Seydon von Linchan (2007er Version) ================================================================================ Kapitel 70: Zentas gebrochenes Herz ----------------------------------- Am nächsten Morgen wurde Nadaiya von einem schmerzhaften Tritt geweckt. Erschrocken schrie sie auf und schoss aus dem Bett hoch. Es war längst hell. „Wer zum-...??!“ fauchte sie, dann erblickte sie Zenta, der sie kaltblütig anblickte, während er mit verschränkten Armen neben dem Bett stand. „Steh auf, Lolita. Und beeil dich, wir wollen endlich weiter!“ Sie stutzte. „M-musst du mich gleich treten??! Was ist denn mit dir schon wieder los?!“ „Was geht’s dich an, sieh zu, dass du fertig wirst, Schlampe!“ Damit verließ er den Raum und knallte die Tür zu. Das Mädchen saß eine Weile verdattert da. Wieso hatte sie das Gefühl, dass Zenta sie seit ihrem Gespräch im Damenklo von Töryi noch mehr hasste als vorher? Was hatte sie denn gesagt? Sie erinnerte sich an die Nacht. „Dazu musst du vergessen, dass du ein Mensch bist. Um töten zu können... musst du zu einem Dämon werden.“ Das hatte Zenta zu ihr gesagt... ein Dämon? Nadaiya stand auf und zog sich an. Was meinte er damit, und warum Dämon? War es das, was sie gedacht hatte? Zum Töten musste man seine Seele töten... „Huh... vergessen, ein Mensch zu sein?“ fragte sie sich murmelnd, „Zenta ist komisch...“ Sie brachen bald darauf in Léoni auf und gingen nach Norden. „Warum gehen wir jetzt eigentlich weg, und wohin?“ fragte Lani irgendwann, und Zitan seufzte. „Weil wir Kindarn abhängen müssen, und wir gehen nach Lili.“ „Ja?“ rief Lili, weil sie dachte, man hätte sie gerufen. „Nicht du, die Stadt heißt Lili!“ erklärte ihr Liona. Lili sah sie an. „Waaas?! Eine Stadt heißt wie ich?! – Frechheit.“ „Wann kommen wir an?“ fragte Siana und sah Zenta an, bereute es aber sofort, als sie den missgelauntesten Blick von ihm erntete, den sie je gesehen hatte. Selbst für Zenta war das schon ein extrem böser Blick, man war ja einiges von ihm gewohnt. Jener brummte bloß schlecht gelaunt und sah in den Himmel. „Wenn eure komischen Kizayas mal ein bischen schneller laufen würden morgen Nachmittag, da sie das aber nicht tun morgen abend, Klartext, eine Übernachtung im Freien können wir nicht umgehen, Prinzessin Fall-in-den-Schnee.“ Siana hatte vor seiner schlechten Laune solche Angst, dass sie sich nichtmal über den verhassten Spitznamen aufregte. Zitan sah Zenta kurz an. „Hast du was?“ fragte er ihn knapp, und Zenta sah ihn auch kurz an und antwortete: „Nein.“ „Der hat ja noch miesere Laune als gestern,“ sagte Lani beklommen zu Nadaiya, „Sag mal... hast du gestern nacht was mit ihm gemacht??!“ Nadaiya stöhnte. „Sehe ich so aus?“ Sie steckte sich eine Zigarette an, „Wenn ich mit ihm geschlafen hätte, würde ich jetzt ein anderes Gesicht machen, glaub mir.“ Sie grinste zweideutig, und Lani musste auch grinsen. „Also willst du ihn doch!“ „Klar, hab nie was anderes behauptet,“ gestand sie und blinzelte, „Aber... ...“ Sie brach ab und beobachtete Zenta von hinten. Er gab ihr eine Menge zu denken im Moment. Dämon... und dann die Sache mit der Hölle, in der er leben würde? Je länger sie ihn ansah, desto mehr wünschte sie sich, mit ihm gehen zu können. Und zwar überraschenderweise nicht nur im Sinne von Sex – sie wollte auf ganz jugendfreie und zärtliche Art mit ihm zusammen sein. Wie ein – Liebespaar? So ein Quatsch, Nadaiya! redete sie sich empört ein, Du kannst dich doch nicht echt in den verliebt haben! „VORSICHT!!!“ schrie Lili plötzlich, und alle duckten sich erschrocken. Gerade noch rechtzeitig, sonst wäre nämlich ein Pfeil in ihnen gelandet. Statt dessen landete der Pfeil in der Erde, und alle fuhren herum. „Kindarn!!“ rief Liona keuchend und riss die aufgeregt wiehernde Selja herum, „NICHTS WIE WEG!!!“ Alle schrien auf, da sprangen auch schon Kindarn und seine Soldaten aus den Büschen. „Umzingelt sie, Männer!!! Sie dürfen nicht entkommen!“ „Du lernst auch... echt nie dazu!“ sagte Zenta und zückte ein halbes Dutzend Messer aus sämtlichen Hosentaschen, und auch die anderen griffen zu den Waffen, als sie plötzlich eingekreist waren. Grölend zielten die Soldaten mit Lanzen, Speeren, Schwertern und Pfeil und Bogen auf die Kameraden. „Klasse,“ sagte Lili, „Wollen wir sie beseitigen??“ „Ihr seid echt witzig!“ lachte Kindarn, „Das ging ja schnell heute!! – ENGERER KREIS, MÄNNER!! – Sari... dieses mal wird es anders laufen als sonst!“ Er sah in die verzerrten Gesichter der Freunde und lachte laut. „Was denn... habt ihr etwa Angst??!...“ Er sah Osea und Coran an. „BUH!“ machte er, und die Kleinen schrien auf. Der General gluckste. „Und Sir Yason zittert ja sogar schon, huh?“ Zenta zitterte wirklich am ganzen Körper, und Nadaiya starrte ihn an. „Du hast doch wohl nicht etwa Angst??!“ fragte sie, und Zenta grinste plötzlich. „Nein – ich zittere vor Kampfeslust!“ erklärte er, und Zitan zuckte mit der Augenbraue, seinen Freund so dermaßen in Erregung zu sehen. „Ich habe extrem schlechte Laune heute, General,“ verkündete er dann und zückte seine Messer, „Und auf nichts habe ich mehr Lust, als ein Dutzend Männer brutal abzustechen!“ Nadaiya fuhr zurück. Das ist... der Dämon...? Zitan senkte den Kopf und steckte sein Schwert weg. „Z-Ziddy??!“ keuchte Lili, doch er grinste auch. „Tu es, Zenta!“ Zenta war so unglaublich schnell, dass Kindarn garnicht wusste, wie ihm geschah, als plötzlich nahezu gleichzeitig alle Soldaten, die die Freunde umzingelten, niedergemetzelt und in Stücke gerissen wurden. Blut spritzte und Fleisch flog durch die Luft. Kindarn hörte Prinzessin Siana laut kreischen, und dann hörte er Zitan brüllen: „Los, weg!! – LAUFT!!!“ „HAALT!!“ schrie Kindarn, als die Kameraden durch die zerfetzten Soldaten weg nach Norden galoppierten. „SOLDATEN!!“ Hinter ihm kamen plötzlich noch mehr Soldaten aus dem Gebüsch. „Ihnen nach, lasst sie nicht entkommen!! – UND TÖTET DIESEN VERDAMMTEN YASON!!“ Die Freunde galoppierten, so schnell es ging. „Gut gemacht, Zenta!“ sagte Zitan zu ihm, als er seine Messer teils wieder einsteckte – eins steckte er sich hinter sein Ohr wie einen Bleistift und eins klemmte er sich in den Mund, um wenigstens die Hände für die Zügel frei zu haben. „War ein Kinderspiel,“ erklärte er, von oben bis unten mit dem Blut der Soldaten bespritzt, während sie weiterrannten. „Das war eklig!!“ schrie Siana aufgelöst, „K-kannst du das nicht ohne Blut??!“ „Lauft schneller!“ rief Tiras hinten, „Er hat noch mehr Soldaten, sie verfolgen uns!!“ In dem Moment ging auch der Pfeilhagel los. Die Freunde schrien auf und beeilten sich, duckten sich unter fliegenden Pfeilen weg. Die Kizayas wieherten und liefen, so schnell sie konnten. Schließlich riss Zitan Kasera herum. „Verdammt, so geht’s nicht!! Wir trennen uns!! Geht zu zweit, je mehr Gruppen wir sind, desto schwerer wird für sie die Verfolgung! – Wir treffen uns morgen am Haupttor von Lili!!“ Damit packte er Siana am Arm und zerrte sie nach links, ehe sie loskreischen konnte, und die zwei waren verschwunden. „Fächerförmig!“ bellte Zenta, „Los, trennt euch!!“ Jeder rannte dem nächsten anderen hinterher, den er fand, recht unwillkürlich, so teilten sie sich schnell in sechs Gruppen auf und galoppierten auseinander. Die Soldaten blieben stehen an der Stelle, an der sie sich getrennt hatten. „Verdammt!“ rief einer zaghaft. Alle schwiegen. Da kam Kindarn. „Was ist los?!“ fauchte er, „Wo sind die hin?! Warum steht ihr so blöd rum?!“ „Sie haben sich getrennt, Sir.“ „NA UND?!?“ „Ja, jetzt ist es eh‘ zu spät,“ erwiederte ein Soldat. Kindarn schnaubte. „JA, ALLERDINGS!!! VOLLTROTTEL IHR!!!“ „Zid!! Warte!!“ Zitan blieb stehen. Nach einer Zeit tauchte Nervi neben ihm auf. „Sind sie weg?“ fragte Zitan. Siana sah nach hinten und verschnaufte ausgiebig. Sie nickte erschöpft. Der Blonde seufzte und ging langsam im Schritt weiter. „Oookay. Wir müssen irgendwie nach Lili kommen... wir machen einen Bogen nach Westen und gehen dann wieder nach Norden!“ Siana sah ihn traurig an, und er stutzte. „W-was hast du?“ „Ich habe Angst-... ... was wird aus den anderen?? Ob wir alle morgen in Lili wiedertreffen?“ „Keine Ahnung, ich hoffe es! Mehr können wir zur Zeit nicht tun.“ Dann legte er den Kopf schief und grinste kurz: „Hmm, aber eigentlich gefällt es mir, dass wir mal ganz alleine sind! Und es besteht nicht die Gefahr, dass Zantis oder Coran oder Vento uns nachspionieren!“ Sie zuckte und blieb stehen. Zitan sah sie an, und als eine ihrer Augenbrauen nervös zu zucken begann, gluckste er. „Was ist??“ „Du hast ja wohl nichts Unanständiges vor??!“ fragte sie schnippisch, und er lachte. „Iiich? Niiie. Ich bin ein Engel!“ „Bengel passt besser!“ schnaubte sie gespielt beleidigt, „Du bist ein Lüstling, gib's zu!“ Zitan zog eine Schnute. „Iiich? Niiie,“ machte er unschuldig, und sie zwickte ihn ins Bein, „Aua!!“ Hochnäsig grinsend trabte sie an ihm vorbei. „Na komm, hol mich doch ein, du Perverser!“ lachte sie, „Sonst läuft deine Jungfrau dir weg!“ „Waahh!! W-warte, Siana!!!“ „Verrat mir was,“ sagte Zenta dumpf, und das Kizaya hinter ihm blieb stehen. „Was?“ „Warum... bist du ausgerechnet mit mir gegangen – Lolita??!!“ Er fuhr herum und starrte einer unschuldig dreinschauenden Nadaiya ins Gesicht. „Ähh,“ machte sie, „Hat sich so ergeben! Ich hab auch nicht darauf geachtet, wohin ich laufe, es war so hektisch!“ Er lenkte Jali zurück und so dicht neben sie, dass ihr Fuß Jalis Seite streifte, bevor er sich zu ihr herüberbeugte und sein Gesicht so nah vor ihres hielt, dass sie ihn fast aus Versehen geküsst hätte. „Wenn du auf den Gedanken kommen solltest, mich wieder zu umgarnen – endest du wie diese Soldaten heute morgen!“ Sie rührte sich nicht. „Hey,“ sagte sie, „Ich wage es ja kaum auszusprechen, aber... hat sich deine Laune etwa gebessert?“ Er sah sie an. „Ich habe mich an denen etwas abreagiert, ja,“ sagte er mit einem Seufzen, „Jetzt geht es mir etwas besser!“ Damit drehte er sich wieder ab und ging weiter. „Wenn du nicht zurückbleiben willst, halt dich ran,“ warnte er sie noch, „Ich habe keine Lust, zu trödeln, und Jali ist ziemlich schnell, wenn ich sie dazu zwinge!“ Er sah nach oben in den Himmel. „Es wird bald dunkel, bis dahin sollten wir noch ein Stück in den Wald rein, runter von der Hauptstraße, sonst werden wir überfallen.“ Nadaiya sah ihm fassungslos nach, als er einfach davongaloppierte, und schnell setzte sie ihm nach. So nett hatte er ja schon lange nicht mehr mit ihr geredet! – Für seine Verhältnisse war das wirklich freundlich... Sie wünschte sich nur, sie hätte sagen können, dass das jetzt von Dauer wäre... Abends wurde es überraschend schnell düster in dem Wald zwischen Léoni und Lili. „Oh mann!!“ rief Lili und trat einen Ast aus dem Weg. „Dieser bescheuerte Idiot von Kindarn muss natürlich immer im unpassendsten Augenblick kommen!!“ „Jetzt reg dich erstmal ab, wir müssen sehen, dass wir morgen in Lili die anderen finden,“ sagte Liona und warf einen Stapel Reisig in das Feuer, an dem sie und Lili saßen. Selja und Jägermeister lagen hinter ihnen und wärmten sich auch am Feuer. „Ich mache mir Sorgen um den Rest!“ gab Lili dann bedrückt zu, „Naja, also... Siana wird bei Ziddy gut aufgehoben sein! Zantis ist bestimmt mit Lani gegangen, die beiden werden auch klarkommen... Tiras und Vento auch, aber...“ „Nadaiya und Zenta werden sich vermutlich gegenseitig eher töten, als dass sie von Kindarn geschnappt werden,“ gab Liona zu bedenken, „Hast du Zentas Anfall heute morgen gesehen, wie er diese Soldaten abgeschlachtet hat?!“ Die Mesumanierin wirkte schockiert, „Er war ja völlig außer sich!“ „Mein größtes Problem sind Osea und Coran!“ meinte Lili, „Die beiden sind so klein und können sich nichtmal wehren! Die sind echt ein gefundenes Fressen für Kindarn oder wilde Tiere!“ Liona sah ärgerlich ins Feuer. „Scheiße, verdammt. Wir hätten uns ganz anders aufteilen sollen!!“ Zantis und Lani hatten ganz andere Probleme. „Ich muss ehrlich sagen...“ fing Lani an, „Ich habe eine Situation gefunden, in der ich Zenta wie nichts anderes gebrauchen könnte!!! ICH WILL ´NE LANDKARTE, VERDAMMT!!!“ Zantis fasste das gleich wieder falsch auf: „Ich kann das ebenso gut wie der!!“ empörte er sich, „Wir richten uns nach der Sonne!! Ich bin auch gut in Erdkunde, Lani!“ Sie schielte ihn an. „Ey – du kannst doch Zenta nicht toppen!“ lachte sie blöd, „Okay, du hast – woher auch immer – viel über Nemesis und Epona gewusst! Äh, und?!“ „Ich kann viel mehr!“ meckerte Zantis, „Ich beweise es dir! Frag mich was, los!“ Sie seufzte, dann verschränkte sie schnippisch die Arme. „Oookay! Was ist die Hauptstadt von Mikoto?!“ Zantis sah sie empört an. „Äh, Tunajo? – Cito!! – Nein, moment, gleich hab ich's-... – aaach, wie dumm, mir liegt's auf der Zunge...!!“ Lani verdrehte die Augen. „Du hast ja garkeine Ahnung!“ schnappte sie, „Von wegen Erdkunde!! Die Stadt heißt übrigens Zimalo!“ „Toll, ey! Was schert uns Mikoto, wir müssen nach Lili und nicht nach Mazilo!“ „Zimalo,“ korrigierte Lani ihn. „Häh, nein, nach Lili!!“ Sie stöhnte. „Jaah, mann!! Also, wo ist Lili??!“ Er starrte sie an. „Woher soll’n ich das wissen?!“ „Na, du hast doch gerade so große Töne gespuckt!“ meinte sie schnippisch, „Wie heißt die Hauptstadt von... Siniore?!“ Er blinzelte. „Öh – Zakate! – Nein, moment! Baile?“ Sie grübelte auch: „Nein, moment, welches Land ist Siniore? Doch das mit Piscitie?“ „Piscitie gehört zu Passare, das weiß ich noch!“ rief er. „Dann das kleine am anderen Ende! – Nein, das ist doch Nitoe?“ „Wo liegt Vinte eigentlich?“ „Du weißt nichtmal, wo dein Heimatland liegt?!“ schrie sie ihn an, und so diskutierten sie weiter über Erdkunde, ohne vorwärts zu kommen. „Ob die anderen schon schlafen?“ fragte Siana in die Stille hinein. Keine Antwort. Sie blickte neben sich; Zitan hatte sich auf dem Boden zusammengerollt. Sie stieß ihn an. „He!!! Aufwachen!!“ Er schlug verwirrt die Augen auf und gähnte. „Was?? Wie?... Siana... was ist?“ „Wieso schläfst du denn???“ „Weil ich müde bin?“ fragte Zitan verwirrt, schloss die Augen und legte sich wieder hin. Siana seufzte. Dann stand sie auf, nahm seine und ihre Decke und kam zum Feuer zurück. „Dann schlaf mal...“ flüsterte sie und deckte ihn sanft zu, rollte sich in ihre eigene Decke und kuschelte sich dicht an ihn heran. Er grinste sogar mit geschlossenen Augen und zog sie an sich heran und nahm sie in die Arme. „Gute Nacht, Siana... manno, dabei wollte ich doch die Gelegenheit ausnutzen...“ „Wichser,“ stöhnte sie, lächelte aber und küsste ihn sanft auf die Wange, „Träum was Süßes...“ Er nickte leicht mit dem Kopf, zum Sprechen war er viel zu müde. Siana schloss die Augen und machte es sich in seinen Armen gemütlich. Und schon kurze Zeit darauf waren beide eingeschlafen. „Wir sind echt arm dran,“ stellte Coran fest. Osea nickte betrübt. Die zwei saßen in einem hohlen Baumstamm, dicht aneinander gedrängt, völlig im Dunkeln. „Wir haben außer meinem blöden Küchenmesser keine Waffen, können nicht zaubern und wissen nichtmal, wo oben und unten ist!“ „Ich hab Hunger...“ flüsterte Osea traurig, und Coran seufzte. „Ich doch auch... wart mal!...“ Er nahm seinen Rucksack und kramte darin herum. „Willst du ´nen Bonbon???“ Sie sah ihn an und strahlte, als er ihr drei bunte Bonbons hinhielt. „Ja, gern, vielen Dank, Coran!“ Sie nahm die Bonbons und aß sie. Coran kratzte sich am Kopf und grinste leicht verlegen. „Hab nichts anderes, tut mir leid... morgen in Lili kriegen wir vielleicht was besseres...“ Osea nickte. Coran pfiff durch die Zähne. „Hey, Pan!! Komm mal her mit Mac, dann seid ihr nicht so alleine!“ Pan kam angetrabt, Mac trottete hinterher. Das schwarze und das braune Kizaya legten sich vor den hohlen Baumstamm und legten die Köpfe zu ihren Besitzern in die kleine Höhle. „Ach, Mac...“ fing Osea an und strich ihm durch die zottelige Mähne. „Manchmal... wünschte ich... ich wäre in Nisa... zu Hause... und Mama, Papa und Sai wären noch da...“ „Sind deine Eltern tot??“ fragte Coran. Das Mädchen nickte stumm. „Sie erkrankten an einer Seuche, und Sai, meine kleine Schwester, auch... damals war ich vier... ist also schon lange her... was ist eigentlich... mit deinen Eltern?“ Er sah sie kurz an. „Lani und Zantis haben mich adoptiert... als ich zwei war... sie waren damals so alt wie ich jetzt bin... ich kenne meine Eltern garnicht... vielleicht wollten sie mich loswerden...“ meinte Coran. Er sah Osea an. „Sag jetzt nicht kann ich verstehen!!“ Osea lachte. „Und was ist mit Lani und Zantis?“ fragte sie dann, „Was ist mit ihren Eltern??“ Der blonde Junge seufzte wieder. „Also... Zantis ist von zu Hause abgehauen, als er fünf war, weil seine Eltern sich nie richtig um ihn gekümmert haben, sie haben sich nichtmal darum gekümmert, ihn wiederzufinden. Damals traf er dann auch Lani, sie hat ihn mit zu sich genommen. Lanis Eltern haben sich geschieden, als sie vier war. Ihre Mutter war so traurig und verzweifelt deshalb, dass sie sich ein Jahr später von den Klippen gestürzt hat...“ Osea schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „W-wie furchtbar!!“ „Ja...“ machte Coran betrübt, „Danach waren Lani und Zantis also ganz allein. Sie gingen nur das erste Jahr noch zur Schule, danach fingen sie an, zu arbeiten, um Geld zu verdienen... Lani wollte nicht in ihrem Elternhaus bleiben, in dem so viel Unglück passiert war... früher ist ihr kleiner Bruder bei der Geburt gestorben, das ist auch der Grund, weshalb die Eltern sich getrennt haben! Nach etwa drei Jahren hatten sie dann genug Geld, um ein kleines Haus zu kaufen, das Haus, in dem wir auch bis vor kurzem noch gewohnt haben – bis ihr kamt.“ „Alle hier haben so schreckliche Sachen erlebt!“ schluchzte Osea, „Ich meine – Ziddys Eltern sind tot. Sianas Vater ist tot und ihre Mutter wird kontrolliert! Liona hat außer ihren Eltern auch alle Verwandten verloren! Genau wie Lili, sie hat außer Ziddy niemanden... und Nadaiya ist in einer extrem armen Familie aufgewachsen, weil ihr Vater nicht genug Geld auftreiben konnte, um die dreizehn Kinder zu ernähren, mussten sie klauen gehen. Der Vater war sogar mal drei Jahre im Gefängnis, weil er erwischt wurde! – Zid hat mir erzählt, Vento hätte mal einen Bruder gehabt, der als Kind bei einem Reitunfall gestorben ist...“ Coran weitete die Augen. „Echt jetzt?!“ „Zenta und Tiras...“ murmelte Osea dann und stutzte. „Zu denen fällt mir nichts ein! Wobei ich mir sicher bin, dass Zenta auch irgendwas durchgemacht hat, was keiner weiß, außer Ziddy vielleicht! So, wie der drauf ist, hat der doch als Kind irgendwas furchtbares erlebt!“ Coran nickte. „Warum sonst sollte er so ein Psychopath geworden sein? – Vielleicht hängt es mit Ziddys Eltern zusammen? Scheint ja, als hätte Zenta Ziddys Familie sehr gemocht...“ Das Mädchen runzelte die Stirn. „Stimmt! Ob ich Zid mal fragen sollte...?“ Nadaiya saß völlig versteift auf dem Waldboden an dem kleinen Lagerfeuer, das sie gemacht hatten, als sie sich auf einer kleinen Lichtung zur Ruhe gesetzt hatten. Sie hatte sich geirrt, Zenta war doch nicht freundlicher geworden. Seit dem Gespräch am Nachmittag hatte er kein Wort mehr mit ihr gesprochen. Jetzt saß er ihr gegenüber und polierte in aller Ruhe und Feinarbeit jedes seiner Messer einzeln. Nadaiya blickte auf einen Haufen fertig blitzblank polierter Messer und einen Haufen noch blutverschmierter Messer. „Willst du mich jetzt den Rest des Tages anschweigen?“ fragte sie irgendwann, „Wieso redest du nicht mit mir?“ Er sah auf. „Weil du nervst,“ gab er zu hören und polierte weiter sein Messer. Wieder Schweigen. „Darf ich dich... was fragen?“ flüsterte sie dann, und er antwortete nicht, so beschloss sie, einfach loszulegen. „Du hast gesagt... um so töten zu können wie du es tust – muss man... vergessen, ein Mensch zu sein... und ein Dämon werden. Wie... hast du das gemeint?“ Er sah nicht auf, hielt aber kurz beim Polieren inne. Als er damit fortfuhr, murmelte er: „Das ist zugegeben eine sehr intime Frage, Nadaiya. Ich weiß nicht, ob ich mit dir darüber sprechen möchte.“ Sie sah ihn erstaunt an. So friedlich heute? Und er hatte sogar ihren Namen gesagt! „Ich werde dich nicht zwingen,“ lachte sie leise, „Es ist nur, ich – denke seit gestern nur darüber nach...“ Langes Schweigen. Schließlich seufzte er, legte das Messer, das er fertig poliert hatte, weg und nahm ein neues vom schmutzigen Haufen. „Ich bin ja nicht so geboren worden,“ sagte er zu ihr, ohne sie anzusehen, „Ich habe erst mit neun oder zehn Jahren angefangen, so zu denken. Angefangen, meine... Menschlichkeit zu vergessen. Das hat diverse Gründe. Aber du wirst sie nicht verstehen...“ „Vielleicht ja doch!“ sagte sie, „Bitte...“ Der Junge seufzte wieder. „Ich habe mir damals vorgenommen, so zu werden,“ meinte er, „Das war meine Absicht. Ich wollte meine Menschlichkeit vergessen, weil ich das können wollte... dieses kaltblütige Töten.“ Sie sah auf. „Hattest du... kein schlechtes Gewissen?“ „Doch, am Anfang natürlich,“ gab er zu. „Es war nicht leicht... ganz und garnicht leicht. Zuerst habe ich geglaubt, es wäre falsch, was ich mache. Aber dann ist mir irgendwann klar geworden, dass das meine Bestimmung ist.“ „Darf ich nach den Gründen für diese Entscheidung fragen?“ fragte sie zaghaft. „Warum – wolltest du das können?“ Jetzt hob er den Kopf. „Das geht dich wirklich nichts an.“ Sie schwieg, sah ihn aber dennoch etwas enttäuscht an. Aber was erwartete sie? Wenn es für ihn wirklich so intim war... Sie war erstaunt, als er dann doch sprach: „Naja, also... du weißt vielleicht, dass ich Zitans Mutter am Sterbebett versprochen habe, Zitan immer zu beschützen. Nun, damals waren wir beide acht. Später habe ich gemerkt, ich konnte ihn nicht beschützen. Ich war klein, schwach und konnte nichts Großartiges. Wenn man nur gut in der Schule ist, kann man damit niemanden beschützen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, stark zu werden, um mein Versprechen immer einhalten zu können.“ Er nahm erneut ein neues Messer. Nadaiya sah ihn fasziniert an. „D-du tust das alles nur... nur für Ziddy? Alles für ihn? Du hast für ihn... deine Seele getötet?“ Sie keuchte. „Du musst ihn ja... wirklich sehr lieben...“ Er seufzte wieder. „Es geht dich zwar nichts an, aber... Zitan ist schon immer derjenige gewesen, der mir am allermeisten bedeutet hat. Er war quasi mein Ein und Alles. Ohne Zitan war ich verloren. Das ist mir klar geworden in den zwei Jahren Krieg, als er weg war. Ohne ihn konnte ich nichts. Deshalb ist mir dieses Versprechen an seine Mutter nochmal doppelt wichtig...“ Nadaiya nickte einsichtig. Zenta seinerseits polierte weiter seine Messer. Es gab aber noch einen zweiten Grund, wieso er seine Seele quasi verkauft hatte – und ein Teufel geworden war. Ein Teufel ohne Gefühle, der jeden töten konnte. Aber diesen Grund würde er Nadaiya bestimmt nicht nennen. Er dachte voller Widerwillen an seinen Vater und an die zahlreichen Schläge und den Rohrstock. Er dachte an den Tag, an dem er geglaubt hatte, sein Vater würde ihn zu Tode prügeln. An den Tag, an dem er wie ein hilfloses, eingeschüchtertes Beutetier vor dem Jäger am Boden gekauert hatte und wegen der vielen, blutenden Striemen in seinem Gesicht kaum noch hatte sehen können. Und er dachte an die Schule – an die törichten Klassenkameraden, die keine Ahnung hatten von den Magiern. Sie waren über die Mesumanier hergezogen und hatten ihn ausgelacht und gemobt, weil er die Magier immer verteidigt hatte. Als Zitan in die Schule gekommen war, hatten sie vertuscht, wer er wirklich war. Und Zenta hatte sich geschworen, sich niemals wieder von jemandem herumschubsen zu lassen und den Dumpfbacken eine Lehre zu erteilen. Als er die zwei Jungen mit exakt geschickten Messerwürfen getötet hatte, hatte kein Mensch es mehr gewagt, ihn zu hänseln oder sich mit ihm anzulegen. Sein Vater hatte es nicht mehr gewagt, ihn zu verprügeln. Aber er hatte sein Kind seine Torheit und die Strafe für das Töten der Jungen spüren lassen. Er hatte ihm fortan die kalte Schulter gezeigt und war nie wieder ein Vater für ihn gewesen. Und er hatte versucht, sein Kind zu lehren, die Moral zu schätzen, die er schätzte. Er ist ein Narr... murmelte Zenta zu sich selbst und polierte weiter sein Messer. Sein Vater hatte ihn immer spüren lassen, dass er schwach war. Schwächer als Zitan. Schwächer als die Magier, die gut gewesen waren. Und Zenta hatte Zitan eine Weile lang so tierisch um sein Dasein als Magier beneidet, dass er ihn fast wie die Pest gehasst hatte. Er hasste sich selbst dafür, zu den törichten Menschen zu gehören, die er nicht leiden konnte. Und weil er sie nicht leiden konnte, war es für ihn noch doppelt einfach, sie zu töten. Er war ein Monster. Ein Killer. Nadaiya sah ihn groß an, weil er schon lange innehielt. „Was ist?? Alles okay?“ fragte sie, und er sah sie ebenfalls kurz an. „Nerv mich nicht,“ murmelte er und fuhr mit dem Polieren fort. „Was willst du eigentlich von mir?! Wieso willst du sowas von mir wissen? Was interessiert dich der Kram, Nadaiya?!“ Sie sah ihn groß an. „Ich wollte... gerne verstehen, was... das für eine Hölle ist, die du durchlebst, wie du gesagt hast,“ gab sie zu, und er stutzte. Eine Hölle – ja... mein Leben ist echt die Hölle. „Das brauchst du nicht,“ meinte er dann knapp. „Sieh es ein, Nadaiya, und vergiss dein Vorhaben, mich um Verzeihung zu bitten!“ „Wer hat gesagt, dass ich dich um Verzeihung bitten will?“ fragte sie, und er sah überrascht auf. Sie sah ins Feuer. „Du wirst mir das nicht verzeihen können, was ich mit dir gemacht habe,“ meinte sie, „Ich habe dir das Herz gebrochen.“ „Tss,“ machte er schnippisch. „Nein, du hast meine Hölle noch ein bisschen verschlimmert! Du hast mit mir gespielt! Und ich kann es nicht haben, wenn man mit mir spielt! Du hast mir meine Schwäche gezeigt, dafür hasse ich dich!“ „Deine Schwäche... huh?“ machte sie dann, „Du wirst auch nicht stärker, wenn du der Wahrheit nicht ins Auge siehst.“ Er starrte sie an. „Was für einer Wahrheit??!“ zischte er, „Du musst gerade die Klappe aufreißen, du bist viel schwächer als ich!!“ Nadaiya nickte. „Ja, das ist wohl wahr! – Der Wahrheit, dass du verdammt nochmal einen Menschen brauchst, der für dich da ist...“ Er legte das Messer weg und richtete sich halb auf. „Wie bitte??“ fragte er entsetzt, „Du denkst, ich wäre einsam, oder so?? Du kennst mich nicht, Nadaiya!! Du hast keine Ahnung von mir!!“ Sie krabbelte um das Feuer herum zu ihm herüber. „Vielleicht nicht!“ zischte sie, „Aber wir könnten das ändern, Zenta... – okay. Du hast Ziddy! Aber Ziddy hat jetzt Siana, was machst du dann? Du tust nach außen immer so, als wären dir alle egal, aber ich weiß, dass dir nicht alle egal sind! Du hast nur Angst, dich jemandem zu öffnen, weil du denkst, du würdest verletzt werden!...“ Er lachte bitter und schielte sie an. „Ja, und wie man bei der Geschichte mit dir sieht, habe ich ein gutes Recht dazu, oder?“ Jetzt sah sie ihn groß an. „Ich möchte dich niemals wieder verletzen,“ flüsterte sie, „Auch, wenn du so eine harte Schale hast, ich weiß... dass du einen ganz weichen Kern hast. Das ist ein Gefühl, Zenta... wenn ich dich ansehe, sehe ich dieses Misstrauen gegenüber allen Menschen... sehe ich diese Furcht davor, wieder-... verletzt zu werden... und ich habe mit der blöden Wette diesen weichen Kern getroffen und verwundet...“ Je länger sie redete, desto ungläubiger sah er sie an. War das echt die Nadaiya, die er kannte? Seit wann besaß sie eine so gute Menschenkenntnis? Seit wann konnte sie sehen, was er fühlte? Er fühlte sich plötzlich ausgeliefert und wich deswegen zurück. „B-bleib mir vom Leib!“ keuchte er, „Ich – fühl‘ mich gerade etwas bloßgestellt, klar?!“ Sie nickte. „Ich weiß-...“ „Lass es!“ keuchte er, sie anstarrend, „Sich jemandem zu öffnen, macht mich schwach!! Ich habe gemerkt, dass du meine Schwäche warst, und ich bin gnadenlos eingesunken, als du mit der Wahrheit rausgerückt bist! Deshalb werde ich mich niemals wieder einem Menschen öffnen!“ „Du irrst dich!“ meinte sie energisch, „Sich anderen zu öffnen, kann einen auch stark machen! Diese Gefühle... Zuneigung und Liebe können einen auch stärken! Du musst es nur zulassen... du musst zulassen, dass dich jemand liebt... das gibt dir auch eine Form von Stärke, ehrlich!“ Verdutzt blickte er sie an, während sie näherkam und dann genau vor ihm hockte. „Was redest du für Unsinn?“ fragte er, zu seiner eigenen Überraschung sanfter, als er vorgehabt hatte, „Das sind Märchen, die du erzählst.“ „Darf ich dir zeigen, was ich meine?“ fragte sie, „Darf ich versuchen, es dir zu beweisen?“ Zenta blickte sie immer entsetzter an, sagte aber nichts. Auch nicht, als sie sich ihm weiter näherte und langsam die Augen schloss. Es war mehr instinktiv, dass er seine Augen auch schloss und es tatsächlich zuließ, dass sie ihn zärtlich auf den Mund küsste. Überrascht öffnete er den Mund etwas und gewährte ihrer Zunge den Eintritt. Dieser Kuss unterschied sich von allen anderen. Er war viel sanfter und zärtlicher. Und er spürte statt der üblichen Mordlust, die er sonst beim Küssen gespürt hatte, etwas Warmes in sich aufsteigen, als ihre Zungen sich berührten. War das die Liebe? Von ihr ging, anders als sonst, keinerlei Lüsternheit aus, sie war einfach nur zärtlich zu ihm und hob vorsichtig die Hand, um seine Wange zu berühren. Er gab nach und erwiederte ihren Kuss. Den ersten Kuss, den sie teilten, ohne dass er ein Messer an ihre Kehle hielt... ______________________ XDDD wow, was ist DAS?!! XDD ein freundlicher Zenta??! XDDD Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)