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Genesung

von

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Vorstellungen

Megumi Takani stand vor dem Zimmer, zögernd, furchtsam. Sie runzelte die Stirn. Es sah ihr nicht ähnlich, sich so zu benehmen. Die Angst war eine alte Bekannte, mit der sie schon lange gelebt hatte, die sie entweder in die Verzweiflung oder zur Tat trieb. Aber nie hatte sie sie erstarren lassen, sie wie ein hilfloses Reh betäubt.

"Megumi-sensei?" erklang Sekihara Saes Stimme neben ihr. "Stimmt etwas nicht?"

Megumi schüttelte den Kopf. "Nein, es ist gut. Ich will ihn nur nicht... stören, falls er schläft", sagte sie und krümmte sich innerlich wegen der erbärmlichen und unglaubwürdigen Lüge.

Sae nahm ihre Aussage anscheinend für bare Münze. "Megumi-sensei, ich fürchte es ist so wie Sie gehört haben. Himura-san hat seine Augen seit der Nacht des Kampfes nicht geöffnet. Wenn schon irgendetwas, dann wünschte ich Sie würden ihn stören. Es wäre wenigstens etwas. Er hat sich seit drei Tagen nicht bewegt." Damit schob Sae die Tür auf und Megumi bekam Ken-san zum ersten Mal seit er vor Wochen Tokyo verlassen hatte zu sehen.

Die Veränderung war beängstigend.

Drei Tage. Er war seit drei Tagen in diesem Zustand.

"Er stirbt", flüsterte sie und starrte ungläubig auf die bleiche Gestalt, die bewegungslos auf dem Futon am Fenster lag. Sie bemerkte kaum wie Sekihara Sae bei ihren Worten nach Luft schnappte. Bewegung kam wieder in sie und sie durchquerte die endlose Länge des Raums zu Himura Kenshin.

Schweiß durchtränkte sein feines, rotes Haar und perlte sich auf seiner Stirn. Die ungesunde Verfärbung seiner Lippen und die Schatten unter seinen Augen waren beunruhigend, aber die stechende Hitze, die seiner Haut ausstrahlte, machte ihr am meisten Sorgen, als sie mit dem Handrücken leicht seine Stirn berührte. Die kreuzförmige Narbe auf seiner linken Wange hob sich in zornigem Rot von der Blässe seiner Haut ab und betonte die entmutigende Reglosigkeit seines sonst ausdrucksstarken Gesichts noch mehr.

Megumi kämpfte die Panik nieder, die sie zu überwältigen drohte. Schon auf der Kutschfahrt ins Shirobeko hatte sie sich davor gefürchtet ihre Beherrschung zu verlieren, sollten sich ihre Ängste über Kenshins Zustand bewahrheiten. Zu ihrer eigenen Überraschung war das einzige Anzeichen ihres Kummers die Heftigkeit, mit der sie die Decken des Vagabunden zurückwarf. Sie ignorierte Saes nervös geflüsterte Fragen, was sie tue, und zog vorsichtig Kenshins Yukata auseinander um einen besseren Blick auf die Verbände werfen zu können.

Zumindest waren sie von fähiger Hand angelegt. Das hatte sie erwartet, da sie von dem Polizist, der sie hergebracht hatte, gehört hatte, dass die besten Ärzte der Stadt hergerufen worden waren, um sich Kenshins Wunden anzusehen. Diese Ärzte jedoch waren bereits mehr als ausgelastet durch die schiere Zahl der verwundeten Polizisten und hatten nicht die Zeit sich ausreichend um Kenshin zu kümmern, nachdem sie eine Grundversorgung vorgenommen hatten. Okinas Leute hatten annehmbare Arbeit beim Erneuern der Verbände geleistet, wie es ihnen die Ärzte gezeigt hatten, aber sie waren dennoch Amateure und hatten nicht Megumis geübten Blick. Sie hatten zugelassen, dass sich die Wunden entzündeten. Sie war sich dessen sicher, auch wenn sie noch nicht die Quelle der Infektion gefunden hatte.

Aus dem Augenwinkel sah sie wie Sae die Decken wieder über Ken-sans schlafende Gestalt legte.

"Lass das", befahl sie, ihr Ton schärfer als beabsichtigt. Sie bemühte sich sanfter zu klingen. "Er verbrennt, Sae. Die Decken werden es noch schlimmer machen."

Mit schuldbewusstem Blick ließ Sae die Decken fallen als würden sie ihr die Hände verbrennen. Megumi unterdrückte den plötzlichen Drang die andere Frau zu schlagen. Aber nein, das war wie sie wusste unfair von ihr. Sae hatte nichts mit Kenshins Zustand zu tun. Sae war eine wohlwollende Frau, die Kenshin und seine Freunde aus Herzensfreundlichkeit aufgenommen hatte. Und Sae war wirklich eine kompetente und intelligente Frau. Es war nicht Saes Schuld, dass sie nicht wusste wie man mit einem verwundeten Mann umging.

"Wie lange dauert es bis die anderen vom Aoiya zurückkommen?" fragte Megumi.

"Mindestens ein paar Stunden. Sie kommen normalerweise nicht vor Sonnenuntergang zurück. Sind Sie sicher, dass ich ihnen keine Nachricht schicken soll? Ich bin sicher, dass sie von Ihrer Ankunft so bald unterrichtet werden wollen würden."

"Nein", versicherte sie der Frau. "Sie werden früh genug zurück sein. Dann ist noch Zeit genug für Wiedersehensfeiern. Ich brauche Frieden und Ruhe um Kenshin zu untersuchen und ich fürchte, der Enthusiasmus meiner Freunde würde das nicht zulassen."

Sae nickte verständnisvoll. "Ich lasse Ihnen die Dinge bringen, um die Sie gebeten haben, sobald alles fertig ist." Sae hatte Megumi verwirrt angesehen als die Ärztin sie zuvor um ihre seltsame Ansammlung von wesentlichen Materialien gebeten hatte, aber sie hatte nur genickt und die Belegschaft des Restaurants losgeschickt das Gewünschte zu bringen.

Sae war wirklich eine große Hilfe, dachte Megumi, und fühlte sich etwas schuldig, so kurz angebunden zu ihr gewesen zu sein. Sie musste wirklich ihre Gefühle besser unter Kontrolle bringen. Sie musste vergessen, dass es Ken-san war, der vor ihr lag, musste ihre ärztliche Objektivität zurückgewinnen, durfte nicht vor Frustration und Sorge losschreien.

Die Ruhe ihrer Stimme verblüffte sie. "Danke, Sae." Und weil sie spürte, dass es gesagt werden musste: "Es tut mir leid, dass ich unfreundlich war..."

"Schon gut, Megumi-sensei. Kümmern Sie sich nur um Ihren Freund", sagte Sae mit einem sanften Lächeln und verließ den Raum.

Als sie endlich ungestört war, wandte Megumi dem vor ihr liegenden Mann ihre volle Aufmerksamkeit zu und stählte ihr Herz, bevor sie begann die zahlreichen Bandagen zu entfernen und die entsetzlichen Wunden darunter zu enthüllen.

Er war nur ein Mensch, sagte sie sich selbst, während sie sanft seinen Obi öffnete und seine Arme aus den Ärmeln des Yukata befreite. Nur ein Patient, der ihre Hilfe brauchte. Er war nicht der Mann, der sie vor dem Bastard Takeda Kanryu gerettet hatte. Er war lediglich ein schwieriger Fall, den es zu behandeln galt, ein interessantes medizinisches Rätsel, das es zu lösen galt. Er war nicht der gutherzige Mann mit der sanften Stimme, der es schaffte, dass sie sich auch in der aussichtslosesten Situation sicher fühlen konnte...

"Ken-san", flüsterte sie, von Furcht ergriffen wegen des Musters frischer Wunden, das sie enthüllt hatte, und voller Traurigkeit über das Netzwerk alter Narben, die bereits seinen Körper bedeckten.

Sie starrte auf die blutigen Bandagen und ihr Blick verschwamm zu einem Bild flüssiger Blumen in Rot und Weiß.

"Megumi no baka." Sie fuhr sich voller Abscheu für sich selbst über die Augen und begann mit neuer Entschlossenheit die Wunden klinisch distanziert zu untersuchen. Keine offensichtlichen Verletzungen des Kopfes. Das war gut. Die Nähstiche an seinen verschiedenen Wunden waren sauber und gut gearbeitet. Das war auch gut. Die Blutergüsse in seinem Gesicht verblassten. Über den zwei Schnitten an seinem Hals bildete sich Schorf und trotz ihrer Nähe zu den Schlagadern stellten sie keine unmittelbare Gefahr mehr dar. Auch die tiefe Wunde an seiner rechten Schulter heilte. Die Verbrennungen an seiner Brust standen in der Gefahr sich zu entzünden, doch sie schienen im Moment in Ordnung zu sein. Der lange Schnitt über seinen Rücken sah zwar bedrohlich aus, hatte aber ebenfalls begonnen zu heilen, wenn auch langsam. Ihre Hauptsorge galt der tiefen Bisswunde an seinem Hals und der Stichwunde in seiner Seite. Die Haut hatte sich um diese Stellen zu einem zornigen Rot verfärbt und fühlte sich heiß an.

Sie hörte, wie jemand hinter ihr den Raum betrat. Die Störung ließ sie verärgert aufsehen. Und dann blinzelte sie überrascht den hochgewachsenen Riesen von einem Krieger an, der mit den Vorräten hereingekommen war, die sie verlangt hatte.

Er war nicht die Art Person, von der Megumi erwartet hätte, dass Sae sie schicken würde und sein selbstsicheres Auftreten hielt sie irgendwie davon ab, eine Erklärung für seine Anwesenheit zu verlangen, wie sie es vorgehabt hatte. Statt dessen sah sie in neugierigem Schweigen zu, wie er das verlangte Becken mit abkühlendem abgekochtem Wasser und sterilisierten Tüchern auf den Boden neben ihr setzte. Dazu hatte er eine Auswahl scharfer Messer, Nadeln, Faden und eine kleine Öllampe mitgebracht. Zu ihrer wachsenden Überraschung ging er nicht wieder sondern setzte sich zu ihr und verschränkte die Arme.

"Also du bist diese Ärztin, von der jeder redet", sagte er und sah sie mit einem leichten Stirnrunzeln schief von der Seite her an.

"Megumi. Takani Megumi", sagte sie betont. "Und Sie sind?"

"Hiko Seijuro", sagte er schlicht und starrte geradeaus. Und dabei beließ er es.

Als wären diese zwei Worte Erklärung genug.



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