Searching for the Fullmoon von moonlily (Seth - oder Probleme kommen selten allein) ================================================================================ Kapitel 11: Seth ---------------- Kapitel 11 Seth Ich hastete durch die Haupthalle zur Garderobe, viel zu verwirrt, um auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen zu können. Yami, dieser ... dieser ... Argh! Nicht mal in Gedanken kamen mir die richtigen Worte in den Sinn, um meine Gefühle auch nur annähernd zu beschreiben. Wut, Enttäuschung, Verzweiflung, das Gefühl von Verrat ... das alles und noch vieles mehr mischte sich in mir. Yami, dieser gemeine Lügner! Was denkt er sich eigentlich? Soll ihn doch der Teufel holen! „Alina, was ist denn passiert?“ Mai kam wie ein Blitz aus dem Kaminzimmer herausgeschossen. „Ich habe aus der Bibliothek Lärm gehört. Sag schon, was ist los? Es klang, als hättet ihr euch gestritten.“ Ich ging in die Haupthalle zurück, meinen Mantel über dem Arm. Mai sah mich beunruhigt an. „Frag das lieber Yami! Diesen ...“, meine Stimme überschlug sich vor Aufregung, „diesen Idioten, diesen ... diesen Mistkerl! Hätte ich das geahnt, hätte ich nie eingewilligt, ein Va ...“ Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund, da hatte sich mein Gehirn offenbar gerade noch in letzter Sekunde wieder eingeschaltet. So wütend ich auch auf Yami war, ich durfte nicht eine der wichtigsten Regeln in diesem Haus außer Acht lassen: Erwähne nie, dass du ein Vampir bist! Trotzdem überraschte es mich selber, dass ich selbst in dieser Situation noch an so etwas dachte. „Hättest du was geahnt?“, fragte Mai mit ruhiger Stimme. „Das soll er dir schön alles selbst sagen, ich bin dazu grad nicht in der Lage“, erwiderte ich und warf mir mit einer weit ausholenden Bewegung den Mantel um die Schultern. Der Stoff streifte eine Blumenschale, die gefährlich ins Wanken geriet und sich gerade noch in letzter Sekunde wieder von selbst ins Gleichgewicht brachte. Und wenn sie umgefallen und das wertvolle Porzellan zersprungen wäre, es wäre mir so was von egal gewesen! Ich hielt es nicht länger in diesem Haus aus, keine Sekunde länger! Obwohl die Haupthalle der mit Abstand größte Bereich des ganzen Hauses war, kam sie mir plötzlich unheimlich beengend und bedrückend vor. Und die Bibliothek ... Mein Blick flog zu der Tür zurück, die ich vor einigen Sekunden so überaus schwungvoll hinter mir zugeknallt hatte. Dahinter war Yami. „Ich gehe raus, ich brauche frische Luft“, sagte ich noch, während ich mir ein Paar Wollhandschuhe gegen die Kälte überstreifte. Dann ging ich mit schnellen Schritten durch das Vorderfoyer, bevor Mai noch die Chance bekam, etwas zu erwidern. Ja, vor einer Sache davonzulaufen, war nicht unbedingt die beste Lösung, das wusste ich. Aber in manchen Fällen, so wie jetzt, war es für mich besser, erst einmal die Flucht anzutreten. Wenn ich mich zu sehr aufregte, rutschten mir leicht Sachen heraus, die ich gar nicht so meinte oder die ich eigentlich für mich behalten wollte. Was ich jetzt brauchte, war etwas Ruhe, um über alles nachdenken zu können Draußen lehnte ich mich an eine der weißen kannelierten Säulen, welche den Eingang des Hauses flankierten und den rechten Eckturm mit den Erkern stützten. Die Kühle des Steins in meinem Rücken drang rasch durch meinen Mantel hindurch. Meine Hand strich über den blanken, glatten Marmor. Die kalte Nachtluft war jetzt genau das, was ich brauchte. Wenn ich es mir ganz genau überlegte ... Nein, einen Lügner konnte ich Yami eigentlich nicht nennen. Er hatte niemals abgestritten, mehr von mir zu wollen. Allerdings hatte er bisher auch nie konkrete Aussagen in der Richtung gemacht. Trotzdem, ich hätte es mir doch denken können! Ich hätte mir doch denken können, dass hinter Yamis ganzen Aktionen mehr als reine Freundlichkeit gesteckt hatte. Welcher halbwegs vernünftig denkende, reiche Geschäftsmann holte schon ein wildfremdes armes Mädchen zu sich nach Hause, gab ihr ein derartig luxuriöses Dach über dem Kopf und überhäufte sie mit Kleidern und kostbaren Dingen, ohne Hintergedanken zu haben? Niemand! Eher wäre dieser Mensch ohne Umschweife in die nächste Psychiatrie eingewiesen worden. Und Yami ... Bereits an dem Abend, als er mich von der Straße in die dunkle Seitengasse gezogen hatte, um mich zum ersten Mal zu beißen, hätte ich misstrauisch werden müssen. Ja, ja, hätte ... Aber da war ich noch zu sehr mit meiner Angst beschäftigt gewesen und der plötzlichen Erkenntnis, dass die Geschichten meiner Mutter doch sehr viel mehr als bloße Gute-Nacht-Geschichten gewesen waren. Ein typischer Fall von Schockzustand, wie aus dem Lehrbuch. Wundervoll, jetzt werde ich auch noch sarkastisch! Und was war mit dem darauf folgenden Abend? Spätestens da ... spätestens an seinen Küssen hätte ich merken müssen, dass er mehr im Sinn hatte als nur an mein Blut heranzukommen. Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss für eine Weile die Augen. „Was hat das wieder zu bedeuten?“, murmelte Mai kopfschüttelnd, als Alina verschwunden war, und marschierte auf die Bibliothek zu. Sie fand Yami vor dem Lesetisch stehend, ein Buch in der Hand, dessen Umschlag er mit geistesabwesendem Blick anstarrte. Mai räusperte sich laut, um sich bemerkbar zu machen. Yami hob den Kopf. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte. Er wirkte ... verloren. Als er sich ihr zuwandte, sah er im ersten Augenblick noch etwas verwirrt aus, doch dann setzte er seine übliche, undurchsichtige Miene auf, mit der er immer seinen Geschäftspartnern gegenüberzutreten pflegte. Keine einzige Gefühlsregung ließ sich nun von seinem Gesicht ablesen. „Würdest du mir bitte den Grund verraten, warum Alina eben an mir vorbei gerannt ist und total durch den Wind war?“ „Es ... ist nichts“, sagte er und legte das Buch auf den Tisch. Er zögert bei seiner Antwort ... ungewöhnlich. Nun baute sie sich vor ihm auf, so wie sie es bei Samantha und Beth getan hatte, und taxierte ihn von oben bis unten. „Also DAS kannst du mir nicht erzählen, Yami.“ Er versuchte rechts an ihr vorbeizugehen und sie machte einen Schritt in die Richtung. Schön, also die andere Seite. Und wieder stellte sie sich ihm in den Weg. „Was soll das?“, fragte er, woraufhin er nur einen erwartungsvollen Blick von Mai erntete. Allmählich riss Yami der Geduldsfaden. Er schob sie grob zur Seite und ging auf die Tür zu. Kurz bevor er sie erreichte, tauchte sie plötzlich vor ihm im Türrahmen auf und streckte den Arm zur Seite, womit sie ihm den Durchgang ein weiteres Mal versperrte. „Lass mich vorbei, Mai. Ich bin gerade nicht in der Stimmung für diese Art von Scherzen.“ „Ich lasse dich durch – aber erst, wenn du mir gesagt hast, was zwischen dir und Alina vorgefallen ist.“ „Das geht dich nichts an. Das ist eine Sache zwischen uns beiden.“ „So, so, das geht mich nichts an? Und wer hat mir aufgetragen, mich um Alina zu kümmern? Das warst du, mein Lieber! Wenn es ihr nicht gut geht, ist es ja wohl meine Aufgabe, herauszufinden, warum das so ist.“ „Wäre es dann nicht eher deine Aufgabe, dich um sie zu kümmern, anstatt mir Löcher in den Bauch zu fragen?“, gab er zurück. „Und ich habe dir gesagt, es geht dich nichts an.“ „Alina wollte eine Weile alleine sein und den Gefallen hab ich ihr getan. Die Kleine war ja richtig aufgelöst, also geht mich die Sache sehr wohl etwas an.“ Mais Stimme schwoll mit jedem Wort mehr an. Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Zornesfalten. Yami konnte sie noch so oft vor diesen Jägern gerettet haben, es ging hier um ihren Schützling. Yami seufzte leise. Mai konnte ja so verflucht hartnäckig sein! Wenn er ihr nicht antwortete, würde sie ihn entweder bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag damit nerven oder die Antwort aus Alina herauszuholen versuchen. „Also gut, du hast gewonnen. Ich erzähle es dir.“ Mai sah ihn zufrieden an. „Na bitte, warum nicht gleich so? Ich bin ganz Ohr.“ „Es war eigentlich nichts Schlimmes. Ich habe sie nur geküsst und ...“ Die Vampirin ließ ein trockenes Lachen hören. „Das kann aber kein gewöhnlicher Kuss gewesen sein, Yami. Sonst hätte Alina wohl kaum so reagiert.“ „Nun ... etwas intensiver war er vielleicht ...“ „Wie ich es mir dachte. Deine ‚intensiven’ Küsse kenn ich doch ... mit denen raubst du den Mädchen ja bekanntlich am liebsten den Verstand. Kein Wunder, dass sie verschreckt war. Deine Hormone müssen ja ziemlich verrückt gespielt haben.“ „Mai ...“ Seine Stimme nahm einen warnenden Unterton an. „Nein, Yami. Hast du nicht gestern noch zu mir gesagt, ich müsse mir keine Sorgen um Alina machen und du hättest nicht die Absicht, sie zu deiner Geliebten zu machen? Und dann vergiss nicht den Schwur, den du deinem Freund –“ „Ich weiß doch selbst, was ich ihm geschworen habe. Es ist nur ... Aber das ist jetzt gleichgültig. Viel wichtiger ist, dass Alina bei uns bleibt. Aber ich glaube nicht, dass sie mir im Moment zuhören würde.“ „Ich weiß. Hmm ... ich lasse ihr noch ein paar Minuten und dann gehe ich raus und rede mit ihr.“ „Danke. Aber verrate ihr nichts. Das möchte ich ihr selbst beibringen, nach und nach.“ „Wie du wünschst. Aber wäre es nicht besser, ihr endlich reinen Wein einzuschenken? Sie hat das Recht dazu, die Wahrheit zu erfahren.“ Eine längere Pause entstand. „Ja ...“ „Dann macht das morgen. Heute ist es besser, wenn ihr euch nicht mehr über den Weg lauft.“ Ich war nach wie vor zu unruhig, um ins Haus zurückzukehren. Zwar hätte ich in mein Zimmer gehen können, aber ... direkt nebenan wohnte Yami. Und wenn ich schlief ... wer konnte mir versichern, dass er nicht zu mir herüberkam und sich womöglich am Ende noch mit Gewalt nahm, was ich ihm heute Abend erfolgreich verweigert hatte? Wer wusste schon, was in ihm vorging? Oder ging ich damit zu weit? Krieg dich endlich mal ein, Alina, deine Fantasie geht gerade eindeutig mit dir durch! Ich stieß mich von der Säule ab und wanderte den Kiesweg entlang, der um das Haus herumführte und die Blumenbeete abgrenzte, die direkt an der Hausmauer lagen. Die Beete waren zum größten Teil mit Rosen und Hortensienbüschen bepflanzt, die im Sommer, wenn sie in voller Blüte standen, ihren süßlichen Duft im ganzen Garten verströmten. Dazwischen standen kleine, ordentlich beschnittene Lebensbäume und Mandelbäumchen. Meine Gedanken klärten sich allmählich. Doch die Frage nach den Gründen für Yamis Verhalten löste sich nicht. Es machte für mich einfach keinen Sinn! Egal wie oft ich darüber nachdachte. Ich drehte mich im Kreis! Wenn er eine Geliebte gesucht hatte, warum hatte er dann ausgerechnet mich zu sich genommen? Ein unscheinbares, kleines Mädchen, das bis vor zwei Tagen Blumen verkauft hatte. In Londons Straßen gab es hunderte Mädchen und Frauen wie mich, arm und nie wissend, was der nächste Tag bringen würde. Trotzdem hätte jede andere wesentlich besser zu ihm gepasst, die meisten meiner Freundinnen waren um einiges hübscher als ich. Und wenn er nur jemanden für sein Bett suchte, hätte er sich auch eine der unzähligen Prostituierten nehmen können, welche die Straßen der Innenstadt bevölkerten. Und nur einmal angenommen, ich hätte ihm nachgegeben, wie wäre es dann weitergegangen? Hätte er mich auch dann noch bei sich bleiben lassen, wenn er genug von mir hatte oder hätte er mich wieder in mein altes Leben zurückgeschickt? Obwohl, richtig zurück konnte ich ja gar nicht mehr. Mein Leben fand nicht mehr am Tage statt und wenn, dann nur hinter dicht vorgezogenen Gardinen. Aber vermutlich würde ich das sehr bald herausfinden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er mich noch länger hier bleiben lassen würde, vor allem jetzt, nachdem ich ihm so eine deutliche Abfuhr erteilt hatte. Sicher kam er gleich zu mir raus und verkündete mir, dass ich verschwinden und nie wieder kommen sollte. Alles, alles nur das nicht!, schrie alles in mir. Einmal war ich schon aus meinem Elternhaus vertrieben worden, noch ein weiteres Mal hielt ich das nicht aus. Mir stiegen die Tränen in die Augen, als ich daran dachte, was unser Streit vermutlich bewirken würde. Mir lief ein Schauer über den Rücken, trotz des warmen Mantels fror ich. Jeder Atemzug, den ich ausstieß, gefror an der Luft sofort zu einer eisigen Nebelwolke. Meine Schritte führten mich weiter vom Haus fort, tiefer hinein in den Garten. Es war dunkel, doch das störte mich nicht im Geringsten. Ich kannte ihn seit meiner Geburt und meine nun geschärften Vampiraugen durchdrangen die Finsternis ohne große Mühe. Ich erkannte den von Seerosen überwucherten Teich, an dessen Ufer das nicht abgeschnittene Schilf leise im Wind raschelte. Ein Stück weiter stand ein weißer Pavillon. Dort hatten wir immer gesessen und unseren Tee getrunken. Alles an diesem Ort beschwor so viele Erinnerungen in mir herauf. Erinnerungen an eine bessere Zeit. Wo war sie geblieben? Fortgeweht, wie ein Blatt im Herbststurm. Nach einer Weile blickte ich zum Haus zurück. In der Bibliothek brannte noch Licht und am Fenster stand Yami. Ich erkannte ihn deutlich an seiner Silhouette. Diese wilde Stachelfrisur war einfach zu markant. Nicht sicher, ob er mich sah, setzte ich vorsichtshalber eine böse Miene auf. Sollte er ruhig sehen, dass ich sauer auf ihn war! Er hatte mich schließlich behandelt als wäre ich sein Eigentum. Als hätte ich keinen eigenen Willen! Na, na, schalt mich da auf einmal eine leise Stimme in meinem Hinterkopf, irgendwo hat das ja wohl gestimmt. Als er mich umarmt und geküsst hat, war mein Wille kurzzeitig ausgeschaltet. Und ich war diejenige, die ihn abgestellt hat. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ich sein Verhalten mir gegenüber für falsch hielt. Seit dem Tod meiner Eltern hasste ich jede Art von Bevormundung, denn diejenigen, die meinten, sich zu meinem Vormund erheben zu müssen, hatten stets nur ihren eigenen Vorteil im Sinn gehabt. Ich blieb an einer dicken Eiche stehen. Das trockene Laub knisterte und raschelte leise unter meinen Füßen. Wieder einmal suchten mich die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit heim. Es war im Sommer 1878, ein sonniger Nachmittag. Meine Eltern hatten mir zum Geburtstag eine Schaukel geschenkt, auf der ich jeden Nachmittag nach dem Unterricht saß. Mama warnte mich immer wieder, ich solle nicht zu wild schaukeln, aber – wie alle kleinen Kinder – hörte ich natürlich nicht auf sie. Dafür machte es viel zu viel Spaß. Immer höher und höher schaukelte ich, bis ich das Gefühl hatte, ich würde fliegen. Das ging so, bis ich eines Tages von der Schaukel fiel und mir den Arm brach. Tja, ich hatte eben nie wirklich viel davon gehalten, das immer brave kleine Mädchen zu spielen, das sich meine Eltern sicherlich vorgestellt hatten. Während des stundenlangen Benimmunterrichts hatte ich lieber aus dem Fenster gesehen und mir schon mal den nächsten Baum ausgesucht, auf den ich klettern wollte. Ich lächelte still vor mich hin und legte eine Hand an den Stamm der Eiche. Meine Finger fühlten jede Erhebung der Rinde und ich konnte die Kraft des Baumes spüren, die ihn durchströmte. Ich hatte mich in den letzten Jahren in vielen Dingen verändert, doch der Baum ... er war immer noch genau so wie früher. Nahezu unverändert trotzte er dem Strom der Zeit, er wurde nur immer stärker. „Was hast du hier zu suchen?“ Völlig aus meinen Gedanken gerissen, fuhr ich herum. Das Erste, was ich sah, war ein eleganter nachtblauer Umhang, dessen Ende knapp den Boden berührte. Der spitz zulaufende Kragen war hochgeschlagen und umrahmte das ausgesprochen attraktive Gesicht eines jungen Mannes. Er hatte eine straffe Körperhaltung und das leicht spitz zulaufende Kinn verlieh ihm ein aristokratisches Aussehen. Mir war auf den ersten Blick klar, dass ich es hier mit einem Vampir zu tun hatte. Kein Mensch der Welt konnte sich so geräuschlos an einen Vampir heranschleichen, selbst wenn dieser wie ich erst wenige Tage alt war. Die Haare des Mannes waren kurz und braun und seine kristallklaren blauen Augen – oder waren das Saphire? – musterten mich von oben bis unten eindringlich. Dabei durchbohrten mich seine Blicke wie eisige Dolche. Ich hätte bis dahin schwören können, dass keine Steigerung mehr möglich war, schließlich hatte ich Yamis Blick bei unserer ersten Begegnung gesehen. Dieser Kerl jedoch war die Verkörperung dessen, was man als eiskalt bezeichnen kann. Gegen ihn kam mir selbst der Nordpol einladend und warm vor. Ich schluckte schwer, bevor ich die Worte zu einer Antwort fand. „Ich ... ich wohne hier. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“ „Dann musst du Alina sein. Ich bin Seth. Seth Kaiba.“ Ah, das ist er also. Eine kühle Stimme – passt zu ihm. Mai hat ganz Recht, wenn sie ihn Eisprinz nennt. „Es freut mich, dich kennen zu lernen“, sagte ich, um ein freundliches Lächeln bemüht, und reichte ihm die Hand. Er blickte kurz darauf. „Nur damit eins klar ist: Ich war dagegen, dich in unser Haus aufzunehmen, aber ich wollte Yami nicht widersprechen. Und ich bin nicht an deiner Freundschaft interessiert, merk dir das bitte. Lass mich am besten in Ruhe, dann werden wir keine Probleme miteinander bekommen. Ach, und noch etwas. Mein Zimmer ist für dich tabu. Solltest du jemals dort reinkommen, ohne dass ich dir die Erlaubnis gegeben habe, wirst du dir wünschen, Yami hätte dich an jenem Abend getötet.“ Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte er sich schon umgedreht und ging mit großen Schritten auf das Haus zu. So was Unfreundliches wie den hab ich ja noch nie erlebt! Behandelt man etwa so eine Dame? Na, Mai hatte ja schon angedeutet, dass er etwas komisch ist, aber das ... das ist nicht komisch, das ist einfach unhöflich! Und ... unheimlich ... Ob er die Drohung ernst meint? Kann eigentlich kein Zweifel dran bestehen. Seth hatte nicht so ausgesehen, als würde er scherzen. Oder als wäre er überhaupt jemand, der mal einen Scherz machte. Ich wanderte zum Haus zurück. An der Haustür wurde ich von Mai abgefangen. „Alina, kann ich kurz mit dir reden? Es geht um Yami.“ „Ich würde eigentlich lieber ... ach, na gut.“ Ich legte den Mantel ab und folgte ihr ins Kaminzimmer. Nach einem gründlichen Blick auf den Flur schob Mai die Türen zu. Dann machten wir es uns in den Sesseln bequem. „Also ... ich habe mit Yami gesprochen und er hat mir erzählt, was passiert ist.“ „Hat er dir auch den Grund für sein Handeln verraten?“ „Er bereut das, was zwischen euch vorgefallen ist, Alina.“ „Das war nicht die Antwort auf meine Frage.“ „Nun ... ja, ich kenne die Gründe.“ Mai schwieg einen Moment, als würde sie überlegen, was sie als nächstes sagen sollte. „Und du müsstest sie eigentlich auch kennen. Zumindest einen Teil.“ „Oh ja, er hat mich gebissen, weil er mich als seine Geliebte haben wollte. Aber weißt du was, da spiel ich nicht mit!“ „Magst du Yami nicht?“ „... Doch – aber darum geht es nicht. Die Art, wie er mich behandelt hat ... Ich bin kein Gegenstand, den man nach Belieben benutzen kann.“ „Ich bin mir sicher, dass er dich nicht als so etwas ansieht. Er hat dich gern, glaub mir. Es ging ihm nicht darum, dich in sein Bett zu bekommen, dann hätte er dich nicht gebissen.“ „Und was ist nun der andere Grund?“ „Er hat mir verboten, dir das zu sagen. Du musst ihn selbst fragen. Aber erst morgen, bitte. Er hat sich bereits hingelegt. Noch mal zu dem anderen ... Wir beißen niemanden so ohne weiteres, um ihn zu unseresgleichen zu machen. Und wegen eben ... Yami hat nur manchmal ...“, Mai kicherte hinter vorgehaltener Hand, „wie soll ich sagen ... seine Hormone nicht so ganz unter Kontrolle, wie er es gern hätte. Deinetwegen.“ „Meinetwegen? Aber was ist an mir denn so Besonderes? Bisher haben mich die Männer überhaupt nicht beachtet. Nie.“ Mais Augen weiteten sich verblüfft. „Ach, ehrlich nicht? Das hätte ich nicht gedacht. Jetzt verstehe ich erst richtig, warum du vorhin so reagiert hast. Allerdings wundert mich das doch sehr. Haben die so genannten Herren der Schöpfung denn alle keine Augen im Kopf?“ „Ach, hör auf, Mai. Ich weiß, dass ich nicht die Hübscheste bin“, wiegelte ich ab. „Du machst dich mal wieder viel kleiner als du bist“, tadelte sie mich. „Aber lass mich mal machen. Für morgen hat sich erst einmal Mrs. Langdon angesagt, sie hat deine ersten Kleider fertig. Und ich habe mit Yami abgesprochen, dass wir zwei übermorgen einkaufen gehen. Warte es ab, wenn ich mit dir fertig bin, wirst du selbst Königin Viktoria in den Schatten stellen. Nun ja, natürlich daran gemessen, wie sie in ihrer Jugend aussah. Sie ist schließlich auch nicht mehr die Jüngste.“ „Übertreibst du da nicht etwas?“ Ich hatte schon einmal ein Gemälde der Königin gesehen, das sie als junge Frau zeigte, kurz nach ihrer Krönung. Sie war sehr schön. „Nein, keineswegs. Du hältst dich nur für unscheinbar, weil du nichts aus dir machst, Alina.“ „Das ging bisher auch etwas schwer, meinst du nicht? Eine Blumenverkäuferin verdient nun mal nicht genug, um sich hübsche Kleider oder ähnliches zu kaufen. Ach, da fällt mir ein ... Ich habe im Garten Seth getroffen.“ „Und wie findest du ihn?“ Mai richtete sich im Sessel auf und beugte sich interessiert vor. „Er ist genau so, wie du ihn mir beschrieben hast. Du hast nicht übertrieben. Er ist ein Eisprinz, durch und durch.“ Aber er hat schöne Augen, dachte ich. Blau wie das Meer. Trotzdem sind sie lange nicht so schön wie die von Yami und brrr ... viel zu kalt. Da läuft es einem ja eisig den Rücken herunter, wenn man nur dran denkt. Und dabei hatte ich vor, mich mit ihm anzufreunden. „Ach ja, bevor ich es vergesse, wir beginnen morgen früh mit deinem Unterricht.“ „Wie bitte?“ „Na, du weißt schon, Französisch, feine Manieren, Konversation ... schließlich bist du jetzt eine Dame der Gesellschaft, Alina. Ich lasse dich um zehn Uhr wecken.“ Wir sagten uns Gute Nacht und ich stieg die Treppen zu meinem Zimmer hinauf. Im Flur blieb ich vor Yamis Tür stehen. Yami mag mich? Aber warum hat er das dann nicht gesagt? Hatte ich ihn überhaupt zu Wort kommen lassen? Nein, ich hatte mich zu sehr in meinen Ärger verstrickt. Und was ist der andere Grund? Ich wusste allmählich nicht mehr, wo vorne und wo hinten war. Am besten war es, eine Nacht darüber zu schlafen. Möglicherweise sah ich die Dinge morgen klarer. Tja, es ist wohl an der Zeit, dass sich einige Fragen klären. Nur bis es soweit ist, müsst ihr euch leider noch ein paar Tage gedulden, weil ich gerade etwas zu ausgelastet mit meiner Tourismus-Hausarbeit bin und mein Roman fordert auch mal wieder meine Aufmerksamkeit. Jetzt hatte auch Seth endlich seinen Auftritt, kalt und unnahbar wie üblich. Also ob er und Alina jemals Freunde werden ... Gute Frage. Wir werden sehen. ^_^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)