Eikyû - gesegnetes Land von Alaiya (Die Legende der schlafenden Götter) ================================================================================ Kapitel 27: Die Hauptstadt -------------------------- Kapitel 27: Die Hauptstadt Unschlüssig sah Fukuro auf die dreckige und matschige Straße vor ihnen. Natürlich war es von vornherein klar gewesen, dass es so ausgehen würde, aber er hatte zumindest Hoffnung gehabt, dass man ihnen zuhören würde. Was war er doch für ein Narr! So zu denken war naiv gewesen – naiv und dumm. Er sah zu Yuki, die ihre Beine an den Körper gezogen neben ihm saß. Zumindest fror sie nicht so wie er – solange sie es sich nicht einbildete. Und Shen? Dieser war schon vor ein oder zwei Stunden, noch bevor die Sonne untergegangen war, mit seiner Wolke verschwunden. Enttäuscht, empört, war er einfach davon geflogen – wohin wusste auch Fukuro nicht. Doch im Moment konnte er sich darum auch nicht kümmern. Viel wichtiger war, dass er für sich und Yuki ein Nachtlager würde finden müssen, nur wo war die Frage. Da es mittlerweile dunkel war, war auch die Temperatur abgefallen und er sah, wie sich Wölkchen kondensierten Atems vor seinem Mund bildeten. Die Nächte wurden unaufhaltsam kälter und wenn sie keine Unterkunft fanden… Zumindest er konnte jede Nacht erfrieren! Er rieb sich die geröteten Hände und verfluchte es, dass sie nun hier und vor allem, dass sie alleine waren. Er wusste nicht wo Shen war und er wusste auch nicht, wie es Tsuki und dem seltsamen fremden ging. Und es war eine Verschwendung überhaupt darüber nachzudenken, denn wissen konnte er es ohnehin nicht. Vielleicht hätte er doch auf Yuki hören und nach Namikuni zurückkehren sollen. Auch wenn er selbst dort nicht hätte viel tun können. Dort hätte er zumindest ein Dach – wenngleich das Dach einer Ruine – über dem Kopf gehabt und aus den Trümmern der anderen Häuser hätten sie sich ein Feuer machen können. Da wehte eine heftige Böe durch die Gasse, an deren Rand sie auf ein paar Steinen saßen. Der Wind ließ Fukuro, dessen Kleidung ohnehin feucht war, frösteln, so dass Yuki ihn schließlich ansah. „Vielleicht sollten wir weitergehen“, meinte sie leise. Er nickte. „Ja…“, murmelte er. „Auch wenn ich nicht weiß, wohin wir gehen sollten.“ Ernüchtert sah er zum stockfinsteren Himmel, der von Wolken, die nur als dunkle Schemen zu erkennen waren, verhangen war, so dass man weder Mond noch Sterne sehen konnte. Dann stand er auf. „Glaubst du, dass sie wirklich kommen?“, fragte Yuki unschlüssig, während sie ihm folgte. Kurz schwieg er. „Ich weiß es nicht. Aber… Wenn können wir wohl nichts mehr tun.“ Daraufhin erwiderte sie nichts. Wie auch in den anderen Städten, durch die sie während ihrer Reise gekommen waren, zog Yukis weißes Haar einige feindselige Blicke auf sich, während sie zwischen den spärlichen Häusern in Richtung Stadtrand gingen. Die Gegend hier war nicht bergig, aber felsig. Vielleicht würden sie außerhalb der Stadt eine Höhle finden, hoffte Fukuro, während eine erneute Böe ihn wieder frösteln ließ. Ichimori lag an einem Fluss, der zum Meer führte, was wahrscheinlich der Grund für den kalten Wind war. Vielleicht war es jedoch auch nur der Winter, der sie bereits erreicht hatte. So in Gedanken versunken und steif vor Kälte bemerkte Fukuro den Mann in Rüstung nicht, ehe er beinahe mit ihm zusammenstieß. Um genau zu sein waren es sogar zwei Männer, die sich ihnen scheinbar absichtlich in den Weg gestellt hatten – beide mit derselben Rüstung bekleidet, wie die Wachen, die sie am Stadttor gesehen hatten. „Das sind sie“, stellte der stämmige Mann, der sich nun Fukuro am Arm schnappte, fest. „Was?“, stieß dieser aus, während der zweite Wachmann den ersteren unschlüssig ansah. Yuki hatte schneller reagiert als ihr Bruder und war zurückgewichen, unsicher zwischen Fukuro und den beiden Soldaten hin und herschauend. Sie konnte beide problemlos aus dem Weg schaffen, doch da schüttelte Fukuro den Kopf. „Lass“, flüsterte er, da ihm – trotz seiner von Kälte und Hunger bedingten Schwerfälligkeit – ein Gedanke gekommen war. Die Wachen hatten sie gesucht… Und dafür konnte es nur zwei Gründe geben: Entweder hatte man Yuki gesehen und den Wachen gemeldet, oder jemand anderes war ihnen bereits über den Weg gelaufen und hatte von ihnen erzählt. In zweiten Fall hatte sich dieser jemand entweder etwas dabei gedacht oder brauchte ihre Hilfe. Beides ein Grund mit den Wachen zu gehen, zumal Yukis Magie zu viel Aufsehen erregen würde und gleichzeitig jedoch auch eine Versicherung war, selbst aus einem Gefängnis entkommen zu können. Vielleicht riskant, aber auch nicht riskanter als eine Nacht bei Frost draußen zu verbringen. So schnell würde man wohl nicht versuchen sie zu töten – sonst wären die Wachen nicht zu zweit und hätten es bereits versucht. Oder? Fukuro holte tief Luft. Zumindest war es eventuell eine Möglichkeit die Nacht in einem Gebäude zu verbringen und vielleicht sogar etwas zu essen zu bekommen. Denn selbst wenn Yuki nicht wie er fror – er wusste, dass auch sie hungrig war. Trotzdem zögerte sie und starrte ihn an, ehe der andere Wachmann sie vorsichtig, ganz so, als könnte er sich an ihrer Haut verbrennen, packte und ihre Hände hinter dem Rücken fesselte, während es sein Kollege mit Fukuro nicht anders machte. Noch immer unsicher begann sie dann, die beiden „Gefangenen“, in eine Richtung, wieder zur Mitte der Stadt, zu zerren. Nun, die Situation war anders als Fukuro gedacht hatte. So seltsam es klang, sie war besser. Denn das Gefängnis, zu dem sie gebracht wurden, war keine hundert Fuß vom Palast Ichimoris entfernt und nur eine etwas mehr als mannshohe Mauer von diesem getrennt. Und selbst wenn Fukuro Shen nie zugetraut hätte, dass dieser soweit dachte, stellte er bald fest, dass der junge Mann aus Pengguo tatsächlich in der Zelle war, in die man sie brachte. Nur Yuki hatte man von ihm getrennt und Fukuro hoffte, dass man weder ihr was tat, noch sie die Geduld verlor und sich selbst befreite. Ein halbherziges Grinsen lag auf dem Gesicht Shens, als man Fukuro – noch immer gefesselt – in den Raum stieß. „Was…“, flüsterte der Ninja, der sich nur wenige Momente nachdem die Tür geschlossen war, von seinen Fesseln befreit war, da der Wachmann seine Arbeit nicht sonderlich gründlich gemacht hatte. „Vielleicht können wir so zumindest mit dem sprechen, den wir sprechen wollen“, meinte der Krieger aus Pengguo mit gesenkter Stimme, der mit seinen Fesseln nicht so viel Glück hatte. Soviel hatte Fukuro bereits verstanden. Immerhin hatte man sie – natürlich! – bereits am Tor zum Inneren Ring der Stadt abgewiesen. Erstaunlich gründlich dafür, dass ein Verbrecher jede Nacht über den bildlichen Zaun zum Fürsten klettern könnte, um diesen umzubringen. Aber nein, so etwas fürchtete man augenscheinlich nicht. Dafür war die Stadt allgemein zu wenig bewacht. Von dem Elend das in anderen Teilen des Reiches herrschte, war hier nicht viel zu spüren, selbst wenn die Häuser kleiner und bescheidener waren, als die in den Dörfern. „Wir kommst du hierher?“, fragte Fukuro, während er sich nun an den Fesseln des anderen zu schaffen machte. „Man hat mir keine Schale Reis gegönnt“, erwiderte Shen nur, was wohl heißen sollte, dass er versucht hatte zu stehlen. Der junge Ninja sah ihn an. Immerhin schien Shens Stimmung nicht so schlecht zu sein, wie in den letzten Wochen, seit sie aus Pengguo zurück waren. Weil sie dort waren, wo er von Anfang an hätte hingehen sollen? Vielleicht… Doch Fukuro scheute sich, danach zu fragen. Stattdessen fuhr er fort und löste die Fesseln aus Hanfseil, ehe er zur Tür der Zelle sah. „Danke“, murmelte Shen und rieb sich die Hände. Dann folgte er dem Blick des Ninjas und zuckte mit den Schultern - scheinbar um diese zu lockern. „Und hast du schon eine Idee, wie wir genau dahin kommen, wo wir hinwollen?“ Sein Gesicht sah im fahlen Licht amüsiert aus, aber vielleicht irrte sich Fukuro auch. Er lehnte sich nun an die Wand und dachte nach. Sicher war er sich nicht, ob es die beste Methode war die Aufmerksamkeit des Fürsten zu erregen. Doch dafür wusste er ziemlich genau, dass es kaum eine andere Möglichkeit gab. Was sollten sie jetzt schon noch anderes machen? Im Gefängnis sitzen bleiben konnten sie nicht - nicht, solange die Oni jeden Tag das Land angreifen konnten. Er wollte nicht hier und vor allem nicht unbewaffnet sein, wenn das passierte. Und wenn sie einfach flohen, würden sie wohl nie wieder eine Möglichkeit bekommen den Fürsten zu sprechen. Entweder also flohen sie so unauffällig wie möglich von hier und drangen dann in den Palast ein, oder sie kehrten nach Namikuni zurück und warteten darauf, dass der Winter vorbei war. Er seufzte leise und rieb sich mit einer Hand die linke Schläfe, da die Müdigkeit ihm leichte Kopfschmerzen bereitete. „Wir müssen versuchen so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf und zu ziehen.“ „Zieht es nicht immer Aufmerksamkeit auf sich, wenn 'Gefangene' fliehen?“, erwiderte Shen und hob eine Braue. „Vor allem wenn einer von ihnen nicht einmal menschlich ist.“ Er musterte den anderen, der momentan nur froh war, das sie zu zweit in der Zelle waren und nicht darauf achten mussten nicht von anderen Gefangenen belauscht zu werden. „Ja, tut es...“, gab er zu und sah zu Tür. Sie war sicher verriegelt und er wusste nicht genau, wie viel Kraft es kosten würde sie zu öffnen. Soweit er gesehen hatte, als man ihn herbrachte, waren es einfache Balken, die die Türen geschlossen hielten. Nicht wirklich sicher, aber genug, um eine Tür die Innen keinen Griff hatte geschlossen zu halten. Shen musterte ihn. „Was ist?“ „Ich denke nach“, murmelte er. „Solange niemand die Türen öffnet, wird es schwer hier heraus zu kommen.“ „Wir könnten auch einfach darauf warten, dass deine Schwester uns befreit“, schlug der Wolkenkrieger vor. „Das wäre gefährlicher, als wenn wir sie befreien... Wenn sie sich wehrt... Die Menschen würden sie töten.“ Erneut zuckte Shen mit den Schultern. Dieses Mal wohl nicht, um sie zu lockern. „Und du glaubst, dass es uns besser ergeht, wenn wir von hier fliehen.“ Fukuro schüttelte den Kopf. „Nein, jedenfalls nicht, wenn wir versuchen mit dem Fürsten zu sprechen.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, während sie noch immer an die kalte Lehmwand gelehnt saßen. Es gab vielleicht eine Möglichkeit, wenn die Wachen naiv genug dafür waren - was jedoch nicht unwahrscheinlich war, so grob wie die Stadt bewacht wurde. „Versuch die Tür einzutreten“, meinte er dann zu Shen. Dieser sah ihn verwirrt an. „Wieso?“ Er wusste genau so gut wie Fukuro, dass das Gefängnis so unsicher nicht sein würde, als dass die Türen aus Holz gemacht wären, das man so einfach zerstören könnte. „Versuch es einfach“, erwiderte Fukuro. „Und du?“ Sie sahen sich für einen Moment an, doch dann zuckte Shen noch einmal mit den Schultern und sein Gesicht nahm wieder denselben gleichgültigen Ausdruck an, wie zuvor in der Stadt, als sie sich trennten. Er stand auf, ging auf die Tür zu und versetzte ihr einen Tritt, während Fukuro die Hände zusammenlegte. „Kieyo“, murmelte er und hoffte, dass die Technik zumindest reichte, um die Wache für einen Augenblick zu verwirren, auch wenn sie ihn hier - in einem geschlossenen Raum - wohl nicht ganz verbergen konnte. Erst geschah nichts und Shen trat erneut gegen die Tür. Wieder nichts. Nichts rührte sich und natürlich öffnete sich die Tür auch nicht. Fragend sah der Wolkenkrieger sich um, entdeckte seinen Gefährten im ersten Moment jedoch nicht. Dann jedoch sah er ihm doch ins Gesicht. „Was jetzt?“ Er hatte ganz offenbar nicht verstanden, was der Ninja getan hatte. Vielleicht war es auch besser so, denn so würde es leichter fallen die Wachen zu täuschen - sollten sie sich wirklich herlocken lassen. „Mach weiter“, erwiderte Fukuro ruhig. „Warten wir, dass jemand kommt.“ „Also willst du jemanden herlocken?“, fragte Shen nicht sonderlich begeistert. „Ich fürchte, dass wir keine andere Wahl haben, hier heraus zu kommen, wenn wir uns nicht auf Yuki verlassen wollen“, antwortete Fukuro und sein Ton sagte, dass es nicht das war, was er wollte. Also schwieg der andere nur, ehe er sich der Tür zuwandte und plötzlich, selbst für Fukuro überraschend, einen lauten Schrei ausstieß. Immer noch blieb es ruhig und Shen schrie erneut auf, fast so, als würde er unter starken Schmerzen leiden. Dabei würde ihnen das kaum jemand glauben, denn es war eine Methode, die sicher schon vor ihnen Gefangene versucht hatten anzuwenden, um zu entkommen. Doch tatsächlich erklangen nach einem dritten Schrei fast wütend klingende Schritte auf dem Gang und einen Moment später war eine Stimme von draußen zu vernehmen. „Seid ruhig“, schnauzte jemand ungehalten und scheinbar auch etwas betrunken, da die Worte nicht wirklich artikuliert klangen. „Was macht ihr für einen Radau?“ Die Antwort war nur ein weiterer Schrei, gefolgt von einem Wimmern. „Sei endlich still!“, befahl eine weitere Stimme von draußen. Scheinbar war das Gefängnis nicht sonderlich voll. Wahrscheinlich war es ohnehin nur ein Zwischenlager, ehe man Gefangene entweder tötete oder fortbrachte, wo sie die Ruhe der Stadt nicht mehr stören konnten. Nur ein weiterer stöhnender Schrei kam von Shen, ehe schließlich jemand etwas über das Holz zerrte. Solche Dummköpfe, dachte Fukuro. Ein Ausbruchsversuch - so hatte er zumindest gedacht, hätte überzeugender gewirkt, sollte es den Leuten hier doch Recht egal sein, ob ein Gefangener schrie und litt, oder nicht. Immerhin waren sie nicht mehr als Gefangene. Die Tür öffnete sich und zwei stämmig gebaute Männer waren zu sehen. Und schon ihr Geruch verriet, dass sie etwas zu viel Sake getrunken hatten. Vielleicht der Grund für ihre Naivität, vielleicht waren sie aber auch einfach nur dumm. Zumindest nahmen sie ihre Arbeit nicht ernst, sonst hätten sie nicht getrunken. „Was schreist du, Junge?“, fauchte der eine - ein langhaariger, unrasierter Mann mittleren Alters - und trat auf Shen zu, der einfach vor ihm stand. „Willst du mich wütend machen.“ Auch der andere schien nicht sonderlich freundlich, zumal sie nun ja sahen, dass es ihrem Gefangenen gut ging. Doch dass noch etwas anderes nicht stimmte, merkten sie zu spät. Erst als Fukuro bereits hinter ihnen und auf dem Gang vor der Zelle stand, bemerkte der andere, jüngere Wachmann: „Sie waren zu zweit...“ Doch ein weiteres Wort viel nicht, ehe Fukuro erst dem älteren und dann dem Jungen jeweils einen Schlag gegen den Hinterkopf versetzte. Natürlich reichte es nicht, um die beiden auszuschalten, doch es war bei weitem genug, um ihre Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken. Der Ältere der beiden hatte mehr Erfahrung und ging trotzdem unüberlegter vor, als er versuchte ihn sich zu schnappen, während sich dem anderen ein Hanfseil, mit dem Shen zuvor gefesselt war, um den Hals legte und ihm die Luft abschnürte. Der Ältere krümmte sich einen Moment aufstöhnend zusammen, als Fukuros Fuß ihn zwischen den Beinen traf. „Du...“, knurrte der Mann. Doch viel mehr konnte er nicht sagen, ehe ihn Fukuros Fuß an der Schläfe traf und er im nächsten Moment bewusstlos zur Seite kippte. Auch seinem Kollegen ging es nicht anders. Er lag ohnmächtig und etwas unregelmäßig atmend in der Zelle, während Shen triumphierend neben ihm stand. „Hilf mir“, forderte Fukuro Shen auf, als er sich daran machte auch den anderen in die Zelle zu schaffen. Wenn die beiden nicht sofort Verstärkung rufen konnten, würde es ihnen einen Vorsprung verschaffen, selbst wenn sie ohnehin wohl erst einmal für eine Weile ausgeschaltet waren. Als die Tür schließlich wieder geschlossen war, wandte sich Fukuro um und sah in beiden Richtungen den Flur raus und runter. Es war überraschend ruhig, als hätte niemand etwas gehört, was ihm bei dem Geschrei, das Shen veranstaltet hatte seltsam vorkam. Waren sie etwa die einzigen hier? Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn, doch dann konzentrierte er sich wieder auf das wichtige. Sie mussten Yuki schnellstmöglich finden und dann versuchen in den Palast einzudringen oder von hier verschwinden. Nur hier stehen zu bleiben war die schlechteste Idee, was ihre Möglichkeiten anging. Noch einmal sah er sich um, ehe er in die Richtung ging, aus der die Wachen gekommen waren und aus der auch das Licht kam. Wahrscheinlich war dort der Aufenthaltsraum, in dem sie sich zuvor betrinken hatten. „Yuki?“, fragte er halblaut in die Leere, während er den Flur entlang lief. „Yuki?“ Wenn weitere Wachen im Gebäude waren, waren sie vielleicht schon auf sie aufmerksam geworden. Sie mussten seine Schwester so schnell wie möglich finden, doch das Gebäude, das wahrscheinlich mehr als nur ein Gefängnis war, war nicht besonders klein. „Yuki?“, begann nun auch Shen etwas lauter als der Ninja. Sie erreichten den kleinen mit drei Fackeln erhellten Raum, aus dem die Wachen gekommen waren. Er war spärlich eingerichtet, mit ein paar Schemeln und einem einfachen Tisch, hatte jedoch neben den Fackeln noch eine Feuerstelle, die das kleine Zimmer angenehm warm hielt. Außerdem stand ein Fass Sake in einer Ecke des Raumes. Damit hatten sich die beiden zuvor wohl betrunken. Zumindest trafen sie hier auf keine weiteren Wachen, jedoch waren auch ihre Waffen nicht hier. Sie mussten weitersuchen. Wenn sie würden kämpfen müssen, sähe es schlecht für sie aus, ohne Waffen. Doch zumindest Yuki würde sich währen können - so hoffte Fukuro zumindest. „Yuki?“ Von dem Zimmer ging im rechten Winkel zu dem Gang, aus dem sie gekommen waren, ein weiterer Korridor ab. Auch hier gab es Zimmer, doch die Türen dieser waren nicht mit Balken wie die der anderen verriegelt. Wenn Yuki nicht antwortete, würden sie wohl auch die anderen Zellen öffnen müssen - und noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Zumal es sicher nicht das Vertrauenserweckenste war, wenn sie zuvor alle Gefangenen der Stadt befreiten, dachte Fukuro grimmig. Aber er würde nicht ohne seine Schwester gehen. Die Reise war anstrengend genug für sie gewesen und sie hatte soviel für ihn riskiert. Schnell unterdrückte er das erneut aufkeimende Gewissen und sah sich in dem weiteren Flur um. „Yuki? Yuki?“ Kurz schwieg er, um zu lauschen, und tatsächlich hörte er ein Geräusch. Ein unartikulierter Laut, aber er kam von einem Mädchen oder einer Frau. „Yuki?“, fragte er und versuchte zu erkennen aus welchem Zimmer der Laut kam. Erneut war die Stimme zu hören und während Fukuro noch überlegte, welche Tür er öffnen sollte, war Shen schon durch die nächste gestürmt und stand in einem weiteren Raum. Wieder hörte Fukuro die Stimme und sie war dieses Mal eindeutig Lauter. „Yuki“, stellte Shen nun fest und kniete sich in dem Raum nieder, so dass nun auch der Ninja hinzutrat. Tatsächlich hatte der junge Mann aus Pengguo das Mädchen gefunden, dass geknebelt und an ein Bambusgestell gefesselt auf dem Boden saß. Bei ihr hatten sich die Wachen eindeutig mehr Mühe gegeben, als bei den beiden Männern zuvor. Wahrscheinlich, weil sie eine Schneefrau und ihre verfluchte Magie fürchteten. Ja, es war ein Glück, dass sie nicht sofort versucht hatten sie zu töten, gestand sich Fukuro ein und war nun ebenfalls bei ihr um ihre Fesseln zu lösen. Sogar ihre Beine und Füße hatte man gefesselt, doch hätte sie sich wirklich wehren wollen, hätte wohl auch dies den Wachen nicht viel gebracht. „Und was jetzt?“, fragte sie gereizt, als Shen den dreckigen Fetzen Stoff aus ihrem Mund entfernt hatte, mit dem man sie zuvor geknebelt hatte. „Wir brechen in den Palast ein“, erwiderte der Wolkenkrieger. „Was?“ Sie sah ihn irritiert an. Fukuro seufzte. Sie hatten seine Schwester wirklich wesentlich gründlicher gefesselt als ihn oder Shen. Er sah sich um und ging schließlich in den Wachraum zurück, wo er zuvor ein Messer auf dem Tisch liegen gesehen hatte. Es wäre wohl besser gewesen, hätten sie die beiden Wachen zuvor entwaffnet, aber er hatte nicht mehr Zeit als möglich verschwenden wollen, zumal sie mit den Waffen die Tür kaum aufbrechen würden können. So schnitt er nun, im Raum zurück, das Seil durch und befreite sie dann auch von den Fußfesseln, ehe sie schon einen Moment später vor ihm stand. „Wir sind hier, um mit dem Fürsten zu sprechen“, meinte Fukuro und richtete sich nun ebenfalls auf. „Also versuchen wir es zumindest.“ Das Mädchen verdrehte die Augen. „Und wie sollen wir das schaffen?“ „Wir brechen in den Palast ein“, erwiderte Shen. Ungläubig sah Yuki ihren Bruder an, doch dann seufzte sie und sah sich noch einmal in dem kleinen Raum um. „Was ist mit den Wachen?“, erkundigte sie sich dann. „Die Gefängniswachen schlafen gut“, meinte der Wolkenkrieger. „Und im Palast?“, fragte das Mädchen. „Der Fürst wird sicher nicht unbewacht sein.“ Natürlich nicht. Aber zumindest Fukuro und sie würden sich an ihnen vorbeischleichen können. Der Ninja sah zu Shen, an dessen Schleichfähigkeiten er zweifelte. Doch war er der eigentliche Bote. „Was ist mit unseren Waffen?“, fragte seine Schwester nun weiter. „Ich weiß nicht“, erwiderte Fukuro ehrlich. Damit wandte er sich ab und trat vorsichtig wieder auf den Korridor vor dem Zimmer hinaus. In beide Richtungen war es niemand zu sehen und zu linker Hand war nicht einmal Licht. Allerdings lag dort wahrscheinlich der Weg aus diesem Haus heraus, auch wenn Yuki wahrscheinlich Recht hatte und es das Beste war, wenn sie erst nach ihren Waffen suchten. Aber sie durften auch keine Zeit verschwenden. Fukuro seufzte leise. Außerdem wusste er nicht, ob und wie sie ohne Ausrüstung in den Palast eindringen sollten. Der Haupteingang war sicherlich bewacht und zumindest er selbst und Shen hatten noch immer mit den Wunden zu kämpfen, die sie von dem Kampf gegen die Kappa im Sumpf davongetragen hatten. Auf der anderen Seite hatten sie jedoch immer noch Shiyun - die Wolke Shens. „Was?“, fragte Yuki leise und angespannt und trat hinter ihn, da er noch immer halb in der Tür stand. „Unsere Waffen müssen hier irgendwo sein“, stellte er fest und ging nun ganz in den schmalen Korridor hinein. Dort sah er sich in beide Richtungen um und ging dann noch einmal zum Wachraum zurück. Allerdings blieb er vor diesem stehen und wandte sich nach rechts, wo eine weitere halb offene Tür war. Irgendwo hier wurden die Waffen, die sie Gefangenen abnahmen, aufbewahrt. Das hoffte er zumindest. Er öffnete die Tür vorsichtig und trat hinein. Da das Erdgeschoss des Gebäudes aus Lehm erbaut war, waren die Türen hier allesamt mit Scharnieren versehen, anstatt dass sie sich zur Seite schieben und so öffnen ließen. Ungewöhnlich, selbst für ein Gefängnis, wenngleich wahrscheinlich sicherer. Nur wenig Licht drang aus dem Aufenthaltsraum in die kleine Kammer, in der er nur stand, doch es reichte, um zu erkennen, dass ihre Waffen hier nicht waren. Dafür fand er hier jedoch zumindest Seil. Nicht viel, aber es würde ihnen vielleicht helfen. „Was ist?“, fragte nun Shen. „Lasst uns in den anderen Räumen nachsehen“, meinte Fukuro und rollte das unsauber und etwas verknotet daliegende Seil - es war vielleicht achtzehn Fuß lang - auf und legte es sich über die Schulter. Derweil öffneten seine beiden Gefährten schon zwei der anliegenden Türen, doch ein Seufzen verkündete, dass auch dort nicht war, was sie gebrauchen konnten. Drei weitere Türen grenzten an den Gang an, doch auch als sie diese öffneten fanden sie nichts außer zwei leere Räume und eine weitere Einzelzelle, wie die, in der sie Yuki gefangen hatten. „Wir gehen“, beschloss der Ninja so. „Aber...“, setzte seine Schwester an. „Es muss auch so gehen“, erwiderte er und trat aus dem Raum in einen recht dunklen, anliegenden Raum, an dessen von ihm aus rechten Ende jedoch eine Fackel zu erkennen war. Neben dieser war ein weiterer Gang, der soweit Fukuro sich orientieren konnte, Richtung Südwesten führte. Die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ja, er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn und Yuki hier hindurch gebracht hatten, obwohl man vermieden hatte, dass sie viel von ihrer Umgebung sahen. Trotzdem vertraute er auf das, was er noch erinnerte und wandte sich nach rechts. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren folgten auch Yuki und Shen, da selbst das Mädchen einsah, dass sie hier herausfinden mussten. Sie konnten nur hoffen, dass sie auf keine weitere Wache oder einen Soldaten trafen, denn Fukuro vermutete in Anbetracht der Treppe, die in der Mitte des durchquerten Raumes nach oben führte, dass es sich bei diesem Gebäude nicht nur um ein Gefängnis, sondern um eine Art Kaserne handelte. Jedoch verriet das Licht, das aus dem oberen, wahrscheinlich aus Holz gebauten Stockwerk kam, dass es dort wohnhafter war, als hier unten. Während sie dem ebenfalls recht engen Korridor folgte, drang der Geruch von Regen in Fukuros Nase und verriet ihm, dass sie dem Weg nach draußen nicht fern waren. Also beschleunigte er seinen Schritt, darauf achtend, dass Yuki und Shen dicht bei ihm blieben. Der Flur, in dem sie liefen, mündete in einen breiten Korridor, der sowohl nach links, als auch nach rechts abzweigte, doch die Kälte kam von links. Also wandten sie sich in die Richtung und rannten nun fast, als sie die offene Tür sahen. Erst als sie diese erreichten, stoppten sie ihren Schritt und sahen heraus – jedoch nicht vorsichtig genug. „Hey!“, rief ein Wachmann aus, der im kleinen, matschigen Hof der Kaserne stand und sah sie an, scheinbar erkennend, wen er da vor sich hatte. Auch ein zweiter, der an dem hölzernen Tor stand, das in der Mauer zwischen Stadt und Kaserne eingebettet war, wurde auf sie aufmerksam und kam nun auf sie zu. „Verdammt“, fluchte Fukuro leise, obwohl er damit gerechnet hatte, dass sie nicht ganz unbehelligt hier herauskommen würden. Immerhin war es eine Kaserne und die Stadt war zwar unzureichend, aber dennoch bewacht. Der erste der Wachmänner, ein stämmiger, junger, zog sein Schwert, während er auf sie zukam. „Was macht ihr hier?“ Fukuro konzentrierte sich. „Bai-ni su!“ Dabei musste er sich eingestehen, diese Techniken lange nicht mehr genutzt zu haben. Sicher, sie hatten auch gegen Dämonen gekämpft, die sich nicht so leicht täuschen ließen. Doch beiden menschlichen Wächter sahen ihn verwirrt an, als er und drei Abbilder seiner auf sie zukamen. Der eine reagierte und versuchte ihn mit seinem Schwert zu treffen, doch er duckte sich unter diesem weg und versetzte dem Mann einen gezielten Schlag gegen die Hand, die ihn dazu brachte, das Schwert fallen zu lassen. Ehe er weiter reagieren konnte, hatte Fukuro die nicht besonders gut gearbeitete Waffe in der Hand und versetzte seinem Gegner einen Schlag mit dem Knauf gegen den Kopf, die dem Wachmann das Bewusstsein kostete. Damit verschwanden auch die Abbilder wieder und er wandte sich zur zweiten Wache, die gegen Shen kämpfte. Als dieser den Soldaten zu Boden schickte, begann dieser auf einmal zu schreien. „Hilfe! Hilfe! Die…“ Mehr brachte er nicht heraus, ehe Yuki ihm einen Schlag gegen den Nacken versetzte. Ein Knacken war zu hören, ehe die Augen des Mannes fahl wurden und er einfach umkippte. „Yuki!“, rief Fukuro aus. Der Mann hatte nicht auf seine Deckung geachtet. „Was?“, erwiderte sie, doch er gab nur einen hilflosen Seufzer von sich. „Es ist nicht besonders vertrauenserweckenda, wenn man…“ Er brach ab und horchte auf. Die letzten Schreie des Mannes waren wohl gehört worden. „Wir müssen hier weg“, meinte Fukuro. Damit wandte er sich zu der Mauer, die noch immer ein ganzes Stück von ihnen entfernt war und sie von dem Palast trennte. „Lauft“, rief er den anderen beiden zu, als diese ihn nur ansahen. Damit sprintete er selbst durch den matschigen Hof und sprang kurz vor der Mauer hoch. Gerade genug, als das er mit den Händen den oberen Rand der Mauer zu fassen bekam und sich hochzog. Dabei zuckte er kurz zusammen, als die Wunde an seiner Seite unangenehm zog, doch damit war er schon oben – dicht gefolgt von Yuki, die jedoch wesentlich leichter als er hinaufgekommen war. Nur Shen… Doch da hörte er dessen Pfiff und im nächsten Moment landete der junge Mann auf der anderen Seite der Mauer, wohin sich auch Fukuro und Yuki fallen ließen, ehe die ersten Wachen in den Hof kamen. Somit standen sie vor dem gut zehn Schritt hohem Unterbau des Schlosses, beziehungsweise in dem umliegenden Garten. Zumindest war hier keine Wache in Sicht, doch wie lange das andauern würde, konnten sie nicht sagen. „Und jetzt?“, fragte Yuki mit angespannter Stimme. Sie blickte das recht hohe Gebäude hinauf, dessen Inneres sicher ein Irrgarten sein würde. Nun zuckte Fukuro mit den Schultern. Sie würden einen Aufgang finden müssen, ein Fenster oder einen Balkon, über den sie hineinkamen. Und sie das, bevor man hier nach ihnen suchen würde. Er fröstelte. Die Nacht war ziemlich kalt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)