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Genesung

von

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Erneuerung & Entschlossenheit

Ken-sans Wangen waren leicht gerötet und Schweißtropfen sammelten sich auf seiner Stirn, aber er sah zufrieden aus, als er sich auf den Matten zum Ausruhen niederließ. Eigentlich noch mehr als zufrieden, entschied Megumi. Er sah geradezu glücklich aus.

Gestern Morgen hatte er es zum ersten Mal seit Wochen ohne Hilfe die Treppe im Shirobeko herunter geschafft. Gestern Nachmittag hatten sie einen Überraschungsgast in Gestalt eines seltsamen Gesellen namens Cho, der früher bei den Zehn Schwertern gewesen war. Er hatte Ken-san Neuigkeiten darüber gebracht, dass es zumindest bei einigen der Mitglieder der Zehn Schwerter gut lief. Und heute hatte es Ken-san geschafft mit all den anderen zusammen, den Oniwabanshu beim Umzug aus dem Shirobeko in das Aoiya zurück zu helfen. Er war noch immer schwach, konnte nur leichte, kleine Kisten tragen und musste sich oft setzen und wieder zu Atem kommen. Aber der Rurouni war nichtsdestotrotz ganz offensichtlich zufrieden.

Seine Stimmung hatte sich bedeutend gehoben, seitdem es ihm gut genug ging kleinere Hausarbeiten zu erledigen und sich wieder nützlich zu fühlen. Und als alle die Wiedereröffnung des Aoiya etwas früher an diesem Abend mit einer von Okinas wilden Partys feierten, hatte sich Ken-san so weit er konnte daran beteiligt. Er hatte sogar ein wenig Sake getrunken, auch wenn er noch immer nicht viel davon vertrug. Trotzdem hatte er gesagt, dass es ihm gefallen habe, was alle freute. Und selbst Hiko-sans sonst so strenge Miene hatte sich bei diesen Worten erhellt.

Als er bei den angeheiterten Versuchen seiner Freunde zu musizieren zusah, hatte Ken-sans Lächeln endlich alle Spuren von Traurigkeit verloren und reichte bis zu seinen Augen. Es hatte Megumis Herz erwärmt dieses Lächeln nach so langer Zeit wieder zu sehen. Selbst jetzt, wo die Party ruhiger geworden war und die meisten ihrer Freunde im Esszimmer eingeschlafen waren, war Ken-san unvermindert guter Laune als er in seinem neuen Zimmer im Aoiya saß und darauf wartete, dass seine Verbände gewechselt wurden. Megumi saß hinter Ken-san und bereitete eine Salbe für seine Bandagen vor. Sie konnte selbst nicht aufhören zu lächeln, als sie ihn so glücklich sah. Die Augen des Schwertkämpfers waren geschlossen. Er lauschte den Geräuschen der Grillen und genoss das Gefühl einer kühlen nächtlichen Brise auf der Haut. Sein Lächeln war ein bisschen schwächer als zuvor auf der Feier, da er von dem geschäftigen Tag auf angenehme Weise ermüdet war, aber dennoch war es eindeutig und unverrückbar vorhanden.

Es war eine willkommene Abwechslung zu der erbärmlichen, durchweichten Gestalt, die Sanosuke von dem Aufeinandertreffen mit Komagata Yoshi in einem Hinterhof vor zehn Tagen zurück getragen hatte. Megumi erinnerte sich an diese grässliche Nacht mit einem Schaudern. Es hatte völliges Chaos geherrscht als sie schließlich ins Shirobeko zurückkehrten und versuchten den unterkühlten und reglosen Rurouni wiederzubeleben, während hektisch Oniwabanshu-Mitglieder, Angestellte des Shirobeko und mehrere Polizisten kamen und gingen.

Als allmählich die verschiedenen Berichte eintrudelten, wurden die Zusammenhänge klarer. Komagata Yoshis Hauptabsicht war es von Anfang an gewesen, Ken-san zu diesem schicksalhaften Kampf herauszufordern. All die anderen Angriffe von Shishios Männern waren lediglich Nebenschauplätze, die zur Ablenkung gedacht waren, damit sich die Polizisten und Onibawanshu aufteilten und keine geeinte Verteidigungsfront aufstellen konnten.

Yoshis Plan war recht wirkungsvoll gewesen. Als Aoshi und Misao beim Aoiya angekommen waren, hatten sie dort nur eine Handvoll feindliche Soldaten vorgefunden. Sie hatten ihren Fehler, dass sie den Ort, der am meisten in Gefahr lag, nämlich das Shirobeko, verlassen hatten, sofort erkannt. Und dann waren sie so schnell sie konnten zu Saes Restaurant zurück gerannt und hatten es Kuroju und Masukami überlassen sich um die paar Eindringlinge beim Aoiya zu kümmern. Zu ihrer Bestürzung fanden Aoshi und Misao das Shirobeko verlassen vor. Und erst als die beiden Spione auf die Dächer geklettert waren und systematisch die Straßen in der Umgebung absuchten, hatten sie das Fackellicht von Shishios Männern in einem sonst abgedunkelten Gebiet entdeckt.

In der Zwischenzeit war Sae, die damit zufrieden gewesen war, mit Shirojo und Omime in einem sicheren Haus der Oniwabanshu zu warten, beunruhigt worden als sie in der Entfernung Schüsse hörte. Trotz heftigen Widerspruchs der Oniwabanshu hatte die schmächtige Eigentümerin des Shirobeko darauf bestanden, zurück zu kehren sobald die Schüsse aufhörten. Sie war außer sich vor Angst um das Wohlergehen ihrer neuen Freunde, ganz davon zu schweigen, dass sie sehen wollte, was für einen Schaden das Restaurant genommen hatte, das seit Generationen von ihrer Familie geführt wurde. Nachdem die Straßen eine ganze Stunde lang ruhig gewesen waren, hatten die zwei Agenten der Oniwabanshu schließlich nachgegeben. Und wider besseren Wissens hatten Shirojo und Omime es Sae erlaubt, einige aus ihrer Belegschaft zusammen zu rufen. Dann hatten sie vorsichtig die Eigentümerin und die Angestellten des Shirobeko zurück zum Restaurant begleitet. Als die Gruppe eintraf, fanden sie das Gebäude überraschend intakt und voller Leute und Aktivität vor. Kurojo und Masukami von der Oniwabanshu waren inzwischen auch angekommen, nachdem sie die kleine, feindliche Gruppe beim Aoiya besiegt hatten.

Mehrere Polizisten waren von ihrem Vorgesetzten im Hauptquartier zum Shirobeko geschickt worden, sobald diejenigen, die auf sie geschossen hatten, besiegt waren. Zwei Dutzend waren zur selben Zeit eingetroffen, wie sich Megumi und ihre Freunde mühsam von dem verlassen Hinterhof des Warenlagers auf den Weg gemacht hatten. Die zwei Gruppen hatten sich getroffen und endlich Neuigkeiten darüber ausgetauscht, was in dieser Nacht geschehen war. Die Polizei hatte sie auch informiert, dass Hiko-san und die Arais glücklicherweise in ihrem Heim nicht angegriffen worden waren.

So also lagen die Dinge als Megumi und ihre Freunde versucht hatten Ken-san aufzuwecken. Die vier hatten das hastige Treiben um sie herum ignoriert: Polizisten, die einen Sicherheitsbereich errichteten für den Fall, dass der Feind seine Meinung änderte; Andere, die Goro über seinen Freund Yoshi ausfragten; Okina und die Oniwabanshu, die sich darüber berieten, was mit ihrem Netzwerk schief gelaufen war und wie sie das nächste Mal besser machen könnten; Saes Leute, die extra Zimmer für die Polizisten vorbereiteten, die sie eingeladen hatten über Nacht zu bleiben, da es schon so spät war als sie alle eingetroffen waren.

Statt dessen kümmerten sich Megumi und ihre Freunde nur um eine Person. Ein kleiner, rothaariger Schwertkämpfer war in diesem Moment Dreh- und Angelpunkt ihrer Welt.

Ken-san hatte schrecklich ausgesehen. Beinahe so schlimm wie an dem Tag als Megumi ihn vor fast einem Monat zum ersten Mal untersucht hatte. Und wie damals hatten all ihre Bemühungen ihn wieder zu beleben, keinen Erfolg darin ihn zu wecken. Der bleiche Rurouni war von Wind und Regen so ausgekühlt, dass sich sein schmächtiger Körper trotz dicken Decken und der Hitze mehrerer Öllampen, die sie im Zimmer aufgestellt hatten, kalt anfühlte. Sie mussten ihn schließlich in dampfend heißes Wasser im Badehaus legen. (Und dann mussten sie den sehr erschreckt aussehenden Yahiko hinaus schicken, nachdem sich das Wasser von Ken-sans Wunde rot gefärbt hatte.) Erst dann hatte sich Ken-san etwas erwärmt und bewegte sich ein bisschen, womit er zumindest ein paar Lebenszeichen von sich gab.

Es dauerte beinahe zwei Tage bis Ken-san wirklich aufwachte. Megumi hatte angefangen sich Sorgen zu machen, dass er einen Rückfall zu dem Zustand erlitten hatte, den er nach dem Kampf gegen Shishio hatte, aber ihre Befürchtungen wurden endlich zerstreut als der Rurouni letztlich seine Umgebung wieder ganz wahrnahm. Er war beängstigend geschwächt und all der Fortschritt der letzten paar Wochen war durch den kurzen Kampf zunichte gemacht worden. Und er hatte dazu noch ein belastendes Fieber und Husten bekommen, der Megumi und Kaoru zutiefst Sorgen machte, wann immer sie hilflos dabei zusahen wie seine dünne Gestalt von unkontrollierbaren Hustentouren geschüttelt wurden.

Doch die Götter mussten wohl endlich Mitleid mit Himura Kenshin entwickelt haben (oder sie fanden, dass er inzwischen mehr als genug für seine Missetaten bezahlt hatte), denn der Husten wuchs sich nie zu einer richtigen, lebensgefährlichen Lungenentzündung aus, wie es leicht hätte passieren können. Und seine aufgerissene Wunde entzündete sich nicht, obwohl sie mit Schlamm in Kontakt gekommen war, als Ken-san gestürzt war. Im Gegenteil schien sich die Wunde in seiner Seite eher verbessert zu haben und hatte verblüffenderweise angefangen zu heilen und sich zu schließen. Megumi konnte nicht verstehen, woran das lag, wo sie die Wunde doch genauso behandelt hatte wie vor dem Kampf. Sie machte nichts anders, doch war der Beweis vor ihrer Nase. Die Wunde war allmählich kleiner geworden und schloss sich eine Woche nach dem Duell ganz. Als sie diesen Fortschritt erwähnte, hatte Ken-san nur gelächelt und dieses mysteriöse Zitat über Hass und nicht heilende Wunden und Rache wiederholt.

Obwohl die Wunde in seiner Seite gut verheilt war, brauchte der Rest von Ken-san doch noch etwas länger. Megumi machte sich große Sorgen darüber wie lange es bei ihm dauerte wieder zu Kräften zu kommen. Sicher, er war schwer verletzt gewesen, aber Ken-sans Fortschritt war immer noch langsamer als sie erwartet hatte. Sie begann sich zu fragen ob etwas Grundlegendes mit dem Rurouni nicht stimmte, aber sie fand keine offensichtlichen Beweise dafür. Es war alles nur so ein Gefühl, ein Instinkt, weshalb Megumi ihre Bedenken für sich behielt und sich darauf beschränkte, ein Auge auf ihn zu haben bis sie etwas handfesteres fand oder sich der Zustand des Rurouni verbesserte. Hoffentlich war seine ungewöhnlich langsame Erholung nur ein Anzeichen für den starken Blutverluss und die Erschöpfung. Hoffentlich war es nur etwas vorübergehendes.

Auf jeden Fall hatte Ken-san begonnen sich wieder einmal so sehr ins Zeug zu legen wie er es wagte und machte langsam Fortschritte. Und das war nach Megumis Einschätzung gut genug für sie. Sie verbarg ein Lächeln als sie daran dachte wie sich Ken-san neulich wieder aus dem Bett geschlichen hatte, obwohl er es theoretisch noch nicht durfte. Megumi hatte den Rurouni absichtlich angewiesen etwas länger im Bett zu bleiben als es wirklich nötig war, weil sie genau wusste, dass er ein oder zwei Tage von der Zahl, die sie nannte, abziehen würde. Sie hatte natürlich Recht gehabt. Und sie hatte so getan, als sei sie ungehalten, als sie ihn an der Wand lehnend erwischte, während er sie verlegen angelächelt hatte, weil er auf frischer Tat ertappt wurde. Ach, Ken-san.

„Es ist schön zu sehen, wie gut du dich machst, Ken-san“, sagte sie, während sie kurz nach dem Tee sah, den sie kochte, und weiter an einer Salbe mischte. Diese war auf Basis von Kidachi Tougarashi hergestellt und für seinen Rücken bestimmt. Ken-sans einziges Problem mit der langen Narbe dort war lediglich ein Ziehen und ein brennendes Gefühl.

„Alles Dank Megumi-donos ausgezeichneter Pflege.“

„Nicht doch.“ Sie errötete. Sie half Ken-san aus seinem Gi heraus und strich sein Haar zur Seite, so dass es aus dem Weg war.

„Also jetzt, da du wieder gesund bist, kannst du dir vielleicht ein paar Sehenswürdigkeiten ansehen, Ken-san“, sagte sie heiter. „Ich bin sicher, dass sich Kyoto sehr verändert hat, seitdem du das letzte Mal hier warst.“

„Ja“, sagte er leise. „Es gibt da einen Ort… Jemanden, den ich plane, morgen zu besuchen. Allein.“

Etwas an seiner Stimme stockte und Megumi sah, dass Ken-sans Lächeln wieder eine Spur traurig war. Sie wollte sich schon wieder Sorgen machen, doch dann sah sie, dass diesmal etwas anders war. Die Traurigkeit war da, ja, aber es lag darin ein Gefühl von Frieden, Wärme, einer Erinnerung an etwas vor langer Zeit, das gut gewesen war. Da war kein Anzeichen hoffnungsloser Resignation, von noch einer Last, die er trug. Megumi fühlte sich beruhigt, dass Ken-san nicht wieder in stummes Grübeln verfallen würde.

„Ein alter Freund? Oder eine Freundin?“, fragte sie vorsichtig als sie ihm eine Tasse Tee reichte. Etwas schmerzte in ihrem Herzen als sie sich fragte ob es vielleicht die Frau war, nach der er in seinem Delirium gerufen hatte, von der sie sicher war, dass sie ihm sehr am Herzen lag. Sie entschied sich, die Frage zu wagen: „Vielleicht Tomoe?“

Sein Rücken spannte sich eine Spur an als er sich mit leicht geweiteten Augen zu ihr umdrehte. Und obwohl sein Gesichtsausdruck liebenswürdig blieb, spürte Megumi wie er sein wahres Ich hinter einer Maske verbarg und seufzte innerlich. Sie wusste, dass sie jetzt nur noch auf eine Mauer von absichtlich rätselhaften Antworten treffen würde.

„Ja“, sagte er schließlich. „Es ist jetzt zehn Jahre her. Soviel schulde ich ihr.“

„Aber sie hat dich verlassen.“ Megumi bereute die Worte, kaum dass sie aus ihrem Mund waren. „Ich denke nicht, dass du ihr etwas schuldest, Ken-san“, sagte sie mit sanfterer Stimme und versuchte dem Vorwurf die Schärfe zu nehmen.

„Sie ist fort… wegen etwas unverzeihlichem, das ich getan habe.“

Als sie sein Gesicht studierte, kam Megumi plötzlich ein Gedanke. „Und ist das der Grund warum du zehn Jahre gewandert bist? Wegen ihr?“

„Zum Teil.“

„Du musst sie sehr geliebt haben.“

Ken-san hatte den Kopf weggedreht und Megumi konnte seinen Gesichtsausdruck nicht länger sehen.

„Ja, ich liebe sie noch immer.“

Megumi schluckte. Es erklärte eine ganze Reihe Sachen. Warum Ken-san nie andere Frauen wahrzunehmen schien. Warum er von Anfang an so schüchtern auf Megumis Annäherungsversuche reagiert hatte. Warum sich Ken-san selbst von Kaorus bescheidenen Zuneigungsbekundungen distanzierte, wenn es doch für alle anderen so offensichtlich war, dass er die Gefühle des Mädchens erwiderte. Megumi hatte es vermutet , sobald Ken-san den Namen dieser Frau vor so vielen Wochen gesagt hatte. Aber sie hatte damals nicht gewagt zu fragen. Als er es nun direkt aussprach, machte er damit eine schmerzhafte Wahrheit, die bis jetzt vage und unwirklich geschienen hatte, ganz greifbar.

„Ken-san.“ Megumi war plötzlich wütend auf diese Frau, weil sie Ken-san verlassen hatte, weil sie ihm solche Schmerzen bereitete. „Ken-san, vielleicht ist das keine so gute Idee. Was wenn sie – ich weiß ich sollte das nicht sagen – aber vielleicht wird sie dich nicht sehen wollen. Und sie ist sicher inzwischen verheiratet und...“

„Sie hat vor langer Zeit geheiratet“, sagte Kenshin, noch immer mit diesem seltsamen Unterton in der Stimme. „Ich… kenne ihren Mann gut.“

„Oh.“ Es war eine dieser seltenen Gelegenheiten, dass Megumi, die weltkluge und raffinierte Füchsin, nicht wusste was sie sagen sollte.

„Megumi-dono, eines Tages würde ich es gerne erklären, aber...“

„Nein, Ken-san. Vergib mir. Es war unhöflich von mir, so danach zu bohren.“ Sie blinzelte, erinnerte sich an ihre Manieren und fand ihren Verstand wieder. Sie konzentrierte sich wieder darauf was als nächstes anlag. Die medizinische Salbe war fertig und sie begann eine dünne Schicht auf die Narbe aufzutragen.

„Also gehst du morgen alleine.“ Sie konnte die Besorgnis in ihrer Stimme nicht verbergen. „Bist du sicher, dass du zurechtkommst? Du hast dich noch nicht völlig erholt.“

Sie konnte das Lächeln in seiner Stimme hören.

„Megumi-dono muss sich keine Sorgen machen. Es ist nur ein schöner Spaziergang an einem Sommertag. Es wird mir gut gehen.“

Sie hätte am liebsten jemanden mit ihm geschickt oder die Polizei eine Kutsche bringen lassen, obwohl sie wusste, dass Ken-san das hassen würde. Die Treppe erfolgreich hinunter zu stiegen war eine Sache, für Gott weiß wie lange durch Kyoto zu wandern etwas völlig anderes. Und dann war da noch der Mann dieser Tomoe. Megumi war nicht überzeugt, dass Ken-san dort so wirklich freundlich empfangen würde.

Aber diese Zufriedenheit in seiner Stimme… Sie konnte nichts tun, was womöglich dieses hart erkämpfte, verletzliche Glück zerstören würde. Ken-san war schon so lange unglücklich gewesen. Megumi konnte es nicht über sich bringen, ihn mit Sicherheitsvorkehrungen im Zaum zu halten, ihm heute Nacht irgend etwas zu versagen.

„Dann hoffe ich, dass alles gut läuft“, sagte sie und klang fröhlicher als sie sich fühlte.

„So“, sagte sie als sie mit der Salbe fertig war und nahm einen langen Verband vom Tablett. Sie bemühte sich ihre Stimme unbesorgt klingen zu lassen. „Es sieht aus als ob die Wunde auf deinem Rücken jetzt in Ordnung ist, aber um sicher zu gehen, werde ich mal den Verband wechseln.“

„Vielen Dank.“ Er schien sich über den Themenwechsel zu freuen.

„Oh nein, ist schon gut. Aber wenn du dir noch eine so schlimme Wunde wie diese zuziehst...“ Megumi konnte nicht verhindern, dass ihr ein leises, besorgtes Geräusch entfuhr. „Werde ich dir nicht helfen.“

„Dann werde ich vorsichtig sein.“

Das solltest du auch besser, dachte sie bei sich. Sie war jetzt in einer seltsamen Stimmung und sie wusste nicht warum. Die furchtbare Narbe auf seinem Rücken war immer ein Anblick, der sie niedergeschlagen machte. Oder vielleicht lag es an der Erwähnung von Tomoes Namen. Megumi war erschrocken als ihr plötzlich Tränen in den Augen standen. Sie fühlte sich auf einmal so schwach und kurz davor die Kontrolle über sich zu verlieren, ohne auch nur einen guten Grund zu haben. Die Füchsin in ihr rollte die Augen über so viel Gefühlsduselei, aber Megumi konnte nichts dagegen tun. Sie lehnte die Stirn an Ken-sans Rücken und kämpfte darum ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen.

„Megumi-dono...“ In seiner Stimme lagen Überraschung und Sorge. Doch mehr als das sagte er nicht. Noch bewegte er sich oder drehte sich um. Er saß einfach nur ruhig da, während ihr Kopf auf seinem Rücken lag, und gab ihr Zeit sich wieder zu fangen.

„Es tut mir leid, Ken-san“, sagte sie nach einem Moment. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

„Megumi-donos Anwesenheit in den letzten paar Wochen war von unbezahlbarem Wert“, sagte er leise. „Dieser Rurouni ist so viel Freundlichkeit und selbstloser Fürsorge nicht würdig.“

„Nein! Du denkst zu gering von dir, Ken-san“, sagte sie mit einem verlegenen, kleinen Lachen.

„Das tut Ihr auch, Megumi-dono.“

Ken-san streckte die Hand aus und wischte eine zurückgebliebene Träne von ihrer Wange. Es war etwas so einfaches, doch bei dem zurückhaltenden Rurouni, war es ein Anzeichen für verblüffende Vertrautheit. Seine Augen waren voller Sorge und in diesem Moment fühlte sich Megumi als müsse ihr Herz bersten.

„Dann sind wir uns sehr ähnlich, nicht wahr, Ken-san.“

Und mehr gab es zwischen den beiden nicht zu sagen. Sie ähnelten einander, sie waren Freunde und sie waren praktisch eine Familie. Ken-san wusste, dass Megumis Gefühle für ihn noch über diese starken Bande hinausgingen. Und von dem Ausdruck, der jetzt in seinen Augen stand, und dadurch wie er sich früher verhalten hatte, wusste Megumi, dass der Rurouni diese Liebe wirklich gern erwidert hätte. Sie wusste auch, dass Ken-san niemals offen sein Wissen über ihre Gefühle oder seine Unfähigkeit sie zu erwidern äußern würde, um es ihnen zu ersparen, das auszusprechen, was ihnen beiden Schmerzen bereiten würde. Wenn er so tat als wüsste er von nichts, musste er niemals die Worte aussprechen, die ihr das Herz brechen würden.

Es war ein zerbrechliches Verstehen, das sie vor langer Zeit wortlos erreicht hatten. Sie konnte seine Liebe nicht haben, aber sie hatte das nächstbeste: seine Bewunderung, seinen Respekt, seine Freundschaft… alles für sich ebenfalls so wertvoll. Es war das Beste, was er ihr anbieten konnte. Und trotz des bittersüßen Schmerzes, der darin lag, war es ein Arrangement, mit dem sie leben konnte. Die Füchsin würde ihn weiter necken und mit ihm flirten. Und der Rurouni würde ihr weiter mit „Oro.“ und naiver Verständnislosigkeit antworten. Und so würde es immer sein.

„Oro“, flüsterte er und in seinen Augen glitzerte sanfte Belustigung. Als hätte er ihre Gedanken gelesen.

Da lachte sie und der seltsame, kurze Moment war vorüber. Zurück jetzt in vertrauteres Gebiet…

„Ich erkläre dich offiziell für wieder gesund, Ken-san“, sagte sie liebenswürdig, als sie schnell die Bandagen reinigte und ordentlich auf das Tablett legte, das sie mitgebracht hatte. „Und jetzt, da du keinen Arzt mehr brauchst, denke ich, ich werde eine wohl verdiente Pause einlegen. Ich bin jedenfalls müde!“

Er zögerte kurz. „Sano ist oben auf dem Dach, Megumi-dono. Er würde Eure Gesellschaft gewiss begrüßen.“

Sie hob überrascht eine Augenbraue und warf dem unschuldig dreinschauenden Rotschopf einen Blick zu. Manchmal vergaß selbst sie die wahre Natur des Mannes hinter diesen entwaffnenden lavendelblauen Augen.

Vage fuchsartige Gedanken huschten ihr durch den Sinn. „Ach, ist er das...“

Megumi wandte sich zum Gehen.

„Megumi-dono“, sagte der Rurouni leise. Er suchte nach Worten, war zur Abwechslung nicht so eloquent wie sonst. „Ich kann Euch unmöglich jemals auf angemessene Weise vergelten, was Ihr für mich getan habt.“

Sie schaffte es, dass ihre Stimme fest blieb, doch ihr Blick verschwamm wieder vor Tränen. „Es ist gern geschehen, Ken-san.“ Sie lächelte. „Gute Nacht.“

Kenshin lächelte zurück. „Gute Nacht… Megumi-dono.“

Dann ging sie, schob die Tür zu und ließ den in Gedanken versunkenen Rurouni auf den Matten sitzen und schweigend seinen Tee trinken.

Takain Megumi blieb vor dem Zimmer stehen, zögerte, wollte nicht gehen. Sie schüttelte den Kopf. Ken-san brauchte sie nicht mehr. Sie hatte getan wofür sie nach Kyoto gekommen war, hatte alles getan, was in ihrer Macht stand um seine Gesundheit wiederherzustellen.

Megumi holte tief Luft und in diesem Moment traf sie eine folgenschwere Entscheidung. Sie würde morgen handeln. Sie würde es tun, damit Ken-san sowohl im Geist als auch körperlich wieder heil sein konnte. Takani Megumi hatte alles getan was sie konnte. Für den Rest habe es nur eine Person, die Ken-san wirklich helfen konnte. Eine blauäugige Person mit indigofarbenem Haarband. Und Megumis Augen wurden etwas schmaler als sie plante mit dieser Person am nächsten Morgen zu reden.

Ihr Gesichtsausdruck musste seltsam gewesen sein, den Hiko Seijurous Augenbrauen wölbten sich vor sanfter Neugier als er im Flur auf sie traf.

Sie blinzelte. „Oh, Hiko-san. Wollen Sie Ken-san besuchen?“

Er nickte. „Stimmt etwas nicht?“

„Nein, ich habe mir nur Sorgen um ihn gemacht.“

Hiko wartete.

„Er wird diese Tomoe morgen besuchen und er geht allein“, platzte es aus ihr heraus. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte heute nacht wirklich eine seltsame Stimmung.

Ein nachdenklicher Ausdruck huschte über Hikos Gesicht, aber ansonsten blieb er gelassen. Er grinste schief. „Mach dir keine Sorgen um meinen dummen Schüler. Mit ihm wird schon alles gut gehen“, sagte er. „Und ich werde ein Auge auf ihn haben“, fügte er ernsthafter hinzu.

Sie dankte ihm und war viel beruhigter. Sie fühlte sich besser, nun da sie wusste, dass der Schwertkämpfer auf ihn aufpassen würde. Und mit erleichtertem Herzen entschied sich Megumi, sich fröhlichere Gesellschaft zu suchen. Sie wurde selbst immer düsterer, wenn sie zu viel Zeit mit Ken-san verbrachte. Sie hatte andere Freunde deren Anwesenheit sie weit mehr entspannte.

Megumi machte sich auf den Weg zum Dach.

Wie Ken-san gesagt hatte, war Sano dort, saß alleine da und starrte schweigend zu den Sternen hoch. Es überraschte Megumi ihn so vorzufinden. Sie hätte nicht gedacht, dass er die Sorte Mensch war, die sich die Sterne ansah. Es schien eine zu tiefgründige und ruhige Beschäftigung für den sonst so energiegeladenen Hahnenkopf.

Er drehte sich um als er sie kommen hörte.

„Füchsin“, sagte er zum Gruß als sie vorsichtig zu ihm kletterte. „Was machst du um diese Zeit hier oben?“

„Ich schnappe nur etwas frische Luft.“ Sie machte es sich gemütlich und klopfte sich den Staub von den Händen. „Machst du das oft?“

„Was, mir die Sterne ansehen? Heh. Nein. Nur wenn ich ein bisschen betrunken bin.“

Kein Wunder. Sie grinste.

„Hör mal, Füchsin, ich hatte noch keine Gelegenheit, dir das zu sagen, aber...“ er zuckte mit den Schultern. „Du bist keine Last.“

„Was?“, fragte sie verwirrt.

„In der Nacht als Kenshin mit Komagata gekämpft hat“, versuchte er zu erklären. „Kenshin wollte dich mit Sae wegschicken und ich habe gesagt, dass du nur eine Last wärst. Das war falsch. Ich hab es nicht so gemeint.“

Ach das. Das hatte Megumi schon ganz vergessen. Sie betrachtete Sano. Er musste wirklich angeheitert sein, dass er solche Sachen sagte. Sie unterdrückte ein Lächeln. Er würde es nur falsch verstehen.

„Ist schon gut“, versicherte sie ihm.

Sie dachte an diese Nacht zurück, an ihre Reaktion auf die Vorstellung von ihren Freunden getrennt zu werden. Vor sechs Monaten hätte sie nie erwartet solche Gefühle für eine Gruppe von Leuten zu haben, die nicht zu ihrer Familie gehörten. Und jetzt, dachte sie, und der Gedanke wärmte ihr das Herz…

Wie sich ihr Leben doch verändert hatte. Es war ganz allmählich gegangen, so dass sie es bis jetzt nicht einmal richtig bemerkt hatte. Die Angst hatte keine Macht mehr über sie. Ebenso wie Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Sie hatte Freunde. Sie hatte Liebe. Und sie hatte Hoffnung.

Hoffnung für ihre eigene Zukunft und die Zukunft derer, die ihr nahe standen. Ihrer neuen Familie. Sie schluckte, legte ihr Kinn auf die Knie und schloss die Augen.

„Megumi?“ Sanosuke legte ihr leicht die Hand auf den Arm. „Alles in Ordnung?“

Sie nickte.

Ihre Familie, dachte sie wieder. Sie mochte wie sich das anhörte. Und sie würden bald alle wieder nach Tokyo zurückgehen. Zurück nach Hause. Zusammen.

„Mir geht es gut“, sagte sie mit einem Lächeln. „Alles ist wundervoll.“

Er sagte nichts. Er saß nur da, starrte sie auf gewohnt intensive Art an und schien sich nicht sicher zu sein, ob sie nun sarkastisch war oder nicht.

Sie lachte leise. „Dummkopf“, sagte sie beruhigend. Und mit sanfter Zuneigung.

Der Mund des ehemaligen Straßenkämpfers verzog sich bei diesem Wort zu einem spitzbübischen Lächeln. Er lehnte sich gegen die Dachschindeln zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und wirkte behaglich und voller Zufriedenheit als hoch zu den Sternen sah. Megumi lächelte und tat es ihm gleich, streckte sich entspannt neben dem Straßenkämpfer auf dem sich sanft neigenden Dach aus und spielte gedankenverloren mit einer Haarsträhne.

Die Sterne am Himmel von Kyoto sahen genauso aus wie die von Tokyo und auch wie die von Aizu.

Aizu… Mit einem überraschten Blinzeln wurde sie sich bewusst, dass es Wochen her war, dass sie das letzte Mal an ihre Heimat gedacht hatte. Sie hatte sich wirklich verändert wenn sie es so lange schaffte nicht an ihre persönlichen Tragödien zu denken.

Aizu… Sie war so weit gekommen und doch waren die Sterne dieselben. Sie fand das seltsam beruhigend.

Ihre Gedanken wanderten weiter. Sie erinnerte sich an glückliche Momente in ihrer Vergangenheit und sie dachte an die guten Dinge, die noch kommen würden.

Und zum ersten Mal in vielen Jahren… erlaubte sich Takani Megumi zu träumen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es tut mir elend leid, dass ich so furchtbar lange gebraucht habe. Wahrscheinlich brauch ich jetzt auch nicht mehr mit dem letzten Kapitel anzukommen, aber ich wollte es doch nicht ewig auf unvollendet stehen lassen. Vielleicht stolpert ja noch mal jemand darüber und liest es gern. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Mono-chan
2016-11-22T13:23:08+00:00 22.11.2016 14:23
Eine sehr schöne Geschichte, die du auch sehr schön übersetzt hast! Danke dass du sie hier auf animexx hoch geladen hast und ich dadurch auf sie aufmerksam wurde. Habe sie mittlerweile auch im englischen Original gelesen und finde, deine Übersetzung ist sehr schön gelungen. Habe mich sehr auf jedes Kapitel gefreut, obwohl ich mich hier jetzt zum ersten Mal zu Wort melde! Danke schön :)
Antwort von:  ZMistress
22.11.2016 19:25
Danke schön! Das freut mich sehr. Und gern geschehen. :)
Von:  Kenshin
2016-11-21T08:08:16+00:00 21.11.2016 09:08
Deine Bedenken waren unbegründet. Ich habe sehr auf das Kapitel gewartet und mich wirklich sehr gefreut es lesen zu können aber jemanden Druck zu machen gehört sich nicht.
Vielen lieben Dank für deine Mühe und dankeschön.
Antwort von:  ZMistress
21.11.2016 19:49
Danke für die lieben Worte.
Freut mich, dass es nicht umsonst war. :)


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