Genesung von ZMistress ================================================================================ Kapitel 1: Vorstellungen ------------------------ Megumi Takani stand vor dem Zimmer, zögernd, furchtsam. Sie runzelte die Stirn. Es sah ihr nicht ähnlich, sich so zu benehmen. Die Angst war eine alte Bekannte, mit der sie schon lange gelebt hatte, die sie entweder in die Verzweiflung oder zur Tat trieb. Aber nie hatte sie sie erstarren lassen, sie wie ein hilfloses Reh betäubt. "Megumi-sensei?" erklang Sekihara Saes Stimme neben ihr. "Stimmt etwas nicht?" Megumi schüttelte den Kopf. "Nein, es ist gut. Ich will ihn nur nicht... stören, falls er schläft", sagte sie und krümmte sich innerlich wegen der erbärmlichen und unglaubwürdigen Lüge. Sae nahm ihre Aussage anscheinend für bare Münze. "Megumi-sensei, ich fürchte es ist so wie Sie gehört haben. Himura-san hat seine Augen seit der Nacht des Kampfes nicht geöffnet. Wenn schon irgendetwas, dann wünschte ich Sie würden ihn stören. Es wäre wenigstens etwas. Er hat sich seit drei Tagen nicht bewegt." Damit schob Sae die Tür auf und Megumi bekam Ken-san zum ersten Mal seit er vor Wochen Tokyo verlassen hatte zu sehen. Die Veränderung war beängstigend. Drei Tage. Er war seit drei Tagen in diesem Zustand. "Er stirbt", flüsterte sie und starrte ungläubig auf die bleiche Gestalt, die bewegungslos auf dem Futon am Fenster lag. Sie bemerkte kaum wie Sekihara Sae bei ihren Worten nach Luft schnappte. Bewegung kam wieder in sie und sie durchquerte die endlose Länge des Raums zu Himura Kenshin. Schweiß durchtränkte sein feines, rotes Haar und perlte sich auf seiner Stirn. Die ungesunde Verfärbung seiner Lippen und die Schatten unter seinen Augen waren beunruhigend, aber die stechende Hitze, die seiner Haut ausstrahlte, machte ihr am meisten Sorgen, als sie mit dem Handrücken leicht seine Stirn berührte. Die kreuzförmige Narbe auf seiner linken Wange hob sich in zornigem Rot von der Blässe seiner Haut ab und betonte die entmutigende Reglosigkeit seines sonst ausdrucksstarken Gesichts noch mehr. Megumi kämpfte die Panik nieder, die sie zu überwältigen drohte. Schon auf der Kutschfahrt ins Shirobeko hatte sie sich davor gefürchtet ihre Beherrschung zu verlieren, sollten sich ihre Ängste über Kenshins Zustand bewahrheiten. Zu ihrer eigenen Überraschung war das einzige Anzeichen ihres Kummers die Heftigkeit, mit der sie die Decken des Vagabunden zurückwarf. Sie ignorierte Saes nervös geflüsterte Fragen, was sie tue, und zog vorsichtig Kenshins Yukata auseinander um einen besseren Blick auf die Verbände werfen zu können. Zumindest waren sie von fähiger Hand angelegt. Das hatte sie erwartet, da sie von dem Polizist, der sie hergebracht hatte, gehört hatte, dass die besten Ärzte der Stadt hergerufen worden waren, um sich Kenshins Wunden anzusehen. Diese Ärzte jedoch waren bereits mehr als ausgelastet durch die schiere Zahl der verwundeten Polizisten und hatten nicht die Zeit sich ausreichend um Kenshin zu kümmern, nachdem sie eine Grundversorgung vorgenommen hatten. Okinas Leute hatten annehmbare Arbeit beim Erneuern der Verbände geleistet, wie es ihnen die Ärzte gezeigt hatten, aber sie waren dennoch Amateure und hatten nicht Megumis geübten Blick. Sie hatten zugelassen, dass sich die Wunden entzündeten. Sie war sich dessen sicher, auch wenn sie noch nicht die Quelle der Infektion gefunden hatte. Aus dem Augenwinkel sah sie wie Sae die Decken wieder über Ken-sans schlafende Gestalt legte. "Lass das", befahl sie, ihr Ton schärfer als beabsichtigt. Sie bemühte sich sanfter zu klingen. "Er verbrennt, Sae. Die Decken werden es noch schlimmer machen." Mit schuldbewusstem Blick ließ Sae die Decken fallen als würden sie ihr die Hände verbrennen. Megumi unterdrückte den plötzlichen Drang die andere Frau zu schlagen. Aber nein, das war wie sie wusste unfair von ihr. Sae hatte nichts mit Kenshins Zustand zu tun. Sae war eine wohlwollende Frau, die Kenshin und seine Freunde aus Herzensfreundlichkeit aufgenommen hatte. Und Sae war wirklich eine kompetente und intelligente Frau. Es war nicht Saes Schuld, dass sie nicht wusste wie man mit einem verwundeten Mann umging. "Wie lange dauert es bis die anderen vom Aoiya zurückkommen?" fragte Megumi. "Mindestens ein paar Stunden. Sie kommen normalerweise nicht vor Sonnenuntergang zurück. Sind Sie sicher, dass ich ihnen keine Nachricht schicken soll? Ich bin sicher, dass sie von Ihrer Ankunft so bald unterrichtet werden wollen würden." "Nein", versicherte sie der Frau. "Sie werden früh genug zurück sein. Dann ist noch Zeit genug für Wiedersehensfeiern. Ich brauche Frieden und Ruhe um Kenshin zu untersuchen und ich fürchte, der Enthusiasmus meiner Freunde würde das nicht zulassen." Sae nickte verständnisvoll. "Ich lasse Ihnen die Dinge bringen, um die Sie gebeten haben, sobald alles fertig ist." Sae hatte Megumi verwirrt angesehen als die Ärztin sie zuvor um ihre seltsame Ansammlung von wesentlichen Materialien gebeten hatte, aber sie hatte nur genickt und die Belegschaft des Restaurants losgeschickt das Gewünschte zu bringen. Sae war wirklich eine große Hilfe, dachte Megumi, und fühlte sich etwas schuldig, so kurz angebunden zu ihr gewesen zu sein. Sie musste wirklich ihre Gefühle besser unter Kontrolle bringen. Sie musste vergessen, dass es Ken-san war, der vor ihr lag, musste ihre ärztliche Objektivität zurückgewinnen, durfte nicht vor Frustration und Sorge losschreien. Die Ruhe ihrer Stimme verblüffte sie. "Danke, Sae." Und weil sie spürte, dass es gesagt werden musste: "Es tut mir leid, dass ich unfreundlich war..." "Schon gut, Megumi-sensei. Kümmern Sie sich nur um Ihren Freund", sagte Sae mit einem sanften Lächeln und verließ den Raum. Als sie endlich ungestört war, wandte Megumi dem vor ihr liegenden Mann ihre volle Aufmerksamkeit zu und stählte ihr Herz, bevor sie begann die zahlreichen Bandagen zu entfernen und die entsetzlichen Wunden darunter zu enthüllen. Er war nur ein Mensch, sagte sie sich selbst, während sie sanft seinen Obi öffnete und seine Arme aus den Ärmeln des Yukata befreite. Nur ein Patient, der ihre Hilfe brauchte. Er war nicht der Mann, der sie vor dem Bastard Takeda Kanryu gerettet hatte. Er war lediglich ein schwieriger Fall, den es zu behandeln galt, ein interessantes medizinisches Rätsel, das es zu lösen galt. Er war nicht der gutherzige Mann mit der sanften Stimme, der es schaffte, dass sie sich auch in der aussichtslosesten Situation sicher fühlen konnte... "Ken-san", flüsterte sie, von Furcht ergriffen wegen des Musters frischer Wunden, das sie enthüllt hatte, und voller Traurigkeit über das Netzwerk alter Narben, die bereits seinen Körper bedeckten. Sie starrte auf die blutigen Bandagen und ihr Blick verschwamm zu einem Bild flüssiger Blumen in Rot und Weiß. "Megumi no baka." Sie fuhr sich voller Abscheu für sich selbst über die Augen und begann mit neuer Entschlossenheit die Wunden klinisch distanziert zu untersuchen. Keine offensichtlichen Verletzungen des Kopfes. Das war gut. Die Nähstiche an seinen verschiedenen Wunden waren sauber und gut gearbeitet. Das war auch gut. Die Blutergüsse in seinem Gesicht verblassten. Über den zwei Schnitten an seinem Hals bildete sich Schorf und trotz ihrer Nähe zu den Schlagadern stellten sie keine unmittelbare Gefahr mehr dar. Auch die tiefe Wunde an seiner rechten Schulter heilte. Die Verbrennungen an seiner Brust standen in der Gefahr sich zu entzünden, doch sie schienen im Moment in Ordnung zu sein. Der lange Schnitt über seinen Rücken sah zwar bedrohlich aus, hatte aber ebenfalls begonnen zu heilen, wenn auch langsam. Ihre Hauptsorge galt der tiefen Bisswunde an seinem Hals und der Stichwunde in seiner Seite. Die Haut hatte sich um diese Stellen zu einem zornigen Rot verfärbt und fühlte sich heiß an. Sie hörte, wie jemand hinter ihr den Raum betrat. Die Störung ließ sie verärgert aufsehen. Und dann blinzelte sie überrascht den hochgewachsenen Riesen von einem Krieger an, der mit den Vorräten hereingekommen war, die sie verlangt hatte. Er war nicht die Art Person, von der Megumi erwartet hätte, dass Sae sie schicken würde und sein selbstsicheres Auftreten hielt sie irgendwie davon ab, eine Erklärung für seine Anwesenheit zu verlangen, wie sie es vorgehabt hatte. Statt dessen sah sie in neugierigem Schweigen zu, wie er das verlangte Becken mit abkühlendem abgekochtem Wasser und sterilisierten Tüchern auf den Boden neben ihr setzte. Dazu hatte er eine Auswahl scharfer Messer, Nadeln, Faden und eine kleine Öllampe mitgebracht. Zu ihrer wachsenden Überraschung ging er nicht wieder sondern setzte sich zu ihr und verschränkte die Arme. "Also du bist diese Ärztin, von der jeder redet", sagte er und sah sie mit einem leichten Stirnrunzeln schief von der Seite her an. "Megumi. Takani Megumi", sagte sie betont. "Und Sie sind?" "Hiko Seijuro", sagte er schlicht und starrte geradeaus. Und dabei beließ er es. Als wären diese zwei Worte Erklärung genug. Kapitel 2: Wiedervereinigung im Shirobeko ----------------------------------------- "Hiko Seijuro?" wiederholte sie. "Hiko Seijuro der dreizehnte", stellte er klar. Der Name sagte Megumi überhaupt nichts. Einen Moment später schien dem Mann das schließlich klar zu werden. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich. "Ich bin Kenshins früherer Meister." "Oh, dann waren Sie sein Lehrer." "Ja." "Und Sie waren derjenige, der ihn auf seinen Kampf mit Shishio vorbereitet hat?" "Ja. Dank meinem Training ist seine Hiten Mitsurugi Technik beinahe so perfekt wie meine." Hiko verschränkte die Arme und sah aus dem offenen Fenster. Der Hauch eines selbstgefälligen Lächelns umspielte seine Lippen. Megumi, die so viel Selbstgerechtigkeit kaum glauben konnte, hob eine Augenbraue. Sie hatte nicht gewusst, was sie von Kenshins Lehrer erwarten sollte. Was immer sie sich vorgestellt hatte, sie hatte gedacht, dass er... höflicher wäre. Sie konterte mit einer Frage. "Ich nehme an, Sie wollen bleiben und helfen, Hiko-san?" "Nein ich werde bleiben und dich beaufsichtigen." Arroganter Mistkerl! Megumi schloss kurz die Augen. Ihr Temperament würde sie jetzt nicht weiterbringen. An jedem anderen Tag hätte sie ihm ihr breitestest Füchsinnenlächeln geschenkt und ein paar giftige Spitzen losgelassen. Doch heute war sie nicht in der Stimmung für Spielchen. Der Zustand ihres Patienten war zu dringlich für unreife Streitereien. "Wie Sie wollen", sagte sie mit einem Schulterzucken und versuchte so gut es ging den imposanten Mann zu ignorieren als sie mit ihrer Arbeit fortfuhr. Sie nahm die sterilisierten Tücher und wusch Kenshin vorsichtig von Kopf bis Fuß. Sie ließ seine Haut von dem Wind des späten Nachmittags trocknen anstatt ein trockenes Tuch zu nehmen. Die Luft würde helfen seine Temperatur schneller herunterzukühlen. Sein Fieber war im Moment ihre größte Sorge. Megumi zog eine ihrer Reisetaschen dichter heran und Hiku Seijuro sah mit amüsiertem Interesse zu, wie sie ihre Gläser und Behälter aufstellte. Sie hatte ein kleines Vermögen an Kräutern und Pulvern aus Tokyo mitgebracht. Rokai für die Verbrennungen an Ken-sans Brust. Seiyo-otogiriso gegen die Schmerzen. Eine ganze Anzahl anderer Mixturen mit exotischen, fremden Namen wie Man-tien-hsing um die Wundheilung zu unterstützen und Daruharida gegen Fieber. Sie nahm ein kleines Gefäß mit einem besonderen Gemisch aus ihrer Tasche. Es war die selbe wertvolle Salbe, die sie Kaoru für Kenshin mitgegeben hatte. Es war eine Weiterentwicklung einer von Gensai-senseis Formeln, die sie mit Zutaten aus den Rezepten ihrer eigenen Familie ergänzt hatte. Sie trug die Salbe systematisch auf Kenshins Wunden auf. Während ihrer Bemühungen blieb das Gesicht des Rurounis besorgniserregend regungslos. Kein Zucken, kein Schimmer einer Bewegung. Sogar als sie die Bissstellen reinigte und den Eiter herausdrückte, war Kenshin zu weit fort um etwas zu spüren. Je mehr sie tat, desto besorgter wurde sie. "Er ist zu ruhig, nicht wahr?" sagte Hiko und riss sie aus den grausigen Gedanken. Die Sorge des Schwertkämpfers spiegelte augenscheinlich ihre eigene wider. "Ja, das ist er", stimmte sie zu. "Was tust du jetzt?" fragte er, als sie ein kleines Messer nahm und begann, die Naht in Kenshins Seite aufzuschneiden. "Ich öffne das", antwortete sie, froh eine theoretische Frage beantworten zu können, etwas zu haben, das sie von der Verzweiflung ablenkte, die am Rand ihrer Gedanken kauerte. "Da ist ein Entzündungsherd unter der Oberfläche, der heraus muss. Es kann sonst nicht gut heilen." "Aber die Wunde hat doch schon begonnen zu heilen." "Ja, an der Oberfläche, aber darunter nicht. Vertrauen Sie mir, ich habe das schon zu oft gesehen. Die Infektion eitert hier drunter, sehen Sie? Und dann geht es ins Blut. Das können wir nicht zulassen, also schneide ich die Wunde wieder auf." "Du... du tust was?" Zur Antwort zog Megumi das kleine Messer über die Spur der Wunde und öffnete sie wieder. Ein kleiner Strom Eiter und Blut floss aus der Öffnung in eine kleine Schüssel, die sie darunter hielt. Als der Strom versiegte reichte sie die Schüssel dem Schwertkämpfer, der dasaß und mit leicht grünem Gesicht daraufstarrte. Jetzt war Megumi an der Reihe selbstgefällig zu grinsen. Sie hatte nur zu oft kampfgestählte Krieger beim Anblick einer infizierten Wunde zusammenbrechen sehen. Mit frischem Blut kamen sie zurecht. Mit einer Schüssel Eiter nicht. "Ich glaube, ich lasse die Wunde lieber offen. Sie soll von innen ausheilen, so dass sich keine weiteren Eiterherde bilden", fuhr sie fort. Sie nahm eines der sterilisierten Tücher und tauchte es in das Wasser und eine ihrer Salben. Dann drückte sie es gegen die offene Wunde in Kenshins Seite. "Hiko-san, würde es Ihnen etwas ausmachen mir mal zu helfen?" fragte sie und war froh als sie sah, dass der Schwertkämpfer etwas von seiner hochmütigen Kühle verloren hatte, und ihr nun freiwillig half indem er Ken-sans Kopf stützte und ihn bei den Schultern hob. Dann konnte Megumi saubere Verbände um Ken-sans Taille wickeln. Sie bemerkte, dass Hiko trotz seiner schroffen Art sehr sanft mit Ken-san umging und darauf achtete, die Wunden des Rurouni nicht zu berühren. "Ich muss zugeben, Frau", sagte Hiko nachdenklich während sie arbeiteten, "Ihr seid ein weit fähigerer Arzt als Ihr ausseht." Megumi biss sich auf die Lippe und entschied diese Aussage als aufrichtiges Kompliment anzunehmen. "Danke." Er sah aus dem Fenster. "Die Sonne geht unter. Eure Freunde werden bald zurück sein." Er schien eine völlig andere Person zu sein, als der Mann, den sie vor gerade mal einer Stunde getroffen hatte. Megumi ließ es darauf ankommen und entschied sich eine etwas persönlichere Frage zu stellen. "Warum sind Sie wirklich hier, Hiko-san? Warum, wenn Sie mir die Frage gestatten, helfen Sie nicht bei den Reperaturen des Aoiya wie die anderen?" Seine Augen wurden schmal, als überlege er ob er ihr antworten solle oder nicht. Megumi hatte es nicht für eine sonderlich unhöfliche Frage gehalten, aber dieser Mann schien außerordentlich vorsichtig dabei zu sein, wieviel er preisgeben sollte. Sein Unwillen sich mitzuteilen erinnerte sie so sehr an einen gewissen Rotschopf... Oder es war andersherum, wenn man bedachte wer der Lehrer und wer der Schüler war. Megumi wurde mit Ken-sans letztem Verband fertig und legte den Yukata um seine Schultern. Hiko legte den kleinen Rurouni zurück auf den Futon. Der große Mann starrte eine lange Zeit auf Kenshin hinab und schwieg während Megumi begann ihren Arbeitsplatz aufzuräumen. "Weil ich mehr Grund habe, mir Sorgen zu machen", sagte er. "Kenshin war acht Jahre alt als ich ihn fand." Hiko sprach langsam, als mache ihm jedes Wort Mühe. "Aber in allen Belangen, die eine Rolle spielen, betrachte ich ihn als... meinen Sohn." Megumi hielt inne in dem, was sie tat. Das war nicht die Art Antwort, die sie erwartet hatte. Sie war nicht sicher, wohin dies führen würde, aber Megumi hatte das Gefühl, Zeuge eines seltenen Ereignisses zu sein. Wenn Kenshin wirklich einige seiner Eigenarten von Hiko gelernt hatte, dann vermutete sie, dass dieser Mann seine Gedanken für sich behielt wie es Ken-san auch oft tat. Megumi hätte gewettet, dass sich Hiko höchst selten anderen so anvertrauen würde wie er es gerade getan hatte. Megumi wusste nicht, warum er sich ausgerechnet sie dafür ausgesucht hatte, aber sie blieb still, da sie den Moment nicht stören wollte. "Ich kenne den Tod, Megumi-sensei", sagte er sachlich. "Ich bin mit ihm in all seinen Formen vertraut. Ich weiß, wenn er nahe ist, wenn er droht. Ich sehe seinen Schatten über dem Gesicht meines Schülers und der Anblick lässt mir das Blut gefrieren." Sein Tonfall hatte sich völlig geändert, dachte Megumi. Und sie atmete tief ein als sie begann Hiko Seijuro den dreizehnten zu verstehen. Für diesen Mann war Arroganz das, was die Albernheiten des Rurouni für Kenshin waren. Hikos Arroganz war ein Schild, eine Fassade, die er dem Rest der Welt zeigen konnte, eine Mauer hinter der er einen tieferen Schmerz verstecken konnte. "Okina weiß wovon ich spreche", fuhr er fort. "Bis zu einem gewissen Grad auch Shinomori. Aber die Jungen, die Unschuldigen, die sich an die Bakumatsu kaum erinnern. Sie haben keine Ahnung. Sie sehen meinen Schüler mit idealistischer Hoffnung an, sicher in dem Wissen, dass er der Stärkste ist, dase er unverwundbar ist. Sie glauben wirklich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er sich erholt, und dass es ihm schon wieder besser gehen wird, wenn man ihm nur die Möglichkeit gibt, sich auszuruhen." Er runzelte die Stirn und strich abwesend eine Strähne von Kenshins Haar fort. "Baka deshi..." Sein sanfter Tonfall strafte die Bedeutung dieser Worte Lügen. "...Ein Vater sollte nie seinen Sohn zu Grabe tragen, Megumi-sensei. Es sollte anders herum sein." Er blinzelte als würde ihm plötzlich bewusst, dass er zuviel gesagt hatte. Er räusperte sich. Ein Hauch des selbstgefälligen Lächelns kehrte zurück. "Aber jetzt, da ich Euch in Aktion gesehen habe, Megumi-sensei, glaube ich, dass ich etwas dieser idealistischen Hoffnung selbst verspüren kann." "Aber ich weiß nicht, ob ich Erfolg haben werde", gab Megumi zu. "Das werdet Ihr." "Woher wollen Sie das wissen?" "Weil ich, Hiko Seijuro, der dreizehnte, das sage", sagte er nur. "Ich bin ein Meister darin, Talente einzuschätzen. Und Ihr habt, wie ich beschlossen habe, mehr als ein Durchschnittsmaß davon." "Oh, ist das so?" sagte sie in einem fröhlicheren Tonfall und zwang bewusst Hoffnung in ihren Geist. "Ich liege nie falsch", meinte er trocken. Megumi gluckste gegen ihren Willen. Und hörte plötzlich auf, als sie von der Straße unten ein Geräusch hörte. Megumi eilte zum Fenster und sah auf den Markt hinab. Das plötzliche Aufwallen von Gefühlen erwischte sie unvorbereitet, obwohl sie Freude erwartet hatte. Vielleicht lag es an der ungewohnten Wahrnehmung, auf die ganze Welt von der Höhe eines Fensters im zweiten Stock hinabzusehen. Oder vielleicht auch nicht. Die Wahrheit war, dass sie sie alle in den vergangenen Wochen vermisst hatte, nicht nur Ken-san. Ihr Blick verschwamm als sie die vertrauten Gestalten die Straße herunterkommen sah. Gockelkopf. Pferdeschwanz mit indigoblauem Haarband. Und ja, sogar der kleine stachelhaarige Junge inmitten einer Gruppe Fremder, von denen sie annahm, dass sie Mitglieder der Oniwabanshu waren. "Wir können genauso gut auch hinunter gehen", sagte Hiko, dessen Gesichtsausdruck wieder gelassene Arroganz zeigte. "Mein baka deshi läuft uns nicht weg und Ihr habt für heute alles, was Ihr könnt, für ihn getan." Megumi nickte und ging die Treppe hinab. Sae öffnete bereits die Vordertür als Megumi den Fuß der Treppe erreichte. Ihr Freunde erstarrten für einen Moment in der Tür als sie sie sahen. Und dann als bräche ein Damm... "Megumi! Du bist hier!" rief Yahiko mit einem Mangel an Zurückhaltung, der für sein Alter typisch war. Er sprang auf sie zu und schlang seine kurzen Arme um ihre Taille. Sie lachte, doch drohten Tränen sie wieder zu überwältigen als sie den Jungen ebenfalls fest an sich drückte. Sie wandte sich um als sie eine Berührung am Arm spürte und sah Kaoru, die sie mit großen Augen und einem breiten Grinsen betrachtete und ebenfalls weinte. Und schließlich umschlang sie etwas rau ein Arm, als Sagara Sanosuke, der große, wundervolle Idiot, ein enthsiastisches "Füchsin!" losließ und so zudrückte, dass er sie an die beiden anderen quetschte. Sie hatte lange nicht so gelacht. Nicht seit sie sie alle vor so vielen Wochen verlassen hatten. Und als sie nach oben zu dem Zimmer blickte, in dem Kenshin schlief, hörte sie in ihren Gedanken das Echo von Hikos Worten: "Sie sehen meinen Schüler mit idealistischer Hoffnung an, sicher in dem Wissen, dass er der Stärkste ist, dase er unverwundbar ist." Umgeben von ihren Freunden und mit Hikos Vertrauen in ihre Fähigkeiten... Vielleicht konnte sich Takani Megumi dieser Hoffnung auf den Rurouni anschließen. Ja, vielleicht konnte auch sie an ihn glauben. Kapitel 3: Weiße Pflaumenblüten und eisgekühlter Sake ----------------------------------------------------- Seine Halluzinationen begannen zwei Tage später. Megumi aß gerade mit Okina zu Mittag, als Sae die Treppe herunter gerannt kam, die Augen weit aufgerissen und völlig außer Atem. Megumi blieb fast das Herz stehen, als sie die normalerweise stille und beherrschte Sae die Treppe herabstürzen sah, wobei sie hysterisch ihren Namen rief. Sie war sich sicher, dass Kenshin tot war. Sie ließ vor Erleichterung beinahe ihre Schale fallen, als Sae zwischen zwei Japsern berichtete, dass Kenshin wach war, phantasierte und versuchte, sich die Bandagen herunterzureißen. Die drei eilten nach oben und fanden den Rurouni halb von dem Futon herunter, zusammengesunken zwischen den Decken. Er rief verzweifelt immer und immer wieder einen Namen. „Tomoe!“ Megumi hatte keine Zeit sich zu fragen, wer Tomoe sein mochte. Kenshin riss gerade an seinen Badagen und frisches Blut floss aus einer Reihe Wunden. „Sae, bleib zurück“, warnte Okina. Sae sah aus, als wollte sie in Ohnmacht fallen. „Megumi, kannst du Himuras Beine schnappen? Ich nehme die Schultern.“ Megumi nickte und zusammen näherten sie und Okina sich vorsichtig dem halb wahnsinnigen Rotschopf. Er kämpfte gegen sie an als sie ihn zurück auf den Futon drückten. Er war zu schwach um groß Gegenwehr zu leisten, aber es dauerte dennoch seine Zeit bis sie ihn dorthin bewegt hatten. Er war an so vielen Stellen verwundet, dass es schwer war ihn zu packen zu bekommen, ohne ihm noch mehr wehzutun. Aber sie brachten ihn schließlich zur Ruhe und sein Strampeln ließ nach, als ihn Müdigkeit überkam. Dann begleitete Okina die erschütterte Sae nach unten und ließ Megumi mit dem verwundeten Schwertkämpfer allein. Megumi setzte sich erschöpft neben ihren Freund und fühlte sich selbst erschüttert genug. Obwohl sie ihr Leben lang mit verletzten Patienten zu tun gehabt hatte, war es doch etwas anderes – und sehr beunruhigend – zu sehen wie jemanden, der ihr nahe stand, sich blutverschmiert zu winden versuchte. Kenshin lag ruhig da, den starren Blick seiner violetten Augen auf etwas in unbekannter Entfernung gerichtet, und durchlebte aufs neue Schrecken, die Megumi nicht erraten konnte. Er war sehr steif, aber keineswegs in friedlicher Ruhe, wie sie besorgt beobachtete. Wenn sie den Rurouni so betrachte, wie er hastig und flach atmete und sich sein flatterhafter Puls an seiner Kehle zeigte, war sie sicher, dass er aus vollem Hals schreien würde, wenn sein erschöpfter Körper es zulassen würde. „Ken-san?“ rief sie leise. Ihre Berührung war sanft, doch er schrak zurück als hätte sie ihn geschlagen. Sie rief wieder seinen Namen, doch es nützte nichts. Er war eine Welt entfernt. „Ken-san, was siehst du?“ fragte sie sich, verzweifelt, dass sie nichts tun konnte um ihm zu helfen. Sie hatte in ihrem Repertoire nichts hierfür. Keine Medizin, die diese Art Schmerz lindern konnte. Megumi zog die Beine an und legte ihre Stirn auf die Knie. Sie war müde. Ihr Kopf schmerzte. Sie war tagelang an seiner Seite gewesen, hatte darauf bestanden länger als die anderen über ihm zu wachen. Aber jetzt, da er endlich aufgewacht war, litt er und es gab nichts, was all ihre Schulmedizin in dieser Situation helfen konnte. Sie konnte es ihm nicht einmal erleichtern, da Betäubungs- und Schmerzmittel dazu neigten Halluzinationen zu verschlimmern, nicht sie zu stoppen. Sie konnte weiter seine Wunden behandeln, weiter gegen das Fieber angehen. Aber das dauerte. Und in der Zwischenzeit konnte sie ihn nur beobachten und nichts tun, hilflos, trotz all ihren Wissens, wie jeder andere. „Warum bist du gegangen?“ Die Worte waren ein schwaches Keuchen, kaum hörbar, doch trotzdem war der Schmerz in ihnen herzzerreißend. Sie sah schnell auf. „Ich bin doch hier, Ken-san. Ich bin nicht gegangen.“ Sie wusste, dass er gar nicht mit ihr sprach. „Ich muss sie finden“, flüsterte er und tastete wieder nach den Bandagen an seiner Kehle. Megumi packte seine Handgelenke. „Ken-san, nicht! Die sind da um dir zu helfen. Sie werden dich nicht ersticken, ich verspreche es.“ „Muss sie finden!“ Seine Stimme wurde noch drängender, und obwohl er sich nicht aus Megumis Griff lösen konnte, öffneten und schlossen seine Finger sich zuckend als er versuchte sich loszureißen. „Wen?“ fragte sie. „Ist es Tomoe? Versuchst du Tomoe zu finden?“ Ein kleiner Aufruhr auf der Treppe lenkte ihre Aufmerksamkeit für einen Moment von dem Rurouni ab. Megumi hörte Hikos tiefe Stimme, der gedämpft mit Okina sprach. Der hochgewachsene Krieger betrat bald danach das Zimmer und blickte finster drein als Okina kam und sich in die Tür stellte, wo er erklärte was zuvor geschehen war. „Wissen Sie wer diese Tomoe ist?“ fragte Megumi. „Vielleicht könnte die Oniwabanshu dabei helfen sie aufzuspüren“, bot Okina an. Hiko schüttelte den Kopf und blieb einen Moment stumm. „Ich habe keine Ahnung wovon er spricht. Aber wenn Ihr das besorgen könntet, worum ich Euch gebeten habe, Okina-san, könnte es helfen.“ „Ich werde sehen, was ich tun kann“, sagte Okina. „Und schicken Sie jemanden zu Kaoru“, fügte Megumi hinzu. „Ich glaube, sie sollte hier sein.“ Sie hasste es das sagen zu müssen, aber es war wahr. So sehr ihr der Gedanke missfiel, wusste sie doch, dass die Anwesenheit des Mädchens beruhigend für Ken-san wäre. Eifersucht war kein angemessenes Gefühl für eine Zeit wie diese, sagte sie sich. Zumindest war das was ihr Gehirn ihr sagte. Ihr Herz jedoch legte energisch Widerspruch ein. Okina nickte und ging. Hiko blieb stehen und starrte auf den Rurouni mit gemischten Gefühlen herab, die Megumi nicht zuordnen konnte. „Wer ist Tomoe?“ fragte sie. Hikos Augenbrauen hoben sich als er sich zu Megumi wandte. Er ragte über ihr auf, sah ihr geradewegs in die Augen und sagte ohne zu zucken: „Ich habe keine Ahnung.“ „Warum nur glaube ich Ihnen nicht?“ sagte Megumi leise. Hikos Blick wurde keine Spur unsicher. Der Hauch eines humorlosen Lächelns kroch über seine Mundwinkel, doch er sagte nichts. „Jemand, den er liebt, vielleicht?“ wagte Megumi mit klopfendem Herzen. Konnte Ken-sans Herz die ganze Zeit jemand anderer gehört haben? Er hatte diese Tomoe nie erwähnt. Aber andererseits erwähnte Ken-san fast nie etwas aus seiner Vergangenheit. Megumi wusste, dass es gemein von ihr war in diesem Moment so eine Eifersucht zu empfinden, aber sie konnte nicht anders. Und so seltsam das war, wurde sie sich bewusst, dass ihr Kaoru Leid tat. Sie blinzelte. Also das war ein unerwartetes Gefühl, diese plötzliche Sorge um das Wohlbefinden ihrer größten Rivalin. Hikos Schweigen brachte sie noch zur Weißglut. Die drei blieben noch für ein paar Minuten wie sie waren, Kenshin strampelte, Megumi hielt seine Handgelenke fest und Hiko sah die ganze Zeit teilnahmslos zu. Die Wartezeit wurde lang. Megumi seufzte innerlich erleichtert auf als eine der Kellnerinnen aus dem Shirobeko kurze Zeit später mit geröteten Wangen und zerzaustem Haar eintraf. Sie reichte Hiko ein kleines schwarz lackiertes Fläschchen, dann duckte sie sich schüchtern weg. Er seinerseits warf es lässig Megumi zu. „Was ist das?“ Megumi betrachtete die kleine Flasche neugierig, dann öffnete sie sie vorsichtig. „Parfum?“ sagte sie überrascht als sie etwas auf ihre Finger schüttete. „Parfum“, stimmte er herzlich zu. Es war ein wunderschöner Duft, aber... „Ich verstehe nicht wie--“ „Haku baikou“, kam ein Flüstern von Ken-san. Sein Tonfall war seltsam. Megumi sah zu dem Vagabund hinüber und sah, dass Kenshins Augen halb offen und seine Hände entspannt waren. Seine Atmung begann sich zu beruhigen und er sah plötzlich ruhiger aus, anscheinend getröstet durch den Duft von weißen Pflaumenblüten, den sie in der Hand hielt. „Was?“ Sie blinzelte überrascht. Es war sicher ein recht schöner Duft, aber die wundersame Veränderung bei dem Vagabunden schien etwas unverhältnismäßig bei einem so simplen Mittel. Sie sah Hiko ungläubig an. „Sie wussten, dass das passieren würde?“ Seine Antwort war boshaft wie immer. „Wie ich gesagt habe. Hiko Seijuro irrt sich nie.“ „Ich nehme nicht an, Sie möchten es mir erklären?“ fragte sie in dem Wissen, dass er das nicht tun würde. Er warf ihr einen hochmütigen Blick zu und wandte sich zum Gehen. „Ich gehe runter für etwas Sake.“ Er hielt inne bevor er durch die Tür ging. „Ihr könnt mit mir kommen, wenn Ihr wollt.“ Verärgert schüttelte Megumi den Kopf über Ken-sans Meister. Der Mann war unmöglich, dachte sie, während sie sich schnell Ken-sans Bandagen besah und die, die er zerrissen hatte richtete. Sie arbeitete schnell, aber als sie fertig war, war Ken-san bereits wieder eingeschlafen und sah größtenteils recht gut aus. Sie schüttelte den Kopf und wunderte sich wieder, wie gut das Parfum gewirkt hatte. Und jetzt da Kaoru zweifellos auf dem Weg hierher war, war Megumi sich ziemlich sicher, dass Ken-san auch den Rest des Tages in Ordnung sein würde. So sehr sie Hiko dafür erwürgen wollte, dass er ihr das Geheimnis nicht verriet, war sie dem Mann doch dankbar für seine Hilfe. Vielleicht, dachte sie, wenn er genug Sake trinkt, würde sich seine Zunge schon lösen und sie könnte die Geschichte aus ihm herausholen. Sie lächelte in sich hinein und ihre frechen Füchsinneninstinkte traten nun, da Kenshin nicht mehr in Gefahr war, wieder zum Vorschein. Aufgeheitert durch diese Aussichten machte sich Megumi auf den Weg nach unten in das Esszimmer des Shirobeko und fand Hiko an einem der abgeschirmten Tische. Er reagierte auf ihre Ankunft mit einem kleinen Nicken, goss ihr ohne Vorrede gekühlten Sake ein und reichte ihr das Schälchen. Es war für Megumis Geschmack ein wenig früh am Tag um Sake zu trinken, aber sie nahm sein Angebot an und setzte sich ihm gegenüber an den niedrigen Tisch. Megumi lächelte als sie das Getränk probierte. Keine große Überraschung, dachte sie bei sich: Hiko mochte seinen Sake trocken. Kapitel 4: Glühwürmchen & Straßenkämpfer ---------------------------------------- Megumi schnitt Stoffstreifen in dem trüben Licht der einen Öllampe in Kenshins Zimmer zurecht. Sie arbeitete schweigend als sie neue Bandagen für die Wunden des Rurouni machte. Sobald sie fertig war würde sie diese Streifen abkochen um sie zu sterilisieren. Sie hatte darauf bestanden, dass alles Wasser und alle Bandagen, die benutzt wurden, um seine Wunden zu reinigen abgekocht wurden. Das war zwar ausgesprochen lästig, aber sie war bei der Arbeit noch nie schlampig gewesen und sie würde nicht jetzt anfangen. Nicht bei diesem besonderen Patienten. Es war ein ruhiger Abend, ungewöhnlich kühl für diese Zeit des Jahres. Das Fenster in der Nähe stand offen und Megumi atmete tief die Nachtluft ein. Sie fühlte sich zum ersten Mal seit Wochen ausgeruht und friedlich. Sie hatte ein sehr nötiges Nickerchen gemacht, nachdem sie mit Hiko Sake getrunken hatte. Ihre Anstrengungen aus ihm Informationen herauszuholen waren allerdings beklagenswert erfolglos gewesen. Statt dessen hatte sie über ihre eigene Kindheit und unglückliche Vergangenheit geplappert, während er still dagesessen, zugehört und, wo es angebracht war, eine Bemerkung gemacht hatte. Megumi krümmte sich innerlich bei dem Gedanken, dass dieser arrogante Mann Geheimnisse von ihr kannte, die sie ihm wirklich nicht hätte erzählen sollen. Aber sie vertraute darauf, dass er so schweigsam mit ihren Geheimnissen umging, wie mit sonst allem. Und wirklich, er war gar keine so schlechte Gesellschaft, wenn er angetrunken war. Immer noch arrogant, aber auf keinen Fall unangenehm. Kaoru saß jetzt neben Kenshin und sprach ruhig und mit leiser Stimme auf ihn ein. Das Mädchen hatte das schon seit Stunden so gemacht und hielt nur von Zeit zu Zeit inne, um einen Schluck Tee zu trinken um ihre wunde Kehle zu beruhigen und zu verhindern, dass ihre Stimme heiser wurde. Megumi musste zugeben: die Anwesenheit des Mädchens war ausgesprochen hilfreich, nun da Ken-san wach war und eine freundliche Stimme hören konnte. Der Rurouni war still gewesen, seit Kaoru gekommen war, doch seine Augen hatten immer noch diese abwesenden Ausdruck und er schien sich ihrer Anwesenheit neben ihm nicht bewusst zu sein. Trotzdem war Kenshin zumindest ruhig und hatte Megumi und Hiko endlich erlaubt, seine Verbände ohne Widerstand zu wechseln solange Kaoru weiterredete. Das Mädchen hatte es sogar geschafft Kenshin dazu zu bringen, etwas Tee zu trinken. Dieses Mal hatte er sich nicht an der Flüssigkeit verschluckt wie es in der Vergangenheit gewesen war, wenn Megumi und Sae keine andere Wahl hatten als sie ihm einzuflößen. Zu Megumis Erleichterung hatte Ken-san den Namen Tomoe nicht wieder erwähnt, noch hatte er die beunruhigende Erregung an den Tag gelegt, die er früher an diesem Nachmittag gezeigt hatte. Er hatte nur einige rätselhafte Bemerkungen gemacht, die aus dem Zusammenhang gerissen nicht viel Sinn ergaben. Einige davon konnten Megumi und Kaoru deuten. Er hatte einmal über Wäsche gesprochen und die zwei Frauen, die so lange angespannt gewesen waren, waren in erschöpftes Gelächter darüber ausgebrochen, wie seltsam es war zu sehen, wie der berühmte Battousai murmelte wie weiß die Wäsche war. Was er sonst gesagt hatte – wie seine Beteuerungen, dass Daikon Radiesschen nicht nötig seien – ergaben für die zwei Frauen überhaupt keinen Sinn. Als sie nun dem Mädchen zuhörte, musste Megumi sich selbst gegenüber zugeben, dass selbst sie von Kaorus andauernden Geschichten beruhigt wurde. Und sie war auch beeindruckt, dass Kaoru die Ruhe bewahrt hatte und nicht zusammengebrochen war, wie zu der Zeit als Ken-san nach Kyoto aufgebrochen war. Kaoru hatte sich in den letzten paar Wochen verändert, wurde Megumi klar. Sie war noch immer ausgelassen, verschwitzt und burschikos. Das würde wahrscheinlich immer der Fall sein. Aber da war jetzt noch etwas anderes in den Augen des Mädchens, eine Ruhe oder Reife, die vorher nicht da gewesen war. Megumi konnte nicht genau sagen, worin der Unterschied bestand, und sie wusste nicht, was dem Mädchen geschehen war, dass sie jetzt so war, aber Kaoru war gewachsen seit sie nach Kyoto gekommen war. Sie war noch immer keine Frau in Megumis Augen, aber sie hatte einen wichtigen Schritt gemacht, um eine zu werden. Das Mädchen sprach gerade von dem Morgen nach ihrem ersten Treffen mit dem Rurouni, wie sie mit dem Geruch von Miso-Suppe aufgewacht war und dann Reisbälle, geformt wie kleine Mäuschen, bekommen hatte. Megumi musste einfach lächeln, als sie sich Ayame und Suzume vorstellte, die Kaoru mausförmige Reisbällchen mit Rosinenaugen servierten. Kaoru grinste. „Natürlich haben sie viel besser geschmeckt als alle Reisbällchen, die ich je gemacht habe, egal welche Form sie hatten. Ich konnte mich fast nicht dazu bringen, sie zu essen. Sie sahen so niedlich aus.“ Megumi lachte. „Ayame und Suzume schaffen es immer, den albernen Zug in Ken-sans Persönlichkeit zum Vorschein zu bringen. Ich wünschte, ich wäre da gewesen um das zu sehen.“ Und als sie das sagte, fühlte sich Megumi plötzlich traurig. Sie wusste nicht warum. Vielleicht fühlte sie sich als habe sie einen der glücklichsten und sorgenlosesten Momente in Ken-sans Leben verpasst. Vielleicht lag es daran, dass ihr eigenes erstes Treffen mit Ken-san viel düsterer gewesen war und dass es etwas gedauert hatte, bis er sich in ihrer Gegenwart wohl genug gefühlt hatte um mit ihr zu scherzen und albern zu sein. Oder vielleicht war es die alte Eifersucht, die sie fühlte, wann immer Kaoru in der Nähe war, die Bitterkeit, die sie fühlte, weil sich das Schicksal auf die Seite des Mädchens gestellt hatte. Kaoru hatte Kenshin zuerst getroffen. Hatte sein Herz gewonnen, lange bevor Megumi überhaupt die Möglichkeit dazu hatte... „Megumi?“ Sie bemühte sich zu lächeln, verspürte ehrliche Wärme gegenüber dem Mädchen, trotz des Schmerzes den Kaoru bei ihr verursachte, wenn sie da war. „Ist schon gut.“ Und auf Kaorus besorgten Blick hin, fügte sie hinzu: „Wirklich, es geht mir gut. Ich glaube, ich hatte heute Nachmittag ein bisschen zu viel Sake. Hiko kann trinken wie ein Fisch.“ Kaoru lächelte und wollte gerade etwas sagen, als der Rurouni neben ihr sich kurz bewegte, murmelte und den fiebrigen Blick auf die Öllampe richtete, deren Licht ihn anscheinend faszinierte. Er streckte die Hand danach aus, aber sie stand glücklicherweise zu weit weg, als das er sie anfassen und sich verbrennen könnte. Kaoru legte ihm die Hand vorsichtig auf den Arm und runzelte leicht die Stirn als sie ihn sanft nach unten drückte. „Das ist nur die Öllampe, Kenshin. Es ist alles...“ „Die Glühwürmchen sind schön“, murmelte Kenshin. Kaoru erstarrte. Nun war Megumi damit an der Reihe ihre Freundin besorgt, aber ohne zu verstehen, anzusehen. „Ich bin ein Rurouni“, fuhr Kenshin fort, seine Stimme kaum hörbar. „Ich gehe wieder auf die Wanderschaft.“ Das musste das gewesen sein, was er zu Kaoru in der Nacht gesagt hatte, als er nach Kyoto aufbrach. Kaoru saß angespannt da, den Rücken gerade, die Augen auf Kenshin gerichtet. Megumi erwartete Tränen in den Augen des Mädchens zu sehen, aber da waren keine. Statt dessen konnte sie sehen wie die Augen des Rurouni feucht wurden als er weiter wie verzaubert in das Licht starrte. Eine kleine objektive Ecke in Megumis Verstand bemerkte, dass sie Kenshin noch nie weinen gesehen hatte. Kaoru stand plötzlich auf. „Hier drinnen ist nicht genug frische Luft“, sagte sie atemlos, als sie aus dem Zimmer eilte. Megumi starrte sprachlos von der plötzlichen Wendung ins Leere. Sie saß einen Moment nur da und nahm die Szene, die sie eben beobachtet hatte, in sich auf. Und dann, als ihr Gehirn wieder zu arbeiten begann, eilte sie die Treppe hinunter, lief durch die Vordertür und rief Kaorus Namen. Aber das Mädchen war schneller als Megumi es je sein könnte. Kaoru war nirgendwo zu finden. „Ich glaube nicht, dass sie wollte, dass ihr jemand folgt“, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie wandte sich um und fand Sanosuke auf der Veranda des Shirobeko sitzend vor, gelehnt an einen Pfosten und nachdenklich auf einem Fischknochen, der vom Mittagessen übrig war, herumkauend. „Baka, wir können sie nicht mitten in der Nach allein herumwandern lassen.“ „Das Fräulein kann auf sich selbst aufpassen“, sagte er ruhig. „Und sie ist nicht allein. Oumime war auf dem Dach und ist ihr nachgeschlichen. Sie wird dafür sorgen, dass das Fräulein nicht in Schwierigkeiten gerät.“ Oumime. Es dauerte einen Moment, bis sie den unbekannten Namen einordnen konnte. Eine der Frauen in der Oniwabanshu, erinnerte sich Megumi. Die Große mit den langen Haaren. „Was hat Oumime denn auf dem Dach gemacht?“ „Sie hat Kenshins Zimmer bewacht“, sagte Sano. Er sah sie an. „Wusstest du das nicht? Die Oniwabanshu haben das seit dem Tag von Kenshins Kampf gemacht.“ Megumi öffnete den Mund, brachte kein Wort hervor, schloss ihn wieder. Nein, das hatte sie nicht gewusst. „Egal, Masukami hat Oumimes Platz eingenommen, also mach dir keine Sorgen. Kenshin wird auch in Sicherheit sein.“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die ganze Zeit hatte sie sich so auf ihre Arbeit konzentriert, dass sie nicht bemerkt hatte, dass sich andere auf ihre Art auch um Ken-san kümmerten. Sie ließ sich neben Sanosuke plumpsen, bevor ihre Knie nachgaben. Es war ein ziemlich anstrengender Tag gewesen. Sie sah zum Dach hoch und sah die kleine Oniwabanshu Frau auf dem Dach in der Nähe von Kenshins Zimmer sitzen. Sie hatten Wache gehalten. Die ganze Zeit... Sie spürte neue Wertschätzung für die Oniwabanshu, eine Wertschätzung, die sie sich nicht leicht verdient hatten, wenn man bedachte, welche schmerzliche Vergangenheit Megumi mit dieser Gruppe verband. Aber diese Leute, die mit Misao und Okina zusammen waren. Das waren gute Menschen. Megumi senkte den Kopf, beschämt, dass sie sie unterschätzt hatte. Da bemerkte sie, dass Sano seine verletzte Hand mehr als sonst schonte. „Sanosuke, hast du dich wieder verletzt?“ Er grinste verlegen. „Das Wiesel-Mädchen hat mich aus Versehen mit einem Brett getroffen, das sie getragen hat. Sie hatte es so in den Armen und als sie sich damit umgedreht hat... Tja, ich stand im Weg.“ „Oh, nein“, seufzte sie. „Das ist das zweite Mal in drei Tagen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Du hättest da sein sollen. Ich hab so losgeflucht, dass ihre Ohren rot wurden und ihr der Mund offenstand.“ Er lachte rauh und seine Augen blitzten mit schelmischen Übermut, wie es nur Sanosukes Augen konnten. „Lass mich einen Blick darauf werfen.“ „Nein, du hast wichtigeres zu tun. Und es ist nicht so schlimm.“ Sie nahm seine Hand in ihre und untersuchte sie trotzdem. Er hatte anscheinend recht. Der neue Schaden war nicht so schlimm wie sie befürchtet hatte. Trotzdem, dieser sorglose Idiot... „Sanosuke, du kannst dir nicht ständig die Hand so verletzen. Du musst ihr Ruhe gönnen. Eigentlich solltest du damit gar nicht draußen beim Aoiya sein. Das Risiko sie dir wieder zu verletzen ist zu groß.“ „Aber ich muss da sein. Die Po--“ Er klappte den Mund zu und seine Augen weiteten sich etwas. „Die ,Po'?“ Sie sah ihn an und ihre Augen wurden schmal. „Was erzählst du mir da nicht?“ „Baka“, sagte er murmelnd zu sich selbst und wich ihrem Blick aus. „Versprich mir, dass du es nicht dem Fräulein erzählst. Sie hat schon genug Sorgen.“ „Dass ich was nicht erzähle? Sanosuke!“ sagte sie aufgebracht. Er zuckte mit den Schultern. „Die Polizei kam heute zur Stippvisite beim Aoiya vorbei. Sie haben sich Sorgen darum gemacht, dass wir alle dort sind, weil einige von Shishios Leuten noch nicht geschnappt wurden.“ „Was? Ich dachte sie hätten alle gefasst.“ „Die meisten, aber nicht alle.“ Er kratzte sich abwesend am Kopf. „Ich glaube, die Polizei ist besorgt, dass einige von denen etwas nachtragend sind. Wenn man bedenkt, dass Kenshin ihren geliebten Anführer gegrillt hat. Man hat uns gesagt, wir sollten die Augen offen halten, das ist alles. Keine konkrete Gefahr, von der sie wüssten. Deshalb muss ich da sein. Im Fall, dass etwas passiert.“ Das waren ernüchternde Neuigkeiten. Sie sah wieder zum Dach hoch. „Glaubst du Ken-san ist hier in Gefahr?“ „Ich bezweifle es.“ Er lächelte. „Woher sollten irgendwelche Leute in Kyoto von unserer Verbindung zum Shirobeko wissen? Okina meinte, dass es hier im Moment sicherer ist als im Aoiya. Außerdem“, er schlug mit der Faust enthusiastisch auf seine Hand und wurde blass, als die Bewegung Schockwellen des Schmerzes in seinen rechten Arm schickte. (Baka, dachte Megumi.) „Außerdem“, fuhr er vorsichtiger fort „können wir sie immer verjagen. Mach dir keine Sorgen. Kenshin ist sicher. Wir werden nichts passieren lassen.“ „Sanosuke, Baka, wenn du weiter kämpfst, wird deine Hand nie heilen.“ „Pah, ich würde mir die Hand abschneiden, wenn dass Kenshins Sicherheit garantieren würde.“ Sagara sah sie mit entschlossenem Blick an. „Das würde ich für euch alle machen, weißt du“, fügte der ehemalige Straßenkämpfer mit halbirrem Blick, der zeigte, dass es ihm völlig ernst war, hinzu. Sie musste den Idioten für seine Loyalität bewundern. Erst gegenüber seinem Kommandant Sagara, jetzt zu Kenshin und schließlich auch noch ausgerechnet zu Saito. Und Sanosuke hatte Saito noch nicht einmal gemocht. Aber sobald jemand Sanosuke als Verbündeten hatte, hatte dieser Jemand einen Verteidiger auf Lebenszeit. So war er einfach. „Ich weiß“, sagte sie und lächelte ihn mit selten offener Zuneigung zu dem Trottel an. Er blinzelte überrascht. Anscheinend hatte er eine abfällige Bemerkung erwartet, was für ein großer Idiot er doch sei. Er lehnte sich wieder an den Pfosten, sah zum Mond hoch und seufzte. Megumi, die in seltsam zärtlicher Stimmung war, lehnte sich gegen ihn, den Kopf an seine Schulter gelegt. Ein kleiner Teil ihres Verstandes war schockiert und sagte ihr, dass, ja, sie wirklich zuviel Sake an diesem Nachmittag getrunken habe. Der andere Teil ignorierte das und saß einfach nur da und genoss die warme Gegenwart eines Freundes. Zögernd: „Megumi.“ „Ja?“ Grummelnd: „Danke.“ „Wofür?“ „Dass du dich um Kenshin kümmerst. Dass du dich um mich kümmerst.“ Er zögerte einen Moment. „Dass du zu dem Fräulein nett bist, auch wenn es dir weh tun muss, sie die ganze Zeit bei Kenshin zu sehen.“ Sie sah in stummer Überraschung zu ihm hoch, aber er wich fleißig ihrem Blick aus. Megumi schluckte und spürte auf einmal einen schmerzhaften Klos in ihrer Kehle, dass Sanosuke so überraschend feinfühlig war. Der große Idiot war aufmerksamer, als sie ihm zugetraut hatte. Sano drehte sich zu ihr und sah sie endlich an. Megumi wusste nicht, was er in ihren Augen gesehen hatte, aber was immer es war, er wurde plötzlich rot und räusperte sich. „Also, ich muss los“, sagte er munter. „Wohin gehst du?“ „Kurojou und Shirojou treffen sich heute Nacht mit ein paar Freunden zum Würfeln.“ Er lachte und klopfte den Staub von seiner Hose als er aufstand. „Das sind alles Amateure. Völlig naiv wenn es ums Glücksspiel geht. Endlich mal Leute mit mehr Pech als ich. Die habe ich letzte Nacht ganz schön ausgenommen.“ Er sah sie an und grinste. Der Fischknochen hing schief zwischen seinen Zähnen. „Es wird für uns alle gut ausgehen, Megumi-sensei. Gönn dir etwas Ruhe. Deine Fuchsohren sehen schon ganz abgewetzt aus.“ Bevor sie eine passende, empörte Antwort parat hatte, winkte er mit der Hand und schlenderte mit einem lässigen „Bis dann“, gemächlich davon. „Gute Nacht... Baka“, sagte sie leise. Und lächelte der hochgewachsenen Gestalt hinterher, wie er unbeschwert die Straße hinab ging und seine Jacke und das rote Stirnband träge im Wind flatterten. Kapitel 5: Ein Umweg -------------------- Die Reparaturarbeiten am Aoiya gingen gut voran, entschied Megumi, als sie den ersten Blick seit ihrer Ankunft in Kyoto auf das Gebäude warf. Die Mittagssonne, die strahlend durch die Gazevorhänge der Kutsche schien, ließ sie blinzeln und die Augen mit der Hand beschatten. Sie war glücklich. Nachdem sie durch ihre Arbeit kaum nach draußen gekommen war, erst in Dr. Gensais Klinik in Tokyo und seit neuestem im Shirobeko, war es eine nette Abwechslung, etwas freie Zeit zu haben und zum ersten Mal seit Monaten wirklich in der Stadt zu sein. Der junge Polizist, der ihr gegenüber saß, öffnete die Tür der Kutsche und sprang hinaus. Dann streckte er ihr eilig die Hand entgegen um ihr herauszuhelfen. Sie belohnte ihn mit einem strahlenden Lächeln als sie aus der Kutsche stieg. Sie hatte fast vergessen, dass die meisten Männer sich überschlugen, wenn sie versuchten sie mit Kleinigkeiten zu beeindrucken. Es war schön zu wissen, dass sie es immer noch in sich hatte. Selbst wenn die Männer, die ihr am nächsten standen (pff, die Blödmänner) nie ihre natürliche Schönheit zu bemerken schienen, war es gut zu wissen, dass sie noch aufleuchten konnte, wenn sie sich nur ein bisschen Mühe gab, und dass andere Männer, normale Männer, es zumindest schätzen konnten. Aah, wieder zu träumen. Sie war albern und es war ihr egal. Es war schön, zur Abwechslung mal albern zu sein. Sie atmete tief ein und genoss die Geräusche und Gerüche der Stadt. Als sie so auf der staubigen Straße vor dem Aoiya stand, fühlte sie sich seltsam lebendig, fast wie es in den sorgenlosen Tagen ihrer Jugend gewesen war, vor der Zerstörung ihrer Familie, bevor ihr Leben sich in Chaos aufgelöst hatte. Die dunklen Erinnerungen ließen sich an diesem sonnigen Tag leicht beiseite wischen, als sie sich umdrehte und den ersten guten Blick auf das Gebäude hatte, während sie darauf wartete, dass der junge Polizist hinter ihr den ziemlich großen und schweren Korb mit Mittagessen, den sie für ihre Freunde mitgebracht hatte, heraustrug. „Hey, Megu-- Mensch! Was zu essen!“ rief ein enthusiastischer Yahiko, als er das Dach herunterschlitterte, den Rand mit beiden Händen fest packte und kurz hin und her schwang bevor er auf den Füßen landete. Der Junge huschte herüber und sah gespannt zu wie der Polizist den Korb auf der Veranda absetzte. „Was hast du mitgebracht?“ „Ein bisschen von Allem.“ sagte Megumi fröhlich. „Oi! Ich habe doch gedacht, ich habe hier draußen Essen gerochen!“ sagte Sanosuke, dessen stacheliger Kopf aus einem Loch im Dach auftauchte. „Hol doch jemand das Kind da weg, bevor er alles auf isst.“ Megumi drehte sich um und schenkte dem jungen Polizisten ein weiteres Lächeln und ein freundliches „Dankeschön,“ woraufhin er errötete und sich schnell in die Kutsche zurückzog. Er winkte kurz als die Kutsche losfuhr. „Wie kommt es, dass sie mir nie anbieten, mich mitzunehmen?“ fragte Makimachi Misao als sie herüberkam um den Inhalt des Korbes zu inspizieren. „Das kommt daher, dass du nicht hübsch genug bist“, sagte Yahiko leichthin, den Mund bereits halb vollgestopft mit Schinkenbrot. Er brummte als Misao ihn anknurrte und nach seinem Kopf schlug, dann aß er mit unvermindertem Tempo weiter. Yahiko und Misao. Sie waren noch Kinder, dachte Megumi. Sie kehrten wieder zur Normalität zurück, wenn sie vom Shirobeko fort waren. Nun, sie konnte ihnen ihre Energie und ihren Enthusiasmus nicht übel nehmen. Nicht an einem so schönen Tag. Und sie war gewissermaßen beeindruckt wie sich bemühten, sich bestmöglich zu benehmen wenn sie in der Nähe von Kenshins Zimmer im Shirobeko waren. Sie strengten sich sehr an leise zu sprechen und sich ruhig zu bewegen, um nicht den schlafenden Rurouni zu stören. Und das obwohl es ihnen immer schwerer fiel, wie Megumi wusste. Wenn sie hier beim Aoiya waren, weg von dem Krankenzimmer und draußen in der Sonne, drängte ihre wildere Natur mit Macht zurück. Megumi rollte amüsiert mit den Augen. Sie bemühten sich wenigstens. Sie konnte ihnen nicht wirklich böse sein, dass ihnen jetzt etwas herausrutschte. „Danke, dass du das Mittagessen hergebracht hast“, sagte Kaoru als sie aus dem Aoiya trat und die Bänder löste, die die Ärmel ihres Kimonos zurückhielten. Megumi suchte in dem Gesicht des Mädchens nach Anzeichen für Kummer. Kaoru sah heute etwas müde aus, schien aber sonst nicht sonderlich mitgenommen. Megumi hatte Kaoru nicht gesehen, seit sie letzte Nacht davongerannt war. Das Mädchen musste noch ziemlich lange weggeblieben sein, denn Megumi war zu Bett gegangen und hatte nichts davon gehört wie sie zurückgekommen war. Kaoru bemerkte ihren prüfenden Blick und blickte verlegen zu Boden. „Es geht mir gut, Megumi-san“, sagte sie so leise, dass nur Megumi sie hören konnte. „Ich war letzte Nacht ein Dummkopf. Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“ „Wir haben uns Sorgen gemacht“, sagte Megumi. „Wo bist du hingegangen?“ „Nicht weit. Nur runter bis zum Fluss“, erwiderte das Mädchen. Sie blickte zu Megumi auf. „Ich weiß, dass es nur eine Erinnerung war. Er hat nur die Vergangenheit wieder durchlebt...“ Sie schüttelte den Kopf. „Der Tag, an dem er Tokyo verlassen hat... Es war nicht der schlimmste Tag meines Lebens, Megumi-san. Aber beinahe. Es kam dem Schlimmsten wirklich nahe. Und ich konnte nicht in dem Zimmer bleiben. Ich wollte nicht, dass Kenshin sieht, wie ich zusammenbreche. Nicht wenn ich stark für ihn sein muss.“ Megumi zuckte mit den Schultern, da sie nichts dazu sagen konnte. „Wie geht es ihm heute?“ fragte das Mädchen. „Er ist immer noch verwirrt, aber es geht ihm besser, glaube ich. Deine Gesellschaft scheint ihm zu helfen“, sagte sie als kleinen Versuch, die Stimmung des Mädchens zu verbessern. Kaorus große, blaue Augen leuchteten auf. „Dann gehe ich heute früher zurück. Ich kann dir helfen, die Verbände zu wechseln, wenn das in Ordnung ist.“ „Hey, Megumi!“ rief Yahiko und klinkte sich in ihre Unterhaltung ein. Der Junge hatte kleine Stücke Ohagi im Gesicht kleben und kaute fröhlich auf noch mehr davon herum. „Willst du, dass ich dich herumführe?“ Megumi lachte über den Enthusiasmus des Jungen und nickte. Sie ließ sich von Raum zu Raum führen, vorbei an Mitgliedern der Oniwabanshu, die mit den verschiedensten Aufgaben beschäftigt waren. Der Fortschritt war wirklich ziemlich beeindruckend, wenn sie bedachte, was man ihr über das Ausmaß des Schadens erzählt hatte. Sie wusste nicht wie es vorher ausgesehen hatte, aber Yahiko hatte beharrt, dass alles von dem Riesen, Fuji, so ziemlich dem Erdboden gleich gemacht worden war. Sie hatte Schwierigkeiten sich jemand so großes vorzustellen und war bei Yahikos Beschreibungen erst skeptisch gewesen und hatte den Jungen verdächtigt, sich gewaltiger Übertreibung schuldig zu machen. Aber als die Beschreibungen der Mitglieder der Oniwabanshu mit denen des Jungen übereinstimmten, begann sie es zu glauben. Sie setzte sich nach dem Rundgang hin und aß selbst etwas zu Mittag. Saes Kochkünste waren wirklich phänomenal, was keine Überraschung war, wenn man das Talent ihrer Zwillingsschwester in Tokyo bedachte. Nach ihrer Mahlzeit ruhte sich Megumi zufrieden aus, genoss das warme Gefühl von Freunden umgeben zu sein, das befriedigende Gefühl an einem warmen Sommertag einen vollen Bauch von gutem Essen zu haben. Schließlich musste sie jedoch aufstehen. So sehr sie für immer bleiben wollte, sie hatte zu tun. Sie entschied sich zum Shirobeko zurück zu laufen, anstatt auf die Rückkehr des Polizisten zu warten. Es war ein zu schöner Tag um in einer geschlossenen Kutsche zu sitzen. Sie wollte das Gefühl von Sonne in den Haaren. „Ich komme mit dir“, bot Sanosuke an als sie ankündigte nun zurück gehen zu wollen. Yahiko machte ein paar abfällige Kommentare darüber, dass sich der Hahnenkopf vor seinen Verpflichtungen drücken wolle, aber Sanosuke ignorierte den Spott des Jungen und sagte, dass Megumi ihm befohlen habe, sich auszuruhen. Das musste er wenn sich seine Hand jemals erholen sollte. Megumi grinste. Ja, sie hatte etwas in der Richtung gesagt, das musste sie zugeben, aber sie vermutete, dass Yahiko Recht hatte. Der große Idiot wollte wahrscheinlich nur eine Pause von der Arbeit. Sie erlaubte ihm in dieser unbekannten Stadt voranzugehen, in dem Vertrauen – in der Hoffnung – dass er wusste wie sie zurück zu Sae fanden. Sie gingen eine ganze Weile schweigend, Sanosuke mit den Händen in den Taschen und Megumi damit beschäftigt, die Leute zu beobachten. So gingen sie immer, eine Gewohnheit, die sich in den Tagen entwickelt hatte, als Sanosuke Megumi und Dr. Gensais Enkelinnen vom Dojo nach Hause begleitet hatte. Es war ein Schweigen bei dem sie sich wohl fühlten, da beide die Gesellschaft des anderen auf diesen Spaziergängen weit mehr genossen, wenn sie nicht sprechen mussten und einander nicht auf die Nerven gingen oder beleidigten, indem sie das Falsche sagten. „Hier gibt es eine Abkürzung“, sagte Sanosuke plötzlich und bog in eine Gasse, die verdächtig verlassen für so eine geschäftige Tageszeit aussah. „Bist du sicher?“ fragte sie ungläubig. „Du schaffst es noch, dass wir uns wieder verlaufen.“ „Vertrau mir.“ Sein Grinsen war beinahe wild, was Megumi sehr nervös machte. Er legte ihr den gesunden Arm um die Schultern und Megumi wollte gerade über die zudringliche Geste protestieren, als er ihr ins Ohr flüsterte: „Jemand folgt uns. Auf den Dächern.“ Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie kämpfte gegen den Drang nach oben zu sehen an und spielte statt dessen Sanosukes Spielchen mit. „Ohohoho“, kicherte sie laut und spielte die Flirtende. „Wirklich? Bist du sicher?“ „Völlig!“ sagte er mit falscher Heiterkeit. Megumis Blut kühlte bei dem Gedanken ab. Jemand folgte ihnen. Wer? Anhänger von Shishio, schoss es ihr sofort durch den Sinn. Aber konnten sie sicher sein? Vielleicht war es nur ein gewöhnlicher Dieb oder Verbrecher. Oder vielleicht war es ein Mitglied der Oniwabanshu, das über sie wachte. Megumi hatte erhebliche Zweifel, dass es das letztere war. Wer auch immer es war, Sanosuke schien sich bedroht zu fühlen und so idiotisch er auch bei anderen Angelegenheiten sein konnte, so vertraute Megumi seinen Instinkten als Kämpfer bedingungslos. Sie sah vorsichtig nach oben und unterdrückte ein lautes Einatmen als sie eine schwarz gekleidete Gestalt sah, die leiste über die Dächer wanderte. Er behielt seinen Kopf unten und war kaum zu sehen. Megumi bezweifelte, dass sie je etwas gemerkt hätte, wenn Sanosuke nichts gesagt hätte. „Ohoho, und was machen wir jetzt?“ sagte sie und fuhr ihm durch die Haare. Er täuschte einen Kuss auf ihre Wange vor und flüsterte: „Kommst du zurecht, wenn ich ihm folge? Ich bin mir ziemlich sicher, dass er allein ist.“ Sie nickte und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. „Sanosuke, ich kann mein Armband nicht finden!“ schmollte sie laut. „Ich muss es irgendwo fallen lassen haben. Können wir zurückgehen und es suchen?“ „Du machst wohl Witze“, sagte er mit beeindruckender Gereiztheit. „Meinst du das im Ernst? Ach verdammt, warte hier.“ Sanosuke drückte etwas in Megumis Hand und wandte sich um, als suche er nach dem verlorenen Schmuckstück. Er duckte sich unter das Vordach eines Ladens in der Nähe, was ihn für wen auch immer dort oben unsichtbar machte. Er bewegte sich auf einen Stapel Strohkörbe zu und dann war er auf dem Weg nach oben, indem er mit einer Hand an dem Stapel zum Dach kletterte und die Verfolgung aufnahm so schnell er es mit einem verletzten Arm konnte. Megumi sah auf ihre Hand herab und schnappte nach Luft als sie sah, dass das Objekt, das er ihr zugesteckt hatte, eine kleine Klinge war. Seit wann trug Sanosuke Sagara versteckte Waffen mit sich herum? Es war nicht die Art dieses Mannes so weit sie wusste. Sie sah zu den Dächern hoch, hörte das Geräusch von Schritten, konnte aber nicht sagen woher sie kamen. Sie fühlte sich schrecklich ungeschützt und konnte nichts sehen. Sie hörte einen verblüfften Schrei, dann etwas, das wie ein Handgemenge klang. Sanosuke musste den Mann eingeholt haben. Sie hoffte, dass er einhändig gut genug kämpfen konnte. Dann fielen die zwei Männer plötzlich ohne Vorwarnung in einem Durcheinander von Körpern von dem Sims hinter ihr herunter. Megumi schrie gegen ihren Willen auf und sprang zur Seite um nicht zerquetscht zu werden. Sie landeten mit einem dumpfen Knall. Sanosuke schnappte nach Luft und drückte seine rechte Hand an sich. Der andere Mann, dem die Schwäche seines Feindes klar wurde, grinste plötzlich und trat dem jüngeren Mann gegen die verletzte Hand. Sanosuke schrie auf und brach zusammen. Der Mann in schwarz bewegte sich schnell, viel zu schnell. Megumi hatte kaum Zeit sich klar zu werden was geschah, als sie sich plötzlich als Geisel des Mannes wiederfand. Sein Arm lag um ihren Hals und eine Messerspitze drückte gegen ihre Kehle. „Bleib zurück“, zischte er und Sanosuke, der wieder auf die Füße gekommen war, blieb abrupt stehen. Der Mann wich vor dem Straßenkämpfer zurück und zerrte Megumi mit sich. Sanosuke sah schweigend zu und seine Augen brannten vor Zorn über seine Unfähigkeit etwas zu tun, wenn er nicht wollte, dass der Mann ihr etwas antat. Megumis Herz raste wie wild als sie langsam die Klinge zog, die Sanosuke ihr gegeben hatte. Sanosukes Augen weiteten sich etwas, aber er ließ sich ansonsten nichts anmerken. Er hielt seine Augen auf den Mann gerichtet, um sicher zu sein, dass der Angreifer nicht nach unten sehen und entdecken würde, was Megumi vorhatte. Sie hob den Arm, machte sich bereit zu zu stoßen... Und erstarrte in bitterer Verzweiflung, unfähig die Waffe zu benutzen. Takani Megumi war eine Heilerin, keine Kämpferin. Sie würde – sie konnte – keine Klinge benutzen um einem anderen zu schaden. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie je eine Waffe erhoben um anzugreifen und dieses eine Mal war unter extremen Bedingungen gewesen zu einer Zeit, als sie nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte. Aber man war ihr damals zuvorgekommen bevor sie handeln konnte und als sie später die Situation in ihren Gedanken wieder und wieder durchspielte, wusste sie nicht ob sie ihr Opfer wirklich getötet hätte, wenn nicht Hannya von der Oniwabanshu dort gewesen und sie aufgehalten hätte. „Megumi!“ sagte Sanosuke drängend. Sie wusste, dass er sie bat es zu benutzen, den Mann abzulenken und ihm hoffentlich die Möglichkeit zum Angriff zu geben. Aber sie konnte es nicht tun. Sie konnte um nichts in der Welt den Arm bewegen. Etwas verschwommen Grünes, das sie nur aus dem Augenwinkel gesehen hatte, flog plötzlich in ihr Sichtfeld. „Was zum--“ Der Mann, der sie festhielt, würde den Satz nie beenden. Megumi kniff die Augen fest zu, duckte sich instinktiv als etwas hinter ihr zerschmettert wurde und spürte wie sich der Griff ihres Angreifers lockerte. Die Welt schien fast zum Stillstand zu kommen während sie fühlte wie das Messer schrecklich langsam an ihrem Hals herunterglitt und der Mann hinter ihr zusammensank und zu Boden fiel. Sie spürte wie sie auf die Knie fiel und wankte. Der Boden schien auf sie zu zu kommen, als ein starker Arm sie aufrecht zog und ihr half zu stehen, während sie sanft von dem Angreifer fortgeführt wurde. Sie sah zurück und erkannte die Überreste einer zerbrochenen Vase, die dem Mann anscheinend ins Gesicht geschlagen war. Er lag reglos da und Blut strömte aus einer großen Platzwunde an seiner Stirn. Seine Augen waren offen. Der Aufprall musste beeindruckend gewesen sein, dachte sie abwesend, dass er an so einer scheinbar unbedeutenden Wunde gestorben war. „Megumi. Megumi!“ Die Stimme schien aus großer Entfernung zu ihr durchzudringen. Sie spürte wie sie jemand schüttelte, aber die Bewegung war träge, als befände sie sich unter Wasser. Sie blinzelte und schaffte es endlich ihre Augen von dem entsetzlichen Anblick des toten Mannes zu ihren Füßen loszureißen. Sie blickte auf in ein Paar eindringliche braune Augen voller Sorge. Wegen ihr, erkannte sie. Sie machten sich wegen ihr Sorgen. „Megumi! Sieh mich an!“ „Ich bin in Ordnung“, schaffte sie schließlich zu sagen, als sich die Welt wieder mit der gewohnten Geschwindigkeit bewegte und das seltsame Gefühl des Schwebens verblasste zu einem dumpfen Schmerz. „Lass mich los, Sanosuke, du tust mir weh.“ Der eiserne Griff löste sich sofort und der Straßenkämpfer wich mit einer hastig gemurmelten Entschuldigung zurück. Megumi tastete mit der Hand über ihren Hals und war erleichtert, dass die Wunde nur oberflächlich war. Es blutete mehr als ihr recht war, aber wer war sie sich darüber zu beklagen? Sie war aus der Situation in einem Stück und relativ unversehrt hervorgegangen. „Bastard! Verdammter Mistkerl!“ schrie Sanosuke. Ihre betäubten Gedanken brauchten einen Moment um zu erkennen, dass die Worte nicht an sie gerichtet waren. Sie folgte seinem Blick und wandte sich um als Hiko Seijuro gemächlich auf sie zugeschlendert kam, als mache er gerade einen Spaziergang an einem schönen Sonntag morgen. Hiko betrachtete Sanosuke für einen langen Moment, bevor er sich entschied, dass der junge Mann den Ärger nicht wert war. „Gern geschehen“, sagte er ironisch und ging an ihnen vorbei zu dem toten Mann. „Du hättest sie umbringen können!“ Sanosukes gesunde Hand war zu einer Faust geballt. In ihm brodelte ein Zorn, der jeden Moment überkochen konnte. „Ich habe meinen Wurf genau berechnet um sicherzugehen, dass er in die richtige Richtung fallen würde. Megumi-sensei hätte höchstens einen leichten Schnitt davongetragen. Sie war nie in irgendeiner Gefahr. Das hätte ich nicht erlaubt.“ Sanosuke schäumte beinahe über die Arroganz des Mannes. Hiko kniete sich nieder und hob die Scherben der kaputten Vase auf. „Eine Schande“, sagte er nur. „Ich habe Stunden an diesem Ding gearbeitet.“ „Oh du--“ Hiko sah Sanosuke an und runzelte die Stirn. „Vergesst es, ihr zwei. Es ist erledigt“, schaltete sich Megumi ein, bevor die Dinge hässlich werden konnten. „Hiko-san, vielen Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben. Sanosuke, bitte, es geht mir gut.“ Sanosuke sah den hochgewachsenen Schwertkämpfer mit zusammengekniffenen Augen an, schwieg aber. „Was macht ihr zwei in diesem Teil der Stadt?“ fragte Hiko mit einem Hauch Neugier. „Was meinen Sie damit? Wir sind auf dem Weg ins Shirobeko“, sagte Megumi. Hiko lächelte selbstzufrieden. „Mit dem Weg könnt ihr auch ganz von vorn anfangen. Ihr seid nicht einmal in der Nähe.“ „Hä?“ fragte Sanosuke misstrauisch. „Ihr habt es nicht sehr weit geschafft. Ihr seid noch in der Nähe des Aoiya. Es ist gleich diese Straße hinunter“, sagte Hiko. Megumi warf Sanosuke einen vernichtenden Blick zu. Sie hatte gehört, dass er einen schlechten Orientierungssinn hatte, aber wirklich... „Ich war auf dem Weg dorthin, um ein Geschenk abzugeben“, fuhr Hiko fort. Er blickte auf die Scherbe in seiner Hand. „Das hat sich wohl erledigt.“ Er stupste die Leiche mit einem Zeh an. „Also. Wer ist das?“ „Ein Anhänger von Makoto Shishio, würde ich vermuten“, sagte Megumi. „Ich schätze Ihre Hilfe wirklich sehr, Hiko-san, aber ich wünschte Sie hätten ihn nicht getötet. Es wäre gut gewesen ihn ausfragen zu können.“ Megumis Denken war nun ganz analytisch, ein Abwehrmechanismus gegen die nagende Hysterie, die sie zu überwältigen drohte. Sie wäre beinahe umgekommen. Sie hatte ein Messer an der Kehle gehabt... Bei diesen Worten hoben sich Hikos Augenbrauen. „Wenn uns Shishios Anhänger nachspionieren, dann wissen sie vielleicht jetzt schon vom Shirobeko.“ Ken-san, dachte Megumi mit plötzlicher Angst. Sie wusste, dass Sanosuke das selbe dachte, denn der junge Mann verlor plötzlich alle Anzeichen von Feindseligkeit gegenüber Hiko. Zu besorgt war er, als dass er sich mit kleinlichen Streitereien aufhalten wollte.“Aber wenn sie es jetzt noch nicht wissen, werden sie es bald herausfinden. Alles was sie tun müssten, wäre einem von uns vom Aoiya zurück zu folgen“, sagte er. „Wir müssen die anderen warnen!“ „Bring Megumi-sensei zurück zum Shirobeko“, sagte Hiko ruhig. „Und ich werden eure Freunde warnen gehen.“ „Nein. Nein, ich kann nicht gut genug kämpfen“, sagte Sanosuke und sah düster auf seine ruinierte Hand herab. „Ich wäre keine große Hilfe, wenn wir noch einmal angegriffen werden würden. Du bringst Megumi zurück und ich gehe und warne die anderen.“ Megumi sah, dass es ihn schmerzte seine Schwäche zuzugeben, aber entgegen allem Anschein war Sanosuke kein Narr. Und verblüffender Weise konnte er zur Abwechslung seinen Stolz herunterschlucken, da es um die Sicherheit seiner Freunde ging. Megumi konnte die Veränderung in ihm kaum glauben. Der Sanosuke, den sie kannte, hätte es nie geschafft eine Schwäche zuzugeben und zuzustimmen, dass Hiko sie zurückbrachte. Etwas war während seiner Zeit hier in Kyoto mit ihm geschehen. Megumi versprach sich selbst, dass sie herausfinden würde, was die Veränderung hervorgerufen hatte, wenn es die Zeit erlaubte. Sie lächelte ihm aufmunternd zu. „Dann geh, Sanosuke, beeil dich. Von jetzt an werden wir alle einen Umweg machen müssen, wenn wir vom Aoiya zurückgehen.“ Er sah sie unsicher an. „Es geht mir gut, Blödmann“, versicherte sie ihm. „Jetzt geh.“ Mit einem fast entschuldigenden Nicken wandte er sich zum Gehen und lief schnell los. „Und sei vorsichtig!“ rief sie ihm nach. Er winkte kurz, sah aber nicht zurück. Megumi holte tief Luft. „Nun“, sagte sie zu Hiko. „Ich nehme an, wir sollten besser gehen.“ Er nickte düster, dann nahm er sie bei der Hand und führte sie durch einen Irrgarten unbekannter Straßen. Ihr Weg war für Megumi nur verschwommen, da ihre Gedanken durcheinander wirbelten, wenn sie versuchte darüber nachzudenken, wozu das was gerade passiert war, führen mochte. Sie ließ sich führen, ohne allzu sehr auf ihre Umgebung zu achten. Sie konzentrierte sich nur darauf so schnell sie konnte einen Fuß vor den anderen zu setzen, um Hiko nicht zu sehr zu behindern. Bevor sie sich dessen bewusst wurde, nahm die Umgebung vertraute Gestalt an und sie sah auf und erkannte die Stände und Fronten des Marktplatzes in der Nähe des Shirobeko. Sie hatten den Weg zum Restaurant ohne Schwierigkeiten hinter sich gebracht. Im Shirobeko schien alles gut zu sein, bemerkte Megumi erleichtert. Sie hatte halb erwartet bei ihrer Ankunft das Gebäude in Ruinen, brennend oder auf grausige Weise zerstört zu sehen. „Wo ist Okina-san?“ fragte Megumi Sae als die zierliche Eigentümerin ihnen die Tür öffnete und ihr Lächeln zu Besorgnis wurde, als sie Megumis und Hikos Gesichter sah. „Wir müssen sofort mit ihm sprechen.“ Der alte Agent der Oniwabanshu tauchte einen Augenblick später auf und die Falten seines Gesichts vertieften sich vor Sorge als Megumi erzählte was an diesem Tag geschehen war. Die drei diskutierten kurz über die Angelegenheit, bevor Okina mehrere von Saes Angestellten mit geheimen Aufgaben losschickte, über die Megumi nur rätseln konnte. Die Oniwabanshu hatte Kontakte in der ganzen Stadt. Ihr Informationsnetzwerk war groß und Megumi war sich sicher, dass wenn jemand Antworten finden konnte, es Okinas Leute wären und sie es schnell und effizient schaffen würden. Okina hatte auch einige Boten zur Polizeistation geschickt. Hoffentlich konnten sie einige Polizisten entbehren, um am Shirobeko Wache zu stehen. Hiko ging ebenfalls und sagte nur, dass er eigene Fragen habe, auf die er eine Antwort suche. Megumi hatte gehofft, dass der Krieger für eine Weile im Shirobeko bleiben würde. Seine Gegenwart ließ sie sich sicher fühlen. Aber er hatte ihr versichert, dass er in der Gegend bleiben würde und dass er kommen würde, wenn es Ärger gäbe. Und so, als sie zurückgelassen wurde, während die anderen alle ihren Aufgaben nachgingen, entschied sich Megumi, dass sie am besten helfen konnte, wenn sie sich frisch machte und sich um Ken-san kümmerte. Sie nahm ein dringend nötiges Bad und zog einen sauberen Kimono an, einen der wundervoll frei von Blut und Schmutz war. Dann trabte sie leise in das Krankenzimmer, wo der Rurouni ruhig schlief, ohne sich der Spannung und des kontrollierten Chaos um ihn herum bewusst zu sein. Leute waren unterwegs, jagten nach Informationen, bereiteten sich auf einen möglichen Angriff auf das Shirobeko vor... und Kenshin schlief friedlich weiter, ohne es zu merken. Es war ihr einziger Trost, dachte Megumi, als sie sich zu dem kleinen Schwertkämpfer setzte. Ken-san brauchte von all dem nichts zu wissen. Er hatte schon zu viel von sich gegeben. Es war nur gerecht, dass ihm jede Sorge erspart blieb, dass die anderen zur Abwechslung ihm halfen. Sie bemerkte mit distanziertem Interesse, dass ihre Hände angefangen hatten zu zittern. Wie seltsam, wenn man bedachte, dass es ihr völlig gut ging. Die Gefahr war lange vorbei, die Bedrohung für ihr Leben vorüber. Sie hatte heute dem Tod ins Angesicht gesehen und war mit nur einem kleinen Kratzer entkommen. Das war nichts, wirklich, im Vergleich mit dem, dem ihre tapferen Freunde wieder und wieder gegenüberstanden. Sie war sicher und gesund. Und sie hatte genug zu tun. Sie sollte Ken-sans Bandagen wechseln. Und ihm einen frischen Tee kochen. Und ein paar neue Bandagen zurechtschneiden. Und verdammt, aber ihre feigen Hände wollten nicht aufhören zu zittern. Sie hatte hundert kleine Aufgaben, mit denen sie sich beschäftigen sollte. Statt dessen fing sie an zu weinen. Nicht jetzt, schimpfte ihr Verstand. Bitte, nicht jetzt! Aber ihr Körper weigerte sich ihr zu gehorchen und die Tränen begannen unkontrolliert zu fließen. Takani Megumi rollte sich neben Ken-san auf dem Fußboden zusammen und ihr Körper wurde von lautlosen Schluchzern geschüttelt, als sie das Gesicht in den Händen vergrub und sich leise in den Schlaf weinte. Kapitel 6: Erwachen ------------------- Das erste, was sie sah, als sie aufwachte, war ein glitzernder roter Schleier in ihrem Sichtfeld. Megumi blinzelte die Orientierungslosigkeit weg und erkannte, dass das, was sie sah, Ken-sans Haare waren und dass sie auf dem Boden in seinem Zimmer lag. In dem Moment kamen ihre Erinnerungen plötzlich wieder und sie setzte sich schnell auf, wobei ihre Hand zu ihrer Kehle flog. Sie war beruhigt, als sie sah, dass das Blut, das an ihren Fingerspitzen kleben geblieben war, getrocknet und nicht frisch war. Was sie am Nachmittag erlebt hatte, hatte sie zutiefst erschüttert und zum ersten Mal seit Jahren fürchtete sich Takani Megumi allein. Sie würde diese Angst aber natürlich nie jemand anderem gegenüber zugeben. Ihre Fassung mochte erschüttert worden sein, aber ihr Stolz war noch ganz. Sie würde sich beschäftigt halten, ihre Gedanken ablenken und dann würde sie keine Angst mehr haben. Sie war hier im Shirobeko sicher, das wusste sie. Okina war immer in der Nähe und heute war Kurojou damit an der Reihe, hier Wache zu halten, statt zum Aoiya zu gehen. Und Sanosuke sollte in der Zwischenzeit zurück sein, vermutete sie. Dem Stand der Sonne nach war es wahrscheinlich später Nachmittag. Megumi ging nach unten in die Küche, wo Sae und ihre Angestellten damit beschäftigt waren, das Abendessen vorzubereiten. „Megumi-sensei“, strahlte Sae und lächelte sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Brauchen Sie etwas?“ „Nein danke. Ich habe mich gefragt, ob Sanosuke zurückgekommen ist.“ „Nein. Wir haben ihn nicht gesehen.“ „Ah, in Ordnung.“ Sie runzelte etwas die Stirn und ging nach oben in Ken-sans Zimmer zurück. Der Idiot nahm sich wahrscheinlich auf seinem Weg zurück Zeit um sicherzugehen, dass ihm niemand folgte. Es ergab keinen Sinn, sich zu viel Sorgen zu machen. Sie würde sich schon beschäftigen bis er mit Neuigkeiten zurückkam. Sie ging zu ihren Taschen und nahm eine kleine Kiste, die mit verschiedenen ihrer winzigen Werkzeuge gefüllt war. Sie wählte ein kleines, schmales Messer, das sie benutzen wollte, um einige von Ken-sans Fäden zu ziehen. Der Kampf war eine Woche her. Zeit dass einige der Fäden an seinen kleineren Wunden herauskamen. Sie entfernte zuerst die an seinem Hals. Dabei drehte sie vorsichtig sein Gesicht von ihr weg, als sie die Fäden einen nach dem anderen durchtrennte und sie langsam herauszog. Sie hielt inne als er sich bewegte und seine Kiefer kurz anspannte. Aber dann war er wieder ruhig und sie konnte alle an beiden Seiten entfernen, ohne ihn zu wecken. Dann kamen die an seiner Brust dran und schließlich die an seiner rechten Hüfte, wo er die Wunde wie Sanosuke berichtet hatte durch Shinomori bekommen hatte. Bei dem Gedanken an Shinomori Aoshi machte sie ein finsteres Gesicht. Ken-san hatte immer gemeint, dass etwas Gutes in dem Mann stecken würde, aber Megumi konnte das nicht glauben. Zu viele bittere Erinnerungen wurden von diesem Gedanken hervorgerufen, also zwang sie sich nicht an die Tage zu denken, als sie eine Gefangene Kanryus gewesen war, zwang sich konzentriert bei ihrer Arbeit zu bleiben. Sie war ganz in ihre Arbeit vertieft und bekam von der Welt nichts mit, als eine leise, vertraute Stimme die Stille durchbrach. „Megumi-dono.“ Sie schrie beim unerwarteten Klang der Stimme des Rurouni auf eine sehr un-Megumi-hafte Weise auf und schnitt sich beinahe mit dem kleinen Messer. „Ken-san! Du bist wach!“ bemerkte sie scharfsinnig. Sie legte das Messer zur Seite und wandte sich um, wo sie von vertrauten, violetten Augen betrachtet wurde, die nun frei von dem Delirium waren, das sie seit der letzten Woche getrübt hatte. Sein Blick war immer noch verschleiert von Schwäche und Schmerzen, aber es war zumindest Verstand in ihnen. Megumi konnte sehen, dass zum ersten Mal seit seinem Kampf, die Gedanken des Schwertkämpfers klar waren. „Wach, ja.“ Seine Worte waren heiser und kaum lauter als ein Flüstern, aber sie waren trotzdem das wundervollste Geräusch, das sie seit langem gehört hatte. Himura Kenshin war endlich zu ihnen zurückgekehrt. „Willkommen zurück, Ken-san“, sagte sie mit brüchiger Stimme. „Wir haben dich vermisst.“ Kenshin versuchte angestrengt seinen Blick nicht verschwimmen zu lassen, sah sich schläfrig in dem ihm unbekannten Raum um und bemühte sich, sich zu sammeln. Seine Augen weiteten sich plötzlich, als ihm eine dringende Erinnerung kam. Mit sorgenvoller Stimme begann er: „Sind alle... Die Juppongatana...“ „Wurde völlig besiegt, Ken-san“, berichtete sie ihm. Sie hatte gewusst, dass das zu den ersten Fragen gehören würde, die er stellte. „Unseren Freunden geht es allen gut. Alle aus dem Aoiya sind in Sicherheit.“ Sie konnte sehen, dass er das Schlimmste angenommen hatte und nun erleichtert war, dass sie ihm seine größten Ängste genommen hatte. Seine Lider sanken kurz herab und er entspannte sich etwas, als er sich tiefer in den weichen Futon sinken ließ. „Shishou“, sagte er leise. Die violetten Augen öffneten sich wieder, langsam, richteten sich auf Megumi als wäre sie sein Anker, etwas, an dem er sich festhalten konnte, da die Welt ein verschwommenes Durcheinander war, das seine müden Sinne zu überwältigen drohte. Megumi kannte das Gefühl gut, wenn auch nicht aus eigener Erfahrung, so doch aus den Erzählungen früherer Patienten. Für einige konnte die Desorientierung nach so einer langen Zeitspanne überwältigend sein. Sie hatte dieses Szenario wieder und wieder miterlebt, das Erwachen eines Patienten nach langem Schlaf, die Unruhe derer, die verletzt und verwirrt waren, die keine Ahnung hatten, wo sie waren oder was mit ihnen passiert war. Sie hatte schon vor langem die Routine entwickelt, ihnen sofort die dringend benötigten Informationen zu geben, bevor sie auch nur die Möglichkeit hatten, selbst an die Fragen zu denken. Es milderte ihre Verwirrung etwas und machte ihre ersten wachen Momente ein wenig erträglicher. Aus diesem Grund war sie dankbar, dass sie diejenige war, die über Kenshin gewacht hatte, als er zu sich kam. Etwas Professionalität in dieser Situation war in ihren Augen eine gute Sache. Und so fasste sie, trotz ihres Drangs Ken-san zu umarmen und an sich zu drücken (was ihn wahrscheinlich zu Tode erschreckt hätte), statt dessen schnell die Ereignisse der vergangenen Woche zusammen und beteuerte immer wieder, dass es allen gut ging. Sie erzählte ihm wie er von Sano und Aoshi zum Aoiya gebracht worden war und wie sie es dann zum Shirobeko geschafft hatten, da das Aoiya zerstört worden war. Sie ließ jedoch die Details der Kämpfe ihrer Freunde unerwähnt. Davon sollten Kaoru und Yahiko erzählen. Sie hatten es sich verdient. „Du wärst stolz auf alle, Ken-san. Sie haben sich in dieser Nacht gut geschlagen. Ich fürchte sie haben Hiko-san nicht mehr viel zu tun übrig gelassen.“ Er blinzelte ein paar Mal, nachdem sie fertig gesprochen hatte und versuchte trotz seiner Müdigkeit alles zu verarbeiten, was sie ihm erzählt hatte. Mit bloßer Willenskraft hielt er seine Augen offen während er die Informationen hungrig in sich aufsog, die sie zu geben hatte, entschlossen alle Neuigkeiten zu hören. Und weil sie wusste, dass er zu sehr auf ihre Gefühle Rücksicht nehmen würde um etwas zu fragen, von dem er wusste, dass Megumi empfindlich darauf reagieren würde, fügte sie selbst hinzu: „Kaoru geht es gut, wie du dich sicher fragst Ken-san. Sie hat sich natürlich um dich große Sorgen gemacht, doch sie ist in Ordnung. Sie hat dich jeden Tag besucht. Sie wäre überhaupt nicht von deiner Seite gewichen, wenn nicht Sanosuke und die anderen sie überzeugt hätten, ein bisschen raus zu kommen und ihnen beim Aoiya zu helfen.“ „Danke, Megumi-dono“, sagte er schließlich und begann wieder einzuschlafen. Dann weiteten sich seine Augen aber etwas als er an etwas anderes dachte. „Megumi-dono?“ Sie beugte sich dichter zu ihm, um ihn besser hören zu können. „Ja, Ken-san?“ „Ihr müsst müde sein. Hattet Ihr Gelegenheit etwas auszuruhen?“ Er konnte sie immer noch überraschen. All die Patienten um die sie sich in all den Jahren als Ärzten gekümmert hatte... Und Ken-san wachte aus einem Albtraum auf und dachte nur an ihr Wohlergehen statt an seines. „Ja, ich habe mich ausgeruht“, flüsterte sie. „Es geht mir sehr gut.“ (Jetzt da du zurück bist, fügte sie im Stillen hinzu.) „Kann ich dir etwas bringen? Hast du schlimme Schmerzen?“ fragte sie mit ihrer fröhlichsten Stimme und versuchte nicht ihre Gefühle durchscheinen zu lassen oder ihn den Sturm in ihren Gedanken sehen zu lassen. „Nein“, antwortete er. Aber er hatte gezögert. Sie wusste, dass er log. Megumi füllte eine Tasse mit warmem Wasser und rührte eine kleine Menge zerdrückter seiyo-otogiriso hinein. Kenshins Augen waren geschlossen als sie die Tasse zu ihm brachte, aber er wachte sofort auf eine sachte Berührung hin. Sie schaffte es den Arm unter seinen Rücken zu bekommen und ihn in eine halb sitzende Position zu bringen. Sein Kopf lehnte an ihrer Schulter. „Da ist Blut an Eurem Hals“, bemerkte er besorgt. Sie wäre fast erstarrt. Fast. Megumi erholte sich schnell und war erleichtert, dass Ken-san zu müde war um ihren Schrecken zu bemerken. Sie hatte ihm nicht erzählt was heute beunruhigendes passiert war. Sie wollte auf keinen Fall ausgerechnet jetzt seinen Frieden stören. „Blut? Ich fürchte, es ist deines, Ken-san“, log sie mühelos. „Jetzt trink das alles aus. Es wird dir etwas von den Schmerzen nehmen und dir helfen zu schlafen.“ Sie lächelte auf ihn herab. „Glaube es oder nicht, aber die Welt braucht dich zur Abwechslung einmal nicht. Sie kommt ganz gut allein zurecht. Also kannst du es zumindest für eine Weile ruhig angehen lassen, nicht?“ Seine Augen drohten sich wieder zu schließen, aber er wehrte sich. „Sessha würde gerne alle sehen“, sagte er schwach. „Kaoru... Yahiko...“ „Und Okina und Misao und Sanosuke“, schloss sie für ihn mit immer noch fröhlichem Tonfall. „Und das wirst du. Später. Sie sind jetzt gerade sowieso beim Aoiya und werden nicht so bald zurückkommen. Ruh' dich aus, Ken-san, dann hast du mehr Kraft, wenn sie ankommen. Hör bei dieser Sache auf den Arzt. Megumi-dono weiß Bescheid.“ Sie ließ dem Singsang der Füchsin etwas ernster folgen: „Ich verspreche, ich werde dich wecken, wenn sie kommen.“ Er schaffte es zu lächeln und nickte schwach als sie ihn wieder zurück sinken ließ. Und dann schlief er ein und ließ sie allein und zittrig zurück, ohne dass sie wusste, warum sie sich so fühlte. Megumi rückte Ken-sans Decken zurecht und strich ihm lange rote Haarsträhnen aus dem bleichen Gesicht. Sie saß für einen Moment da und sah ihm beim Schlafen zu, dann stand sie langsam auf, steif und müde von den Anstrengungen des Tages. Sie legte die Arme um sich selbst und zitterte etwas als sie aus dem Fenster über die Dächer in Richtung des Aoiya blickte, das zu weit weg war um von ihr gesehen zu werden. So viele Freunde waren dort im Aoiya und alle lagen Ken-san so sehr am Herzen... Besonders Kaoru. Immer Kaoru. „Benimm dich nicht wie ein Baby, Takani Megumi“, sagte sie zu sich selbst und kämpfte gegen die vertraute Eifersucht an, die sie immer spürte, wenn sie an das Mädchen dachte. Megumi, nicht Kaoru, war diejenige gewesen, die Ken-san in seinen ersten wachen Momenten begrüßt hatte. Und sie war ihm eine Hilfe gewesen. Er war mit einem Lächeln wieder eingeschlafen. Diese Erinnerung war ein Schatz für sie, einer den sie wegschließen und nahe bei ihrem Herzen aufbewahren konnte. Es war ein schwacher Trost, da sie wusste, dass die Zeit, die sie allein mit dem Rurouni verbracht hatte, zu ihrem Ende kam, nun da er sich wieder erholte, und dass es die einzigen Gelegenheiten waren, die sie je haben würde, allein mit ihm zu sein. Bald würde er wieder Kaoru gehören und nur Kaoru. Aber das spielte keine Rolle, nicht wahr? Ken-san ging es besser. Sein Wohlbefinden war das einzige was wirklich eine Rolle spielte. „Na dann“, sagte sie mit seltsamer Melancholie zu sich selbst. Sie lehnte sich an das Fenstersims und spielte abwesend mit einigen Haarsträhnen. Ihre Gedanken wanderten zu einem gewissen Straßenkämpfer mit fragwürdigen Manieren, von dem sie hoffte, dass er nach seiner einsamen Reise zurück zu den anderen in Sicherheit war. Ihre Augenbrauen hoben sich bei dieser überraschenden Selbsterkenntnis. Sie sorgte sich um den Typ, das war klar, so wie sie sich um alle ihre Freunde sorgte. Aber sie war sich nicht bewusst gewesen, dass der Gockelkopf so einen hohen Rang in ihren Gedanken einnahm. Er war bestenfalls ein nervtötender Schurke und schlimmstenfalls geradezu ein Bastard. Idiot. Er sollte natürlich einen Umweg zurück nehmen, aber es hätte nicht so lange dauern sollen. Sie hoffte, dass er auf dem Rückweg nicht in noch mehr Ärger geraten war. Hoffte, dass er nicht tot in einem Straßengraben lag. Megumi schüttelte den Kopf und scheuchte die düsteren Gedanken fort. Kaoru und Yahiko würden nie alles so schwarz sehen. Noch würden ihre neuen Bekanntschaften Okina und dieses verrückte Wieselmädchen Misao das tun. Sie sahen das Leben alle so idealistisch. Es war ein Optimismus, von dem Megumi geglaubt hatte, dass er ihr vor langer Zeit verloren gegangen war und den sie nun erst langsam wiederentdeckte, eine Hoffnung, so winzig und zart wie ein kleiner Vogel. Aber diese Hoffnung war da, egal wie schlecht die Chancen standen, bereit entfacht und gefördert zu werden dank dieser neuen Freunde, die sie durch Ken-san getroffen hatte. Als wären ihre Gedanken das Stichwort gewesen, öffnete sich ein Stockwerk tiefer die Eingangstür und Megumi hörte Sanosukes Schritte als er die Treppe hinaufsprintete und zwei Stufen auf einmal nahm. Erleichterung (und eine Spur Ärger über die Lautstärke seiner Ankunft) durchflutete sie als er energiegeladen und aufgeregt wie immer den Raum betrat. Sie freute sich ihn zu sehen. Aber um nichts auf der Welt würde sie ihn das wissen lassen. Sie schaffte es nicht wie ein Idiot zu grinsen und hob statt dessen eine Augenbraue mit fröhlicher Verachtung. „Und? Was hat so lange gedauert?“ fragte sie. Er lehnte sich an die Wand und zögerte bevor er antwortete: „Ich hab' mich verlaufen.“ Es war das letzte, was sie erwartet hatte. Und dabei hätte es das erste sein sollen. Megumi lachte und lachte. Sanosuke verzog das Gesicht und seine Wangen färbten sich rot. Er wollte gerade etwas Unhöfliches erwidern, da war sie sich sicher, als er plötzlich innehielt. „He, da ist Blut an deinem Hals!“ Sie blinzelte. „Ken-san hat das selbe gesagt.“ „Was?“ sagte er und warf dem schlafenden Rurouni einen schnellen Blick zu. „Ich habe ihm aber nicht gesagt, was passiert ist. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen macht.“ „Verdammt! Er war wach und ich habe es verpasst?“ Sanosukes Züge verzogen sich kurz zu einem knopfäugigen, bösen Gesicht, wurden dann aber wieder nachdenklich. Megumi starrte ihn mit wissenschaftlicher Faszination darüber, wie schnell der junge Mann Gesichtsausdrücke wechseln konnte, an. „Was hat er noch gesagt?“ „Er hat gefragt, wie es allen geht“, sagte sie. „Heh, das ist keine Überraschung.“ „Nein, das ist es wirklich nicht.“ Megumi sah liebevoll zu der schlafenden Gestalt hinter ihr. Sie dankte den Göttern ständig für den Tag, an dem sie sie Himura Kenshins Weg hatten kreuzen lassen. Er war der freundlichste, sanfteste Mensch, den sie kannte. Er war weiser als seine achtundzwanzig Jahre vermuten lassen würden und besaß eine Anmut, die sowohl physisch als auch spirituell offensichtlich war. Er sah das beste in anderen Menschen. Er war sogar fähig das Gute in Megumi zu sehen als sie in ihrem Leben an einem Tiefpunkt angelangt war, als sie gedacht hatte, alle Ehre verloren zu haben und sich selbst aufgegeben hatte. Ihr Leben war ein Scherbenhaufen gewesen. Aber jetzt baute sie es wieder auf, Stück für Stück, dank Kenhin und diesen liebenswürdigen Menschen, die sie mittlerweile ihre Freunde nannte. „Füchsin.“ Megumi sah zu dem jungen Straßenkämpfer auf. Sie fand in diesem Moment hatte er keinen Hauch von einem Schurken an sich und ihr Spitzname war ohne den normalerweise neckenden Unterton ausgesprochen worden. Er sah nachdenklich aus. Nun, jedenfalls so nachdenklich wie es ein Idiot konnte. „Woran denkst du?“ fragte er. „Ken-san hat sich noch immer als ,sessha' bezeichnet, als unwürdige Person.“ Megumi schüttelte langsam den Kopf. „Er hat gerade ganz Japan gerettet und dabei alles riskiert. Und er hält sich immer noch für unwürdig. Ich habe mich gefragt... Wie kann so jemand, der so deutlich in die Herzen anderer blickt, sich selbst so völlig...“ „Falsch sehen“, beendete Sano den Satz. „Ja.“ Sanosuke zuckte mit den Schultern und trat zu ihr ans Fenster, wo er den Anblick der Stadt in sich aufnahm. „Ich glaube nicht, dass ich den jemals wirklich verstehe. Echt“, sagte er langsam, seine Stimme ungewöhnlich ruhig. „Ich glaube, das kann niemand, nicht einmal das Fräulein.“ Zwischen den beiden herrschte einen Moment seltsamen Schweigens als sie über die Weite Kyotos blickten. „Oh, das hätte ich fast vergessen“, sagte Megumi. Sie holte das kleine Messer heraus, das er ihr gegeben hatte und hielt es ihm hin. “Danke hierfür.” Sie fühlte sich etwas verlegen, hätte sie doch nie davon geträumt, dass sie sich einmal bei dem Gockelkopf bedanken würde. “Behalte es. Es war doch für dich”, sagte er leichthin und blickte wieder in die weite Ferne, nachdem er kurz auf das Ding gesehen hatte. “Du bist die einzige von uns, die keine geübte Kämpferin ist. Ich dachte es wäre sicherer, wenn du es hättest.” Sie starrte ihn an. Zur Abwechslung fiel ihr überhaupt nichts ein, was sie sagen könnte, also starrte sie ihn einfach an. Schließlich bemerkte er ihren Blick. Und wie es typisch für ihn war, interpretierte er ihr Schweigen fälschlicherweise als Verachtung. “Hey, Mensch, wenn du es nicht haben willst, gib es Oumime zurück. Es ist eins von ihren, das sie nicht mehr gebraucht hat”, sagte er und begann genervt zu klingen. “Ich brauche es todsicher nicht. Ich würde mich nie mit so einem mikrigen kleinen Messer blicken lassen.” Megumi steckte das Messer wieder weg und sagte nichts. Sanosuke sah zu Megumis durchttriebener Zufriedenheit völlig verwirrt aus. “Idiot”, murmelte sie amüsiert und brachte den jungen Mann noch mehr durcheinander. Sie war sicher, dass ihr eigenes Gesicht nur frohe Gelassenheit zeigte als sie den Blick auf den Horizont Kyotos gerichtet hielt. Sanosuke sah aus als wolle er noch mehr sagen, dann überlegte er es sich besser und entschied – womit er die weiseste Entscheidung seines Lebens traf – den Mund zu halten. Er zuckte mit gespielter Schicksalsergebenheit die Schultern und lehnte sich an den Fensterrahmen. Die Sonne ging unter. Sie sahen es sich schweigend zusammen an. ******** In Memoriam Am 27. Januar 2009 starb Charlene Sun, im Internet besser bekannt als HakuBaikou, die Originalautorin dieser FF, bei einem Autounfall. Möge sie nie vergessen werden. Kapitel 7: Überlegungen & Enthüllungen -------------------------------------- Sie hatten versprochen ihn nur einzeln zu besuchen, damit es ihm nicht zu viel würde oder er sich überanstrengte. Dieses Versprechen hielt nicht sehr lange. Kaoru war etwa zehn Minuten im Zimmer des Rurouni gewesen, als Yahiko, Misao und Sanosuke nicht mehr länger warten konnten. Sie waren trotz Megumis Schelten alle hineingestolpert und kurz darauf waren natürlich noch Okina und Hiko gefolgt. Kenshin hatte die Invasion gut aufgenommen. Seine Augen hatten angestrengt und zusammengekniffen gewirkt und er hatte nicht viel gesprochen, aber er war die ganze Zeit wachgeblieben. Und er hatte glücklich ausgesehen. Das war durch die Erschöpfung und die Schmerzen hindurch zu sehen gewesen. Seine müden Augen hatten geglitzert als Misao und Yahiko mit viel Enthusiasmus von ihren Siegen im Kampf berichtet hatten. Und er hatte die Augen nicht von Kaoru abwenden können und mit einer Mischung aus Sorge und Stolz gelächelt als man ihm von ihrer Rolle bei dem Kampf beim Aoiya erzählt hatte. Eigentlich hatte er sie alle häufig angesehen. Nicht nur Kaoru. Es war, als könne er kaum glauben, dass sie wirklich da waren, dass sie nicht nur Erscheinungen aus seinem vorangegangenen Delirium waren. Kaoru hatte anscheinend diese Angst unterbewusst gespürt, denn sie hatte gelegentlich seinen Ärmel berührt und beruhigend auf ihn herab gesehen. Es war eine gute Nacht gewesen, diese Nacht vor drei Tagen als der Rurouni endlich erwacht war und sie sich alle in seinen Raum gezwängt hatten. In der Zwischenzeit war es zu einem Teil der Routine geworden. Jeden Tag blieben Megumi, Hiko und Okina im Shirobeko und bewachten Ken-san und das Restaurant selbst, während die anderen mit erhöhter Geschwindigkeit das Aoiya reparierten. Sie spürten, dass die Reparaturen dringend waren. Es herrschte ein stillschweigendes Verständnis, dass es um so besser wäre, je eher das Hauptquartier der Oniwabanshu repariert wäre. Deshalb arbeiteten sie fieberhaft und waren vorsichtig, wenn sie den Weg zu Saes Restaurant zurückgingen. Tagsüber waren alle angespannt. Aber abends, wenn alle wieder sicher unter einem Dach vereint waren, legte sich die Spannung etwas und nach dem Abendessen versammelten sie sich in Kenshins Zimmer um dem Rurouni für den Rest des Abends Gesellschaft zu leisten. Sie hatten es bemerkenswerterweise geschafft ihre verschiedenen Sorgen wegen Shishios Männern vor dem Rurouni verborgen zu halten, etwas was sie nie hätte tun können, wenn Kenshins Schwertkampfsinne in Topform gewesen wären. Doch nun war Kenshin noch schwach und es ging ihm bei weitem nicht gut genug um sich darauf zu konzentrieren die Absichten eines anderen zu spüren oder vorauszuahnen. Die Unfähigkeit des Schwertkämpfers jemanden zu erspüren war für Megumi sowohl ein Grund zur Erleichterung als auch zur Sorge, doch sie behielt ihre Befürchtungen für sich. Ken-san war noch immer zu blass und seine Genesung ging langsamer voran als sie es bei jemandem, der zuvor in so guter Gesundheit gewesen war, erwartet hatte. Megumis Hauptsorge war nun die Stichwunde in seiner Seite. Trotz all ihrer Fürsorge weigerte sie sich hartnäckig zu heilen. Sie sah sich die Wunde gerade an, untersuchte sie mit gewisser Bestürzung und zog das Verbandsmaterial heraus. Sie hatte immer wieder frische Stoffstreifen, die sie in Kräutern eingeweicht hatte in die Wunde gedrückt, damit sich nicht wieder eine Eitertasche bildete, wie es in den ersten paar Tagen nach dem Kampf geschehen war. Jetzt waren Infektionen, so weit sie das sehen konnte, kein Problem mehr. Das Problem war, dass nach dieser ganzen Zeit noch immer Blut aus der Wunde sickerte. Zehn Tage waren seit dem Kampf vergangen. Obwohl Megumi sie letzte Woche öffnen musste, hätte die Wunde schon längst aufhören zu bluten und anfangen zu heilen sollen. Ken-san verlor zuviel Blut und diese Blutarmut hielt ihn im Bett, da er zu schwindelig und kurzatmig war, um herum zu laufen oder zu versuchen, seine Kraft wieder aufzubauen. Kenshin vermutete, dass etwas nicht stimmte. Er hatte nichts in dieser Richtung gesagt, aber Megumi war sich dessen sicher. Der Schwertkämpfer hatte in der Vergangenheit zu viele Erfahrungen mit Wunden gemacht. Er musste erkennen, dass etwas nicht richtig lief. Er war gerade wach und saß in einer Ecke des Zimmers gegen einen unbenutzen Futon und mehrere Kissen gelehnt. Er sah ihr mit mildem Interesse dabei zu, wie sie vorsichtig die Verbände entfernte. Er gab keinen Laut von sich, doch an seinen angespannten Muskeln und dem beherrschten Klang seines Atmens erkannte Megumi, dass er Schmerzen hatte. „Es tut mir leid, Ken-san“, murmelte sie als sie den Rest Stoff herauszog. Zumindest fiel Ken-san nach dem Wechseln der Verbände nicht mehr in Ohnmacht, dachte sie kurz, bevor sie bei dem Anblick eines weiteren blutdurchweichten Stück Stoffs die Stirn runzelte. „Megumi-dono, stimmt etwas nicht?“, fragte er plötzlich mit ruhiger und leiser Stimme, der Stimme, die Megumi als Ken-sans eigentlich Stimme ansah, da es weder der hohe Klang des Rurouni noch das tödliche Zischen des Battousai war. „Ich weiß nicht, warum das nicht heilt, Ken-san“, gab sie zu während sie arbeitete. „Es will einfach nicht aufhören zu bluten. Und das ist seltsam, wo doch der Rest deiner Wunden so gut heilt.“ Nach kurzem Schweigen kam die rätselhafte Antwort: „Wenn eine Wunde von dem Schwert jemandes mit großem Hass verursacht wurde, wird diese Wunde nicht heilen, bis Rache verübt wurde.“ Megumi hielt inne und sah Ken-san besorgt an. Diese Worte hatte sie von Ken-san nicht erwartet. Er klang als wäre er in Gedanken weit weg und irgendwie traurig. In seiner Stimme lag ein Schmerz, der nichts mit seinen Worten zu tun hatte. Dann verging der unbehagliche Moment und Ken-san schien wieder er selbst. „Wie dem auch sei“, fuhr er nachdenklich fort. „Ich habe nicht die Wunde gemeint. Stimmt etwas anderes nicht, Megumi-dono?“ Die amethystfarbenen Augen des Rurouni waren sanft und klar, als er sie betrachtete. Sein Schwertkampfsinn kehrte möglicherweise zurück, erkannte Megumi, obwohl er körperlich noch schwach war. Also war ihm die allgemeine Unruhe doch aufgefallen. Megumi sah auf ihre Arbeit hinab und fühlte sich stark versucht, dem Rurouni alles zu enthüllen. Aber etwas ließ sie zögern. „Ich mache mir Sorgen um dich, Ken-san. Das tun wir alle“, antwortete sie unbestimmt. Es war zumindest die halbe Wahrheit. Er würde bald genug von dem Angriff von Shishios Männern erfahren, aber dennoch war es rücksichtsvoller, ihm die Neuigkeiten noch vorzuenthalten. So verstörende Ereignisse zu verraten, während Ken-san noch zu schwach war, um eine Hilfe zu sein, würde den Schwertkämpfer nur unnötig quälen. Megumi wusste, dass er irgendwie einen Beitrag leisten wollen würde und nicht fähig wäre das zu tun. Zu Megumis Erleichterung gab Ken-san nach und stellte keine weiteren Fragen. Er schien noch zu müde zu sein um darauf zu drängen, dass sie mehr Informationen preisgab. „Was war das, was du über eine Wunde gesagt hast, die aus starkem Hass entsteht?“ fragte sie in dem Versuch ihn abzulenken. „Jemand, der einmal ein Freund war, hat das gesagt“, antwortete er und machte sie nur noch neugieriger, „als es das letzte Mal passiert ist.“ Jemand, der einmal ein Freund war? Wieder war Megumi verwirrt über seine seltsame Wortwahl. Sie fragte sich ob dieser Jemand später zu einem Feind geworden war. Oder vielleicht war dieser Jemand einfach nur gestorben. Sie seufzte innerlich. Ken-san war selbst jetzt noch ein Rätsel. Nach all den Monaten, in denen sie sich gekannt hatten, konnte sie ihn manchmal noch immer nicht verstehen. Hiko-san hatte Ken-san gut unterrichtet, dachte sie. Der Rurouni war so frustrierend verschlossen wie sein Meister. Das war eines der wenigen Persönlichkeitsmerkmale, die die beiden unglücklicherweise teilten. „Das ist schon einmal passiert?“ sagte sie. „Ja.“ Er nickte. „Einmal. Vor langer Zeit.“ „Und Shishio war hasserfüllt als er diese Wunde machte?“ Sie runzelte die Stirn. „Aber das verstehe ich nicht. War er nicht genauso hasserfüllt, als er diese anderen Wunden verursachte? Die heilen doch gut. Warum ist es bei dieser hier anders?“ Der Rurouni senkte den Kopf und verbarg seine violetten Augen hinter einem Vorhang roter Stirnfransen. Sein Mund spannte sich so an, dass er nur noch wie eine dünne Linie aussah. Es fiel Megumi schwer nicht mit noch mehr Fragen herauszuplatzen und dem Rurouni Zeit zum Antworten zu geben. Jedenfalls wenn er überhaupt antwortete. Ken-san hatte nicht viel über den Kampf mit Makoto Shishio gesprochen. Und als Kaoru und Megumi versucht hatten vor ein paar Tagen die Geschichte aus Sanosuke herauszubekommen, war der Straßenkämpfer überraschend schweigsam gewesen, war ihren Fragen ausgewichen und hatte sich weggeschlichen während er etwas darüber murmelte, dass er noch ein paar Spielschulden in der Stadt bezahlen musste. Sie hatten nur ein paar vage Informationen über den Kampf, aber keiner außer den drei Überlebenden des Kampfes kannte Details. Ken-san war einfach noch nicht bereit etwas zu erzählen und sowohl Shinomori als auch Sagara machten keine Anstalten etwas zu verraten, solange der Rurouni selbst nicht bereit war zu sprechen. Megumi fing schon an zu denken, dass Ken-san sich wieder in Geheimniskrämerei vergrub und den Rest der Welt außen vor ließ, als er leise sagte: „Da war eine Frau.“ „Eine Frau?“ „Ja. Ihr Name war Yumi“, sagte er. „Sie war Makoto Shishios Geliebte.“ Aus irgendeinem Grund kam es Megumi seltsam vor, Ken-san von Frauen und Geliebten sprechen zu hören. Er sprach fast nie von Liebe. Nicht in allgemeinem Sinn und ganz sicher nicht, wenn es um spezielle Personen ging. Megumi hatte wieder und wieder bemerkt, dass Liebe ein Thema war, das der Rurouni mied wie die Pest. Oft täuschte er Unwissen und Naivität vor und machte jede nur vorstellbare Anstrengung dem Thema auszuweichen. Kenshin zögerte einen Moment bevor er weiterredete. „Sie starb von dem selben Schlag, durch den diese Wunde endstand.“ Megumi runzelte die Stirn. „Ich fürchte, ich verstehe nicht. Wie kann so etwas denn geschehen?“ „Shishio war am Boden, beinahe besiegt und ich musste mich entscheiden ob ich ihn... ob ich ihn töten sollte oder nicht.“ Seine Worte schienen aus großer Entfernung zu kommen, als müsse er jedes einzelne schmerzhaft aus sich herauszerren. Megumi erschauderte bei dem Gedanken, dass der frühere Hitokiri vor solch einer Wahl stand, sich entscheiden musste ob er den Schwur, an den er sich unter großer Anstrengung zehn Jahre gehalten hatte, brechen würde. „Ken-san“, flüsterte sie. „Du musst nicht mehr sagen, wenn du nicht willst. Ich wollte niemals so schmerzhafte Erinnerungen in dir wecken. Bitte entschuldige meine dumme Neugier.“ „Nein, es ist schon gut“, sagte er. Er sah aus dem Fenster auf den frühen Abendhimmel. Die Wolken waren golden gefärbt und ihre zerfransten Ränder glühten als würden sie brennen. Er runzelte leicht die Stirn und wandte sich von dem Anblick ab. „Yumi-dono rannte zwischen uns und fiel auf die Knie. Sie bettelte um Shishios Leben.“ „Und du hast das Schwert gesenkt“, schloss Megumi. „Ja.“ Er sah sie unsicher an. „Und dann schlug Shishio zu. Durch ihren Rücken...“ Er schluckte und seine Stimme versagte. Megumi blinzelte betäubt und ungläubig. „Er hat durch euch beide gestochen? Er hat sie getötet um dich zu erwischen? Was für ein Monster!“ „Das habe ich auch gedacht. Zuerst. Aber jetzt erscheint es mir nicht mehr so klar.“ „Was ist daran so unklar?“ „Ich kann mir vorstellen, wie sehr es Shishio geschmerzt hat als er...“ „Ken-san! Wage es nicht mir zu sagen, dass dir dieser teuflische Unmensch leid tut!“ Megumi konnte nicht anders als die Stimme zu heben. Kenshin war zu gutherzig. Manchmal machte es einen ganz wild. „Der Mann hat seine Geliebte getötet um sein eigenes wertloses Leben zu schützen! Wie kannst du nur Mitleid mit ihm haben? Wie um alles in der Welt, könntest du dir auch nur vorstellen wie er sich gefühlt hat? Nur ein Monster könnte die töten, dir er liebt...“ Sie verstummte plötzlich. Kenshin starrte sie an, seine violetten Augen waren weit aufgerissen und sein Atem ging nur stoßweise. Etwas, das sie gesagt hatte, hatte bei ihm Entsetzen verursacht, das erkannte sie nun. Es hatte ihn so tief getroffen, dass er ihr nicht einmal mehr antworten konnte. „Ken-san?“ fragte sie erschrocken über ihren Patzer und fragte sich, was sie gesagt hatte, das den Rurouni so erschüttert hatte. „Ken-san? Was habe ich gesagt?“ Er blinzelte und erholte sich langsam. „Nichts“, flüsterte er, aber er schien ihr dabei nicht in die Augen sehen zu können. Sie blieb für einen langen Moment stumm, zutiefst unglücklich, dass sie ihm noch mehr Schmerz bereitet hatte. Sie wollte ihn so gern fragen, was sie getan hatte, das ihn so verletzt hatte, aber er sah so elend aus und schien die Unterhaltung, die gerade stattgefunden hatte, einfach nur vergessen zu wollen. „Entschuldigung“, sagte sie schließlich. Sie wusste nicht was sie sonst sagen sollte. „Ich habe dir sehr weh getan.“ Seine Antwort kam automatisch: „Nein, Megumi-dono. Ich bin derjenige der um Entschuldigung bitten muss.“ Megum musste lachen, wenn auch ein bisschen aus Verzweiflung. Sie konnte nicht anders. Es war das einzige Ventil für die Anspannung, die sie aufgebaut hatte. Ken-sans aufrichtige Sorge um das Wohlergehen anderer war die eine Konstante in seiner Persönlichkeit, die nie zum Schweigen gebracht oder verdrängt werden konnte. Es war teilweise der Grund, warum sie ihn so sehr liebte und gleichzeitig fand sie es einfach amüsant. Selbst jetzt, da er offensichtlich so verstört war und sie der Idiot war, der Schuld daran hatte... „Ken-san, du bist zu nett, ist dir das klar?“ Sie lächelte. „Du bist viel zu nett.“ Er war verblüfft, dass sie so plötzlich wieder vergnügt aussah, aber er schien darüber erleichtert zu sein. Seine Miene hellte sich auf und seine Augen wanderten von ihrem Gesicht zu etwas hinter ihr bei der Tür. „Meister“, sagte er lächelnd und seine Düsternis löste sich in Gegenwart seiner Meisters weiter auf. „Dummer Schüler“, erwiderte eine all zu vertraute tiefe Stimme. Megumi fuhr zusammen, da sie wieder einmal das leise Eintreten des Schwertkämpfers nicht bemerkt hatte. Noch etwas nervtötendes, das die beiden gemeinsam hatten. Beide waren leise wie Katzen. „Klopfen Sie eigentlich nie an?“ fragte sie mit gespieltem Ärger. Während der letzten Woche hatte sie zu Hiko-san eine seltsame Freundschaft aufgebaut und fühlte sich im Gegensatz zu den anderen von der rauen Art des Kriegers überhaupt nicht eingeschüchtert. Megumi war sich nicht ganz sicher, warum Hiko Seijuro sie anders behandelte als den Rest von Kenshins Freunden. Vielleicht respektierte er sie wegen ihrer Fähigkeiten als Ärztin. Oder vielleicht hatte es etwas mit der Tatsache zu tun, dass außer Hiko selbst Megumi die einzige war, die nicht von Ehrfurcht vor Ken-san erfüllt war, die den Rurouni als einen bloßen Menschen und nicht als lebende Legende ansah. Hiko ignorierte ihre Frage und setzte sich mit seiner Sakeflasche (seinem ständigen Begleiter) neben sie. Er schüttete einen Becher voll und hielt ihn dem Rurouni hin. „Das wird etwas Farbe in dein kränkliches Gesicht bringen.“ „Hiko-san!“, sagte Megumi hitzig. „Meister“, lachte Kenshin verlegen. Er hob die Hände und lehnte das Getränk ab, das ihm sein Meister angeboten hatte. „Pff.“ Hiko-san grinste selbstgefällig. „Dann nimm du es“, sagte er und drückte den Becher Megumi in die Hände. „Mein dummer Schüler konnte noch nie was vertragen.“ Dann fügte er ernster hinzu: „Deine Freunde sind nach Haus gekommen. Kannst du sie spüren?“ Kenshins Lächeln verblasste. „Nein.“ Hiko sah seinen früheren Schüler einen Moment an, dann zuckte er die Schultern. Wenn er besorgt oder enttäuscht war, so zeigte er es nicht. „Es spielt keine Rolle“, sagte er. „Es wird mit der Zeit zurückkommen. Ich warne dich nur, dass sie kommen. Deine verrückten Freunde neigen immer dazu ein Spektakel zu machen, wenn sie ankommen. Der Lärm geht mir auf die Nerven. Ich habe darüber nachgedacht nach Hause zu gehen. Zur Abwechslung zurück zu etwas Frieden und Ruhe.“ „Aber Hiko-san“, sagte Megumi mit mehr Unruhe in der Stimme als sie vorgehabt hatte. Sie konnte vor Ken-san nichts über Shishios Männer sagen, also sah sie Hiko-san bedeutungsvoll an und hoffte er würde ihre stummen Sorgen verstehen. „Müssen Sie denn so bald gehen?“ „Meister, könnt Ihr nicht noch etwas länger bleiben?“, fragte der Rurouni. Hiko sah erst Kenshin und dann Megumi an. „Ich habe Hunger“, war alles, was er sagte, als er sich erhob und bereit machte nach unten zum Abendessen zu gehen. „Es ist Essenszeit.“ Megumi war entschlossen, Hiko-san nach unten zu folgen, bis sie eine zufriedenstellendere Antwort erhielt. „Ruh dich aus, Ken-san. Ich komme bald mit Abendessen für dich zurück“, sagte sie als sie Hiko zur Tür hinaus folgte. In diesem Moment hörten sie die Geräusche der anderen, die nach Hause zurückkamen: das leichte Stampfen Yahikos und Misaos schnelle Füße, Kaoru, die ihren Schüler ausschimpfte, Sanosukes rollendes Lachen. „Ah, sie sind zurück“, sagte Ken-san leise mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen. Hiko runzelte die Stirn. „Krach“, sagte er nur während er auf dem Weg nach draußen Kenshins Tür zu zog. „Nein, bitte. Lasst sie offen“, sagte der Rurouni. „Ich höre sie alle gern. Die Geräusche... sind beruhigend.“ Hiko hob eine Augenbraue und machte damit deutlich, dass er seinen dummen Schüler für verrückt hielt, dann ließ er die Tür offen und ging die Treppe hinunter. „Warum wollen Sie ausgerechnet jetzt gehen?“ flüsterte Megumi drängend als sie außer Hörweite von Kenshins Zimmer waren. Der Krieger zuckte die Schultern. „Das habe ich doch gesagt. Es ist hier viel zu laut. Es hat seinen Grund, dass ich ein Einsiedler bin.“ Megumi schnaubte wütend. Gerade als sie gedacht hatte, dass sie mit dem Mann zurechtkam, schaffte er es einen neuen Weg zu finden, sie rasend zu machen. „Das soll wohl ein Witz sein“, knurrte sie. „Sie wollen uns verlassen, wo doch Shishios Männer jeden Tag angreifen können?“ „Das sind nur Fußsoldaten, Megumi-sensei. Nichts im Vergleich mit der Juppongatana. Nichts womit du und deine Freunde nicht allein fertig werden würden“, sagte er als sie das untere Stockwerk erreicht hatten und sich im Durcheinander ihrer Freunde widerfanden, die gerade angekommen waren und auf dem Weg zum Abendessen waren. Megumi begrüßte alle kurz, dann führte sie ihren Streit mit Hiko-san fort. Sie starrte ihn wütend an und sprach lauter als sie vielleicht sollte. „Aber Hiko-san, Sie können doch nicht...“ „Können was nicht?“, fragte Sanosuke, der Megumis gereizten Tonfall und Hikos finstere Miene bemerkt hatte. „Megumi-san, Hiko-san, ist alles in Ordnung?“ fragte Kaoru. Erst dann bemerkte Megumi, dass der Rest der Gruppe leise geworden war und sie und Hiko-san besorgt ansah. Ein halbes Dutzend Augenpaare war auf sie gerichtet. In einigen stand Sorge, in anderen eher Verblüffung. Megumi spürte wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Sie zögerte und war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Plötzlich hörten sie einen dumpfen Aufschlag von oben, gefolgt von einem gedämpften: „Hilf mir mal jemand!“ von Shirojou, der an diesem Abend Wache hielt. „Kenshin!“, rief Yahiko, der als erster die Stille brach. Und dann rannten sie alle zusammen die Stufen nach oben, eilten mit klopfendem Herzen zu dem Zimmer des Rurouni und jeder von ihnen fürchtete sich davor die Ängste laut auszusprechen, die sie in den Tagen ergriffen hatten seit Megumi und Sanosuke zuerst auf den schwarz gekleideten Spion getroffen waren. Megumi hielt die Luft an als Sanosuke die Tür zu dem Zimmer des Rurouni aufriss. Sie erwarteten einen Angriff. Sie erwarteten ein Verhängnis. Den Göttern sei Dank, dass sie falsch lagen. Der Rurouni war über dem Fenstersims zusammen gesunken und ein bestürzter Shirojou hockte draußen auf dem Dach und hielt ihn an den Schultern fest. Der große Mann sah sie entschuldigend an. „Es tut mir leid“, sagte er schnell. „Ich habe nur gesehen, wie er sich aus dem Fenster gelehnt und beinahe gefallen wäre. Ich weiß nicht woher er wusste, dass ich hier oben bin. Ich schwöre, dass ich kein Geräusch gemacht habe!“ Der Rurouni, dessen Gesicht unter einem Durcheinander roter Haare verborgen war, murmelte: „Ich habe eine Präsenz draußen vor dem Fenster gespürt und gedacht...“ „Das war nur ich, Himura-san“, sagte Shirojou. „Sonst ist niemand hier draußen.“ „Ich habe dir doch gesagt, dass dein Schwertkampfgeist zurückkommen würde“, sagte Hiko lässig. Megumi kämpfte gegen das ungehörige Bild in ihren Gedanken an, wie sie dem Krieger eins mit seinem Sakekrug auf den Kopf gab. „Kenshin, du Dummkopf“, sagte Kaoru sanft, als sie sich zu dem Rurouni kniete und ihre Hand leicht auf seinem Arm ruhen ließ. „Tu uns das nicht wieder an. Du hast uns alle erschreckt.“ „Entschuldigung, Kaoru-dono“, antwortete er als ihn Sanosuke und Hiko wieder zu seinem Futon zurücktrugen. Ken-sans Stimme war so sanft wie immer, aber die violetten Augen, die alle im Raum betrachteten waren erfüllt von sturer Entschlossenheit als er fragte: „Aber ich frage mich: Warum muss Shirojou-san vor dem Fenster Wache halten?“ Megumi biss sich auf die Lippe und sah stumm zu den anderen. Es war sehr still im Zimmer geworden. „Bitte“, fuhr Kenshin leise fort. „Jemand soll mir bitte sagen, was hier vor sich geht.“ Daraufhin sahen alle zu Kaoru. Aus irgendeinem Grund erwarteten sie von dem Mädchen die letztliche Entscheidung zu treffen. Kaoru seufzte und ihre großen blauen Augen blickten in die violetten Augen des Rurouni. „Jetzt ist es zu spät“, sagte sie schließlich. „Wir können ihm auch genausogut die Wahrheit erzählen.“ Kapitel 8: Ausflug zum Aoiya ---------------------------- Ken-sans Reaktion auf die Neuigkeiten über Shishios Männer war genau so wie Megumi gefürchtet hatte. Gleich am nächsten Morgen begann er sich zu überanstrengen, versuchte allein aufzustehen und seine verloren Kraft wiederzufinden. Er schaffte es nicht ganz und kroch schließlich auf allen vieren wie am vorigen Abend als er Shirojou auf dem Dach gespürt hatte. So fand ihn Megumi am nächsten Morgen: Ein Häufchen Elend auf dem Boden, zitternd und ein bisschen verlegen, dass man ihn außerhalb des Bettes erwischt hatte. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu schelten. Sie hatte nur geseufzt, da sie wusste, dass das ohnehin keinen Zweck hatte. Wenn Ken-san es sich in den Kopf gesetzt hatte sich bei dem Versuch wieder gesund zu werden umzubringen, würde er das mit oder ohne Hilfe tun (und Megumis verschwendete Ermahnungen ignorieren). Also entschied sie sich wieder besseren Wissens ihm bei dieser Dummheit zu helfen. Ihre einzige Bedingung war, dass er seine kleinen Versuche in der Nähe des Futons machte, damit er weich landete sollte er fallen und sich nicht zu sehr verletzte. Schließlich hatte sie zu hart daran gearbeitet, dass seine Verletzungen heilten, als dass sie ihre Bemühungen jetzt durch diesen Leichtsinn zunichte gemacht werden ließe. Als er das gefährliche, missbilligende Glitzern in ihren Augen gesehen hatte, hatte Ken-san kleinlaut ihrer Bedingung zugestimmt. Sie half ihm dann hoch, hielt seine Hände in ihren und stützte ihn als er unsicher auf die Beine kam. Und dann wartete sie geduldig, während er die Augen schloss und einen Moment abwartete bis sich nicht mehr alles drehte. Er versuchte einen Schritt zu machen, aber seine Knie gaben nach und Megumi konnte gerade so verhindern, dass der Schwertkämpfer lang hinschlug. Die schmale Gestalt des Rurouni war schwerer als er aussah und Megumi war nie körperlich stark gewesen. Als sie es letztlich schaffte ihn zurück zu seinem Futon zu bekommen, atmete er schwer und seine Hände zitterten. „Ken-san, du kannst nicht erwarten, deine Kraft und Energie so schnell zurück zu bekommen, besonders wo du soviel Blut verloren hast“, sagte sie sanft als sie sein von Enttäuschung und Frustration düsteres Gesicht sah. „Niemand würde versuchen ein Feuer ohne Holz anzuzünden. Dies ist genau das selbe, verstehst du? Du kannst keine Kraft gewinnen, wenn du so wenig Blut hast. Und es braucht seine Zeit um gesund zu werden, besonders wo du so lange im Bett warst.“ „Während der Bakumatsu habe ich nie so lange gebraucht um mich zu erholen.“ Seine Stimme war angespannt, beinahe verdrossen. „Du wurdest auch noch nie so schwer verletzt, Ken-san“, erwiderte sie. „Und“, fügte sie trocken mit ihrer besten Füchsinnenstimme hinzu, „du warst auch noch nie achtundzwanzig. Du bist fast doppelt so alt wie damals, weißt du? Väterchen.“ Er hatte das Gesicht verzogen und leise und reimütig gelacht. Aber er hatte sein mentales Gleichgewicht wieder, wenn auch nicht das physische, und er hatte ihren Rat angenommen und sein Tempo gedrosselt. Das war vor einer Woche gewesen. Er hatte sich seitdem stetig verbessert. Mehr als Megumi für möglich gehalten hatte, wenn sie an die verdammte Wunde in seiner Seite dachte, die noch immer blutete. Er hätte eigentlich bei der Menge an Blut, die er verloren hatte, sterben müssen, aber wer als Kenshin könnte etwas Unmögliches tun und es irgendwie schaffen Generationen von medizinischer Erkenntnis über den Haufen zu werfen und wieder gesund zu werden? Er saß mit dem Rücken am Fensterrahmen und sah den Leuten auf der Straße zu als Megumi ins Zimmer kam, um seine Verbände zu wechseln. Er stützte sich auf sein Sakabatou und bewegte sich so vorsichtig und langsam wie ein alter Mann, aber er ging allein und ohne Hilfe zu seinem Futon, wo er sich ohne große Schwierigkeiten setzte. „Guten Morgen, Ken-san“, sagte sie als sie den kleinen Korb mit Verbandszeug absetzte. „Könntest du mir die Salbe holen, während ich etwas Wasser koche? Du weißt doch wo sie ist, oder?“ „Ja“, sagte er und durchsuchte die Behälter in ihrem Medizinkoffer. Megumi lächelte sich selbst zu als sie eine Flamme für das Wasser entfachte. Sie hatte sich schon gedacht, dass Ken-san heute morgen früh auf sein würde. Megumi hatte entschieden, dass es ihm gut genug ging, eine Weile nach draußen zu gehen, und heute würde der Rurouni zum ersten Mal seit er nach dem Kampf hierher gebracht wurde, die Grenzen des Shirobeko überschreiten. Ken-san war seit zweieinhalb Wochen hier eingepfercht und seine Rastlosigkeit begann langsam seine Geduld zu übertreffen. Also hatten sie einen Ausflug als eine Belohnung geplant. Die Polizei würde bald mit einer Kutsche hier sein und sie zum Aoiya bringen. Sanosuke war heute morgen zurückgeblieben und würde Megumi mit Ken-san und dem riesigen Picknick helfen, das Sae gezaubert hatte. Megumi hatte eine Menge Essen zum Aoiya gebracht, als sie das letzte Mal dort zu Besuch war, doch das heutige Mittagessen würde das letzte in den Schatten stellen, hatte Sae geprahlt. „Megumi-dono?“ Etwas in seiner Stimme ließ sie sich umdrehen und als sie das tat, hielt Megumi plötzlich bei dem, was sie tat, inne. Ken-san hielt eine kleinen schwarz lackierten Flakon in der Hand. Es war das Fläschchen, das Hiko verlangt hatte, als der Rurouni im Delirium war. ,Idiot!', dachte Megumi von sich selbst. Sie hatte das Perfum völlig vergessen. „Gehört das Euch?“, fragte Ken-san. „Ja“, sagte sie und versuchte beiläufig zu klingen. „Es ist weiße Pflaumenblütenperfüm“, sagte sie einfallslos. Wenigstens schaffte sie es, ihre Stimme normal klingen zu lassen. Er starrte das Fläschchen an und sprach stockend, als würde er schon ahnen was da kam. „Habe ich etwas... unangebrachtes gesagt, als ich krank war?“ Megumi seufzte. Kenshins Schwertkämpfersinn war (unglücklicherweise) wieder voll da und er hatte trotz allem etwas in ihrer Stimme gespürt. Es würde jetzt schwer sein ihn noch anzulügen. Er würde es spüren, wenn sie versuchte etwas vor ihm zu verbergen. „Du hast ein paar Namen erwähnt. Einer davon schien dich aufzuregen und Hiko-san dachte, dass dieses Parfüm helfen würde. Er wollte aber nicht erklären warum.“ „Mein Meister?“ Er hob vor Überraschung die Augenbrauen. „Ja.“ Sie nickte. Und dann ging sie ein Risiko ein. „Du hast einen Namen gesagt, Ken-san. Du hast nach Tomoe gerufen.“ Der Rurouni wurde plötzliche sehr still. Bevor Ken-san etwas anderes sagen oder denken konnte, sprach Megumi schnell weiter: „Ich weiß nicht, wer sie war, Ken-san. Und ich werde nicht fragen. Aber wenn das irgendwie hilft...“ und hier sprach sie nur aus einer inneren Ahnung heraus auf einen Verdacht hin, „Wenn das irgendwie hilft: Kaoru war nicht hier als du es gesagt hast. Und wir haben es ihr gegenüber nie erwähnt.“ „Sie war nicht hier.“ Er klang erleichtert. Dann sagte er: „Wir?“ „Okina, Sae und ich“, gab sie zu. „Wir waren alle hier. Aber keiner von uns hat seitdem darüber gesprochen. Du hast viele Geheimnisse Ken-san. Ich hoffe eines Tages erzählst du uns davon, aber im Moment... verstehen wir das.“ Seine Augen waren dankbar als er sie ansah. „Danke, Megumi-dono“, sagte er leise. Sie studierte ihre Hände und versteckte dabei ihr Gesicht. Es gab nur sehr wenige Menschen auf der Welt, die Takani Megumi wie ein kleines Mädchen erröten lassen konnten. Sie lachte nervös und schüttelte den Kopf. „Wie auch immer“, sagte sie und kam auf das eigentliche Thema zurück. „Lass uns mit dem Verbandwechseln fertig werden, oder? Und dann können wir uns auf den Weg machen. Ich bin mir sicher, dass schon alle auf uns warten und ich weiß, dass du sehr beeindruckt sein wirst, was sie schon geschafft haben. Okina-san sagt, dass die Reperaturarbeiten nächste Woche fertig sein müssten. Das ist ziemlich schnell, nicht wahr, wenn man bedenkt, dass sie ein ganzes Restaurant und Hotel wieder aufbauen. Und wird es nicht schön sein, in der Sonne zu Mittag zu essen, Ken-san? Ich bin sicher, du freust dich darauf. Sae hat genug Körbe gepackt um eine kleine Armee zu versorgen.“ Sie plapperte wie ein Idiot, das wusste sie. Aber wenigstens herrschte keine unangenehme Stille mehr zwischen ihnen und Ken-san schien amüsiert zu sein und zufrieden damit, ihrem Geplauder zuzuhören während sie arbeitete. Sie und Ken-san waren inzwischen ziemlich gut im Verbandwechseln geworden. Er hob zur richtigen Zeit die Arme, drehte sich in die eine oder andere Richtung und reichte ihr von selbst Salben und Verbandszeug. Wie immer waren die alten Bandagen blutig, aber Megumi war entschlossen sich an diesem Morgen von ihren Sorgen nicht ihre Laune verderben zu lassen. Es gab genug was ihr sonst noch auf dem Herzen lag und wollte sie nicht beide mit deprimierendem Pessimismus herunterreißen. Sie versuchte sich auf das Positive zu konzentrieren. Ken-san schien heute nicht mehr so viel Schmerzen zu haben. Und das Sickerblut schien etwas weniger geworden zu sein. Und machte sich Ken-san nicht gut trotz des Lochs in seiner Seite? Sie konnte nichts tun als ihn weiter so gut wie möglich zu behandeln, also tat Megumi genau das. Sanosuke traf bald darauf mit ihrer Kutsche ein. „He, Kenshin! Füchsin!“, rief der Straßenkämpfer von draußen hoch. Megumi eilte zum Fenster. „Hör auf zu schreien, Idiot! Die ganze Nachbarschaft wird dich hören“, sagte sie und schaffte es doch nicht die Belustigung aus ihrer Stimme zu vertreiben. „Wir sind in einer Minute unten.“ Aber der junge Kämpfer war zu ungeduldig um draußen zu warten und bald konnte man seine Schritte die Treppe hinaufrennen hören. „Beeilt euch doch? Ich habe Neuigkeiten“, sagte er und machte ein finsteres Gesicht. Er legte einen Arm um den Rurouni und halb trug er und halb zerrte er den armen Schwertkämpfer mit einer Geschwindigkeit, die für Megumis Geschmack viel zu hoch war, die Treppe hinunter. „Sano! Das ist zu schnell!“ kam ein gedämpfter Protest von dem verschreckten Rurouni. Megumi konnte nicht anders als sich vorzustellen, wie die zwei Männer die verbeibenden Stufen in einem Strudel aus Pink und Weiß hinunterstürzten. Sie murmelte halblaut: „Idiot“, und ging die Treppe mit einer weit vernünftigeren Geschwindigkeit hinunter. Megumi stellte vergnügt fest, dass die Kutsche von dem selben eifrigen, jungen Polizisten gefahren wurde, der sie beim letzten Mal begleitet hatte. Er war damit beschäftigt, Sae dabei zu helfen, die Kutsche mit einem verblüffenden und etwas einschüchterndem Aufgebot von Körben zu beladen. „Werden wir da alle rein passen?“, fragte sie zweifelnd. „Kein Problem“, sagte Sanosuke als er einem leicht schwindeligen und überwältigten Ken-san in die Kutsche half. „Ich werde oben auf der Kutsche sitzen.“ Damit warf er Megumi einen bedeutungsvollen Blick zu und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Dächer. Sein Gesicht war von Sae abgewandt und der Ernst in seinen Augen widersprach dem Klang seiner Stimme. Megumi nickte verstehend. Sanosuke war besorgt. Es ging um ihre Sicherheit. Und man musste Megumi dieses Mal nicht erst sagen, dass sie die Augen offen halten sollte. Nicht nach der Lektion, die sie beim letzten Mal auf dem Weg vom Aoiya gelernt hatte. Sie hatte noch immer Albträume von dem Angriff, konnte immer noch den kalten Stahl an ihrer Haut spüren, wenn sie nachts allein in ihrem Zimmer war. Sie hatte an diesem Morgen daran gedacht, aber dann hatte sie jeden Gedanken daran verbannt und sich mit anderen Dingen abgelenkt, so dass die Sorge sich nicht zu deutlich in ihrem Gesicht zeigte. Ken-san spürte ihre Bedenken. Daran konnte sie nichts ändern. Aber er musste nicht unbedingt das Ausmaß ihrer Ängste kennen. Er musste nicht sehen, wie viel Sorgen sie sich wirklich machte. Sie sah zu dem Hahnenkopf hoch, der immer noch hektisch herumeilte und sie erkannte plötzlich, dass er Ken-san mit gutem Grund so die Treppe heruntergezerrt hatte. Er hatte gehofft, den Rurouni damit abzulenken, Ken-san daran zu hindern die Anspannung zu bemerken, den Schwertkämpfer zu beschützen und zu verhindern, dass er ihnen helfen wollte. Megumi schüttelte mit widerwilliger Anerkennung den Kopf. Daran musste man sich erst mal gewöhnen, an einen seltsamen Sanosuke, der sogar zu intelligenten Überlegungen fähig war. Und bei diesem Gedanken wandte Megumi ihr Gesicht ab und versteckte ein amüsiertes, kleines Grinsen vor dem Straßenkämpfer als sie schnell hinter Ken-san in die Kutsche kletterte. „Sanosuke-san, Sie müssen nicht draußen sitzen“, sagte Sae als sie sah wie Sanosuke es sich bequem machte und die langen Beine nach hinten von der Kutsche baumeln ließ. „Es ist genug Platz hier drinnen. Wirklich, warum sitzen Sie da oben?“ „Um den Sonnenschein zu genießen und eine bessere Aussicht zu haben“, antwortete er. Um Ausschau nach dem Feind zu halten war die unausgesprochene Bedeutung. Arme Sae, dachte Megumi voller Zuneigung. Sie war auf ihre Weise eine weise und freundliche Frau, aber in anderer Hinsicht so schrecklich unschuldig. Sie war mit Gefahr und Intrigen nicht so vertraut wie der Rest von ihnen. Sie hatte nicht den kämpferischen Instinkt, allem zu misstrauen, den viele von ihnen teilten. Was für ein armseliger Haufen sie doch waren, dachte Megumi bei sich. Ihre Freunde schienen Gefahr und Bosheit anzuziehen wie der Honig die Fliegen. Megumi hörte wie Sanosuke mit dem Fingerknöchel auf das Dach der Kutsche klopfte und dem jungen Polizisten so anwies loszufahren. „Das war's. Wir sind bereit!“, sagte er. Und damit ging es los. „Bis später, Tae! – („Ich bin Sae!“, rief die Restaurantbesitzerin von der Tür aus.) – Egal, ihr seht doch beide gleich aus!“ Megumi sah die Gebäude vorbeifliegen, versuchte die Fahrt zu genießen, versuchte sich zu entspannen, versuchte nicht an schattenhafte Gestalten zu denken, die auf Hausdächern lauerten. „Megumi-dono, es wird alles gut werden“, sagte Ken-san sanft von seiner Ecke der Kutsche aus. Warum versuchten sie überhaupt, etwas vor ihm zu verbergen, dachte sie und lächelte dem Rurouni zu. Er schien immer zu wissen was alle dachten, egal wie sehr sie versuchten es vor ihm zu verstecken. Sie wollten ihn alle schützen und doch gelang es ihnen nie völlig. Es lag nicht in Ken-sans Natur die Hilfe anzunehmen, die sie ihm anboten, ohne selbst etwas zu geben. „Sano wird nicht zulassen, dass uns etwas passiert“, fuhr er mit ruhigem Vertrauen fort. „Und ich habe das Sakabatou. Aber wenn ich nicht stark genug bin es zu benutzen, könnt Ihr mit Eurem Messer zu unserer Rettung kommen.“ Wie in aller Welt wusste Ken-san von ihrem kleinen Messer? Sie hatte es seit dem Tag des Angriffs immer bei sich getragen. Megumi war sich nicht sicher warum sie es immer bei sich hatte. Es war nicht so, als könnte sie damit umgehen. Das war bei ihrer Begegnung mit dem Spion schmerzhaft deutlich geworden. Aber trotzdem gab es ihr ein tröstliches Gefühl zu wissen, dass es da war, und sie war Sanosuke für das gut überlegte Geschenk dankbarer als er je wissen würde. „Jetzt machst du dich über mich lustig, Ken-san“, sagte sie Kenshin lächelte nur und lehnte den Kopf zurück. Bald war er in den Blick aus dem Kutschenfenster versunken und schien zu vergessen, dass jemand bei ihm war. Wie er es liebte, den Menschen zuzusehen, dachte Megumi. Er schien meist zufrieden zu sein, aber die Ärztin in Megumi, die es seit Jahren gewohnt war, in den Gesichtern ihrer Patienten nach Anzeichen von Schmerzen zu suchen, glaubte eine Spur Traurigkeit in den Augen des Rurouni zu sehen. Es schmerzte sie ihn so sehnsüchtig in die Welt zu sehen. Sie wusste, dass er sich fühlte, als sei er auf ewig kein Teil der Menschheit mehr, verdammt dazu ein Außenseiter zu sein, einfach nur weil er zu viel erlebt hatte, weil er die Unschuld und das Gefühl von Sicherheit und dass die Welt richtig lief verloren hatte, das für normale Leute ganz selbstverständlich war. Selbst wenn er für alle seine Sünden sühnen würde, würde Kenshin die Welt nie so erleben wie andere. Er würde sie immer durch den Filter seiner beschmutzten Vergangenheit sehen. Es war etwas, das Megumi verstehen konnte, denn sie hatte eine ähnliche Ansicht über das Leben bekommen, während sie Opium für Kanryu machte. Ihre Erfahrungen, auch wenn sie schmerzhaft waren, waren nicht in der selben Größenordnung wie Ken-sans, aber sie reichten aus, um ihr zu erlauben, sich vorzustellen, wie er sich fühlen musste. Und vielleicht war es diese Wahrnehmung, die sie mit ihm teilte, die sie von den anderen abhob. Vielleicht war Ken-san deshalb so ungewöhnlich offen zu ihr. (Nun, nicht völlig offen, aber doch wenigstens relativ offen.) Er spürte nicht den Drang sie davor zu schützen, die Maske des fröhlichen Rurouni aufzusetzen, die er so oft für Kaoru und Yahiko trug und bis zu einem gewissen Grad selbst für Sanosuke. Diese drei hatten trotz schmerzhafter Vergangenheit und Erfahrungen im Kampf, diese Unschuld bewahrt, die Ken-san vor langem verloren hatte. Ihre Hände waren nicht blutbefleckt und wie sie das Leben sahen war nicht beschmutzt. Sie hatten den Optimismus der neuen Meijiära, die mit dem Blut derjenigen erkauft war, die den Weg bereitet hatten, solche wie der Hitokiri Battousai. Manchmal fand Megumi Trost in dem Gedanken, dass sie zwar nicht den ersten Platz in Ken-sans Herz einnahm, er ihr aber zumindest erlaubte, sein wahres Selbst zu sehen. Nicht dass der sorglose Rurouni oder der kampferprobte Battousai nicht existierten; Das taten sie auf jeden Fall. Aber sie waren gegensätzliche Verkörperungen eines tieferen, verborgenen Wesens, Abwehrmechanismen gegen zuviel Schmerz. Oder seltsamerweise zuviel Glück. Megumi verstand diese Abwehrmechanismen, denn sie glichen ihren eigenen. Der Rurouni und der Battousai waren der Fassade der flirtenden Füchsin oder der kühlen Ärztin, die Megumi so oft benutzte, nicht unähnlich. Und die doppelte Angst vor Schmerz und Freude, auch das konnte sie verstehen. Ken-san hatte Angst, dass die guten Zeiten nicht andauern würden, dass er die verlieren würde, die er liebte. Dass diese Verluste höchstwahrscheinlich irgendwie seine Schuld sein würden, entweder wegen etwas, das er in der Gegenwart tat oder, was wahrscheinlicher war, wegen etwas was, das er in der Vergangenheit getan hatte. Er hatte Angst davor, sich zu wohl zu fühlen. Er hatte Angst vor diesem ungewohnten, bewegenden Gefühl von Emotionen bestürmt zu werden, die ihm bis vor kurzem fremd gewesen waren: Freude, Trost, Vertrauen, Akzeptanz... Liebe. Diese Ängste ließen sie dem Rurouni näher kommen als es die anderen jemals könnten. Aber diese Ängste waren auch der Grund, warum es zwischen Kenshin und Megumi eine Kluft gab, warum sie in ihrem Herzen wusste, dass Kenshin nie ihr gehören würde. Selbst wenn er Kaoru nie begegnet wäre, wäre es doch nicht möglich, denn er konnte mit einer Frau, die eine ähnliche Vergangenheit hatte wie er selbst, nicht glücklich werden. Er wäre nicht fähig in ihre Augen zu sehen und darin all seine Sünden wiedergespiegelt zu finden. Keiner von ihnen würde zusammen Frieden finden. Und deshalb suchte Himura Kenshin bei Kaoru nach Trost und Megumi wandte sich an... Sie runzelte die Stirn. An wen wandte sie sich denn eigentlich? Sanosuke? Der Gedanke kam in ihr auf und ließ sie sich gleichzeitig warm und ängstlich fühlen. Seltsam, dass sie noch nie richtig über ihre Beziehung zu dem Straßenkämpfer nachgedacht hatte. Sie hatte seine Anwesenheit immer für selbstverständlich gehalten, wie sie es in letzter Zeit mit vielem, woraus sie Trost schöpfte, getan hatte. Was genau war denn ihre Beziehung zu ihm, fragte sie sich. Er ging ihr definitiv auf die Nerven. Und das auch recht oft. Und doch vermisste sie seine Gesellschaft, wenn er nicht da war... „Megumi-dono?“, kam eine besorgte Stimme. „Geht es ihr gut?“ „He! Füchsin, wir sind da. Ey!“ Sanosuke wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht. Sie blinzelte. „Ja, ja, du Idiot! Ich habe nur über etwas nachgedacht. Schaff bitte deine Hand aus meinem Gesicht.“ „Vielleicht ist es nicht gut, so sehr nachzugrübeln“, sagte der Rurouni besorgt. „Was genau der Grund ist, weshalb ich das nie tue“, sagte Sanosuke, gähnte und streckte sich in der strahlenden Morgensonne. Megumi fragte sich ob der Gockelkopf sich absichtlich zur Zielscheibe für Beleidigungen machte. Er machte es so verführerisch einfach. Sie brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung um nichts zu sagen. Unglaublich, dass sie ihn tatsächlich für fähig gehalten hatte, einen intelligenten Gedanken zu haben... Yahiko war wieder der erste, der sie begrüßte, und er nahm Ken-san eifrig beim Arm und zerrte ihn durch eine verkürzte Version der Tour, auf der er Megumi geführt hatte. Sie beendeten die Tour in Okinas Garten und Ken-san hatte sich gemütlich auf der Veranda niedergelassen, wo er den Frieden und die Ruhe (außer dem Hämmern, Klopfen, Geschrei und dem lautstarken Gestreite von Yahiko und Misao) in den Stunden vor dem Mittagessen genoss. Kaoru und Megumi schafften es dann, Saes beeindruckendes Picknick auf der Veranda aufzubauen und bald genossen sie alle eine schöne Mahlzeit, die die vorige wirklich in den Schatten stellte. Okina und Hiko, die zu Fuß vom Shirobeko hergelaufen waren (da nicht jeder eine Kutsche zur Verfügung hatte) schlossen sich ihnen bald darauf an. Und bald danach trällerte Okina, der sich mit Hikos Sake gründlich betrunken hatte, eine Melodie, die keiner außer ihm selbst erkannte. Sie versuchten alle von den Bemühungen des alten Mannes beeindruckt zu sein, doch es war recht schwierig nicht zu kichern. Es war mitten in diesem Trubel, dass Misao plötzlich aufsprang und Okinas Vorstellung unterbrach. Die Augen des Mädchens von der Oniwabanshu leuchteten auf und sie grinste so fröhlich wie Megumi sie noch gesehen hatte. „Aoshi-sama!“, hauchte sie und ihre Aufregung war beinahe greifbar. Und der Rest von ihnen drehte sich um und sahen den früheren Okashira allein am Rand des Gartens kerzengerade stehen, das Gesicht so undeutbar wie immer. Megumi strengte sich an, um kein finsteres Gesicht zu machen. Shinomori gehörte nicht zu den Menschen auf der Welt, die sie am meisten mochte. Schließlich hatte er ihr mehr als einmal mit dem Tod gedroht. Aber für die anderen, besonders die überschäumende Misao, behielt sie ihre Meinung für sich. Insgeheim wünschte sie sich aber, dass er im Tempel oder wo auch immer er sich die letzten paar Wochen abgeschottet hatte, geblieben wäre. Er konnte von ihr aus bis zum Ende der Welt meditieren. Seine Gegenwart ließ sie sich immer unbehaglich fühlen. Aoshi aß mit ihnen zu Mittag, ignorierte die Willkommenswünsche, die man ihm entgegenbrachte, zwar nicht so recht, reagierte aber auch nicht wirklich darauf. Er saß mit einem kleinen Abstand zu den anderen und machte sich nicht die Mühe, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Megumi musste jedoch zugeben, dass trotz seiner beharrlichen Stille, sein Gesichtsausdruck irgendwie weicher schien, ein bisschen weniger eisig als das letzte Mal, als sie ihn gesehen hatte. Und die offensichtliche Freude, die seine Anwesenheit Misao brachte, konnte man gar nicht ignorieren. Deshalb und wegen der Tatsache, dass er schließlich ganz am Ende, Ken-san bei seinem Kampf gegen Shishio geholfen hatte... aus diesen Gründen konnte Megumi in Betracht ziehen, ihm zu vergeben. Eines Tages. Wenn sie bereit war. Aber heute noch nicht so recht. Nach dem Essen, schlief der völlig erschöpfte Ken-san in der Sonne auf einem Futon, den sie aus einem der Zimmer im oberen Stockwerk geholt hatten. Megumi und Kaoru machten sich leise daran, die Überreste des Picknicks aufzuräumen. Shinomori blieb seltsamerweise kurz bei Sanosuke stehen und sprach mit ihm, während die anderen wieder an die Arbeit gingen. Megumi konnte nicht anders als Teile ihrer Unterhaltung aufzuschnappen. Sie sprachen leise, aber sie schienen nicht zu versuchen, ihre Unterhaltung wirklich vor jemandem zu verbergen. Deshalb hatte Megumi kein schlechtes Gewissen, dass sie lauschte. „Hast du es ihnen gesagt?“, hörte sie Shinomori mit seinem kühlen, monotonen Tonfall fragen. „Nein, noch nicht“, sagte Sanosuke, warf ihr einen Blick zu und sah ein wenig verlegen drein. „Uns was gesagt?“, fragte Megumi, die nicht länger still bleiben konnte. Sanosuke drehte sich zu ihr, seine braunen Augen düster, und sah aus als wäre er lieber irgendwo anders auf dem Planeten als wo er im Moment war. Shinomoris Gesicht war so ausdruckslos wie immer. „Ja, uns was gesagt?“, stimmte Kaoru mit ein. „Ich habe heute morgen mit einem der Polizisten gesprochen als ich die Kutsche geholt habe“, sagte Sanosuke langsam. „Es scheint als ob jemand gestern in ihre Waffenkammer eingebrochen-“ „Was?!?“ Kaoru ließ den Becher fallen, den sie gerade sauber machte. Sanosuke räusperte sich voller Unbehagen. „Und, äh, sie glauben, dass es Shishios Männer waren“, murmelte er kaum hörbar. „Bist du sicher?“, fragte Megumi. „Unsere Quelle bestätigen es“, antwortete Shinomoris kühle Stimme. Also, dachte Megumi, hat der frühere Okashira doch in letzter Zeit nicht nur meditiert. Es war ja klar. Es war echt so klar. Klar, dass Shinomori nicht aus reiner Höflichkeit zum Essen kam. Klar, dass Hiko und Okina es für notwendig hielten, aus Sicherheitsgründen auch zum Aoiya zu kommen. Klar, dass Sanosuke (Idiot, Idiot!) und die anderen, die Bescheid wussten, es sich nicht getraut hatten, früher etwas zu sagen. Megumi schloss die Augen, zwang sich ruhig zu bleiben, nicht hier und jetzt einen hysterischen Anfall zu haben. Der Angriff von Shishios Männern stand also unmittelbar bevor. Sie hatten sich gefragt, was der Feind vorhatte, hatten in ständiger Angst vor einem Überfall gelebt. Und jetzt, schließlich... Schließlich war es nur noch eine Frage der Zeit. Kapitel 9: Teilung & Täuschung ------------------------------ Schwer lag ein Versprechen auf Regen über der Nacht. Der Druck, den man spürte, war beinahe greifbar, das schwache Kribbeln auf der Haut, die Vorahnung von Gewalt am Himmel. Megumi stand in der Tür des Shirobeko, da die kühle und feuchte Abendluft eine willkommene Abwechslung von der drückenden Hitze der Lampen drinnen war. Der Wind war an diesem Abend lebendig. Täuschend leicht und kapriziös spielte er um ihre Knöchel und ließ die Enden ihres Kimonos flattern. Der Wind würde natürlich nicht so bleiben. Er würde bald zu einer furchteinflößenden Kreatur werden, einer wilden Naturgewalt, die dafür sorgte, dass die Menschen in ihren Häusern blieben, wo sie hinter stabilen, vernünftigen Wänden in Sicherheit waren. Ein Sturm würde heute Nacht wüten. Die Straßen waren leer, was so früh am Abend ungewöhnlich war. Heute waren an den Straßen des Marktbezirks keine hell leuchtenden Laternen aufgehängt. Keines der gewöhnlichen Geräusche, die sonst erschallten, war zu hören: kein Klappern von Töpfen, keine gemurmelten Unterhaltungen, keine getragenen Melodien von Straßenkünstlern. „Es ist nicht sicher, hier draußen zu stehen, Füchsin“, sagte Sagara Sanosuke als er sich zu ihr in die Tür stellte. Seine Augen wanderten kühl über die dämmrige Straße. „Du solltest reinkommen. Wir müssen die Tür schließen.“ Sein Gesichtsausdruck ließ keine Diskussion zu. Und außerdem hatte er recht. Es war wirklich dumm von ihr hier zu stehen, aber sie hatte es tun müssen, hatte hinaus gemusst, selbst wenn es nur bis zur Tür war. Denn in den letzten vier Tagen waren Megumi und die anderen stets in Alarmbereitschaft gewesen, waren angespannt, bereit für den Angriff. Und keiner kam. Es geschah überhaupt nichts. Das konnte einen wahnsinnig machen. „Ich wünschte, sie würden endlich etwas tun“, murmelte sie und machte ein frustriertes Geräusch als sie wieder nach drinnen ging. Das Warten forderte ihr seinen Tribut ab. Mit der Ausnahme von Hiko-san, der früher an diesem Tag verschwunden war, hatten sich jetzt alle am größten Tisch in der Ecke des Restaurants versammelt. Das Shirobeko hatte früh am Nachmittag geschlossen und Sae hatte alle Angestellten und Familienmitglieder nach Hause geschickt. Ihr Lächeln schien ein wenig angestrengt als sie schweigend allen Tee servierte, bevor sie sich selbst setzte. Trotz Saes Anstrengungen es für alle gemütlich zu machen, war es drückend im Zimmer und die Gemüter waren erhitzt. Die Tage der Inaktivität hatten angefangen an ihnen allen zu zehren. Seit dem Tag als in die Waffenkammer der Polizei eingebrochen worden war, hatte Okina-san allen verboten am Aoiya weiterzuarbeiten. Es war ihnen berichtet worden, dass Schusswaffen fehlten. Nicht nur Schwerter und Speere, sondern Schusswaffen. Es wäre viel zu leicht für einen einzelnen Angreifer sie auszuschalten, wenn sie weiter draußen arbeiteten. Es war schlimm genug, drinnen eingepfercht zu sein und nicht zu wissen, wann ein Angriff kommen würde. Doch noch schlimmer war das frustrierende Gefühl nicht zu wissen, wer genau ihr Gegner war und wer das eigentliche Ziel sein würde. Die offensichtliche Antwort wäre natürlich Kenshin. Aber Okina und die anderen waren eine viel zu erfahrene Truppe um sich nur auf das Offensichtliche zu konzentrieren. Das Aoiya, das Shirobeko, das Hauptquartier der Polizei, Kyoto selbst. Sie alle waren in Gefahr. Alle waren mögliche Ziele. Und so standen sie alle um die große Karte der Stadt herum, die Okina besorgt hatte, und diskutierten mögliche Verteidigungspläne und Fluchtwege. Sie hofften, dass sie an jedes mögliche Szenario gedacht hatten. Kenshin selbst blieb seltsam distanziert von den Planungen, obwohl er wohl eine zentrale Rolle bei dem kommenden Konflikt haben würde. In den letzten paar Tagen hatte er sich mehr und mehr zurückgezogen und seine charakteristische Zurückhaltung war wieder stark wie eh und je. Der Rurouni wehrte höflich ihre Nachfragen mit einem Lächeln und gemurmelten Zusicherungen ab, doch sein Lächeln schien gezwungen und seine Augen besorgt. Und er sah müde aus, dachte Megumi besorgt. So unendlich müde saß er in einer Ecke, die Beine übereinander geschlagen, das Schwert an einer Schulter lehnend. Sein Gesicht war gesenkt, die Augen geschlossen, sein Ausdruck so unauffällig wie die dunkelblaue Gi, die er trug. Megumi war sich nicht sicher, was sie bei Ken-san verstörender finden würde: aufmerksames Interesse an Okinas Plänen oder seine gegenwärtige augenscheinliche Gleichgültigkeit. Sie sah zu Sano und Kaoru hinüber, die ihre Bedenken zu teilen schienen. Ein Kenshin, der aktiv dabei sein wollte, hätte ihnen genug Sorgen gemacht, denn sie wussten, dass er noch zu schwach war, um sich an dem Kampf zu beteiligen. Dieser verschlossene, stille Kenshin, jedoch machte sie noch nervöser. In der Vergangenheit war seine Zurückhaltung immer ein Vorzeichen drohender Gefahr gewesen. Er hatte seine Ängste für sich behalten, damit sich seine Freunde keine Sorgen machten. Aber je weniger Ken-san von einer dringenden Angelegenheit sprach, desto mehr Sorgen machten sich seine Freunde. Sie konnten nur spekulieren, was der Rurouni tun würde. Würde er aus dem Weg bleiben, wie alle hofften? Unwahrscheinlich. Würde er versuchen zu kämpfen? Natürlich. Oder würde er etwas närrisches (aber absolut Kenshin-typisches) vorhaben, wie sich dem Feind anzubieten, in der Hoffnung, dass sie das besänftigte und alle anderen verschonten? Megumi hoffte nicht. Kaoru ging mit einer Tasse Tee zu Kenshin hinüber und kniete sich vor ihn. Ihre großen blauen Augen leuchteten als sie sich vorbeugte um das Gesicht des Rurouni besser sehen zu können. „Kenshin?“, sagte sie sanft und bot ihm die Tasse an. Er hob den Kopf. „Danke, Kaoru-dono“, kam die leise Antwort als er das Getränk entgegen nahm. Sein Lächeln für sie schien echt zu sein, ein in letzter Zeit seltener, aber willkommener Anblick. Ein Blitz leuchtete durch die Holzleisten vor dem Fenster, gefolgt von leisem Donnergrollen, und ließ Megumi aus ihren Gedanken aufschrecken. Leise begann Regen zu fallen, erst zögernd, dann wurde er allmählich immer lauter bis die Tropfen zu einem stetigen Rauschen verschwammen. Der Wind wurde etwas stärker und das leise Flüstern wandelte sich zu einem hohen Stöhnen. Der Sturm baute sich auf und nahm an Kraft zu. Ein plötzliches, hektisches Klopfen an der Tür ließ sie alle zusammenfahren und zum Ursprung des Geräuschs sehen. Der Feind würde nicht so etwas lächerliches tun, wie anzuklopfen. Aber trotzdem erwarteten sie niemanden und alles, was heute von der Norm abwich, musste mit großem Misstrauen behandelt werden. Als Sanosuke ging um nachzusehen wer es war, musste sich Megumi selbst daran erinnern zu atmen. Sie tastete über das kleine Messer in ihrem Obi und versuchte ihre unberechenbare Angst zu unterdrücken. Es war die Polizei. Zwei junge Polizisten, schmutzig, nass vom Regen und ziemlich außer Atem. Megumi erkannte einen der beiden als den dunkelhaarigen jungen Mann, der ihre Kutsche zum Aoiya gefahren war. „Sagara-san“, sagte der dunkelhaarige, junge Polizist. „Ist hier alles in Ordnung?“ Sanosuke runzelte die Stirn. „Ja, uns geht es gut, Yoshi. Warum? Was ist passiert?“ Er ließ die zwei Polizisten herein. Sie sahen nervös aus, als sie sich zu ihnen an den Tisch gesellten. „Man hat uns geschickt, um Sie hier heraus zu holen. Wir müssen gehen. Das Shirobeko ist nicht sicher.“ „Was ist passiert?“, wiederholte Sanosuke. „Es gab mehrere Angriffe in der ganzen Stadt. Bei der Polizeiwache wird gerade gekämpft und wir haben Berichte über Vorkommnisse beim Aoiya und den Arais-“ „Der Schwertschmied?“, fragte Misao beunruhigt. „Was hat er denn mit all dem hier zu tun?“ „Nun, das weiß ich nicht.“ Der junge Polizist zuckte entschuldigend die Schultern. „Es tut mir leid, aber das ist, was ich gehört habe. Die Angreifer mögen auch hierher kommen. Es gibt nicht genug Polizisten um alle Posten zu besetzen. Wir sind in Unterzahl. Ich fürchte Goro und ich sind die einzigen, die entbehrt werden konnten.“ „Seltsam“, sagte Okina mit düsterer Miene. „Meine Leute haben bis jetzt noch nichts berichtet.“ „Sagen Sie das dem Gegner“, sagte der junge Polizist. „Sie schießen mit unseren eigenen Waffen auf die Polizeiwache!“ „Genau das haben wir befürchtet“, sagte Okina unglücklich. „Mehrere Angriffe auf mehrere Positionen gleichzeitig. Wir können uns nicht aufteilen. Das wäre wahrscheinlich genau was sie von uns wollen.“ „Aber wir können auch nicht hier bleiben! Wir können nicht einfach nichts tun“, sagte Yahiko. „Das stimmt. Jemand muss zumindest den Arais helfen!“, rief Misao. „Mein Meister ist bei Arai-dono“, sagte Kenshin aus seiner Ecke. Alle Augen richteten sich auf den Rurouni. „Kenshin“, sagte Kaoru überrascht. Kaoru und Sano sahen einander an. Was sonst noch hatte Ken-san ihnen nicht gesagt? „Ich habe ihn gebeten zu gehen. Er hat zugestimmt, dass das das Beste wäre.“ Okina blinzelte. „Das ist zumindest ein Ort, um den wir uns keine Sorgen machen müssen“, sagte er nachdenklich. „Aber die Polizei braucht unsere Hilfe und ich würde es hassen, das Aoiya schutzlos zu lassen. Wir haben zu hart an den Reparaturen gearbeitet als das wir es jetzt bedroht sehen können. Ich hatte gehofft, dass wir uns nicht aufteilen müssten, aber vielleicht haben wir keine andere Wahl.“ „Ich werde mich um das Aoiya kümmern“, meldete sich Shinomori leise. „Aoshi-sama“, hauchte Misao und ein Durcheinander von Gefühlen huschte über das Gesicht des Mädchens. Okina zögerte als sei er sich nicht sicher, dass Shinomori dem gewachsen war. Der frühere Okashira hatte sich von seinen Wunden seit dem Kampf gegen Shishio erholt. Aber sie alle wussten, dass Aoshi die ganze Zeit meditiert und seit Wochen nicht mit seinem Schwert trainiert hatte. Und dann war da noch die Sache mit seinem Verrat. Vergebung war eine Sache. Das war leicht genug. Aber wieder zu vertrauen. Das war weit schwieriger. „Nimm Misao, Kurojou und Masukami mit“, sagte Okina schließlich mit einem kurzen Blick auf sie. „Und bitte passt auf euch auf. Wenn ihr feststellt, dass man euch zu überwältigen droht, zögert nicht euch zurück zu ziehen. Das Aoiya ist unser Heim, ja, aber letztendlich...“ Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Es ist nur ein Gebäude.“ Shinomori nickte leicht und wandte sich zum Gehen. Misao folgte ihm mit einem hastigen Blick zurück auf die anderen. Ihre Augen waren geweitet und ihre Stimmung ungewöhnlich gedrückt. Die anderen beiden Mitglieder der Oniwabanshu folgten ihnen schnell und einen Moment später waren die vier aus der Tür hinaus und fort. Einfach so, dachte Megumi. Es ging alles zu schnell. Im einen Moment waren sie alle zusammen. Im nächsten waren sie in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Sie fragte sich wie sie so schnell aufbrechen konnten, ohne richtig Lebwohl zu sagen. Die Situation verlangte nach Schnelligkeit, das wusste sie, aber die Plötzlichkeit machte sie benommen. „Ist alles in Ordnung, Füchsin?“, kam ein Murmeln von hinter ihr. Sano sah sie seltsam an. „Es geht alles so schnell“, sagte sie. „Das ist während eines Kampfs oft so“, war alles, was er sagte, als er wieder zu Okina und den anderen hinüber sah. Der junge Polizist und Okina unterhielten sich wieder. Okina bestand darauf, dass Yoshi Sae-san an einen sicheren Ort brachte, wo sie nicht in den möglichen Kampf verwickelt würde. Der junge Polizist bestand ebenso vehement darauf, dass es seine Aufgabe war, hier zu bleiben und zu helfen das Shirobeko zu verteidigen. „Das ist schon in Ordnung“, sagte Sae zaghaft. „Wenn der Kampf ernst wird, können wir wahrscheinlich nicht die ganze Zeit ein Auge auf dich haben, Sae-san“, sagte Kaoru sanft. „Wir müssen dich hier rausbringen.“ „Und Megumi-dono auch“, fügte Ken-san leise aus seiner Ecke hinzu. Megumi starrte den Rurouni schockiert an und fühlte sich betrogen. Ken-san begegnete ihrem Blick ohne mit der Wimper zu zucken. Der Gedanke, dass sie von ihren Freunden getrennt werden könnte, war Megumi nicht gekommen. „Nein!“, rief sie. „Ich bleibe hier bei euch!“ Sano sah finster drein. „Kenshin hat recht, Füchsin. Es ist hier für dich zu gefährlich.“ „Ich bin Ärztin. Ich könnte nützlich sein.“ „Du wärst eine Last“, sagte Sano, dessen Augen plötzlich hart wurden. „Du kannst nicht kämpfen, Megumi. Du wärst neulich auf der Straße beinahe getötet worden-“ „Ihr braucht mich vielleicht. Ich muss hier bleiben!“ Ein Teil von ihr konnte kaum glauben, dass sie bleiben sollte. Sie hatte den ganzen Abend schreckliche Angst vor dem nahenden Kampf gehabt, hatte sich wieder und wieder gewünscht irgendwo anders zu sein. Wenn jemand sie vor fünfzehn Minuten gefragt hätte, ob sie bleiben wollte oder nicht, hätte sie ehrlich keine Antwort gehabt. Aber jetzt, unter dem Druck, war ihr die Antwort nur zu klar. Sie wollte nicht von all den anderen getrennt werden. Konnte sich nicht einmal vorstellen, den Rest der Nacht allein und wartend zu verbringen. „Das ist ein gutes Argument“, sagte Kaoru. „Megumis Fähigkeiten würden uns nicht viel nützen, wenn sie nicht hier bei uns wäre.“ Megumi sah das Mädchen dankbar an, überrascht, dass Kaoru diejenige war, die auf ihrer Seite stand. Ken-sans Gesichtsausdruck war undeutbar. Sano blieb wie er war und sah Megumi ernst an. Er gab nicht nach. Megumi auch nicht. „Surojou, Oumime“, unterbrach Okina schließlich die Stille. Megumi wartete mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung des alten Mannes. „Bringt Sae-san an den vereinbarten Ort. Bleibt dort bis ihr von uns hört. Es könnte etwas dauern.“ „Jawohl“, sagten die beiden Mitglieder der Oniwabanshu und brachten Sae in Sicherheit. Erleichterung durchflutete Megumi als ihr bewusst wurde, dass sie nicht getrennt werden würden. Wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, wäre sie Okina-san um den Hals gefallen und hätte den Gockelkopf angegrinst. „Was jetzt?“, fragte Yahiko leise, sein Gesicht ernst. „Goro und ich können draußen warten. Auf dem Dach Wache halten“, meldete sich der junge Polizist freiwillig. Megumi sah sich im Zimmer um. Ihre Zahl hatte sich auf acht verringert, die zwei Polizisten und sie selbst eingeschlossen. Megumi vertraute normalerweise uneingeschränkt auf die Fähigkeit ihrer Freunde zu kämpfen, doch das war unter idealen Zuständen. Zur Zeit war keiner von ihnen in optimalem Zustand. Kaoru und Yahiko ging es gut, aber Okina war immer noch dabei sich von seiner Nahtoderfahrung beim Kampf gegen Shinomori zu erholen, Sano konnte immer noch nicht mit seiner rechten Hand kämpfen und Ken-san... Megumi schluckte. Ken-san brauchte noch Hilfe eine Treppe hinaufzugehen. An seiner Seite suppte immer noch Blut hervor. Und der Rest seiner Wunden war zwar frisch verheilt, bestand aber immer noch aus zartem Narbengewebe, das noch Monate brauchen würde, um die alte Stärke zu haben. Von ihnen allen hätten sie am ehesten Ken-san mit Sae schicken sollen. Aber das würde der Rurouni nie erlauben, wie sie alle wussten. Er würde nie erlauben, dass seine Freunde für ihn kämpften, während man ihn in Sicherheit brachte. Okina, der den ganzen Abend mit unbestrittener Autorität Befehle gegeben hatte, wandte sich plötzlich an den Rurouni, der still in der Ecke saß. „Die Polizei braucht unsere Hilfe. Vielleicht sollten wir dort zu ihnen stoßen. Wenn wir diesen Ort verlassen, wird das Shirobeko hoffentlich verschont. Was denken Sie, Himura-kun? Lassen Sie uns alle dorthin gehen.“ „Okina-san“, sagte der junge Polizist Yoshi mit großen Augen und gedämpfter Stimme. „Wir würden uns geehrt fühlen, Sie alle zur Wache zu begleiten. Ihre Hilfe dort würde sehr geschätzt.“ Kenshin antwortete nicht. Er starrte lediglich mit verwundertem Gesicht zu Boden. „Kenshin“, sagte Kaoru. „Denkst du, wir sollten gehen?“ Er schüttelte den Kopf und blinzelte. „Nein.“ Sie kannten alle Kenshin zu gut um nicht seinen Instinkten zu vertrauen. Etwas stimmte nicht. „Was ist los?“, fragte Sano. Die violetten Augen des Rurouni richteten sich auf den jungen Polizisten. „Was?“ Der junge Mann sah seinen Kollegen an und dann blickte er verwirrt zurück zu Kenshin. „Was, Yoshi?“, sagte Sano und runzelte die Stirn. In seiner Stimme klang Verwirrung und Unglauben, aber die Haltung des Straßenkämpfers war angespannt als er sich an den jungen Polizisten wandte. „Ich verstehe nicht“, stammelte Yoshi. „Was geht hier vor?“ „Ich hätte es neulich schon während der Kutschfahrt spüren sollen“, sagte Kenshin mit weit aufgerissenen Augen. „Aber ich habe mich nicht gut gefühlt...“ (Natürlich nicht. Nicht nachdem er von dem Gockelkopf die Treppe heruntergezerrt worden war, dachte Megumi.) „Himura-kun, was sagen Sie da?“, fragte Okina schrill. „Okina-dono, dieser Mann ist nicht der für den er sich ausgibt“, sagte Kenshin, fasste sein Schwert fester und stand auf. Der Blick, den Okina dem jungen Polizisten zuwarf, ließ Megumi frösteln. In den letzten paar Wochen hatte sie an dem ehemaligen Spion der Oniwabanshu viele Gesichter gesehen. Freudig betrunken, als enthusiastischer Planer wilder Partys, beim Mogeln beim Go und neuestens als brillanter Vordenker. Aber sie hatte bis jetzt nie Okina den Krieger gesehen, den tödlichen Soldaten, der sich den Respekt und die Bewunderung vieler Männer verdient hatte, inklusive dem genialen, eisigen Shinomori Aoshi. „Wer sind Sie dann?“, fragte der alte Spion den jungen Polizisten. Megumi hätte nie gedacht, dass die sonst so warme Stimme des alten Mannes so eisig klingen konnte. Die Verwirrung verschwand von Yoshis Gesicht als er sich aufrichtete und ihnen allen einen herausfordernden Blick zuwarf. Ein geheimnisvolles, kleines Lächeln spielte um seine Lippen. „Sano!“, rief Kenshin plötzlich. Zu spät. Ohne Vorwarnung hatte der junge Polizist auf einmal in einer schnellen Bewegung seinen Kollegen Goro zu sich gezogen. Und bevor Sano sie erreichen konnte, hielt Yoshi seinem Freund eine Pistole an den Hals. „Verdammt!“, zischte Sanosuke und erstarrte mitten im Schritt. „Yoshi!“, schrie Goro. Seine Augen waren geweitet und seine Nasenflügel bebten als er ungläubig versuchte zu der Waffe unter seinem Kinn zu sehen. „Yoshi, was zur Hölle tust du da?“ Yoshis Gesicht zeigte keine Spur mehr von dem eifrigen jungen Kutscher. Sein Ausdruck war düster als er seinen Freund rückwärts zur Tür zerrte. „Es tut mir leid, Goro-san.“ Aufrichtiges Bedauern erklang in seiner Stimme. „Du hättest nie hier mit hineingezogen werden sollen, aber du musstest ja heute Abend unbedingt mitkommen. Tja, nun steckst du mit in der Patsche und ich fürchte, ich werde nicht zögern dich zu töten, wenn ich muss.“ „Warum macht Ihr das?“, fragte Kenshin leise. „Ich hätte nie gedacht, dass Ihr zu Shishios Männern gehört.“ „Was weißt denn du schon?“ Yoshis Stimme wurde härter als er Kenshin in die Augen sah. „Battousai!“ Er spuckte das Wort beinahe aus. „Du verstehst doch gar nicht, wofür Lord Shishio stand! Und mich verstehst du auch nicht.“ Ken-san verzog verwirrt das Gesicht. „Aber wer seid Ihr?“ Der junge Mann hatte inzwischen die Tür geöffnet und der heulende Wind kam herein und bedeckte die Bodenbretter mit Regen und Blättern. Er hielt inne und betrachtete Kenshin mit eiskaltem Gesicht. Seine Augen glitzerten im Halbdunkel und seine Mundwinkel zuckten zu einem höhnischen Lächeln. „Komagata Yoshi“, sagte er nur. Und damit stieß er seinen Freund Goro grob zu Boden und verschwand durch die Tür im Sturm, der draußen tobte. Sano und Yahiko wollten die Verfolgung aufnehmen, doch ein abruptes „Wartet!“, von Kenshin brachte sie zum Stehen. Der Rurouni starrte auf die leere Tür und sein Gesicht war so weiß wie ein Bettlaken. Megumi sah zu Kaoru hinüber, die nur leicht den Kopf schüttelte, weil sie genauso wenig wie Megumi wusste, wer der junge Mann war. Sano jedoch verzog das Gesicht und da er kein anderes Ziel hatte, schlug er frustriert mit der linken Faust gegen die nächste Wand. „Wer ist er, Himura-kun?“, fragte Okina in die Stille hinein. „Ich habe ihn selbst auf der Wache gesehen. Ich war mir sicher, dass er zur Polizei gehört.“ „Er gehört auch zur Polizei“, bestätigte Goro vom Fußboden aus und rieb sich eine wunde Stelle an der Schulter. Er sah sie alle entschuldigend an. „Aber ich nehme an, er ist auch noch anderen gefolgt. Es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung davon...“ Okina starrte immer noch Ken-san an. „Warum haben Sie die beiden ihm nicht hinterher laufen lassen?“ „Ja“, sagte Yahiko und half dem jungen Polizisten Goro auf die Füße. „Warum lassen wir den Typen laufen?“ „Wir lassen ihn nicht laufen, Yahiko“, sagte Kenshin sanft und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Er hatte seine Fassung schnell wieder erlangt, aber seine Stimme klang noch angestrengter als sonst. „Aber Yoshi ist nicht allein. Draußen warten mehrere bewaffnete Wachposten.“ „Was?“ Sano fluchte leise. „Warum hast du nicht früher was gesagt, Kenshin?“ „Ich wusste es nicht früher.“ „Aber die anderen! Misao, Sae...“, Kaoru verstummte und sah mit geweiteten Augen zu Okina. Die Stirn des alten Mannes lag in Falten und seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst, als er aus dem Fenster blickte, ohne etwas zu sehen, und sich Sorgen um das Schicksal seiner Leute machte. „Ich glaube nicht, dass sie angegriffen wurden“, sagte der Rurouni langsam. „Ich hätte etwas so offensichtliches gespürt. Und wir haben keinen Kampfeslärm gehört.“ Ken-san schien genauso wenig zu wissen, was vor sich ging, wie der Rest von ihnen. Aber Megumi fühlte sich durch seine Worte etwas beruhigt. Sie spürte keine Täuschung in Ken-sans Stimme. Er sagte das nicht nur, um freundlich zu sein und ihnen die Sorgen zu ersparen. Er schien wirklich zu glauben, dass die anderen in Ordnung waren, dass sie in Sicherheit gelangt waren, ohne in einen Hinterhalt zu geraten. Warum der Feind ihnen erlaubt hatte zu gehen, war ein Rätsel, aber Megumi hatte das Gefühl, dass keiner von ihnen die Antwort wissen würde bis diese Nacht vorüber war. „Was machen wir jetzt, Ken-san?“, fragte sie und ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren kleinlaut. „Wir können nicht für immer hier bleiben.“ „Durch die Hintertür rausgehen?“, fragte Sanosuke. „Das werden sie auch erwarten“, sagte Okina. „Aber vielleicht nicht so bald“, sagte Sanosuke. Er zuckte die Schultern. „Haben wir eine andere Wahl?“ Im Zimmer war es still. Nur die Wände ächzten unter dem Wind. „Dann lasst uns gehen“, sagte Okina. Das war entschieden. „Bleib in meiner Nähe“, murmelte Sanosuke ihr zu als sie auf die Hintertür bei den Küchen zugingen. Megumi nickte. Der Straßenkämpfer hätte sie gar nicht warnen brauchen. Sie war auch so verängstigt, war überrascht, dass ihre Beine sie noch trugen als sie mit ihren Freunden in die Dunkelheit dort draußen eilte. Der Wind war wie ein wildes Tier, dass an ihnen zerrte, als habe es auch noch eine Rechnung mit ihnen offen. Megumi steckte ihre Haare in den Kragen ihres Kimonos und hielt sich eine Hand vors Gesicht, um ihre Augen vor Wasser und Dreck zu schützen. Der Regen prasselte gnadenlos herab und weichte sie alle innerhalb von ein paar Sekunden durch. Es war schwer etwas zu sehen, aber soweit sie es beurteilen konnten, war die schmale Straße anscheinend verlassen. Zumindest war noch kein Angriff auf sie erfolgt. Okina führte sie und hielt sich instinktiv im Schatten. Auch dem spärlichen Licht, das aus den Fenstern von Gebäuden in der Nähe drang, wich er aus. Megumi hielt ihren Kopf unten und hatte eine Hand fest um Sanosukes Ärmel geballt. So stolperte sie dem Straßenkämpfer hinterher und versuchte nach besten Kräften ihn nicht zu behindern. Sie konnte die verschwommenen Silhouetten ihrer Freunde vor ihr erkennen, Farbkleckse von Yahikos gelber Gi, Kaorus indigoblauem Haarband. Sie bewegten sich schnell, aber es kam ihr immer noch schrecklich langsam vor. Zu langsam. Zu ungeschützt. Sie fragte sich ob Ken-san Schritt halten konnte. Er würde in dieser Sturzflut nicht lange durchhalten, fürchtete sie. Sie kniff die Augen zusammen und versuchte die schmale Gestalt des Rurouni in einiger Entfernung zu entdecken. Und wirklich, sie sah, dass Ken-san stehengeblieben und halb an einer Wand zusammengesunken war. Sein Kopf war gebeugt und er versuchte zu Atem zu kommen. Kaoru und Yahiko zögerten, aber der Rurouni schob die Schulter des Mädchens energisch nach vorn. „Nein, haltet nicht an, Kaoru-dono. Bitte geht weiter. Ich werde schon aufholen.“ Und als sie sich nicht bewegte, fügte er keuchend hinzu: „Yahiko, sorg dafür, dass sie geht!“ „Ja“, sagte der Junge mit geweiteten Augen. Er zog an Kaorus Arm. „Komm schon!“ „Geh, Fräulein“, sagte Sanosuke, als er und Megumi zu ihnen aufschlossen. „Ich werde den Idioten tragen, wenn ich muss, also mach dir keine Sorgen. Geh weiter!“ Kaoru nickte schließlich und eilte Okina und Goro nach, Yahiko im Schlepptau. Jetzt stritten sie kein bisschen, sondern gingen Hand in Hand und stützten sich gegenseitig als sie vorwärts stolperten. Megumi war nicht die einzige, der es schwer fiel, sich im Sturm zu bewegen. „Füchsin...“ „Ich werde allein zurechtkommen“, erwiderte sie auf die unausgesprochene Frage des Straßenkämpfers. Er nickte ihr zu, aber sein Gesicht war noch immer ernst als glaube er es nicht so recht. Megumi blinzelte den Regen aus ihren Augen und beeilte sich hinter den sich entfernenden Gestalten von Kaoru und Yahiko her zu kommen. Eine Hand hatte sie an der Wand neben ihr und sie versuchte sich nicht in der Dunkelheit zu verirren und gleichzeitig das Licht zu vermeiden. Der Wind war eine ständige Qual, der erbarmungslos gegen ihren Kimono peitschte und sie bis ins Mark frieren ließ. Ihre Hände und Füße wurden taub. Der Boden war glitschig und uneben und sie brauchte ihre ganze Aufmerksamkeit um auf den Beinen zu bleiben und weiter zu gehen. Sie glaubte ein Geräusch durch den Sturm zu hören. Sie sah rechtzeitig auf, um weiter vorn ein Stück Metall aufblitzen zu sehen, und plötzlich erschallten gedämpfte Warnrufe von ihren Freunden. Megumi konnte die Worte nicht verstehen, aber sie presste sich instinktiv an die Wand. In diesem Moment traf sie ein weißblauer Schemen in der Seite und zwang sie zu Boden. Sie hätte geschrien, wenn nicht eine Hand ihren Mund zugehalten hätte. Als sie sich umdrehte, erkannte sie, dass das, was sie getroffen hatte, Sano mit Kenshin war. „Behalt den Kopf unten!“, zischte der Straßenkämpfer neben ihr und legte eine Hand auf ihren Rücken. Megumi hatte kaum Zeit zu nicken. Dann begannen die Schüsse. Kapitel 10: Abrechnung ---------------------- Abrechnung Die kalte Luft knisterte von dem Aufruhr. Wände zersprangen und das Kreischen von zersplitterndem Holz mischte sich mit dem schrillen Heulen des Windes und dem Zischen des Regens. Völlig verängstigt verbarg Megumi ihr Gesicht in ihrem Ärmel und die betäubenden Echos und der beißende Gestank von Schießpulver stürmten auf ihre Sinne ein. Sie fuhr zusammen und unterdrückte einen Schrei als ein Fass in der Nähe in einer Explosion von Wasser zerbarst. Zerfetzte Stücke des Dachs regneten auf sie herab als sie sich an das Gebäude hinter ihr presste. Sie spürte hinter sich eine Bewegung ihrer Freunde, doch als sie den Kopf danach drehte, schrie ihr Sanosuke zu sie solle unten bleiben. Sie gehorchte nur zu gerne. Undeutlich hörte sie wie Ken-san nach Kaoru und Yahiko rief und zu ihrer Erleichterung antworteten beide von weiter vorn. Oder von was sie für weiter vorn hielt. Es war schwer zu sagen. Ihr Orientierungssinn war durcheinander geraten und sie wusste nicht ob sie es ertragen konnte, so unter Beschuss zu sein. Sie war noch nie in einer Schlacht gewesen, hatte sich in ihren wildesten Albträumen nicht vorstellen können wie das sein würde. Die Kämpfe, die sie ausgefochten hatte, waren auf einem einfacheren Spielfeld gewesen. Es waren Kräftemessen der Willenskraft gewesen, Wettbewerbe der List, die mit Intellekt und Täuschung ausgefochten wurden. Dieser verheerende physische Angriff, dem jegliche Raffinesse fehlte, war etwas, auf das sie nicht im geringsten vorbereitet war. Als sie vor einem weiteren Geschoss von Gott weiß woher zusammenzuckte, schalt sie sich innerlich dafür, dass sie gedacht hatte, sie würde hiermit fertig werden, dass sie es abgelehnt hatte, von ihren Freunden zurückgelassen zu werden. Sie wünschte sich wirklich sie wäre jetzt bei Sae. Megumi gehörte hier nicht hin. Wie Sanosuke gesagt hatte. Sie war nur eine Last. Sie quietschte erschrocken auf als etwas sie leicht an der Schulter berührte und sah auf um Yahiko zu entdecken, der in dem Lärm unhörbare Worte mit den Lippen formte und ihr winkte ihm zu folgen. Kaoru war dicht hinter ihm und huschte tief gebückt hinter einer Reihe Kisten entlang. Wie hatten sie es geschafft zu ihr zu kommen? Wie hatten sie das gemacht ohne in Fetzen gerissen zu werden? Megumi streckte einen zitternden Arm aus und der Junge ergriff ihre Hand und drückte sie beruhigend. Sie zwang sich selbst dazu, sich zu bewegen auch wenn ihre Instinkte sie anschrien sich hinzukauern, sich hinter einem Stapel Fässer so klein wie möglich zu machen und zu versuchen zu verschwinden. Sie biss sich auf die Lippe und brachte ihre Füße dazu, sich zu bewegen und dem Jungen, der sie hinter sich her zog, zu folgen. Sie sprinteten von einem geschützten Platz zum nächsten. Während sie lief, bemerkte sie, dass Okina und Goro hinter ihr waren. Sie hatte keine Ahnung woher die beiden so plötzlich aufgetaucht waren, aber sie war dankbar, dass sie da waren. Sie fühlte sich nun nicht so ungeschützt. Es dauerte höchstwahrscheinlich weniger als eine Minute bis sie das Tor des verlassenen Gebäudes erreicht hatten, das Sanosuke ausgesucht hatte, aber es schien ihr eher wie Jahre oder sogar ein ganzes Leben. Wie sie den Eingang gefunden hatte, ging über Megumis Verstand, aber sie stolperte hinter dem Jungen hinein und folgte ihm in einem letzten Kraftakt als er hindurch rannte und einen leeren Hof überquerte bis sie das Haus, dass tiefer in dem Komplex lag, erreichten. Nachdem sie durch einen zweiten, inneren Eingang gekommen waren und ihr der Junge bedeutete, dass es nun sicher war anzuhalten, brach sie zu einem kleinen Häufchen Elend zusammen. Megumi verbarg ihr Gesicht in den Händen und versuchte ihre zitternden Schultern dazu zu bringen ruhiger zu werden und ihren keuchenden Atem zu verlangsamen. Der Klang der Schüsse war glücklicherweise gedämpft und als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten, nahm ihre Umgebung Gestalt an. Sie waren in einer Art aufgegebenem Warenhaus. Die stehende Luft war modrig und feucht. Die Bodenbretter knarrten. Tische, Stühle, reihenweise leere Regale, verstreute Kisten aus denen verschimmeltes Stroh fiel. Die Umrisse wurden langsam deutlich, schwach erleuchtet von dem Licht der benachbarten Gebäude, das durch eine Reihe hoher Fenster an den Wänden des Warenhauses fiel. Zu Megumis großer Erleichterung, waren alle ihre Freunde anwesend. Sanosuke hockte beim Eingang und sah aufmerksam über den Hof zu dem äußeren Torweg. Ken-san saß neben ihm an die Wand gelehnt. Okina und Goro waren auf der gegenüberliegenden Seite und hielten ebenfalls Wache. Und Yahiko und Kaoru waren weiter drinnen bei Megumi und hockten zusammen hinter einem umgestürzten Tisch. Sie konnte niemanden wirklich deutlich sehen, aber sie schienen größtenteils unverletzt. „Wurde jemand getroffen?“, fragte Okina leise, der ihre Sorge teilte. Megumi war dankbar, nur negative Antworten zu hören. „Megumi, bist du in Ordnung?“, fragte Kaoru leise und besorgt. Megumi sah zu dem Mädchen auf und wurde sich bewusst, dass nur sie nicht auf Okinas Frage geantwortet hatte. „Ja, es geht mir gut“, sagte sie und war überrascht, dass ihre Stimme recht fest geklungen hatte. Sie sah das Mädchen vor ihr mit neuem Respekt an. Kaoru – die leichtfertige, alberne, kleine Kaoru – war völlig gefasst und ruhig, während Megumi, die sich sonst von den Geschehnissen nicht aus dem Gleichgewicht bringen ließ, sich bemühte nicht durchzudrehen. „Wie machst du das?“, fragte Megumi leise. „Hast du gar keine Angst?“ „Doch. Sehr“, antwortete das Mädchen. „Ich bin außer mir vor Angst.“ Ihrem Tonfall konnte Megumi entnehmen, dass Kaoru lächelte. Megumi machte ein verzweifeltes, kleines Geräusch, das als Lachen durchgehen konnte und schlang die Arme um die Knie. „Ist hier drin irgendetwas, das wir gebrauchen können?“, fragte Sanosuke. Megumi brauchte einen Moment um sich darüber klar zu werden, dass er von Waffen sprach. Sie sah sich um und hörte ein leises Rascheln als Kaoru und Yahiko den Raum erkundeten. Die Stimme des Mädchens war offensichtlich enttäuscht. „Ich fürchte, hier ist nichts. Vielleicht ein paar Tischbeine um-“ „Battousai!“, grüßte sie eine Stimme von der Straße jenseits des äußeren Tores. Sie spannten sich an und warteten besorgt, was wohl als nächstes kommen würde. Wie Megumi schließlich erkannte hatten die Schüsse aufgehört und eine unheimliche Stille legte sich auf den Hof. Die hohen Mauern der umstehenden Häuser und eine Reihe riesiger Bäume hinter dem Warenhaus sorgten dafür, dass der kleine Hof vor dem Wind, der draußen durch die Straßen tobte, relativ geschützt war. Doch den Regen konnte nichts abhalten. Das fortlaufende Klopfen von großen Tropfen auf die dreckigen Steine war alles, was man vom Hof hören konnte. Megumi kniff die Augen zusammen und versuchte nach draußen in die Dunkelheit jenseits des Türrahmens zu spähen. „Battousai!“, kam wieder der Ruf. Ihr Herzschlag beschleunigte sich als sie dutzende schattenhafte Gestalten ausmachte, die durch den äußeren Torweg hereinkamen und sich zu beiden Seiten des hölzernen Vorbaus, der den Hof umgab, verteilten. Sie hielten auf etwa halbem Weg an, versteckten sich hinter Stützbalken oder hockten sich hinter Kistenstapeln. „Was wollt ihr von Himura-san?“, rief Okina von der Tür aus. „Wir wollen mit Battousai sprechen! Wir werden nicht schießen, wenn er herauskommt!“ „Schwachsinn!“, gab Sanosuke gereizt zurück. „Was sollte dann der Scheiß da hinten? War das für das Feuerwerk beim Gion-Fest? Da seid ihr einen Monat zu früh!“ „Sano...“ Ken-sans Stimme war milde tadelnd. Gedämpft wurden Befehle geblafft, dann gab es bei den feindlichen Soldaten etwas Geraschel und Unruhe als sie – zu Megumis ungläubiger Überraschung – abrupt ihre Waffen senkten. Bei den Männern, die sich unter dem Vordach befanden, wurden Lampen entzündet und auf hohe Sockel gesetzt. Das Licht der Flammen von der feuchten Luft und dem bisschen Wind, der es bis in den Hof geschafft hatte. In den beleuchteten Halbkreis trat eine einzige Gestalt und stand allein mitten auf dem Platz. Das Leuchten hinter ihm ließ nur seine Silhouette erkennen. Er trug keine Schusswaffe und schien nur mit einem Schwert bewaffnet zu sein. „Das war damit ihr nicht abhaut“, sagte die Gestalt. Megumi erkannte Komagata Yoshis Stimme. „Glaubt ihr denn wirklich, ihr wärt alle unbeschadet da raus gekommen, wenn wir richtig auf euch gezielt hätten? Wir wollen Battousai.“ Die Stimme war kalt und hart. „Der Rest von euch ist unwichtig. Wenn er hier heraus kommt, verspreche ich euch, dass der Rest von euch nicht verletzt wird.“ In der Dunkelheit des Zimmers bewegte sich Ken-san. „Kenshin, was zur Hölle tust du?“, flüsterte der Straßenkämpfer scharf als der Rurouni begann sich zu erheben und sich dabei an der Wand abstützte. „Ich muss--“ „Nein! Kenshin! Bist du verrückt? Denk nicht einmal daran da raus zu gehen“, schnitt ihm der Straßenkämpfer das Wort ab. Er packte den Rurouni am Arm. „Lass los, Sano.“ Kenshin löste die Finger des Straßenkämpfers von ihm und ignorierte das Fluchen des jüngeren Mannes. Er schaffte es allein zu stehen und machte einen Schritt Richtung Tür. Er blieb stehen als Kaoru – die sich schneller bewegte als es Megumi jemals gesehen hatte – sich plötzlich zwischen ihn und den Ausgang stellte. „Mach das nicht, Kenshin...“, sagte sie und legte ihm vorsichtig die Hände auf die Brust. „Kaoru-dono. Ich muss mit Komagata-dono reden.“ Seine Stimme war sanft, aber die Überzeugung in seinem Tonfall ließ keine Argumente zu. „Wenn du das musst, dann kommen wir alle mit dir Ken-san!“ Megumi blinzelte. Die Worte waren aus ihrem Mund geschlüpft, bevor sie sich selbst darüber klar wurde, was sie tun würde. Aber sobald sie sie gesagt hatte, war ihr völlig klar wie sie vorgehen würde und sie stand auf und gesellte sich zu Kaoru, die Ken-san noch immer den Weg versperrte. „Genau“, stimmte Yahiko mit ein. „Wir gehen all und du kannst uns nicht aufhalten.“ Kenshin sah sie an und sein Gesichtsausdruck war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Aber die Haltung seiner Schultern änderte sich ein wenig und Megumi wusste, dass sie gewonnen hatten. Wie Yahiko gesagt hatte, war der Rurouni nicht in der Lage sie davon abzuhalten mitzukommen. Vorsichtig gingen sie hintereinander aus der Tür hinaus und standen unsicher auf dem Hauptvorbau des Warenhauses. Ihnen gegenüber standen die schattenhafte Männer, die sie umzingelt hatten. Auf ein unsichtbares Signal hin traten mehrere der Fackelträger auf sie zu und erhellten die andere Hälfte des Hofs, so dass man endlich in dem goldenen Licht Gesichter ausmachen konnte. Komagata Yoshi betrachtete sie stumm von dem Platz aus, an dem er stand. Er beobachtete sie für lange Zeit und kurz sanken dabei seine Augen von ihren Gesichtern auf Hüftebene. Megumi folgte dem Blick des Mannes. Sie spannte sich an und schnell sah sie besorgt an dem Rurouni empor. Kenshin blutete. Ein tief rubinroter Fleck von der nicht verheilten Wunde in seiner Seite verdunkelte den regendurchweichten Stoff seines blauen Gis und sickerte in seine grauen Hakama. Ein leises Zischen von Sanusuke und ein Luftschnappen von Kaoru sagten Megumi, dass auch sie Ken-sans Zustand bemerkt hatten. Kenshin, der die Sorge seiner Freunde scheinbar nicht bemerkte, trat von ihnen weg und ging langsam in den Ring von Fackellichtern zu Komagata. Er blieb stumm und erlaubte dem jungen Mann als Erster zu sprechen. „Es ist Zeit für die Abrechnung, Battousai“, sagte der junge Mann leise. „Wir“, er deutete mit einer ausholenden Bewegung auf seine Kameraden, „sind was von Lord Shishios Armee übrig geblieben ist. Wir wollen Rache für ein Verbrechen, Battousai. In unseren Augen hast du dein Leben verwirkt.“ Nein, dachte Megumi und konnte doch nur hilflos zuschauen. Wann würde es jemals enden, fragte sie sich. Wieder und wieder wurde Ken-san gezwungen sich den Geistern seiner Vergangenheit zu stellen. Und jetzt, so bald nach seinem letzten Kampf ohne die Möglichkeit sich wieder zu erholen, ging es schon wieder los. Wieder einmal war jemand aus Ken-sans Vergangenheit auf Rache aus und wieder einmal war der Rurouni gezwungen, sich zu überlegen, wie er mit dem Herausforderer fertig werden sollte ohne ihn zu töten oder selbst getötet zu werden. „Shishio Makoto musste aufgehalten werden“, sagte Kenshin leise. „Ich hatte gehofft, dass es ohne seinen Tod gehen würde.“ Komagata Yoshi hob eine Augenbraue. „Wer hat von Lord Shishios Tod gesprochen? Meine Männer und ich sind wegen meiner Schwester hier. Komagata Yumi.“ Ken-san blinzelte. Und zum ersten Mal sah Megumi wie seine Gelassenheit ins Wanken geriet. „Was?“, sagte er schwach. „Du hast meine Schwester getötet, du herzloser Teufel“, sagte der junge Mann mit täuschen abgeklärtem Tonfall. „Und dafür wirst du dich mit deinem Leben verantworten, Battousai.“ Megumi starrte ihn an. Sie hatten falsch gelegen. Sie hatten alle völlig falsch gelegen. Die ganze Zeit hatten sie geglaubt, dass die Feinde Rache für ihren Herrn Shishio wollten, aber der wahre Grund für ihren Zorn war der Tod einer einzigen Frau, dieser Komagata Yumi, von der Kenshin gesprochen hatte. Aber Ken-san hatte die Frau nicht getötet, dachte Megumi verwirrt. Shishio war es gewesen. „Komagata-dono, ich habe Eure Schwester nicht getötet“, sagte der Rurouni mit einem Stirnrunzeln. „Mach dir nicht die Mühe zu lügen, Battousai. Es wird dir jetzt nicht mehr helfen“, sagte der junge Mann voller Abscheu. Seine Augen wurden schmal. „Jahrelang haben wir von Lord Shishios neuem Japan geträumt. Jahrelang haben wir mit Hochdruck trainiert um diesen Traum wahr zu machen. Du hast uns all das an einem einzigen Nachmittag genommen, Battousai. Du hast mir meine Träume genommen. So seltsam das klingt, aber das kann ich akzeptieren. Es ist eine schmerzhafte und schwierige Wahrheit, aber ich kann sie als Teil von Shishio-samas Lehren akzeptieren. Wer stark ist wird leben. Wer schwach ist wird sterben. Annehmbare Konsequenzen deines Kampfs mit Lord Shishio. Er hat verloren. Deshalb muss er, so sehr es mir missfällt das zu denken, der Schwächere gewesen sein.“ Yoshi zog sein Schwert. „Aber du hast mir an diesem Tag auch meine Familie genommen. Und das kann ich nicht akzeptieren. Der Tod meiner Schwester war nicht notwendig für das letztliche Ergebnis des Kampfes. Was hat dir ihr Tod gebracht? Sie war ein unbeteiligter Zuschauer! Du konntest ihren Tod nicht einmal als ,Nahrung' benutzen wie sich Lord Shishio so oft ausgedrückt hat. Ihr Tod war bedeutungslos“ Die Stimme des jungen Mannes zitterte vor Emotionen. „Aus diesem Grund. Nur aus diesem Grund... In den letzten einundzwanzig Tagen habe ich an nichts anderes gedacht als daran, dich zu vernichten!“ „Jetzt warte mal einen Moment! Das stimmt doch alles nicht!“ Sanosuke ballte vor Wut die Fäuste. „Kenshin hat Yumi nicht getötet! Er würde nie eine wehrlose Frau töten!“ „Ach nein? Es wäre nicht das erste Mal“, gab der junge Mann zurück. Megumi schnappte nach Luft. Sanosuke blinzelte auf die Erwiderung hin und sah zum Rurouni hinüber. Aus dem Augenwinkel konnte Megumi sehen, dass auch Kaoru Kenshin ungläubig und erschrocken ansah. Ken-sans Kopf war gesenkt und er machte keine Anstalten Komagta-sans Behauptung zurückzuweisen. Ein Teil von Megumi wusste, dass es sehr wahrscheinlich war, dass Ken-san in seiner Vergangenheit als Hitokiri Frauen getötet hatte, und dass sie von so einer Enthüllung nicht überrascht sein sollte, aber es so offen ausgesprochen zu hören, ließ sie frösteln. „Das spielt keine Rolle“, fing Sanosuke neu an. Seine Stimme war gedämpft, aber sein Kinn schob sich noch immer trotzig vor und machte klar genug: Auf keinen Fall würde der Straßenkämpfer klein beigeben. „Alles was ich weiß ist, dass ich da war. Ich habe den Kampf gesehen. Und dein eigener Herr Shishio war derjenige, der Yumi getötet hat, nicht Kenshin!“ Yoshis Augen blitzten bei diesen Worten. Bei den Männern hinter ihm erhob sich ein zorniges Gemurmel. „Shishio? Shishio hat meine Schwester getötet, die Frau, die er mehr als alles andere geliebt hat“, sagte er rundweg ungläubig und seine Stimme war leise und drohend. „Du erwartest, dass ich das glaube.“ „Ja, das tue ich! Und wenn du mir nicht glaubst, dann sage ich es noch mal. Damit!“ Sanosukes Hand ballte sich zur Faust. „Idiot!“, flüsterte Megumi dem Straßenkämpfer hitzig zu. „Du machst sie nur noch wütender. Und du kannst diese Hand noch nicht benutzen!“ Aber Sanosuke hörte nicht zu. Der Straßenkämpfer schob sich bereits die Ärmel hoch, um für den Kampf bereit zu sein. „Halt dich da raus, Junge“, warnte eine neue Stimme. „Das geht dich nichts an.“ „Ihr bedroht meinen Freund. Natürlich geht mich das was an!“, sagte der Straßenkämpfer als ein ernster, grauhaariger Mann sich näherte und ins Licht trat, wo er ein paar Schritte von Komagata entfernt stehen blieb. Alle Augen richteten sich auf den Neuankömmling als er seine Waffe hob und genau auf den Straßenkämpfer anlegte. Megumi hatte ihn zuvor nicht bemerkt, aber er musste die ganze Zeit still in den Schatten gestanden haben. „Wir sind nicht ohne Ehre“, sagte der grauhaarige Mann. „Unser Kampf ist nur mit dem Hitokiri Battousai. Wir wollen dem Rest von euch keinen Schaden zufügen. Ihr habt beim Aoiya gut gegen uns gekämpft und gewonnen. Wir stellen dieses Ergebnis nicht in Frage und wir wünschen keine weitere Schlacht. Komagata-san wird allein gegen den Battousai kämpfen. Einer gegen einen, in einem ehrenhaften Zweikampf. Was immer ihr von uns glaubt, wir sind keine Bösewichte. Wir sind bereit fair zu bleiben.“ Sano schnaubte und konnte sich kaum beherrschen. „Was ist daran fair?“, knurrte er. „Kenshin blutet und kann kaum stehen und ihr wollt ihn zu einem Zweikampf zwingen?“ „Wenn man den Ruf des Hitokiri bedenkt“, sagte der alte Mann grimmig, „sind so die Gewinnchancen recht ausgeglichen.“ Die Mitglieder von Shishios früherer Armee bewegten sich unruhig hinter Komagata und dem Neuankömmling. Megumi wurde plötzlich klar, dass sie trotz Kenshins Zustand Angst vor ihm hatten. Komagatas Hand ruhte auf seinem Schwert während er wartete und dem älteren Mann erlaubte für ihn zu sprechen. Megumi bemerkte, dass der junge Mann trotz seines augenscheinlichen Selbstvertrauens das Heft seiner Waffe unnötig fest hielt. Seine Knöchel traten weiß hervor. „Nun, Battousai?“, fragte Yoshi. „Akzeptierst du unsere Bedingungen?“ „Nein.“ Alle sahen den Rurouni überrascht an. Komagatas Gesicht verhärtete sich und seine Lippen wurden schmal. „Kitada-san“, sagte er zu dem grauhaarigen Mann. Der Ältere gab ein kaum wahrnehmbares Handzeichen und plötzlich hoben all die Männer ihre Schusswaffen wieder und zielten auf Megumi und ihre Freunde. „Yoshi!“, protestierte der Polizist Goro. Megumi fuhr zusammen. Sie hatte beinahe ganz vergessen, dass der andere junge Polizist hinter ihr stand. „Yoshi, was tust du?“ Yoshi sah seinen Freund an und verzog das Gesicht aus was wie aufrichtiges Bedauern aussah, aber er machte keine Anstalten sich zu rechtfertigen oder den Befehl zurück zu ziehen. „Du hast hierbei keine Wahl, Battousai“, sagte der grauhaarige Krieger, Kitada. „Wir hatten gehofft, dass du freiwillig gegen uns kämpfen würdest, aber wenn das für unsere Rache nötig ist, dann soll es eben so sein. Du wirst gegen uns kämpfen.“ Kenshin senkte den Kopf und zog das Sakabatou. Der Rurouni versuchte es mit einem letzten Appell. „Was Sanosuke gesagt hat, ist wahr, Komagata-dono. Da war ein Mann, ein Anhänger von Lord Shishio, der den Kampf mitangesehen hat. Er hatte braunes Haar und trug westliche Kleidung. Ich vermute, dass er die Zerstörung von Shishios Unterschlupf überlebt hat. Habt Ihr nicht mit ihm gesprochen? Hat er Euch nicht erzählt, was wirklich geschehen ist?“ „Er ist nirgendwo zu finden“, sagte Yoshi. „So weit ich weiß, kann er genauso gut in der Hölle schmoren.“ Er hielt sein Schwert mit festem Griff vor sich. „Und du kannst ihm da gleich Gesellschaft leisten, Battousai!“ Damit griff der junge Mann den Rurouni an. Und der Zweikampf begann. Kapitel 11: Duell im Licht der Fackeln -------------------------------------- Das Aufblitzen von Metall, geschwungen in einem blendenden Bogen, eine verschwommene Bewegung, erleuchtet von flackerndem Licht der Fackeln. Die beiden Kämpfer trugen ihren Konflikt schweigend aus, einen tödlichen Tanz schimmernder Klingen. Ihre ständig wechselnden Positionen konnte man im trüben Fackellicht erahnen, aber die Details wurden durch den Regen teilweise verdeckt und wurden nur während der kurzen Lichtmomente eines Blitzes enthüllt. Beobachter beider Gruppen sahen schweigend zu, durch die fließenden Bewegungen der beiden Streiter wie versteinert. Die Fähigkeiten von Komagata Yumi waren zweifellos bewundernswert. Er besaß eine Anmut und ein Können, die man bei jungen Männern der neuen Meiji Ära für gewöhnlich nicht fand. Die Präzision seiner Angriffe, seine durchweg sauberen und effizienten Bewegungen, bewiesen ganz offensichtlich, dass er ein echtes Training durchlaufen hatte. Sein Katana sauste mit bemerkenswerter Geschwindigkeit auf Himura Kenshins Kopf herab, aber es traf ins Leere und verfehlte um einen Sekundenbruchteil sein Ziel. Mit einem Kreischen und einem lauten Knall traf Metall auf Metall als Kenshin den Schlag des jungen Polizisten mit einer präzisen Drehung des Sakabatou. Die Klingen prallten von einander ab und Komagata landete geschickt nach seinem Sprung. Der junge Mann drehte sich aus der Hüfte heraus und nutzte den Schwung, den Kenshins Sakabatou seinem Schwert verpasst hatte, um einen weiteren Bogen zu beschreiben und dieses Mal auf den Nacken des Rurouni zu zielen. Wieder traf Komagatas Schwert nicht sein Ziel, da Kenshin behände zur Seite trat und mit der Schwertscheide in der linken Hand die Schulter des jungen Mannes streifte. Komagata zischte überrascht und fuhr zu dem Rurouni herum. In seinen Augen war seine Vorsicht deutlich zu sehen. Der junge Mann war gut. Aber er hatte es mit Himura Kenshin zu tun. Und er kam ihm mit seinem Können nicht einmal nahe, dachte Megumi. Sie sah, dass der drastische Unterschied bei den Fähigkeiten Shishios Männern auch nicht verborgen blieb. Sie wechselten untereinander nervöse Blicke als sie die fließenden Bewegungen des schlanken Rurouni beobachteten. Für Shishios Männer, die Ken-san noch nie in Aktion gesehen hatten, mussten die Geschwindigkeit und Agilität des legendären Battousai ein erschreckender Anblick sein. Für Ken-sans Freunde jedoch war es aus einem ganz anderen Grund erschreckend. Sie machten sich Sorgen, gerade weil sie etwas sehen konnten, weil Kenshins Bewegungen so langsam waren, dass sie sichtbar wurden. Die gegenwärtige Schwäche des Rurouni war für diejenigen, die ihn gut kannten furchtbar offensichtlich. Und obwohl er seine Anmut beibehielt und sich mehr als ausreichend gegen die schnellen Angriffe des jungen Polizisten verteidigte, war es nur zu deutlich, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Ken-sans Kampfstil war merklich geschwächt und ohne seine blitzschnellen Angriffe und Sprünge beinahe nicht wiederzuerkennen. Der Rurouni blieb am Boden und beschränkte seine Verteidigung auf ein Minimum an Bewegungen, um ganz offensichtlich seine Kräfte zu schonen. Kräfte die mit jeder Minute abnahmen, wie es sogar Megumis untrainierter Blick wahrnahm. „Komagata-dono, bitte hört mir zu“, sagte Kenshin zwischen zwei Schlagabtauschen. Sie Stimme des Rurouni war angestrengt, sein Gesicht unheimlich blass im Kontrast mit der dunklen Masse verschwitzter roter Haare, die an seiner Stirn klebte. „Shishio Makoto war auf den Knien--“ „Halt die Klappe!“, schrie der junge Mann als sein Schwert vorwärts schoss und den Kiefer des Rurouni nur knapp verfehlte. „Er war auf den Knien und besiegt“, fuhr Kenshin unnachgiebig fort. „Und Yumi-dono ist dazwischengegangen. Sie hat sich zwischen uns gestellt und Shishio mit ihrem eigenen Körper beschützt.“ „Ich hab gesagt, du sollst die Klappe halten!“ Ein weiteres Krachen als das Sakabatou wieder einen Schlag von der Seite her fortwischte. Rotes Haar glänzte schemenhaft im Feuerlicht auf, als der kleinere der beiden Männer zurücksprang um zu verhindern entzwei geschnitten zu werden. Für einen Augenblick war das wütende Gesicht des hochgewachsenen Polizisten im Profil zu sehen als er für den nächsten Angriff herumfuhr. „Shishio nahm sein Schwert und durchbohrte Yumi-dono als er versuchte mich Unwürdigen zu töten.“ „Du lügst!“ Die Angriffe des jungen Mannes waren wütender denn je. Ken-san zuckte sichtbar bei dem Aufprall zusammen als er parierte. „Yumi-dono starb als sie ihren Herrn verteidigte. Ich kann nicht vorgeben, sie zu verstehen, aber sie sah es nicht als Verschwendung an. Sie war glücklich als sie starb-“ Er wurde von einer Reihe furchteinflößend schneller Angriffe unterbrochen. Die Vorstöße des jungen Mannes wurden von einem kaum beherrschbaren Zorn genährt. Ken-san schnappte nach Luft als er seinen Schwertarm hochriss und fuhr plötzlich zusammen, anscheinend von einem starken Schmerz in seiner verletzten Seite. „Kenshin!“, hörte Megumi Kaorus erschreckte Stimme. Megumi warf dem Mädchen einen schnellen Blick zu. Kaorus Augen hingen an dem kleinen Schwertkämpfer und ihre Hände waren in den Falten ihres Kimonos zu Fäusten geballt. Sie sah genauso verängstigt aus wie Megumi sich fühlte. „Er wird es schaffen“, flüsterte Megumi, teilweise um des Mädchens Willen, aber doch mehr noch um sich selbst zu beruhigen. Megumi wusste nicht wie er das machte, aber Ken-san behauptete sich noch immer, trotz der Schmerzen von einer Wunde, die einen normalen Menschen außer Gefecht gesetzt hätte. Wie immer erlaubte der unbezwingbare Wille des Rurouni ihm, das Unmögliche zu tun. Die Vorstöße seines Gegners abzuwehren und den jungen Polizisten wieder zurück zu treiben, so dass der Rotschopf einen Moment hatte zu Atem zu kommen und Kraft zu schöpfen. „Warum greift er nicht an? Warum verteidigt er sich nur?“, fragte Megumi frustriert. War es Erschöpfung? Oder vielleicht Schuldgefühle? Sie wusste es nicht, doch Ken-sans sich verschlechternder Zustand beängstigte sie. Unbezwingbarer Wille oder nicht, Ken-sans Kraft konnte nicht ewig reichen. Ein paar weitere Schlagabtausche wie der letzte und seine Kraft musste einfach nachlassen. „Ich bin mir nicht sicher, dass er das kann“, antwortete Sanosuke leise. Megumi unterdrückte ein Frösteln und schlang die Arme um sich selbst. Die zwei Kämpfer musterten einander in der düsteren Stille. Megumi tröstete es etwas, dass augenscheinlich nicht nur Ken-san von dem Kampf mitgenommen war. Komagata schien ebenfalls zu ermüden. Seinem Gesicht fehlte nun das Selbstvertrauen, das sich vorher darauf gezeigt hatte und sein Atem kam nicht mehr so kontrolliert wie zuvor. „Ich wollte nie gegen Euch kämpfen, Komagata-dono“, flüsterte der Rurouni. Er hatte die Spitze seiner Schwertscheide auf den Boden sinken lassen und stützte sich nun darauf. „Gibt es keinen anderen Weg diese Sache zu bereinigen?“ Komagatas Augen waren hart. „Dieses Duell wird mit dem Tod enden, Battousai.“ Seine Stimme war gedämpft und nun überraschend ruhig, da seine vorherige Rage verraucht und zu rauer Entschlossenheit geworden war. „Deiner oder meiner. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.“ „Es gibt immer andere Möglichkeiten!“, eine neue Stimme durchdrang die Nachtluft, eine vertraute, junge und weibliche Stimme, erfüllt von drängender Sorge. Ein Dutzend Gewehre fuhren zu dem Neuankömmling herum, einer schlanken Gestalt, deren Silhouette sich schwarz auf dem Hauptdach des Hofes abzeichnete. Die kleine Gestalt wurde von einer größeren begleitet, die reglos, in einen Mantel gekleidet dastand und zwei Schwerter nach hinten gerichtet in den Händen hielt. Die beiden Neuankömmlinge schienen sich nicht um die auf sie gerichteten Gewehre zu kümmern. Kitada blickte hinauf, runzelte die Stirn und versuchte die Identität dieser neuen Bedrohung auszumachen. „Misao-dono. Aoshi.“ Der Schock als er die beiden wiedererkannte, lies Kenshins Stimme ein wenig zittern. „Was macht ihr hier?“, rief Okina erschrocken, nachdem er die ganze Zeit über stumm geblieben war. Wie hatten sie das gewusst? Wie hatten sie es hierher geschafft? Megumi hatte keine Ahnung, aber jetzt war nicht die Zeit um Fragen zu stellen. Sie war allerdings erleichtert. Ihre Knie fühlten sich weich an als zum ersten Mal in ihrem Leben ihr Herz vor Freude über die düstere Gegenwart des früheren Okashiras der Oniwabanshu höher schlug. So sehr sie ihn auch hasste, seine Anwesenheit war eine höchst willkommene Überraschung. Aoshi und Misao sprangen schweigend vom Dach in den von Fackeln erleuchteten Hof. Misao atmete schwer und die Anstrengung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Wie auch immer sie es hierher geschafft hatten, sie mussten sich sehr beeilt haben. Selbst Shinomoris Gesicht war vom Rennen leicht gerötet, obwohl er es schaffte so kalt und unberührt dreinzusehen wie immer. Er betrachtete die auf ihn gerichteten Gewehrläufe mit einem Hauch von Verachtung, dann ignorierte er sie als er näher an die beiden Kämpfer herantrat. „Shinomori Aoshi, dieser Kampf geht Sie nichts an“, sagte Komagata kühl. „Dies ist ein Duell, nur zwischen mir und Battousai. Sie haben nicht das Recht sich einzumischen. Sie werden mich nicht davon abhalten ihn zu töten!“ „Dann töten Sie ihn doch“, sagte Shinomori zu dem jungen Polizisten. „Wenn Sie es können.“ Seine grünen Augen blitzten und irgendwie schaffte er es seine Geringschätzung zu zeigen ohne sein ausdrucksloses Gesicht zu verziehen. „Aber danach haben Sie es mit mir zu tun.“ Ein unbehagliches Raunen ging durch Shishios Männer. Einige sahen einander mit deutlicher Unruhe an. „Wenn Sie stark sind, werden Sie überleben...“, fuhr der frühere Okashira leise fort. Megumi glaubte, sie sähe im Gesicht des Mannes ein angedeutetes Lächeln. „Sie werden nicht überleben.“ „Aoshi“, unterbrach Kenshin. „Ich schätze Eure Hilfe. Aber es besteht keine Notwendigkeit, dass ihr Euch hier einmischt.“ „Himura-san, ich weiß nicht, was hier los ist, aber wir können nicht zulassen, dass Yoshi so gegen dich kämpft. Du bist verletzt!“, rief Misao unwillig und antwortete damit für beide. „Danke, Misao-dono. Aber ich werde damit fertig“, sagte Kenshin zu dem Mädchen und seine Stimme war nicht unfreundlich. Komagata Yoshi starrte den früheren Okashira mit undeutbarem Gesicht an. Dann zuckte er die Schultern als finde er sich mit seinem neuen Schicksal ab. „Also. Ob ich nun gewinne oder verliere, ich werde sterben. So sei es. Aber sagen Sie mir eines, Shinomori.“ Die grünen Augen warteten stumm. „Wer hat Komagata Yumi getötet?“ Die Anspannung war beinahe greifbar als Yoshi und die restlichen Männer Shishios auf die Antwort warteten. Shinomoris Augen wurden etwas schmaler und verrieten eine Spur von Verwunderung. Er und Misao hatten das Shirobeko verlassen, bevor Yoshis Verschwörung enthüllt worden war. Die Frage musste den beiden Oniwabanshu-Mitgliedern ziemlich seltsam vorkommen. „Shishio Makoto“, antwortete er. Ein hörbares Gemurmel ging durch die kleine Schar von schockierten Männern Shishios. Shinomori Aoshi war der Letzte, dem beide Seiten vertrauen sollten. Er hatte Shishios Leute genauso verraten wie seine eigenen. Aber trotz seiner früheren Handlungen konnte niemand behaupten, dass Shinomori seine Absichten je unter hübschen Lügen versteckt hätte. Trotz seiner Unbarmherzigkeit wurde Shinomori noch immer als ein ehrlicher Mann angesehen. Komagata war der erste, der seine Fassung wieder gewann. Seine Lippen wurden zu einer schmalen, entschlossenen Linie, seine Augen leuchtend und kalt als er sich wieder in Kampfstellung brachte. „Nein! Haben Sie ihn nicht gehört?“, rief Kaoru und ignorierte Kitada als sein Gewehr zu ihr hinüber schwenkte. „Warum tun Sie das? Kenshin hat Ihre Schwester nicht getötet! Sie müssen nicht mehr kämpfen! Es gibt nichts zu rächen!“ Yahiko packte die Schulter seiner Lehrerin und hielt sie davon ab einfach zu den beiden Kämpfern zu rennen. „Du kannst nichts tun! Nichts wird ihn jetzt noch davon abhalten!“, sagte der Junge. Mit schmerzverzerrtem Gesicht richtete Kenshin sich auf, drehte sich zu seinem Gegner und richtete seine Aufmerksamkeit mit unerschütterlicher Konzentration auf ihn. Und dann tat der Rurouni etwas seltsames. Er wechselte das Schwert in die linke Hand und nahm die Scheide in die Rechte. „Kenshin!“ Kaorus Gesicht war kreidebleich. „Oh nein, Kenshin, du Idiot, was machst du...“ „Was ist los?“, flüsterte Megumi verwirrt. Kaorus Augen waren geweitet, als sie zu der anderen Frau hinübersah. „Ich glaube er kann das Sakabatou mit der rechten Hand nicht mehr führen. Er hat auf der Seite nicht mehr die nötige Kraft.“ „Also was auch immer er plant“, führte Sano den Gedanken fort, „wird ihm schwer zu schaffen machen.“ „Es kann nicht die geheime Technik sein“, sagte Kaoru leise und besorgt. „Dafür ist er nicht stark genug.“ „Das muss nicht unbedingt sein“, sagte Sano. „Er kämpft hier nicht gegen Shishio oder Seta Soujirou. Er schafft das, Fräulein.“ Aber die Stimme des Straßenkäpfers klang nicht so überzeugt wie seine Worte und Sorge zeigte sich in seinen scharf geschnittenen Zügen als er seinen erschöpften Freund dabei beobachtete, wie er sich darauf vorbereitete den Kampf fortzusetzen. „Es ist die Battoujutsu-Stellung“, hauchte Yahiko als Kenshin sein Schwert in die Scheide steckte und sich in einer Hockstellung zusammenkauerte, bereit für den Angriff seines Gegners. Mit einem zornigen Schrei sprang Komagata vorwärts und seine Klinge schwang in einem blendend schnellen Halbkreis auf Kenshins Seite zu. Die Antwort des Rurouni war völlig anders als das, was er die ganze Nacht gezeigt hatte, seine Bewegungen nur ein Schemen von dunkelblau und rot. Ein silbernes Aufblitzen war alles, was man von seinem Sakabatou sehen konnte, als er es mit metallischem Aufkreischen mit der Linken aus der Scheide riss, nach seinem Ziel schlug und den junge Mann hart an der Brust traf. Komagata Yoshi wurde von den Füßen gerissen und sein Katana flog ihm aus der Hand. Er landete mit einem furchtbaren Aufschlag und konnte für einen Moment nicht mehr atmen. Nach Luft japsend lag er im feuchten Schlamm des Hofs. Kenshins Schwert vollendete seinen Weg und der Rurouni sank vorwärts auf ein Knie, unfähig noch weiter auf den Beinen zu bleiben. Sein Kopf war niedergebeugt, seine Brust hob und senkte sich rasselnd als falle ihm das Atmen so schwer wie seinem Gegner. Er schaffte es aufrecht zu bleiben, wenn auch nur mit Mühe, und stützte sich auf das Sakabatou, dessen Spitze sich tief in den Schlamm gebohrt hatte. Mit der rechten Hand hielt er noch immer die Schwertscheide fest, doch hing der Arm schlaff herab. „Ken-san“, formten Megumis Lippen, da sie es nicht fertig brachte zu schreien. Beinahe wäre Megumi zu ihm gegangen um ihre Arme um ihn zu legen und ihn zu stützen. Sie glaubte, dass sie durchdrehen würde, wenn dieses Duell nicht bald endete. „Yoshi-kun!“, rief Kitada. „Bist du in Ordnung?“ Er blieb allerdings wo er war, zu diszipliniert als dass er vergessen würde, dass er den Feind bewachte. Komagata Yoshi setzte sich mühsam auf und hielt sich die linke Seite seiner Brust. „Du hast mit mir gespielt“, brachte der junge Mann anklagend hervor, seine Stimme angespannt vor Schmerzen. „Die ganze Zeit, Battousai, hättest du mich schlagen können. Du hast dich nur zurückgehalten.“ Kenshin lehnte sich auf schwer auf sein Schwert, als er langsam wieder auf die Füße kam. Er stand ein wenig unsicher da und Megumi stellte mit Schrecken fest, dass der Blutfleck an seiner rechten Seite ein ganzes Stück größer geworden war und jetzt an seinen Hakama bis zum Knie herab reichte. Ken-san schüttelte den Kopf. „Ich wollte weiteres Blutvergießen vermeiden. Ich hatte gehofft, dies hier friedlich zu Ende zu bringen.“ „Friedlich?“, spuckte der junge Mann. „Ich weiß nicht mehr, was dieses Wort bedeutet! Bring es zu Ende, Battousai! Mach mich jetzt fertig. Oder, bei den Göttern, sonst werde ich dich fertig machen!“ Ken-san sah den jungen Mann lange mit unlesbarem Gesicht an. „Nein. Es reicht“, sagte der Rurouni leise als er seinem Gegner der Rücken zuwandte und langsam davonging. Komagata Yoshis Antwort war ein wildes Knurren reinen Hasses. Und bevor jemand reagieren konnte, sprang er auf die Füße. Seine Hand fuhr zu seinem Gürtel, beschrieb einen verschwommen sichtbaren Bogen und ließ ein verstecktes Messer glitzernd und kreischen auf den Kopf des Rurouni zu wirbeln. „Kenshiiin!“, hallte Kaorus verzweifelter Schrei in Megumis Ohren wider. Megumis Welt zerbrach. Der Lauf der Zeit verlangsamte sich. Sie sah mit erstarrtem Schrecken wie das tödliche Metall in der Luft schimmerte und auf Ken-san zuschoss ohne dass ihm etwas im Weg stand. Kenshin bewegte sich nicht. Er zuckte nicht einmal zusammen als die Klinge traf und sich in die gegenüberliegende Wand bohrte, nachdem sie den Kopf des Rurouni um Haaresbreite verfehlt hatte. Der Wind wehte. Und der Regen fiel. Aber die Stille, die völlige Stille in diesem Hinterhof war ohrenbetäubend. „Kenshin!“, keuchte Kaoru und brach mit rauer Stimme das Schweigen. Das Mädchen war auf die Knie gefallen und hatte ihre Augen in einer Mischung aus Schrecken und Erleichterung geschlossen. Ihre Fäuste waren so fest um den Stoff ihres durchnässten Kimonos geklammert, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Neben ihr stand Yahiko mit bleichen Gesicht. Die Augen des Jungen waren größer als Megumi sie je gesehen hatte. Megumi erinnerte sich daran, dass sie wieder atmen sollte. Sie zitterte und war überrascht, dass sie noch immer stand. Mit Bestürzung sah sie, dass ihre eigenen Fäuste so sehr geballt waren, dass ihre Fingernägel sich in den Handballen gebohrt hatten. Sie sah auf und sah Sanosuke, der sich bemühte seinen aufgestauten Zorn zu bändigen und dessen Aufmerksamkeit auf die beiden Kämpfer gerichtet blieb. Sie berührte leicht seinen Arm und er fuhr bei dem Kontakt heftig zusammen und blinzelte als er auf sie herabblickte. Er nickte kurz, als wolle er sagen, dass er in Ordnung sei, bevor er sich besorgt wieder zu Ken-san drehte. Kenshin hatte sich endlich umgedreht. Er stand da und betrachtete seinen Gegner schweigend. Komagata Yoshi hatte wieder sein Katana aufgehoben. Ohne ein weiteres Wort hob er es vor sich in die Höhe und trat vorwärts bis die Spitze der Klinge auf der Haut des Rurouni ruhte. Kenshin sah auf die Klinge herab und machte keine Bewegung um die Berührung zu vermeiden. Er blieb wo er war und stand ruhig da, als wäre nie ein Messer geworfen worden. Als ob das Schwert an seiner Brust nicht ein dünnes Rinnsal frischen Blutes fließen ließ. Als ob seine Freunde nicht von der Anstrengung den beinahe unwiderstehlichen Drang etwas zu tun, zu kämpfen, ihren geliebten Rurouni zu beschützen, zurückzuhalten wahnsinnig würden. Sein Gesicht war verborgen durch seinen vollen, roten Haarschopf, so dunkel wie das Blut, das über seine Haut rann, so dunkel wie der Fleck, der sich bereits an der Seite seiner Hakama ausgebreitet hatte. Wenn ihm seine Wunden etwas ausmachten, so zeigte er sein Unbehagen nicht. Im Grunde zeigte er überhaupt kein Empfinden. Er stand nur stocksteif da, mit dem Schwert locker in einer Hand. Und wartete. „Du würdest weggehen? Einfach so?“, fragte Komagata schwer atmend. Der Zorn war verraucht, anscheinend in dem Moment verpufft, in dem er das Messer geworfen hatte. Statt dessen zeigte er schmerzhafte Verwirrung, eine schmerzgeplagte Fassungslosigkeit, die in krassem Gegensatz zu der Gelassenheit des Rurouni stand. „Wie könntest du mir den Rücken kehren, Battousai?“ Er schüttelte den Kopf. „Ich habe geschworen, dich zu töten!“ Die Augen des Rurouni waren noch immer gesenkt. „Ich wusste, dass Ihr nicht zuschlagen würdet.“ Yoshis Schwert wankte unschlüssig. „Das konntest du nicht wissen!“ Der junge Mann schüttelte heftig den Kopf. „Du konntest es nicht! Selbst ich wusste nicht, was ich tun würde!“ Endlich sah Kenshin auf. Megumi biss sich auf die Lippe als sie sein Gesicht sah. Der Ausdruck seiner Augen war einer, den sie gut kannte. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln mit einem Unterton von Traurigkeit, ein Ausdruck von wachsamer, zerbrechlicher Hoffnung. „Komagata Yoshi würde keine Leben für einen persönlichen Rachefeldzug wegwerfen“, sagte der Rurouni sanft. „Ich spüre, dass Yoshi-dono ein guter Mensch ist. Nicht jemand, der mutwillig tötet. Er ist jemand, der alles für seine Freunde und die, die er liebt, opfern würde. In dieser Hinsicht“, fuhr er fort, „scheint er seiner Schwester sehr ähnlich zu sein.“ Yoshi erbleichte. „Ich kannte Yumi-dono kaum, aber nach dem was ich von ihr in der kurzen Zeit, in der sie uns führte, gesehen habe, war sie der Bewunderung und des Respekts würdig. Yumi-dono war ihrem Herrn bis zu ihrem Ende ergeben, und in ihrem Versuch ihn zu retten, gab sie alles.“ Der Rurouni senkte die Augen. „Ich bedauere ihren Tod wirklich sehr. Es ist bedauerlich, dass Ihr glaubt, dass Eure Schwester vergebens starb. Aber ich kann Euch nicht erlauben, Eure Rache zu bekommen. Vergeltung wird nur zu noch mehr Töten führen. Und ich fürchte der erste Tod nach dem meinen wäre Euer eigener. Ihr habt gehört, was Aoshi sagte. Er ist nicht jemand, der sein Wort bricht. Wenn ich heute Nacht sterbe, wird Komagata-dono der nächste sein. Ich heiße Aoshis Entscheidung nicht wohl, aber ich kann ihn nicht daran hindern, das zu tun, von dem sein Herz ihm sagt, dass es getan werden muss.“ Komagata Yoshi trat langsam von dem Rurouni zurück und schüttelte den Kopf. Er nahm wieder eine Kampfhaltung ein und starrte den kleineren Schwertkämpfer mit leerem, unergründlichem Gesicht an. „Du redest zu viel, Battousai.“ Die Hoffnung in Kenshins Augen erstarb. Mit müder Resignation fasste Kenshin sein Sakabatou fester und brachte sich ebenso in Position wie sein Gegner. Seine Bewegungen waren angestrengt, als ob die wenigen Reserven, die er noch gehabt hatte, nun auch aufgebraucht wären. Er machte sich wieder für den Angriff des jüngeren Mannes bereit. Doch er kam nie. Statt dessen steckte Komagata Yoshi sein Schwert wieder in die Scheide. Der Rurouni runzelte die Stirn. Nun war Kenshin damit an der Reihe verwirrt zu sein. „Wenn ich mich ergebe“, fragte Yoshi langsam, kaum lauter als ein Flüstern. „Wenn ich mich ergebe, wirst du meine Männer gehen lassen?“ Violette Augen weiteten sich langsam vor verletzlicher Hoffnung als Ken-san seinen Gegner ungläubig anstarrte. Der Rurouni schien sich davor zu fürchten zu hoffen, seinen Ohren zu trauen, zu glauben, dass einmal in seinem Leben ein Gegner zustimmte, sich zu ergeben. Dass er nachgab und einen friedlicheren Weg einschlug anstatt Kenshin zu zwingen ihn zu besiegen. „Ja“, flüsterte der Rurouni mit einer so leisen Stimme, dass man sie kaum über dem Prasseln des Regens hörte. Als Yoshis Männern bewusst wurde, was da geschah, begann sie plötzlich laut zu protestieren. „Yoshi-kun, was machst du da?“, rief Kitada. „Du hast ihn! Du hast gewonnen! Er kann nicht viel länger durchhalten.“ „Das reicht!,“ schrie Yoshi und brachte damit die anderen Männer sofort zum Schweigen. Die Augen, die sich auf den älteren Krieger richteten, waren müde und ihr Feuer erloschen. „Ich war ein Narr, Kitada-san. Ich war so ein Narr.“ „Nein, Yoshi-kun.“ Der junge Mann warf sein Schwert zu Boden. „Wir hatten Unrecht, Kitada-san. Meine Schwester wurde nicht sinnlos ermordet. Sie ist einen würdigen Tod gestorben. Sie ist gestorben, um einen Traum zu erfüllen.“ Seine Stimme zitterte vor Erschöpfung und anderen Gefühlen, die Megumi nicht mal ansatzweise erraten konnte. „Ich habe Battousai von Anfang an geglaubt“, fuhr der junge Polizist fort. „Aber ich konnte nicht loslassen. Jemand musste dafür leiden. Jemand musste dafür zahlen.“ Unerwartete Tränen glitzerten in seinen Augen als er den alten Krieger reumütig anlächelte. „Es ist vorbei, Kitada. Nimm die Männer und geh. Verlasst Kioto. Lebt... werdet stärker.“ „Yoshi-kun“, sagte Kitada rau. „Tu es, Kitada-san.“ Der ältere Soldat starrte seinen Freund einen langen Moment an. Megumi wusste nicht, wie die beiden genau zueinander standen, aber es hatte den Anschein, dass sie auf eine lange gemeinsame Geschichte zurück blicken konnten. Es war offensichtlich, dass Kitada den jungen Mann wie einen Sohn ansah und der Schmerz über den Befehl ohne ihn zu gehen, zeigte sich nur zu deutlich auf seinem zerfurchten Gesicht. „Wenn du sagst, dass es vorbei ist... dann ist es vorbei“, sagte der alte Krieger leise. „Ich gehorche wie immer.“ Kitada wandte sich an seine Kameraden. „Ich stehe zu Komagata-san. Wir waren im Irrtum, meine Freunde.“ Seine Stimme wurde sanfter. „Wir haben genug gekämpft, dass es ein ganzes Leben reicht. Jetzt ist es an der Zeit nach Hause zu gehen.“ Zeit nach Hause zu gehen. Es waren Worte, die von jedem hätten kommen können. Von Sanosuke oder Kaoru oder jedem anderen ihrer Freunde. Da begann sich Megumis Sichtweise über den Feind zu ändern. Zum erste Mal sah sie sie als ganz gewöhnliche Menschen. Männer, die für das gekämpft hatten, was sie für das Richtige hielten. Sie waren ihrem Herrn gefolgt und ihr Herr hatte verloren. Und in ihrem Schmerz und ihrer Verwirrung, hatten sie versucht etwas wieder gut zu machen, indem sie die letzte Sünde gegenüber der Geliebten ihres Herrn bestraften. Aber selbst dieser Trost war ihnen genommen worden. Es gab keine letzte Sünde, keinen Feind gegen den sie losschlagen konnten, niemanden, den sie bestrafen konnten. Und jetzt konnte Megumi sie so sehen wie wirklich waren. Keine furchteinflößende Armee mehr, sondern eine Gruppe müder Männer. Sie konnte die Erschöpfung in ihren Augen sehen, konnte sehen, dass sie ebenso wie sie selbst und ihre Freunde, nichts mehr wollten als zu gehen und das Kämpfen zurück zu lassen. Sie wollten nichts als nach Hause zu gehen. Der Wind war abgeebbt, der Regen nur noch ein stetiges Nieseln. Sie war überrascht, als ihr bewusst wurde, dass Blitz und Donner aufgehört hatten. Der Sturm hatte sich beruhigt als ob die Nacht selbst spüren könne, was in diesem Hinterhof geschehen war. Kenshin ging langsam zu seinem Gegner hinüber. Mit Mühe bückte er sich und hob das zu Boden gefallene Schwert Kitadas auf. Er hielt es vor sich und reicht es dem jungen Mann. „Lebt wohl... Komagata-dono.“ Komagata Yoshi sah den Rurouni an und die Verblüffung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Du lässt mich gehen? Nach allem was ich dir getan habe?“ „Ja, Komagata-dono sollte mit seinen Freunden, seiner Familie... zusammen gehen.“ Megumi hörte wie Kaoru neben ihr leise nach Luft schnappte und sie selbst spürte einen Kloß im Hals als sie gegen die Tränen ankämpfte. Megumi und der Rest von Ken-sans Freunden wusste wie wichtig diese Worte dem Rurouni waren. Yoshi konnte auf keinen Fall völlig begreifen, was der Rurouni eigentlich sagen wollte, aber auch ihn bewegten diese Worte sehr. Der junge Mann starrte den Schwertkämpfer erschüttert an und war im Begriff die Kontrolle über seine Gefühle zu verlieren. Er nahm das Schwert an und schluckte, unfähig etwas zu sagen. Statt dessen verbeugte er sich. Einmal, lange und tief. Und ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging in die Dunkelheit davon. Kitada sammelte den Rest ihrer Männer um sich und die Überbleibsel von Shishios Armee folgten dem jungen Polizisten und gingen einer nach dem anderen durch das Tor aus dem Hinterhof hinaus. Der alte Krieger war der letzte, der sich zum Gehen wandte, doch er drehte sich ein letztes Mal um und betrachtete Kenshin. „Battousai, ich danke dir, dass du ihn verschont hast“, sagte der alte Mann leise. „Du wirst jedoch verstehen, wenn ich hoffe dich nie wieder zu sehen.“ Und damit ging er. Und Kenshin und seine Freunde wurden in der stillen Dunkelheit allein zurückgelassen. „Wird Himura in Ordnung kommen?“, fragte Misao mit gedämpfter Stimme. Ihre Augen waren besorgt auf den Rurouni gerichtet. Kenshin stand schweigend da, eine bleiche, blutverschmierte Gestalt, die noch immer auf das Tor starrte, durch das Komagata und seine Männer verschwunden waren. Er seufzte leise und schob mit Mühe langsam sein Sakabatou wieder in die Scheide. „Kenshin? Natürlich“, sagte Sanosuke leise. „Auf so etwas hat er doch immer gehofft. Ein Duell, das ohne Blutvergießen endet. Oder, äh, jedenfalls nicht so ganz viel Blutvergießen. Ich meine...“ Der Straßenkämpfer suchte vergeblich nach den richtigen Worten. „Du meinst zur Abwechslung hat sein Gegner nachgegeben, statt niedergeschlagen zu werden“, sagte Yahiko, der für sein Alter ein ungewöhnliches Verständnis der Lage zeigte. Sanosuke nickte und zerzauste dem Jungen abwesend die Haare. „Ja, Kleiner. So was in der Richtung.“ Die Schultern des Rurouni sackten herunter. Er schwankte leicht auf den Beinen. Megumi kämpfte gegen den Drang an zu ihm zu laufen, denn es gab noch jemand anderen – jemand der ihm näher stand – der bereits auf dem Weg war. „Kenshin!“, rief Kaoru, die sich endlich nicht mehr zurückhalten musste. Sie erreichte den Rurouni und legte vorsichtig (denn sie hatte seit seinem Kampf gegen Saito dazugelernt) einen Arm um seine schlanke Taille und stützte ihn. „Kaoru-dono“, sagte er atemlos. Und seltsamerweise erschien er trotz seiner Erschöpfung ruhig und beinahe heiter. Er brachte ein schwaches Lächeln für das Mädchen zustande, das seine Hand leicht auf seine Wange gelegt hatte. „Ich habe euch Sorgen ge-“ „Das spielt keine Rolle!“ Sie lachte schwach vor lauter Erleichterung, ein verzweifeltes, kleines Geräusch und ihre Augen schimmerten vor unvergossener Tränen. Diese Augen verschlangen den Rurouni geradezu, konnten nicht genug von ihm bekommen. „Du bist ein Idiot, Kenshin. Es spielt keine Rolle. Wirklich keine Rolle...“ „Ja“, war alles was er sagte, als er ihre Hand in die seine nahm. Himura Kenshin schloss die Augen und beugte den Kopf, zufrieden sich einen Moment ausruhen zu können und seine vernarbte Wange an Kaorus Schulter zu lehnen... Bevor seine Beine schließlich nachgaben und er ohnmächtig zusammenbrach. Kapitel 12: Erneuerung & Entschlossenheit ----------------------------------------- Ken-sans Wangen waren leicht gerötet und Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn, aber er sah zufrieden aus, als er sich auf den Matten zum Ausruhen niederließ. Eigentlich noch mehr als zufrieden, entschied Megumi. Er sah geradezu glücklich aus. Gestern Morgen hatte er es zum ersten Mal seit Wochen ohne Hilfe die Treppe im Shirobeko herunter geschafft. Gestern Nachmittag hatten sie einen Überraschungsgast in Gestalt eines seltsamen Gesellen namens Cho, der früher bei den Zehn Schwertern gewesen war. Er hatte Ken-san Neuigkeiten darüber gebracht, dass es zumindest bei einigen der Mitglieder der Zehn Schwerter gut lief. Und heute hatte es Ken-san geschafft mit all den anderen zusammen, den Oniwabanshu beim Umzug aus dem Shirobeko in das Aoiya zurück zu helfen. Er war noch immer schwach, konnte nur leichte, kleine Kisten tragen und musste sich oft setzen und wieder zu Atem kommen. Aber der Rurouni war nichtsdestotrotz ganz offensichtlich zufrieden. Seine Stimmung hatte sich bedeutend gehoben, seitdem es ihm gut genug ging kleinere Hausarbeiten zu erledigen und sich wieder nützlich zu fühlen. Und als alle die Wiedereröffnung des Aoiya etwas früher an diesem Abend mit einer von Okinas wilden Partys feierten, hatte sich Ken-san so weit er konnte daran beteiligt. Er hatte sogar ein wenig Sake getrunken, auch wenn er noch immer nicht viel davon vertrug. Trotzdem hatte er gesagt, dass es ihm gefallen habe, was alle freute. Und selbst Hiko-sans sonst so strenge Miene hatte sich bei diesen Worten erhellt. Als er bei den angeheiterten Versuchen seiner Freunde zu musizieren zusah, hatte Ken-sans Lächeln endlich alle Spuren von Traurigkeit verloren und reichte bis zu seinen Augen. Es hatte Megumis Herz erwärmt dieses Lächeln nach so langer Zeit wieder zu sehen. Selbst jetzt, wo die Party ruhiger geworden war und die meisten ihrer Freunde im Esszimmer eingeschlafen waren, war Ken-san unvermindert guter Laune als er in seinem neuen Zimmer im Aoiya saß und darauf wartete, dass seine Verbände gewechselt wurden. Megumi saß hinter Ken-san und bereitete eine Salbe für seine Bandagen vor. Sie konnte selbst nicht aufhören zu lächeln, als sie ihn so glücklich sah. Die Augen des Schwertkämpfers waren geschlossen. Er lauschte den Geräuschen der Grillen und genoss das Gefühl einer kühlen nächtlichen Brise auf der Haut. Sein Lächeln war ein bisschen schwächer als zuvor auf der Feier, da er von dem geschäftigen Tag auf angenehme Weise ermüdet war, aber dennoch war es eindeutig und unverrückbar vorhanden. Es war eine willkommene Abwechslung zu der erbärmlichen, durchweichten Gestalt, die Sanosuke von dem Aufeinandertreffen mit Komagata Yoshi in einem Hinterhof vor zehn Tagen zurück getragen hatte. Megumi erinnerte sich an diese grässliche Nacht mit einem Schaudern. Es hatte völliges Chaos geherrscht als sie schließlich ins Shirobeko zurückkehrten und versuchten den unterkühlten und reglosen Rurouni wiederzubeleben, während hektisch Oniwabanshu-Mitglieder, Angestellte des Shirobeko und mehrere Polizisten kamen und gingen. Als allmählich die verschiedenen Berichte eintrudelten, wurden die Zusammenhänge klarer. Komagata Yoshis Hauptabsicht war es von Anfang an gewesen, Ken-san zu diesem schicksalhaften Kampf herauszufordern. All die anderen Angriffe von Shishios Männern waren lediglich Nebenschauplätze, die zur Ablenkung gedacht waren, damit sich die Polizisten und Onibawanshu aufteilten und keine geeinte Verteidigungsfront aufstellen konnten. Yoshis Plan war recht wirkungsvoll gewesen. Als Aoshi und Misao beim Aoiya angekommen waren, hatten sie dort nur eine Handvoll feindliche Soldaten vorgefunden. Sie hatten ihren Fehler, dass sie den Ort, der am meisten in Gefahr lag, nämlich das Shirobeko, verlassen hatten, sofort erkannt. Und dann waren sie so schnell sie konnten zu Saes Restaurant zurück gerannt und hatten es Kuroju und Masukami überlassen sich um die paar Eindringlinge beim Aoiya zu kümmern. Zu ihrer Bestürzung fanden Aoshi und Misao das Shirobeko verlassen vor. Und erst als die beiden Spione auf die Dächer geklettert waren und systematisch die Straßen in der Umgebung absuchten, hatten sie das Fackellicht von Shishios Männern in einem sonst abgedunkelten Gebiet entdeckt. In der Zwischenzeit war Sae, die damit zufrieden gewesen war, mit Shirojo und Omime in einem sicheren Haus der Oniwabanshu zu warten, beunruhigt worden als sie in der Entfernung Schüsse hörte. Trotz heftigen Widerspruchs der Oniwabanshu hatte die schmächtige Eigentümerin des Shirobeko darauf bestanden, zurück zu kehren sobald die Schüsse aufhörten. Sie war außer sich vor Angst um das Wohlergehen ihrer neuen Freunde, ganz davon zu schweigen, dass sie sehen wollte, was für einen Schaden das Restaurant genommen hatte, das seit Generationen von ihrer Familie geführt wurde. Nachdem die Straßen eine ganze Stunde lang ruhig gewesen waren, hatten die zwei Agenten der Oniwabanshu schließlich nachgegeben. Und wider besseren Wissens hatten Shirojo und Omime es Sae erlaubt, einige aus ihrer Belegschaft zusammen zu rufen. Dann hatten sie vorsichtig die Eigentümerin und die Angestellten des Shirobeko zurück zum Restaurant begleitet. Als die Gruppe eintraf, fanden sie das Gebäude überraschend intakt und voller Leute und Aktivität vor. Kurojo und Masukami von der Oniwabanshu waren inzwischen auch angekommen, nachdem sie die kleine, feindliche Gruppe beim Aoiya besiegt hatten. Mehrere Polizisten waren von ihrem Vorgesetzten im Hauptquartier zum Shirobeko geschickt worden, sobald diejenigen, die auf sie geschossen hatten, besiegt waren. Zwei Dutzend waren zur selben Zeit eingetroffen, wie sich Megumi und ihre Freunde mühsam von dem verlassen Hinterhof des Warenlagers auf den Weg gemacht hatten. Die zwei Gruppen hatten sich getroffen und endlich Neuigkeiten darüber ausgetauscht, was in dieser Nacht geschehen war. Die Polizei hatte sie auch informiert, dass Hiko-san und die Arais glücklicherweise in ihrem Heim nicht angegriffen worden waren. So also lagen die Dinge als Megumi und ihre Freunde versucht hatten Ken-san aufzuwecken. Die vier hatten das hastige Treiben um sie herum ignoriert: Polizisten, die einen Sicherheitsbereich errichteten für den Fall, dass der Feind seine Meinung änderte; Andere, die Goro über seinen Freund Yoshi ausfragten; Okina und die Oniwabanshu, die sich darüber berieten, was mit ihrem Netzwerk schief gelaufen war und wie sie das nächste Mal besser machen könnten; Saes Leute, die extra Zimmer für die Polizisten vorbereiteten, die sie eingeladen hatten über Nacht zu bleiben, da es schon so spät war als sie alle eingetroffen waren. Statt dessen kümmerten sich Megumi und ihre Freunde nur um eine Person. Ein kleiner, rothaariger Schwertkämpfer war in diesem Moment Dreh- und Angelpunkt ihrer Welt. Ken-san hatte schrecklich ausgesehen. Beinahe so schlimm wie an dem Tag als Megumi ihn vor fast einem Monat zum ersten Mal untersucht hatte. Und wie damals hatten all ihre Bemühungen ihn wieder zu beleben, keinen Erfolg darin ihn zu wecken. Der bleiche Rurouni war von Wind und Regen so ausgekühlt, dass sich sein schmächtiger Körper trotz dicken Decken und der Hitze mehrerer Öllampen, die sie im Zimmer aufgestellt hatten, kalt anfühlte. Sie mussten ihn schließlich in dampfend heißes Wasser im Badehaus legen. (Und dann mussten sie den sehr erschreckt aussehenden Yahiko hinaus schicken, nachdem sich das Wasser von Ken-sans Wunde rot gefärbt hatte.) Erst dann hatte sich Ken-san etwas erwärmt und bewegte sich ein bisschen, womit er zumindest ein paar Lebenszeichen von sich gab. Es dauerte beinahe zwei Tage bis Ken-san wirklich aufwachte. Megumi hatte angefangen sich Sorgen zu machen, dass er einen Rückfall zu dem Zustand erlitten hatte, den er nach dem Kampf gegen Shishio hatte, aber ihre Befürchtungen wurden endlich zerstreut als der Rurouni letztlich seine Umgebung wieder ganz wahrnahm. Er war beängstigend geschwächt und all der Fortschritt der letzten paar Wochen war durch den kurzen Kampf zunichte gemacht worden. Und er hatte dazu noch ein belastendes Fieber und Husten bekommen, der Megumi und Kaoru zutiefst Sorgen machte, wann immer sie hilflos dabei zusahen wie seine dünne Gestalt von unkontrollierbaren Hustentouren geschüttelt wurden. Doch die Götter mussten wohl endlich Mitleid mit Himura Kenshin entwickelt haben (oder sie fanden, dass er inzwischen mehr als genug für seine Missetaten bezahlt hatte), denn der Husten wuchs sich nie zu einer richtigen, lebensgefährlichen Lungenentzündung aus, wie es leicht hätte passieren können. Und seine aufgerissene Wunde entzündete sich nicht, obwohl sie mit Schlamm in Kontakt gekommen war, als Ken-san gestürzt war. Im Gegenteil schien sich die Wunde in seiner Seite eher verbessert zu haben und hatte verblüffenderweise angefangen zu heilen und sich zu schließen. Megumi konnte nicht verstehen, woran das lag, wo sie die Wunde doch genauso behandelt hatte wie vor dem Kampf. Sie machte nichts anders, doch war der Beweis vor ihrer Nase. Die Wunde war allmählich kleiner geworden und schloss sich eine Woche nach dem Duell ganz. Als sie diesen Fortschritt erwähnte, hatte Ken-san nur gelächelt und dieses mysteriöse Zitat über Hass und nicht heilende Wunden und Rache wiederholt. Obwohl die Wunde in seiner Seite gut verheilt war, brauchte der Rest von Ken-san doch noch etwas länger. Megumi machte sich große Sorgen darüber wie lange es bei ihm dauerte wieder zu Kräften zu kommen. Sicher, er war schwer verletzt gewesen, aber Ken-sans Fortschritt war immer noch langsamer als sie erwartet hatte. Sie begann sich zu fragen ob etwas Grundlegendes mit dem Rurouni nicht stimmte, aber sie fand keine offensichtlichen Beweise dafür. Es war alles nur so ein Gefühl, ein Instinkt, weshalb Megumi ihre Bedenken für sich behielt und sich darauf beschränkte, ein Auge auf ihn zu haben bis sie etwas handfesteres fand oder sich der Zustand des Rurouni verbesserte. Hoffentlich war seine ungewöhnlich langsame Erholung nur ein Anzeichen für den starken Blutverluss und die Erschöpfung. Hoffentlich war es nur etwas vorübergehendes. Auf jeden Fall hatte Ken-san begonnen sich wieder einmal so sehr ins Zeug zu legen wie er es wagte und machte langsam Fortschritte. Und das war nach Megumis Einschätzung gut genug für sie. Sie verbarg ein Lächeln als sie daran dachte wie sich Ken-san neulich wieder aus dem Bett geschlichen hatte, obwohl er es theoretisch noch nicht durfte. Megumi hatte den Rurouni absichtlich angewiesen etwas länger im Bett zu bleiben als es wirklich nötig war, weil sie genau wusste, dass er ein oder zwei Tage von der Zahl, die sie nannte, abziehen würde. Sie hatte natürlich Recht gehabt. Und sie hatte so getan, als sei sie ungehalten, als sie ihn an der Wand lehnend erwischte, während er sie verlegen angelächelt hatte, weil er auf frischer Tat ertappt wurde. Ach, Ken-san. „Es ist schön zu sehen, wie gut du dich machst, Ken-san“, sagte sie, während sie kurz nach dem Tee sah, den sie kochte, und weiter an einer Salbe mischte. Diese war auf Basis von Kidachi Tougarashi hergestellt und für seinen Rücken bestimmt. Ken-sans einziges Problem mit der langen Narbe dort war lediglich ein Ziehen und ein brennendes Gefühl. „Alles Dank Megumi-donos ausgezeichneter Pflege.“ „Nicht doch.“ Sie errötete. Sie half Ken-san aus seinem Gi heraus und strich sein Haar zur Seite, so dass es aus dem Weg war. „Also jetzt, da du wieder gesund bist, kannst du dir vielleicht ein paar Sehenswürdigkeiten ansehen, Ken-san“, sagte sie heiter. „Ich bin sicher, dass sich Kyoto sehr verändert hat, seitdem du das letzte Mal hier warst.“ „Ja“, sagte er leise. „Es gibt da einen Ort… Jemanden, den ich plane, morgen zu besuchen. Allein.“ Etwas an seiner Stimme stockte und Megumi sah, dass Ken-sans Lächeln wieder eine Spur traurig war. Sie wollte sich schon wieder Sorgen machen, doch dann sah sie, dass diesmal etwas anders war. Die Traurigkeit war da, ja, aber es lag darin ein Gefühl von Frieden, Wärme, einer Erinnerung an etwas vor langer Zeit, das gut gewesen war. Da war kein Anzeichen hoffnungsloser Resignation, von noch einer Last, die er trug. Megumi fühlte sich beruhigt, dass Ken-san nicht wieder in stummes Grübeln verfallen würde. „Ein alter Freund? Oder eine Freundin?“, fragte sie vorsichtig als sie ihm eine Tasse Tee reichte. Etwas schmerzte in ihrem Herzen als sie sich fragte ob es vielleicht die Frau war, nach der er in seinem Delirium gerufen hatte, von der sie sicher war, dass sie ihm sehr am Herzen lag. Sie entschied sich, die Frage zu wagen: „Vielleicht Tomoe?“ Sein Rücken spannte sich eine Spur an als er sich mit leicht geweiteten Augen zu ihr umdrehte. Und obwohl sein Gesichtsausdruck liebenswürdig blieb, spürte Megumi wie er sein wahres Ich hinter einer Maske verbarg und seufzte innerlich. Sie wusste, dass sie jetzt nur noch auf eine Mauer von absichtlich rätselhaften Antworten treffen würde. „Ja“, sagte er schließlich. „Es ist jetzt zehn Jahre her. Soviel schulde ich ihr.“ „Aber sie hat dich verlassen.“ Megumi bereute die Worte, kaum dass sie aus ihrem Mund waren. „Ich denke nicht, dass du ihr etwas schuldest, Ken-san“, sagte sie mit sanfterer Stimme und versuchte dem Vorwurf die Schärfe zu nehmen. „Sie ist fort… wegen etwas unverzeihlichem, das ich getan habe.“ Als sie sein Gesicht studierte, kam Megumi plötzlich ein Gedanke. „Und ist das der Grund warum du zehn Jahre gewandert bist? Wegen ihr?“ „Zum Teil.“ „Du musst sie sehr geliebt haben.“ Ken-san hatte den Kopf weggedreht und Megumi konnte seinen Gesichtsausdruck nicht länger sehen. „Ja, ich liebe sie noch immer.“ Megumi schluckte. Es erklärte eine ganze Reihe Sachen. Warum Ken-san nie andere Frauen wahrzunehmen schien. Warum er von Anfang an so schüchtern auf Megumis Annäherungsversuche reagiert hatte. Warum sich Ken-san selbst von Kaorus bescheidenen Zuneigungsbekundungen distanzierte, wenn es doch für alle anderen so offensichtlich war, dass er die Gefühle des Mädchens erwiderte. Megumi hatte es vermutet , sobald Ken-san den Namen dieser Frau vor so vielen Wochen gesagt hatte. Aber sie hatte damals nicht gewagt zu fragen. Als er es nun direkt aussprach, machte er damit eine schmerzhafte Wahrheit, die bis jetzt vage und unwirklich geschienen hatte, ganz greifbar. „Ken-san.“ Megumi war plötzlich wütend auf diese Frau, weil sie Ken-san verlassen hatte, weil sie ihm solche Schmerzen bereitete. „Ken-san, vielleicht ist das keine so gute Idee. Was wenn sie – ich weiß ich sollte das nicht sagen – aber vielleicht wird sie dich nicht sehen wollen. Und sie ist sicher inzwischen verheiratet und...“ „Sie hat vor langer Zeit geheiratet“, sagte Kenshin, noch immer mit diesem seltsamen Unterton in der Stimme. „Ich… kenne ihren Mann gut.“ „Oh.“ Es war eine dieser seltenen Gelegenheiten, dass Megumi, die weltkluge und raffinierte Füchsin, nicht wusste was sie sagen sollte. „Megumi-dono, eines Tages würde ich es gerne erklären, aber...“ „Nein, Ken-san. Vergib mir. Es war unhöflich von mir, so danach zu bohren.“ Sie blinzelte, erinnerte sich an ihre Manieren und fand ihren Verstand wieder. Sie konzentrierte sich wieder darauf was als nächstes anlag. Die medizinische Salbe war fertig und sie begann eine dünne Schicht auf die Narbe aufzutragen. „Also gehst du morgen alleine.“ Sie konnte die Besorgnis in ihrer Stimme nicht verbergen. „Bist du sicher, dass du zurechtkommst? Du hast dich noch nicht völlig erholt.“ Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. „Megumi-dono muss sich keine Sorgen machen. Es ist nur ein schöner Spaziergang an einem Sommertag. Es wird mir gut gehen.“ Sie hätte am liebsten jemanden mit ihm geschickt oder die Polizei eine Kutsche bringen lassen, obwohl sie wusste, dass Ken-san das hassen würde. Die Treppe erfolgreich hinunter zu stiegen war eine Sache, für Gott weiß wie lange durch Kyoto zu wandern etwas völlig anderes. Und dann war da noch der Mann dieser Tomoe. Megumi war nicht überzeugt, dass Ken-san dort so wirklich freundlich empfangen würde. Aber diese Zufriedenheit in seiner Stimme… Sie konnte nichts tun, was womöglich dieses hart erkämpfte, verletzliche Glück zerstören würde. Ken-san war schon so lange unglücklich gewesen. Megumi konnte es nicht über sich bringen, ihn mit Sicherheitsvorkehrungen im Zaum zu halten, ihm heute Nacht irgend etwas zu versagen. „Dann hoffe ich, dass alles gut läuft“, sagte sie und klang fröhlicher als sie sich fühlte. „So“, sagte sie als sie mit der Salbe fertig war und nahm einen langen Verband vom Tablett. Sie bemühte sich ihre Stimme unbesorgt klingen zu lassen. „Es sieht aus als ob die Wunde auf deinem Rücken jetzt in Ordnung ist, aber um sicher zu gehen, werde ich mal den Verband wechseln.“ „Vielen Dank.“ Er schien sich über den Themenwechsel zu freuen. „Oh nein, ist schon gut. Aber wenn du dir noch eine so schlimme Wunde wie diese zuziehst...“ Megumi konnte nicht verhindern, dass ihr ein leises, besorgtes Geräusch entfuhr. „Werde ich dir nicht helfen.“ „Dann werde ich vorsichtig sein.“ Das solltest du auch besser, dachte sie bei sich. Sie war jetzt in einer seltsamen Stimmung und sie wusste nicht warum. Die furchtbare Narbe auf seinem Rücken war immer ein Anblick, der sie niedergeschlagen machte. Oder vielleicht lag es an der Erwähnung von Tomoes Namen. Megumi war erschrocken als ihr plötzlich Tränen in den Augen standen. Sie fühlte sich auf einmal so schwach und kurz davor die Kontrolle über sich zu verlieren, ohne auch nur einen guten Grund zu haben. Die Füchsin in ihr rollte die Augen über so viel Gefühlsduselei, aber Megumi konnte nichts dagegen tun. Sie lehnte die Stirn an Ken-sans Rücken und kämpfte darum ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Megumi-dono...“ In seiner Stimme lagen Überraschung und Sorge. Doch mehr als das sagte er nicht. Noch bewegte er sich oder drehte sich um. Er saß einfach nur ruhig da, während ihr Kopf auf seinem Rücken lag, und gab ihr Zeit sich wieder zu fangen. „Es tut mir leid, Ken-san“, sagte sie nach einem Moment. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“ „Megumi-donos Anwesenheit in den letzten paar Wochen war von unbezahlbarem Wert“, sagte er leise. „Dieser Rurouni ist so viel Freundlichkeit und selbstloser Fürsorge nicht würdig.“ „Nein! Du denkst zu gering von dir, Ken-san“, sagte sie mit einem verlegenen, kleinen Lachen. „Das tut Ihr auch, Megumi-dono.“ Ken-san streckte die Hand aus und wischte eine zurückgebliebene Träne von ihrer Wange. Es war etwas so einfaches, doch bei dem zurückhaltenden Rurouni, war es ein Anzeichen für verblüffende Vertrautheit. Seine Augen waren voller Sorge und in diesem Moment fühlte sich Megumi als müsse ihr Herz bersten. „Dann sind wir uns sehr ähnlich, nicht wahr, Ken-san.“ Und mehr gab es zwischen den beiden nicht zu sagen. Sie ähnelten einander, sie waren Freunde und sie waren praktisch eine Familie. Ken-san wusste, dass Megumis Gefühle für ihn noch über diese starken Bande hinausgingen. Und von dem Ausdruck, der jetzt in seinen Augen stand, und dadurch wie er sich früher verhalten hatte, wusste Megumi, dass der Rurouni diese Liebe wirklich gern erwidert hätte. Sie wusste auch, dass Ken-san niemals offen sein Wissen über ihre Gefühle oder seine Unfähigkeit sie zu erwidern äußern würde, um es ihnen zu ersparen, das auszusprechen, was ihnen beiden Schmerzen bereiten würde. Wenn er so tat als wüsste er von nichts, musste er niemals die Worte aussprechen, die ihr das Herz brechen würden. Es war ein zerbrechliches Verstehen, das sie vor langer Zeit wortlos erreicht hatten. Sie konnte seine Liebe nicht haben, aber sie hatte das nächstbeste: seine Bewunderung, seinen Respekt, seine Freundschaft… alles für sich ebenfalls so wertvoll. Es war das Beste, was er ihr anbieten konnte. Und trotz des bittersüßen Schmerzes, der darin lag, war es ein Arrangement, mit dem sie leben konnte. Die Füchsin würde ihn weiter necken und mit ihm flirten. Und der Rurouni würde ihr weiter mit „Oro.“ und naiver Verständnislosigkeit antworten. Und so würde es immer sein. „Oro“, flüsterte er und in seinen Augen glitzerte sanfte Belustigung. Als hätte er ihre Gedanken gelesen. Da lachte sie und der seltsame, kurze Moment war vorüber. Zurück jetzt in vertrauteres Gebiet… „Ich erkläre dich offiziell für wieder gesund, Ken-san“, sagte sie liebenswürdig, als sie schnell die Bandagen reinigte und ordentlich auf das Tablett legte, das sie mitgebracht hatte. „Und jetzt, da du keinen Arzt mehr brauchst, denke ich, ich werde eine wohl verdiente Pause einlegen. Ich bin jedenfalls müde!“ Er zögerte kurz. „Sano ist oben auf dem Dach, Megumi-dono. Er würde Eure Gesellschaft gewiss begrüßen.“ Sie hob überrascht eine Augenbraue und warf dem unschuldig dreinschauenden Rotschopf einen Blick zu. Manchmal vergaß selbst sie die wahre Natur des Mannes hinter diesen entwaffnenden lavendelblauen Augen. Vage fuchsartige Gedanken huschten ihr durch den Sinn. „Ach, ist er das...“ Megumi wandte sich zum Gehen. „Megumi-dono“, sagte der Rurouni leise. Er suchte nach Worten, war zur Abwechslung nicht so eloquent wie sonst. „Ich kann Euch unmöglich jemals auf angemessene Weise vergelten, was Ihr für mich getan habt.“ Sie schaffte es, dass ihre Stimme fest blieb, doch ihr Blick verschwamm wieder vor Tränen. „Es ist gern geschehen, Ken-san.“ Sie lächelte. „Gute Nacht.“ Kenshin lächelte zurück. „Gute Nacht… Megumi-dono.“ Dann ging sie, schob die Tür zu und ließ den in Gedanken versunkenen Rurouni auf den Matten sitzen und schweigend seinen Tee trinken. Takain Megumi blieb vor dem Zimmer stehen, zögerte, wollte nicht gehen. Sie schüttelte den Kopf. Ken-san brauchte sie nicht mehr. Sie hatte getan wofür sie nach Kyoto gekommen war, hatte alles getan, was in ihrer Macht stand um seine Gesundheit wiederherzustellen. Megumi holte tief Luft und in diesem Moment traf sie eine folgenschwere Entscheidung. Sie würde morgen handeln. Sie würde es tun, damit Ken-san sowohl im Geist als auch körperlich wieder heil sein konnte. Takani Megumi hatte alles getan was sie konnte. Für den Rest habe es nur eine Person, die Ken-san wirklich helfen konnte. Eine blauäugige Person mit indigofarbenem Haarband. Und Megumis Augen wurden etwas schmaler als sie plante mit dieser Person am nächsten Morgen zu reden. Ihr Gesichtsausdruck musste seltsam gewesen sein, den Hiko Seijurous Augenbrauen wölbten sich vor sanfter Neugier als er im Flur auf sie traf. Sie blinzelte. „Oh, Hiko-san. Wollen Sie Ken-san besuchen?“ Er nickte. „Stimmt etwas nicht?“ „Nein, ich habe mir nur Sorgen um ihn gemacht.“ Hiko wartete. „Er wird diese Tomoe morgen besuchen und er geht allein“, platzte es aus ihr heraus. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte heute nacht wirklich eine seltsame Stimmung. Ein nachdenklicher Ausdruck huschte über Hikos Gesicht, aber ansonsten blieb er gelassen. Er grinste schief. „Mach dir keine Sorgen um meinen dummen Schüler. Mit ihm wird schon alles gut gehen“, sagte er. „Und ich werde ein Auge auf ihn haben“, fügte er ernsthafter hinzu. Sie dankte ihm und war viel beruhigter. Sie fühlte sich besser, nun da sie wusste, dass der Schwertkämpfer auf ihn aufpassen würde. Und mit erleichtertem Herzen entschied sich Megumi, sich fröhlichere Gesellschaft zu suchen. Sie wurde selbst immer düsterer, wenn sie zu viel Zeit mit Ken-san verbrachte. Sie hatte andere Freunde deren Anwesenheit sie weit mehr entspannte. Megumi machte sich auf den Weg zum Dach. Wie Ken-san gesagt hatte, war Sano dort, saß alleine da und starrte schweigend zu den Sternen hoch. Es überraschte Megumi ihn so vorzufinden. Sie hätte nicht gedacht, dass er die Sorte Mensch war, die sich die Sterne ansah. Es schien eine zu tiefgründige und ruhige Beschäftigung für den sonst so energiegeladenen Hahnenkopf. Er drehte sich um als er sie kommen hörte. „Füchsin“, sagte er zum Gruß als sie vorsichtig zu ihm kletterte. „Was machst du um diese Zeit hier oben?“ „Ich schnappe nur etwas frische Luft.“ Sie machte es sich gemütlich und klopfte sich den Staub von den Händen. „Machst du das oft?“ „Was, mir die Sterne ansehen? Heh. Nein. Nur wenn ich ein bisschen betrunken bin.“ Kein Wunder. Sie grinste. „Hör mal, Füchsin, ich hatte noch keine Gelegenheit, dir das zu sagen, aber...“ er zuckte mit den Schultern. „Du bist keine Last.“ „Was?“, fragte sie verwirrt. „In der Nacht als Kenshin mit Komagata gekämpft hat“, versuchte er zu erklären. „Kenshin wollte dich mit Sae wegschicken und ich habe gesagt, dass du nur eine Last wärst. Das war falsch. Ich hab es nicht so gemeint.“ Ach das. Das hatte Megumi schon ganz vergessen. Sie betrachtete Sano. Er musste wirklich angeheitert sein, dass er solche Sachen sagte. Sie unterdrückte ein Lächeln. Er würde es nur falsch verstehen. „Ist schon gut“, versicherte sie ihm. Sie dachte an diese Nacht zurück, an ihre Reaktion auf die Vorstellung von ihren Freunden getrennt zu werden. Vor sechs Monaten hätte sie nie erwartet solche Gefühle für eine Gruppe von Leuten zu haben, die nicht zu ihrer Familie gehörten. Und jetzt, dachte sie, und der Gedanke wärmte ihr das Herz… Wie sich ihr Leben doch verändert hatte. Es war ganz allmählich gegangen, so dass sie es bis jetzt nicht einmal richtig bemerkt hatte. Die Angst hatte keine Macht mehr über sie. Ebenso wie Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Sie hatte Freunde. Sie hatte Liebe. Und sie hatte Hoffnung. Hoffnung für ihre eigene Zukunft und die Zukunft derer, die ihr nahe standen. Ihrer neuen Familie. Sie schluckte, legte ihr Kinn auf die Knie und schloss die Augen. „Megumi?“ Sanosuke legte ihr leicht die Hand auf den Arm. „Alles in Ordnung?“ Sie nickte. Ihre Familie, dachte sie wieder. Sie mochte wie sich das anhörte. Und sie würden bald alle wieder nach Tokyo zurückgehen. Zurück nach Hause. Zusammen. „Mir geht es gut“, sagte sie mit einem Lächeln. „Alles ist wundervoll.“ Er sagte nichts. Er saß nur da, starrte sie auf gewohnt intensive Art an und schien sich nicht sicher zu sein, ob sie nun sarkastisch war oder nicht. Sie lachte leise. „Dummkopf“, sagte sie beruhigend. Und mit sanfter Zuneigung. Der Mund des ehemaligen Straßenkämpfers verzog sich bei diesem Wort zu einem spitzbübischen Lächeln. Er lehnte sich gegen die Dachschindeln zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und wirkte behaglich und voller Zufriedenheit als hoch zu den Sternen sah. Megumi lächelte und tat es ihm gleich, streckte sich entspannt neben dem Straßenkämpfer auf dem sich sanft neigenden Dach aus und spielte gedankenverloren mit einer Haarsträhne. Die Sterne am Himmel von Kyoto sahen genauso aus wie die von Tokyo und auch wie die von Aizu. Aizu… Mit einem überraschten Blinzeln wurde sie sich bewusst, dass es Wochen her war, dass sie das letzte Mal an ihre Heimat gedacht hatte. Sie hatte sich wirklich verändert wenn sie es so lange schaffte nicht an ihre persönlichen Tragödien zu denken. Aizu… Sie war so weit gekommen und doch waren die Sterne dieselben. Sie fand das seltsam beruhigend. Ihre Gedanken wanderten weiter. Sie erinnerte sich an glückliche Momente in ihrer Vergangenheit und sie dachte an die guten Dinge, die noch kommen würden. Und zum ersten Mal in vielen Jahren… erlaubte sich Takani Megumi zu träumen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)