Sei nicht traurig! von Hoellenhund (Ein Wintermärchen) ================================================================================ Kapitel 2: Die verlorenen Feuersteine ------------------------------------- Eiligen Schrittes führte die Bedienstete Lorena die Gäste den steinernen Korridor entlang auf eine Treppe zu, die mit rotem Samt bekleidet war. Diese weckte in Fynn ein gewisses Gefühl der Häuslichkeit und mit diesem Gefühl sollte er Recht behalten, denn kaum war die kleine Gruppe am oberen Treppenabsatz angelangt, schloss Lorena schon zwei Zimmer auf. „Getrennte Zimmer?“, fragte Lysander etwas verdutzt. Lorena nickte nur und legte ihm und Fynn je einen Schlüssel in die offene Hand, schweigend, bevor sie die Treppe erneut hinabstieg. „Nun... Dann werde ich erst einmal meinen Mantel ablegen“, lächelte Fynn und verschwand in seinem Zimmer. Das Gästezimmer war, wie auch der Rest des Schlosses, nur spärlich möbliert; ein großes Bett stand in der Mitte des Raumes, am Fenster ein kleines Pult aus dem selben teuren Holz gefertigt, wie die Möbel im Speisesaal; ein passender Stuhl dazu. Ausgenommen dessen schmückten den Raum ein Dutzend weißer Kerzen, die noch nicht entzündet waren. Fynn legte seinen durchnässten Mantel ab, den er schon seit seiner Ankunft getragen hatte, und suchte den Raum mit Blicken nach Feuersteinen ab, mit denen er die Kerzen hätte entzünden können - doch er wurde nicht fündig. Als der ohnehin schon düstere Himmel nun kaum mehr von der Sonne erhellt wurde, entschied er Lysander nach Feuersteinen zu fragen. Zwei Mal klopfte er an der Tür seines Freundes, bevor er, ohne eine Antwort abzuwarten, den Raum betrat. Lysander saß auf seinem Bett, die Kerzen an den Wänden waren schon entzündet worden. Fynn meinte kurz ein freudiges Glühen in seinen dunklen Augen erblickt zu haben, erklärte es sich jedoch schon im nächsten Augenblick mit einer Spiegelung des Lichtscheins. „In meinem Zimmer sind keine Feuersteine, also fragte ich mich, ob du welche hast“, sagte Fynn erklärend, „Und wie ich sehe, hatte ich Recht.“ Lysander nickte zur Antwort, er schien nicht zum Reden aufgelegt. So trat Fynn an das einzige Fenster und betrachtete den immer dunkler werdenden grauen Himmel. Nach einer kleinen Weile begann er unvermittelt zu sprechen: „Dieser Silencius... Ich frage mich, was ihn betrübt.“ „Wieso interessiert dich das?“, fragte Lysander barsch. Der Gedanke, Fynn sorgte sich um einen anderen Mann, behagte ihm nicht. Er blickte zum Fenster hinüber, doch Fynn schien immer noch reges Interesse an dem Wolkenmeer zu haben, welches den Himmel verbarg. „Er ist ein sehr interessanter Mensch – spricht in Rätseln. Vermutlich weiß niemand, was er denkt. Findest du das nicht interessant?“, fuhr Fynn ungerührt fort. „Mein Interesse hält sich in Grenzen. Ich bin ihm für die Unterkunft sehr dankbar – zweifellos. Aber wir werden ohnehin nicht lange bleiben. Am besten wir ziehen gleich morgen weiter.“ Der Groll, der aus Lysanders Stimme sprach, weckte nun doch Fynns Neugierde und er wandte sich vom Fenster ab: „Was hast du gegen ihn? Er scheint mir sehr freundlich.“ „Der Scheint trügt immer“, war die erneut trockene Antwort. Jedoch wich Lysander Fynns Blick aus, starrte auf seine gefalteten Hände. „Ich werde herausfinden, was ihn betrübt – und wenn es sein muss bis morgen früh“, sagte Fynn fest. Er fühlte, er benahm sich wie ein trotziges Kind; doch in diesem Augenblick war er es auch. Als Lysander nicht antwortete, seufzte er, ging auf ihn zu und umarmte ihn kurz, wie er es jeden Abend tat, seit er sich entsinnen konnte. „Gute Nacht“, flüsterte er der Tradition entsprechend und wandte sich zum Gehen. Als er die Tür schon fast erreicht hatte, rief Lysander ihn noch einmal zurück: „Fynn? Wieso war es dein Wille mich auf der Reise in das Nachbardorf zu begleiten?“ Diese Frage lag Lysander auf den Lippen, seit die beiden aufgebrochen waren. Fynn war nicht groß, nicht stark und auch nie abenteuerlustig oder wagemutig gewesen. Wieso verlangte es einen solchen Menschen eine derartig harte Reise auf sich zu nehmen? „Wegen dir“, antwortete Fynn wie selbstverständlich, als hätte sein Freund eine sehr einfältige Frage gestellt. Lysanders Herz machte einen kleinen Hüpfer. Das war es also, weshalb Fynn sich den Strapazen der Reise stellte. Doch Fynn fuhr mit seiner Antwort weiter fort: „Wir waren doch nie getrennt, seit wir Kinder waren. Du bist doch wie ein Bruder für mich – ich hätte dich nie allein ziehen lassen.“ Jäh schwand Lysanders Freude. Doch ehe er noch etwas erwidern konnte, war Fynn schon mit einem erneuten „Gute Nacht“ durch die Tür verschwunden, mitsamt der Feuersteine. Lysander starre einige Sekunden lang an die kahle Wand – In ihm wirbelte ein Strom von Gefühlen, den er nicht zu ordnen vermochte. Er war also ein Freund für Fynn- ein großer Bruder, der ihn vor Leid bewahrte und an dem er sich festhalten konnte – doch an wem sollte sich Lysander halten? Langsam erhob er sich und löschte die Kerzen, eine nach der anderen. Der Rauch vernebelte die Luft, doch wagte er es nicht das Fenster zu öffnen; fürchtete er doch die Kälte würde einen Weg hinein finden, würde durch das geöffnete Fenster kriechen wie eisiger Rauch. So legte er sich nieder und zog die Decke bis zum Hals hinauf – Ein großer Bruder. Ja... Vielleicht war er das wirklich. Schaudernd vor Kälte erwachte Fynn. Um ihn herum herrschte noch tiefe Nacht und einen Moment lang fragte er sich, was ihn geweckt hatte – doch als er nun erneut fröstelte, fiel es ihm wieder ein. Verwundert stand er auf und trat ans Fenster; es stand offen. Wie seltsam, er war sich ganz sicher, das Fenster geschlossen zu haben, bevor er zu Bett ging. Leise fluchend schlug er nun das Fenster zu, durch das die eisige Kälte über das Zimmer herfiel. Durch den seltsamen Umstand verspürte er das Bedürfnis nach Licht – er wollte alles klar erkennen, jeden Winkel durchschauen; war ihm die Situation doch nicht ganz geheuer. Reflexartig griff er nach den Feuersteinen, die er nach dem Entzünden der Kerzen auf sein Pult gelegt hatte - doch da waren keine Steine. Nun zur Gänze verunsichert zog sich Fynn seinen Mantel über, der inzwischen nicht mehr durchnässt, sondern nur noch feucht und klamm war, und öffnete seine Zimmertür; langsam und vorsichtig. Durch den Türschlitz spähte er auf den Gang hinaus, der im Zwielicht dalag, doch konnte er nichts Ungewöhnliches ausmachen. So schob er nun die Tür zur Gänze auf und trat auf den Flur hinaus. Verwundert bemerkte er, dass in einem Zimmer, an den Gang mündend, noch Licht schien; er konnte es durch den Spalt unter der Tür hervorglimmen sehen. Um erneut um Feuersteine zu bitten, klopfte Fynn an besagter Tür. Er war sich bewusst wie unhöflich er war, doch seine Entschlossenheit denjenigen zu finden, der sein Fenster mitten in der Nacht aufgestoßen hatte, war stärker. Als, nach einer geschlagenen Minute, niemand antwortete, drückte Fynn die Tür einfach auf. Der Raum hinter der Tür war seinem Zimmer ähnlich eingerichtet und an den Wänden waren tatsächlich die Kerzen entzündet worden. Als Fynn den Raum betrat, blieb er jäh stehen. Ein kleines rothaariges Mädchen von höchstens acht Jahren saß auf dem Bett und ließ die Beine baumeln. Er wusste, er hatte es schon einmal gesehen, dieses Mädchen; und zwar hinter Silencius' Platz im Speisesaal. „W...wer bist du?“, stotterte Fynn und wich einen Schritt zurück. „Geh nicht“, sagte das kleine Mädchen, „Aydin, Aydin nennt man mich.“ Die Stimme des Mädchens jagte Fynn einen Schauder über den Rücken; sie klang fern – leise, aber doch sehr klar und auf eine eigene Weise unwirklich. Jäh war sich Fynn nicht mehr sicher, ob er wirklich wach war oder noch träumte. Er griff nach dem Stuhl, der neben der Tür stand – jedoch ohne das Mädchen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen – und ließ sich auf ihm nieder: „Ich sah dich heute Abend hinter Silencius' Stuhl.“ Aydin nickte. Dann begann sie erneut zu sprechen: „Denk bitte nicht, er sei böse. Er ist nicht immer so, er ist sehr nett.“ „Natürlich halte ich ihn nicht für böse. Er ist nur – traurig. Du scheinst den Grund dafür zu kennen“, gab Fynn zurück. Aydin antwortete nicht, sodass Fynn den Blick durch das Zimmer schweifen ließ. Zwei Paar Feuersteine auf dem Bett neben dem Mädchen fielen ihm ins Auge. „Moment“, begann er langsam, „Sind das meine Feuersteine?“ Das Mädchen wandte den Kopf zu den Steinen um und griff danach, als wollte es verhindern, dass Fynn sie ihm wegnahm: „Verzeih.“ Nach einigen Sekunden des Schweigens fuhr sie fort: „Finster ist's in den Nächten. Und selten die Möglichkeit unbemerkt an Feuersteine zu gelangen.“ Fynn lächelte sie aufmunternd an: „Du kannst sie behalten, ich werde morgen um Neue bitten.“ Schüchtern lächelte Aydin zurück und schob sich die Feuersteine in die Hosentasche. „Warst du es, der mein Fenster öffnete?“, wollte Fynn von ihr wissen. Ein leises, schauriges Kichern drang an seine Ohren: „Hoffte, du würdest mich suchen; habe selten Gesellschaft.“ „Aber so sag mir doch: was ist es; was bedrückt Silencius?“, fragte Fynn neuen Mutes. Doch Aydin schüttelte nur den Kopf: „Zeit zu Gehen.“ Und vor Fynns Augen verschwammen die Konturen des Mädchens, wurden unscharf, verliefen mit der Umgebung und schließlich war es verschwunden. Die Kerzen erloschen und das Schloss lag in tiefem Schlaf da; in stiller Übereinkunft die Geschehnisse zu verwischen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)