihm vorbei, überschritt die unsichtbare Grenze, besann mich eines Besseren und machte kehrt, bis ich unmittelbar vor ihm stand. Argwöhnisch und abweisend blickte er zu mir hinauf. „Wheeler, verschwinde.“ In einer Anwandlung absoluter Todessehnsucht beugte ich mich vor, bis unsere Gesichter auf derselben Höhe waren, dann sagte ich mit einem zuversichtlichen Grinsen auf den Lippen: „Du wirst die Verhandlung heute Nachmittag nie vergessen, dafür werde ich Sorge tragen, Kaiba. Denn ich bin der Retter der Witwen und Waisen!“ Welcher Teufel mich ritt, diese vollkommen zusammenhangslosen und unpassenden Worte auszusprechen, wusste ich nicht zu sagen, Tatsache war jedoch, dass ich mich im Nachhinein wesentlich besser fühlte als vor dem Gespräch und am Nachmittag mit ungerechtfertigter Gelassenheit das Gerichtsgebäude betrat. oOo Im Fernsehen wurden Verhandlungen immer als spannend dargestellt. Die Geschworenen saßen rechts oder links neben dem Richtertisch auf ihren Bänken, hatten einen eigenen Bereich für sich und der Richtertisch selbst thronte über denen der Anwälte. Der Zeugenstand war ein kleines Gefängnis für sich, umgeben von Holz und nur durch eine taillenhohe Pforte zu betreten. Der Richter repräsentierte das Gesetz, der Eid, den man schwören musste, die Ehre. Ich war enttäuscht, dass es bei mir nicht so war. Keine Geschworenen, kein Eid, nichts. Niente. Das amerikanische Fernsehen vermittelte uns leichtgläubigen Ausländern viel zu viel Schein. Der Richter, in meinem Fall die Richterin, war in Wirklichkeit gelangweilt, wenn nicht genervt und erpicht darauf, diesen Fall so rasch wie möglich zu beenden. Meine Freunde hatte ich nicht mit hineinbitten dürfen, obwohl Angehörige für gewöhnlich das Recht hatten, dabei zu sein. (Ich wettete, dass Kaiba bei dieser Fügung des Schicksals seine manipulierenden Finger im Spiel hatte!) Spannung fand sich in der Verhandlung nirgendwo. Ich war gelangweilt. Seit zehn Minuten ratterte Kaibas Anwalt (ein äußerst teuer aussehender Krawattenträger mit aristokratischen Zügen und monotoner Stimme) meine Scheinvergehen herunter und selbst die Richterin wirkte seit den letzten fünf Minuten als betete sie innerlich für ein Ende des sich stetig zu wiederholen scheinenden Mantras. Wahrscheinlich hatte die arme Frau einen harten Tag hinter sich. Endlich endete Kaibas Anwalt, schob sich überflüssigerweise die Brille zurecht und setzte sich selbstzufrieden lächelnd auf seinen Platz. Noch immer spürte ich kalte Wut in mir aufwallen, sobald ich zur Seite blickte und mir der leere Platz neben ihm ins Auge fiel. Kaiba hatte es nicht einmal für nötig gesehen, zu erscheinen. Dieser arrogante Bastard! „War es das?“, fragte die Frau und Erleichterung zeichnete sich tatsächlich für wenige Augenblicke auf ihren Zügen ab. Mitgefühl überkam mich, verdrängte die Wut auf Kaiba, als mir klar wurde, dass diese Art von ermüdenden, eintönigen Vorträgen zu ihrem Alltag gehörten. Ich würde lieber schmerzloser sterben, als zu Tode genervt von derartig schmierigen Gestalten wie Kaibas Anwalt. „Ja, euer Ehren.“ Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf mich. Ich sah alleine, ohne Anwalt, und fühlte mich mies, angesichts der perfekt zurecht gelegten Anschuldigungen von Kaibas Anwalt gegen mich. Dennoch erschien es mir, als läge ein flüchtiges, mitfühlendes Lächeln auf ihren Lippen. „Hat der Angeklagte noch etwas zu seiner Verteidigung zu sagen?“ Ich konnte reden oder für immer schweigen, ganz wie es dem Klischee der Hochzeitsrede entsprach. Doch ich hieß nicht umsonst Joey Wheeler. Ich hatte schon genügend Probleme, da kam es auf eins mehr oder weniger auch nicht an. Ich nickte und stand auf. Mit selbstsicherer Miene und aufrechter Haltung lächelte ich die Richterin in typischer Manier an. Reiß dich zusammen, erklangen Téas eindringliche Worte in meinem Hinterkopf, aller Wahrscheinlichkeit nach mein verzweifelte Akt des kleinen Funkens Vernunft in mir. Sei respektvoll und in Gottes Namen – halte deinen vorlauten Mund im Zaum! Entschuldige Téa, aber dies hier musste einfach sein. „Zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, dass Kaiba und sein Schatten von einer Bulldogge“ – ich machte eine wegwerfende Handbewegung in Richtung des Anwalts – „sich nicht so anstellen sollen. Seien wir doch mal ehrlich, kein Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, würde wegen diesen Kleinigkeiten jemanden anklagen, abgesehen von Kaiba. Nur weil er reicher ist, als die meisten in diesem Land muss er nicht denken, dass alles um seinetwillen stattfindet und zu seinen Gunsten endet. Irgendjemand muss ihn doch auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, bevor er mit dem Kopf durch die Decke geht!“ Ich redete mich in Rage, dennoch nahm ich wahr, dass die Richterin sich stellenweise das Schmunzeln kaum verkneifen konnte, während Kaibas Anwalt neben mit vor Empörung rot anlief. „Und nebenbei bemerkt“, fügte ich hinzu, „wo kämen wir denn hin, wenn stinkreiche Leute mit zu viel Geld alles kontrollieren würden?“ Ich sah mich um, nickte zufrieden über das Resultat meiner Worte und setzte mich. Ein um Beherrschung ringendes Räuspern neben mir kündigte den nächsten Angriff der Killerdogge an: „Ich muss doch sehr bitten. Euer Ehren, bitte berücksichtigen Sie in ihrem Urteil, dass der Angeklagte meinen Mandanten beleidigt hat.“ Ich verzog das Gesicht. Doch zu meinem Erstaunen reagierte die Frau unwesentlich ähnlich. „Stellen Sie sich nicht so an. Außerdem dürfte es Herrn Kaiba nicht interessieren, was sein Nichterscheinen mehr als nur bestätigt.“ Ungläubig blinzelte ich, dem Anwalt fehlten die Worte. Ungeachtet dessen fuhr die Richterin nun an mich gewandt fort: „Offen gesagt, bin ich einer Meinung mit Herrn Wheeler. Unglücklicherweise wird das städtische Gericht nicht unwesentlich von Herrn Kaiba durch großzügige Spenden unterstützt.“ Damit gestand sie indirekt ein, dass das Gesetz in dieser Stadt korrupt war. Ade, ihr lieben Träume von einer heilen Welt. Danke Kaiba. „Doch unglücklicherweise“, fuhr sie fort und lächelte, „ist nirgendwo das Maß der Strafe in einem derartigen Fall festgelegt. Herr Kaiba ist zweifellos für eine Verurteilung und er wird sie bekommen. Allerdings lasse ich mildernde Umstände walten. Herr Wheeler, ich erteile ihnen ein Bußgeld von 8.000 Yen und eine Verwarnung. Die Erlasse, welche Seto Kaiba verordnet hat, kann ich nicht gutheißen. Hiermit hebe ich das Verbot der Annäherung auf, was jedoch das Hausverbot seiner Firma betrifft, so ist dies seine Entscheidung, der ich nicht entgegenwirken kann. Die Verhandlung ist geschlossen. Einen schönen Tag noch.“ Der richterliche Hammer schlug mehrfach und beendete die Qual. Ich sprang auf, neben mir protestierte Kaibas Anwalt, stieß jedoch bei der Richterin auf taube Ohren. Voller Dankbarkeit lächelte ich ihr zu und sie erwiderte es kurz mit einem Nicken, bevor sich umwandte und den Saal verließ. oOo In meinem Leben lief eindeutig etwas schief. Dieser Fakt wurde mir mehr als nur bewusst, als ich auf den Fluren des Gerichtsgebäudes Kaiba begegnete. Kaiba. Einfach nur lachhaft. „Was tust du hier?!“ Er trug einen dunklen Anzug und einen silbernen Koffer bei sich. Bei meinem Anblick hatte er merklich gestutzt und nun verzogen seine Lippen sich spöttisch. „Ich hatte ein Meeting, Wheeler. Ich hatte zwar angenommen, die Verhandlung ging rasch von statten, aber so rasch?“ Seine Augenbrauen wanderten skeptisch in die Höhe. Ich grinste ihn überlegen an. „Tja Kaiba, du bist nicht so einflussreich und mächtig, wie du zu glauben scheinst. Es gibt auch Menschen in dieser Stadt und in diesem Land die nicht korrupt sind.“ „Wheeler, dein Wortschatz ist heute überraschend ausgeprägt. Hast du heimlich geübt oder versteckt Garnder sich irgendwo hier und spielt Souffleuse?“ Wenn er dachte, er könnte mich jetzt noch reizen, dann hatte er sich sehr tief geschnitten. „Nein Kaiba, ich muss dich enttäuschen. Und es kommt noch besser – ich bin einfach so davongekommen. Ohne Folgen, nur mit einer Verwarnung.“ Das Bußgeld musste ich ihm nicht unter die Nase reiben, davon würde er früher oder später ohnehin erfahren, doch meinen Sieg musste ich auskosten. „Außerdem existiert ab sofort kein magischer Radius mehr, wie du vielleicht daran erkennen kannst, dass ich einen Meter vor dir stehe.“ Feixend verschränkte ich die Arme. „Na, wie schmeckt dir das?“ Er zeigte sich unbeeindruckt. „War das alles? Beeindruckend, Wheeler, dieser Sieg, denn nichts anderes scheint dieser für mich unbedeutende Zwischenfall für dich zu sein, geht dir offenbar sehr nahe.“ Seine Stimme ertrank regelrecht in mitleidigem Spott. „Entschuldige, dass ich mich nicht länger mit dir befassen kann, aber ich habe weitaus wichtigere Dinge zu erledigen, als mich mit den Pfotenabdrücken zu befassen, die du in meinem geordneten Leben hinterlässt.“ Bevor er sich abwenden konnte, stellte ich die Frage, die meiner Meinung nach angesichts seiner Worte mehr als berechtigt war: „Warum bist du dann gekommen, Kaiba?“ Er verharrte in der Bewegung und schenkte mir ein herablassendes Lächeln. „Ursprünglich, um dich verlieren zu sehen aber heute schient nicht der Tag dafür zu sein. Wie dem auch sei, es gibt andere Tage, Wheeler.“ Er wandte sich ab und ging. Ich sah ihm nach. „Billige Ausrede“, murmelte ich und war sicher, dass er meine Worte gehört haben musste, doch er reagierte nicht. Als er gegangen war entwich ein frustriertes Seufzen meiner Kehle, bevor ich den Kopf schüttelte und meine Haltung straffte. Kaiba konnte sagen was er wollte. Pfeifend verließ ich das Gerichtsgebäude, traf draußen auf meiner Freunde, welche sich in der Zwischenzeit ein Eis gegönnt hatten – ein wirklich netter Beistand auch wenn Tristan mir versicherte, sie hätten die ganze Zeit über nur an mich gedacht. Sie lachten, als ich ihnen von der Power-Richterin erzählte, doch Yugi wurde stutzig, als ich von Kaibas Auftauchen berichtete. Während Tristan und Duke sich hinter uns um eine Kugel Schokolandeneis kabbelten, fragte Yugi nachdenklich: „Hat er gesagt, bei welchem Meeting er war?“ Ich warf meinem besten Freund einen Seitenblick zu. „Natürlich, und danach hat er seinen Koffer geöffnet, die Picknickdecke ausgebreitet und wir haben gemeinsam ein Tässchen Tee getrunken.“ „Schon gut, ich meine nur, weil heute Morgen im Radio gesagt wurde, dass heute Nachmittag die Leiter der Führenden Firmen der Stadt zusammenkommen würden, um über zukünftige Planungen und Finanzierung zu beraten.“ Ich starrte ihn an. Yugi sah dies als Aufforderung, weiter zu sprechen: „Ich meine damit, dass Kaiba bei diesem Treffen mit inbegriffen gewesen sein muss, weil die Kaiba Corporation einen wesentlichen Beitrag für diese Stadt leistet.“ Noch immer starrte ich ihn wortlos an. „Was ich damit sagen will ist, dass es mich nicht wundert, dass er während deiner Verhandlung nicht anwesend war.“ „Du hörst Radio?“, brachte ich schließlich nach weiteren Sekunden der unangenehmen Stille, einzig unterbrochen durch Téas zurechtweisende Worte im Hintergrund, die essentielle Frage zustande. Yugi erlitt einen plötzlichen Anfall von Gleichgewichtsverlust und taumelte. Als er sich wieder gefasst hatte, sah er mich empört an. „Ist das, alles, was dich beschäftigt?! Hast du mir überhaupt zugehört?“ „Sorry, Yugi.“ Ich lächelte verlegen und er seufzte. „Worauf ich eigentlich hinauswollte, Joey, ist die Tatsache, dass Kaiba jetzt gerade eigentlich im Rathaus sitzen und sich mit wichtigen Persönlichkeiten treffen sollte. Stattdessen taucht er hier auf. Das ist mehr als nur verdächtig.“ „Die haben wahrscheinlich einfach eher Schluss gemacht“, bemerkte ich trocken. „Oder Kaiba hat einen dramatischen frühen Abgang gemacht, das würde zu ihm passen.“ „So oder so“, warf Yugi leise ein, „eigentlich hätte er überhaupt nicht hier sein dürfen.“ „Und du hast mir das heute Vormittag nicht schon in der Schule gesagt, weil ...?“ „Weil du nie erst zu der Verhandlung erschienen wärst, wenn du gewusst hättest, dass Kaiba nicht kommt.“ Verdammt, Yugi kannte mich einfach viel zu gut! oOo Ich sitze in meinem Zimmer und höre Radio. Ich hatte Yugi nicht wirklich geglaubt, doch nun muss ich im zugestehen, dass er tatsächlich recht hatte. Kaiba hätte nie in diesem Gebäude sein dürfen. Dem Radioreporter zufolge hatte das Treffen noch bis in den frühen Abend stattgefunden. Verdammt, was bei allen Duel Monsters hatte Kaiba dann dort gewollt?! Das ergab keinen Sinn! Aufstöhnend lasse ich mich rücklings auf mein Bett fallen, das leise Murmeln des Radios ignorierend und schließe die Augen. Kaiba war ein Buch mit neunundvierzig Siegeln – wer immer einst von sieben Sprach, hatte Kaiba nicht gekannt! Ich würde ihm morgen einen netten Besuch abstatten und eine Antwort verlangen. Kaiba darf damit nicht durchkommen – nicht mit mir! Hinzu kommt, dass für das Bußgeld mein gesamtes Monatsgeld draufgehen wird. Danke Kaiba, es ist zwar ein vergleichsweise geringer Preis, aber dennoch unverzeihlich! oOo Retter der Witwen und Waisen. Eine wahrlich zutreffende Bezeichnung für mich. Zum Sterben schön. Nennt mir eine Witwe und eine Waise, die mehr gestraft sind als ich mit Kaiba. Retter der Witwen und Waisen – nicht, solange Kaiba ein Wort mitzureden hat Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)