Der Puppenspieler von abgemeldet
(Zwei Brüder und ihre Sorgen...)
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Kapitel 1:
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Der Puppenspieler
Kapitel 1 – Die Familie Muraki
>blablabla< = Gedanken von Saki Shido
= Gedanken von Kazutaka Muraki
/blablabla/ = Gedanken von Natsumi Muraki
Es war dunkel und kalt. Genau wie ER ihm immer wieder weiß machte. Er probierte
oft, die Augen zu öffnen, doch nur selten gelang es. Er hatte starke Schmerzen
und wenn er die Augen krampfhaft öffnete, stellte er jedes Mal enttäuscht
fest, dass es genauso dunkel war, wie zuvor. Mittlerweile war er 16 Jahre in
diesem Zustand. Woher er das wusste? Er selbst hatte keine Ahnung, wie viel Zeit
bereits vergangen war, aber Kazutaka Muraki hatte es neulich mal erwähnt. Was
heißt neulich – Auch das konnte bereits wieder Wochen her sein.
Saki Shido hatte es geschafft, den Zorn dieses Mannes auf sich zu ziehen. Dabei
hatte er damals nur helfen wollen. Er wollte nicht an diese Zeit denken und
verdrängte den Gedanken deshalb. Die Erinnerungen waren nur zusätzlicher
Schmerz. Allein das er noch am Leben war, war ein medizinisches Wunder. Sein
Herz wurde durch Impulse am Schlagen gehalten, was wieder rum die Atmung durch
die Lungen ermöglichte und seine Gedanken waren etwas vernebelt, aber
zweifelsohne funktionierte auch sein Gehirn einwandfrei. Eine Erklärung für
Sakis körperliche Schwäche war, dass seine Organe zwar funktionierten, aber
nur in dem lebenswichtigen Maße. Er würde also nicht am Versagen seiner Organe
sterben, aber er war auch nicht stark genug, um ohne Unterstützung leben zu
können. An manchen Tagen fühlte er sich richtig gut. Aber solche Tage waren
sehr selten. Nach eigenen Schätzungen vielleicht einmal jährlich. Die anderen
Tage waren leer und trist. Er konnte mit niemandem reden und der einzige, der
wusste wo er war, war der Mann, der ihn töten wollte.
>Wieso hat er es nicht schon längst gemacht? Sein einziges Ziel ist doch mich
zu töten. Oder hat er sich jetzt doch um entschlossen? Wahrscheinlich will er
sich nicht einfach mit meinem Tod zufrieden geben. Wahrscheinlich findet er es
sehr belustigend zu wissen, dass ich ohne seine Hilfe nicht existieren kann. Ich
brauche dringend Hilfe…aber woher…sollte ich die schon nehmen. Meine einzige
Chance ist Natsumi,…aber der wird sicherlich auch zu seinem Bruder halten. Ich
bin tot…jedenfalls fühle ich mich so…Absolut…verloren.<
Saki schloss die Augen wieder. Er hatte damals sein Leben aufgegeben und seine
Seele verkauft. Der Teufel hätte seine Seele gefressen und damit hätte er sich
nicht lange aufgehalten. Keine Qualen,…ein kurzes Ende. So hatte er sich das
damals vorgestellt. Dieses Mal konnte ihm der Teufel nicht helfen…Denn der
Teufel hatte seinen Meister gefunden, denjenigen, dem er nichts anhaben konnte.
Muraki würde lachen und den Teufel töten. Das wusste Saki und damit musste er
leben.
>Irgendwann wird Kazutaka mich aus diesem Teil befreien…<
Mit diesem Teil meinte er den Meditank, in dem er sich befand, damit er sich
schneller regenerieren konnte.
>Und das ist dann meine einzige Chance. Perfektionistisch wie er ist, wird er
mich nicht in diesem Zustand in die Hölle schicken wollen. Das wäre ihm zu
einfach. …Sein Stolz ist also meine letzte Hoffnung. Na großartig…Ich bin
erledigt…<
Er konnte sich nicht mehr zum Dachdenken aufrappeln und beschloss sich zu
erholen. Nach einer halben Stunde war er schon so gut wie eingeschlafen.
Kazutaka Muraki stand vor dem Meditank, indem sich sein Adoptivbruder Saki
befand. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er ging davon aus, dass
Saki ihn nicht bemerkt hatte. Aber das verwundete Muraki keinesfalls. Man konnte
in diesen Tanks die Hand vor Augen nicht sehen, selbst wenn der Status des
Menschen normal war.
Dieser Gedanke war für Kazutaka ein Genuss. Ihm war klar, dass Saki wusste,
dass er ohne Muraki nicht überleben konnte und das gab ihm ein Gefühl der
Befriedigung. Allein der Gedanken an das nahende Ende seinen „geliebten“
Bruders versetzte ihn in Freude. Durch Saki hatte Muraki seine Familie verloren.
Alle, bis auf seinen Zwilling, Natsumi, den er so liebte, wie sein Bruder ihn
liebte. Die beiden hatten sich als Kinder gegenseitig über die Verluste
hinweggetröstet, wobei Kazutaka der erwachsene von beiden war. Natsumi war
damals sensibler gewesen, was ihn nicht daran gehindert hatte sich
verschiedensten Sachen zu stellen. Mittlerweile war Natsumi kaum sensibler als
Muraki selbst. Sie waren beide Ärzte. Kazutaka hatte Transplantation und
Allgemeinmedizin studiert, während Natsumi sich auf Psychologie und
Krebsforschung spezialisiert hatte. Die Erfolge der beiden waren gut. Natsumi
hatte bislang keinen Patienten gehabt, dem er als Psychiater nicht helfen
konnte, und in der Krebsforschung hatte er nur wenige Patienten verloren. So
verlief es auch mit Kazutaka. Er war ein sehr beliebter Arzt. Sowohl im legalen
als auch im illegalen Geschäft.
Muraki schlug gegen das Glas des Tanks. Dann drehte er sich um und ging. Es
verlief jedes Mal so. Es war wie ein stilles Abkommen, sodass Saki wusste, dass
Muraki da gewesen war. Auch wenn er es meist lieber nicht wissen wollte.
Kazutaka verließ das Gebäude, in dem sich das Labor befand, in dem Saki sich
aufhielt. Er sicherte es wie jedes Mal und ging dann die Treppen hinauf, die in
den Park führten. Das Labor war schön abgelegen und galt als
einsturzgefährdet. Niemand würde also auf die Idee kommen dort nachzuschauen.
Genau, wie Muraki es gewollt hatte. Er drehte sich um und ging dann durch den
Park, die Straße entlang bis er schließlich zu Hause ankam. Nachdem er weitere
Treppen hinaufgegangen war, öffnete er die Haustür und trat ein.
„Natsumi? Bist du zu Hause?“ „Ja, ich bin in der Küche.“ Kazutaka zog
die Schuhe aus und folgte dann der Stimme seines Bruders in die Küche.
„Ach…mal wieder am Zeitung lesen? Du regst dich hinterher doch eh wieder nur
darüber auf, dass sie immer dasselbe schreiben. Warum liest du sie eigentlich
überhaupt noch?“ „Ganz einfach: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Das ist
nun mal so…außerdem brauch ich hin und wieder auch mal einen Grund um mich
aufzuregen. Dafür ist die Bild echt klasse…Aber ansonsten hast du recht.
Steht nur dasselbe drin, wie letzte Woche. Wahrscheinlich haben sie die Sätze
nur umgedreht und vertauscht. Na ja, was soll’s. Wo warst du denn?“
„Arbeiten, was wohl sonst. Einer meiner Patienten ist gestern ins Koma
gefallen. Ich musste noch den Papierkram mit der Familie regeln.“ „Ach so.
Und …alles gut gegangen?“ „Ja.“ Kazutaka ging in sein Zimmer, schloss
die Tür und legte sich aufs Bett. Er war sehr froh, dass sein Bruder so
gutgläubig war, denn Natsumi wusste nicht, dass Muraki Saki am Leben erhielt,
nur um ihn später mit eigenen Händen töten zu können.
Jetzt lächelte er wieder. Einmal im Monat hatte er diese Nachdenkphase. Einmal
richtig, aber zum Glück halt nur einmal. Muraki guckte aus dem Fenster.
Vollmond. Heute Nacht war wieder seine Zeit. Jeden Vollmond mordete er. Es
machte ihn stärker und ja, es machte ihm Spaß. Heute Nacht würde er also
wieder zuschlagen, aber zuvor sollte er sich ein wenig ausruhen. Er zog sich
die Decke über den Kopf und schlief nach 10 Minuten tief und fest.
Natsumi hatte sich wieder hinter der Zeitung verkrochen, nachdem Muraki in sein
Zimmer gegangen war. Es stand zwar nichts wirklich interessanten darin, aber es
lenkte ihn wenigstens eine kurze Zeit vom Alltagsstress ab. Er war ja nichts
gutes von der Zeitung mehr gewohnt, doch nach dreimaligem lesen wurde sie
endgültig langweilig…Er legte sie entnervt zur Seite und stand auf, um sich
einen Kaffee zu machen. Während der Kaffee durch den Filter lief, schaute
Natsumi gelangweilt aus dem Fenster.
/Mhh?/
An der Straßenecke stand ein Wagen. Das Fenster war heruntergekurbelt und ein
Mann saß am Steuer. Er war nicht sonderlich auffällig, aber Natsumis Augen
waren darauf trainiert, die Sachen zu beachten, die man auf den ersten Blick
nicht sieht. Das, was sich hinter dem Gesicht abspielt, war für Natsumi
entscheidend und die Seele dieses Mannes schien hinterhältig. Er wirkte, als
hätte er etwas geplant. Die Tatsache passte Natsumi auf irgendeiner Art und
Weise gar nicht.
Der Mann bemerkte, dass Natsumi ihn beobachtete. Er lächelte den Psychologen
an, was diesem wie ein Stich ins Herz vorkam und fuhr weg, nachdem er das
Fenster hochgekurbelt hatte.
/Dieser Mann…Irgendetwas hat er vor./
Natsumi schüttelte den Kopf und schenkte sich dann den Kaffee ein, der
mittlerweile durchgelaufen war. Er setzte sich an einen Tisch, kramte Bücher
raus und begann sich Notizen zu machen. In zwei Wochen musste er eine Vorlesung
halten. Eigentlich hatte er es mit zwei Doktortiteln nicht mehr wirklich nötig,
aber gerade deswegen hatte man ihn wohl darum gebeten. Es sollte ihn nicht
weiter stören. Berichte schreiben konnte er ganz gut. Das lag vielleicht daran,
dass er um einiges lieber welche schrieb als Kazutaka und somit die meisten
Berichte des Allgemeinmediziners von seinem Bruder verfasst worden waren.
/Die wird er diese Woche selber schreiben müssen. Ich glaube kaum, dass ich
dazu auch noch kommen werde./
Drei Stunden vergingen, bis Natsumi den Stift aus der Hand legte und die Brille
abnahm. Er hatte acht Seiten geschrieben, die er nun noch verbessern und sauber
abtippen musste. – aber nicht mehr heute. Sein Bruder war sicherlich schon auf
dem Weg und kurz davor seinen nächsten Mord zu begehen. Natsumi würde sich
jetzt also in Kazutakas Namen auf eine Versammlung begeben, was ihm ein
perfektes Alibi verschaffen wird. Nur für alle Fälle, versteht sich. Für
gewöhnlich war ein Alibi nicht nötig. Klar, ohne Hinweise und ohne nervige
Zeugen, die gleich mit beseitigt wurden.
/Sicher ist er wie immer weg. Aus dem Fenster, in den Park und dann auf der
Suche nach dem richtigen Opfer. Also…ich gehe dann auch lieber./
Der junge Doktor zog seinen Mantel aus und Kazutakas Mantel an.- Auch das war
reine Formsache. Die beiden trugen für gewöhnlich nämlich nie den Mantel des
jeweiligen anderen. Und auch das würde auf dem Kongress auffallen.
/Dann muss ich die Mäntel später wieder waschen,…falls die Polizei auch auf
die Idee kommen sollte und DNA-Spuren nachweisen will…finden sie bestimmt
nichts. Jedenfalls nichts Brauchbares. Oder ich sage einfach Kazutaka hatte den
anderen Mantel an. Nicht umsonst haben wir von jedem Mantel zwei Stück…/
Mit dem Gedanken verließ Natsumi das Haus und machte sich auf den Weg zum
Kongress. Er stellte sein Verstand so um, sodass er exakt so handeln wird, wie
sein Bruder handeln würde. Als Psychiater muss man sich schließlich in andere
Personen hereinversetzten können, um sie zu verstehen. Und wenn man einen
Menschen versteht, dann kann man auch so handeln, wie dieser Mensch.- jedenfalls
wenn man es will.
Erst nach Stunden kam er wieder zu Hause an. Er schmiss den Mantel in die
Waschmaschine, stellte sie an und ließ sich dann, fertig und genervt, auf die
Couch fallen.
„Ich hasse Kongresse, ich hasse Kreuzfahrten aber vor allem hasse ich diese
Frauen, die in Kazutaka verknallt sind…Jedenfalls, wenn ich seine Rolle
übernehmen muss. Ansonsten ist es mir ja scheiß egal. Ist ja schließlich ihr
Leben, dass sie wegschmeißen.“ Er war hundemüde und hätte auf der Stelle
einschlafen können, aber er hatte ein mulmiges Gefühl, was ihn davon abhielt.
/Das Kazutaka jetzt noch nicht zu Hause ist wundert mich ja gar nicht,…aber
irgendwie ist es…so still hier./
Natsumi blickte über die Lehne der Couch. Es war wirklich ungewöhnlich still
im Raum.
/Irgendwas fehlt hier…Na klar…wie dumm muss man sein. Ich habe die
Kuckucksuhr nicht aufgezogen…das dämliche Teil ist jetzt stehen geblieben und
das typisches *klick* *klack* fehlt, das ist alles./
Es war einen Versuch wert gewesen.
/Nein…irgendwas fehlt noch. Wahrscheinlich irgendein Schrei. Ja…heute hab
ich noch niemanden sterben gehört und das, obwohl Vollmond ist. Ja, das
war’s./
Zufrieden – er hatte gefunden, was ihn gestört hatte – legte er sich wieder
auf die Couch und schlief dann nach 20 Minuten auch seelenruhig bis zum Morgen
durch. Das erste was er machte als er aufstand war, sich einzugestehen, dass es
gestern nicht der Schrei war, der fehlte, sondern dass er einen freien
Arbeitstag einfach nicht mehr gewohnt war.
(Mit freiem Arbeitstag war nicht gemeint, dass er nicht arbeitete…aber er
hatte keine psychologischen Gespräche führen müssen.)
/Zugegeben: War ne Ausrede. Aber na ja. Kazutaka kommt erst heute Abend wieder.
Dann gehe ich jetzt arbeiten. Bestimmt haben meine Patienten mich
schon……vermisst. Oh man. Diesen Job kann man auch niemandem mit schwachen
Nerven anvertrauen…und auch niemandem, der leicht depressiv wird. …Was habe
ich mir da nur ausgesucht?/
Mit einem gegrummelten „Den falschen Beruf, ich hätte Bestatter werden
sollen, da reden die Klienten wenigstens nicht.“ verschwand er dann Richtung
Arbeit.
<>
Saki öffnete erneut die Augen. Hätte er gekonnt, so hätte er jetzt angefangen
zu weinen, aber er konnte nicht. Die Zeit würde noch lange so weiter vergehen,
bis sich irgendetwas in seinem Leben tat...
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