Searching for the Fullmoon von moonlily (Seth - oder Probleme kommen selten allein) ================================================================================ Kapitel 17: Pleiten, Pech und Seth Kaiba - Welcome to hell, Seth ---------------------------------------------------------------- *durch geschlossenen Vorhang lins* *Leser sieht und Kapitel ableg* *davonschleichen will* Seth: „Wo willst du denn hin, Lily?“ Autorin: „Mist, doch erwischt.“ Yami: *kommt von der anderen Bühnenseite* Raus mit dir und erklär deinen Lesern mal deine Verspätung. *auf die Bühne schubst* *räusper* Also ... Ja, ich weiß, ich hatte euch letztes Mal versprochen, es nicht so lange dauern zu lassen, zumal bei dem Cliffhanger ... Und dann hat mir meine geliebte Uni wie üblich dazwischengefunkt, mitsamt Prüfungen, überraschenden Hausarbeiten und anderen Nettigkeiten. Und heute in fünf Tagen befinde ich mich schon fast auf dem Weg nach England, in Alinas Heimat, um dort mein Auslandssemester zu machen. Wie oft ich in den nächsten vier Monaten deshalb online gehen kann, weiß ich leider bisher nicht, aber wenn ich irgendwie Zeit finde, an Fullmoon weiterzuarbeiten, werde ich das auch tun. Und nun: Vorhang auf! Kapitel 17 Pleiten, Pech und Seth Kaiba – Welcome to hell, Seth „Seth! Hey, Seth, wach auf!“ Yami tätschelte ihm die Wange, doch er kam nicht zu sich. „Mai, Alina, helft mir mal, ihn ins Haus zu tragen. Hier draußen ist es zu kalt.“ Er fasste ihn unter den Armen, Mai und ich packten je eines seiner langen Beine. Zu dritt gelang es uns, Seth die Verandatreppe herauf- und durch die Eingangshalle zu schleppen. Sein langer, schwerer Umhang schleifte dabei über den Boden und polierte selbigen. „In den Salon mit ihm“, sagte Yami. Anscheinend hatte er dort bis eben gesessen, im Kamin prasselte ein Feuer, einer der Sessel war verrückt und auf dem kleinen Beistelltisch daneben stand ein zur Hälfte gefülltes Rotweinglas, dessen Inhalt, wie ich am Geruch bemerkte, aus Blut bestand. Wir legten Seth auf dem Sofa ab. Wie gut, dass es so lang war, bei seiner Größe passte er auf ein normal großes gar nicht drauf. „Mai, geh bitte in die Küche, Alexander soll sofort zu Max laufen und ihn holen. Es eilt“, sagte Yami, während er Seth die flache Hand auf die Stirn legte. „Seth, was hast du bloß gemacht? Wach auf, bitte.“ Mai nickte ihm knapp zu und verschwand mit rauschenden Gewändern. Bereits vom Flur aus hörten wir sie nach unserem Butler rufen. „Kann ich auch etwas tun?“, wollte ich wissen. Es war mir unangenehm, einfach nur stumm daneben zu stehen, während sich Yami nach Kräften bemühte, seinen Freund zu Bewusstsein zu bringen. „Seth braucht jetzt jede Wärme, die er kriegen kann. Sag Anna, sie soll eine große Kanne Kaffee kochen.“ „Kaffee ... bist du dir sicher? Joey hat mir mal erzählt, man müsse jemandem, der an Unterkühlung leidet, gesüßten Tee und Brühe geben, um den Kreislauf anzuregen.“ „Das stimmt schon – sofern es sich bei demjenigen um einen Menschen handelt – was wir nicht sind“, erwiderte Yami. „Und nebenbei bemerkt ... erstens hasst Seth süßen Tee, wenn überhaupt, kann man ihm da nur mit schwarzem Tee kommen ... oder eben mit Kaffee. Was die Brühe angeht ... Also, ich dachte, du weißt inzwischen, dass normales Essen für uns längst nicht so nahrhaft ist wie für Menschen. Nein, in diesem Fall ist es mit Brühe nicht getan, Alina. Seth sieht aus, als hätte er seit Tagen nicht richtig getrunken. Er braucht Blut, am besten wäre natürlich frisches, aber ... Verdammt noch mal, mach endlich die Augen auf, Seth!“ „Gut, dann sage ich Anna wegen dem Kaffee Bescheid“, sagte ich und wandte mich ab. Ich hatte schon fast die Tür erreicht, als mich Yami noch einmal zurückrief. „Hol doch bitte noch aus meinem Schlafzimmer die dicke Decke.“ „Mach ich sofort.“ Ich eilte in die Eingangshalle hinaus, wo ich mit Alex zusammenstieß. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Sorge ab. „Guten Abend, gnädiges Fräulein“, sagte er mit einer kurzen Verneigung. „Entschuldigen Sie bitte, ich habe es sehr eilig.“ Er ging mit raschen Schritten in den Vorflur, wo unsere Mäntel und Umhänge untergebracht waren, nahm mit gezieltem Griff einen dunklen Mantel, der ganz außen hing, und verließ das Haus. Ich setzte meinen Weg in die Küche fort. Der Bereich für die Dienerschaft war im Erdgeschoss von unseren Räumen durch eine Tür und einen schmalen Gang getrennt. Aus der Küche drangen laute Stimmen, von denen ich eine Samantha zuordnen konnte. Sie wollte wissen, was denn passiert sei und da war sie bei weitem nicht die Einzige, die das interessierte. Diese Frage stellten wir uns alle. Seth war – wenn man mal davon absah, dass er ein notorisches Arbeitstier war – eigentlich gesund, zumindest soweit ich wusste. Dass er so etwas wie eine Grippe hatte, konnte ich mir ebenfalls nicht wirklich vorstellen, schließlich konnte einen Vampir so schnell nichts umhauen. Und wie sollte es sein, dass er zu wenig getrunken hatte, wie Yami meinte? Er ging jeden Abend, wie wir alle, auf die Jagd und in den Kellerräumen unseres Hauses stapelten sich die mit frischem Blut gefüllten Flaschen. Wenn ich mir das so überlegte ... ein unheimlicher Gedanke. Unter meinen Füßen lagerte das, was einmal durch die Adern von Menschen geflossen war, abgefüllt wie gewöhnlicher Wein. In diese Gedanken noch halb versunken, betrat ich die Küche. Beth saß am Tisch und polierte einen Kochtopf. Da sie nebenbei Christas Ausführungen folgte, die eine Theorie nach der anderen darüber abspulte, was mit dem jungen Herrn geschehen sein könnte, merkte sie nicht, dass sie die ganze Zeit an einer Stelle putzte. Samantha mischte sich ständig in ihre Rede ein, was den Lärmpegel im Raum ein gehöriges Stück nach oben geschraubt hatte, und Mai versuchte die beiden zur Ruhe zu bringen. „Könnt ihr das nicht leise diskutieren? Wartet nur, bis Yami euch hört, dann bekommt ihr richtig Ärger“, sagte sie. Dann bemerkte sie mich. „Was suchst du hier, Alina?“ „Yami schickt mich. Er möchte eine große Kanne Kaffee für Seth haben.“ Anna, ganz der gute Geist unserer Küche, legte ihre Strickarbeit zur Seite, mit der sie sich beschäftigt hatte, und eilte zum Herd. „Ich werde den Kaffee sofort bringen, wenn er fertig ist“, sagte sie, während sie den Kessel mit Wasser füllte und auf der heißen Herdplatte aufstellte. „Beth, hör auf zu putzen und mach dich daran, die Kaffeebohnen zu mahlen. Du hast den Wunsch des jungen Fräuleins gehört.“ Beth stellte den Topf mit einem dumpfen Klang auf den Küchentisch und warf den Lappen hinein. Sie holte die Mühle und den Sack mit den Bohnen von einem Regal herunter, füllte eine gute Handvoll der dunkelbraunen Kaffeebohnen in den Vorratsbehälter der Mühle und begann mit ihrer Arbeit. Das Geräusch der Bohnen, wie sie auf das Mahlwerk fielen und von diesem zu feinem Pulver zerkleinert wurden, folgte mir, während ich mich, eingedenk meines zweiten Auftrages, den Yami an mich gerichtet hatte, umdrehte und die Küche verließ. Meine Füße trugen mich in Windeseile die Stufen der Treppe hinauf, durch den Flur und zu Yamis Zimmer. Der Raum lag im Halbdunkel da, vom Flur fiel noch etwas Licht durch die Tür, die ich in der Hast nicht richtig zugemacht hatte. Aber selbst wenn sie geschlossen gewesen wäre und einzig die Sterne mir geleuchtet hätten, hätte ich gut genug gesehen. Die Decke, von der Yami gesprochen hatte, lag sauber zusammengefaltet auf einem Stuhl. Ich nahm sie an mich und machte mich sogleich auf den Rückweg, das warme Tuch an mich gedrückt. An ihm haftete noch etwas von Yamis Geruch. Er hatte die Decke letzte Nacht benutzt, als ich ihm den unverhofften Besuch abgestattet hatte. Dabei fiel mir ein, dass ich noch gar nicht dazu gekommen war, mich dafür zu entschuldigen, ihn aus seinem Bett vertrieben zu haben. Das musste ich unbedingt noch nachholen, aber nicht jetzt. Wir hatten gerade ganz andere Sorgen, das musste warten. Als ich durch die Salontür trat, fiel mein Blick als erstes auf Seth. Er lag genauso still und steif, wie wir ihn hingelegt hatten, auf dem Sofa und Yami – ich presste mir die Hand vor den Mund, sonst hätte ich einen schallenden Lachanfall bekommen – kitzelte ihn. Doch selbst das schien diesen Eisklotz nicht aus seinem Schlaf zu wecken. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, hätte Yami mich damit selbst aus einem Koma herausbekommen können. Fehlte bloß noch, dass er es bei seinem Freund mit einem Kuss versuchte. Aber um hier einen auf Dornröschen zu machen, war der falsche Zeitpunkt. Yami runzelte nachdenklich die Stirn und kratzte sich am Hinterkopf. „Oh Ra, was mache ich nur mit dir, Seth? Hey, du musst aufwachen, es gab einen Börsencrash und unsere Aktien gehen gerade den Bach herunter!“ Nichts, keine Reaktion. „Er ist noch nicht wach?“, fragte ich. Yami drehte den Kopf zu mir um und winkte mich zu sich. „So langsam gehen mir ehrlich gesagt die Ideen aus, wie ich es noch versuchen soll. Er reagiert ja nicht mal auf meine falschen Schockmeldungen.“ „Wenn er nicht schon halb erfroren wäre, würde ich es ja mal mit kaltem Wasser versuchen“, meinte ich. Passen würde es ja zu unserem Eisprinzen. Ich schüttelte mit beiden Händen die Decke auseinander und breitete sie über Seth aus. Himmel, warum musste dieser Kerl denn versuchen, mit seiner Größe alle Rekorde zu brechen? Beinahe die Hälfte seiner Beine blieb unbedeckt. Egal, den Oberkörper zu wärmen, war wichtiger. Meine Finger streiften kurz über seine Stirn. Die Körpertemperatur von Vampiren war generell etwas niedriger als die von Menschen, aber Seth fühlte sich selbst für einen Vampir viel zu kühl an. Dabei stand auf seiner Stirn kalter Schweiß und sein Atem ging flach. Seine Lippen hatten eine ungesunde bläuliche Färbung angenommen. Wie lange hatte er da draußen gelegen, bevor wir ihn gefunden hatten? Auf jeden Fall zu lange, wenn er, abgesehen von seiner offensichtlichen Unterernährung, auch noch unterkühlt war. „Ich glaub, er kommt zu sich. Puh, endlich“, sagte Yami da. Seths Kopf ruckte unruhig hin und her, als würde er schlecht träumen. Ein dumpfes Brummen und dann ein kurzes Stöhnen drangen aus seinem Mund. Seine Augen öffneten sich langsam und wanderten zwischen Yami und mir hin und her. Dieser hatte sich über die Sofalehne gelehnt und ich kniete auf Seths anderer Seite. „Wo … bin ich?“ Die Worte kamen ungewohnt leise aus seinem Mund. „Zu Hause“, antwortete Yami. „Wir haben dich vor der Tür gefunden, du hattest das Bewusstsein verloren.“ In meine Gedanken schlich sich die Erinnerung an das erste Mal, dass ich Seth begegnet war. Er hatte sich mir gegenüber sehr … höflich verhalten – sofern er es als Höflichkeit bezeichnete, jemandem anzudrohen, ihn umzubringen, sollte dieser Jemand sein Zimmer ohne Erlaubnis betreten. Er war mir stark und unnahbar wie ein Eisberg vorgekommen … Eine unerschütterliche Kraft, die sich von keinem anderen, nichts und niemandem unterwerfen ließ ... Und nun sah ich das komplette Gegenteil vor mir, einen Seth Kaiba, der gerade erst aus seiner Ohnmacht erwacht war, schwach, angreifbar … Offenbar spielten sich in seinem Kopf ähnliche Vorstellungen ab, denn er richtete sich ohne Vorwarnung auf. Die Decke rutschte von seiner Brust. In der Schrecksekunde verlor ich das Gleichgewicht und kippte nach hinten. Ich rappelte mich hoch und ließ mich in den nahe stehenden Sessel sinken. „Ach ja, ich wollte schnell in mein Büro. Wegen dieser vielen Bewerbungen bin ich nicht mit der Millington-Akte fertig geworden, die wollte ich dir heute eigentlich noch reinreichen. Deine Unterschrift fehlt noch, Yami. Warte, ich hol sie schnell, es fehlen nur ein paar Sachen.“ Er machte Anstalten sich zu erheben. Yami drückte ihn mit sanfter Gewalt in die Kissen zurück. „Du wirst jetzt nirgendwo hingehen, Seth, du bleibst hier liegen und ruhst dich aus. Du warst eine ganze Weile bewusstlos und hast draußen in der Kälte gelegen. Weißt du noch, wann du nach Hause gekommen bist?“ „Warte ... es war Viertel vor zehn, ich hab noch auf die Uhr gesehen, bevor ...“ Mein Blick glitt automatisch zu der Uhr, die sich auf dem Kaminsims befand. Es war kurz nach zehn. „Keine Ahnung, was da passiert ist“, fuhr Seth fort. „Wir wurde mit einem Mal so seltsam. Aber jetzt lass mich aufstehen, ich muss wieder an die Arbeit.“ Ich schätzte es ja durchaus, wenn sich jemand mit Leidenschaft in seine Arbeit stürzen konnte, aber in Seths Fall neigte ich dazu, eher von einer Besessenheit zu sprechen. Und wenn es der Situation noch so unangemessen war, dieses Mal konnte ich es mir einfach nicht mehr verkneifen, dass ein leichtes Grinsen über mein Gesicht huschte. Seth brauchte keinen Arzt, Yami hätte besser daran getan, gleich einen Exorzisten ins Haus zu rufen. Vielleicht konnte der ihn von seiner krankhaften Arbeitssucht heilen. Seth versuchte zum zweiten Mal aufzustehen. Über so viel Unvernunft konnte ich nur noch den Kopf schütteln. Yami schien das genauso wie ich zu sehen. Er legte eine Hand locker auf Seths Schulter und schon lag dieser wie hingeworfen auf dem Sofa. Mir klappte der Mund für einen Moment auf. Er hatte ihn kaum berührt und ... Da fragte ich mich doch, wie viel Kraft wirklich in Yami steckte. „Wenn du nicht freiwillig liegen bleibst, muss ich dich dazu zwingen. Du weißt, dass ich das ohne Probleme kann. Im Übrigen hab ich schon nach dem Arzt schicken lassen, damit er dich untersucht.“ „Jetzt sag mir aber nicht, dass du nach Max gerufen hast“, knurrte Kaiba ungehalten. „Der kann gleich wieder gehen, das sag ich dir. Den alten Quacksalber lasse ich nicht an mich heran, nicht auf zehn Schritte.“ „Wen hätte ich denn sonst rufen sollen, wenn nicht ihn?“ „Ist mir doch egal, ich brauche eh keinen Arzt.“ „Äh, Max?“, kam es von mir. Jetzt wollte ich aber endlich wissen, von wem sie und Mai die ganze Zeit redeten! Kaiba musterte mich mit einem abschätzigen Blick. „Und was will die hier?“ Mein Gesicht verfinsterte sich augenblicklich. Was hatte ich von dem Kerl eigentlich erwartet? Dankbarkeit etwa, weil ich mich um ihn gekümmert hatte? Weil ich mir – so unglaublich das klang – tatsächlich für einen kurzen Augenblick Sorgen um ihn gemacht hatte? Das konnte ich vielleicht von einem anderen erwarten, doch ganz sicher nicht von diesem arroganten, selbstgefälligen Eisklotz, der sich einen Dreck um andere Leute scherte. „Ein bisschen netter könntest du schon zu Alina sein“, meinte Yami. „Danke, kein Bedarf“, war die Antwort. Meine Abneigung gegen Seth wuchs mit jedem seiner Worte. Wie konnte man bloß so ein Riesenego haben? Meine Hand ballte sich zu einer Faust, meine Lippen pressten sich eng zusammen, so dass sie eine schmale Linie bildeten. Er konnte froh sein, dass er gerade erst einer Ohnmacht entronnen war, ich hätte ihm liebend gern eine Ohr-feige verpasst. Allerdings ... sobald es ihm danach wieder besser ging, würde er mich umbringen – Das war ein Argument, das mich dazu brachte, von diesen Überlegungen abzusehen. Ich hatte mich schließlich nicht von Yami zu einem Vampir machen lassen, damit Mr. Ich-bringe-jeden-mit-meinem-Blick-um Kaiba mich bei erstbester Gelegenheit ins Totenreich befördern konnte. „Also, was Max angeht …“, nahm Yami den Faden wieder auf. In dem Moment klingelte die Glocke an der Haustür. Er löste sich von der Lehne und richtete sich auf. „Ah, jetzt lernst du ihn ja gleich selber kennen.“ Yami durchquerte mit wenigen Schritten den Raum und machte sich auf den Weg, um die Haustür zu öffnen. Gleichzeitig hörte ich weiter hinten im Haus die Tür zum Dienstbotentrakt gehen und Mais eilige Schritte. Mein Blick glitt zu Seth hinüber, der mit angesäuerter Miene auf dem Sofa lag, die Arme verschränkt, und Löcher in die Luft starrte. „Hallo Max“, erklang draußen im Flur Yamis Stimme. Er hatte die Tür nicht richtig zugemacht, so dass ich alles gut hören konnte. „Vielen Dank, dass du so schnell kommen konntest.“ „Aber das ist doch Ehrensache, besonders, wenn gerade du mich zu dir rufst, Yami“, sagte eine andere, mir fremde Stimme. „Wo befindet sich der Patient denn?“ „Seth ist im Salon“, sagte Mai ohne Umschweife. „Und was genau ist mit ihm passiert?“ Sie näherten sich der Tür. „So genau wissen wir das auch nicht“, kam es von Yami. „Aber er kann doch nicht einfach so umgekippt sein.“ Die Tür zum Salon wurde geöffnet und ich erhob mich von meinem Platz. Yami trat ein und zeigte auf Seth. „Er liegt auf dem Sofa.“ Ich reckte den Kopf etwas und versuchte an ihm vorbei zu sehen, um einen guten Blick auf den Mann zu bekommen, der hinter ihm eintrat. Er war ein gutes Stück größer als Yami und sah wesentlich älter als er aus, ich schätzte ihn so auf Anfang vierzig. Seine schulterlangen Haare hatten allerdings eine Farbe wie Silber und das, obwohl er noch kaum eine Falte im Gesicht hatte. Er war in einen sehr eleganten gestreiften Anzug gekleidet, aus der Brusttasche sah ein rotes Seidentaschentuch hervor. Ich konnte nur das rechte seiner braunen Augen sehen, das andere war von seinen Haaren verdeckt. Er hob sich mehr als deutlich von allen Ärzten ab, die ich bisher kennen gelernt hatte. Die hohen Herren, die den Eid des Hippokrates abgelegt hatten, kleideten sich für gewöhnlich in strenge, dunkle Farben und trugen meist einen kleinen, wohl gepflegten Bart, der, wie ich seit langem vermutete, ihre Autorität unterstreichen sollte. Diesem Mann konnte man jedoch schon an seiner extravaganten Kleidung ansehen, dass er anders zu sein schien und sich offenbar von der Masse seiner Kollegen abheben wollte – was ihm auch mühelos gelang. Seine Lippen hatten sich zu einem fröhlichen Grinsen verzogen, als er auf Seth zuschritt. „Tse, tse“, schnalzte er mit der Zunge, „was muss ich da von dir hören, mein Lieber?“ Ich schaute zu Seth herüber. Er schob sich nach hinten, um sich aufzusetzen, und bedachte unseren Besucher mit einem seiner berühmt berüchtigten eiskalten Blicke. Mir wurde bei dem Anblick ja schon etwas mulmig zumute, doch der Mann zuckte noch nicht einmal mit der Wimper. Stattdessen hob er die Hand und winkte mit dem Zeigefinger, als habe er einen kleinen, ungezogenen Schuljungen vor sich und nicht Seth Kaiba, den Millionen Pfund Sterling schweren Unternehmer. Der Mann musste verrückt sein, ihn in dieser Form herauszufordern und ich wappnete mich innerlich gegen das Donnerwetter das jede Sekunde hier losbrechen würde. „Was willst du hier, Max? Ich könnte mich nicht erinnern, dich um deinen Besuch gebeten zu haben.“ „Ah, wie ich sehe, bist du so humorvoll wie immer. Dann kann es dich ja nicht so schlimm erwischt haben, wie ich befürchtet habe, Kaiba-Boy.“ Wie bitte? Habe ich mich eben verhört oder hatte er Seth gerade Kaiba-Boy genannt? Okay, jetzt bringt Seth ihn garantiert um. Dieser Mann war nicht verrückt, er war lebensmüde. Um Seths Mundwinkel zuckte es verdächtig. Ein Frösteln lief über meinen Rücken, seine Wut war beinahe greifbar. „Ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst, Maximillion“, fuhr Seth auf. „Seth, du solltest dich in deinem derzeitigen Zustand nicht so aufregen, das ist nicht gut für dich“, sagte Yami vorsichtig. Dieses Mal wurde er das Opfer von Seths Blick, doch er gab ihn nur mit einem viel sagenden Hochziehen der Augenbrauen zurück. Ich wünschte, ich wäre ebenso immun dagegen wie er. „Du weißt, dass ich Recht habe.“ Die Eisstacheln zogen sich aus Seths Augen zurück, ein genervter Ausdruck blieb jedoch. Ich atmete erleichtert auf. Die Gefahr war gebannt – vorläufig zumindest. „Oh, wie ich sehe, hast du eine neue Freundin, Kaiba“, sagte da der Arzt und wandte sich nun mir zu. Sehr feinfühlig, wie hatte der Mann nur Mediziner werden können? „Das ist nicht meine –“ „Ich bin sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, junges Fräulein.“ Er hob meine Hand an seine Lippen, um den üblichen, leichten Handkuss darauf zu hauchen. Yami trat zwischen uns. „Da liegt ein kleiner Irrtum vor, Max“, sagte er. „Darf ich dir Alina de Lioncourt vorstellen? Alina, das ist Maximillion Pegasus, kurz Max.“ „Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast, Mai“, erwiderte er und musterte mich. „Warum hast du mir nicht erzählt, dass deine kleine Familie Zuwachs bekommen hat?“ „Ich wollte mich erst um ihre Ausbildung kümmern, bevor wir sie in der Öffentlichkeit vorstellen.“ „Das solltest du aber bald tun, Devlin wird sie kennen lernen wollen und die anderen natürlich auch. Es kommt immerhin nicht jede Nacht vor, dass unser erlauchter Kreis so ein hübsches junges Mitglied bekommt.“ „Dann ... sind Sie auch ein Vampir?“, fragte ich. Ob es durch den Schreck kam, den mir Seth mit seinem Ohnmachtsanfall bereitet hatte, oder es irgendetwas anderes war, konnte ich nicht sagen, auf jeden Fall schien der Shilling bei mir heute in Pennys zu fallen. Allein die Art, wie Max sich bewegte, der Glanz in seinen Augen ... Für ein halbwegs gut geübtes Vampirauge war auf den ersten Blick zu erkennen, dass er ebenfalls dem Volk der Nacht angehörte. Und wenn ich so darüber nachdachte ... Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Seth einen menschlichen Arzt überhaupt in seine Nähe lassen würde, sofern er ihm nicht gerade als nächste Mahlzeit diente. Die Gefahr, als Vampir enttarnt zu werden, wäre viel zu groß gewesen. So ein Risiko würde auch er nicht eingehen. „Seit herrlichen einhundertdreiundachtzig Jahren –“, antwortete Max und entblößte mit einem Lächeln seine spitzen Zähne. „ – geht er uns auf die Nerven“, vollendete Seth seinen Satz. „Aber, aber, Kaibalein, warum denn heute so bissig? Heb dir das für deine nächste Jagd auf“, meinte Pegasus, winkte Alex und nahm ihm die Arzttasche ab. „Gut, dann wollen wir mal schauen, was dir fehlt.“ „Gar nichts“, kam es von Seth durch die zusammengepressten Zähne. „Ich brauche deine Hilfe nicht.“ „Von nichts fällt man aber nicht um, schon gar nicht vor der eigenen Haustür. Hmm ... Wann hast du zuletzt etwas getrunken?“ „Keine Ahnung ... Heute Mittag, glaube ich.“ „Glaubst du?“, bohrte Pegasus nach. „Ja. Es war heute Mittag, um zwölf Uhr zwanzig. Möchtest du auch noch meinen genauen Aufenthaltsort oder die Blutsorte haben?“ Meine Güte, war der heute angriffslustig. Wo nahm er überhaupt die ganze Energie dafür her? Eben noch hatten wir ihn nur mit größter Mühe überhaupt wach bekommen und ein paar Minuten später führte er sich auf, als wäre ihm überhaupt nichts passiert. Aus dem sollte mal einer schlau werden. Ich wurde es jedenfalls nicht. Pegasus störte sich an Seths Ton offenbar nicht – oder er war schon an ihn gewöhnt –, jedenfalls öffnete er seine Tasche, entnahm ihr eine Lupe und hielt sie an Seths Augen, deren Lider er mit dem Finger etwas herunter- beziehungsweise nach oben zog. Sehr zum Unmut seines Patienten, wie ich an Seths verkniffenen Lippen bemerkte. Dann bat Max ihn, den Mund zu öffnen. Während er Seths Rachenraum untersuchte, sah unser Eisprinz ganz so aus, als würde er Max am liebsten die Finger abbeißen. Als nächstes zog er eine silberne Uhr aus seiner Westentasche hervor, klappte den Deckel auf und griff sich Seths Handgelenk, um seinen Puls zu überprüfen. Wir verhielten uns alle ganz still, während Pegasus’ Augen dem kleinen Zeiger folgten. Als er schließlich aufblickte, seufzte er tief und rieb sich die Stirn. „Und, was fehlt ihm?“, fragte Yami. Als er nicht gleich eine Antwort erhielt, setzte er nach: „Ist es was Ernstes?“ „Ach, rede keinen Unsinn, ich bin kerngesund“, widersprach Seth und setzte sich auf. „Dem kann ich mich nicht so ohne weiteres anschließen“, sagte Max. „Seth leidet an einer Unterkühlung und starkem Blutentzug, aber das hast du sicherlich bereits selbst festgestellt, Yami.“ „Ja – da fällt mir ein, in der ganzen Aufregung habe ich total vergessen, dir etwas zu trinken zu holen, Seth.“ Yami marschierte zu dem Kasten, in dem stets eine Flasche des roten Lebenssaftes aufbewahrt wurde, fischte aus dem Ständer ein sauberes Glas und goss es voll. Der Geruch des frischen Blutes stieg mir – eigentlich uns allen – in die Nase. Er reichte es Seth, der es an die blassen, inzwischen nicht mehr ganz so blauen Lippen setzte und in einem einzigen Zug leerte. Yami schenkte ihm augenblicklich nach, als Seth es ihm entgegenhielt. Noch zweimal wiederholte sich das Spiel, die Flasche war am Ende zu drei Vierteln geleert und Seth sah um einiges besser aus als noch vor einigen Minuten. Auch wenn ich ihn hundertmal nicht ausstehen konnte, war ich erleichtert, dass es ihm besser ging. Ich konnte es nicht ertragen, wenn es anderen in meiner Gegenwart schlecht ging. Seth ließ sich gegen die Polster des Sofas sinken. Die Blässe wich all-mählich aus seinem Gesicht, das Blut hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Es strömte durch seine Adern, erfüllte ihn mit neuer Kraft und Wärme. Rein äußerlich ließ er sich nicht das Geringste anmerken, er wirkte ruhig und beherrscht wie immer, doch innerlich kochte er. Und der Grund für seine Wut war er selbst – oder um es genauer zu sagen sein dummes Verhalten. Er kannte die Wirkung eines Blutmangels doch ganz genau, wusste jedes Symptom, das damit im Zusammenhang stand, genau zu beschreiben. Und dennoch hatte er sie alle geflissentlich ignoriert, weil er so sehr darauf bedacht gewesen war, rasch aus dem Büro nach Hause zu kommen, um die fehlenden Unterlagen endlich zusammenzubekommen. So richtig war ihm das Unbehagen erst aufgefallen, als er in der Kutsche auf dem Weg nach Hause gesessen hatte. Er erinnerte sich nur verschwommen an die Fahrt. Sein Kopf hatte sich mit einem dröhnenden Schmerz bemerkbar gemacht, ebenso wie sein Magen, und ihn daran erinnert, dass seine Mahlzeit mehr als überfällig war. Natürlich hätte er unterwegs anhalten lassen und eine der Prostituierten zu sich winken können, die überall in den dunklen Winkeln der Häuser standen und ihre Dienste anboten. Ein paar Schlucke hätten gewiss genügt, um seinen schlimmsten Durst zu stillen, aber er hatte sich eingeredet, es noch bis nach Hause schaffen zu können. Als die Kutsche vor dem Haus gehalten hatte, hatte er es nur mit Mühe geschafft, auszusteigen. Der Kutscher hatte ihm einen Blick zugeworfen, als hätte er einen Betrunkenen vor sich. Ja, so musste er gewirkt haben, als er den Weg entlang getorkelt war und sich kaum noch auf den Beinen hatte halten können. Aber das alles hatte offen- bar nicht gereicht, oh nein. Das Schicksal musste sich dafür entschieden haben, ihn heute mit besonderer Sorgfalt zu quälen. Von allen Seelen, die in diesem Hause lebten, hatten ausgerechnet Mai und Alina ihn finden müssen. Schlimm genug, dass ihn überhaupt jemand in diesem Zustand erlebte, aber dann auch noch sie ... Ein zaghaftes Klopfen veranlasste ihn dazu, sich der Tür zuzuwenden. Die anderen schienen es ebenfalls bemerkt zu haben, denn auch ihre Köpfe drehten sich. Nach einem deutlichen „Herein“ von Yami trat Samantha mit einem Tablett ein, auf dem sie eine große Kanne mit Kaffee und mehrere Tassen balancierte. Der Duft der gerösteten und frisch gemahlenen Bohnen, die sich mit dem heißen Wasser zu einem dunklen, aromatischen Gebräu vermengt hatten, zog durch den ganzen Raum und vertrieb die Note, die das Blut hinterlassen hatte. Er hatte auf Seth beinahe eine noch belebendere Wirkung als das Blut, das er soeben zu sich genommen hatte. Ja, eine heiße Tasse Kaffee war jetzt genau das Richtige, um auch die restliche Kälte aus seinen Gliedern zu vertreiben. „Anna dachte, Sie und der Herr Doktor würden auch gern eine Tasse Kaffee trinken“, sagte Samantha an Yami gewandt. „Unsere gute Anna, einfach unbezahlbar“, schmunzelte Mai. „Danke, Samantha, du kannst gehen. Ich übernehme das Einschenken selbst.“ Das Mädchen knickste kurz und zog sich dann zurück. Mai machte sich daran, die Tassen zu füllen. Die erste bekam Seth in die Hand gedrückt, der mit halb geschlossenen Lidern an ihrem Inhalt schnüffelte. Ein ausgezeichnetes Aroma, da machte Anna so schnell niemand etwas vor. Eher nebenbei nahm er wahr, wie Mai auch an Yami, Alina und Maximillion Tassen mit Kaffee austeilte. Sie ließen sich auf den umstehenden Sesseln nieder, Mai machte es sich am anderen Ende des Sofas bequem, auf dem nun, da Seth saß, wieder etwas Platz war. „Ein köstliches Getränk“, ließ sich Pegasus vernehmen. „Wie viel zahlst du deiner Köchin, Yami?“ „Warum willst du das wissen?“ In der Stimme seines Freundes klang eine Spur Misstrauen mit. „Damit ich ihr das Doppelte bieten und sie dir ausspannen kann. So eine Frau hätte ich auch gerne in meinem Haushalt.“ „Da muss ich dich enttäuschen, Anna gebe ich nicht her.“ „Sehr schade. Aber gut, ich bin nicht hergekommen, um mit dir über die mögliche Abwerbung deines Personals zu diskutieren. Also, was dich anbelangt, Seth, dein Zusammenbruch ist keinesfalls so überraschend gekommen, wie du vielleicht denkst. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit.“ „Was soll das heißen?“, fuhren Seth und Yami gleichzeitig auf. „Tja, wie soll ich es am besten ausdrücken, Kaiba-Boy ...“ Bei der Nennung dieses Namens ballte sich Seths freie Hand. Egal wie oft er diesen Kerl zusammenstauchte, weil er einen dieser kindischen Spitznamen für ihn benutzte, er tat es immer und immer wieder und jedes Mal verspürte Seth den dringenden Wunsch in sich, ihm an die Kehle zu gehen. „MAX –“ „Du bist hoffnungslos überarbeitet.“ Seth lachte trocken. Was für eine überragende Diagnose! Als wäre er noch nicht selbst darauf gekommen, dass er zu viel zu tun hatte. Weshalb suchte er denn so händeringend einen neuen Sekretär? Dafür brauchte er keinen verrückten Professor Doktor (er fragte sich seit Jahrzehnten, wie er überhaupt an diese Titel gelangt war) Maximillion Pegasus, dem man schon mit einem Blick ansah, dass seine Vorliebe neben dem Blut auch den meist sehr jungen Männern galt, die es ihm lieferten. Er konnte mehr als froh sein, dass seine menschlichen Patienten nichts davon wussten. Sie hätten seiner Praxis nicht nur für immer den Rücken gekehrt, sondern ihm auch gleich noch die Polizei und die Kirche auf den Hals gehetzt. Im von Königin Viktoria regierten britischen Königreich wurde dieses pikante Thema wenn irgend möglich totgeschwiegen und kam es doch einmal auf, so wurde es für das Werk des Teufels gehalten. Seit mehr als zweihundert Jahren verfolgte Seth nun schon das Treiben der Menschen und doch hatte sich in ihrem Verhalten nichts geändert. Sie ließen sich von ihrer Intoleranz beherrschen und gleichzeitig zogen all die Dinge, die in den Augen der Öffentlichkeit moralisch verwerflich und dementsprechend verboten waren, sie an wie die Motten das Licht. Es war eine gefährliche Gratwanderung der Menschen. Doch in ihrem Bemühen, sich den menschlichen Gepflogenheiten anzupassen und unter ihnen zu leben, unterschieden sich Seth, Yami und die anderen Vampire nicht von ihnen. Gingen sie tagsüber wie jeder andere ihren Geschäften nach, wurden sie des Nachts zu gnadenlosen Jägern. Der Gedanke an seine Arbeit brachte ihn zu seinem derzeitigen Problem zurück, das ihm gerade in Form eines silberhaarigen Vampirarztes gegenübersaß und diese einfach nur unverschämt zu nennende Forderung an ihn gerichtet hatte. „Ich bin Chef eines Großkonzerns, was erwartest du, Max? Dass ich mir einfach so eine Woche Urlaub nehme und die Hände in den Schoß lege? Das geht nicht.“ „Vorläufig würde mir das Wochenende reichen“, erwiderte der Arzt ungerührt. „Es ist nicht gesund, sich in dem Ausmaß in seiner Arbeit zu verkriechen, wie du es anscheinend praktizierst. Du musst kürzer treten, auch wenn es dir schwer fallen sollte. Wenn du es nicht freiwillig tust, kann ich dich auch für ein paar Tage krankschreiben. Ich bin mir sicher, Yami findet Mittel und Wege, dich im Haus zu halten und dich trotzdem ausreichend zu beschäftigen, damit du dich nicht langweilst.“ „Argh, das kann doch nicht dein Ernst sein. Auf meinem Schreibtisch stapelt sich die Arbeit, ich kann unmöglich –“ „Oh doch, du kannst und du wirst“, unterbrach Yami seine Rede. „Zumindest dieses Wochenende.“ Er bückte sich und seine Hand tauchte in Seths Jackentasche. Als er sie wieder hervorzog, waren seine Finger um einen Schlüsselbund gekrümmt. „Was hast du vor?“ „Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst, nehme ich bis Montag die Schlüssel zu deinem Büro und unserer Firma an mich. Und ja, ich kümmere mich um die Millington-Akte, mach dir um die keine Gedanken.“ Seth warf ihm einen giftigen Blick zu. „Du weißt genau, wie viel wir momentan zu tun haben. Jeder von uns ist bereits voll ausgelastet. Verrätst du mir bitte, wie du das ohne meine Hilfe schaffen willst?“ „Mach nicht so ein Aufheben um ein Wochenende. Nur weil du ein einziges Mal nicht am Wochenende arbeitest, wird unsere Firma nicht gleich Bankrott gehen. Die meisten anderen Firmen werden von einem Mann geleitet und die haben auch keine Probleme. Du solltest etwas mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten haben.“ „Ich sehe schon, heute bist du meinen Argumenten nicht zugänglich“, brummte Seth und stand auf. „Aber bitte, wenn du darauf bestehst, dass ich mich ausruhe ... Ich bin in meinem Zimmer und möchte nicht gestört werden.“ „Dann wünsche ich dir eine gute Nacht, Seth. Und bis morgen früh überlege ich mir etwas, wie wir dich in den nächsten Tagen beschäftigen können. Ich bin mir sicher, dass wir etwas Schönes für dich finden werden“, sagte Yami, wobei er die letzten Worte besonders betonte. Das hinterhältige Grinsen, das sich bei diesen Worten in sein Gesicht schlich, gefiel Seth nicht. Was heckt er jetzt wieder aus? Ich hasse es, wenn er diesen Ausdruck hat. „Danke, ich brauche keine Beschäftigungstherapie, es reicht mir vollkommen, wenn du mir die Börsenberichte hereinreichst.“ Die noch zur Hälfte gefüllte Tasse in der Hand, marschierte Seth an ihnen vorbei, nickte Mai kurz zu und verließ den Salon, wobei er sowohl Alina als auch Max formvollendet ignorierte. In dieser Disziplin hatte er es in den vergangenen Jahrhunderten zur Perfektion gebracht. Max konnte er ohnehin nicht ausstehen, allein schon wegen seiner unsäglichen Vorliebe für peinliche Spitznamen und Alina ... na ja, das war eine andere Geschichte. Yami und seine verrückte Idee, sie ausgerechnet zu sich ins Haus zu holen. In der Eingangshalle traf sein Blick auf zwei erschrocken aussehende Dienstmädchen, die sich für seinen Geschmack etwas zu nahe an der Tür zum Salon befanden, als hätten sie bis eben noch daran gelauscht. Sie waren damit beschäftigt, die Möbel mit einem Federwedel abzustauben. Er sah Samantha und Christa eindringlich an, seine saphir-blauen Augen gruben sich in die der Mädchen und drangen, ohne dass es ihnen wirklich bewusst wurde, in ihren Geist vor. Einige Sekunden genügten, um sich zu vergewissern, dass sie nichts Relevantes gehört hatten. Das war auch besser für ihre Gesundheit. Wenn er sich da an diesen unschönen Vorfall vor ein paar Jahren erinnerte, als er einige Zeit auf seinem Anwesen nahe Paris verbracht hatte ... Einer der Knechte hatte ihn mitten in der Nacht in der Scheune überrascht, wie er gerade aß – der Junge hatte die Nacht nicht überlebt. Das Geheimnis zu schützen hatte Priorität, wollte man als Vampir einigermaßen unbehelligt leben. Sonst konnten morgen die Jäger vor der Tür stehen. Seth hob die Tasse an seine Lippen und trank den restlichen Kaffee darin mit wenigen Schlucken aus. Er stellte sie auf die Untertasse zurück und übergab sie Christa, die sie mit zitternden Fingern entgegen nahm. Es hätte nicht viel gefehlt und sie hätte sie fallen lassen. Ah, da fühlte er sich doch gleich um einiges besser und er konnte vergessen, wie man ihn vor kurzem gefunden hatte. Das war wieder er, Seth Kaiba, kühl, beherrscht und Respekt einflößend. Alles war so, wie es sein sollte und so war es gut. Mit sich selbst zufrieden, ging Seth die Treppe hinauf, den Rücken zu einer geraden Linie durchgestreckt, den Kopf stolz erhoben. Erst nachdem er die Tür zu seinem Zimmer hinter sich verschlossen hatte, gestattete er sich, seiner Müdigkeit nachzugeben. Hier würde ihn niemand mehr stören. Und falls es wider Erwarten doch jemand wagen sollte, diese Torheit zu begehen, würde er es bitter bereuen. Seth setzte sich auf das Bett und begann seine Kleider abzulegen. Vielleicht war es doch keine so schlechte Idee, sich ein wenig hinzulegen. Ein wenig Ruhe, dann würde Yami schon einsehen, dass er sich keine Sorgen zu machen und Seths Arbeitspensum mit Gewalt einzuschränken brauchte. Der Jacke folgte innerhalb kurzer Zeit die Hose, die ihren Platz auf einem Stuhl in der Nähe fand. Dann machte er sich an den Knöpfen seines Hemdes zu schaffen. Die kleinen Dinger erwiesen sich heute als widerspenstig und es dauerte eine Weile, bis er sich von dem weißen Stoff befreit hatte, unter dem sein sehniger Oberkörper zum Vorschein kam. Seine Finger streiften über eine lange schmale Narbe, die sich unterhalb seiner linken Schulter befand. Die Nacht, der er sie zu verdanken hatte, würde er wohl nie vergessen. Er schlug die Bettdecke zurück, der ein Duft nach Amber und Sandelholz anhaftete, schwang seine langen Beine auf die Matratze und ließ sich nach hinten sinken. Das Kissen, auf das sein Kopf traf, war frisch aufgeschüttelt und angenehm weich. Nur ein paar Minuten. Nur eine kurze Weile Ruhe, die Augen schließen und sich entspannen ... Mehr wollte er gar nicht. Kaum hatte er dies getan, packte der Schlaf, der sich seit einiger Zeit von Seth betrogen und sträflich vernachlässigt fühlte, die Gelegenheit beim Schopf und überwältigte den Blauäugigen. Ich drehte mich noch einmal im Bett herum und kuschelte mich in die Decke. Ich hatte überhaupt keine Lust schon aufzustehen, doch meine Wecker – sowohl mein mechanischer als auch der aus Fleisch und Blut, auch bekannt als Mai – kannten wie üblich keine Gnade mit mir. Mai stand neben meinem Bett und rüttelte mich so lange an der Schulter, bis ich schließlich genervt die Augen öffnete. Und so was nannte sich nun Wochenende. Da Samstag war, hatte ich gehofft, wenigstens heute und morgen ein wenig länger schlafen zu dürfen, doch meine Lehrerin schien andere Pläne mit mir zu haben. Ich schielte auf die Uhr; es war kurz nach sieben. „Mai, kannst du mich nicht noch ein wenig schlafen lassen? Sagen wir, so bis neun oder wenigstens halb neun?“, murmelte ich gähnend und war versucht, meine schweren Augen wieder zu schließen und mich erneut dem Schlaf hinzugeben. „Nein, denn falls du es vergessen hast, Yami hat uns gestern Abend noch angekündigt, dass er uns alle heute früh um Punkt acht beim Frühstück sehen möchte. Und wenn du nicht langsam aufstehst und dich anziehst, kommen wir beide zu spät, ich würde mich nämlich gern ebenfalls vorher noch anziehen. Ich habe keine Lust darauf, im Morgenrock am Tisch zu erscheinen und ihm zu erklären, dass meine ganze Zeit dafür draufgegangen ist, dich aus dem Bett zu werfen.“ Ich sah mir Mai genauer an und stellte fest, dass sie noch ihr Nachthemd und darüber einen mit Lilien gemusterten Morgenmantel trug. Allmählich erinnerte ich mich auch daran, dass Yami uns tatsächlich gebeten hatte, heute rechtzeitig zum Frühstück zu kommen, da er mit uns etwas besprechen wollte. Hätte er das nicht gestern machen können? Aber andererseits ... zu der Zeit war ich schon nicht mehr besonders aufnahmefähig gewesen. Trotz des Kaffees und des darin enthaltenen Koffeins war ich kurz später von der Erschöpfung übermannt worden und hatte mich ins Bett begeben. Für einen Tag war das zu viel Aufregung gewesen. Die ganzen Übungen und dann der Einkaufsbummel mit Mai, das so überraschende Treffen mit Joey und Maria und am Ende noch die Sache mit Seth ... Nein, danach hätte Yami mir erzählen können, dass der Mond in Wahrheit aus Käse und Seth eigentlich ein netter Kerl sei, ich hätte doch nichts mehr richtig mitbekommen. „Alina, wenn du nicht gleich aufstehst, kann ich auch andere Seiten aufziehen“, unterbrach Mai meine Gedankengänge und warf einen bedeutungsschweren Blick auf die Tür zu meinem Badezimmer. „Falls du noch nicht richtig wach bist, lässt sich das mit einer kalten Dusche schnell ändern.“ Ich glaube, sie konnte gar nicht so schnell gucken, wie ich aus dem Bett sprang, mein Nachthemd von mir geworfen hatte und im Bad verschwunden war. „Danke, ich komm schon zurecht!“, rief ich ihr durch die geschlossene Tür zu. Ein paar Minuten später ging ich gewaschen und um einiges wacher ins Zimmer zurück, um mir von Samantha beim Anlegen der Kleider helfen zu lassen. Von Mai war nichts mehr zu sehen, sie hatte sich bereits in ihr eigenes Zimmer zurückgezogen, um sich anzuziehen. Das Esszimmer war dank der Vorhänge so abgedunkelt, dass kein Sonnenlicht hereindringen konnte. Ich mochte es nicht. Da war es früher Morgen und ich durfte mir den Raum nicht im Licht der vor kurzem aufgegangenen Sonne ansehen. Stattdessen wurde er von etlichen Kerzen beleuchtet. Wie viel Zeit würde vergehen, bis ich es aufgab, der Sonne hinterher zu trauern? Wie lange hatten wohl die anderen gebraucht, um diesen Aspekt ihres Lebens als Vampir zu akzeptieren? Das konnte ich Mai bei Gelegenheit mal fragen. Yami saß am gedeckten Frühstückstisch und las in der Zeitung. Hinter dem großen, mit schwarzer Tinte bedruckten Blatt konnte ich nur die obersten Spitzen seines Haares sehen. Was hatte ihn überhaupt auf diese Frisur gebracht? Seltsamer und unkonventioneller ging es ja kaum noch. Verglichen mit all den Geschäftsleuten, denen ich in den letzten Jahren auf der Straße begegnet war, war dies jedoch wie ein frischer Wind, durchaus positiv. „Guten Morgen, Yami“, sagte ich fröhlich und ging auf ihn zu. Als er nicht reagierte, wollte ich es noch einmal versuchen, doch dann fiel mein Blick auf die Titelseite der Zeitung. Mein Mund öffnete sich und schloss sich, ohne dass ein Wort herauskam. Ich blinzelte und sah noch einmal hin, denn ich konnte, wollte einfach nicht glauben, was dort stand. Der Schreck überflutete mich wie eine Welle. Bevor Yami mich überhaupt wahrgenommen, geschweige denn begriffen hatte, was los war, hatte ich ihm das Blatt schon aus der Hand gerissen und starrte fassungslos auf die Zeitung. Die schwarzen Lettern wollten für mich zunächst keinen rechten Zusammenhang ergeben, ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich sie nicht nur gelesen, sondern auch verstanden hatte, was dort geschrieben stand. Ripper schlägt erneut zu! In den frühen Morgenstunden des 9. November 1888 ereignete sich in Miller’s Court, Dorset Street, Spitalfield ein weiterer grausamer Frauenmord. Es sei daran erinnert, dass die Nachricht über die anderen Morde im Gegensatz zu dieser sehr früh bekannt gemacht wurde. Wir schickten sogleich einen Reporter zum Tatort, der durch den Inspektor in der Commercial Street Station erfuhr, dass dieser Befehl erhalten habe, außer der Tatsache, dass eine Frau ermordet worden sei, keine Informationen weiterzugeben. Alle offiziellen Informationen würden direkt an Scotland Yard weitergeleitet. Entsprechend schwer war es für uns, genauere Informationen über das Verbrechen zu erlangen, doch eine Befragung in der Nachbarschaft erbrachte, dass der Kopf des Opfers nahezu vom Körper getrennt gewesen sei und dass, wie in den vorangegangenen schrecklichen Fällen, der Unterleib aufgeschlitzt worden sei. Des Weiteren konnten wir den Namen des Opfers ermitteln. Es handelt sich um die Prostituierte Marie Jeanette Kelly, bekannt als „Ginger“ ... Ich schlang die Zeilen in rasender Geschwindigkeit herunter, bis ich zu der Stelle gelangte, nach der ich gesucht hatte. Das Poltern des Steins, der nur Sekunden später von meinem Herzen fiel, hätte, wenn andere es hätten hören können, das ganze Haus aufgeschreckt. Was mich eben so erschreckt hatte, dass ich Yami die Zeitung entrissen hatte? Neben diesem Artikel waren zwei Fotos abgedruckt. Eines war mit dem Namen des Opfers untertitelt und das andere – und dies war auch der Grund für meinen anfänglichen Schock – zeigte Ellie, meine beste Freundin. Laut dem Artikel hätte es in der Nacht auf den 9. November um ein Haar zwei Opfer gegeben. Und dieses zweite Opfer hatte Ellie sein sollen. Es war ein kurzes Interview mit ihr abgedruckt, in dem sie angab, von einem Unbekannten verfolgt worden zu sein. Wenn ich daran dachte, dass es möglicherweise der Ripper gewesen war, wie die Presse vermutete ... Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Alle Morde, die er bislang verübt hatte, hatte er mit einer nur als absolut grausam zu bezeichnenden Brutalität verübt. „Alina, Liebes, ist alles mit dir in Ordnung?“, drang da Yamis Stimme zu mir durch. Ich wandte den Kopf in seine Richtung, er sah mich besorgt an. Ohne etwas zu sagen, deutete ich mit dem Finger auf den Artikel. „Das habe ich auch gelesen, aber was ...“ „Ellie ist meine Freundin. Dabei habe ich Joey gestern noch extra gebeten, sie zu warnen, dass sie auf sich aufpassen soll.“ „Ja, dann verstehe ich – Augenblick mal, habe ich richtig gehört? Du hast mit diesem Joey gesprochen?“ „Wir sind uns gestern ... zufällig begegnet, als ich mit Mai einkaufen war. Bitte sei nicht böse auf mich, Yami, ich weiß, was du mir gesagt hast. Ich soll mich von ihnen fernhalten und mein altes Leben vergessen, aber ... ich kann das nicht. Jedenfalls nicht alles. Sie sind meine Freunde. Mir ist klar, dass ich vorsichtig sein muss, mit allem, was ich in ihrer Gegenwart sage oder tue, nur ...“ Auf seine Lippen legte sich ein verstehendes Lächeln. „Ist schon gut, du musst dich nicht weiter dazu rechtfertigen. Ich wollte dir damit nur die Gelegenheit geben, dich hier einzugewöhnen, weil unser Leben so anders ist. Wie geht es deinen Freunden?“ „So weit gut. Es ist nur ... Mai sagte, du würdest mir monatlich einen gewissen Betrag als Taschengeld auszahlen. Ich möchte, dass Joey und Maria das Geld bekommen. Sie brauchen es viel dringender als ich. Die Medikamente für Marias Mutter sind so teuer.“ „Ich werde Vorkehrungen treffen, dass sie das Geld bekommen.“ In Ermangelung anderer Möglichkeiten, wie ich ihm meine Dankbarkeit ausdrücken sollte, fiel ich Yami um den Hals. Zu seinem Glück saß er, sonst hätte ich ihn umgerissen. Ein lautes Räuspern unterbrach uns. Von der Tür schaute ein etwas pikiert dreinblickender Seth zu uns herüber, die Augenbrauen tadelnd nach oben gezogen. „Seid ihr bald fertig? Da möchte man sich ja übergeben.“ „Ich habe mich lediglich bei ihm für etwas bedankt“, erwiderte ich. Warum rechtfertige ich mich überhaupt vor dem? „Dir auch einen guten Morgen, Seth“, bügelte Yami über den Kommentar seines Geschäftspartners hinweg. „Geht es dir besser?“ „Es ginge mir bedeutend besser, wenn du mir die Schlüssel zurückgeben würdest, die du mir abgenommen hast.“ „Vergiss es“, grinste Yami. „Aber setz dich doch. Möchtest du eine Tasse Kaffee?“ „Gern.“ Seth ließ sich am anderen Ende des Tisches nieder und ich nahm zwischen ihm und Yami Platz. Dieser hatte gerade nach der kleinen Tischglocke aus Messing gegriffen, um nach Alex zu klingeln, als Mai eintrat. Damit waren wir komplett. Wenige Glockenschläge später kam auch unser Butler mit dem Kaffee. Nachdem er jedem etwas von dem braunen Getränk eingeschenkt und wir uns mit Brötchen und Blutmarmelade – eine seltsame Kombination – versorgt hatten, zog er sich in das angrenzende Anrichtezimmer zurück, um auf weitere Anordnungen zu warten. „Also, was möchtest du mit uns besprechen?“, fragte Mai und nippte an ihrer Tasse. Yami legte die Spitzen seiner Finger aneinander und betrachtete mich über sie hinweg. „Bevor ich darauf eingehe, möchte ich, dass du mir eine Frage beantwortest, Alina. Ich habe dir vorgestern von deinen Eltern erzählt und von ihrem Wunsch, dass aus dir ebenfalls eine Jägerin wird. Hattest du Gelegenheit, darüber nachzudenken?“ „Ja, das hatte ich“, nickte ich. Wirklich viel Zeit war es zwar nicht gewesen, der vergangene Tag war mit stetiger Arbeit ausgefüllt gewesen, aber in der knappen Zeit dazwischen waren meine Gedanken schon darum gekreist. Viel zu unglaublich waren die Dinge, die er mir offenbart hatte, als dass ich sie in irgendeinen Winkel meines Kopfes hätte verdrängen können. Ich meine, es wird einem ja nicht jeden Tag gesagt, dass die eigenen Eltern, die man bisher für die spießigsten Menschen der Welt gehalten hat, in Wahrheit waschechte Vampirjäger waren. „Und wie ist deine Antwort?“ „Wer auch immer diese Vampire waren, die meine Eltern ermordet haben, wenn du Recht hast, sind sie nun hinter mir her. Ich ... kann nicht von dir erwarten, dass du mich ständig und überall beschützt, ich selbst muss auch etwas tun können. Und das kann ich nur, wenn ich lerne zu kämpfen. Und ... ich möchte mich für den Tod meiner Eltern an ihnen rächen.“ Die letzten Worte sprach ich so leise, dass nur Yami sie verstand. „Ich dachte mir, dass du so entscheiden würdest“, sagte Yami. „Von Roberts Tochter hatte ich auch nichts anderes erwartet. Nun, damit komme ich zu dem eigentlichen Grund unseres Treffens. Denn in Anbetracht deiner Entscheidung und dem, was gestern Abend passiert ist, müssen wir deinen Lehrplan wohl oder übel ein paar kleinen Änderungen unterziehen. Ich hatte ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass dich Max oder einer der mit uns befreundeten Vampire so bald zu Gesicht bekommen würde. Ja, ich hatte gehofft, dass wir ausreichend Zeit hätten, dich in dieses Mammutwerk von Benimmregeln wieder richtig einzuführen, aber dem ist nicht so.“ „Stimmt, wenn Pegasus, dieses alte Klatschmaul weiß, dass du hier bist, dann weiß es allerspätestens heute Abend unsere ganze Gemeinschaft“, unterbrach ihn Seth. Was mischt der sich denn jetzt ein?, wunderte ich mich. Sonst kümmert er sich doch auch nicht darum, was mit mir ist. „Uns wird darum nichts anderes übrig bleiben, als dir einen Crashkurs zu verpassen“, fuhr Yami fort. „Ein paar Tage kann ich unsere Freunde vielleicht noch hinhalten, aber für Ende nächster Woche werden wir einen Empfang organisieren und dich offiziell vorstellen müssen. Sonst sind sie beleidigt.“ Da kam mir nur noch Schreck lass nach in den Kopf. Ich wusste, dass ich irgendwann in die Gesellschaft eingeführt werden musste, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass dies so bald geschehen würde. „Also wird der Kampfunterricht noch eine Weile warten müssen, damit Mai sich darauf konzentrieren kann?“, hakte ich nach. Zu meiner Überraschung schüttelte Yami jedoch den Kopf. „Dazu wollte ich gerade kommen. Nein, es gibt jetzt so viele Dinge, die du lernen musst, dass wir sie nicht nach und nach angehen können; wir müssen dich in allem parallel unterrichten. Auch darüber habe ich nachgedacht – ich konnte letzte Nacht schlecht schlafen, da hatte ich ausreichend Zeit dafür, mir um alles Gedanken zu machen. Unter anderem auch darum, wie ich Seth während seines kleinen ... Urlaubs beschäftigen kann. Und dann kam mir die zündende Idee: Mai kümmert sich weiter um alles, was mit deiner Gesellschaftsausbildung zusammenhängt, ich werde mich um den Ausbau deiner vampirischen Fähigkeiten kümmern und Seth ... wird dich in den Kampfkünsten unterrichten.“ Drei Augenpaare richteten sich auf Yami: zwei sehr überraschte beziehungsweise verwirrte und eines, das sehr zornig aussah. Der Besitzer dieser Augen war niemand anderer als Seth. Er blickte Yami an, als habe dieser den Verstand verloren. Vermutlich traf dies sogar zu. Wie kam er sonst auf die Idee, ausgerechnet Seth darum zu bitten, mir Unterricht zu erteilen, obwohl wir uns in gegenseitiger Antipathie tief verbunden waren? Das war absurd. „Yami ...“, sagte Seth und seine Stimme klang gefährlich ruhig, „würdest du mich bitte kurz in den Salon hinüber begleiten. Ich würde gern mit dir unter vier Augen sprechen.“ „Überleg doch mal, du –“ „Sofort.“ Oh, oh, das klang ja ganz übel. Yami nickte Seth zu, dann standen die beiden auf und verließen den Raum. Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, fragte ich Mai: „Was hat Yami bitte auf diese Schnapsidee gebracht? Ausgerechnet Seth ...“ „Na ja, objektiv betrachtet ... Er kennt sich gut in allen möglichen Kampftechniken aus, genauso wie Yami.“ „Aber warum unterrichtet dann nicht er mich? Er müsste doch wissen, dass Seth und ich nicht miteinander klarkommen. Ich rede mit ihm.“ Mein Stuhl rutschte über den Teppich nach hinten, als ich aufstand und zur Tür marschierte. Kaum im Flur, konnte ich auch schon genau sagen, wohin sich die beiden zurückgezogen hatten, um ihr Gespräch zu führen. Obwohl die Tür zum Salon geschlossen war, hallten ihre Stimmen bis in die Halle hinaus. „Bist du von allen guten Geistern verlassen, worden, Yami, oder was hat dich auf diese Idee gebracht? Ich – ausgerechnet ICH – soll ihr Unterricht geben? Wie hast du dir das vorgestellt?“ „Nun, zum Beispiel, indem du ihr zeigst, wie sie ein Schwert führt und –“ „Glaubst du etwa, ich hätte nichts Besseres zu tun? Falls es dir entgangen sein sollte, ich habe eine Firma zu leiten, die führt sich schließlich nicht von selbst.“ „Und falls es dir entgangen sein sollte, bist du zurzeit krankgeschrieben und ich leite die Firma“, entgegnete Yami kühl. „Zeitlich gesehen dürften demnach keinerlei Probleme auftreten.“ „Also hör mal, du warst doch derjenige, der sie überhaupt hier angeschleppt hat! Und sie dann auch noch zu einem Vampir zu machen, ich möchte bezweifeln, dass das im Sinne ihres Vaters war. Hätte es nicht gereicht, sie in einem unserer Landhäuser unterzubringen, umgeben von ein paar guten Leibwächtern?“ „Hat das beim letzten Mal gereicht, bei ihren Eltern? Muss ich dich daran erinnern, was damals passiert ist? Er hat sie aufgespürt, obwohl sie so viele Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatten.“ „Hör auf ...“ „Und bei dem Kampf haben sich auch drei unserer Männer in die Schatten verabschiedet und Alinas Eltern –“ „Bitte hör auf!“ Hat Seth gerade „Bitte“ gesagt? Und dann auch noch in so einem ... fast flehenden Tonfall. „Siehst du? In unserer Nähe ist Alina wesentlich sicherer.“ „Aber warum hast du ihr dann vorgeschlagen, kämpfen zu lernen? Sie ist noch ein Kind.“ „Ein Kind?“ Yami lachte. „Dieses ‚Kind’, wie du sie zu bezeichnen beliebst, ist inzwischen siebzehn und hat sich jahrelang in den Straßen da draußen herumgeschlagen. Du unterschätzt sie. Alina hat einen starken Willen. Und du hast sie gehört. Sie will kämpfen lernen. Sie hat sich dazu selbst und aus eigenem Willen entschlossen. Meinst du nicht, wir sollten ihr dabei helfen?“ „Yami ... „Und bedenke bitte eines: Es gibt ein paar Dinge, die ich ihr nicht beibringen kann, du hingegen schon. Verpflichtet dich nicht sogar der Kodex dazu?“ „Also gut, ich werde sie als Schülerin nehmen. Aber nur, wenn du mir einen Ort zum Trainieren geben kannst. Im Gegensatz zu Mai kann ich mich dafür nämlich nicht mit ihr im Salon aufhalten.“ „Das wird kein Problem darstellen, ich habe den perfekten Platz für euch. Komm, gehen wir zu den anderen.“ Yamis Stimme wurde lauter. Ich wich rasch von der Tür zurück und sah zu, dass ich ins Esszimmer zurückkam. „Na, hast du mit ihm gesprochen?“, fragte Mai, die völlig ruhig am Tisch saß, an ihrem Blutmarmeladenbrötchen knabberte und in der Zeitung blätterte. „Nein, aber –“ Die Tür öffnete sich und die zwei Streithähne traten ein. Yami lächelte leicht, sicher als Zeichen dafür, dass er in ihrem Disput den Sieg davongetragen hatte. „Alina, du wirst ab morgen von Seth unterrichtet“, verkündete er. „Wieso erst ab morgen?“, platzte es aus mir heraus. So viel zu dem Satz „Erst nachdenken, dann reden“. „Weil wir den heutigen Tag brauchen werden, um eure Trainingsräume auf Vordermann zu bringen“, antwortete Yami. „Seit deine Eltern tot sind, war dort unten niemand mehr – abgesehen von uns beiden vor zwei Tagen. Und ich nehme mal an, ihr möchtet nicht inmitten von verstaubten Möbeln und Büchern trainieren. Meinst du, dass die Räumlichkeiten deinen Ansprüchen genügen werden, Seth?“ „Das werde ich dir sagen, wenn ich sie gesehen habe. Mein letzter Besuch dort ist eine Weile her.“ „Dann werden wir sie gleich nach dem Essen besichtigen. Und wenn du mit ihnen zufrieden bist, können wir uns daran machen, dort unten aufzuräumen.“ „Was heißt hier wir?“, fragte Seth. „Willst du etwa Samantha und Beth darum bitten? Wir müssen es selbst tun.“ „Ich hasse Hausputz“, grummelte Seth. Vor meinem inneren Auge manifestierte sich ein Seth mit Kopftuch und Besen. Das könnte doch noch ganz lustig werden. Kommentare und anderes bitte hier abgeben. ^_^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)