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Genesung

von

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Wiedervereinigung im Shirobeko

"Hiko Seijuro?" wiederholte sie.

"Hiko Seijuro der dreizehnte", stellte er klar.

Der Name sagte Megumi überhaupt nichts. Einen Moment später schien dem Mann das schließlich klar zu werden. Sein Stirnrunzeln vertiefte sich.

"Ich bin Kenshins früherer Meister."

"Oh, dann waren Sie sein Lehrer."

"Ja."

"Und Sie waren derjenige, der ihn auf seinen Kampf mit Shishio vorbereitet hat?"

"Ja. Dank meinem Training ist seine Hiten Mitsurugi Technik beinahe so perfekt wie meine." Hiko verschränkte die Arme und sah aus dem offenen Fenster. Der Hauch eines selbstgefälligen Lächelns umspielte seine Lippen.

Megumi, die so viel Selbstgerechtigkeit kaum glauben konnte, hob eine Augenbraue. Sie hatte nicht gewusst, was sie von Kenshins Lehrer erwarten sollte. Was immer sie sich vorgestellt hatte, sie hatte gedacht, dass er... höflicher wäre. Sie konterte mit einer Frage.

"Ich nehme an, Sie wollen bleiben und helfen, Hiko-san?"

"Nein ich werde bleiben und dich beaufsichtigen."

Arroganter Mistkerl! Megumi schloss kurz die Augen. Ihr Temperament würde sie jetzt nicht weiterbringen. An jedem anderen Tag hätte sie ihm ihr breitestest Füchsinnenlächeln geschenkt und ein paar giftige Spitzen losgelassen. Doch heute war sie nicht in der Stimmung für Spielchen. Der Zustand ihres Patienten war zu dringlich für unreife Streitereien.

"Wie Sie wollen", sagte sie mit einem Schulterzucken und versuchte so gut es ging den imposanten Mann zu ignorieren als sie mit ihrer Arbeit fortfuhr.

Sie nahm die sterilisierten Tücher und wusch Kenshin vorsichtig von Kopf bis Fuß. Sie ließ seine Haut von dem Wind des späten Nachmittags trocknen anstatt ein trockenes Tuch zu nehmen. Die Luft würde helfen seine Temperatur schneller herunterzukühlen. Sein Fieber war im Moment ihre größte Sorge.

Megumi zog eine ihrer Reisetaschen dichter heran und Hiku Seijuro sah mit amüsiertem Interesse zu, wie sie ihre Gläser und Behälter aufstellte. Sie hatte ein kleines Vermögen an Kräutern und Pulvern aus Tokyo mitgebracht. Rokai für die Verbrennungen an Ken-sans Brust. Seiyo-otogiriso gegen die Schmerzen. Eine ganze Anzahl anderer Mixturen mit exotischen, fremden Namen wie Man-tien-hsing um die Wundheilung zu unterstützen und Daruharida gegen Fieber. Sie nahm ein kleines Gefäß mit einem besonderen Gemisch aus ihrer Tasche. Es war die selbe wertvolle Salbe, die sie Kaoru für Kenshin mitgegeben hatte. Es war eine Weiterentwicklung einer von Gensai-senseis Formeln, die sie mit Zutaten aus den Rezepten ihrer eigenen Familie ergänzt hatte.

Sie trug die Salbe systematisch auf Kenshins Wunden auf. Während ihrer Bemühungen blieb das Gesicht des Rurounis besorgniserregend regungslos. Kein Zucken, kein Schimmer einer Bewegung. Sogar als sie die Bissstellen reinigte und den Eiter herausdrückte, war Kenshin zu weit fort um etwas zu spüren. Je mehr sie tat, desto besorgter wurde sie.

"Er ist zu ruhig, nicht wahr?" sagte Hiko und riss sie aus den grausigen Gedanken. Die Sorge des Schwertkämpfers spiegelte augenscheinlich ihre eigene wider.

"Ja, das ist er", stimmte sie zu.

"Was tust du jetzt?" fragte er, als sie ein kleines Messer nahm und begann, die Naht in Kenshins Seite aufzuschneiden.

"Ich öffne das", antwortete sie, froh eine theoretische Frage beantworten zu können, etwas zu haben, das sie von der Verzweiflung ablenkte, die am Rand ihrer Gedanken kauerte. "Da ist ein Entzündungsherd unter der Oberfläche, der heraus muss. Es kann sonst nicht gut heilen."

"Aber die Wunde hat doch schon begonnen zu heilen."

"Ja, an der Oberfläche, aber darunter nicht. Vertrauen Sie mir, ich habe das schon zu oft gesehen. Die Infektion eitert hier drunter, sehen Sie? Und dann geht es ins Blut. Das können wir nicht zulassen, also schneide ich die Wunde wieder auf."

"Du... du tust was?"

Zur Antwort zog Megumi das kleine Messer über die Spur der Wunde und öffnete sie wieder. Ein kleiner Strom Eiter und Blut floss aus der Öffnung in eine kleine Schüssel, die sie darunter hielt. Als der Strom versiegte reichte sie die Schüssel dem Schwertkämpfer, der dasaß und mit leicht grünem Gesicht daraufstarrte. Jetzt war Megumi an der Reihe selbstgefällig zu grinsen. Sie hatte nur zu oft kampfgestählte Krieger beim Anblick einer infizierten Wunde zusammenbrechen sehen. Mit frischem Blut kamen sie zurecht. Mit einer Schüssel Eiter nicht.

"Ich glaube, ich lasse die Wunde lieber offen. Sie soll von innen ausheilen, so dass sich keine weiteren Eiterherde bilden", fuhr sie fort. Sie nahm eines der sterilisierten Tücher und tauchte es in das Wasser und eine ihrer Salben. Dann drückte sie es gegen die offene Wunde in Kenshins Seite.

"Hiko-san, würde es Ihnen etwas ausmachen mir mal zu helfen?" fragte sie und war froh als sie sah, dass der Schwertkämpfer etwas von seiner hochmütigen Kühle verloren hatte, und ihr nun freiwillig half indem er Ken-sans Kopf stützte und ihn bei den Schultern hob. Dann konnte Megumi saubere Verbände um Ken-sans Taille wickeln. Sie bemerkte, dass Hiko trotz seiner schroffen Art sehr sanft mit Ken-san umging und darauf achtete, die Wunden des Rurouni nicht zu berühren.

"Ich muss zugeben, Frau", sagte Hiko nachdenklich während sie arbeiteten, "Ihr seid ein weit fähigerer Arzt als Ihr ausseht."

Megumi biss sich auf die Lippe und entschied diese Aussage als aufrichtiges Kompliment anzunehmen. "Danke."

Er sah aus dem Fenster. "Die Sonne geht unter. Eure Freunde werden bald zurück sein."

Er schien eine völlig andere Person zu sein, als der Mann, den sie vor gerade mal einer Stunde getroffen hatte. Megumi ließ es darauf ankommen und entschied sich eine etwas persönlichere Frage zu stellen.

"Warum sind Sie wirklich hier, Hiko-san? Warum, wenn Sie mir die Frage gestatten, helfen Sie nicht bei den Reperaturen des Aoiya wie die anderen?"

Seine Augen wurden schmal, als überlege er ob er ihr antworten solle oder nicht. Megumi hatte es nicht für eine sonderlich unhöfliche Frage gehalten, aber dieser Mann schien außerordentlich vorsichtig dabei zu sein, wieviel er preisgeben sollte. Sein Unwillen sich mitzuteilen erinnerte sie so sehr an einen gewissen Rotschopf... Oder es war andersherum, wenn man bedachte wer der Lehrer und wer der Schüler war.

Megumi wurde mit Ken-sans letztem Verband fertig und legte den Yukata um seine Schultern. Hiko legte den kleinen Rurouni zurück auf den Futon. Der große Mann starrte eine lange Zeit auf Kenshin hinab und schwieg während Megumi begann ihren Arbeitsplatz aufzuräumen.

"Weil ich mehr Grund habe, mir Sorgen zu machen", sagte er. "Kenshin war acht Jahre alt als ich ihn fand." Hiko sprach langsam, als mache ihm jedes Wort Mühe. "Aber in allen Belangen, die eine Rolle spielen, betrachte ich ihn als... meinen Sohn."

Megumi hielt inne in dem, was sie tat. Das war nicht die Art Antwort, die sie erwartet hatte. Sie war nicht sicher, wohin dies führen würde, aber Megumi hatte das Gefühl, Zeuge eines seltenen Ereignisses zu sein. Wenn Kenshin wirklich einige seiner Eigenarten von Hiko gelernt hatte, dann vermutete sie, dass dieser Mann seine Gedanken für sich behielt wie es Ken-san auch oft tat. Megumi hätte gewettet, dass sich Hiko höchst selten anderen so anvertrauen würde wie er es gerade getan hatte. Megumi wusste nicht, warum er sich ausgerechnet sie dafür ausgesucht hatte, aber sie blieb still, da sie den Moment nicht stören wollte.

"Ich kenne den Tod, Megumi-sensei", sagte er sachlich. "Ich bin mit ihm in all seinen Formen vertraut. Ich weiß, wenn er nahe ist, wenn er droht. Ich sehe seinen Schatten über dem Gesicht meines Schülers und der Anblick lässt mir das Blut gefrieren."

Sein Tonfall hatte sich völlig geändert, dachte Megumi. Und sie atmete tief ein als sie begann Hiko Seijuro den dreizehnten zu verstehen.

Für diesen Mann war Arroganz das, was die Albernheiten des Rurouni für Kenshin waren. Hikos Arroganz war ein Schild, eine Fassade, die er dem Rest der Welt zeigen konnte, eine Mauer hinter der er einen tieferen Schmerz verstecken konnte.

"Okina weiß wovon ich spreche", fuhr er fort. "Bis zu einem gewissen Grad auch Shinomori. Aber die Jungen, die Unschuldigen, die sich an die Bakumatsu kaum erinnern. Sie haben keine Ahnung. Sie sehen meinen Schüler mit idealistischer Hoffnung an, sicher in dem Wissen, dass er der Stärkste ist, dase er unverwundbar ist. Sie glauben wirklich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis er sich erholt, und dass es ihm schon wieder besser gehen wird, wenn man ihm nur die Möglichkeit gibt, sich auszuruhen."

Er runzelte die Stirn und strich abwesend eine Strähne von Kenshins Haar fort.

"Baka deshi..." Sein sanfter Tonfall strafte die Bedeutung dieser Worte Lügen. "...Ein Vater sollte nie seinen Sohn zu Grabe tragen, Megumi-sensei. Es sollte anders herum sein."

Er blinzelte als würde ihm plötzlich bewusst, dass er zuviel gesagt hatte. Er räusperte sich.

Ein Hauch des selbstgefälligen Lächelns kehrte zurück. "Aber jetzt, da ich Euch in Aktion gesehen habe, Megumi-sensei, glaube ich, dass ich etwas dieser idealistischen Hoffnung selbst verspüren kann."

"Aber ich weiß nicht, ob ich Erfolg haben werde", gab Megumi zu.

"Das werdet Ihr."

"Woher wollen Sie das wissen?"

"Weil ich, Hiko Seijuro, der dreizehnte, das sage", sagte er nur. "Ich bin ein Meister darin, Talente einzuschätzen. Und Ihr habt, wie ich beschlossen habe, mehr als ein Durchschnittsmaß davon."

"Oh, ist das so?" sagte sie in einem fröhlicheren Tonfall und zwang bewusst Hoffnung in ihren Geist.

"Ich liege nie falsch", meinte er trocken.

Megumi gluckste gegen ihren Willen.

Und hörte plötzlich auf, als sie von der Straße unten ein Geräusch hörte. Megumi eilte zum Fenster und sah auf den Markt hinab.

Das plötzliche Aufwallen von Gefühlen erwischte sie unvorbereitet, obwohl sie Freude erwartet hatte. Vielleicht lag es an der ungewohnten Wahrnehmung, auf die ganze Welt von der Höhe eines Fensters im zweiten Stock hinabzusehen. Oder vielleicht auch nicht. Die Wahrheit war, dass sie sie alle in den vergangenen Wochen vermisst hatte, nicht nur Ken-san.

Ihr Blick verschwamm als sie die vertrauten Gestalten die Straße herunterkommen sah. Gockelkopf. Pferdeschwanz mit indigoblauem Haarband. Und ja, sogar der kleine stachelhaarige Junge inmitten einer Gruppe Fremder, von denen sie annahm, dass sie Mitglieder der Oniwabanshu waren.

"Wir können genauso gut auch hinunter gehen", sagte Hiko, dessen Gesichtsausdruck wieder gelassene Arroganz zeigte. "Mein baka deshi läuft uns nicht weg und Ihr habt für heute alles, was Ihr könnt, für ihn getan."

Megumi nickte und ging die Treppe hinab. Sae öffnete bereits die Vordertür als Megumi den Fuß der Treppe erreichte. Ihr Freunde erstarrten für einen Moment in der Tür als sie sie sahen. Und dann als bräche ein Damm...

"Megumi! Du bist hier!" rief Yahiko mit einem Mangel an Zurückhaltung, der für sein Alter typisch war. Er sprang auf sie zu und schlang seine kurzen Arme um ihre Taille. Sie lachte, doch drohten Tränen sie wieder zu überwältigen als sie den Jungen ebenfalls fest an sich drückte. Sie wandte sich um als sie eine Berührung am Arm spürte und sah Kaoru, die sie mit großen Augen und einem breiten Grinsen betrachtete und ebenfalls weinte. Und schließlich umschlang sie etwas rau ein Arm, als Sagara Sanosuke, der große, wundervolle Idiot, ein enthsiastisches "Füchsin!" losließ und so zudrückte, dass er sie an die beiden anderen quetschte.

Sie hatte lange nicht so gelacht. Nicht seit sie sie alle vor so vielen Wochen verlassen hatten.

Und als sie nach oben zu dem Zimmer blickte, in dem Kenshin schlief, hörte sie in ihren Gedanken das Echo von Hikos Worten: "Sie sehen meinen Schüler mit idealistischer Hoffnung an, sicher in dem Wissen, dass er der Stärkste ist, dase er unverwundbar ist."

Umgeben von ihren Freunden und mit Hikos Vertrauen in ihre Fähigkeiten... Vielleicht konnte sich Takani Megumi dieser Hoffnung auf den Rurouni anschließen. Ja, vielleicht konnte auch sie an ihn glauben.



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