L'Indépendence von abgemeldet ================================================================================ Prolog: -------- Es war für sie seltsam ruhig im Hause Jarjayes. Schon seit langem gab es keine Gespräche, Feste oder sonstige Ereignisse, die ihr bewiesen, dass sie ihr Leben lebte. Früher war es eine Selbstverständlichkeit für sie gewesen, ihn tagtäglich zu sehen. Er war einfach da gewesen. Am Hofe, im Maison, überall, seit Kindertagen an. Nun war er fort und dass schon seit einer langen Zeit. Sie hatte aufgehört die Wochen oder Monate zu zählen. Es war nicht von Bedeutung. Nie hätte sie geglaubt, dass er damals derart ihr Leben gestaltet hatte. Und sie musste sich eingestehen, dass er ihr bester Freund gewesen war und dass womöglich sie selbst die Schuld daran trug, dass er fortgegangen war. Es war nicht lange nachdem Fersen sie verlassen hatte. Nachdem er sich dazu entschlossen hatte, sein Leben für den Krieg in Amerika einzusetzen. Sie kannte Fersens Beweggründe. Sie hatte gewusst, dass er vor der Königin fliehen wollte. Und es schmerzte sie zu erfahren, dass er nicht im entferntesten daran dachte, was sie, als seine Vertraute und langjährige Freundin, davon hielt. Es hatte sie verletzt, dass er nicht erkannt hatte, dass sie ihn liebte. Doch sie ließ ihn ziehen, ohne sich von ihm am Tag seiner Abreise zu verabschieden. Und es verging nicht viel Zeit, bevor André ihr mitteilte, dass er sie ebenfalls verlassen würde. An diesem Tage, den sie am liebsten geändert hätte, wenn sie die Macht dazu gehabt hätte, waren sie aus Versailles nach Hause zurückgekehrt. Alles war wie eh und je. Als sie gemeinsam die Stallungen verlassen hatten, um endlich im Maison einzukehren, hatte es in Strömen geregnet. Doch anstatt schnell ins Trockene zu gelangen, war André stehen geblieben und sagte laut, damit er das Geräusch des rauschenden Regens übertönen konnte „Ich werde nach Amerika gehen“ Er sagte dies mit solch einer Entschlossenheit, dass sie instinktiv wusste, dass sie ihn nicht vom Gegenteil würde überzeugen können. Stattdessen fragte sie sich, weshalb er solch eine Entscheidung getroffen hatte. Sie dachte daran, dass Fersen sie schon verlassen hatte. Und nun noch André? Warum? Augenblicklich war sie wütend geworden. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt, dass es eher Schmerz als Wut war, den sie gespürt hatte. Dass sie sich im Stich gelassen fühlte. Hart hatte der kalte Regen in ihrem Nacken getrommelt. Sie hatte noch nichts erwidert. Dann schließlich hatte sie sich von ihm fort gedreht und gesagt „Ich verstehe nicht, warum du das tun willst!“ Sie hatte ihn nicht antworten gehört. Sie nahm an, dass dies entweder bedeutete, dass sie die Antwort kennen müsste oder dass er ihr seinen Beweggrund einfach nicht offenbaren wollte. Sein Verhalten hatte sie noch tiefer verletzt. War ihre Freundschaft so wenig wert gewesen, dass er nicht einmal auf diese Frage antworten konnte? Was hatte sie verbrochen, dass sich die wichtigsten Menschen in ihrem Leben von ihr abwandten? Die Antwort darauf erschien so einfach, so unkompliziert, doch sie war zu blind gewesen, als dass sie es damals oder zum jetzigen Moment in ihrem Leben hatte erkennen können. Sie erinnerte sich daran, dass sie ihn nach seiner stummen Antwort wieder angesehen hatte und rief „Dann tu was du willst!“ Und wieder hatte er einfach nicht geantwortet, sondern sie mit einem Blick bedacht, der das Wort Enttäuschung neu definierte. Anstatt ihn aufzuhalten, ihn von seiner unbedachten Idee abzubringen, hatte sie ihn im kalten Regen zurückgelassen. Und ihn seitdem nie wieder gesehen. Obwohl sie tief von ihm enttäuscht war, hatte sie noch in der Nacht vor seiner Abreise das Haus ungesehen verlassen, um in den Stall zu gelangen. Dort griff sie nach einer kleinen Tasche, die an seinem Sattel befestigt war und ließ eine silberne Kette von sich hineingleiten. Sie hatte nicht gewusst, weshalb sie ihm diese mitgegeben hatte, anstatt sich wirklich von ihm zu verabschieden. Auch war sie sich bis heute nicht sicher, ob er die Kette überhaupt jemals in dieser kleinen Tasche gefunden hatte. Oscar konnte sich nicht eingestehen, dass sie ihm dieses Schmuckstück mitgegeben hatte in der Hoffnung, dass er es ihr bei ihrem Wiedersehen zurückgab. Sollte sie ihn denn jemals wiedersehen. Und wie schon so oft, war sie auch an diesem Abend allein im Maison und stellte sich die Frage, ob ihre einstige Liebe und ihr bester Freund noch am Leben waren. Im Krieg. In Amerika. Kapitel 1: Germantown --------------------- Kanonenfeuer, Rauch, unsagbare Donnerschläge, die die Erde erzittern ließen. Die schwere Uniform zerrte an seinem Leib, sein Gesicht von Russ und Dreck gezeichnet, dass die weichen Züge schon bald nicht mehr darunter erkennbar waren. Auf seinem Rücken befanden sich unzählige Patronen von Munition für seine Muskete. Etwas Wegbrot war ebenfalls dabei, war jedoch nun schon seit Stunden aus seinen Gedanken gestrichen worden. Zu groß war die Belastung von Angreifern der britischen Armee entdeckt zu werden, dass er sich zuweilen wünschte, er könnte auch das Atmen einfach weglassen. Es war mitten in der Nacht, als ihm und den anderen Soldaten mitgeteilt worden war, dass ein Angriff auf Germantown geplant war. Seit einiger Zeit befand sich in dieser Stadt ein eingerichtetes Hauptquartier der Briten unter der Führung von Admiral Lord Richard Howe. An seiner Seite waren zum Schutz und zur Verteidigung der Stadt über 9000 Soldaten stationiert worden. Es würde ein schweres werden, die Stadt wieder in amerikanische Gewalt zu bringen. Andrés Glieder schmerzten. Er konnte nicht genau erfassen, wie viel Kilometer er schon zurückgelegt hatte. Sein Weg führte durch den nahe angrenzenden Wald von Germantown, um die Lage und die feindlichen Truppen auszuspionieren. Er war einer der wenigen Soldaten, die diese Aufgabe innehatten. Sie sollten herausfinden, wie sich die Briten zum Angriff formierten, um danach Bericht an den Kommandeur der amerikanischen Einheit zu erstatten. Sollten sie dabei jemals von den Feinden entdeckt werden, würde ihr Tod lautlos von statten gehen, da sich die unterstützende Armee meilenweit von ihnen entfernt aufhielt und einen sinnlosen Kampf gegen die Briten ausfocht. Er selbst stand unter dem Kommando der Kolonne von Generalmajors Nathanael Greene. Ein herausragender Mann, der jüngst die Umkreisung von George Washingtons Truppen in Brandywine abgewehrt hatte und damit vermutlich ein Massaker der amerikanischen Armee verhindert hatte. Auch in dieser Schlacht hatte er gekämpft, die wieder mit einer hohen Anzahl von Opfern auf beiden Seiten geendet hatte. André roch nur noch Verderben, Blut und Tod. Aber er war sich im Klaren wofür er kämpfte. Für Ideale, die ein neues Weltsystem begründeten. Würde er dafür sterben, hätte sein Tod zumindest hierfür seinen Zweck erfüllt. „André! Geh in Deckung!“, er spürte wie er unerwartet zu Boden gerissen worden war. Hart prallte er mit den Massen an Gepäck auf seinem Rücken auf den vereisten Waldboden auf. Kurz konnte er nicht atmen, doch dann wurde ihm bewusst, weshalb Jacques derart gehandelt hatte. Unweit von ihnen entfernt durchkämmten Rotröcke den Wald. Sie trugen Fackeln und damit war es ein leichtes gewesen sie zu entdecken. Ein halbes Dutzend von ihnen schwer bewaffnet und mit entschlossenen Schritten drangen durch Büsche und an hohen Bäumen vorüber. Jacques war wie immer aufmerksam gewesen und hatte sie früh genug entdeckt, um damit wieder einmal einer unliebsamen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen. André erinnerte sich in dieser stillen Minute an seine erste Begegnung mit Jacques zurück. Mit unzähligen anderen Männern befand er sich in einem winzigen Raum, auf der Überfahrt nach Amerika. Obwohl das Schiff riesig war, war es zu einem Drittel mit Nahrung für die Amerikaner beladen. Es waren erst die Anfänge Frankreichs, sich in den Krieg einzumischen. Nur zögernd hatten sie französische Soldaten entsandt, da bisher noch kein offizielles Abkommen mit den Kolonialmächten vereinbart worden war. Stattdessen zeigte Frankreich seine Loyalität, indem es Nahrungsmittel und Waffen nach Amerika verschiffte. Im gleichen Atemzug meldeten sich freiwillige Männer, um den Krieg in Übersee zu unterstützen und zu stärken. Es gab genügend französische Knaben und Väter, die ihr Land verlassen wollten in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie waren naiv und ahnten nicht, welchen Preis sie dafür bezahlen würden. Im Gegensatz dazu gab es aber auch einige, die schlichtweg England verabscheuten und ihre große Chance nun darin sahen, den Briten vergangene Rechnungen heimzuzahlen, aus welchem Grund auch immer. Doch wie oft kam es in den Jahrhunderten schon vor, dass Kriege aus Sinnlosigkeit und Machtgier geführt worden waren? Unzählige Male. Doch dieser Krieg war anders. Die Amerikaner traten für Ideale ein, um sich ein neues Regime zu erkämpfen, das sich von ihrem Mutterland grundlegend unterschied. Und deshalb hatte sich André für diesen Krieg entschieden. Zu Hause hatte es keine Zukunft mehr für ihn gegeben. Er hatte sein Leben einer einzigen Person verschrieben. Doch diese hatte ihn abgewiesen. Er hatte sie an einen anderen Mann verloren. An dem Abend an dem er sie überredet hatte den Ball zu besuchen, um damit die Königin zu schützen, hatte er sie für immer verloren. Denn er hatte gesehen, dass sie dies nicht für die Königin oder sich selbst getan hatte, sondern einzig wegen diesem anderen Mann. Und von da an war ihm klar, dass er sie niemals für sich gewinnen könnte. Vielmehr würde er an seinen Gefühlen zu ihr verzweifeln und sie womöglich dabei noch irgendwann verletzen. Das wollte er ihr ersparen und deswegen hatte er die Entscheidung getroffen, sie zu verlassen. Sie hatte nicht im Geringsten versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Und er wusste nicht, ob ihn dies dazu brachte, sofort sein Leben zu opfern, indem er sich im Fluss ertränkte oder ob er zumindest sein Leben für eine gerechte Sachen zu Ende bringen sollte. Nun befand er sich in dem Schiff auf dem Weg nach Nordamerika. Diese Entscheidung hatte er seinem letzten Funken Hoffnung zu verdanken gehabt. Und es war in jener ersten Nacht, in der sich Jacques ungefragt neben ihn setzte und ihm ein Stück Brot anbot „Du siehst aus, wie jemand, der nach Amerika reist, mit dem Vorhaben dort zu sterben“, sagte Jacques in einem Ton, als wäre es das normalste auf der Welt, etwas was jeder Mensch jeden Tag tun würde „Das finde ich merkwürdig, zieht man nicht in den Krieg mit der Hoffnung die Veränderung, die man im Kampf bewirkt, einmal für sich selbst zu nutzen?“ „Wenn jeder so denken würde, gäbe es nur noch die Hälfte der Soldaten im Krieg“, hatte André tonlos geantwortet, nahm jedoch das Brot von Jacques entgegen. Für Jacques klang der Fremde vor ihm verletzt und verbittert, typische Eigenschaften eines gebrochenen Mannes „Aha, du möchtest den Helden spielen in Amerika“, war seine Schlussfolgerung von solch einem Typ von Soldat, der weder Bedeutung am Leben noch in anderen Dingen in der Welt fand. In diesem Moment hatte sich André ihm zugewandt und zum ersten Mal richtig angesehen „Glaub mir, das ist das letzte, was ich will“, hatte er kalt geantwortet und mit einem solch dunklen Blick, dass Jacques seine Einschätzung von ihm augenblicklich völlig dumm vorkam. André erkannte die geschockte Reaktion seines Gegenübers. Der Mann vor ihm war etwa in seinem Alter und hatte blonde Haare, die verfilzt und unwirsch lagen, aufgrund des Drecks und der Feuchte vom Schiff. Seine Augen waren braun und wohlgeformt, aber von tiefen Augenringen gezeichnet, die schlaflose Nächte stets mit sich brachten. Dennoch wirkte er sympathisch und aufgeschlossen. Augenblicklich schämte sich André für seine abweisende Haltung ihm gegenüber. Normalerweise war er früher nie so gewesen, aber seitdem er sich auf den Weg in den Krieg befand, glaubte er, sich eine schützende Mauer errichten zu müssen. Emotionen und Gefühle waren in einem Krieg, in dem es um Gefangenschaft und Tod ging, nicht angebracht und nicht verlangt. „Was ist mit dir? Warum hast du dich freiwillig gemeldet? Wartet auf dich keine Familie in Frankreich?“, fragte André schließlich und musterte dabei den kargen Raum vor sich. Kurz sah er eine Ratte zwischen seinen Füßen hindurchjagen. Kein überraschender Anblick für ihn, hatte eine andere Ratte doch schon vor einer Stunde ihren Weg über die menschlichen Körper gesucht, die zusammengedrückt in der Enge des Raumes aneinander saßen. Der Fremde antwortete nicht sofort, sondern überlegte lang, ob er derart offen gegenüber André sein sollte, schließlich sagte er „Ich war verheiratet“, er biss in sein Brot und fügte dann murmelnd hinzu „Sie ist vor ein paar Wochen gestorben...“. Sofort war André klar geworden, dass dieser Fremde ebenso perspektivlos war, wie er selbst. Auch er war gebrochen, denn man spürte deutlich wie sehr er unter dem Tod seiner Frau litt. Auch wenn die Geschichten beider Männer unterschiedlich waren, so verband sie doch die Hoffnungslosigkeit, die sie in sich verspürten. Und André wurde bewusst, dass nicht nur sein Leben von einem Schatten besetzt war. „Mein Name ist André“, sprach er schließlich und streckte ihm die Hand als formale Begrüßung entgegen. Und sie wurde angenommen „Ich bin Jacques Lumaire, André“. Und bis zum heutigen Tage hatte er Jacques nie wieder nach seiner Familie befragt. Auch Jacques wollte nie von André erfahren, was ihn dazu bewegt hatte sein Leben für den Krieg einzusetzen. Aber Jacques ahnte, warum André sich freiwillig in Gefahr begab. Ein Mann, der nichts fürchtete und keine Bedeutung im Leben sah, der war tief enttäuscht worden; und zwar von der Liebe. Eine ewig währende Liebe, die niemals enden würde, auch wenn ihr André scheinbar mit der Reise nach Amerika entfliehen wollte. Doch Jacques wusste, dass André sie niemals vergessen könnte, wer auch immer die Frau in seinem Herzen war. „Es geht weiter! Die roten Bastarde sind außer Reichweite“, flüsterte Jacques André zu und erhob sich wieder, ohne jedoch die gebückte Haltung entlang der Sträucher zu vergessen. Wieder rollte ein Grollen der Kanonen vom fernliegenden Schlachtfeld zu ihnen herüber und beide hofften inständig, dass diese Schlacht positiv für die Amerikaner enden würde. Zu viele Opfer waren in den letzten Monaten bereits gefallen. Die Briten hielten hartnäckig an der Belagerung der Kolonialmächte fest. Dabei hatten diese schon vor langer Zeit mit ihrer Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 verdeutlicht, dass sie sich ihrem ehemaligen Mutterland niemals beugen würden, egal wie viele Soldaten dadurch ihr Leben ließen. André war froh, Jacques an seiner Seite zu wissen. Er wusste, dass er ihm vertrauen konnte und er hatte ihn schon vor mancherlei Unheil bewahrt. Aber André wusste, sollte der Tag kommen, an dem er sterben müsste, würde er niemanden um Hilfe bitten, denn er selbst hatte es so gewollt und war genau aus diesem Grunde nach Amerika gekommen. Er und Jacques waren kurz Zeit später nahe an das Lager der britischen Soldaten herangekommen. Und auch nicht umsonst, hatten sie doch dabei entdeckt, wo sie ihre Munition und ihre Waffen gelagert hatten. So schnell sie konnten, waren sie durch den Wald zurück zu ihrer Einheit in der Nähe des Schlachtfeldes geeilt und hatten Bericht erstattet. Nicht einmal eine halbe Stunde später gab Generalmajors Greene zwei Dutzend Soldaten den Befehl zum gegnerischen Waffenlager vorzudringen und in die Luft zu sprengen. Auch Jacques und André waren darunter, die den anderen Männern den Weg wiesen. Der Anschlag war erfolgreich und kurz vor Morgengrauen waren beinahe alle Männer fast unversehrt zu ihrer Einheit zurückgekommen. Greene und die Amerikaner wogen sich bereits im Sieg, als jedoch unvorhergesehenes geschah. Dichter Nebel zog rum um das Kampfgebiet von Germantown auf und die Soldaten schossen blind um sich. Es stellte sich heraus, dass sie auf die zweite amerikanische Einheit geführt von Divan geschossen hatten. Die Gegner nutzten das Chaos aus und rückten wieder auf und das organisierter und geschlossener, was die Truppen unter Greene und Divan dazu zwang sich zurückzuziehen. Panik und Unsicherheit führte dazu, dass der Rückzug völlig unkontrolliert auseinanderbrach. André und Jacques taten das, was sie sonst auch in solchen Situationen getan hatten. Sie hatten sich auf sich selbst verlassen und waren mit einer minderen Zahl von Mitsoldaten von der Truppe, die nun ein offenes Ziel für die Gegner war, weggebrochen. Am Abend des 4. Oktober 1777 sollte sich herausstellen, dass der Angriff auf Germantown komplett fehlgeschlagen war. Die Armee verzeichnete 673 Tote und knapp 400 Kriegsgefangene. Erneut war eine amerikanische Aktion von Opfern zersetzt. Doch für André und Jacques, die beide überlebt hatten, bedeutete es nur, den nächsten Angriff abzuwarten. Und wieder ihre Leben dafür zu riskieren. Kapitel 2: Dr. Franklin ----------------------- Allseits war zu spüren, dass der Krieg, der in Amerika tobte, allmählich auch in Frankreich zugegen war. Es wurde gemunkelt, dass Frankreich sich aktiv an den Auseinandersetzungen zwischen den Briten und den Kolonialmächten beteiligen würde. Dies würde bedeuten, dass Frankreich eine offizielle Kriegerklärung gegenüber England abgeben würde. Hatte dieses Land in seiner langjährigen Geschichte nicht schon genug Eskapaden erlitten? Es schien, als lernten die Monarchen niemals aus. Europa lebte von seinen Machtspielchen und scheinbar würde sich dies auch in Zukunft niemals ändern. Oscar bereitete dies alles nur Kopfschmerzen. Versuchte sie tagtäglich nicht über mögliche Auswirkungen dieser sinnlosen Schlacht zu denken, wurde sie nun regelrecht damit konfrontiert. Seit einigen Wochen befand sich Dr. Benjamin Franklin am Hofe von Versailles. Er war auf Wunsch der Kongressmitglieder Amerikas als Diplomat nach Frankreich entsandt worden. Es war nicht abzusehen, wie lange er sich in Versailles aufhalten würde, umso mehr war klar, weshalb er den langen Weg nach Europa auf sich genommen hatte. Es schien unumgänglich, dass ein Abkommen unterzeichnet werden würde. Es war der sechste Tag im Februar im Jahre 1778 als eine feierliche Audienz zu Ehren Mr. Franklins im Schloss abgehalten wurde. Zu diesem Anlass war Oscar gezwungen als Kommandeur des Königlichen Garderegiments ebenfalls teilzunehmen. Normalerweise versuchte sie stets solche Feierlichkeiten zu umgehen, doch sie musste sich eingestehen, dass sie zunehmend neugieriger auf die Person Franklins wurde. Man erzählte sich, dass er nicht nur Abgeordneter des Kongresses der Kolonialmächte war, sondern noch eine Vielzahl anderer überragender Eigenschaften aufwies, die großes Ansehen in Versailles hervorriefen. So solle er unter anderem viele Jahre als Schriftsteller gearbeitet haben und ein anerkannter Naturwissenschaftler sein. Ebenso hatte er bereits eine Vielzahl von Erfindungen gemacht, die die Welt bereichern könnten. Ungewollt war Oscar sofort von der Gestalt Franklins fasziniert. Im großen Audienzsaal des Königspaares hatten sich unzählige Adlige und auch Bischöfe des gesamten Hofes eingefunden, um der Besprechung mit dem König beizuwohnen. Doch sie alle wurden bitter enttäuscht, waren doch nur wieder höfliche Worte gefallen und die Loyalität Frankreichs gegenüber Amerika neu bekundet. Während des gesamten Gesprächs hatte Oscar mit einem Auge Marie-Antoinette beobachtet, die ihren Platz neben dem König eingenommen hatte. Als Dr. Franklin die derzeitigen Zustände im Osten der Kolonialstaaten darstellte und die damit verbundenen vielen Schlachten und Opfer, erkannte sie deutlich bei der Königin erste ängstliche Blicke. Für Oscar war sie wie ein offenes Buch zu lesen. Nicht die vielen namenslosen Toten bereitet ihr Sorgen, sondern einzig und allein ein Mann. Ein schwedischer Graf, der freiwillig dem Krieg beigetreten war. Und seitdem war keine einzige Botschaft von ihm im Schlosse eingetroffen. ‚Genauso wenig von André’, schoss es Oscar blitzartig durch den Kopf und augenblicklich wurde ihr das Herz schwer. Annähernd ein halbes Jahr war nun vergangen, seitdem er Fersen in den scheinbar sicheren Tod gefolgt war. Auch wenn nicht viel Hoffnung für beide bestand, so hatte Oscar nie aufgehört, daran zu glauben, dass sie sich alle eines Tages wiedersehen würden. Oscar wusste nicht, dass sie in diesem Moment den gleichen Ausdruck in ihren Augen hatte, wie die Königin. Es war offensichtlich wie eng ihr Schicksal miteinander verflochten war. Oscar reckte erneut ihr Kinn und widmete ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder dem Gespräch zwischen dem Botschafter und König Louis XVI selbst. Die Audienz hatte nicht lang angehalten und schon bald zerstreute sich die höfische Gesellschaft wieder in den unzähligen Salons von Versailles. Jedem war bewusst, dass die Einigung mit dem König hinter verschlossenen Türen stattfinden würde. Aber es war nur eine Frage von Stunden danach, bis das Ergebnis sich herumgesprochen haben würde. Die Wände in Versailles hatten Ohren und zwar überall. Oscar nutzte die Gelegenheit und folgte Franklin, der ebenfalls den Saal verließ. Draußen auf den breiten Gängen des Schlosses war man ungestörter als in manch privatem Gemach und so hielt Oscar den Botschafter in der Nähe einer Büste, die den Gang zierte, auf „Dr. Franklin! Bitte, dürfte ich einen Moment Eurer Zeit beanspruchen?“ Überrascht wandte sich der Angesprochene ihr zu „Oh, natürlich, Monsieur, mit welch Wissen kann ich Euch dienen?“ Oscar deutete eine Verbeugung an „Meine Name ist Oscar Francois de Jarjayes, ich bin Kommandant der Königlichen Garde...“, noch bevor sie ihr Anliegen weiter ausführen konnte, wurde sie von Franklin mit einem Grinsen unterbrochen „Ach, Ihr seid die Frau, über die ganz Versailles spricht? Eine Frau mit militärischer Ausbildung, die auch einen Dienstrang bei Ihrer Majestät dem König bekleidet!“, scheinbar konnte Franklin sein Wissen nur schwer zurückhalten und Oscar schien es, als ob es ihn amüsierte, dass sie eine Frau war, die die Eigenschaften eines Mannes aufwies. Augenblicklich verdunkelte sich ihr Blick. Noch immer war sie nicht daran gewohnt, dass jemand ihre Leistungen nur aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau war, in Frage stellte. Auch Franklin erkannte sofort ihren Stimmungswechsel bei seinen Worten, doch er lenkte ein „Versteht mich nicht falsch, Kommandant! Ich fühle mich geehrt Euch kennen zu lernen. Hier in Versailles seid Ihr scheinbar die einzige Frau, die sich mit einem Mann messen könnte. In Amerika jedoch ist das keine Seltenheit! Dort gibt es viele Frauen wie Euch...“. Das überraschte Oscar und sofort verschwand ihre aufkommende Wut und sie wurde neugierig über seine Worte „Verzeiht, wie meint Ihr das, Doktor? ‚Dort gibt es ebenfalls Frauen wie mich?’“ Ein erneutes Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab und um seine folgenden Ausführungen zu unterstreichen, nickte er stets mit dem Kopf „Nun, es gibt viele Frauen in unserem Land, die sich zum Kriegsdienst gemeldet haben, egal ob das nur das Ausgeben von Nahrung für die Soldaten betrifft oder das Reinigen der Kanonen. Mit Leidenschaft erfüllen sie ihre Arbeit und sind zumeist tapferer als manch Soldat!“ Oscar war schockiert, nicht darüber, dass Frauen dem Krieg beiwohnten, sondern darüber mit welcher Inbrunst Franklin ihr davon berichtete „Aber sind nicht das Leben der Frauen und Kinder der Grund, weshalb im Krieg gekämpft wird?“ „Gewiss Kommandant“, stimmte Franklin zu und wurde schlagartig ernst und sein Blick wieder unergründlich „Aber glaubt nicht, dass die Rotröcke kampf- und wehrlose Frauen und Kinder im Krieg verschonen. Nein, sie werden misshandelt und dann zu Tode geschlagen. Das ist der Grund weshalb viele amerikanische Frauen an unserer Seite kämpfen. Sie finden sich nicht damit ab, sich einem Land und seiner Mächte zu beugen, dass auf der anderen Seite des Weltmeeres liegt. Wir sind mit Recht stolz auf unsere Frauen, die sich damit von den alten Traditionen Englands lösen. Nur so sind wir in der Lage den Krieg für uns zu entscheiden!“ Es faszinierte Oscar mit welcher Leidenschaft Franklin die Taten der Frauen bekundete. Sie schienen wahrhaftig ehrenhafter auf dem fremden Kontinent zu sein, als in Frankreich. Sie erkannte, dass sich weit weg von Europa eine neue Kultur zu entwickeln schien, losgelöst von den alten Facetten Englands. Die Amerikaner wussten genau wofür sie kämpften und diese Eigenschaft unterschied diesen Krieg von den unzähligen Kämpfen, die in Europa geführt worden waren. Menschliche Freiheit und Unabhängigkeit waren die Ideale. ‚L’Indépendence!’, wie es die Erklärung vom 4. Juli hatte verlauten lassen. „Kommandant?“, fragend richtete Franklin sein Wort wieder an Oscar. Sie hatte nicht bemerkt, wie sie mit ihren Gedanken abgedriftet war und ins Leere gestarrt hatte „Verzeiht“, brachte sie kurz hervor, als sie wieder in die Gegenwart zurückkehrte „Ihr sprecht von Eurem Land mit solch einer Leidenschaft, das hat mich sehr beeindruckt, Dr. Franklin. Aber sagt – und ich bitte Euch inständig offen zu sprechen – wie steht es an der Front? Gerüchte besagen, dass viele Eurer Soldaten die Opfer sind und nicht die der Gegenseite. Werdet Ihr diesen Krieg gewinnen?“ Franklin blieb stumm und schien zu überlegen, was er antworten sollte. Dann jedoch wandte er seinen Blick in alle Richtungen des Schlosses, fast so, als wolle er etwas aussprechen, das nicht für jedermann bestimmt war. Er schob sich näher zum Fenster hinter der Büste heran und zog Oscar dabei am Ärmel ihrer Uniformjacke mit sich „Hört, wir verzeichnen schwere Verluste“, sprach er schließlich zögerlich und mit gedämpfter Stimme „nur wenige Kämpfe konnten wir bis jetzt für uns entscheiden und die Zahl unserer Soldaten schwinden. Aber ich vertraue auf Washington und seine Gefolgsmänner. Er weiß, was zu tun sein wird!“, es folgte eine Pause, doch dann „Die Zustimmung Frankreichs in den Krieg einzutreten wäre eine Unterstützung von höchster Wichtigkeit, aber die Entscheidung des Königs ist noch nicht gefallen und daher bleibt mir persönlich nichts weiteres übrig als zu warten...“ Oscar hatte nicht alle Worte Franklins klar vernommen. Sie hatte nur eines bewusst verstanden: Die Zahl der Soldaten auf amerikanische Seiten schwand! Und damit auch die Überlebenschancen von André und Fersen. Plötzliche Verzweiflung machte sich in ihr breit, aber sie fasste sich und konnte das Gefühl so gut wie möglich zurückdrängen. Emotionen vor Franklin zu offenbaren wäre in ihrer Stellung nur unehrenhaft. Dennoch konnte sie nicht aufhören daran zu denken, dass möglicherweise der Tod einer der beiden bereits eingetreten war. Nein! Das würde nicht sein! Niemals! Sie würde beide unversehrt irgendwann wieder sehen! Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und sie versuchte ihre Fassung zu wahren. Ohne auf den Wunsch Franklins weiter einzugehen, dass die Beteiligung Frankreichs am Krieg eine Bereicherung wäre, hatte sie eine Entscheidung getroffen „Doktor, sagt, gibt es eine Möglichkeit bestimmte Soldaten ausfindig zu machen? Mithilfe eines Briefes oder...“, aber erneut ward sie schnell unterbrochen „Nun, meine Liebe, das würde ein äußerst schwieriges Unterfangen werden. Schon jetzt ist es äußerst delikat Briefe aus dem Ausland zu entsenden. Oftmals wurden bereits Nachrichten für uns von den Engländern abgefangen. Allein wir müssen uns bereits Bürgern in Zivil bedienen, damit unsere Briefe ihr Ziel erreichen, doch wir können uns niemals sicher sein...“, Franklin stoppte, da er den plötzlich aufkommenden enttäuschten Blick seines Gegenübers durchaus wahrnahm „Darf ich erfahren, wen Ihr ausfindig machen möchtet?“ „Es handelt sich um Kameraden von mir, die mir sehr ans Herz gewachsen sind. Ihretwegen bin ich sehr in Sorge. Seit sie in den Krieg gezogen waren, habe ich keine Nachricht von ihnen erhalten...“ „Mmh, wie bereits gesagt, es würde schwierig werden... Noch dazu gehe ich bestimmt richtig in der Annahme, dass Ihr den Aufenthaltsort eurer Freunde nicht kennt, nicht wahr?“, fragte Franklin weiter und erhielt daraufhin ein zögerliches Nicken „Ich sehe die einzige Möglichkeit darin, dass der Brief von jemandem persönlich, der Euch unterstellt ist oder sonstiges, seinen Weg nach Amerika geht“, es war gut gemeint von Franklin, aber Oscar wusste, dass sie niemanden finden würde, der dieses Unterfangen für sie auf sich nehmen würde. Die Hoffnung schwand erneut und Oscar fühlte sich zunehmend hilfloser. Höfliche Worte begleiteten den Abschied von einem der herausragendsten und intelligentesten Männer des 18. Jahrhunderts. Es sollten noch acht Jahre vergehen, bis Benjamin Franklin nach Amerika zurückkehrte. In dieser Zeit würde er zum Präsidenten des ‚Surpreme Executive Council of Pennsylvania’ gewählt werden; ein Jahr darauf zum Präsidenten der Gesellschaft gegen Sklaverei. Er würde noch viele Aufsätze und andere Schriften niederlegen und noch weitere weltbewegende Erfindungen vollbringen, bevor er am 17. April 1790 in Pennsylvania sterben würde. Ein Mann der in die Geschichte der Lehrbücher der zukünftigen Zeit eingehen würde. Oscar war von seiner Hilfsbereitschaft mehr als beeindruckt gewesen, aber dennoch war sie ihrem Ziel damit nicht näher gekommen. Sie sah Benjamin Franklin niemals wieder, dennoch hatte sie sich stets an seine Offenheit, Intelligenz und Leidenschaft zurückerinnerte und heimlich bei sich gehofft, dass sie zumindest einen Teil dieser herausragenden Eigenschaften in sich trug. Doch nun musste sie erst einmal ihre Gedanken ordnen, hatte er ihr doch solch einen intensiven Einblick in die Kriegsführung der Amerikaner gegeben. Und es sollten viele schlaflose Nächte für sie vergehen, in denen sie sich fragte, ob André und Fersen noch lebten. Und sie spürte, wie ihre Sehnsucht und Verzweiflung von Tag zu Tag wuchs; dabei der Hilflosigkeit ausgeliefert nichts tun zu können. Kapitel 3: Monmouth ------------------- Die Sonne brannte unglaublich heiß an diesem 28. Tag im Juni des Jahres 1778. Es waren neue Nachrichten aus Europa eingetroffen. Das Amerikanisch-Französische Bündnis war geschlossen worden und schon bald darauf waren Französische Truppen an der Ostküste eingetroffen, unaufhaltsam hatten sie sich ihren Weg durch die See entlang der Linie der Rotröcke gebahnt. Dies bedeutete eine Bedrohung für die Briten an der Küste, die die Stärke der französischen Flotte fürchteten. Es war bekannt geworden, dass Admiral Lord Richard Howe, der einst fast in Germantown besiegt worden war, seines Dienstes über die britischen Streitkräfte seit dem 8. Mai des gleichen Jahres enthoben worden war und an seiner statt nun ein gewisser General William Henry Clinton das Kommando inne hatte. Den Amerikanern kam die Umbesetzung gelegen, zeugte diese doch davon, dass Uneinigkeit und Unstimmigkeiten in der Führung der britischen Truppen herrschten. Im Gegensatz zu den Amerikanern, die ihre Kriegsleitung fast ausschließlich George Washington zugeschrieben hatten. Und so kam es, dass Washington eine Vielzahl von Truppenlagern auflöste, um mit einer Stärke von annähernd 13500 Soldaten den Weg nach New York einzuschlagen. Die letzten Berichte hatten ergeben, dass der neue Befehlshaber Clinton mit circa 10000 Soldaten die Ostküste erreichen wollte, da er sich dort im Schutze der britischen Flotte wähnte. Washington nahm mit seinen Männern die Verfolgung Clintons und seiner Gefolgsleute auf. Und es war dieser Zusammenruf, dem auch André und Jacques folgten. Gegen Mittag trafen sie in dem Ort Monmouth Courthouse ein und instinktiv war den beiden Männern bewusst, dass hier die nächste Schlacht gekämpft werden musste. Schweißperlen rannen an seinem Gesicht hinab. Die schwere Uniform klebte an seinen Gliedern und seiner Haut, doch André schritt weiter; ihm schweigsam folgend Jacques. Das Schlachtfeld war bereits auserkoren worden und Amerikaner wie auch Gegner hatten bereits Angriffslinien geformt, um dem Unabwendbaren auf einer scheinbar unendlich wirkenden grünen Weidenfläche gegenüberzutreten. André und Jacques hatten aus einiger Entfernung gesehen, wie Musketen gezogen waren, und die erste Linie von Soldaten ohne zu zögern niedergeschossen wurde. Es folgte die zweite Linie; unbeeindruckt war man über die toten Körper der Mitsoldaten hinweggestiegen und hatte erneut gefeuert. Es war das Vorspiel zu einem Kampf Mann gegen Mann, der noch weitaus blutiger verlaufen würde. Doch bevor André und Jacques ebenfalls erneut ihre Leben riskierten, waren sie wieder einmal befehligt worden, die umliegende Lage auszukundschaften. In der Hoffnung eine Schwachstelle der Briten auszumachen, hatten sie sich vom Schlachtfeld entfernt und waren wieder an einen angrenzenden Wald gestoßen, in dessen schattigen Bäumen sie sich fürs Erste unbeobachtet wähnten. Keinerlei Worte wurden ausgetauscht, stattdessen lagen ihre Schwerter fest in ihrer Hand, um unerwarteten Angriffen zu parieren. Plötzlich blieb André an einer geraden Baumlinie stehen. Jacques hatte es bemerkt und blickte fragend über seine Schulter hinweg. Hinter den hohen Baumkronen erstreckte sich ein farmerähnliches flaches helles Landhaus. Umgeben von den schönsten Blumenbeeten schien es unbeteiligt an dem Krieg, der nur wenige Meter von ihm hinweg tobte. Die Sonne verschönerte das gesamte Anwesen und ließ es in leichtem Glanz erstrahlen. Einen kurzen Moment gab sich André dem Frieden hin und begann zu träumen; von einem Leben fernab von der Schlacht, in einem Haus wie diesem, zusammen mit einer Frau... Mit ihr und niemandem sonst... Wie sehr er sich auch bemühte, er schaffte es nicht, sie zu vergessen, sie einfach aus seinem Gedächtnis zu streichen. Doch so schnell wie sein Traum gekommen war, so schnell war er auch wieder verflogen, als er überraschend vier Rotröcke um die Ecke des Hauses hervortreten sah. Auch Jacques hatte die Feinde erkannt und zusammen suchten sie sich einen sicheren Platz hinter den Bäumen um unentdeckt zu bleiben und zu beobachteten, was diese vier Halunken beabsichtigten. Drei von ihnen zogen Menschen an Haaren hinter sich her. André erkannte, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelte. Der dritte Rotrock schien ihre Tochter nach sich zu ziehen. Ihre blonden Haare waren unverkennbar im Sonnenlicht und schienen ebenso hell, wie die ihrer Mutter. Die Kleine war schmal und zierlich und vermutlich noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Unter Schmerzen schrie sie auf, als man sie zusammen mit ihren Eltern vor die weiße Eingangstreppe ihres Hauses zerrte. Die Briten traten dem Mann von hinten in die Beine, wodurch er auf die Knie gezwungen wurde und hockend vor den Männern nun am Boden saß. André ahnte, was geschehen würde. Und er wusste, dass er zu spät sein würde. Bereits im nächsten Augenblick hatte einer der Soldaten die Waffe gezogen und den Familienvater durch eine Kugel in den Kopf hingerichtet. Der darauf folgende Schrei der Frau und ihrer Tochter war verzweifelter, als alles was André jemals in seinem Leben gesehen oder auch nur selbst gespürt hatte. Diese Frauen waren soeben Zeugen eines der schlimmsten Attentate geworden, welches auf einen Menschen verübt werden konnten. Es war barbarisch eine Familie zu töten, die kampf- und wehrlos war. Aber der Krieg kannte nur Opfer und unterschied nicht zwischen ihnen. Dennoch spürte André eine Wut in sich aufsteigen, die er nie zuvor in seinem Leben an sich wahrgenommen hatte. Doch es war mehr als das. Aus seinem Blick sprach unglaublicher Hass und Rache. Doch die Folter war noch nicht vorüber. André sah, wie die Frau und das Mädchen an den Armen gepackt wurden und von drei der Rotröcke in das Haus gezerrt wurden, der vierte verharrte vor dem Eingang und schien sich umzusehen. Augenblicklich packte André die Muskete, die in seinem Gürtel bis zu diesem Moment verweilt hatte und wollte aus dem schützenden Schatten heraustreten, um auf geradem Wege auf das Haus zuzugehen; doch Jacques packte ihn am Arm und hielt ihn zurück „Das kannst du nicht tun! Was ist, wenn noch mehr von ihnen hier in der Gegend sind?“, zischte Jacques eindringlich und wollte ihn von möglichen Dummheiten abhalten. André gefährdete mit seinem Vorhaben die geplante Spionage um das Schlachtfeld. Energisch riss sich André von ihm los „Du weißt, was sie den beiden antun werden, wenn niemand eingreift! Glaubst du, das lasse ich zu?!“ „Die roten Bastarde sind in der Überzahl, André!“ „Glaubst du, das ist wichtig für mich?!“, und da war plötzlich wieder dieser Blick bei ihm zu sehen, der aussagte, dass es ihm ganz egal war zu leben oder zu sterben und ohne weitere kostbare Zeit zu verlieren, lief André wie von Sinnen in Richtung des Farmerhauses. Überrascht sah Jacques ihm nach „Immer muss ich deinen Arsch retten, André“, murmelte er noch, bevor auch er losstürmte. Er wusste, dass André mit seinem Handeln das Richtige tat und schon jetzt war er beschämt auch nur einen Moment gezögert und nicht sofort eingegriffen zu haben, um die fremde Frau und das Mädchen zu retten. War nicht er derjenige gewesen, der einmal verheiratet gewesen war? Wie konnte er auch nur einen Moment an Andrés Entscheidung zweifeln? Das hätte seine Frau wohl niemals von ihm erwartet. Schwere Vorwürfe gegen sich selbst begleiteten seinen Weg zum Haus. Jacques hatte nicht sofort gesehen, dass der erste Rotrock, der vor dem Anwesen Wache geschoben hatte, von André bereits niedergeschlagen worden war. Der Brite hatte nur einen Moment die Umgebung nicht mehr im Auge behalten, schon hatte er den Holzgriff von Andrés Muskete in seinem Nacken gespürt. Bewusstlos fiel er zu Boden. Jacques war zu André aufgeschlossen und beide gingen über die weiße Treppe zum Eingang des Hauses hin. Ohne die innere Lage ausgemacht zu haben, hatte André fest die Tür aufgestoßen. Das Überraschungsmoment war geglückt, denn sofort hatte er auch hier einen roten Bastard ergriffen, der gleich hinter der Tür gestanden hatte und hatte ihm den Hals verdreht. Das Geräusch krachender Wirbel war zu hören und Jacques wusste, dass André dem Briten das Genick gebrochen hatte. Auch dieser Mann fiel leblos zu Boden und dann erkannte Jacques auch den Ernst der Lage. Mitten im Raum stand der große Esstisch der Familie. Die Mutter war darauf gestoßen worden, ihr Rock war zerrissen und über ihr mit runtergelassener Hose war der Brite, der sie gewaltsam auf die Tischoberfläche drückte. Doch er hatte die Eindringlinge bemerkt und wollte nun nach seiner Waffe ziehen, da war André auch schon auf ihn zugesprungen und zerrte ihn von der wimmernden Frau fort. Mit seinen Stiefeln trat er ihn in den Unterleib, dass der Rotrock vor Schmerz aufschrie. André sah auf ihn hinab, als wäre er ein Insekt. Jacques ahnte nur zu gut, was eben in ihm vorging. Und er hatte Recht, solche Menschen, die so etwas Frauen und Kinder antun, hatten nichts Besseres verdient, als das gleiche Leid zu erfahren. Jacques beugte sich zum Feind hinab und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht. Danach war auch aus ihm das Leben entwichen und er zuckte nicht mehr. Jacques wollte der Frau vom Tisch helfen und ihr beruhigende Worte sagen, da streckte André seine Hand und wies ihn, an inne zu halten „Es waren drei im Haus“, flüsterte er Jacques zu und schaute sich im Raum um. In der hinteren Ecke erkannte er das kleine blonde Mädchen, welches mit angezogenen Knien auf dem Boden hockte und ihm mit verängstigendem Gesichtsausdruck entgegenstarrte. Sie zitterte am ganzen Leib ebenso wie ihre Mutter, die sich bis jetzt noch nicht bewegt hatte, sondern apathisch einfach nur zu Boden gesunken war. Doch dann bemerkte André wie die blauen Augen des Mädchens immer wieder zur Seite zeigten, immer nur für einen kurzen Moment. André verstand ihre Mimik. Sie hatte ihn soeben angedeutet, wo sich der letzte Rotrock befand. Und tatsächlich, an der Seite des Raumes stand ein großer aus Ebenholz gefertigter Schrank. Der Rotrock hatte sich dahinter versteckt. André konnte einen Teil seiner Stiefel erkennen. Ohne Jacques zu warnen, hatte André seine Muskete gezogen und abgefeuert. Der Schrank war von der Kugel durchbohrt worden. Ebenso wie der Brustkorb des Mannes, der nun tot zur Seite fiel. André wusste nicht, weshalb der Rotrock nicht versucht hatte sie beide zu töten. Entweder hatte er um seine eigene Haut gefürchtet oder aber er und Jacques waren in einer solch abwegigen Position des Raumes, dass der Feind keine Gelegenheit zum Schießen hatte. Warum wollte das Schicksal nur, dass er am Leben blieb? Er hatte vier Rotröcke auf einmal getötet und er lebte noch immer. Weshalb die Folter, weshalb die Qual? Als er nach Amerika gekommen war, hatte er geglaubt nicht eine Woche zu überleben, doch nun? Spielte das Schicksal grausame Spielchen mit ihm? Er drehte sich zu der Frau, die nun langsam zu realisieren schien, was geschehen war. Drei tote Männer befanden sich in ihrem Haus. Blut rann durch die Bodenbretter. Schnell sprang sie auf und lief zu ihrer Tochter, um sie in ihre Arme zu schließen. Dann schaute sie André und Jacques ebenso verängstigt entgegen wie zuvor noch den Briten. Scheinbar wog sie sich nun selbst gegenüber ihren Rettern noch immer nicht in Sicherheit. André blickte ihr einen Moment bedacht entgegen und sagte schließlich tonlos „Ihr solltet euch in Sicherheit bringen. Es kann gut möglich sein, dass noch andere von ihnen kommen werden“, ohne weitere Reaktionen abzuwarten, drehte sich André weg und verlies das Haus ebenso schnell wie er es betreten hatte. Als er die Baumgruppe vor sich wieder erreicht hatte, bemerkte er, dass Jacques ihn wieder eingeholt hatte. Ohne sich ihm zuzuwenden sagte André „Wir sollten zum Schlachtfeld zurückkehren, ich denke, wir werden dort gebraucht...“ Wie paralysiert schritt André weiter ohne auch nur die Umgebung um sich herum wahrzunehmen. Jacques hielt ihn nicht auf, denn er erinnerte sich daran, weshalb er und André in den Krieg gezogen waren. Keine Verpflichtungen, keine Aufopferungen, das hatten sie sich geschworen. Niemals würde einer den anderen aufhalten, sollte dieser geradewegs in den Tod gehen. Jacques hatte erkannt, dass André eine Entscheidung getroffen hatte. Und er würde ihm auf das Schlachtfeld folgen. Sie hatten nichts mehr, was ihr Leben noch lebenswert machte. Ihre Hoffnung war zerstört worden. Ihr Kampfgeist beinahe erloschen. Doch diese eine Schlacht würden sie noch kämpfen und zwar mit allem Herz, was sie noch in ihrer kalten Brust fühlten. Sie wussten nicht mehr, wie viel Zeit vergangen war, als sie die große Weide erreicht hatten, wo der Kampf unter Amerikanern und Briten tobte. Die Erde schien unter den heißen Strahlen der Sonne zu brennen. Ruß und Rauchschwaden vermischten sich zu einer Dunstwolke aus stickiger Luft, die einem das Atmen schwer machte. Feinde und Verbündete waren in dem undurchsichtigen Schleier kaum noch voneinander zu trennen. André schrie, als er den Säbel in die Brust eines Briten rammte. Er fühlte Leere und unglaublichen Hass in sich. Verzweiflung übermannte ihn und er stürzte sich inmitten der Feinde, Mann gegen Mann. Jacques war nur undeutlich neben ihm zu sehen, doch auch er schlug sich wacker. Plötzlich eröffnete sich vor André ein Tunnel, der etwas Licht zuließ. Auf der Anhöhe vor ihm, dort wo der Rauch noch nicht allzu viel Sonnenschein verschlungen hatte, erkannte er einen Soldaten, der eine der Kanonen zum Abschuss brachte. Auch sein Blick war verzweifelt und von Angst erfüllt. Als André sah, wie der Fremde die Kanone nachlud, fiel dessen Helm zu Boden und über seine Schultern breiteten sich blonde lockige Haare aus. Und auf einmal wurde André bewusst: Es handelte sich nicht um einen Mann, sondern um eine Frau! Eine Frau, die die Kanonen bediente und damit die Gegner zwang nicht weiter vorzudringen. Solch Heldenmut kannte er nur von ihr. Von Oscar. Und augenblicklich trat ihr Bild wieder in seine Gedanken, einzig hervorgerufen durch die Fremde, die dort auf dem Hügel war und tapferer als manch anderer Soldat kämpfte... Er konnte nicht sagen, was ihn in diesem Moment dazu bewegte, sich wieder den Feinden zuzuwenden und sich erneut in die Schlacht zu begeben. André hatte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt, aber es war das Gefühl der Hoffnung gewesen, was wieder in ihm empor entstiegen war, was er jedoch lange Zeit noch vor sich selbst leugnen würde. Er hatte nur noch Oscar in seinen Gedanken. Er kämpfte für sie. Möglicherweise war doch noch nicht alles verloren? An diesem heißen Tag im Juni, als die Schlacht um Monmouth geschlagen wurde, hatte André Mary Hays McCauly auf der Anhöhe erblickt. Ihr Mann war während des Kampfes bedingt durch die Hitze zusammengebrochen, wodurch eine der Kanonen ausgefallen war, auf welche jedoch nicht verzichtet werden konnte. Eigentlich hatte Mary bis zu diesem Tage die Soldaten nur mit Nahrung versorgt, doch die Verteidigung der Truppen unbenutzt zu wissen, brachte sie dazu, einen folgenschweren Entschluss zu fassen. Ihren Mann in Sicherheit bringend kehrte sie zu den Kanonen zurück und war dafür verantwortlich, dass diese nicht ausfiel. Mit ihren 34 Jahren hatte sie eine Tat vollbracht, vor der manch anderer Mensch geflohen wäre. Unaufhaltsam hatte sie sich den Feinden in den Weg gestellt und noch dazu mit ihrem Auftreten André ermutigt, wieder Hoffnung zu fassen und eine Schlacht niemals als verloren zu sehen. Ab diesem Tage wurde Mary nur noch Molly Pitcher genannt. Der Kampf um Monmouth hatte bis in die Abendstunden angehalten. Schließlich entwichen die Briten im Schutze der Dunkelheit den Amerikanern und flohen nach Sandy Hook, New Jersey, von wo aus die Überlebenden von der britischen Flotte nach New York City gebracht wurden. Die überlebenden Soldaten um George Washington nahmen die Verfolgung auf. Jacques und André waren auch nach dieser Schlacht unversehrt. Doch zunehmend stieg in André das Gefühl der Hoffnung auf. Doch Hoffnung worauf? Er konnte es nicht genau sagen... Kapitel 4: Edler Wein --------------------- Die rote Flüssigkeit in ihrem Glas bewegte sich darin, als sie es vom Tisch vor sich aufgenommen hatte. Sie wusste, dass sie bereits zu viel Wein getrunken hatte. Aber es kümmerte sie kaum. Schon seit Wochen leerte sie den Vorrat, der im Keller für besondere Anlässe angelegt worden war. Weine des besten und feinsten Jahrganges hatte sie geöffnet und allein getrunken. Doch es linderte keineswegs das Leid, welches sie tief in sich verspürte. Vielleicht für einen kurzen Moment, in welchem sie ihre Trunkenheit nicht mehr leugnen konnte, war ihr Verstand frei von Gedanken. Frei von Ängsten, Sorgen und Schmerz, die sie nun schon seit einer solchen langen Zeit ertragen musste. Täglich erhoffte sie sich ein Lebenszeichen von ihm. Aber nichts dergleichen geschah. Kein Brief, keine Nachrichten von anderen Soldaten die aufgrund von Verletzungen aus Amerika zurückgekehrt waren. Es machte sie wahnsinnig, hilflos zu sein; nichts tun zu können und einfach nur zu warten und zu hoffen. Doch was war, wenn er bereits tot war? Bei diesem Gedanken setzte sie das Weinglas erneut an ihre Lippen und nahm einen tiefen Schluck. Am Hofe von Versailles glaubte sie ihren leidvollen Zustand verbergen zu können. Doch zu Hause ging das nicht. Sophie beobachtete sie, auch wenn sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Doch Oscar hatte ihre sorgenvolle Blicke auf sich längst bemerkt. Und doch fragte sie sich, was Sophie wohl von Andrés damaliger Entscheidung hielt. Nie hatte Oscar sie diesbezüglich gefragt und irgendwie hatte sie die Vermutung, dass ihr Kindermädchen wohl auch nicht darauf geantwortet hätte, wäre die Frage jemals gefallen. In diesem Sinne waren sich die beiden Frauen ähnlich. Beide waren verschwiegen und teilten keinem ihre Gefühle mit. Stattdessen zogen sie es vor einsam zu leiden. Sophie bat Oscar nur immer wieder nicht so viel Wein zu trinken... Dieser Gedanke erzeugte ein Lächeln auf Oscar’s Lippen. Die Welt konnte untergehen und Sophie würde sich nur um Oscars Wohlbefinden sorgen... „Dabei müsste bei ihr an erster Stelle doch André stehen“, flüsterte Oscar traurig in den ansonsten menschenleeren Salon hinein und starrte in den brennenden Kamin vor sich. Sie lehnte sich in dem weichen Sessel zurück und schloss ihre Augen. Das Treffen mit der Königin vor einiger Zeit kam ihr wieder in den Sinn. Marie Antoinette war mittlerweile schwanger und erwartete ihr erstes Kind gegen Ende des Jahres. Das gesamte Land erhoffte sich die Niederkunft eines Thronerben. Doch dies konnte man natürlich erst bei der Geburt genau sagen. Bis dahin betete man für die Königin und ihr ungeborenes Kind, auf dass sie gesund die Monate überstehen werden. Oscar hatte Marie Antoinette aufgesucht, um ihr ebenfalls alles Glück der Welt zu wünschen. Die Königin war sichtlich glücklich gewesen, als der Kommandant der Garde Royale in ihre Gemächer eingetreten war. Unverzüglich hatte sie die Zimmermädchen fort geschickt, um mit ihrer langjährigen Freundin allein sein zu können. Es war ein warmer Herbstabend gewesen und damit war es möglich, die ausklingenden Tagesstunden auf dem Balkon ihres königlichen Gemachs zu verbringen. „Es ist so schön Euch zu sehen, liebste Oscar! Ihr besucht mich in letzter Zeit viel zu selten“, hatte sie immer wieder zu ihr gesagt, worauf Oscar gelächelt hatte „Verzeiht Eure Majestät, aber ich nahm an, dass Ihr nur wenig Zeit für mich opfern könntet, aufgrund Eurer Audienzen und dem baldigen erfreulichen Ereignis, welches Euch erwartet.“ „Ja, in der Tat, die letzten Wochen sind sehr aufregend gewesen“, hatte Antoinette bestätigt, als sie sich an die jüngsten Ereignisse zurückerinnerte „Unzählige Geschenke von Adligen aus ganz Frankreich sind in den letzten Wochen im Palast eingetroffen. Sie alle lassen mich dadurch von ihren Glückwünschen für mich erfahren, was natürlich auch sehr schön ist, aber zuweilen auch sehr kräftezehrend sein kann...“. Der darauffolgende müde Ausdruck in Antoinettes Augen, ließ Oscar darüber nachsinnen, dass die Königin möglicherweise ermüdet war. Um nichts in der Welt hätte Oscar ihre Stellung mit der Königin eingetauscht, wenn sie eine Wahl diesbezüglich erhalten hätte. Zuviel Verantwortung lag auf den Schultern dieser zierlichen Frau. Doch schon kurz darauf hatten sich Antoinettes Züge wieder ein wenig erhellt „Aber dennoch Oscar, ich freue mich sehr Mutter zu werden“, dann hatte sie kurz inne gehalten und scheinbar darüber nachgedacht, ob sie die nächsten Worte Oscar tatsächlich mitteilen sollte. Oscar hingegen hatte sie nur weiterhin aufmerksam angeschaut. Nachdenklich hatte die Königin daraufhin ihren wohlgewölbten Bauch berührt und leise gesprochen „Aber ist es eine Schande wahrheitsgemäß zu sagen, dass ich Angst habe?“ Augenblicklich wusste Oscar wovon sie sprach. Diese beiden Frauen kannten einander zu lange, als dass sie Geheimnisse voreinander haben konnten. „Ich glaube, Eure Majestät, Ihr fühlt zum jetzigen Zeitpunkt wie unzählige andere Frauen auf der ganzen Welt und ich denke, dass es Euch erlaubt ist, Angst vor den kommenden Ereignissen zu haben, auch wenn Ihr der Ansicht seid, Ihr dürftet dieses Gefühl aufgrund Eurer Privilegien nicht empfinden...“, als Oscar diese Meinung geäußert hatte, hatte sich der Blick der Königin vor ihr verändert und sie hatte geschmunzelt „Lady Oscar, ich hätte niemals angenommen, solch Worte von Eurer Person zu vernehmen, Ihr schafft es immer wieder mich zu überraschen“. Tatsächlich waren auch für Oscar selbst diese Worte ungewohnt gewesen. Sie waren einfach ihrem Mund entronnen. Sie hatte in diesem Moment wie eine Frau geklungen. Sie hatte von Gefühlen einer Frau gesprochen und dies konnte man nur, wenn man diese Gefühle selbst empfand. Ab diesem Zeitpunkt hatte Oscar gespürt, dass sich etwas an ihr veränderte und in Begriff war sich weiterzuentwickeln. Was war der Grund dafür? War es etwa die starke Sehnsucht, die sie nach ihrem besten Freund verspürte? Hatte sie sich in ihrer Person verändert, nur aufgrund seiner langen Abwesenheit? War so etwas überhaupt möglich? Oscar konnte noch nicht im Entferntesten realisieren, wie sehr sie doch an André gebunden war. Und auch hatte sie noch nicht bewusst wahrgenommen, dass ihre Gedanken an Fersen allmählich hinter denen zu André zurücktraten. Schnell wollte sie den aufkommenden bedrückenden Gefühlen wieder entfliehen und hatte intensiv Antoinette vor sich beobachtet, die leicht aufgeseufzt hatte. „Was habt Ihr, meine Königin?“ Kurz war sie dabei nachzusinnen, über ein scheinbar ernstes Problem, wie Oscar glaubte, dabei hätte sie ahnen sollen welche Gedanken die Königin bedrückt hatten. Antoinette hatte ihren Blick betrübt auf die Gärten von Versailles gelegt, die sich unweit ihres Balkons vor dem Schloss erstreckten. Stille war eingetreten und Oscar hatte angenommen, dass Marie Antoinette nicht darüber hatte sprechen wollen, doch es war anders gekommen. Leise, fast flüsternd hatte sie ihre Frage an Oscar gerichtet „Glaubt Ihr, dass er noch am Leben ist?“ Sofort war Oscar André wieder in den Sinn gekommen, aber sie hatte sich vor Augen halten müssen, dass es nicht dieser Mann war, von dem Antoinette gesprochen hatte. „Ich kann Euch diese Frage nicht beantworten, Eure Majestät. Die Zeit wird uns eröffnen, ob er diesen Krieg überlebt oder nicht...“, hatte Oscar tonlos geantwortet und erkannte an sich selbst jedoch in diesem Moment Verbitterung über die Frage der Königin. Antoinette regierte ein mächtiges Land. Sie hatte die Umstände aller Menschen in Betracht zu ziehen und auch dementsprechend Sorgen zu gestehen. Es war ihrer Stellung nicht würdig, ihre Gefühle einzig einem Mann zu gewähren. So viele Menschen waren in den Krieg gezogen, darunter auch französische Soldaten. Waren sie etwa wertlos? Waren sie ein Nichts, denen es nicht zustand auch nur einen einzigen Gedanken an sie zu verschwenden und ihre Taten ehrenhaft zu würdigen? Oscar konnte es nicht fassen, aber die Einstellung der Königin verärgerte sie. Noch immer hatte sie sich dieser ausweglosen Liebe verschrieben, die niemals zukünftig Bestand hätte; und dennoch... Sie stellte diese Liebe über ihre Pflichten als Königin, auch wenn es nur wenigen Vertrauten am Hofe bewusst war. Oscar hatte nicht bemerkt, wie sie über Antoinette geurteilt hatte. Sie hatte eine Entschuldigung für sich selbst gesucht, um ihre ständigen Gedanken an André zu rechtfertigen. Glaubte Oscar doch tatsächlich sie selbst würde jeden einzelnen kämpfenden Soldaten in Amerika ihre Hoffnung und Anteilnahme zukommen lassen, so war dies nicht richtig. Da ihre Gedanken, wenn sie ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, nunmehr nur noch André galten. Keinen anderen Soldaten oder gar Fersen, sondern einzig und allein ihrem Freund aus Kindheitstagen. Kurz nach der heimlichen Offenbarung Antoinettes hatte Oscar auch wieder den Palast verlassen. Sie öffnete wieder ihre Augen und wurde aufgrund der zuckenden Flammen leicht geblendet. Allmählich gewöhnte sich ihr Blick wieder an den dämmrigen Zustand im Salon und sie starrte wieder offen in das Feuer des Kamins. Sie fragte sich plötzlich wie es wohl war im Krieg zu dienen. Auch wenn sie hochrangige militärische Ausbildungen genossen hatte und lehrreich in Kriegsführung unterrichtet worden war, so hatte sie doch nie persönlich erfahren, wie es war auf dem Schlachtfeld zu kämpfen. Am Hofe von Versailles erledigte sie nur die saubere Arbeit für Aristokraten, aber wie würde es wohl sein, mit Soldaten gegen Feinde vorzubrechen, wo es nicht entscheidend war, welchen Dienstrang man bekleidete. Denn in einem Kampf um Leben und Tod wurde man sicher nicht verschont, nur weil man Kommandant der Garde Royale der Königin von Frankreich war... Plötzlich war die Tür aufgeschlagen worden und der Herr des Hauses war im Salon eingetreten. Ein prüfender Blick legte sich auf das blasse Gesicht seiner Tochter und Oscar ahnte, dass sie nicht verbergen konnte, dass sie leicht angetrunken war. Zügigen Schrittes trat er an ihren Sessel heran und hielt dann vor dem kleinen Rundtisch inne, auf welchem der dreißig Jahre alte Wein, nur noch zu Viertel voll, stand. Oscar sagte nichts, sondern senkte ihren Blick wieder zum Feuer hinab. Sie nahm an, dass nun ein Strafpredigt folgen würde, doch es kümmerte sie nicht. Ihr Blick war leer und von Trauer gezeichnet. Stumm beobachtete ihr Vater ihre hängenden Schultern, die nun schon seit vielen Wochen immer schmaler wirkten. Normalerweise hätte Reynier de Jarjayes in diesem Moment seine Tochter lautstark zurechtgewiesen, dass es nicht ihr Recht war, den Vorrat an delikatestem und teuerstem Wein aufzubrauchen. Doch ihr derzeitiger, bedrückender Gemütszustand war selbst ihm neu und verunsicherte ihn. Nie hatte er seine Tochter derart wahrgenommen und es war die Zeit angebrochen, in welcher er einmal anders mit ihr umgehen würde. Mit einem nachdenklichen Summen ließ er sich in den zweiten gepolsterten Sessel neben Oscar fallen und sprach wie immer in Befehlsmanier „Möchtest du darüber sprechen?“ Überrascht riss Oscar über diese Frage die Augen auf, die einzige Reaktion die sie dazu zeigte „Worüber, Vater?“ „Nun, wenn ich dies wüsste, hätte ich dir sicher nicht diese Frage gestellt, Oscar“, antwortete Reynier und zog die Stirn kraus. „Es ist Nichts...“ Wenig überzeugt von dieser Aussage, hob er ihr die fast leere Weinflasche vor die Nase „Und deshalb ist mein Weinkeller bereits zur Hälfte geplündert worden? Für nichts?“ wieder sagte sie daraufhin nichts. Noch nicht einmal hatte sie ihrem Vater direkt ins Gesicht geblickt. Reynier war von ihr gewohnt, dass sie stets etwas zu entgegnen hatte, aber dieses Schweigen ihrerseits bereitete ihm doch tatsächlich allmählich Sorgen. Der General war sich nur allzu gut bewusst, dass sie sich seit Andrés Abschied verändert hatte. Sie hatte sich zurückgezogen und war schweigsam geworden. Selbst für ihn war es offensichtlich, dass Oscar sichtlich darunter litt, ihren besten Freund womöglich für immer verloren zu haben. Doch sie durfte sich als Offizier nicht von solchen Empfindungen übermannen lassen. Sie musste ihren Blick nach vorn richten und ihre Pflichten bei Hofe erfüllen, um dem Namen der Familie Ehre zu machen. Doch wie konnte er ihr das begreiflich machen? Nur an ihre Zukunft denkend, sprach er schließlich eindringlich „André bewies uns seine Tapferkeit, als er sich entschlossen hatte in den Krieg zu ziehen. Er hat damit alle Ehre verdient, die es gibt, aber bedenke, Oscar, es war seine Entscheidung unser Haus zu verlassen. Ich denke, du solltest dies endlich respektieren und ihn ziehen lassen. Blick nach vorn. Ein ruhmreiches Leben steht dir bevor und es war zu erwarten, dass André irgendwann seinen eigenen Weg gehen würde“, Wahrheit sprach aus seinen Worten, was Oscar anerkennen musste; doch nur in ihrem Inneren und nicht gegenüber ihres Vaters. „Ich weiß wirklich nicht, wie Ihr dazu kommt, dass mein Verhalten irgendetwas mit Andrés Fortgang zu tun haben könnte“, lenkte sie ein, was ein kläglicher Versuch dessen war, der ihren Vater vom Gegenteil seiner Aussage überzeugen sollte. Er hatte Recht, es war Andrés Entscheidung gewesen. Was hatte sie auch geglaubt? Dass er auf ewig an ihrer Seite verweilen würde? Dass er auf ewig ihr dienen würde? War sie derart naiv gewesen? Nur schemenhaft erkannte sie, wie ihr Vater sich wieder aus dem Sessel erhob und ohne ein weiteres Wort den Salon verließ. Auch dies war Oscar egal. Sicher war sie erstaunt darüber gewesen, dass ihr Vater offen mit ihr über ihre Probleme sprechen wollte. Aber in den über zwanzig Jahren hatte sie sich ihm nie anvertraut und das würde sie nun ganz sicher nicht ändern. Nur einem hatte sie sich anvertrauen können, wenn sie gewollt hätte. Die Worte ihres Vaters hallten noch lang in ihrem Kopf nach. Sie wollte André ziehen lassen. Seit Monaten schon wollte sie seinen Weg akzeptieren, den er gewählt hatte. Aber warum fiel es ihr so schwer loszulassen? Sie war erwachsen und konnte doch nicht ihr Leben von einem Mann abhängig machen, der in einen Krieg gezogen war und von dem sie nicht einmal mehr wusste, ob er überhaupt noch lebte. „Wo bist du nur?“ flüsterte sie ohne es zu realisieren. Sie hatte niemanden mehr, den sie sich anvertrauen konnte. Am Hofe hielt man sie für den unnahbaren Kommandanten, welchem man nachsagte, er liebe Männer und Frauen. Dort war sie ein namensloser Geist, der unruhig umherzog und auf jeden fremd wirkte. Sie lehnte sich auf ihre Knie auf und blickte in das Weinglas, dessen Inhalt ihr feuerrot entgegenleuchtete. Ohne es verhindern zu können, lösten sich Tränen aus ihren Augen und fanden unaufhaltsam ihren Weg über ihre Wangen. Seit diesem Abend war ihr klar, wie verletzlich sie geworden war, seitdem er sie verlassen hatte. Kapitel 5: Savannah ------------------- „Wie ist er?“ „Wer?“ „George Washington! Ihr sagtet, Ihr hättet ihn kennen gelernt... Was ist das für ein Mann, in den ganz Amerika seine Hoffnung gesetzt hat?“ Nur schwerlich konnte Jacques seine Neugierde unterdrücken und bombardierte den in seinen Augen ‚neuen Franzosen’ mit unzähligen Fragen. Er war ein Mann von außergewöhnlich gutem Aussehen, auch wenn bei ihm bereits einige Spuren des Krieges erkennbar waren. Filziges Haar, Wunden im Gesicht und eine ungepflegte Uniform; wie bei allen Soldaten. André saß bei ihnen und begutachtete Jacques mit einem amüsierten Blick. Schon seit einiger Zeit wollte sein Kompanion Informationen Washington betreffend erlangen. Mit einem Lächeln streckte André seine Hände wieder dem Lagerfeuer entgegen, welches er für die Nacht entzündet hatte. Jacques hingegen ließ den Neuankömmling für keinen Moment aus den Augen. Es schien ihn sehr zu interessieren, wie die führenden Köpfe des Krieges ihre Strategien planten. Und es war einer jener Pläne gewesen, die André auf ein allzu bekanntes Gesicht treffen ließen, das nun hier unter ihnen verweilte. Es war gegen Ende des Jahres 1778 gewesen, als der gefürchtete britische General Robert Howe mit einer Expeditionsstreitkraft den Savannah River belagert hatte und schließlich in die gleichnamige Stadt eingefallen war. Erneut stand eine amerikanische Stadt unter britischer Vorherrschaft, was die Kriegsführer der Amerikaner zum Handeln gezwungen hatte. Hilfe hatte sich im darauffolgenden Jahr von der Ostküste her genähert. Die französische Flotte unter dem Kommando D’Estaings war aus der Karibik zurückgekehrt und hatte ihre Unterstützung der Ostküste zugesichert. Vierzehn Meilen südlich von Savannah waren Truppen bei Beaulieu ausgeladen worden, um einen Angriff auf die Stadt zu initiieren. André und sein Regiment waren dem Aufruf gefolgt und stießen auf die Stadt von entgegen gesetzter Seite ein. 1.500 Amerikaner unter der Führung von General Benjamin Lincoln und rund 5.000 Franzosen, abkommandiert aus D’Estaings Flotte, waren in die Stadt eingedrungen und wollten die mit 3.200 Soldaten starken Briten zur Evakuierung zwingen. Zwar war der Angriff für die Briten überraschend gewesen, doch auch die Gegenseite war zum schnellen Handeln genötigt wurden, da D’Estaing Sorgen um seine vor Anker liegende Flotte geäußert und damit eine übereifrige Eroberung gefordert hatte. Und es war inmitten des Marktplatzes der Stadt, wo sich bereits eine Ansammlung von Leichen befunden hatte, darunter überwiegend Amerikaner und Franzosen, als André bewusst wurde, dass die Schlacht verloren war. Und es war in diesem Moment, als er seinen Blick auf einen Mann richtete, der übermütig die Linien der Gegner durchbrach und jeden einzelnen von ihnen niederstreckte. Getrieben von einer scheinbar schützenden Hand, führte der Soldat sein Schwert durch die Leiber der Feinde. André hatte nichts weiter tun können, als seine Bewegungen in sich aufzunehmen und allmählich aufkommende Vermutungen, über den kämpfenden Mann vor sich, in seinem Kopf zu ordnen. Als der vierte vor ihm getötet war und kurzzeitig Stille eingekehrt worden war, wandte er sich zu André, von dem er bemerkt hatte, dass er ihn unentwegt beobachtet hatte. Umgeben von leblosen Körpern und rauchenden Musketen, die noch eben abgefeuert worden waren, starrten sie einander an und konnten nicht fassen sich in diesem riesigen Land fernab der Heimat begegnet zu haben. Doch es war keine Zeit für freundliche Begrüßung gewesen, da von den Stadtmauern her das Horn der Amerikaner erklungen war und damit alle Soldaten zum Rückzug aufgefordert hatte. André, der völlig gedankenversunken sein Gegenüber angeblickt hatte, war von ihm am Arm gepackt und aus der Stadt gezogen worden. Die Flucht war noch mit einigen einzelnen Auseinandersetzungen mit britischer Seite verbunden gewesen, denen sie sich jedoch gemeinsam entgegenstellen konnten, bis sie schließlich wieder unverletzt zu ihrem Regiment gestoßen waren. Inmitten der anderen Soldaten, die den Angriff überlebt hatten, standen sich Fersen und André wortlos gegenüber. Sein Blick verriet André, dass er niemals mit seinem Erscheinen gerechnet hätte, vermutlich hatte er noch immer versucht sich davon zu überzeugen, dass er keinem Traum verfallen war. André hingegen war im ersten Moment nicht halb so erfreut über das Wiedersehen mit Fersen gewesen. Er hatte nicht vermeiden können, dass sich sein Blick mit Neid erfüllte und damit Distanz gegenüber Fersen offenbarte. Doch dann, ohne dass André diese Handlung in den Sinn gekommen worden wäre, war er von Fersen umarmt worden. André spürte, dass Fersen froh war ein bekanntes Gesicht zu sehen. Überwältigt von den Emotionen, die der Graf plötzlich an den Tag gelegt hatte, musste sich André wieder in Erinnerung rufen, dass er Fersen schon so viele Jahre kannte. Von seinen positiven Eigenschaften übermannt, hatte André daraufhin die Umarmung erwidert. Augenblicklich hatte er vergessen, dass doch eigentlich dieser Mann dafür ausschlaggebend gewesen war, dass er und Oscar sich voneinander entfernt hatten und er nur aufgrund dessen Frankreich verlassen hatte. Im Inneren war er froh darüber gewesen, Fersen gesund wieder zu sehen. Er konnte nicht leugnen, dass er ihm über all die Jahre hinweg ein Freund gewesen war und er nicht für die Gefühle Oscars verantwortlich war, die sie ihm entgegengebracht hatte. Menschliche Gefühle konnten eben nicht beherrscht werden... Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen und André hatte Jacques Fersen vorgestellt. Daraufhin hatte Fersen erzählt, dass er seit seiner Ankunft in Amerika an verschiedenen Fronten gekämpft hatte. Sein Grafschaftstitel hatte ihm die Ehre zuteil werden lassen hochrangige Personen kennen zu lernen, darunter auch George Washington. Als dann die Streitkräfte aus Frankreich eingetroffen waren, hatte man ihn auf D’Estaings Flotte abkommandiert. Mit ihm hatte er die Karibik besegelt und war schließlich zurückkehrt, um dem Angriff auf Savannah beizuwohnen. Nun saßen sie beisammen und versuchten die Ereignisse der letzten Tage zu vergessen; so wie sie es nach jeder Schlacht taten. Fersen war sichtlich amüsiert über die aufkommende Neugierde Jacques’ „Nun, mein Freund, was soll ich sagen? Washington ist ein ausgezeichneter Feldherr und weiß seine Soldaten gut zu organisieren. Ich habe bis jetzt von wenigen Menschen vernommen, dass seine Kriegsführung falsch sei. Viele vertrauen ihm und würden ihr Leben in seine Hände legen“, dann wurde seine Stimme etwas leiser und er sprach weiter „Man munkelt, dass er sich gegen die Ansichten des Kongresses stellt, aber nicht für sein eigenes Wohlbefinden, sondern um die Truppen in ihrem Kampf mit neuer Kleidung und frischer Nahrung zu unterstützen. Sollte jemand erfahren, dass der Kongress dafür nicht aufkommt, wäre sicher die Moral vieler amerikanischer Soldaten verloren, die sich ebenso verraten fühlen würden, wie von den Briten. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn dies ans Tageslicht käme, also bitte ich Euch um Verschwiegenheit, meine Herren, zumal wir nicht aus diesem Lande kommen und uns in die politischen Entwicklungen hier nicht einmischen sollten...“ Als André diese Neuigkeiten vernommen hatte, nickte er zustimmend ohne es zu bemerken. Dies erzeugte einen fraglichen Blick bei Jacques und Fersen, die über seine plötzliche Reaktion überrascht waren, hatte er doch den gesamten Abend noch nicht viel gesprochen. Nach kurzem Zögern, meinte Jacques schließlich „Nun, dann scheint Washington ein bescheidener Mann zu sein, der das Wohl Fremder vor sein eigenes stellt. Man kann nur hoffen, dass der Kongress weiterhin auf seine Ratschläge hören wird...“ Scheinbar lag Jacques doch eine Menge daran, dass sich dieses jahrelang unterwürfige Land gut entwickelte, obwohl er oftmals beteuert hatte, er wäre in den Krieg gezogen, mit dem Willen nicht mehr lebend nach Frankreich zurückzukehren. André hatte die Veränderung an seinem Kameraden erkannt; jedoch nichts dazu gesagt, da ihn seine eigenen Gedanken diesbezüglich beschäftigt hatten. Seit einiger Zeit hatte André verspürt, dass er mit einem Ziel vor Augen Schlacht für Schlacht kämpfte. Sein Kampfgeist war still und leise in ihm zurückgekehrt. Tagtäglich sah er diese fremden Menschen, die ausgezerrt und kraftlos waren, doch dabei immer von dem Leuchten in ihren Augen weiter getragen worden. Der Ausdruck der Veränderung hatte sich bei ihnen manifestiert. Sie alle wussten, wofür sie kämpften. Für eine bessere Welt. Für sie selbst und ihre Kinder. Auch wenn noch so viele Schlachten verloren waren, die Hoffnung schwand nicht aus ihren Augen. Und André musste sich zunehmend selbst damit konfrontieren, ob er sein Leben tatsächlich nur aufgrund von Schmerz und Leid opfern wollte. Oder eher für eine Zukunft, die vielen Menschen Freude bringen konnte. Wieder fragte er sich, ob das Schicksal mit ihm spielte oder ihn etwas lehren wollte. Sollte er aus den Ereignissen, die er in Amerika bis dato erlebt hatte, einen anderen Sinn verfolgen? Sein Leben zukünftig weiter zu führen? Anders zu führen? Noch immer war er am Leben... Weshalb nur? Die plötzliche Begegnung mit Fersen ließ ihn noch mehr über diese Gedanken sinnen. Es musste einen Grund für ihr Aufeinandertreffen geben. Schicksal? Ein von Gott gegebener Weg, den André niemals ändern könnte? Jacques war aufgestanden und hatte Fersen und André allein beim Lagerfeuer zurückgelassen. André ahnte, dass Fragen von Fersen folgen würden. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt sich mit André allein zu unterhalten. Mit wissendem Blick wandte sich André ihm zu, was Fersen erwartet hatte. Es schien, als würde eine Aussprache unausweichlich sein „Ich muss zugeben, dass ich anfangs nicht glauben konnte, dass Ihr wirklich in Fleisch und Blut vor mir steht, André“, gestand Fersen mit unsicherem Ton „Dann war ich froh Euch zu sehen und danach wiederum fragte ich mich, was Euch dazu veranlasst hatte, ebenfalls dem Krieg beizutreten...“ auch Fersen streckte nun seine Hände nach vorn und wärmte sich am knisternden Lagerfeuer. Er hatte geahnt, dass André ihm nicht antworten würde, es schien vorherbestimmt, dass Fersen seine Gedanken weiter äußerte „Dann habe ich in Eure Augen gesehen und ich konnte mich selbst wieder erkennen...“, kurz hielt er inne und blickte intensiv zu André, während er langsam seinen Satz vollendete „und da wusste ich, weshalb Ihr hier seid...“ Weitere Worte wären überflüssig gewesen, denn André brauchte keine Sprache, um zu verstehen, was er meinte. Es war so glasklar; so durchdringend; selbst für Fersen. Fersen war vor Antoinette geflohen, ebenso wie André vor Oscar geflohen war. Beide Männer hatten versucht ihrem Schicksal zu entrinnen und waren letztlich hier in diesem Land aufeinander getroffen und wurden nun mit der nackten Wahrheit konfrontiert. Wie schwach sie doch im Eigentlichen waren. Anstatt ihrer großen Liebe beizustehen, hatten sie sie verlassen und damit vermutlich Traurigkeit über sie gebracht. Und sie selbst verzehrten sich hier nach diesen beiden Frauen und belogen sich selbst damit, indem sie sich vorhielten, sie hätten keine andere Wahl gehabt, als in den Krieg zu ziehen, um Antoinette und Oscar kein Leid anzutun. Doch genau so war es eingetreten. Das was sie versucht hatten zu vermeiden, hatten sie genau mit ihrem Fortgang erreicht. Feige wie sie waren, dachten sie, sie könnten ihrem Schicksal entrinnen. Dabei war es doch um so vieles komplizierter. „Oscar hat einen Fehler begangen, indem sie Euch gehen ließ...“, flüsterte Fersen dann benommen. „Sprecht nicht so von ihr!“ entgegnete André ungebremst und barsch und war augenblicklich verärgert über diese Äußerung seitens Fersen. Er musste sich eingestehen, dass er noch sehr verletzlich war, sobald Fersen auch nur von Oscar sprach. Auch Fersen hatte den plötzlichen Gemütswandel seines Freundes erkannt und war sofort ruhig. Fersen wurde bewusst, dass André sich verändert hatte, seitdem nun sein Geheimnis offensichtlich war. Wie gut konnte Fersen doch seine Situation nachvollziehen. Eine Frau zu lieben, die immer unerreichbar sein würde, war so unmöglich wie den Standesunterschied zwischen ihnen beiden zu überwinden. Schnell hatte sich André wieder gefasst, nachdem er näher über die Worte Fersens nachgedacht hatte „Verzeiht, ich weiß, Ihr hattet es nicht so gemeint“, nach kurzem Überlegen fügte er traurig hinzu „Ich bin ihr nur noch eine Last gewesen...“ „Nun, das kann ich irgendwie nicht glauben“, widersprach Fersen, worauf er einen fraglich dreinschauenden Blick von André erntete „Wenn man Euch zusammen sah, war es, als würde es niemals anders sein. Wie Wasser und Feuer, wie Himmel und Erde, wie...“, er versuchte die richtige Umschreibung zu finden „wie Licht und Schatten wart ihr für einander und stets hatte ich das Gefühl, es wäre für die Ewigkeit bestimmt, dass Ihr niemals getrennt werden könntet. Ich glaubte fest, dass Eure Freundschaft immer Bestand haben würde, so wie sie nur einmal in der Welt existieren könnte...“ André war sichtlich überrascht über das Geständnis Fersens. Es war richtig, dass Fersen ihn und Oscar nun viele Jahre kannte und womöglich besser, als irgendjemand sonst. Doch hätte er es nie für möglich gehalten, solch einen Eindruck bei Fersen hervorgerufen zu haben. Hatte seine langjährige Freundschaft zu Oscar solch einen Ausdruck nach außen gehabt? Hatte sie solch eine Wirkung auf Fersen entfaltet? Wenn das wahr war und Oscar hatte André die gleichen tiefen freundschaftlichen Gefühle entgegengebracht wie er ihr, sodass es selbst für Fersen offensichtlich gewesen war, dann hatte André etwas unglaubliches Kostbares mit seinem Fortgang in den Krieg zerstört. Ihr Vertrauen in ihn. In diesem Moment war es ihm schlagartig bewusst geworden. Indem er sie verlassen hatte, hatte er sie womöglich noch tiefer verletzt, als dass er es getan hätte, wäre er bei ihr geblieben. Doch egal von welcher Seite man es betrachtete, er bildete sich tief in seinem Inneren ein, dass er ihr auch Leid angetan hätte, hätte er weiterhin in ihrer Nähe verweilt. „Schon immer habe ich Euch um diese Freundschaft beneidet“, schloss Fersen, worauf André antwortete „Und ich habe Euch schon immer darum beneidet, dass Eure Liebe nicht unerwidert blieb.“ Dies ließ Fersen ebenfalls wieder augenblicklich verstummen, denn darauf wusste er nichts mehr zu entgegnen. Fersens Liebe war unglücklich, dennoch wurde sie erwidert. Auch jetzt noch liebte sie ihn, obwohl er so weit entfernt von ihr war. André war dieses Glück nicht zuteil geworden, weshalb er die Entscheidung getroffen hatte Frankreich und damit Oscar den Rücken zu kehren. Auch wenn Graf von Fersen diese Entschlossenheit immer noch nicht anerkennen konnte, da er glaubte, einen Fehler darin zu sehen, blieb er stumm und sprach André hierauf nicht mehr an. Schweigend verweilten sie gemeinsam den Rest der Nacht vor dem Lagerfeuer, gefangen in ihren eigenen Gefühlen und Gedanken an diese beiden für sie einzigartigen Frauen. Noch so großer Heldenmut im Krieg konnte nicht das gebrochene Herz überdauern, welches beide Männer in sich trugen. In den darauffolgenden Tagen schloss sich Graf von Fersen als Adjutant der Truppe um General Rochambeau. André sollte ihn für eine lange Zeit nicht wiedersehen. Auch Jacques und André würden weiterziehen, gefolgt von inneren Veränderungen und Zerwürfnissen. Kapitel 6: Audienz ------------------ Er stand vor ihr. In Fleisch und Blut. Sie konnte es nicht glauben und blinzelte, um sicher zu gehen, dass er tatsächlich bei ihr war. Er hatte sich nicht bewegt und das Bild vor ihren Augen blieb klar und unberührt. Sie wollte nach ihm greifen. Ihn festhalten, dass er sie niemals wieder verlassen könnte. Aber er entwich ihrer ausgestreckten Hand in einer schnellen Bewegung. Augenblicklich war sie verletzt über seine Reaktion. So lange Zeit hatten sie einander nicht gesehen und nun wahrte er die nötige Distanz zu ihr. Und da betrachtete sie ihn von Kopf bis Fuß. Er trug die Uniform, die er wohl im Krieg erhalten hatte. Schlaff und ungerichtet lag sie an seinem Körper. An Armen und Beinen zerschlissen und abgenutzt, von Dreck und Schmutz übersäht. Er selbst sah müde und abgekämpft aus und war nicht zu mehr in der Lage als einem starren Gesichtsausdruck ihr gegenüber. Stieg in ihm kein bisschen Freude über ihr gemeinsames Wiedersehen empor? Sie war bestürzt und spürte augenblicklich, dass er sich verändert hatte. Warum war er zurückgekehrt, wenn er doch eigentlich vor ihr geflohen war und dies noch immer tat? Plötzlich drehte er sich von ihr fort und ging einen langen schmalen Gang hinab, ohne auf ihre Rufe zu reagieren. Sie lief ihm nach, konnte ihn nicht erreichen und schrie ein letztes mal seinen Namen. Aus Leibeskräften tat sie das, doch ihren Lippen entrann nur ein Flüstern. Da wandte er sich ihr zu und sagte etwas, aber sie konnte es weder hören noch verstehen. Panik überkam sie. Weshalb nur konnte sie seine Worte nicht vernehmen? Hilflos sank sie auf ihre Knie und fühlte den kalten, harten Boden unter sich, als sie aufkam. Ihre Arme waren kraftlos an ihre Seite gesunken und unendliche Verzweiflung stieg in ihr auf. Warum ließ er sie derart leiden? Waren sie nicht immer zusammen gewesen? Wenn es jetzt ein Abschied für immer sein sollte, dann wollte sie dies auf eine Art und Weise vollbringen, dass sie nicht von späteren Vorwürfen geplagt werden würde. Sie würde nicht noch einmal den gleichen Fehler begehen, wie am Tage seiner Abreise nach Amerika. Doch er ließ es nicht zu. Und auf einmal konnte sie seine Worte hören, erst sehr schwach und zusammenhangslos, doch mit jeder Silbe schließlich klarer und lauter. „Versuche nicht mich zu finden...“, sprach er leise und wiederholte es immer und immer wieder, bis sie auch das letzte Wort realisiert hatte. Sie starrte ihm nach, als er wieder begann von ihr fort zu gehen. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. Einerseits weil sie geschockt über seine Worte war und andererseits weil der Boden sie scheinbar festhielt. Ein Zischen drang nahe an ihrem Ohr vorbei und sie sah, wie er im Rücken getroffen wurde. Er war von einer Kugel verletzt worden und sank langsam leblos zu Boden. Tiefrotes Blut durchtränkte von einem Moment auf den anderen seine Uniform, dass es unübersehbar war. Selbst der Geruch stieg ihr in die Nase, was sie dazu bewegte laut aufzuschreien... „André!“ Mit weit aufgerissenen Augen saß sie aufrecht in ihrem Bett. Sie spürte, wie Schweißperlen ihre Stirn belegten und an ihrer Schläfe hinabrannen. Heftiges Atmen ging durch ihren Körper und es schien als würde ihr Aufschreien noch jetzt in der doch eigentlich Stille des Raumes wiederhallen. Allmählich beruhigte sie sich und erkannte, dass sie in ihrem Schlafgemach war. Es war ein Traum gewesen. Ein Traum der ihre schlimmsten Befürchtungen real werden ließ. Alles war so greifbar nahe gewesen, dass es ihr Angst machte. Was wenn es eine Vorahnung war auf etwas, das geschehen würde; wenn nicht schon geschehen war? Sie war dem Aberglauben nicht verfallen, aber diese geträumte Vorstellung hatte sie mit einer Intensität getroffen, dass sich noch jetzt ihre Hände zitternd in die Bettdecke krallten. Sie fürchtete um ihn. Mehr denn je. Schon seit einigen Wochen hatte sie eine Entscheidung getroffen, die sie am heutigen Tage der Königin vortragen würde. Auch dieser Alptraum würde sie davon nicht abhalten können. Sie erhob sich von ihrem Himmelbett und machte sich fertig für die Audienz bei Marie Antoinette. Bereits wenige Stunden später bat man Oscar in das Gemach der Königin einzutreten. Das Zimmer war leer und auch der Diener, der die Tür geöffnet hatte, war wieder verschwunden. Oscar dachte nach. Sie durchdachte ihr kommendes Handeln bis in das kleinste Detail. Wohl überlegte Äußerungen würden aus ihrem Mund kommen und mit einem sicheren Tonfall ihre gefällte Entscheidung unterstreichen. Die Nebentür auf der anderen Seite des Gemachs öffnete sich und Antoinette trat mit eifrigem Schritt herein. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, als sie Oscar erkannte und diese gemäß den höfischen Manieren vor ihr niederkniete. „Oscar, es ist so schön Euch zu sehen! Bitte, erhebt Euch doch“, sagte Antoinette freundlich, als sie sich in ihren Sessel setzte, der für das angekündigte Gespräch bereitgestellt worden war. Oscar überhörte sie jedoch und neigte weiterhin ihren Kopf zu Boden, um ihrer Untertänigkeit Ausdruck zu verleihen „Eure Majestät, es freut mich Euch nach der Geburt der Prinzessin wohl auf zu sehen. Ich habe vernommen, dass Eure Tochter von ganz außergewöhnlicher Schönheit gepriesen sei und ebenso gesund ist, wie Ihr es seid. Es macht mich zutiefst glücklich, Eure Hoheit“ „Oscar, viel zu viel Zeit ist seit Eurem letzten Besuch vergangen und auch ich bin froh zu sehen, dass es euch gut geht“, danach beäugte Antoinette die starre Haltung ihres Kommandanten mit einem kritischen Blick und wunderte sich doch, weshalb sie ihrer Aufforderung nicht nachgekommen war „Aber Ihr erscheint mir heute etwas starr, Oscar. Welch Anlass hat Euch tatsächlich zu mir geführt? Eure Ernsthaftigkeit verrät Euch und sagt mir, dass Ihr mich aus einem bestimmten Grund sprechen wolltet...“ Oscar musste sich eingestehen, dass weibliche Intuition eine von Gott wohl überlegte Gabe war. Sie hatte erwartet, dass Antoinette Verdacht schöpfen würde. Oscar wusste, dass der Königin ihr abgemagerter Körper und ihr bleiches Gesicht nicht entgangen waren, aber die langen Jahre am Hofe von Versailles hatten Antoinette lernen lassen, über so etwas hinwegzusehen und sich es nicht anmerken zu lassen. Doch Oscar war in ihren Beobachtungen ebenso aufmerksam gewesen und hatte schon bei Betreten des Zimmers der Königin angesehen, dass sie ihr sorgenvolle Blicke zugeworfen hatte. Sie würde nicht darauf eingehen, sollte Antoinette sie dahingehend ansprechen. „Meine Königin, ich bemerke, dass Ihr es mir anseht, dass mich noch eine andere Erledigung zu Euch führt. Nein, keine Erledigung, vielmehr eine Bitte, die ich gern vortragen möchte“, kurz waren Oscars Augen über das Gesicht der Königin geglitten und verinnerlichten jede ihrer Reaktion hierauf „Nur zu, Oscar...“ Der Zeitpunkt war also gekommen, an dem sie ihre Entscheidung Marie Antoinette mitteilen würde. Der Frau die sie seit ihrem Jugendalter kannte und der sie nie hatte einen Wunsch abschlagen können, welcher sie über all die Jahre treu gedient hatte „Eure Majestät, ich kam heute zu Euch, um Euch zu bitten, mich aus dem Dienst als Kommandanten des Königlichen Garderegiments zu entlassen“, Oscar hatte gemerkt, dass ihr Ton kalt und hart war, beinahe so, als hätte sie all die Jahre, die sie der Garde Royale gedient hatte zutiefst bereut. Sie war über sich selbst überrascht, dass sie in dieser Art und Weise gesprochen hatte und die Konsequenz darauf war Antoinette nur allzu deutlich in den Augen anzusehen. Ein schockierter Blick überkam sie und sie konnte nicht vermeiden im nächsten Moment sich rasch vom Sessel zu erheben und auf Oscar zuzugehen, die wieder ihre Augen zu dem weißen Marmorboden gesenkt hatte. „Warum Oscar? Warum so plötzlich? Seid Ihr mit den Männern nicht zufrieden? Oder wünscht Ihr gar eine höhere Position? Ich könnte das sofort veranlassen...“, doch Antoinette wurde in ihrem Redefluss unterbrochen „Mit Verlaub, meine Königin, seit Jahren bin ich zutiefst geehrt, dass Ihr mir solch eine große Verantwortung wie etwa die Garde Royale zu führen anvertraut habt und glaubt mir, wenn ich sage, dass ich diese Zeit immer schätzen und niemals vergessen werde. Ebenso wenig wie Eure Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft und Eure treue Freundschaft über all die Jahre hinweg...“, Oscar musste kurz aussetzen, da sie glaubte, gehört zu haben, wie ihre Stimme brach und von einem Zittern umfangen worden war. Ihr Verhalten war sonderbar, was auch die Königin wahrnahm und allmählich erkannte Antoinette, dass ihre treue Dienerin scheinbar mehr in Zukunft auf ihre Schultern bürden wollte, als es all die Jahre über gewesen war „Es klingt, als wolltet Ihr Euch von mir verabschieden“, murmelte sie vor sich her „Für immer?“ Darauf antwortete Oscar nicht und das waren der Königin genug unausgesprochene Worte um Gewissheit zu haben „Aber nein, nein! Warum? Weshalb wollt Ihr Versailles den Rücken kehren? Und mir?“ Oscar blickte nun endlich wieder auf und zwang ihre feuchten Augen dazu den Kampf mit den aufkommenden Tränen nicht nachzugeben „Bitte glaubt mir, Eure Majestät, wenn ich sage, dass meine Entscheidung nicht im Geringsten mit dem Dienst bei Hofe oder auch Euch zu tun hat. Ich... Ich muss eine Person ausfindig machen und das kann ich nur, wenn ich dabei meine Arbeit quittiere. Versteht mich bitte... Es ist sehr wichtig für mich...“ Obwohl Antoinette nicht wusste, dass Oscar davon sprach nach Amerika zu gehen und in den Krieg einzuziehen, einzig um die letzte Möglichkeit zu fassen, André doch noch wiederzusehen, ahnte sie, dass Oscar mit ihrem unausgesprochenen Vorhaben ihr Leben riskieren würde. Antoinette konnte es an dem Ausdruck in ihren Augen erkennen. Sie waren entschlossen und dennoch von solch einer tiefen Leere und Verzweiflung ergriffen, dass es der Königin Angst machte. Noch nie hatte sie sich derart um ihren Kommandanten gesorgt, wie in eben diesem Moment und das brachte sie dazu, plötzlich vor ihr auf den Boden zu sinken „Oscar, ich flehe Euch an, bleibt! Ich knie hier vor Euch als Königin von Frankreich nieder und bitte Euch mich nicht zu verlassen“, die Stimme Antoinettes wurden von Seufzern heimgesucht und Oscar erkannte, wie sich schwere Tränen aus ihren Augen lösten. Oscar konnte nicht fassen, was geschehen war. Sie und die Königin knieten voreinander auf dem Boden und fühlten sich von ihrer gegenseitigen Verzweiflung umhüllt und niedergedrückt. Es war nicht nur Traurigkeit über Oscars voreiligen Entschluss, sondern auch die ungestillte Sehnsucht nach den beiden Männern, von denen sie seit Jahren kein Lebenszeichen erhalten hatten. Doch beide konnten sich letzteres nicht eingestehen. Stattdessen griff Antoinette nach den Händen ihrer Vertrauten und schluchzte „Ihr könnt mich nicht auch noch verlassen... Nicht auch Ihr“, und um sich ihrer Hoffnungslosigkeit zu ergeben, legte sie ihre Stirn auf die Handrücken Oscars und weinte bitterlich. Auch wenn sie seinen Namen nicht genannt hatte, so wusste Oscar, wen Antoinette mit ihren Worten gemeint hatte. Sie liebte Fersen und er war einer der wenigen Personen neben Oscar selbst, dem die Königin bedingungslos vertrauen konnte. Was würde mit ihr geschehen, wenn Oscar tatsächlich Frankreich verlassen würde? Die Königin hätte dann vermutlich keinen wahren Freund mehr an ihrer Seite. Konnte Oscar das verantworten? Schließlich war auch ihr die Freundschaft zur Königin über die Jahre hinweg sehr wichtig geworden. Und als sie Antoinette vor sich betrachtete, wie sie ihre Gefühle nicht zurückhalten konnte und sich ihr mit ihrer Seele offenbarte, wie sie es nur einmal zuvor getan hatte, da erinnerte sich Oscar plötzlich an Andrés Worte aus dem Traum der letzten Nacht ‚Versuche nicht mich zu finden...’ War es das also? Sollte sie bei der Königin verweilen, da sie von ihr dringender gebraucht wurde, als von ihm? Brauchte er sie überhaupt? Oscars Gedanken überschlugen sich und sie wusste nicht mehr, was die richtige Entscheidung war. Hatte sie sich fest vorgenommen nun Amerika anzusteuern, so glaubte sie nun, dass es der falsche Entschluss war, den sie getroffen hatte. Das Weinen der Königin in ihren Armen entfernte sich zunehmend. Die Welt vor Oscars Augen verschwamm und wurde mit einem milchigweißen Schleier eingehüllt. Plötzlich fand sich Oscar in den späten Abendstunden wieder, allein an dem schmalen Fluss, der den Weg von Versailles zum Maison Jarjayes begleitete. Auf der Hälfte des Weges war sie vom Pferd gestiegen und stand nun reglos am Ufer und starrte in das klare Wasser, dass die feuerroten Strahlen der Sonne tanzend wiederspiegelte. Der Tag hatte einen Verlauf genommen, den sie nicht gewollt hatte. Und dennoch glaubte sie, dass es besser war für die Königin sie an ihrer Seite zu wissen. Doch wie fühlte sie sich selbst dabei? Stetig hielt sie etwas davon ab, André wiederzufinden und sie konnte nicht beschreiben, wie traurig, wütend und frustriert zugleich sie über diese Sache war. Weshalb bürdete das Schicksal ihr solch eine schwere Prüfung auf? Sie erkannte, dass dies die härteste Probe war, die sie je zu bestehen haben musste. Sie musste in etwas vertrauen, was nicht greifbar war, was womöglich längst in dieser Welt verloschen war... Sie musste auf seine Wiederkehr vertrauen; blind ohne zu wissen, ob er noch am Leben war. Doch ihr fehlte die Kraft dies noch weiter durchzustehen. Unsagbarer Schmerz breitete sich in ihrem Körper aus. Doch er war keinesfalls physisch. Das Empfinden, welches sie verspürte, hatte sich von ihrem Herzen her über ihre Glieder gelegt und ließen sie augenblicklich hilflos wirken. Sie wusste nicht mehr weiter, etwas musste sich ändern... Lautlos zog sie ihr Schwert und legte die Klinge in ihre Hand. Gedankenversunken, fast erlösend blickte sie auf das silbrigglänzende Metall herab. Sie konnte sich darin erkennen; ihre Augen die leer und trostlos wirkten. Es erschrak sie selbst, wie kümmerlich ihre Haltung und ihr Aussehen geworden waren. Und als der Wind auffrischte und sie tosend in ihrem Rücken traf, erhob sie das Schwert und legte es sich an den Hals. Energisch führte sie einen sauberen Schnitt... Blonde lange Locken wurden von der Luft fortgetragen und verteilten sich in alle Richtungen. Oscar selbst starrte geistesabwesend wieder zur Wasseroberfläche. Der Verlust ihres langen Haares minderte etwas ihre Verzweiflung, da sie sich einredete etwas getan zu haben; eine Veränderung hervorgebracht zu haben. Doch war es nur das Leid, welches sie empfunden hatte, als sie sich die schimmernden Locken abgetrennt hatte. Sie hatte damit ein Zeichen gesetzt, dass ihr bewusst machte, dass sie endlich einen neuen Abschnitt in ihrem Leben beginnen sollte. Ohne ihn. Kapitel 7: Yorktown ------------------- Unruhig drehte sich André auf seinem provisorischen Bett, das eigentlich nichts weiter war als eine dünne Decke, die nur wenig die Kälte des eisigen Erdbodens fernhielt. Seinen Wintermantel hatte er eng um sich geschnürt, damit er sich ein wenig Wärme bewahren konnte. Es war bereits später Herbst und das Jahr 1781 ging seinem Ende entgegen. Um sich herum hörte er Männer schnarchen oder gar im Schlaf reden. Nicht selten kam es vor, dass einer von ihnen lauthals schreiend aus einem Alptraum erwachte. Oder aber er hatte sich von den dunklen Erinnerungen gefangen nehmen lassen, die jeder neue Tag des Krieges mit sich brachte. André selbst fand keinen Schlaf. Es verwunderte ihn, dass er sich tagsüber auf den Beinen halten konnte. Aber der Schmerz, den man nach etlichen Kilometern langen Marschierens in seinen Gliedern spürte, hielt ihn davon ab, müde zu werden. Er drehte seine Augen zum Feuer, das unweit von ihm noch immer kräftig loderte. Wäre dieses Feuer nicht, würde mit Sicherheit eine Vielzahl von Soldaten den nächsten Tag nicht überstehen. Weder Zelt noch warme Decken hatten sie vorrätig. Seit Tagen waren sie als kleine Gruppe auf der Flucht vor Briten gewesen, da man ihre Truppe hatte zerschlagen können. André, Jacques und einige andere bekannte Gesichter konnten dem Angriff entkommen und waren vorerst in die Wälder geflüchtet, damit sich die Lage wieder beruhigen konnte. André war allzu gut bewusst, weshalb die Briten es auf sie abgesehen hatten. General Nathanael Greene hatte die Truppe angeführt und war gemeinsam mit den wenigen Soldaten geflüchtet. André konnte ihn auf der anderen Seite des Lagers erkennen. Er hielt eine Fackel vor sich und studierte die Karten, um den besten, unbehelligten Weg aus dem Wald heraus ausfindig zu machen. Greene war ein geheimnisvoller Mann. Sein militärisches Geschick oder aber einfach nur Glück, welches ihm widerfahren war, hatte den Amerikanern den Sieg bei Cowpens in South Carolina eingebracht. Es hatte zum Ergebnis gehabt, dass das südliche Gebiet Amerikas von den Briten geräumt worden war. Ein Großteil der Königlichen Rotröcke waren vertrieben worden. Damit besaßen die Amerikaner nun ein weiteres ausgedehntes Landstück, das bei militärischen Operationen von Nutzen war. Bereits seit Cowpens waren Jacques und André Greene unterstellt worden. Kurz nach dem moralisch aufbauenden Sieg in South Carolina waren sie Greene gefolgt, der sich mit einer großen Zahl von Soldaten auf den Weg in den Norden gemacht hatte. Die Soldaten hatten nicht im Entferntesten ahnen können, dass es sich zu einer Mäusejagd entwickeln würde. Earl Cornwallis, Truppenführer der Briten, der die Niederlage bei Cowpens nicht hatte hinnehmen können, begann eine Verfolgung auf die marschierenden Amerikaner, die zahlreiche Opfer seiner eigenen Leute mit sich gebracht hatte. Nach knapp zweimonatiger Hetzerei zwischen South und North Carolina waren die Briten mehr denn je geschwächt gewesen. Cornwallis hatte den fatalen Fehler begangen, Gepäck seiner Soldaten zu verbrennen, um ein schnelleres Vordringen zu den Amerikanern zu ermöglichen. Doch damit verbundener Nahrungsmangel und ungenügende Kleidungs- und Deckenvorräte hatte Cornwallis nicht bedacht. Fast war seine Strategie geglückt, doch ein gewisser Schutz schien die Truppe um Greene zu umgeben, weshalb sie immer wieder rechtzeitig den Rotröcken entkommen waren. In dieser hektischen Zeit hatte es der amerikanische General geschafft, Hilfe von den umliegenden Städten zu erbitten. Insgesamt hatten schließlich 4.500 Männer verzeichnet werden können, die sich dem unumgänglichen Kampf gegen Cornwallis stellen würden. Schließlich war der 15. März 1781 angebrochen. In der Nähe der Stadt Greensboro war die Schlacht bei Guilford Court House ausgetragen worden. Auf amerikanischer Seite waren mehr als doppelt so viele Soldaten vorhanden als bei den Briten und trotzdem... Das unorganisierte Aufstellen der Miliz und die unüberlegte Platzierung des Schlachtfeldes führten dazu, dass Cornwallis seinen Angriff rasch und energisch über die Amerikaner ergehen lassen hatte. Als der Kampf unübersichtlich geworden war, hatte der britische Truppenführer nicht lange gezögert und seinen umstehenden an seiner Seite gebliebenen Soldaten den Befehl gegeben in die Menge zu schießen, egal ob dabei eigene Leute getroffen worden waren. Er hatte es als einzige Möglichkeit betrachtet, den ungleichen Kampf noch für sich zu entscheiden. Sein Handeln war barbarisch und unmenschlich gewesen und hatte zu einer Vielzahl an Toten auf britischer Seite geführt. Und doch hatten auch die Amerikaner schwere Verluste zu verwinden gehabt. Ein rascher Rückzug war die Konsequenz dessen gewesen. Die überlebenden Amerikaner hatten danach die Schlacht bei Guilford Court House als übermächtigen Sieg gefeiert, worüber André und Jacques nur hatten mit den Köpfen schütteln können. Zwar hatte Cornwallis den Großteil seiner Soldaten verloren und war geflohen, doch die Verluste auf amerikanischer Seite waren höher ausgefallen, auch wenn Greene die Differenz mit neuen Männern wieder hatte ausgleichen können. Danach war Greene eine weitere Truppe zugeteilt worden und der Streifzug durch den Süden des Landes war wieder aufgenommen worden. Über die Sommermonate hinweg hatten sie beinahe jeden Quadratmeter der südlichen Gebiete durchforstet, waren dann aber im September unerwartet auf Gegenwehr gestoßen, weshalb die Truppen auseinander geschlagen worden waren. André hörte wie einer der Männer sich von dem aufgeschlagenen Nachtlager entfernte, um etwas abseits Erleichterung zu finden. Gerade als André seine Augen wieder geschlossen hatte, um etwas Schlaf zu finden, raschelte es nahe neben ihm. „André? Bist du wach?“ Jacques konnte scheinbar genauso wenig ruhig schlafen wie er selbst. André wandte sich ihm nicht zu, sondern murmelte nur bestätigend. „Konnte ich mir denken, dass du noch nicht schläfst... Schon seit unzähligen Nächten scheinst du ohne Schlaf auszukommen...“ flüsterte Jacques und klang dabei doch etwas nachdenklich. André fragte nicht, weshalb er gerade jetzt mit ihm sprechen wollte. Sollte Jacques etwas auf dem Herzen haben, dann würde er dies wohl jeden Augenblick erfahren. Vorerst war wieder Stille zwischen beiden eingekehrt. Er hörte, wie sich Jacques auf seiner Decke streckte und schließlich wieder ruhig liegen blieb. Irgendwie glaubte André, dass sein Kompanion seinen Blick in den sternenklaren Nachthimmel gerichtet hatte und sich über etwas wesentliches Gedanken machte. Der junge Blonde wusste schon jetzt, dass André ihn nicht fragen würde, über was er nachsinnte, daher sprach Jacques ohne weitere Umschweife seine Gedanken aus „In letzter Zeit erinnere ich mich oft an meine verstorbene Frau... An Cathérine...“, und wieder folgte langes Schweigen. Es war das erste Mal, dass Jacques den Namen seiner Frau ausgesprochen hatte, was André veranlasste nun doch zu hinterfragen „Warum?“ „Ich frage mich immer wieder, wie es wohl gewesen wäre, wenn wir Kinder gehabt hätten... Wie hätten sie wohl ausgeschaut? Wären es nur Jungen oder nur Mädchen gewesen? Ich kann solche Gedanken derzeit nicht aus meinem Kopf verbannen. Sie kommen und gehen wie Tag und Nacht und ich kann sie nicht unterdrücken...“ er atmete tief durch und André glaubte ein Seufzen darin ausgemacht zu haben. Es waren viele Jahre seit dem Tod seiner Frau vergangen und noch immer war er nicht über den Schmerz, den er dabei empfunden hatte, hinweggekommen. Jacques hatte sie aus tiefstem Herzen geliebt und tat es noch immer. André musste ihn das nicht fragen, sondern hatte es schon vor langer Zeit in seinen Augen erkannt. Vermutlich würde Jacques nie wieder in seinem Leben einen Menschen finden, den er genauso lieben könnte, wie seine verstorbene Frau. Eine Schicksalsliebe wie man sie nur einmal in der Welt kennen lernen durfte, vorausgesetzt der Weg des Lebens war dafür bestimmt so einem Menschen zu begegnen oder sich nur für immer nach solch einer ewig wirkenden Liebe zu verzehren und niemals in den Genuss dessen zu kommen. André schwieg. Er konnte den Schmerz Jacques’ sehr gut nachvollziehen. Und als ob Jacques von unsichtbarer Hand dazu verleitet worden war, sprach er im nächsten Moment die Worte, die etwas in André hervorrufen sollten. „Ich denke, wenn ich wüsste, dass Cathérine noch irgendwo in dieser Welt leben würde, dann würde ich nichts unversucht lassen um sie wieder zu sehen. Ich glaube, man sollte so eine Liebe, die es nur einmal in dieser Form geben wird, niemals aufgeben...“, er atmete tief durch und fügte schließlich noch an „Leider habe ich nicht das Glück ein Leben mit ihr in dieser Welt führen zu können...“, und mit diesen Worten drehte er sich wieder zur anderen Seite des Lagers und versuchte wieder Schlaf zu finden. Die Bedeutung des eben Gesagten hing André schwer im Magen. Er wusste allzu gut, was Jacques ihm damit hatte klarmachen wollen. Bei ihrer ersten Begegnung hatten sie einander geschworen sich niemals gegenseitig zu beeinflussen und ihre Motive, weshalb sie in den Krieg gezogen waren, nicht zu entrücken. Auch wollten sie einander niemals aufhalten, sollte einer von ihnen freiwillig in den Tod gehen. Aber Jacques hatte dieses stille Abkommen zwischen ihnen soeben gebrochen. Er hatte André damit etwas ganz bestimmtes sagen wollen. Es war so offensichtlich, dass er schon wieder die eigentlichen Worte dafür hätte aufwenden können. Sicherlich schien Jacques Sehnsucht nach seiner Frau zu haben, aber weshalb offenbarte er so etwas in eben diesem Moment? Schon seit einiger Zeit hatte André bemerkt, wie sich sein Kamerad wandelte, wie er seine Einstellung zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg veränderte. Schon seit langem erkannte man an ihm nicht mehr diese Todessehnsucht, die er noch bei Abreise aus Frankreich ausgestrahlt hatte. Was war nur geschehen? Was war es, was seine Ansichten zunehmend beeinflusste? War es dieses Freiheitsgefühl welches man in diesem Land fühlte? War es die Gewissheit alles im Leben erreichen zu können, wenn man nur selbst an sich glaubte? Plötzlich musste André über seine Gedanken lächeln. Jacques hatte es schon jetzt erreicht, dass er sich ebenso solche Fragen stellte wie sein Kamerad. André wusste, wofür die Menschen in diesem Land kämpften. Für ein Leben fernab von Monarchie und Unterdrückung, fernab von der ungleichen Behandlung der Menschen mit dem Ziel der Selbstbestimmung und des freien Willens vor Augen. Edle Ideale wurden hier verfolgt und ab und an kam André seine Handlung einfach nur noch egoistisch vor, allein aufgrund des Todeswillens in den Krieg gezogen zu sein. Er war nicht halb so schlecht dran gewesen, wie manch ein Soldat hier in seinen eigenen Reihen. Feige war er geflohen und wusste bis heute nicht, was geschehen wäre, wenn er ihr nur seine Liebe gestanden hätte. Es war surreal sich solche Art von Vorwürfen hinzugeben, aber auf der anderen Seite auch schon wieder eine Wahrhaftigkeit. Mit verwirrten Gefühlen und einigen weiteren Blicken auf den misstrauisch dreinschauenden General Greene, der noch immer die Landkarten vor sich studierte, gab sich André den Luxus hin und ließ sein Gemüt einige wenige Stunden des kostbaren Schlafes genießen. In den nächsten Tagen hatte die abgeschlagene Einheit um General Nathanael Greene wieder zu den organisierten Truppen der Amerikaner aufgeschlossen. Ihnen war das Glück zuteil geworden nicht von den Rotröcken bei dem Durchstreifen der Wälder entdeckt worden zu sein. Nur minder hätten sie einem unerwarteten Angriff standgehalten und wieder fragte sich André insgeheim, weshalb sie dieses unausgesprochene Glück umfasste. Es war ein Wunder, dass er in all den Jahren nicht mehr erlitten hatte als kleinere Kratzer und Schürfwunden. Jacques und er waren einige der wenigen Soldaten, die sich nie aus dem Kampf zurückgezogen hatten und immer energisch an die Front gestürmt waren. Schon längst hatte André den Glauben an ein Schicksal verloren, doch allmählich fragte er sich tagtäglich, ob es ihm vorherbestimmt war, derart lang dem Krieg zu dienen und dabei so lange glimpflich davon zu kommen. Es war der 28. September des Jahres 1781, an dem eine der stärksten Offensiven des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges gegen die Briten eingeleitet wurde. George Washington und Jean B. de Rochambeau hatten annähernd 15.500 Soldaten um sich vereinigt, darunter Tausende von Franzosen, die noch einige Wochen zuvor eine Seeschlacht um die Chesapeake-Bucht mit den Rotröcken auszutragen hatten, welche letztlich jedoch an die Freiheitskämpfer zurückfiel. Die Gegner hatten sich indessen nach New York zurückgezogen. Und es war jene ausschlaggebende Seeschlacht gewesen, die Washington und seinen Mitstreiter Rochambeau veranlasst hatten in Yorktown einzufallen und Cornwallis damit in arge Bedrängnis zu bringen. Auf einer Straße die nach Yorktown führte, hatte sich eine Miliz aus französischen und amerikanischen Soldaten versammelt, um einen strategischen Militärpunkt der Briten anzugreifen. Als Führer hatte sich ihnen erneut Greene an die Seite gestellt. Der Kampf war von dem Staub, der von der Straße herüberwehte, unübersichtlich geworden und erschwerte den Soldaten damit gekonnt organisierte Angriffe. Wie so oft endete es in einem Mann gegen Mann Duell, in welchem sich André oft fragte, welches Leben er wohl nun zu verantworten hatte. Soeben hatte er einem tollkühnen Burschen, der sicher nicht älter als zwanzig war, den Degen in den Bauch gerammt. Und das alles nur, weil er anstatt einer blauen Uniform eine rote trug. Und plötzlich wurde ihm etwas klar. Regungslos blieb André plötzlich inmitten des Schlachtfeldes stehen und schaute auf den noch zuckenden Körper des Rotrockes vor sich hinab. Was war nur aus ihm geworden? Wahllos hatte er Menschen getötet, um von seinem eigenen Schmerz abzulenken. Wie schwach muss man sein, um solche Taten zu vollbringen? André wusste nicht wofür er kämpfte, wie also konnte er jemals sein Vorgehen vor Gott rechtfertigen? Mit dem Entschluss dem Krieg beizutreten war er bereits gestorben. Doch anstatt die letzte alles vollbringende Handlung vorzunehmen, hatte er andere Menschen getötet, verwundet, ihnen womöglich lebenslangen Schaden zugefügt. Und wofür das alles? „André! Was stehst du dort herum? Verteidige dich!“, hörte er von weit und bemerkte, dass Jacques ihm das zugerufen hatte. Es war vorbei, dachte André. Seine Zeit war da. Niemals könnte er damit leben, ein Mörder zu sein. Langsam drehte er sich um, in die Richtung, von welcher er seine Stimme vernommen hatte. Nur wenige Meter waren sie voneinander entfernt und starrten einander in der drückenden Staubschicht an. Und da erkannte Jacques, wie André ihm leidlich zulächelte und seinen Degen fallen ließ. Jacques war erstarrt und konnte nicht glauben, dass er aufgab. Und er sah, wie André eine einzelne Träne gewährte und diese eine klare Spur auf seinem verschmutzten Gesicht zurückließ. „Ich bin ein Mörder, nichts weiter.“ Und obwohl er es nur zu sich selbst geflüstert hatte und es von dem betäubenden Lärm um sie beide herum gänzlich verschlungen worden war, hatte es Jacques doch mehr als gut verstanden, was sein Kamerad gesagt hatte. Er wusste genau, dass der Zeitpunkt gekommen war, an welchem André keinem Angriff hätte standhalten können. Es war der Moment da, in welchem er sich selbst aufgab und das letzte bisschen Sinn im Leben verloren hatte. Ihm war bewusst, dass sie sich einander geschworen hatten in solch einer Situation niemals den anderen von seinem Entschluss abzuhalten. Aber in den Augen von Jacques, war es falsch... „Du bist kein Mörder! Du hast Ideale mit deinen Kämpfen verfolgt! Du hast dazu beigetragen, dass dieses Land eine neue Geburt feiern wird! Ich glaube jetzt fest daran und das solltest du auch tun!“, schrie Jacques ihm entgegen und ging auf ihn zu. Blind stieg er über regungslose Leiber immer begleitet von dem Geruch des Blutes. André sollte nicht dazu gehören! Niemals! „Es hat keinen Sinn...“, hatte André tonlos entgegnet und noch immer dieses ausdruckslose Lächeln im Gesicht gehabt. „Oh doch! Du hast einen Sinn im Leben, du verschließt nur die Augen davor!“, allmählich wurde Jacques wütend und schrie ihm die Worte aus Leibeskräften entgegen. Und plötzlich hörte André nichts mehr. Alles war still und bewegte sich vor seinen Augen langsam und verschwommen. Und inmitten der Ruhe nahm er das zischende Geräusch einer gezündeten Muskete wahr. Immer näher kam die Kugel, die abgefeuert worden war. Er spürte ihre Schnelligkeit, wie sie die Luft in zwei Formen teilte. Und sie schlug auf und hinterließ den dumpfen Aufprall in menschlichem Fleisch. Und er sah, wie er kraftlos zu Boden glitt und den starren Ausdruck dabei in seinen Augen trug, die zeigten, dass alles zu Ende war und nichts mehr gerettet werden konnte. „Jacques!!!“ Augenblicklich war er wieder zu sich gekommen und rannte zu seinem Freund, der kraftlos am Boden lag und stoßweise atmete. Schnell drückte André seine Hand auf seine Brust, um das heraussickernde Blut zu stoppen. Immer wieder glaubte André zu träumen. Die Kugel hätte ihn treffen sollen und nicht Jacques. Wie konnte das nur passieren? Seine Gedanken überschlugen sich und er konnte nichts weiter tun, als seine Hand noch fester auf den Brustkorb von Jacques zu pressen. Alle Lebensfarbe entwich seinem Gesicht und er schaute André an. Jacques hörte, wie André ihm immer wieder zurief, dass er wach bleiben sollte und wie er sich gleichzeitig Vorwürfe machte, dass die Kugel lieber ihn hätte treffen sollen. Doch Jacques spürte keinen Schmerz mehr, da seine Glieder taub wurden und er von heftigem Schütteln erfasst wurde. Mit alles aufbringender Kraft flüsterte er André entgegen „Du Narr... Kehre endlich zu ihr zurück... Nur deshalb lebst du noch...“ Und es war eben dieser Moment in welchem André seine Worte hörte und sie verinnerlichte. Er starrte Jacques an und betete zu Gott, dass er ihn nicht zu sich nehmen würde. Aber André sah, wie die Lider seines Freundes schwer wurden und sein Kopf sich zur Seite neigte. Und dann lag er reglos in seinen Armen... Unendliche Verzweiflung und Schuldgefühle stiegen in André auf. Ein Schmerzensschrei aus tiefster Seele entfuhr seiner Kehle und er wünschte sich mehr als alles andere, dass er alles ungeschehen machen könnte. Er wusste nicht, wie lange er bei dem toten Körper Jacques’ verweilt hatte. Auch spürte er nicht, wie ihn seine Beine träge über das noch immer überfüllte Schlachtfeld getragen hatten. Noch weniger bemerkte er, wie sein Verstand gegen seinen Willen einen Feind vor sich ausgemacht hatte, der seine Waffe gegen den kämpfenden General Greene richtete. Er fühlte nichts mehr. Er spürte nur, er hatte etwas gut zu machen. Bevor die Waffe des Rotrockes gezündet worden war, hatte er den sichtlich geschockten Greene zur Seite gestoßen. Er fühlte nur noch etwas heißes und hartes in seinem Rücken, dass nach vorn zu seiner Brust durchdrang und sie zu zerreißen schien. Wieder entfernte sich der Lärm um ihn herum. Doch dieses Mal fühlte es sich anders an. Denn dieses Mal umhüllte ihn eine Schwärze, die nicht mehr aufzuhalten war. Und in eben diesem Moment, weit entfernt vom Schlachtfeld und des Krieges, zerschellte ein Weinglas am Boden und erlaubte es der tiefroten Flüssigkeit sich über den Marmorboden zu verteilen. Erschrocken über dieses Missgeschick wollte Oscar die Scherben aufheben. Doch dabei schnitt sie sich in den Finger und beobachtete mit erstarrter Miene, wie sich ihr Blut mit dem edlen Wein vermischte... Kapitel 8: Schatten ------------------- Lautes Lachen. Klares und lautes Lachen konnte er vernehmen. So hell wie das Läuten der Glocken von Notre Dame. Das Licht der Sonne blendete ihn, als er zu dem tiefblauen Himmel aufblickte. Doch schnell schaute er wieder über die weiten saftiggrünen Wiesen und fragte sich wieder, aus welcher Richtung er die euphorische Stimme vernommen hatte. „André! Du bist so blind wie unsere Hauskatze, nur dass die schon doppelt so alt ist wie du!“ Und wieder folgte das vertraute Kichern und als er sich umdrehte, stand sie vor ihm. Das Gesicht makellos aus ihrer Kindheit, die blauen Augen unübersehbar, die groß und rund unter einigen Strähnen ihres blonden Haares hervorblitzten. Ihre Wangen waren rosa und ihre Lippen formten ein hinterhältiges Grinsen, als ob sie schon wieder einen nächsten Plan aushecken wollte. Und als er an sich hinabschaute, war der Boden nicht weit von seiner Augen entfernt und seine Hände, die er vor sein Gesicht gestreckt hatte, waren feingliedrig und klein. Sie hatten noch nicht die jahrelange Stallarbeit erfahren oder das endlose Kampftraining des Fechtens. Und er wusste, er war wieder Kind. Und auch Oscar, die lebensfroh und übermütig die ganze Zeit auf ihn einredete. Wie schön war es doch, diese Zeit noch einmal zu erleben. Damals quälten ihn keine Sehnsüchte nach ihr und sie selbst war die Oscar, die sie eigentlich ein Leben lang hätte bleiben sollen. In dieser Zeit noch hatte er sie als Mädchen bezeichnen dürfen, doch mit den Jahren kamen die körperlichen Unterschiede und je weiblicher ihr Aussehen wurde und je weniger sie dem entgegenhalten konnte, desto weniger hatte sie das Wort ‚Frau’ hören wollen. Er sah, wie sie sich von ihm fort drehte und den Hügel hinab lief, dabei immer seinen Namen rufend und kurz wartend, auf dass er ihr folgen würde. Doch der Wandel ließ ihn nicht zu Atem kommen. Stattdessen blinzelte er, da sich die Welt vor ihm verzerrte und als er die Augen wieder öffnete, fand er sich in ihrem Gemach wieder, um zehn Jahre gealtert. Sie las ihm aus einem Buch vor. Wie oft hatten sie das getan, bevor sie den Dienst bei der Königlichen Garde angetreten hatte? Unzählige Male. Das Kaminfeuer loderte in seinem Rücken und warf unruhige Schatten auf ihr Gesicht. Doch es störte sie nicht. Zu vertieft war sie in dem Buch und bemerkte überhaupt nicht, wie sie von ihm beobachtet wurde. Schon lange hatte er den Zusammenhang des Vorgelesenen vergessen und als er sich an diese Stunden zurückerinnerte, wurde ihm bewusst, dass er sie schon zu diesem Zeitpunkt geliebt hatte und dass ihm solche Momente das kostbarste waren, was er je erfahren hatte. Plötzlich bemerkte er, wie sie zu lachen begann und er fühlte sich ertappt, da sie ihn fragte, weshalb er sie derart anstarrte. Schelmisch warf sie ihm vor, dass er gerade wie seine Großmutter ausgesehen hatte, die sich an irgendetwas verzweifelt versuchte zu entsinnen. Peinlich berührt über diesen Vergleich, sprang er von seinem Stuhl auf und lehnte sich über den Tisch zu ihr hinüber, um ihr das Buch zu entreißen, dabei laut sagend, dass er endlich wieder mit Vorlesen dran war. Aber unvorbereitet und dabei von ihrem übermäßigen Ehrgeiz geleitet, streckte sie ihre Hand, welche das Buch hielt hinter ihren Kopf, damit er es nicht zu fassen bekam. Dies hatte sie ihm erfolgreich verwehren können, doch stattdessen berührte seine vorgeschnellte Hand ihren Körper und obwohl sie unter vielen Mengen von Stoff gekleidet war, hatte er für einen kurzen Moment die Weichheit von ihren Rundungen verspürt, die nunmehr nicht mehr versteckt werden konnten. Erschrocken hatte er seine Hand schnellstmöglich wieder zurückgezogen und konnte auch bei Oscar erkennen, dass diese Sache für sie unangenehmer gewesen war, als für ihn. Ab diesem Moment hatte sich alles für sie geändert. Obwohl sie genau wusste, welche Art von Körper sie hatte, unternahm sie alles Menschenmögliche um davon abzulenken. Mit einem traurigen Lächeln hatte er in den darauffolgenden Monaten festgestellt, wie sie eine unsichtbare Distanz zu ihm wahrte. Oftmals blieb sie einen Schritt mehr entfernt von ihm stehen, als früher. Ihr selbst war es vielleicht nicht bewusst, aber ihm war es nicht entgangen. Er wusste, dass sie ihn nicht fortstoßen wollte oder seine Freundschaft zu ihr anders betrachtete. Nein, vielmehr wollte sie sich sicher sein, dass sie nicht daran erinnert wurde, dass sie eine Frau war. Und wieder drehte sich alles vor ihm und sie stand vor ihm in der Gestalt, wie er sie verlassen hatte. Doch dieses Mal war es anders, denn nun war sie diejenige, die ihm entgegenstarrte und kein Ton herausbrachte. Er konnte ihren Ausdruck nicht deuten. Bewegungslos und ohne jegliche Mimik war sie nur unweit von ihm entfernt. Er wurde sich zunehmend unsicherer, da er noch immer nicht genau wusste, ob er nun schon tot war oder nicht. Zu gut hatten sich die letzten Ereignisse in seinen Kopf eingebrannt und er glaubte, noch immer den leblosen Körper Jacques’ in seinen Armen zu spüren. Er war vermutlich der beste Freund gewesen, den er je in seinem Leben hatte. Und er bereute es zutiefst, dass sie sich einander die Mauern gebaut hatten, um so wenig von sich preiszugeben wie möglich. Auch wenn sie nicht viel voneinander erfahren hatten, da sie sich über viele Monate hinweg in ihrem eigenen Leid zurückgezogen hatten, so war er überzeugt, dass er nie zuvor einem Menschen nach Oscar so nahe gestanden hatte. Es wäre nur recht und billig gewesen, dass der Tod auch ihn eingeholt hätte, denn nichts anderes hatte er verdient. Waren diese Momente, die er gerade durchlebte, die die seine letzten Atemzüge begleiteten, und ihn sanft in das Schattenreich zogen? Und da hörte er plötzlich, wie die Oscar seiner Gedanken zu sprechen begann und fragte „Wirst du zurückkehren?“ Er zögerte, da er die Antwort darauf nicht kannte. Noch immer konnte er nicht deuten, was um ihn herum geschah. Aber es war unheimlich wie real Oscar ihm erschien. Und augenblicklich ergriff ihn wieder ein tiefer seelischer Schmerz, der nur hervorgerufen wurde, aufgrund ihres Anblicks. Und ihm war klar, dass die Vergangenheit mit ihr nicht nur schöne Erinnerungen bei sich trug, sondern auch viel Leid und Qual, was überhaupt der Grund war, weshalb er Frankreich verlassen hatte. Würde er wohl ewig solche Feigheit bei sich haben? Sie hatte sein Zögern erkannt und fügte leise hinzu „Es gibt Menschen in Frankreich, die dich sehr vermissen...“ „Auch du?“, fragte er unerwartet und musste sich dabei selbst daran erinnern, dass es nicht die wirkliche Oscar war, die zu ihm sprach. Es erfolgte keine Antwort, stattdessen blickte sie ihm gedankenverloren entgegen. Und plötzlich schien es, als würde er aus dem luftleeren Raum heraus gestoßen werden, dem er sich nicht widersetzen konnte. Oscar selbst beobachtete alles und verschwand allmählich aus seinem Blickfeld. Alles drehte sich. Die Umgebung löste sich auf. Und als plötzlich ein helles Licht aufblitzte, schien es, als würden seine Augen verbrennen. Doch schon bald bemerkte er, dass der Schmerz nicht sein Gesicht vereinnahmte, sondern sich über seine gesamte Brust gelegt hatte. Ein Schatten war über ihm und hörte undeutliche Worte. Mit aller Mühe zwang er seine Augen dazu, die Gestalt über sich näher zu betrachten. Weiche Züge des Gesichtes einer Frau machte er aus. „Monsieur? Monsieur?“ Sprach sie etwa mit ihm? „Monsieur, kommt zu Euch...“ Und wieder diese nette Stimme, die sanft und sorgenvoll klang. Mit leichter Hand schien sie ihn aus der Dunkelheit zu holen, die ihn umgab. Mit letzter Kraft trat er aus dem Schatten, die seine Gedanken umfingen heraus und im gleichen Atemzug erkannte die junge Frau, wie André seine Augen öffnete. Sichtlich erleichtert, atmete sie aus und begann zu lächeln „Monsieur, Ihr seid endlich zu Euch gekommen...“ Schwach versuchte André seine Umwelt einzufangen. Er konnte nicht sagen, wo er sich befand, nur dass über ihm scheinbar eine junge blonde Frau gebeugt stand. Gerade wollte er fragen, wo er war, doch die Trockenheit in seinem Rachen ließ ihn stumm bleiben und ließ nur ein schmerzvolles Röcheln aus seiner Kehle zu. Daraufhin war die Fremde kurz aus seinem Blickfeld verschwunden, nur um wenig später mit einem Becher in der Hand an sein Feldbett zurückzukehren und ihm ein wenig Wasser einzuflößen. Sie schien geahnt zu haben, was seine ersten Worte werden würden, sodass sie schon jetzt darauf antworten konnte „Ihr befindet Euch im Lazarett in der Nähe von Yorktown, Monsieur. Ihr habt den Kampf bei dieser Stadt überlebt, obwohl wir viele Tage um Euch gebangt hatten. Es war nicht sicher, ob Euer Körper die Schusswunde verkraften würde, aber wie ich sehe, scheint Ihr Euch endlich auf dem Weg der Besserung zu befinden“, sie setzte den Becher wieder ab und erkannte, wie der Patient vor ihr leicht blinzelte. Scheinbar hatte er sie verstanden, sodass sie weiter sprach „Ihr seid viele Tage bewusstlos gewesen und Ihr habt sehr viel Blut verloren. Die Kugel traf Euch in der Nähe Eures Herzens, ich rate Euch deshalb zutiefst, Euch nicht zu viel zu bewegen. Ihr werdet vermutlich noch einige Wochen bis zur Genesung benötigen. Bis dahin, ruht und versucht viel zu schlafen. Für Essen und Wasser ist ausreichend gesorgt.“ Und noch bevor André etwas erwidern konnte, zumindest ein leichtes Danke mit seinen Lippen formen konnte, war die junge Fremde vor ihm bereits verschwunden. Als er seinen Kopf leicht neigte, erkannte er, dass ein Dutzend andere Feldbetten neben ihm aufgestellt worden waren. Allesamt waren belegt. Allmählich kehrten all die Empfindungen seiner Sinnesorgane in ihm zurück. Und plötzlich traf es ihn wie ein Schlag. Er verspürte ungeheure Schmerzen in seiner Brust und fühlte unter seiner Uniform, die man ihm notdürftig scheinbar wieder über den Körper gezogen hatte, straffe Bandagen, die seine Wunde von weiteren Blutungen abhalten sollten. Er roch das Blut darunter, aber es lag viel näher, dass das gesamte Lazarett von diesem tödlichen Geruch erfüllt war. Es war laut. Seine Ohren schmerzten, als er die Männer um sich herum schreien hörte, die qualvolle Wunden am Körper hatten und eben von Ärzten oder Schwestern behandelt wurden. Sofort wollte er am liebsten wieder in die Schattenwelt zurückkehren und weiter die Träume seiner Kindheit durchleben, als hier noch länger zu verweilen. Oscar zuckte zusammen. Als sie erwachte, erkannte sie, dass sie in ihrem Arbeitszimmer zu Haus war und auf der Chaiselonge wohl eingenickt sein musste. Sichtlich übermüdet, musste sie mehrfach blinzeln, um wieder einen klaren Blick vor sich zu haben. Als ihre Augen zum Fenster hinüber glitten und dabei den roten Sonnenuntergang über die weiten Wiesen sahen, kam ihr ihr Traum wieder in den Sinn. Es war eine schöne Erinnerung gewesen, die der Schlaf wieder in ihr hervorgerufen hatte. Sie hatte sich gemeinsam mit André spielen gesehen, als sie noch Kinder gewesen waren. Auch andere Dinge hatten sie in diesem Traum heimgesucht. Sie hatte sich an die gemeinsamen Abende mit André erinnert, als sie sich einander noch vorgelesen hatten. Heldengeschichten, Sagen und Mythen hatten viele Nächte in ihrem Leben bestimmt. Und oft waren sie in wildesten Streitgesprächen oder Diskussionen über die Bücher verfallen. Wie hatte sie diese Zeit genossen. Sie war unbeschwert und unbekümmert gewesen. Und plötzlich wurde ihr bewusst, wie der Traum geendet hatte. Sie waren einander in der heutigen Zeit begegnet und sie hatte von ihm erfahren wollen, ob er jemals nach Frankreich zurückkehren würde. Er hatte ihr keine Antwort gegeben. So schnell wie der Gedanke an diesen Traum in ihr entstanden war, so schnell zwang sie sich dazu diesen wieder zu vergessen. Vor vielen Wochen, als sie der Wind von Versailles fortgetragen und sie sich an dem schmalen Fluss in der Nähe des Maisons wiedergefunden hatte, war ihr bewusst geworden, dass sie eine Entscheidung hatte fällen müssen. Die goldenen Locken abgetrennt, hatte sie beschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen. So schwer ihr es auch gefallen war, André loszulassen, so schwer hatte auch der Schmerz auf ihrem Herzen gewogen für immer von ungewisser Hoffnung zerfressen zu werden. Seitdem hatte sie versucht ihn aus seinen Gedanken zu verbannen. Sich in ihre Arbeit stürzend, hatte sie auf alle Annäherungen, ob familiär oder freundschaftlich, kühl reagiert und diese abgewiesen. Ihr neues Ziel bestand darin, ihrer Familientradition Ehre zu erweisen. Die Trauer um einen engen Freund fand darin keinen Platz mehr. Tage um Tage vergingen und André lag weiterhin müde auf seinem Feldbett. Inzwischen nahm er schon nicht mehr die schreienden Soldaten um sich herum wahr. Stattdessen starrte er vor sich her und zeigte schon beinahe apathisch keinerlei Regung mehr. Immer wieder tauchten Bilder vor ihm auf, die ihm den schmerzlichen Tod Jacques’ vor Augen hielten. Oft fragte er sich, ob es seine Schuld war, dass alles derart geschehen war. Hätte er es verhindern können, wenn er sich anders verhalten hätte? Sicher hatten sie einander Versprechen abgegeben, aber erst jetzt nach seinem Tod erkannte André, wie unsinnig diese Worte gewesen waren. Wenn er nicht solch enge Beziehung zu Jacques aufgebaut hätte, wäre dieser vermutlich noch am Leben. Nie hatte er versucht Jacques vom Kriegsgeschehen abzuhalten. Einfach wieder nach Frankreich zurückzukehren und ein neues Leben zu beginnen. Er hatte ihm dies nicht vorschlagen können, da er selbst zum damaligen Zeitraum von Selbstmitleid und Verzweiflung zerfressen war. Jetzt, nachdem Jacques tot war, intensivierten sich diese Gefühle bei André ins Unermessliche. Er hatte seinen besten Freund dem Untergang geweiht. Jacques hingegen hatte im Ende seine Schwäche überwunden und André zur Hoffnung angetrieben. Er hatte es geschafft und hatte mit dem Tod dafür bezahlen müssen. Er war um so vieles stärker gewesen als André. Vollkommene Leere breitete sich in André aus. Er hatte nichts erreicht. Nicht einmal der scheinbar sichere Tod hatte ihn erfasst und mit sich in die Unterwelt gezogen. Buße tun. Nicht einmal das war André vergönnt. Er hatte noch weniger als vorher, als er Amerika erreicht hatte. Er glaubte, seine Seele hätte sich bereits von ihm getrennt. Nutzlos. Eine leere Hülle. Keine Empfindung, kein Gefühl. Nichts. Er merkte, wie sich jemand an sein Bett gesetzt hatte. Ruhig und aufrecht hatte er sich in den herangezogenen Stuhl gelehnt und beobachtete André zunächst wortlos. Eine neue und unversehrte Generalsuniform zierte seinen Leib. Unter dem rechten Arm war sein Dreispitz gedrückt, geschmückt von weißen kleinen Federn, die jeden entgegenkommenden Windhauch widerspiegelten durch seichte Bewegungen. Der Besucher lehnte sich mit leichtem Lächeln nach vorn um eine Begrüßung anzudeuten „Bonjour Monsieur Grandier, man ließ mich wissen, dass Ihr wieder zu Bewusstsein gekommen seid. Es freut mich, dass Ihr endlich Euren Weg zu uns zurückgefunden habt. Es schien eine zeitlang, dass wir Euch an Unseren Herrn hätte gehen lassen müssen. Aber es ist bewundernswert. Scheinbar habt ihr die Rufe nach dem Tod überlistet, trotz der Wunde, die Euch ziert.“ Generalmajor Nathanael Greene musterte seinen Untergebenen eingehend und war über seine schweigsame Haltung überrascht. André blickte ihm ausdruckslos entgegen und es schien nicht, als ob er im nächsten Moment mit ihm sprechen wollte. Daher entschied Greene seine einseitige Unterredung fortzuführen „Nun, ich weiß nicht, inwiefern Ihr über die neuerlichen Vorkommnisse bei Yorktown unterrichtet seid, darum werde ich Euch kurz einige Einzelheiten mitteilen...“, wieder reagierte André nicht. Weder ein zustimmendes Nicken, noch ein ablehnendes Kopfschütteln brachte er hervor und Greene musste ich doch zunehmend die Frage stellen, ob sein Soldat ihn überhaupt erkannt hatte. „Wir schreiben heute den 19. Oktober, wie Euch vielleicht bekannt ist, und ich habe die freudige Mitteilung zu machen, dass Eure und alle Bemühungen der anderen Soldaten nicht umsonst gewesen sind. Vor zwei Tagen kapitulierte Cornwallis mit seinen Männern und bat um Waffenstillstand. Seine strategischen Stützpunkte hatten unserer Übermacht nicht mehr standgehalten und die Verluste auf gegnerischen Seite waren einfach zu hoch. Das hatten schließlich auch die Briten bemerkt. Ich würde sagen, dass wir damit unsere Macht bewiesen und um ein weiteres gestärkt haben...“, nun plötzlich wurde Greene unterbrochen, da André unerwartet mit belegter Stimme fragte „Weshalb genau seid Ihr wirklich gekommen, General?“ Im ersten Moment war Greene etwas verwirrt über die Beiläufig- und Interesselosigkeit der Frage des französischen Soldaten vor ihm, doch dann machte er sich bewusst, dass er diesem Mann vor sich eine Menge zu verdanken hatte „Nun, Soldat Grandier, der Grund für meinen Besuch ist derjenige, dass ich mich dankbar und erkenntlich Euch gegenüber zeigen möchte, für den Heldenmut, den Ihr vor Yorktown bewiesen hattet“, als er ihm dies zugetragen hatte, glaubte André nur noch mehr, dass der General in Rätseln sprach und auch Andrés Gesicht formte sich nur zu einer fraglichen Miene. Auch Greene erkannte dies „Oh, Ihr wisst es nicht mehr? Die Kugel, die Euch getroffen hatte, war für mich bestimmt gewesen, doch indem Ihr mich rechtzeitig zur Seite stießt, wurde ich verschont. Ihr hattet Euer Leben riskiert um das eines anderen zu retten. Solch Loyalität muss geehrt werden, weshalb ich Euch dies vermachen werde“, und wie aus dem Nichts zog er einen silbernen Orden hervor, den André als Ehrung der Tapferkeit ausmachte. Er hatte diese Art von Orden schon ein paar mal bei Offizieren oder anderen höher gestellten Personen gesehen. Er war ihm nicht unbekannt. Aber das spielte keine Rolle. Greene hatte jedoch noch mehr auszuführen „Zusätzlich erhaltet Ihr ein ergänzendes Honorar für Eure Leistungen. Ihr habt es Euch mehr als verdient. Ich bin der Meinung, dass Ihr Euren Dienst erfüllt habt, zumal Ihr freiwillig in den Krieg eingetreten seid. Kehrt in Euer Heimatland zurück und führt ein gutes Leben, Ihr werdet sicher von jemanden dort erwartet...“ Die Worte des Generals ließen André augenblicklich erstarren. Woher sollte dieser für ihn fremde Mann wissen, was gut für ihn war? Was sollte er mit einem Tapferkeitsorden, wenn er sich doch selbst verloren hatte? Geld, Prestige, Ansehen. Wozu das alles? Ein Mensch, der ihm viel bedeutet hatte, war gestorben. Welche Ehre würde ihm zuteil werden? Nur schwerlich konnte André seine von Zorn behafteten Worte zurückhalten „Es gibt nichts, für dass es für mich zu leben lohnt, General...“ Dies ließ Greene kurzzeitig verstummen. Der Ausdruck seines Gegenübers war der eines gebrochenen Mannes. Eines Mannes, der keine Hoffnung im Leben sah. Aber ein was fügte sich nicht in sein Verhalten ein und dies erkannte Greene sofort „Dann sagt mir, weshalb Ihr noch am Leben seid? Weshalb habt Ihr diesen Krieg überlebt? Gott scheint einen Grund vorzusehen, Euch nicht zu sich geholt zu haben, glaubt Ihr nicht?“ André wandte sich ab und verstummte. Erinnerungen durchfuhren ihn. Er hörte seine Stimme ‚ Du Narr... Kehre endlich zu ihr zurück... Nur deshalb lebst du noch...’ Es waren seine letzten Worte für ihn gewesen. Welch hohe Bedeutung sie doch plötzlich hatten. Ohne dass es André wahrnahm, legte Generalmajor Greene den Tapferkeitsorden auf das Bettlaken, zusammen mit einem Säckchen, welches schellte, als er es hinüberreichte. Es sollte sich später herausstellen, dass eine hohe Anzahl Goldstücke darin verborgen waren. Greene hatte entschieden, dass André Grandier selbst herausfinden musste, ob er dieses Geschenk annahm oder nicht. Der General hoffte inständig, dass der Soldat vor ihm, mit dem er viele Schlachten geschlagen hatte, die sie gemeinsam überlebt hatten, seinen Weg finden würde und sich nicht von seinen Selbstzweifeln vereinnahmen lassen würde. Mit einer anerkennenden Verbeugung vor dem Bett Andrés war Greene schließlich verschwunden, den französischen Soldat mit seinen einsamen Gedanken zurücklassend. André dachte lange unbekannte Zeit nach. Scheinbar gab es einen Grund. Und vermutlich würde es sein letzter Weg sein, herauszufinden, ob dieser Grund es wert gewesen war all die Qualen zu überleben. Kapitel 9: Spiegelbilder ------------------------ Ein fürchterlicher Tag lag hinter ihr. Von dem obersten Befehlshaber der Königlichen Truppen hatte sie der Befehl ereilt einen möglichen Rebell, der einen Anschlag auf die Königsfamilie vorgesehen hatte, zu finden und festzunehmen. Sollte er Gegenwehr ausüben, hatte der Befehl gelautet, gegebenenfalls drastische Mittel einzusetzen um ihn von seinem Handeln abzuhalten. Mit anderen Worten: Würde sich der Gesuchte wehren, hätte Oscar die Erlaubnis besessen ihn niederzuschießen. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits geahnt, dass der Auftrag gefährlicher werden würde, als ihre Soldaten geglaubt hatten. Ein halbes Dutzend ihrer Untergegebenen hatte sie abkommandiert, um mit ihnen zusammen den Rebellen in Paris ausfindig zu machen. Redselige Zungen hatten verraten, wo sich der Gesuchte aufhielt. Ihre Männer zur Wache rufend, hatte sie auf eigene Faust das verlassene Haus am Rande von Paris betreten, war wie eine Katze um verstaubte Tische und umgekippte Stühle geschlichen, um schließlich von einem Schatten überrascht zu werden, der unerwartet hinter einer eingefallenen Treppe des Hauses hervorgeschnellt war und sie von hinten um den Hals gepackt hatte. Ihren Mund mit der Hand verschließend, war es ihr ein unmögliches gewesen nach Hilfe zu schreien. Im ersten Moment war sie von der Kraft des Mannes vollkommen überwältigt und glaubte nicht mehr atmen zu können. Erst einen Augenblick später war ihr bewusst geworden, dass genau dies der Fremde beabsichtigte, da er seine Hand auch fest über ihre Nase gelegt hatte. Es schien, als wollte er sie langsam und qualvoll ersticken lassen und dieser Gedanke ließ das Blut in ihren Adern gefrieren. Auf der anderen Seite wiederum wäre es doch ein leichtes gewesen ihr Genick zu brechen, anstatt ihr die Luft zum Atmen zu nehmen. Es hatte sie verwirrt, dass der Rebell derart handelte, doch daraufhin wurde ihr Kampfgeist wieder geweckt. Mit aller Kraft hatte sie gegen sein Schienbein getreten und hatte nicht angenommen, dass es nützen würde. Aber das Schicksal hatte es anders mit ihr gemeint. Der Angreifer ließ plötzlich ein wenig von ihr ab. So viel, dass sie ihren Arm aus seinem Griff reißen konnte und ihre Pistole ziehen konnte, welche nur einen Atemzug später auf den Kopf des Feindes aufschlug. Der Pistolengriff war sofort mit Blut befleckt gewesen und Oscar hatte sich aus der Umklammerung des Angreifers befreien können. Doch nur kurze Zeit hatte sie sich siegessicher fühlen dürfen, da sie erneut von ihm angefallen wurde und beide zu Boden fielen. Mit aller Macht versuchte sie seinen Fausthieben zu entgehen, aber einige davon trafen sie trotz allem hart im Gesicht. Ihre Wangen schmerzten und sie spürte wie er ein paar ihrer kurzen Kopfhaare ausriss. Sein Widerstand machte sie rasend, noch dazu fühlte sie, dass es hier um ihr Leben ging. Ihn in den Unterleib tretend, so fest wie es ihr möglich war, war er erneut kurze Zeit von ihr abgelenkt, was ihr die Chance eröffnete, nach ihrer Pistole zu greifen, die einige Meter von ihr entfernt auf dem Boden lag, bedingt durch den vorherigen Angriff des Fremden. Gerade als er sich wieder auf sie stürzen wollte, hielt sie ihre Waffe genau vor sein Gesicht, was ihn augenblicklich stoppte. Schwer atmend vor Schmerz und Schock sagte sie ihm mit aufgerissenen Augen, dass sie ihn sofort töten würde, sollte er auch nur mit der Wimper zucken. Es hatte Wirkung gezeigt, denn der Angreifer gab auf und ließ sich von ihren Soldaten kurz darauf festnehmen. Sie sah die sorgenvolle Blicke der Männer auf sich ruhen, als sie aus dem dunklen Haus herausgetreten war. Scheinbar hatte sie der Rebell schlimm zugerichtet im Gesicht. Dennoch teilte sie in strengem Ton den Soldaten weitere Befehle mit, die da lauteten, dass der Verräter sofort in das Gefängnis gebracht werden sollte. Er sollte dort so lange eingesperrt werden, bis seine Unschuld bewiesen war. Danach hatte sie sich von den Soldaten der Garde Royale getrennt und sich auf den Weg zum Maison Jarjayes begeben. Es war nicht mehr notwendig nach Versailles zurückzukehren, schon gar nicht mit den Blessuren in ihrem Gesicht. Damit war sie vor unnötigen Fragen und unnützen Bemerkungen der Hofgesellschaft bewahrt. Denn auch ihre Uniform hatte Schaden davon getragen. Schmutzflecke und Risse zierten ihre Kleidung. In keinem Fall konnte sie so bei Hofe auftreten. Gerüchte würden entstehen, die sich innerhalb von einer Woche zu Mythen entwickeln würden und Oscar wäre nur darum bemüht gewesen diese Geschichten dann wieder in die Wahrheit umzuwandeln. Nein, dann lieber diesem Szenarium entgehen und sich von Sophie ihre Wunden zu Haus versorgen lassen. Die Heimreise empfand Oscar als sehr kurzlebig. Sie war sichtlich überrascht, als sie das Maison bereits in Reichweite entdecken konnte. Doch vermutlich hatte es daran gelegen, dass sie den gesamten Weg sich über sich selbst geärgert hatte. Immer wieder musste sie an den Kampf mit dem Fremden zurückdenken und erneut redete sie sich ein, dass ihre Gegenwehr viel zu lange benötigt hatte als Kommandant der Garde Royale. Dass sie dem Tod um Haaresbreite entgangen war, wollte sie nicht wahrhaben. Vielmehr dachte sie im Stillen bei sich selbst, dass sie noch mehr und noch härter zukünftig trainieren müsste, um sich der Garde Royale als Führungsperson zu beweisen. In Wahrheit waren all diese Wahrnehmungen ihrer Seite nur wieder klägliche Versuche ihren tiefsten Gedanken zu entrinnen. Seit Wochen glaubten die Menschen in ihrer unmittelbaren Nähe eine gefühlskalte Oscar vor sich zu haben. Sie hatte sich sehr verändert. Ihre Mutter hatte es mit traurigen Blicken ihr gegenüber festgestellt. Ihr Vater hingegen, konnte nicht stolzer auf seine Tochter sein, die mit ihren derzeitigen Leistungen als Kommandant der Familie alle Ehre erwies und wenn man geschwätzigen Mäulern bei Hofe Glauben schenken durfte, kurz vor der Beförderung zum General stand. Selten hatte Reynier de Jarjayes in letzter Zeit seine Tochter kritisiert. Einen zufriedenen General in ihm zu sehen, war höchst seltener Natur. Doch in eben diesen Tagen konnte man diesen Gemütszustand bei ihm erkennen. Oscar war mittlerweile bei den Stallungen eingetroffen und versorgte ihr Pferd. Als sie damit fertig war, trat sie hinaus ins Freie und konnte dabei einen letzten Blick auf die untergehende Sonne erhaschen. Als sie den Weg zum Eingang des Maisons beschritt, blickte sie an sich hinab und erkannte wieder einmal mit Bedauern, dass einzelne Goldtressen an ihrer Uniformjacke zerfetzt oder abgerissen waren. Ganz zu schweigen von ihrer hellen Hosen, die nun mehr einem Grau glich. Sobald sie ihr Gemach erreichen würde, beschloss sie schon jetzt, den Blick in den Spiegel tunlichst zu vermeiden. Sie wollte den Wunden in ihrem Gesicht erst keinen Anlass geben, ihr entgegen zu blitzen und sich an ihrem womöglich geschockten Ausdruck in den Augen zu erfreuen. Alle diese Gedanken zusammenfassend blieb ihr nichts weiter übrig als laut „Merde“ zu sagen und weitere kleine Flüche auszustoßen. Wie zog es doch im ersten Moment an ihr vorüber, als sie die Stufen zum Eingang des Hauses betrat, dass die gläsernen Flügeltüren weit geöffnet waren und auf dem Absatz ihr Vater verweilte zusammen mit einem anderen Mann. Schließlich die Stimme ihres Vaters hörend, blickte sie langsam auf und erkannte feinste seidene Kniestrümpfe, die zu einer dunklen Hose aufschlossen, halb bedeckt von einem braunen Gehrock aus teurem Stoff. Es musste ein Adliger ihrem Vater einen Besuch abgestattet haben. Doch als sie den überaus freundlichen Blick ihres Vaters bemerkte, den er seinem Gegenüber zukommen ließ, spürte Oscar plötzlich, dass etwas anders war. Und als sie die langen dunklen Locken des Fremden musterte, seine Körperhaltung und wie sich scheinbar die Welt für kurze Zeit von selbst aufhörte zu drehen, da wusste sie, der Fremde vor ihr, war kein Fremder. Erstarrt blieb sie stehen und sah, wie er sich zu ihr herumdrehte und ebenfalls verharrte. André war zurückgekehrt. Und Oscar fühlte, wie sich ihre seit Monaten erschaffene Welt aus den Angeln hob und sie allein und einsam zurückließ, wieder einmal. Was war nur mit ihr geschehen, dass sie nichts weiter empfand als Leid, Enttäuschung und Wut bei seinem Anblick? Ihr entging keinesfalls sein tiefgehender Blick, seine Augen, die sich nach all den Jahren verändert hatten. Oscar wurde als erstes bewusst, dass sein Ausdruck noch ruhiger als früher wirkte. Scheinbar wartete er mit seiner Reaktion ab, bis Oscar sich mit sich selbst im Klaren war, wie sie sich ihm gegenüber verhalten würde. Doch Oscar schlug den Vorhang der Sturheit keineswegs zur Seite. Schon längst wurde der General nicht mehr wahrgenommen. Stattdessen wurden nur eiserne Blicke ausgetauscht zwischen André und Oscar. Kein Wort der Begrüßung. Kein Wort der Wiedersehensfreude. Kaltes Schweigen erfüllte die Luft. Eine gravierende Veränderung zwischen ihnen trat ein, die wohl niemals zu erwarten war. Auf sich selbst besinnend, versuchte Oscar ihre plötzlichen verwirrten Gefühle zu ordnen. Auf einmal schien alles auf sie einzubrechen und sie glaubte den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wie konnte er nur vor ihr stehen nach so langer Zeit? Unerwartet? Und dabei nichts sagend? Sie konnte nicht sagen, was sie augenblicklich wütender machte, seine lange Abwesenheit oder aber das plötzliche Auftauchen von ihm. Und als nächstes, zum Überraschen von André und dem General, ging Oscar schnellen Schrittes an ihnen vorüber, ohne auch nur ein Wort hervorgebracht zu haben. In den Nebenraum flüchtend lief sie weiter, immer weiter und hatte dabei nicht bemerkt, wie er ihr gefolgt war und sie schließlich am Arm packte und sie damit zum Anhalten zwang. Dies hatte er geschafft, dennoch war ihre Sturheit damit nicht gebrochen. Zwar wandte sie sich ihm zu, riss aber dabei so energisch ihren Arm aus seinem Griff, dass sie ihm fast die Hand verdrehte „Lass mich los!“, schrie sie ihm wütend entgegen, was André sichtlich schockte. Schwer atmend und in Angriffshaltung stand sie nun vor ihm und starrte ihn aus wütenden Augen entgegen. Eine Reaktion, die André bei weitem niemals erwartet hätte. „Bitte Oscar, hör mich an...“, seine Stimme klang vorsichtig und im ersten Moment glaubte Oscar auch eine gewisse Traurigkeit darin gehört zu haben. Aber es linderte nicht ihre Wut, die sie momentan verspürte. „Nur einen Grund“, presste sie zornig zwischen ihren Zähnen hervor „Nenn mir nur einen Grund, weshalb ich dir zuhören sollte?“ Er blickte ihr entgegen und seine Züge schienen sich zu verhärten, schließlich erwiderte er tonlos „Weil ich den Krieg überlebt habe...“ „Ja! Das sehe ich! Du stehst schließlich vor mir! Aber was ist mit der langen Zeit davor? Die Zeit als du abgereist bist? Nicht ein einziges Mal hast du dich gemeldet! Niemand hier wusste, ob du überhaupt noch am Leben bist!“, die Vorwürfe klangen, als würden sie kein Ende nehmen. All die Gedanken Oscars, die sie so viele Jahre für sich behalten hatte, fanden plötzlich ihren Weg zum Licht und trafen André hart „Nach all den Jahren bist du nun wieder in Frankreich. Warum bist du zurückgekehrt?! Hatte dich die Langeweile auch in Amerika erfasst, wie einst hier in unserem Land?!“ Bei diesen Worten trat André an sie heran und fasste nach ihrem Handgelenk. Er löste ihre geballte Faust, auch wenn sie bereits wieder versuchte, sich seinem Griff zu entziehen, doch dieses mal, nutzte er seine überlegene Kraft ihr gegenüber aus. Nur dieses eine mal, würde er sie körperlich zwingen ihm nachzugeben. Das erste, letzte und einzige Mal. Denn er hatte ihr etwas wichtiges zu geben „Du weißt genau, weshalb ich zurückgekehrt bin“ und er ließ ihre silberne Kette, die sie ihm einst bei seiner Abreise heimlich in die Satteltasche gelegt hatte, in ihre Hand gleiten und gestand dabei leise „Einzig du bist der Grund, weshalb ich zurück bin“, dabei erkannte er, dass sich ihr Blick leicht änderte bei seinen Worten, was genau er aber besagte, konnte André nicht deuten, stattdessen flüsterte er, mehr zu sich selbst als zu ihr „Keine Ausflüchte mehr...“. Scheinbar durchdachte sie seine Worte, da sie sich für einige Atemzüge nicht mehr bewegte, sondern ihm einfach nur ausdruckslos entgegen blickte. Doch so schnell wie eine Hoffnung auf Sinneswandlung Oscars bei André eintrat, so schnell wandte sie sich plötzlich von ihm ab und verließ den Salon in eiligem Schritt. Dabei die silberne Kette bei sich tragend. In den Spiegel starrend, saß Oscar reglos in ihrem Stuhl. Nun hatte sie doch ihre guten Vorsätze gebrochen und betrachtete ihre Wunden und Kratzer im Gesicht. Sie sah wirklich schlimm aus. Sie schmeckte etwas Blut an ihren Lippen und erkannte, dass auch diese eine winzige Narbe vom Kampf mit dem Rebellen herrührte. Ihre Finger strichen darüber, was jedoch nur ein von Schmerz durchzogenes Zucken nach sich zog. Danach glitt ihre Hand in ihren Nacken und es wurde ihr mit einem Male bewusst, was sie vor vielen Monaten ihren Haaren angetan hatte. Was hatte sie zu dieser Tat getrieben, fragte sie sich plötzlich. Ihre kurzen Locken durchfahrend, fiel ihr Blick dabei auf den Tisch vor sich, auf welchem die silberne Kette lag. Und mit einem Male kam in ihr die Frage auf, wie sie wohl auf André gewirkt haben musste, mit ihrem Anblick. Was musste er nur von ihr gedacht haben, als sie sich nach so vielen Jahren wiedersahen? Es war nicht der beste Zeitpunkt für ein Wiedersehen gewesen. Sie konnte es sich nur schwer eingestehen, aber ihr wurde bewusst, dass es nicht das Wiedersehen für sie gewesen war, wie sie es sich gewünscht oder gar erhofft hatte. Oscar beschlich das Gefühl der Eitelkeit. Plötzlich wollte sie, dass ihre Haare anders gewesen wären und sie nicht den Kampf in Paris hätte führen müssen. Alles nur, damit die Begegnung mit André anders verlaufen wäre. Aber es konnte nicht mehr geändert werden. So vieles konnte von nun an nicht mehr verändert werden. Ein leises Klopfen an ihre Zimmertür ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. Sie konnte nicht vermeiden, dass ihr Herz einen Moment schneller schlug, als sie laut fragte „Wer ist da?“ „Sophie“, drang die ruhige ältere Stimme durch das Holz der Türe hindurch, die einen Augenblick später auch schon geöffnet wurde. Oscars Kindermädchen betrat das Gemach mit einer Schüssel heißen Wassers und einem Tuch, dass locker um den Unterarm gebunden war. Wortlos stellte Sophie die Schüssel auf dem Tisch vor Oscar ab und machte sich bereits daran das Tuch mit dem klaren Nass zu befeuchten, um kurz darauf Oscar notdürftig zu verarzten. Oscar blieb ebenfalls stumm und beobachtete die sorgenvolle Blicke, die Sophie ihr zuwarf, aufgrund der übel aussehenden Wunden in ihrem Gesicht. Aber es folgte keinerlei Strafpredigt oder anderweitiger Geheiß die Arbeit am Hofe zu überdenken. Stattdessen erkannte Oscar, dass die alte Frau vor sich hingrübelte. Oscar erinnerte sich daran, dass sie in all den Jahren der Abwesenheit Andrés nie mit Sophie, über seine Entscheidung fortzugehen, gesprochen hatte. Nie hatte sie seine Großmutter getröstet, die sichtlich unter seiner Abreise und der darauffolgenden von Angst zersetzten Zeit, André bereits tot zu glauben, gelitten hatte. Sicher hatte das Selbstmitleid und das Gefühl von ihm im Stich gelassen worden zu sein, auch auf ihren Schultern gelastet, aber dies war keine Entschuldigung dafür, ihr altes Kindermädchen ebenfalls in diese qualvolle Zeit mit hineinzuziehen. Und indem sie sich einander nicht anvertraut hatten, hatte das Leid und die Verärgerung damals definitiv die Oberhand über beide gewonnen. Wie egoistisch war sie nur gewesen. Konnte sie ihre Fehler je wieder gutmachen? Oscar sah Sophie an, als die Worte aus ihr hervorbrachen „Du bist sicher glücklich darüber, dass André zurück ist, nicht wahr, Sophie?“ Ohne den Blick zu erwidern oder auch nur die geringste Reaktion in ihrem Gesicht erkennen zu lassen, vollführte Oscars Kindermädchen ihre Arbeit und säuberte weiterhin die Wunden, dabei leise sprechend „Natürlich... und das solltet Ihr auch sein, Lady Oscar...“. Andachtsvoll hallten die Worte im Kopf von Oscar nach. Obwohl Sophies Stimme leise war und nur wenig Gefühl preisgegeben hatte, so hatte Oscar darin die Hoffnung Sophies verspürt, dass ihre beiden Enkel wohl doch wieder als Freunde zueinander finden würden und die gleiche Vertrautheit zwischen ihnen zurückkehren würde, wie es vor vielen Jahren einmal der Fall gewesen war. Doch nie hätte es sich Sophie angemaßt diesen Wunsch laut zu äußern. Schon seit jeher, hatte sie nur für das Beste der Kinder des Hauses gebetet und dies würde sich niemals ändern. Sie würde immer der stille Beobachter bleiben, der in ihr verborgen war, seit sie für die Familie Jarjayes in den Dienst getreten war. Es lag in Oscars Händen, wie sie sich entscheiden würde. Ohne weitere Worte wandte sich Sophie ab und ließ Oscar allein in ihrem Gemach zurück. Gedankenversunken hatte Oscar dem Verlassen Sophies nachgesehen, doch nach kurzer Zeit kehrten wieder die wirren Gefühle in ihr zurück und ihr Blick fiel wieder auf ihr Spiegelbild. Lange Zeit konnte sie ihr Antlitz davon nicht abwenden. Die nächtliche Ruhe schien in weite Ferne gerückt zu sein. Das kleinste Geräusch veranlasste ihn dazu seine Augen erneut zu öffnen. Doch nur Dunkelheit antwortete ihm oder lediglich schemenhafte Umrisse der Möbel in seinem Zimmer. Er würde keinen Schlaf finden, egal wie sehr er sich auch bemühte. Finstere Gedanken umhüllten ihn, die von Leid und Hoffnungslosigkeit getragen wurden. Als er in Begriff war, sich erneut unruhig auf die andere Seite seines Bettes zu drehen, hörte er wie die Tür zu seinem Zimmer in das Schloss zurückfiel. Augenblicklich richtete er sich auf und erkannte die schimmernden Locken am Ende seines Zimmers, die jetzt um so vieles kürzer waren, als noch am Tage seiner Abreise vor vielen Jahren. Er war über ihren Anblick mehr als überrascht gewesen, so auch jetzt, als sie sein Gemach ungefragt und unbemerkt betreten hatte. Er hörte ihr Schritte über dem steinernen Marmorboden, die sich ihm stetig näherten. Schließlich konnte er ihre große und schlanke Gestalt auf der anderen Seite seines Bettes erkennen und er wusste, dass sie ihn ebenfalls sehen konnte, wie er aufgerichtet auf seinem Bett saß und ihr entgegenblickte. Eine zeitlang verharrten sie in der Dunkelheit des Zimmers und sprachen dabei kein Wort. Vielmehr ließen sie die bloße Anwesenheit des anderen auf sich wirken und näherten sich wieder dem Gefühl an, einander wieder greifbar zu sein und nicht dem Bild eines Traumes verfallen zu sein. Das Bett unter ihm gab nach, als sie sich zu ihm legte, gerade so nahe, dass er die Hand hätte ausstrecken können, um sie berühren zu können. Aber er tat es nicht. Stattdessen folgte er kurz danach ihrer Bewegung und legte sich ebenfalls seitlich zu ihr, mit angewinkelten Beinen und den Arm unter den Kopf gestützt, um ihr in die Augen blicken zu können. Auch wenn die Finsternis die Macht über sein Zimmer besaß, so konnte sie nicht das klare Blau ihrer Augen verschlingen, die ihm entgegenfunkelten. Er erkannte den Ausdruck darin wieder. Es war der aus ihrer gemeinsamen Kindheit und er fragte sich, ob er sie in eben diesem Moment wohl genauso ansah, dass sie sich zwanzig Jahre zurückversetzt fühlte. Die schönen Erinnerungen drangen hervor und vertrieben die dunklen Gedanken. Und um diesen alten und auch gleichzeitig neu aufkeimenden Weg der Freundschaft zueinander zu festigen, sagte sie leise „Erzähl mir von Amerika...“ Und André sah Licht. Von allen Seiten. Auch wenn noch immer die Nacht das Anwesen erfasste. Mit einem sanften Lächeln sprach er von Sagen und Mythen in diesem fernen Land und versetzte sie manchmal damit in Staunen, sodass ihre Augen groß und größer wurden und dabei nie schöner ausgesehen hatten. Stunde um Stunde war sein Flüstern in dem großen Raum zu vernehmen, bis sie schließlich auf seinem Bett eingeschlafen war. Und erst in diesem Moment fand er den Mut für einen kurzen Augenblick ihr Haar zu berühren und sich damit seinen einzig gesetzten Wunsch bei seiner Wiederkehr zu erfüllen. Er wusste nicht, dass sie es gespürt hatte. Dass sie es zugelassen hatte. Waren Veränderungen tatsächlich nicht mehr möglich? Oder aber gab es wieder Hoffnung? Es war egal. Denn in eben diesem Moment war Oscar seit vielen Jahren wieder glücklich. Kapitel 10: Sommerwinde ----------------------- Es war neu für ihn, Ruhe zu finden. Abseits von Getöse, Lärm und Leid endlich wieder zu sich selbst vorzudringen, dabei den lauen Spätsommerwind genießend, der unablässig durch seine Haare strich. Einige Monate waren vergangen, seitdem er in Frankreich eingetroffen war. Die Überfahrt von Amerika war anstrengend und kräftezehrend gewesen. Kurz nachdem er den Entschluss gefasst hatte, aus dem Krieg auszutreten und die Heimreise zu beginnen, war offiziell die Unabhängigkeit Amerikas verkündet worden. Doch für André hatte das alles keine Rolle mehr gespielt. Von einem einzigen Gedanken war er zurück in sein Heimatland getragen worden. Er hatte beschlossen, sich seinem Schicksal zu stellen und ihr endlich wieder zu begegnen. Die vielen unwissenden Tage an Deck des Schiffes während der Überfahrt, hatte er über ein mögliches Wiedersehen mit ihr nachgegrübelt. An sich hinabsehend hatte er nach all der langen Zeit wahrgenommen, dass er noch immer die zerschlissene und abgetragene Uniform an seinem Leib getragen hatte und er hatte beschlossen, diese gegen neue Bekleidung einzutauschen, sobald er wieder Land unter seinen Füßen spüren würde. Aus einem für ihn unerfindlichen Grunde, wollte er bei seiner Rückkehr einen anderen Eindruck hinterlassen, als bei seiner Abreise. Er hatte in sich selbst wahrgenommen, dass er sich während seines Aufenthaltes im Krieg verändert hatte. Er scheute sich nun nicht mehr davor, sich dies einzugestehen und dies sogar nach außen hin darzulegen. So war es gekommen, dass er teure Gewänder von dem Sold des Kriegsdienstes gekauft hatte und schließlich nach Versailles aufgebrochen war. Wenigstens ein einziges Mal in seinem Leben, wollte er ihr zeigen, dass er jemand anderes war, als sie glaubte, vor sich zu haben. Sie kannte ihn nur als Diener, guten Freund, manchmal sogar nur als den Jungen aus den Kindheitstagen mit welchem man Streiche spielen konnte. Er wollte, dass sie ihn anders sah, als es noch am Tage seiner Abreise der Fall gewesen war. Denn die erlebte Zeit in Amerika hatte ihn verändert und er hatte für sich erkannt, was wirklich wertvoll im Leben war und diese Erkenntnis würde er ihr mitteilen, sobald die Zeit dazu gekommen war... Schließlich war der Tag gekommen, den er tief in seinem Inneren so sehr ersehnt und gleichzeitig so sehr gefürchtet hatte. Nur langsam konnte er begreifen, dass er auf der Schwelle zum Eingang des Hauses der Jarjayes stand. Nach so vielen Jahren beschlich ihn das Gefühl, endlich am Ziel seiner ungewissen Reise angekommen zu sein, dabei hatte er gerade deshalb das Maison und sie verlassen, um dem allem hier niemals wieder zu begegnen. Wie töricht war er gewesen, zu glauben, er würde das alles niemals wiedersehen. Seine unausgesprochene Liebe und seine Sehnsucht nach ihrem Lächeln, nach einer winzigen, einer einzigen Berührung von ihr, hatten ihn zurückkehren lassen. Und in diesem Moment hatte er realisiert, wie sehr sein Verstand, sein Wille, ja sogar seine Seele an sie gebunden waren. Er würde seine Vorherbestimmung vermutlich nur ändern können, wenn er endlich ihr gegenüber die Wahrheit offenbarte. Die gläsernen Flügeltüren des Einganges waren plötzlich geöffnet worden und heraus trat ein Mann mit ergrautem Haar, aber solch strenger und gleichzeitig gehorsamer Gestalt, dass André ihn auch nach jahrzehntelanger Abwesenheit wieder erkannt hätte. Im ersten Moment schien General de Jarjayes verblüfft und versuchte seine Hand zu senken, die aus der ersten Überraschung heraus, seine Augen gerieben hätten, um den Traum, der ihn ereilte, Einhalt zu gebieten. Doch André erhob das Wort und Reynier de Jarjayes´ Zweifel waren verflogen. André hätte zu diesem Zeitpunkt niemals erahnen können, dass der General auch Freude verbreiten konnte. Doch als der alte Hausherr, den scheinbar tot geglaubten Mann, in seine Arme schloss, spürte André definitiv, dass es der General mit der Begrüßung tatsächlich ernst gemeint hatte. Daraufhin hatte Verblüffung eingesetzt und folgende Fragen seiner Erlebnisse hatten nicht lange auf sich warten lassen. Es war das erste mal in Andrés Leben gewesen, in dem er geglaubt hatte, General de Jarjayes sei ihm gegenüber ehrlich und aufrichtig und es hatte André wiederum in seinem Entschluss bestärkt nach Hause zurückzukehren. Doch die Zweifel waren nicht lange fern geblieben. Denn nur wenige Atemzüge später, spürte er augenblicklich ihre Anwesenheit. Sie hatte hinter ihm gestanden und er hatte es sofort bemerkt. Selbst seine jahrelange Abwesenheit hatten das unsichtbare Band zu ihr nicht durchtrennt, so hatte er zumindest geglaubt und ohne zu zögern hatte er sich ihr daraufhin zugewandt. Wie tief hatte es ihn getroffen, als er im nächsten Moment in leere Augen geblickt hatte, die ihren blauen Glanz verloren hatten. Sicherlich war sie über seine plötzliche Wiederkehr verunsichert gewesen, dennoch hatte sie ihre Gefühlskälte vor ihm nicht verbergen können. Wie schwer war es zu glauben, dass sie sich verändert hatte und das vermutlich allein deshalb, da er sie in Frankreich zurückgelassen hatte. Die Vorahnung hatte ihn bereits in Amerika beschlichen. In der Nacht, als er mit Fersen zusammen am Lagerfeuer gesessen hatte und beide Männer erkannt hatten, welch mögliche Trauer sie über die beiden Frauen in Frankreich gebracht haben könnten. Wie hatte sich André bei seinem Fortgang nur einreden können, dass sie ihn nicht brauchte? Jetzt in diesem Moment ihres Wiedersehen hatte er deutlich erkannt, dass er ihr Leid zugefügt hatte. Zudem schien sie eben einen Kampf über sich ergehen lassen müssen. Ihre Uniform war zerfetzt, ihr sonst makelloses Gesicht von Wunden und Kratzern gezeichnet und nachdem er in wenigen Sekunden all diese Eindrücke versucht hatte zu verarbeiten, wurde ihm darüber hinaus schmerzhaft bewusst, dass sie ihr Haar abgetrennt hatte. Die einstigen wunderschönen langen goldenen Locken, reichten nicht einmal bis zu ihren Schultern. Und in diesem Moment war in ihm die Angst empor gekrochen, womöglich viel zu viel mit seinem Fortgang zerstört zu haben. Wie ein kalter Windhauch war sie daraufhin an ihm vorbei gestürmt ohne eine Wort der Begrüßung hervorzubringen. Ihre Reaktion auf seine Rückkehr traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht und es schien als würde ihr Verhalten ihn um so vieles tiefer verletzen, als es die Kugel des verfeindeten Engländers getan hatte. Selbst der General war über Oscars kaltes Schweigen überrascht und hatte sich ihr ebenfalls verblüfft nachgewandt. Doch André konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie er in diesem Augenblick den letzten Bruchteil seiner Freundschaft von ihr verlor. Er versuchte zu retten, was zu retten war und lief ihr schnellen Schrittes nach. Im angrenzenden Salon hatte er sie aufhalten können und sie am Arm gepackt. Sie hatte ihn angeschrieen. Sie hatte ihn mit leblosen Augen entgegengeblickt. Wie eine Gefangene wand sie sich aus seinem Griff, den er dennoch ihr gegenüber nicht gelockert hatte. Sein Herz und seine tiefe Sehnsucht zu ihr hatten in diesem Moment die Überhand über seinen Verstand gewonnen. Er hatte sie nicht gehen lassen können, ohne ihr vorher die silberne Kette zurückzugeben, welche er seit seiner Abreise vor vielen Jahren bei sich getragen hatte. Als das schimmernde Metall in ihre Handfläche geglitten war, hatte André erkannt, dass ihr Körper zur Gegenwehr gegen ihren Verstand angesetzt hatte. Er hatte gespürt, dass ein wenig Leben in ihr zurückgekehrt war. Dennoch hatte sie sich aus seinem Griff befreit und war trotz allem vor ihm davon geeilt. Daraufhin war die Nacht über das Anwesen hereingebrochen. Kalt und abstoßend wirkte sein einstiges Zimmer plötzlich auf ihn, als er zu später Stunden mit wachen Augen zur Decke gestarrt hatte. Er war sich sicher gewesen keinen Schlaf finden zu können. Der Schmerz und das Leid pochten in seinen Venen und ließen ihn qualvolle Atemzüge tätigen, als plötzlich ein Geräusch zu hören war, welches nicht seinem seit Stunden leise seufzenden Munde entkommen war. In den nächsten Augenblicken hatte sie vor seinem Bett gestanden und schweigend um Verzeihung für ihr Wiedersehen ihm gegenüber gebeten. Doch bereits bei erstmaligen Betrachten ihres Antlitzes waren das Leid und der Schmerz in ihm verflogen. Glückliche Kindheitserinnerungen, gemeinsam mit ihr verlebte Stunden aus längst vergangenen Tagen waren über ihn eingebrochen, als sie sich zu ihm gelegt hatte und ihn leise nach Amerika gefragt hatte. Es hätte sich nicht gelohnt in Amerika zu sterben, hätte er diesen Moment mit ihr in seinem Gemach niemals erlebt. Das wusste er nun. Die Blätter über ihm raschelten bedächtig, als leichter Wind aufkam. Zurück in der Wirklichkeit und hinweg über die Erinnerungen seiner Heimkehr vor vielen Monaten, wandte André seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch über sich zu. Sich vor einigen Stunden in das Gras fallen lassend, widmete er sich wieder der Lektüre in seinen Händen, die die Sonnenstrahlen davon abhielt ihn zu blenden. Das Gras roch frisch und saftig und das Blattwerk des Baumes , welches sich über ihn erstreckte, schimmerte bereits in mehreren Farben und ließen erahnen, dass der Herbst nahte. Sein langer Zeit konnte André wieder entspannen. Seit seiner Rückkehr hatte er als stiller Bewohner im Maison gelebt. Oftmals ging er seiner Großmutter zur Hand, da er erkannt hatte, dass auch an ihr die Jahre nicht spurlos vorübergezogen waren. Aber André wurde bei den Jarjayes nicht mehr als Diener angesprochen, sondern als ein Freund der Familie. In den ersten Monaten war es seltsam für ihn gewesen, aber er hatte erkannt, dass der General ihn nach all den langen Jahren und seiner langen Abwesenheit als guten Freund der Familie betrachtete. Zudem waren Gerüchte gestreut worden, dass es dem General merkwürdig erschien, einen ‚Held’ des Krieges als Diener wieder einzustellen. André sah sich jedoch keinesfalls so. Er hatte nicht vorgehabt je wieder in die Dienste der Jarjayes einzutreten. Er empfand es als nicht richtig, was er dem Hausherrn auch erklärt hatte. Persönliche Beweggründe hatte er vorgebracht, weshalb er nicht mehr als Diener arbeiten würde. Und der General hatte dem zugestimmt. Sie waren überein gekommen, dass André so lange im Anwesen verweilen dürfe, bis er sich für seinen Lebensweg entschieden hatte. Oscar gegenüber hatte er dies jedoch noch nicht angesprochen. Sie ahnte nicht, dass er sich über sein künftiges Leben Gedanken machte. Glaubte sie wohl, dass er nun wieder an ihrer Seite als Gehilfe verweilen würde? Sie hatten bis jetzt dieses Thema tunlichst vermieden. Sie hatte ihn noch nicht gefragt und er hatte ihr gegenüber noch nichts darüber erwähnt. So lebten sie gemeinsam im Hause Jarjayes ohne die Pläne des jeweiligen anderen auch nur im geringsten zu kennen. André selbst war sich noch im Unklaren, wie sein Leben nun weiter verlaufen würde, doch bevor er erneut diesen Gedanken wie nun schon so oft verfolgen konnte, nahm er Schritte war, die unweit von ihm entfernt erklungen waren. Seinen Kopf vom Gras erhebend sah er Oscar zu ihm herüberwandern, dabei von einer leichten Brise überrascht, die ihr ihre blonden Locken in ihr Gesicht fallen ließen. Sie hatte ihr Haar wieder wachsen lassen. Seit seiner Heimkehr. In einer fließenden Bewegung strich sie sich ihr Haar zurück über die Schultern, wobei die silberne Kette, welche ihren Hals zierte, im hellen Sonnenlicht aufblitzte. Ohne ihn zu grüßen blieb sie neben ihm stehen und blickte auf seine liegende Gestalt hinab und murmelte dabei mit gerunzelte Stirn „’Discours sur l'origine et les fondements de l'inégalité parmi les hommes’?“ Als André endlich seinen Blick von ihrem strahlenden Antlitz lösen konnte, bemerkte er, dass sie soeben fragend den Titel seines Buches vorgelesen hatte, welches er noch immer aufrecht vor sich in Händen hielt. „Ja, das ist ein Buch von Jean-Jacques Rousseau“, etwas überrascht über ihre Neugierde richtete er sich auf und setzte sich im Gras etwas zurück um sich gegen den Baumstamm lehnen zu können. Ohne große Umschweife tat Oscar ihm dies nach und griff nach dem Buch. Eine Handberührung zwischen ihnen entstand. Dies geschah nun schon seit Monaten. Bewusste oder einfach nur zufällige Berührungen mehrten sich. Oftmals fragte sich André, ob Oscar damit sichergehen wollte, ob er auch tatsächlich bei ihr war oder sie nur einem Trugbild verfiel. Oftmals fragte er sich aber auch, ob diese Berührungen nicht schon früher da gewesen waren und André diese nur intensiver wahrnahm als je zuvor. Für keine der beiden Möglichkeiten hatte er sich bis jetzt entscheiden können. Wortlos überließ er ihr das Buch, welches sie nun interessiert musterte. Ihre Finger strichen über den Einband, der feinste Gravuren im Leder aufwies. Als sie die geprägten Letter nachfuhr, fragte sie „Ich habe von diesem Buch gehört. Ich habe davon gehört, wie Rousseau vertritt, dass alle Menschen gleich sind, da sie von Natur auch alle gleich geschaffen wurden...“, sie blickte ihn daraufhin an und fragte plötzlich „Warum liest du es?“, die Frage war keinesfalls vorwurfsvoll oder sonstiges gemeint. Er erkannte, dass sie Interesse daran zeigte und ebenfalls war er verblüfft, dass sie bereits von den Theorien und Ansichten Rousseaus gehört hatte. Nachdenklich lenkte er seinen Blick über die Weite der Wiese und beobachtete die Blätter, die gemächlich über das Gras wanderten „Viele Männer, Franzosen wie Amerikaner, haben im Krieg über Rousseau gesprochen. Auch wenn keiner von ihnen ein Exemplar dieses Buches besaß, so kannten viele Männer in diesem fernen Land die Ideale Rousseaus, der von der Gleichheit unter den Menschen spricht. Keine Standesunterschiede, Freiheit für jeden Einzelnen, das sind Ideale Rousseaus und eben diese Ideale verkörperten die Soldaten im Krieg gegen ihr Mutterland England. Sich loszulösen von alten Traditionen, von alten Gesetzen, die jeden Einzelnen voneinander unterschieden. Im Krieg war es deutlich geworden“, und als er fortfuhr, drehte er sich mit ernster Miene Oscar wieder zu „Im Krieg wurden Kinder, Frauen und Männer getötet, egal welchen Ranges oder welcher Herkunft... Im Krieg unterschied man nicht zwischen Stark und Schwach, zwischen Alt und Jung, zwischen Arm und Reich... Dort hatte jeder Mann gekämpft, der sich eine bessere Zukunft wünschte, für sich und für seine Familie...“, er sah, wie ihre Augen verschwammen und sie leicht nach Fassung rang. Selten hatte er sie mit Emotionen kämpfen sehen, doch dieses mal verbarg sie nichts vor ihm. Sie wandte ihren Blick nicht von ihm ab und dies bestärkte ihn noch einen weiteren Satz hinzuzufügen „Wäre diese Gleichheit hier unter den Menschen, müssten viele Männer ihrer Liebe wegen nicht leiden...“, seine Worte waren unverkennbar. André wusste, dass Oscar tief im Innern nicht leugnen konnte, was er ihr damit hatte sagen wollen. Wieder auf das Buch vor sich starrend, atmete Oscar tief aus. Erneut drehte sie das Buch in ihren Händen bevor sie es ihm wieder entgegenreichte und dabei flüsterte „Ich weiß nun, weshalb du in den Krieg gezogen bist...“, und kaum dass Rousseaus Werk wieder bei André verweilte, griff er sanft nach ihren Fingern und umschloss diese mit seiner Hand. Überrascht blickte Oscar in seine Augen und erkannte, wie er sich zu ihr beugte und ebenso leise zu ihr sprach „Möchtest du, dass ich den wahren Grund ausspreche?“ Gefangen von seiner warmen Ausstrahlung, von seiner zärtlichen Berührung, stockte Oscar der Atem. Seit so vielen Monaten nun lebten sie wieder beieinander und Tag für Tag hatte sie sich André verbundener gefühlt. Es war eine Sehnsucht, von der sie noch zu Zeiten seiner Abwesenheit geglaubt hatte, sie würde schwinden, sollten sie sich eines Tages wieder begegnen. Doch mit dem Tage seiner Heimkehr und ihre darauffolgende vorsichtige Annäherung einander, war das Gefühl in etwas viel bedeutenderes umgeschlagen, welches sie fürchtete. Von ihrer eigenen Verwirrung übermannt ihr Leben plötzlich nicht mehr kontrollieren zu können, löste sie sich von ihm, was er zuließ. Langsam erhob sie sich und entfernte sich von ihm. Ihre Erziehung verbot es ihr, sich von einem Menschen abhängig zu machen, was sie jedoch im Begriff war zu tun. Sie musste dem Einhalt gebieten. Sie hörte, wie er plötzlich aufgesprungen war, als er erkannt hatte, dass sie wortlos ging. Ebenfalls nahm sie seine Stimme war, die dünn und ängstlich rief „Bitte Oscar! Flieh nicht wieder vor mir!“ Doch sie konnte nicht stehen bleiben. Von unsichtbarer Hand geleitet, wurde sie vorangetrieben, nicht länger in seiner Nähe zu verweilen. Tränen begleiteten ihre verzweifelten Worte und den tiefen Wunsch ihn diese hören zu lassen „Es tut mir leid, André.“ Kapitel 11: Schicksale ---------------------- Die Wärme der auflodernden Flammen strichen über ihr Gesicht und ließen sie angenehm erschaudern. Das leise Knistern des Feuers verlieh dem stummen Raum um ihr herum etwas unheimliches und mystisches, was sie schnell dazu bewegte, in ihre eigene Gedankenwelt einzutauchen. Soviel hatte sich verändert. André hatte sich verändert. Und sie selbst? Sie glaubte stehen geblieben zu sein und immer noch die gleiche Unsicherheit zu empfinden wie am Tage seiner Heimkehr. Weshalb nur war sie derart mit Angst erfüllt nicht mehr Herr ihrer Sinne sein zu können, sobald er sich in ihrer Nähe befand? Schweigsame Blicke schickte sie ihm nach, sobald er im Hause an ihr vorüberschritt, begleitet von Neugierde und Überraschung wie sehr er sich doch während seiner Abwesenheit verändert hatte. War er nicht noch immer der Junge, der damals im Maison als Waise zu ihnen gekommen war? Klein, schmal und zart wie er gewesen war... Die Zeit war so schnell verflogen und plötzlich war er fort gewesen, ohne dass sie ihn hätte aufhalten können. Als er zurückkehrte trug er ein anderes Ich bei sich, welches sich häufig zu erkennen gab. Mutig, aufstrebend, stolz wie sie ihn niemals vorher gekannt hatte und dahinter konnte sie, wenn sie genau hinsah sein Leid erkennen. Der Schmerz in seinen Augen kam selten und unerwartet, aber in derartigen Momenten in solch einer Intensität, dass ihr zum Weinen zumute war, sobald sie es in seinen Augen erkannte. War es das Leid, was er im Krieg erlebt hatte? Die Trauer um möglicherweise liebgewonnene Menschen? Es mochte so sein und dennoch wusste sie, dass auch sie die Schuld an seinem gefühlten Schmerze trug. Vor einiger Zeit als sie gemeinsam unter der großen Eiche im Garten saßen, inmitten des sanften lauen Sommerwindes, da hatte sie erfahren, dass er wegen seinem Leid zu ihr in den Krieg gezogen war. Es war plötzlich so deutlich und spürbar gewesen, was er für sie empfand, dass sie keinen anderen Ausweg gesehen hatte, als vor ihm zu flüchten. Es machte ihr Angst, dass ein Mensch derart tiefe Gefühle für einen anderen hegte, dass er keinen anderen Ausweg sah, als diesen geliebten Menschen zu verlassen, um nicht länger unter dieser Liebe zu leiden. An diesem Tage war ihr klar geworden, was sie André damit angetan hatte, indem sie seine Liebe zu ihr nicht wahrgenommen hatte. Und plötzlich hatte sie den gleichen Schmerz in ihrer Brust gefühlt wie er; gebrochen und verletzt, dass es ihr den Atem raubte. Nie hatte sie gewollt, dass er derart litt. Nie... Eine ihr bekannte Stimme war unvermittelt im angrenzenden Salon zu hören. Er bat um das Herrichten seines Pferdes. Es wunderte sie nicht, dass er zu solch später Stunde noch ausreiten wollte. Er musste ebenfalls seine eigenen Gedanken ordnen. Da erinnerte sie sich an seine Rückkehr und daran, wie herzlich André und er sich begrüßt hatten. Es war so ungewohnt für sie gewesen, dass er zuerst André umarmt hatte. Sie fragte sich, wie es dazu gekommen war, dass zwischen ihnen dieses unsichtbare Band des Vertrauens entstanden war. Was mochten Fersen und André im Krieg erlebt haben? Als sie eines Abends nach dem Wiedersehen am Salon vorüberschritt, erkannte sie fahles Kerzenlicht, das aus der offen stehenden Türe schien. Sie hörte das leise Flüstern der Männer, die gemeinsam an einem der Tische saßen und sich unterhielten. Es war so sonderbar für Oscar gewesen die beiden so vertraut miteinander zu sehen, hatte sie doch seit jeher bei André eine gewisse Abneigung gegenüber Fersen wahrgenommen. Sie wusste, weshalb es so gewesen war. Doch sie wusste nicht, weshalb sich Andrés Eindruck gegenüber Fersen gewandelt hatte. Ohne es zu bemerken, hatte sie bereits länger an der halb geöffneten Türe verweilt, als es sich anschickte. „Habt Ihr mit ihr gesprochen, André?“, warf Fersen eine scheinbar wichtige Frage in den dunklen Raum, bei deren Beantwortung André mit sich rang und nach dem wohl richtigen Ausdruck suchte. „Worüber sollte ich schon mit ihr sprechen?“ „Ihr wisst genau, was ich meine... Über das, was uns beide dazu veranlasst hatte in den Krieg zu ziehen...“, drängte Fersen weiter, worauf zu hören war, dass André laut ausatmete und in einem etwas leicht sarkastischen Ton erwiderte „Ich glaube nicht, dass Ihr der Königin diese Wahrheit gestehen würdet...“ Fersen schüttelte lächelnd den Kopf „Ihr irrt Euch, die Königin wusste sehr wohl, weshalb ich aus Frankreich geflohen war. Oscar jedoch nicht, was Euch betrifft“ Nun mehr schien André bewusst geworden zu sein, wie tiefgreifend die Beziehung zwischen Fersen und Antoinette wohl schon vor seiner Abreise gewesen sein musste. Ob Oscar dies gewusst hatte? Oscar derweil, in ihrem geheimen Versteck vor der Tür, kam nicht umhin sich mehr und mehr über die wundersamen Worte der beiden Männer Gedanken zu machen. „Ich hatte versucht mit Oscar darüber zu sprechen, aber sie wollte mir nicht zuhören und war vor mir davon gelaufen...“, sprach André nun endlich wieder, aber in solch einem leisen Tonfall, dass Oscar es fast nicht möglich gewesen wäre, seine Worte zu hören. Ein leichtes Seufzen war aus seinem Munde zu vernehmen „Sie und ich, wir beide leben in verschiedenen Welten. Obwohl wir zusammen aufgewachsen sind, so sind wir doch nichts weiter als Menschen aus dem Dritten und Zweiten Stand. Wie kann ich einer Frau wie ihr schon gestehen, was ich für sie empfinde? Es würde keine Zukunft für uns geben...“ Durch den Türspalt erkannte Oscar, wie André kurz von seinen Ausführungen absah und Fersen entgegenstarrte, bis er schließlich noch hinzufügte „Und seit Ihr aus dem Krieg zurückkehrt seid, ist es erneut so kompliziert wie zuvor...“, murmelnd sprach er noch weiter „Ich sehe ihre Blicke, wie sie auf Euch liegen...“, doch Fersen schien nicht zu wissen, wovon André eigentlich redete, da er ihm nur unverständliche Blicke zuwarf. Oscar hingegen wusste umso mehr, was André damit ausdrücken wollte. War sie etwa so durchschaubar für ihn? War es denn tatsächlich so, dass ihre Blicke, die sie Fersen schenkte um so vieles anders waren, als welche, die sie André zukommen ließ? War so etwas überhaupt möglich? Dachte sie noch bis dato, dass niemand ihren emotionalen Zustand erkannte, so musste sie nun zugeben, dass, egal welche Maske sie über ihren Gesichtzügen trug, dass André stets dahinter blicken konnte. Vielleicht hatte auch André gedacht, dass niemand seinen gefühlten Schmerz, den er bei sich trug sehen konnte, obwohl es Oscar möglich war. Sie wusste, was André und sie miteinander verband. Obwohl er in Amerika gewesen war, so hatte sie es stets im Herzen gefühlt. Sie hatte gefühlt, dass er noch lebte. Sie hatte Tage verbracht an welchen sie gespürt hatte, dass es ihm schlecht ging, aber er nicht tot war. Auch wenn sie lange Zeit geleugnet hatte ihn nicht zu vermissen, ihn nicht zu brauchen in ihrem Leben, so wusste sie nun, dass sie sich auf das schändlichste selbst belogen hatte. Seit er in ihr Leben zurückgekehrt war, ergab es Sinn, dass sie Luft in ihren Lungen spürte, dass Winter und Sommer einander abwechselten, dass sie Morgen für Morgen die Augen aufschlug und sich dessen bewusst war, dass sie lebte. Diese Gedanken waren umso vieles anders, als solche, die sie mit Fersen verband. Und es machte ihr Angst, da sie es nicht verstand, da sie André immer nur als ihren Kameraden und besten Freund gesehen hatte. Sie konnte sich nicht selbst eingestehen, welche Gefühle in ihr hervorgebrochen waren über die lange Zeit hinweg, die sie getrennt voneinander verbracht hatten. „Aber was soll nun geschehen, André? Ihr könnt nicht auf der Stelle treten in Eurem Leben...“, hörte sie plötzlich wieder Fersens einfühlsame Stimme, worauf André unverwandt erwiderte „Ebenso wenig wie Ihr, Graf“ Und mit diesen Worten wurde es Oscar klar, was die beiden Männer plötzlich miteinander verband, was sie sich scheinbar während der Zeit des Krieges eingestanden hatten; die ausweglose Liebe zu einer Frau... Als sie ihre Augen aufschlug, blickte sie wieder dem brennenden Feuer entgegen, ohne zu spüren, dass sich eine Träne aus ihren Augen herausgelöst hatte und eine salzige Spur auf ihrer Wange zurückließ. Fersens Schicksal war besiegelt. Er liebte die Königin von Frankreich seit jeher. Andrés Schicksal war es, sich als Bürger des Dritten Standes in eine Adlige zu verlieben. Und Oscars Schicksal? Sie wusste es nicht. War es eine schier endlose Zeit der Königsfamilie zu dienen? Oder aber eines Tages hinterrücks überfallen und dabei getötet zu werden? Ihr wurde bewusst, dass dies ein Schicksal war, was sie nicht wollte. Aber was genau stellte sie sich eigentlich in ihrem Leben vor? Waren die letzten Jahre die Erfüllung ihrer Vorherbestimmung gewesen? Fersen und André hatten beide ihr Schicksal selbst bestimmt, indem sie sich dafür entschieden hatten wieder nach Frankreich zurückzukehren. Aber Oscar selbst trat auf der Stelle und das seit vielen Jahren. Stumm und ohne Widerrede hatte sie die Handlungen vollbracht, die alle Welt von ihr erwartet hatten, ohne dabei selbst je zu realisieren, dass es möglicherweise nicht das war, was sie wirklich wollte. In ihrem gepolsterten Stuhl lehnte sie sich nach vorn und betrachtete ihre Hände. Unverkennbare grazile Finger streckten sich der Flamme im Kamin entgegen, um sich daran zu wärmen. Von hinten legte sich ihr dunkelroter Mantel um die Schultern und schmiegte sich leicht an ihren Rücken, um ihr unterdrücktes Zittern des Leibes zu mindern. Plötzlich ward Oscar aus ihren Gedanken gerissen und erkannte André neben sich, der ihr den Mantel gebracht und um ihren Körper gelegt hatte. Im schwachen Schein des Lichtes wirkte er müde und blass, aber trotz allem lächelte er ihr entgegen und bereits in diesem Moment schwand augenblicklich in Oscar die Anspannung und Nervosität, die sie Tage zuvor in seiner Gegenwart gespürt hatte. Mit einem Male schien alles unbedeutend, bis auf diesen einen Menschen, der vor ihr stand. Langsam kniete er sich zu Boden, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein „Es ist sehr kalt draußen geworden. Dieses kleine Feuer im Kamin wird dich nicht länger wärmen...“, gab er seine Sorgen kund und blickte daraufhin in die zuckenden Flammen. Während sie seine stummen Blicke musterte, flüsterte sie nur einsilbig „Danke“ und wies damit auf den von ihm gebrachten Umhang. Einen Moment lang herrschte unüberwindbare Stille zwischen ihnen, die Oscar sehr unangenehm erschien. Sie spürte bereits, dass André ihr etwas wichtiges mitteilen musste. Sie erkannte es an dem Runzeln in seiner Stirn. Manche Gewohnheiten hatten sich auch bei ihm nicht geändert. „Oscar“, brachte er schließlich schwerfällig hervor und hielt seinen Blick fest gebannt auf den Kamin „Fersen ist eben nach Versailles geritten. Er hielt es für besser, seine Rückkehr doch bei Hofe kund zu tun...“ Nun, damit hatte Oscar nicht gerechnet. Noch bis vor kurzem wollte Fersen in jedem Falle vermeiden, dass Antoinette von seiner Wiederkehr erfuhr und nun, brach er mitten in der Nacht in der eisigen Kälte auf, um Versailles zu erreichen. Oscar ahnte, dass diese Entscheidung Fersens auf das Gespräch mit André vor einigen Tagen zurückfiel und wieder war deutlich, dass Fersen sein Schicksal annahm. Gedankenverloren hatte sie auf diese Nachricht hin genickt und nach Ansicht Andrés wirkte sie dabei trauriger als je zuvor. Wie konnte er ahnen, dass dies nicht auf die Abreise Fersens, sondern auf ihr eigenes undurchdringliches Leben hin geschah? Stattdessen empfand es André als erneute Zustimmung, dass sie Fersen noch immer liebte. Erst jetzt als er sich ihr wieder zuwandte, erkannte er die leicht glitzernde Tränenspur auf ihrer Wange und er glaubte den Beweis dafür zu sehen, wie sehr sie Fersen liebte. „Oscar“, seine Stimme klang beinahe wehleidig. In gewisser Weise fürchtete er nun um seine nächsten Worte. Ihn überkam die Angst, dass seine gefällte Entscheidung möglicherweise falsch sein konnte. Aber er wusste, dass er keine andere Zukunft vor sich hatte. Ihre tiefblauen Augen richteten sich gedankenverloren auf ihn. „Ich weiß nicht genau, wie ich...“, er setzte ab und drehte sich mit seinem Körper zu ihr und lehnte sich dabei näher zu ihr, indem er seine Hände an die Seiten ihres Stuhles legte. Oscar war augenblicklich über sein Handeln überrascht. Hatte sie versucht in den letzten Wochen Kontakt zu ihm zu suchen, so tat er dies nun, als wäre es seit jeher selbstverständlich für sie einander so nahe zu sein. Schließlich sprach er weiter „Ich würde dir so gerne sagen, was ich für dich empfinde... Schon seit wir Kinder waren, sah ich nur dich. Ich glaubte oft dich besser zu kennen, als mich selbst und es hat mich glücklich gemacht in deiner Nähe sein zu dürfen...“, er schloss kurz die Augen um alte Kindheitserinnerungen in sich wach zu rufen. Zu sehen wie sie über die weiten Wiesen gelaufen waren und versuchten sich gegenseitig einzufangen; wie sie des nachts in den Stall hinausgeschlichen waren um sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass es keine Geister gab. Noch heute, selbst jetzt in diesem Moment vernahm er ihr helles kindliches Lachen; doch das Bild schwand und er wusste, dass er weitersprechen musste „Aber dann waren wir älter geworden und ich sah, dass du von Jahr zu Jahr schöner wurdest und ich mehr und mehr die Aufgabe übernehmen musste, die mir als Diener der Adligen zukam. Ich war zu deinem Schatten geworden, ohne dass du dies bemerkt hattest. Stattdessen hast du die Gefühle, die ich dir entgegengebracht hatte, für einen anderen empfunden...“, André sah, wie Oscar daraufhin zusammenzuckte und etwas erwidern wollte, doch er ergriff sofort wieder das Wort; eindringlich aber bedacht „Bitte... lass mich aussprechen... Es sind Gedanken, die mich seit Jahren begleitet haben, die mich den Krieg in Amerika überlebt haben lassen; ich bitte dich nicht darum sie zu verstehen, sondern nur darum mir zuzuhören“, ohne es zu bemerken hatte er dabei ihre Hände ergriffen, die zusammengefaltet in ihrem Schoss gelegen hatten. Sie fragte sich, weshalb plötzlich diese unerträgliche Spannung zwischen ihnen aufgekommen war und sie wusste, es lag daran, dass er ihr Geständnisse preisgab, die er womöglich nicht gesagt hätte, wenn er nicht eine schwerwiegende Entscheidung für sein Leben getroffen hatte. Sie sah ihn vor sich, berührte ihn und dennoch glaubte sie, dass sie kilometerweit voneinander entfernt waren. „Als ich sah, dass du dich in Fersen verliebt hattest, glaubte ich, dass meine Welt für mich endete. Nacht für Nacht fragte ich mich, weshalb Gott es zuließ, dass ich dir niemals nahe sein dürfte. Verzweiflung und Ausweglosigkeit die ich empfand, schürten die Angst in mir, dass ich eines Tages das besitzen wollte, was ich niemals haben könnte... Verstehst du es, Oscar? Ich hatte Angst, dass meine Gefühle für dich irgendwann hervorbrechen würden und ich nicht Herr meiner Sinne sein könnte. Ich hatte Angst dich irgendwann zu verletzen...“, noch bevor er zu dem eigentlichen Punkt hinauskommen konnte, wusste Oscar bereits jetzt, dass dies der wirklich und einzige Grund war, weshalb er sie vor so vielen Jahren in Frankreich zurückgelassen hatte; weshalb er sich über Nacht für das Soldatenleben entschieden hatte. Es war nicht Fersen gewesen oder der Drang danach mehr im Leben zu vollbringen, als Diener der Adligen zu sein. Einzig und allein sie war der Grund gewesen. Er hatte ihr nicht weh tun wollen und allmählich begann sich Oscar zu fragen, was sie wohl als tieferen Schmerz empfunden hätte, hätte sie beide Möglichkeiten gekannt. Wäre das mögliche Leid, dass er ihr bei seiner Anwesenheit zugefügt hätte, größer gewesen, als das Leid, dass sie während seiner Abreise empfunden hatte? Sie fühlte sich hilflos und fand keine Antwort hierauf. Auch wenn sie es versuchte, so konnte sie den Schmerz und das Leid, welches er mit dem Fortgang ihrer beider Freundschaft angetan hatte nicht einfach wegwischen. Und sie erkannte: Egal welche der beiden Möglichkeiten geschehen wäre, André hätte sie verletzt und es war nun an ihr, ob sie ihm diesen Fehler verzeihen konnte oder nicht. „Meine Zeit in Amerika war unwirklich und schleierhaft gewesen und Tag für Tag hatte ich von Neuem versucht dich zu vergessen...“, als Oscar diese Worte aus seinem Munde vernahm, traf sie wieder ein schwerer Schmerz in ihrer Brust. Aber es war nicht die Wut darüber, dass er sie vergessen wollte, vielmehr empfand sie sein Leid, was er zu dieser Zeit durchlitten hatte und ohne es verhindern zu können, traten Tränen in ihre Augen, die sie mit aller Macht zurückhalten wollte. André sah es, dennoch sprach er leise weiter „ Aber ich konnte dich nicht vergessen, Oscar... Man schickte mich zurück nach Frankreich und alles was ich wollte, war, dich wiederzusehen und dir endlich zu sagen...“, er blickte sie an und seine Augen wurden plötzlich sanft und unergründlich „wie sehr ich dich liebe...“. Die Tränen waren unaufhaltsam. Lautlos bekämpften sie ihren inneren Widerstand und traten zu Tage. Es war wie eine Befreiung für sie. Doch sie konnte nicht wissen, dass es nur für diesen kurzen Augenblick währen sollte, da sie seine Stimme wieder vernahm, die zitternd sprach „Ich werde zurück nach Amerika gehen...“ War alles ein Traum? Erwachte sie jeden Augenblick in ihrem Himmelbett und realisierte, dass er noch immer bei ihr war? Nein. Sie musste ehrlich zu sich sein. Sie hatte seine Worte genau vernommen und erkannte, dass sie richtig mit ihrem Gefühl gelegen hatte. Dass er heute Abend zu ihr gekommen war, um ihr seine Entscheidung, welche er in den letzten Tagen für sein zukünftiges Leben gefällt hatte, mitzuteilen. Sein Weg führte ihn nach Amerika zurück und in gewisser Weise verstand sie es sogar. Scheinbar war auch dies Vorherbestimmung gewesen. Sie entzog ihre Hände seinem sanften Griff und legte sie an ihre Augen. Sie wollte nicht, dass er sah, dass ihr Weinen stärker wurde. Er gewährte ihr einen Moment um sich zu fassen und beobachtete ihre zitternde Haltung. Es war für ihn unerträglich sie so zu sehen; zu sehen, wie sehr sie ihn als Freund brauchte. André wusste nicht, dass sie ihn längst liebte; selbst Oscar wusste es noch nicht. Aber es würde bald zu spät sein. „Als der Krieg mich verschont hatte, habe ich begriffen, dass ich mein Leben nicht wegwerfen kann; dass es einen Grund gab, weshalb ich am Leben geblieben war und ich habe in der Zeit, seit ich wieder bei dir bin, erkannt, dass du glücklich sein kannst, wenn du es willst. Ich habe verstanden, dass ich mit dir keine Zukunft haben kann. Ich liebe dich so sehr, dass ich möchte, dass du glücklich wirst, was du scheinbar nur ohne mich sein kannst, da ich dir zuviel Leid zugefügt habe. Um das zu erkennen, blieb ich auf dieser Welt; um zu erkennen, dass alles andere unwichtig ist, außer du... Und dass es nur wichtig ist, dass du glücklich wirst, Oscar“, er nahm langsam ihre Hände, um wieder ihr wunderschönes Antlitz erblicken zu können. Ihre Augen glitzerten von den vielen Tränen, die sie vergoss, ihre Wangen waren gerötet und wieder einmal war er dafür verantwortlich. Entgegen seinem derzeitigen Gemütszustand, lächelte er leicht „Wie gern würde ich dich bitten, mit mir nach Amerika zu kommen... So wie dieses Land eine neue Zukunft zu erschaffen und ein neues Leben zu beginnen...“, er hatte gewollt, dass sie seinen Wunsch hörte, aber seine Hoffnungen waren gänzlich verloren, da er nicht daran glaubte, dass Oscar diesen Schritt mit ihm gemeinsam gehen würde. Ihr starrer Blick ruhte auf ihm und sie blieb stumm. Sie verinnerlichte sein Worte und die Bedeutung, die für sie beide daraus resultierte. Die Zeit war gekommen, an dem sie ihrem Schicksal entrinnen konnte. Aber sie antwortete nicht. Zuviel Angst des Unerwarteten griff nach ihr und füllte sie aus. Sie fühlte sich zu diesem Schritt nicht bereit... André hatte vermutet, dass sie sich gegen ihn entscheiden würde. Ihr Leben war zu sehr von Etikette und dem Drang nach Militär bestimmt. Sie könnte sich nicht einfach aus der Familientradition verabschieden. Er hatte es schon gewusst, bevor er zu ihr in den Salon gestoßen war. Dennoch sollte sie wissen, welche Entscheidung er gefällt hatte. So sollte es sein. Andrés und Oscars Schicksal schien damit besiegelt. André würde nicht den gleichen Fehler ein weiteres Mal begehen und sein Leben wegwerfen. Er wusste, dass er sie immer lieben würde. Aber er wusste auch, dass er sie niemals haben konnte. Und dass es einen Grund gab, weshalb er das Land Amerika gesehen hatte. Es bot ihm die Möglichkeit ein neues Leben zu beginnen und vielleicht, aber nur vielleicht, würde er irgendwann einmal über den Schmerz hinwegkommen. Tief im Inneren wünschte er sich nichts mehr als alles andere, dass sie mit ihm käme, aber es wäre nur ein Trugbild gewesen. Seine Hand legte sich an ihre Wange, während er sich ihr näherte. Ihre Augen waren noch immer starr und schienen nicht zu realisieren, was geschah. In seinem ganzen Leben hatte er gehofft, dass dieser Moment unter anderen Umständen zwischen ihnen entstehen würde. Aber scheinbar war dies die einzige Möglichkeit, seinen allerletzten Wunsch umzusetzen. Er spürte, wie ihre blonden Locken durch seine Finger glitten und er sah, wie sich das Flackern des Kaminfeuers in ihren Augen wiederspiegelten. Schließlich hatte er sie erreicht und berührte sanft ihre Lippen, um sie zu küssen. Er schmeckte das Salz ihrer Tränen und bemerkte in diesem Augenblick, dass auch er weinte und sich ihre Tränen miteinander vermischten. Ganz kurz glaubte er, seinen Kuss von ihr erwidert zu spüren, aber er sah, dass ihre Augen noch immer leer und starr wirkten, was ihm allen Mut nahm. Nur einmal hatte er sie küssen wollen... Als er sich von ihr löste, strich er noch einmal kurz über ihre Wange und flüsterte „Du ahnst nicht, wie schön du wirklich bist...“, und in diesem Moment bemerkte er eine Regung in ihr und als er wieder in ihre Augen blickte, erkannte er, dass sie seinen Blick erwiderte; traurig und unglaublich verletzt. Endlich nach all der langen Zeit hatte er ihr sein Herz geschenkt. Mit seinem Geständnis, dass er sie liebte, würde er auf ewig ihr verfallen sein. Er würde niemals wieder eine Frau finden, die er lieben könnte. Er erhob sich aus seiner knienden Haltung und warf einen dunklen Schatten über sie, da das Kaminfeuer in seinem Rücken flackerte. Mit dem Gang aus diesem Salon, würden sich ihre beider Wege für immer trennen. „Adieu...“ Er wusste nicht, ob seine Stimme dieses Wort ausgesprochen hatte oder ob es nur in seinen Gedanken erklungen war. Aber er drehte sich ein letztes mal zu ihr und erkannte, dass auch sie ihm nachgesehen hatte. Und da bemerkte er etwas anderes in ihren Augen, was er nicht recht deuten konnte. Und merkwürdigerweise bewegte es ihn zum Lächeln. Sie würde sein Herz auf ewig haben; und auch die Zeit darüber hinaus. *** Spät in der Nacht saß Oscar in fahlem Kerzenschein in ihrem Gemach. Seit einer langen Zeit schon lagen ihre Finger an ihren Lippen und beschworen von neuem das Gefühl herauf, was sie bei Andrés Berührung empfunden hatte; Geborgenheit und Wärme. Dinge, die sie selten in sich aufgenommen hatte. Bereits seit einigen Stunden war André zum Hafen aufgebrochen. Und wieder einmal hatte sie nichts unternommen, um ihn davon abzuhalten. Zum zweiten Male in ihrem Leben beging sie den gleichen Fehler. Dieses Mal glaubte sie nicht die anbrechende Zeit überstehen zu können. Ihr Kopf fühlt sich schwer an und ihr Verstand schien unwillig ihr eine Antwort auf all ihre Fragen geben zu können. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Augenblicklich fühlte sie sich einsam, unentschlossen und zutiefst verletzt. Wie sollte sie ihr weiteres Leben gestalten, wenn sie jetzt nicht einmal wusste, ob sie dieses Leben in Frankreich wollte? „Ich kann nicht glücklich werden, André...“, murmelte sie vor sich her und gestand sich ein, dass ihr gesamtes Leben ein Fiasko war. Im Alter von vierzehn hatte sie sich für die Garde Royale entschieden, um die Tradition der Familie fortzuführen. Und ganz plötzlich drangen diese Gefühle einer Frau in ihr hoch, die sie über all die Jahre hinweg versucht hatte zu leugnen. Mit diesen Gefühlen konnte sie nicht umgehen, sie schienen ihre gesamte Persönlichkeit umzuwandeln, sodass sie nicht mehr genau wusste, wo sie eigentlich hin gehörte; wer sie selbst überhaupt war. Das einzige was sie noch spürte war Verzweiflung darüber allein zu sein. Für immer... Ruckartig stand sie auf und ging zu ihrem halb hohen Schrank unterhalb des Spiegels, auf welchem ihr Schwert lag. Einen der Schieber der Kommode zog sie heraus und nahm ein Stück Pergament heraus. Darin befand sich auch ein Tintengläschen mit dazugehöriger Feder. Die kommende Mitteilung war kurz und schnell verfasst. Die weiße Feder kratzte auf dem Papier, als sie lediglich die Worte „Für Graf von Fersen“ schrieb. Danach faltete sie das Pergament geschickt, damit sie ihr Anliegen für Fersen noch mit hineinlegen konnte. Während sie das gefaltete Papier betrachtete, hob sie ihre Hände zu ihrem Nacken empor, um den Verschluss ihrer silbernen Kette zu lösen und sie von ihrem Hals gleiten zu lassen. Als sie daraufhin das Schmuckstück begutachtete, erinnerte sie sich an das Wiedersehen mit André zurück und daran, wie er ihr die Kette zurückgegeben hatte. Tag und Nacht hatte er sie vermutlich in Amerika bei sich getragen und sie fragte sich, wo diese winzige Kleinigkeiten wohl überall in Amerika getragen worden war. Sie empfand es als richtig, dass sie Fersen diese Erinnerung vermachte und sie glaubte, dass wohl auch André an ihrer Stelle derart gehandelt hätte. Sie hatte keine Zeit mehr um sich zu verabschieden. Von wem auch? Es würde sie niemand mehr vermissen... Vorsichtig legte sie das silberne Kettchen in den provisorischen Umschlag und versiegelte ihn mit Kerzenwachs. Danach blickte sie hoch; direkt in ihr Spiegelbild. Sie war blass und dünn und erinnerte sich, dass sie schon einmal so ausgesehen hatte. Damals, kurz nach ihrer Audienz bei Ihrer Majestät, als sie den Weg zum Fluss gesucht hatte. Sie fühlte sich wie damals... Sie war verloren und einsam und nichts könnte mehr daran etwas ändern, wenn sie nicht endlich ihr Schicksal bestimmte. Und so hob sie ihre Hand langsam zu ihrem Schwert, welches vor ihr lag, glänzend poliert und funkelnd, wie sie es damals am Fluss getan hatte. Als sie den Griff der Klinge in der Hand spürte, war sie endlich bereit ihr Schicksal anzunehmen... Epilog: Epilog -------------- „William?! Wo warst du nur so lange? Ich hatte dich schon überall gesucht“, lächelnd lief die schwarzhaarige Schönheit auf ihren Freund zu und erkannte erst spät, dass er reglos zu Boden herabschaute. Als sie nach seinem Arm griff und er sich noch immer nicht rührte, folgte sie seinem Blick nach unten. Inmitten der vielen Gräber schien William einen Grabstein erblickt zu haben, der seine besondere Aufmerksamkeit auf sich zog. Noch früh am Morgen hatte Donna geglaubt, dass der Ausflug eine gelungene Abwechslung für sie beide neben der Arbeit bot. Sie hatten sich für die Gedenkstätte in Fort Stanwix im Staate New York entschieden, da heute eine Aufführung zum Unabhängigkeitskrieg des 18. Jahrhunderts stattfand. Von vielen Freunden und Bekannten hatten sie gehört, dass die leibhaftigen und realen Aufführungen sehr gut ausgestaltet waren. Normalerweise verherrlichte Donna Gewalt und Krieg keineswegs, aber ein Stück Amerikanische Geschichte zu sehen, empfand sie doch als äußerst interessant. Allmählich machte sich Unmut in ihr breit, da ihr Freund sie scheinbar nicht beachtete. Unruhig zupfte sie weiter an seinem Ärmel „Was ist nur mit dir?“ Nachdem die Aufführung über die Wirrungen und Kämpfe des Krieges beendet waren, hatten sich Williams und Donnas Wege kurzzeitig getrennt. Als Donna dann schließlich das Aufführungsareal weiter durchforstet hatte, entdeckte sie noch ein dazu gehöriges Museum, an welches sich eine Gedenkstätte mit annähernd fünf Dutzend Gräbern befand. Sie hatte gar nicht gewusst, dass sich auch hier eine Kriegsstätte in Gedenken an die Soldaten des Unabhängigkeitskrieges befand. Ziemlich am Ende der letzten Reihe von Grabsteinen hatte sie dann schließlich ihren Verlobten entdeckt und war zu ihm gelaufen. Und endlich schien er auch seine Sprache wiedergefunden zu haben „Dieser Name hier“, und damit wies er auf den Schriftzug der sich in goldenen Lettern auf dem Steinkreuz befand „Ich glaube, dass dies der Mann ist, von dem mein Großvater sagte, dass sein Urgroßvater mit ihm im Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte...“ Nun beugte sich Donna nach vorn, um den Namen lesen zu können. Sie verstand dennoch die Aufregung ihres Verlobten nicht so ganz „Jacques Lumaire“, murmelte sie leise und begann sich zu wundern „Aber das ist ja ein französischer Name?“ „Richtig, Donna“, kam daraufhin nur die einsilbige Antwort „Großvater erzählte mir als kleines Kind, dass sein Urgroßvater Franzose war und im Krieg für die Amerikaner eingetreten ist“, erzählte William weiter und Donna wurde hellhörig „Stimmt, jetzt wo du es sagst, klingt dein Nachname ‚Grandier’ auch sehr französisch“, schlussfolgerte Donna und runzelte die Stirn, dann begann sie zu grinsen „Dann bist du ja zu einem gewissen Teil Franzose“, und sie fügte verführerisch hinzu „Franzosen sollen ja bekanntlich die besten Liebhaber sein... Irgendwie kann ich das nur bestätigen“, und mit dieser Aussage konnte sie William nun doch wieder ein Lächeln abringen. Doch dann wurde sie erneut neugierig „Wie kommt es aber, dass Lumaire einen Platz unter der Gedenkstätte erhalten hat, sogar mir Schriftzug?“, diese Frage war tatsächlich berechtigt gewesen, schließlich waren die genauen Zahlen der Opfer des Krieges im 18. Jahrhundert nicht bekannt und vielfach wurden Kriegsstätten in Gedenken aller Opfer errichtet ohne diese genau zu benennen. Nur die wichtigsten Leute, wie Generäle oder andere führende Köpfe dieser Zeit, war die Ehre zuteil geworden mit Namen auf Gedenkstätten benannt zu werden. Aber William wusste, weshalb Lumaire eine solche Ehre erhalten hatte „Großvater meinte, dass sein Urgroßvater damals nichts unversucht ließ, um eine solche Grabstätte für Lumaire zu erhalten. Es muss wohl sehr lange gedauert haben, bis man in New York den Entschluss fasste Lumaire eine solche Ehre zuteil werden zu lassen. Großvater sagte immer, dass Lumaire derjenige war, der seinen Urgroßvater im Krieg gerettet hatte und ihn dazu brachte zu seiner Geliebten nach Frankreich zurückzukehren...“, murmelte er gedankenverloren und hielt dabei seinen Blick starr auf das Grab gerichtet, ohne dabei jedoch sein verträumtes Lächeln zu verlieren, das auf seinen Lippen entstanden war. Aber Donna schüttelte verwirrt den Kopf „Das verstehe ich aber nicht... Hast du mir nicht einmal erzählt, dass deine Familie seit dem Unabhängigkeitskrieg an ein und demselben Ort lebte?“ William wandte sich ihr zu „Ja, das stimmt auch. Mein Ur-Ur-Ur-Großvater – ich hoffe, ich habe richtig gerechnet – kehrte nach kurzer Zeit nach Amerika zurück“ „Zusammen mit seiner Geliebten?“, plötzlich klang Donna als wäre sie einem Romantikfilm verfallen und blickte William mit großen runden Augen an. Er musste über diesen Anblick lächeln „Nein, leider nicht...“ „Ohhhh nein...“, kam es traurig von Donna und schnell waren alle romantischen Träume verflogen. William nahm daraufhin ihre Hand und fügte schnell hinzu „Sie war ihm aber gefolgt und leider erst eine Woche später in New York angekommen, weil sie heftigen Seegang auf dem Atlantik während der Überfahrt hatten...“ „Ach, du machst Witze?“, so recht wollte Donna ihm diese Geschichte nicht glauben. „Ich schwöre es bei meiner französischen Herkunft. Nach den Erzählungen meines Großvaters zu urteilen, würde ich sonst nämlich nicht hier vor dir stehen“, erklärte William ernst und Donna wusste sofort, was er damit meinte. Scheinbar hatte sein Vorfahre zur damaligen Zeit das Herz an seine Geliebte verloren und hätte wohl niemals eine andere Frau in sein Leben gelassen. Irgendwie erwärmte diese Familiengeschichte ihr Herz und innerlich war sie glücklich darüber zu hören, dass solche Art von Liebesmärchen tatsächlich in der Welt existierten. Mit Gedanken an diese Erkenntnis, gab sie William einen Kuss auf den Mund und ergriff seine Hand „Komm Geliebter, es wird Zeit nach Hause zu gehen“ und zusammen verließen sie die Gedenkstätte, die mit ihren Geheimnissen und ihrer seltsamen Aura Geschichten zur Realität werden ließ. L´Indépendence – THE END Autorenanmerkung: Sooo, es ist vollbracht! L´Indépendence ist also fertig. Ich hoffe, dass euch das Ende und die gesamte FF gefallen hat. Ich war selbst überrascht, welche Wandlung der Epilog erlitten hat; war er doch ursprünglich ganz anders geplant... Ich möchte mich an dieser Stelle ganz lieb bei Fuu bedanken, aufgrund derer und ihrer Idee die FF entstanden ist! Jaaa, ganz recht! Sie war es, die den Einfall hatte André im Unabhängigkeitskrieg kämpfen zu lassen :) Außerdem möchte ich mich bei Nussi als Beta-Leserin herzlich bedanken! Ich glaube, du hast deinen Job echt super gemacht! Außerdem hast du mir auch bei Schreibblockaden weitergeholfen, dafür danke ich dir! Des Weiteren gilt mein Dank Melly, Stella und Lady Oscar, die mich immer wieder angetrieben haben weiterzuschreiben. Ich möchte mich auch bei euch und auch Chris für eure konstruktive Kritik und aufmunternden Worte bedanken, die mich ebenfalls immer wieder bestärkt hatten weiter an der FF zu arbeiten! Ein extra Dank geht noch einmal an Chris, die so lieb war und das Cover zu meiner FF erstellt hat! Ich liebe es, Chris! Vielen Dank!!! Diese FF war mal eine ganz anderer Art von Story, die ich geschrieben habe und ich kann es noch nicht so recht glauben, dass ich es geschafft habe sie zu beenden... Ich glaube, ich brauche in nächster Zeit etwas Erholung vom FF-Schreiben. Mal schauen, wie lange ich mich an diesen Vorsatz halten kann ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)