Das Tatsumi-Gen von DJ_Vierauge (*NEU* Rick & Phil-Special!) ================================================================================ Kapitel 4: Soichi vs. Masaki, Morinagas Entscheidung und die Wahrheit --------------------------------------------------------------------- Anmerkung: Hier ist das vierte Kapitel, und alle Fragen werden endlich beantwortet! Die Geschichte ist so lang geworden, dass es jetzt wohl fünf Kapitel werden... ^_^ (Disclaimer, Warnungen etc.: siehe Kapitel 1) Soichi ging schnell. Er musste jetzt Morinaga sehen. Sofort. Seine Zweifel, sein Entschluss von damals, das alles zählte jetzt nicht mehr. Warum hatte er das nicht schon früher eingesehen? Noch um ein paar Ecken, und er war angekommen. Drei Stufen auf einmal nehmend rannte er die Treppe hoch. Drinnen brannte Licht, also war Morinaga da. Er klingelte. Als keine Reaktion kam, klopfte er unüberhörbar an die Tür. „Mach auf, Morinaga! Ich weiß, dass du da bist!“ Morinaga stieß Masaki von sich weg. „Wer ist das? Ist… er das?“ fragte dieser verwirrt. Seinen ehemaligen Geliebten ignorierend lief er zur Tür und riss sie auf. „Soichi!“ „Morinaga, ich werde nicht heiraten. Ich habe sie eben angerufen…“ Er sprach nicht weiter. Was war das für ein Geruch? Schwach nur, aber er war da. „Seit wann parfümierst du dich ein?“ Und da bemerkte er Morinagas gerötetes Gesicht und wusste, was Sache war. Er schob ihn beiseite und stürmte in die Wohnung. Als er den jungen Mann entdeckte, der mit halb geöffnetem Hemd auf dem Sofa saß, blieb er wie angewurzelt stehen. Bleich und schockiert wandte er sich an Morinaga. „So ist das also.“ „Nein, du verstehst das falsch!“ „Was gibt es da falsch zu verstehen?“ „Er…“ „Ich bin kaum eine Woche weg, und du treibst es schon mit einem anderen! Idiot!!“ „Hör mir doch zu! Wir haben gar nichts gemacht!“ „Noch nicht“, mischte sich Masaki ein. Er stand auf, stellte sich neben Morinaga und legte bedeutungsvoll einen Arm um dessen Taille. Geringschätzig sagte er zu Soichi: „Sie kommen zu spät. Tetsuhiro hat sich für mich entschieden.“ Es versetzte Soichi einen Stich, als er diese vertraute Anrede hörte. Tetsuhiro. Wie kam dieser fremde Mann dazu, ihn so zu nennen? Er schluckte und sah Morinaga bestürzt an. „Du hast dich ja schnell getröstet. Na dann, leb wohl.“ Er wollte gehen, doch Morinaga hielt ihn am Arm fest. „Warte.“ Er wandte sich an seinen Exfreund. „Es ist besser, du gehst jetzt, Masaki.“ Soichis Augen weiteten sich. „Masaki?“ Hätte Morinaga ihn nicht festgehalten, wäre er sofort auf Masaki losgegangen. „Was fällt Ihnen ein, hier aufzutauchen? Wissen Sie eigentlich, was Sie Morinaga angetan haben?!“ brüllte er. „Ja, das weiß ich, und es tut mir auch längst leid. Aber was haben Sie ihm denn angetan? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie Tetsuhiro sich dabei fühlt? Verschwinden Sie!“ Das war zuviel. Wutentbrannt riss sich Soichi von Morinaga los und stürzte sich auf Masaki. Laut polternd fielen sie beide zu Boden. Soichi holte aus und wollte ihm einen Faustschlag verpassen, doch Masaki war schneller. Er blockte den Schlag geschickt ab, stieß Soichi von sich weg und versetzte ihm seinerseits einen Hieb, so heftig, dass diesem die Brille herunterflog. Verzweifelt beobachtete Morinaga die beiden kämpfenden Männer und konnte nicht fassen, was er da sah. Mal lag Soichi oben, dann wieder Masaki, und ein Schlag folgte auf den nächsten. Masaki schrie schmerzvoll auf, als er mit der Nase hart gegen den Tisch stieß. Die zwei Gläser, die auf dem Tisch standen, fielen zu Boden und zerbrachen. Soichi landete mit dem Arm genau in den Scherben. „Hört auf damit! Ich glaub das einfach nicht! Aufhören!!“ Endlich nahm sich Morinaga ein Herz und ging dazwischen. Er zog Soichi zu sich und bedeutete Masaki, der stark aus der Nase blutete, ins Badezimmer zu gehen. „Ich komme gleich zu dir. Und du“, sagte er zu Soichi, „setzt dich hier aufs Sofa.“ Schweigend tat Soichi, was er wollte. Masaki ging ins Bad, und Morinaga kramte im Erste-Hilfe-Kasten nach Verbandszeug. Stumm gab er Soichi ein paar Tücher und ging dann zu Masaki. Vorsichtig tupfte Soichi das Blut von seinem rechten Arm. Sein Hemd war zerrissen, und seine Haare hingen wirr an ihm herunter. Zitternd befühlte er sein Gesicht. Nein, nirgendwo Blut. Oder doch? An seinen Wangen war etwas Nasses. Er sah seine Finger an. Nur eine klare Flüssigkeit. Morinaga kam wieder ins Wohnzimmer und nahm neben Soichi Platz, um ihn zu verarzten. Dieser hatte den Kopf weggedreht. „Ich glaube, seine Nase ist gebrochen. Warte, ich desinfiziere dir das erst.“ Er griff nach einer kleinen Dose und sprühte etwas auf die Wunde, woraufhin Soichi laut stöhnend zusammenfuhr. „Ist gleich vorbei. Entschuldige. Es geht nicht anders. Hoffentlich gibt das keine Narbe, so tief, wie der Schnitt ist. Wir sollten besser zu einem Arzt gehen. Vielleicht muss es genäht werden.“ Er legte ein paar saubere Tücher auf die Stelle und wickelte zwei Rollen Mullbinden um den Arm. „Ist noch irgendwo was? Zeig mal dein Gesicht.“ Als Soichi nicht reagierte, sah er selber nach. „Du weinst ja…“ „Na und!“ „Tut es so weh?“ „Ach, lass mich in Ruhe! Als ob ich wegen so eines kleinen Kratzers…“ Er sprach nicht weiter. Gerührt nahm Morinaga ihn in die Arme und zog ihn dicht zu sich heran. „Es ist wegen Masaki, hab ich Recht?“ flüsterte er in sein Ohr und küsste ihn sanft auf den Hals. „Weißt du, ich würde nie mit ihm ins Bett gehen, wenn wir beide zusammen wären. Aber du hast ja Schluss gemacht. Also ist auch nichts Verwerfliches daran, wenn ich mich mit jemand anderem vergnüge.“ Soichi nickte. „Läuft das schon länger zwischen euch?“ „Nein, natürlich nicht. Wir haben uns heute zum ersten Mal wieder gesehen.“ „Was habt ihr gemacht?“ „Nichts weiter. Wir haben uns nur geküsst. Sonst ist nichts gewesen. Ehrlich.“ Auf einmal musste er lachen. Soichi wand sich aus seiner Umarmung. „Du lachst mich aus? Freust dich wohl, dass ich Schmerzen habe, was?“ „Ich kann immer noch nicht glauben, dass ihr euch um mich geprügelt habt. So was habe ich noch nie erlebt.“ Da kam Masaki aus dem Badezimmer, ein dickes Knäuel Toilettenpapier unter seine Nase haltend. Sofort wollte Soichi aufspringen, aber Morinaga hielt ihn zurück. „Er ist ja immer noch hier“, sagte Masaki sauer. „Willst du nicht lieber in ein Krankenhaus?“ versuchte Morinaga das Thema zu wechseln. „Nein. Es hat ja schon fast aufgehört zu bluten.“ „Unsinn, so schnell kann das gar nicht gehen. Deine Nase ist gebrochen.“ „Lenk nicht ab. Was ist jetzt mit ihm, Tetsuhiro? Sag ihm endlich, dass er gehen soll.“ „Nein. Es… tut mir leid, Masaki. Du wirst gehen. Entschuldige bitte. Lass uns unsere gemeinsame Zeit von damals in schöner Erinnerung behalten. Ich will nicht im Streit mit dir auseinander gehen.“ Masaki schüttelte den Kopf. „Du schickst mich fort? Wenn du das wirklich machst, siehst du mich nie wieder.“ „Damit… kann ich leben.“ Und ohne ein weiteres Wort verließ Masaki die Wohnung. Morinaga und Soichi waren allein. „Mach mal die Fenster auf. Hier stinkt noch alles nach dem Kerl.“ Morinaga öffnete ein Fenster und stellte das Licht aus, damit die Insekten draußen blieben. Langsam zog der Parfümgeruch ab. Im Dunkeln setzte er sich wieder neben Soichi. „Also. Ganz von vorn. Du heiratest nicht, sagst du?“ „Nein.“ „Wieso nicht?“ „Weil es falsch wäre. Ich will jetzt nicht darüber reden. Wir können… hinterher über alles reden.“ „Hinterher?“ fragte Morinaga leise. Obwohl er wusste, was Soichi meinte, konnte er es nicht glauben. „Aber… du bist doch verletzt…“ „Das ist egal.“ „Na gut, dann… komm“, sagte er und ging ins Schlafzimmer. Soichi folgte ihm. Er knipste die kleine Lampe neben seinem Bett an. „Es ist drei Wochen her.“ „Ja…“ „Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, besonders sanft zu dir zu sein.“ „Ist… schon okay…“ Er kam nicht dazu, weiter zu sprechen, denn Morinaga hatte ihn aufs Bett geworfen. In wenigen Augenblicken hatte er ihm die Sachen heruntergerissen und war kurz darauf selbst auch nackt. „Mach… endlich…“, keuchte Soichi unter seinen gierigen Küssen. „Seit wann… willst du es denn so sehr? So kenne ich dich gar nicht…“ Er ging mit dem Kopf tiefer und leckte gefühlvoll an Soichis linker Brustwarze. „Aaah… bitte… mir ging es wirklich nicht gut in den letzten Tagen. Fang endlich richtig an. Dann fühle ich mich auch wieder besser.“ „Was?“ Morinaga hörte mit seinen Liebkosungen auf und blickte ihn ungläubig an. „Habe ich das richtig verstanden? Du willst das nur, weil es dir sonst schlecht geht?“ „Was hast du denn? Du willst es doch auch!“ „Ich will es, weil ich dich liebe!“ „Na, siehst du! Dann mach das jetzt!“ Morinaga schüttelte den Kopf. „Nein.“ „Wieso nicht?!“ „Was bin ich denn für dich? Nur jemand, der dich befriedigt?“ „Sag doch so was nicht…“ „Was bin ich dann für dich?“ „Du… bist mein bester Freund.“ „Mehr nicht? Warum hast du dich mit Masaki geprügelt?“ „Das ist doch wohl klar!“ „So?“ „Wie der dich begrabscht hat, und wie der dich angesprochen hat. Tetsuhiro hat er gesagt…“ „Du kannst mich gerne auch Tetsuhiro nennen.“ Soichi lief rot an. „Du brauchst nichts weiter zu sagen. Du warst eifersüchtig, ganz klar.“ „Und… ist das so schlimm?“ Morinaga beugte sich über ihn. „Nein. Das ist überhaupt nicht schlimm. Das ist… wunderbar.“ Wieder küsste er ihn. „Ich liebe dich. Ich liebe dich…“ „Aah…“ Morinaga griff nach der Tube auf der Ablage hinter dem Bett, drückte etwas des Inhalts heraus und legte sie wieder zurück. „Liebst du mich?“ „Was soll das jetzt?“ „Ich will wissen, ob du mich liebst. Sag es. Sonst mache ich nicht weiter.“ „Und wenn ich sage, dass ich dich nicht liebe?“ „Dann mache ich auch weiter. Aber ich will eine klare Antwort von dir. Ich will wissen, woran ich bei dir bin.“ Soichis Herz raste. Nein, zu sagen, dass er ihn nicht liebte, brachte er nicht fertig. „Morinaga…“ „Tetsuhiro.“ „Tetsuhiro. Ich… ich kann das nicht! Ich habe das noch nie zu jemandem gesagt.“ „Was denn?“ „Ich liebe dich!“ Soichi spürte seinen Pulsschlag bis in die Schläfen. „Ich meine, ich habe das noch nie gesagt, diesen Satz, ich liebe dich.“ „Sag es noch mal“, hauchte Morinaga. „Nein…“ „Also liebst du mich nicht? Dann sprich es auch aus. Sag: ‚Ich liebe dich nicht’.“ „Nein… das kann ich nicht.“ „Warum?“ „Weil es… nicht stimmt. Aber ich… Tetsuhiro…“ „Soichi… ich liebe dich.“ „Aah… ich…“ „Sag es… bitte…“ „Ich… liebe dich. Ich liebe dich, Tetsuhiro!“ „Soichi…“ „Tetsu… hiro… aaah…“ Soichi schloss die Augen. Er war zu verkrampft, es tat weh. „Aua…“ „Du musst dich entspannen.“ „Aaah… Tetsuhiro!“ Morinaga hielt sich nicht zurück, genau wie er es gesagt hatte. Er wusste genau, wie weit er bei Soichi gehen konnte, und diese Grenze hatte er nun erreicht und war dabei, sie zu überschreiten. In Soichis Augenwinkeln standen Tränen, aber er zeigte keinerlei Unwillen. Ja, sie wollten es beide. Allmählich vermischte sich der Schmerz mit einem unglaublichen Gefühl, so wie es Soichi noch nie zuvor verspürt hatte und wich schließlich ganz. Er legte seine Arme um Morinagas Nacken, die Wunde unter dem Verband brannte höllisch. Seine Fingernägel krallten sich in die Haut des anderen, und er zog ihn näher zu sich, küsste ihn wild und verlangend. Seine Beine schlang er um Morinagas Taille, um es noch intensiver werden zu lassen. Das Bettgestell knarrte bedenklich unter ihnen, hinzu kamen Soichis laute Schreie. Der Nachbar, der im Erdgeschoss wohnte, hämmerte mit einem Besenstiel gegen die Decke und brüllte etwas von Ruhe, aber die beiden kümmerten sich nicht darum. Endlich stöhnte Morinaga auf, kurz danach Soichi, und dann lagen sie da, vereint in einem leidenschaftlichen Kuss. Soichi ließ seine Beine wieder herunter sinken. Morinaga löste sich von ihm und blieb neben ihm liegen. „Ich brauch jetzt eine Zigarette“, keuchte Soichi. „Wo…“ „In meiner Jacke. Im Wohnzimmer.“ Morinaga stieg aus dem Bett, ging ins Wohnzimmer und schloss erst einmal das Fenster, das die ganze Zeit offen gewesen war. Das hatte er ganz vergessen. Und die Schlafzimmertür war nur angelehnt gewesen. Sicher hatte man Soichis Geschrei bis runter auf die Straße gehört. Er sah sich nach der Jacke um. Masaki hatte sie Soichi bei der Schlägerei heruntergerissen. Sie lag neben dem Sofa, und die Brille lag daneben. Sie war nicht zerbrochen. Er hob sie auf und legte sie auf den Wohnzimmertisch. Dann nahm er die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug aus der Jacke, schnappte sich den Aschenbecher vom Tisch und kehrte zu Soichi ins Bett zurück. „Hier.“ Soichi holte eine Zigarette aus der Schachtel und hielt sie Morinaga hin. „Willst du auch eine?“ „Eigentlich… ja, gib mal eine her.“ Er nahm sie, und Soichi gab ihm Feuer. Dann nahm sich Soichi eine weitere und zündete sie an Morinagas an. Rauchend lagen sie so beide im Bett, Morinaga auf dem Rücken, einen Arm um Soichi gelegt, der auf der Seite lag und sich an seine Brust schmiegte. „Das ist so schön. Ich würde am liebsten den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Mit dir einschlafen, und mit dir aufwachen, richtig mit dir zusammen leben…“ „Hm…“, machte Soichi leise. War es eine Zustimmung? Eine Ablehnung? „Du wolltest mit mir reden?“ „Ja.“ Soichi zog an seiner Zigarette. „Wo soll ich anfangen?“ fragte er sich selbst. „Weißt du, ich hab schon früh gemerkt, dass mich Mädchen nicht interessieren. Schon als Kind. Und als ich dann in die Pubertät kam, ist mir langsam klar geworden, dass ich auf Jungs stehe.“ Morinaga sah ihn überrascht an. „Was? Soll das heißen…“ „Ja. Mir war immer klar, dass ich keine Freundin habe wollte. Aber was genau mit mir los war, habe ich dann erst so mit vierzehn begriffen. Ich habe, glaube ich, fast ein Jahr lang überlegt, ob ich mir das alles vielleicht nur einbilde. Und kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag war ich dann endlich soweit, es meinen Eltern zu sagen. Ich habe mir wochenlang durch den Kopf gehen lassen, wie ich es ihnen sagen sollte. Aber dann ist alles anders gekommen. Meine Mutter ist ganz plötzlich gestorben.“ „Oh, Soichi…“ Morinaga zog ihn näher zu sich und küsste ihn auf die Stirn. „Da war das Thema natürlich auf einmal völlig unwichtig.“ „Klar…“ „Für Tomoe und Kanako war das sicher am schlimmsten. Die beiden waren damals ja erst neun und vier. Ein paar Monate danach, als wir uns langsam wieder gefangen hatten, war ich wieder soweit, es meinem Vater zu sagen. Ja, und dann ist etwas anderes passiert.“ Erneut zog er an der Zigarette. Seine Hand zitterte leicht. „Du musst nicht weitererzählen, wenn dich das so mitnimmt.“ „Doch. Schon gut. In der Parallelklasse war ein Junge, der auch schwul war. Als seine Klasse das rausbekommen hat, wurde er ziemlich fertig gemacht. Das muss damals bei dir… und Masaki wohl ähnlich gewesen sein.“ „Ja…“ „Ein paar Tage lang ging das so. Er wurde herumgestoßen, beschimpft, oder wie Luft behandelt. Bis eines Tages auf dem Schulhof ein Mädchen aus seiner Klasse dazwischen gegangen ist. Ich war in der Nähe und habe alles mitgekriegt. Sie hat ihn verteidigt und die anderen angeschrieen. Sie hat es gut gemeint, aber eigentlich hat sie genau das falsche gesagt.“ „Was war denn?“ „Sie hat gesagt: ‚Lasst ihn in Ruhe! Er kann doch nichts dafür! Er ist doch nur so, weil sein großer Bruder auch so ist!’“ Morinaga drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und nahm Soichi in die Arme. Tröstend streichelte er über seinen Kopf. „Darum also…“ „Ja, darum. Weißt du, ich habe in dem Moment Tomoe vor mir gesehen. Dass er so wird wie ich. Und wie ihm seine Klassenkameraden deswegen das gleiche antun. Und da habe ich beschlossen, nichts zu sagen. Unter normalen Umständen hätte ich mich wahrscheinlich gar nicht so entschieden, aber Tomoe ging es zu der Zeit so schlecht. Der Tod unserer Mutter hatte ihn unglaublich runtergezogen, ist ja klar. Er hat wegen jeder Kleinigkeit losgeheult. Da wollte ich ihm nicht noch mehr zumuten.“ „Ach, Soichi…“ Wieder küsste Morinaga ihn. „Du bist so ein lieber Mensch.“ „Ich habe mich dann nur noch aufs Lernen konzentriert. Irgendwie habe ich es dann geschafft, nicht mehr daran zu denken.“ „Aber hast du denn nie versucht, trotzdem mal mit deinem Vater darüber zu sprechen?“ „Ach, der war doch nie da. Der kam schon damals immer nur alle drei, vier Wochen für ein paar Tage nach hause. Er war eben der Meinung und ist es wohl heute auch noch, dass Kindererziehung Sache der Frau ist. Er hat sich aus allem raus gehalten. Wir hatten dann immer ein Kindermädchen, das auf uns aufgepasst hat.“ „Aber ich hatte das Gefühl, dass ihr ganz gut miteinander auskommt, dein Vater und du.“ „Ja, sicher. Es ist ja auch nicht so, dass wir uns nicht verstehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich jetzt erwachsen bin. Ich glaube, er kommt einfach nicht mit Kindern zurecht.“ Soichi legte den Zigarettenstummel in den Aschenbecher und zündete sich eine neue an. „Ich habe früher nie jemanden an mich heran gelassen und mir bewusst keine Freunde gesucht, als ich hier an die Uni kam. Ich hatte Angst, dass ich mich verlieben könnte, dass alles auffliegen würde. Und dann kamst du. Wir haben jahrelang zusammengearbeitet, und du bist mein einziger Freund geworden. Ich habe gemerkt, dass ich es schaffen kann, einen Freund, einen Mann in meiner Nähe zu haben, ohne mich in ihn zu verlieben. Da war ich echt froh. Warum guckst du denn so?“ „Ah, es ist nur… nichts. Erzähl weiter.“ „Tetsuhiro. Ich war am Anfang wirklich nicht in dich verliebt. Sei doch deswegen jetzt nicht beleidigt.“ „Ich bin nicht beleidigt.“ „Bei manchen dauert es eben länger. Bei dir war es Liebe auf den ersten Blick. Ich habe nun mal meine Zeit gebraucht, bis ich mehr als nur freundschaftliche Gefühle für dich entwickelt habe.“ „Okay.“ „Als du mir damals gesagt hast, dass du mich liebst, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Das war genau zu der Zeit, als ich langsam begann, mich in dich zu verlieben.“ „Was… du…“ „Als du dann die Uni verlassen wolltest, wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte. Du wolltest mich küssen, und ich wollte es auch. Natürlich habe ich dir das nicht gesagt. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich jemanden richtig geküsst habe. Ich sah schon meine ganze Mauer, die ich über die Jahre um mich herum aufgebaut hatte, einstürzen. Ich habe Panik gekriegt und dich weggestoßen und angeschrieen, weil du nicht meine wahren Gefühle erkennen solltest. Und als wir später die ersten Male miteinander geschlafen haben, wurde es noch schlimmer für mich. Du hast mir genau das gegeben, was ich immer wollte, und ich habe es dir nie gesagt. Vom ersten Mal jetzt abgesehen.“ „Entschuldige…“ „Was glaubst du, wie ich mich gefühlt habe, als ich spitz gekriegt habe, dass Tomoe dabei war, sich in einen Mann zu verlieben? Das war ja noch, bevor wir beide zusammengekommen sind. Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht, weil ich dachte, ich hätte ihn beeinflusst. Ich habe mit allen Mitteln versucht, ihn davon abzubringen. Jetzt ist mir natürlich klar, dass das falsch war, so zu denken. Na ja, irgendwann habe ich es akzeptiert, dass er so ist, und dass ich es doch nicht ändern kann.“ „Da hättest du doch offen sagen können, was du wirklich fühlst. Mir hättest du es sagen können.“ „Weißt du, dass ich tatsächlich wieder kurz davor stand, das zu tun?“ „Ja? Davon habe ich aber nichts gemerkt.“ „Doch, es war so. Aber dann kam das mit Professor Suzuki. Du hast mich erst verteidigt, aber es dann sofort bereut und bist zu ihm gegangen, um dich für etwas zu entschuldigen, für das es nichts zu entschuldigen gab. Er hat dich daraufhin so fertiggemacht. Und du hast alles widerspruchslos hingenommen, weil du immer Angst hattest, dass er uns vor die Tür setzt. Du hast mir gegenüber so getan, als ob dir das nichts ausmacht. Aber ich habe genau gemerkt, wie dich das mitgenommen hat, das kannst du mir glauben. Und ich dachte, wenn du es nicht alleine schaffst, zu schwach bist, zu dir selbst zu stehen, wäre es vielleicht besser, du suchst dir stattdessen irgendein Mädchen und führst mit ihr ein Leben, bei dem du deine Ruhe hast. Ich kann es einfach nicht mit ansehen, wenn Menschen, die mir viel bedeuten, verletzt werden.“ Morinaga hielt ihn noch immer im Arm. Ihm wurde klar, dass er Soichi nie wirklich gekannt hatte. Diese sensible Seite an ihm, davon hatte er nie etwas geahnt. Soichi sah ihn an. „Tetsuhiro, ich möchte wirklich gerne mit dir zusammen sein. Richtig… als Paar. Ich verspreche dir, dass ich zu dir stehen werde. Aber so, wie das bisher gelaufen ist, will ich das nicht.“ „Was meinst du?“ „Ich meine, dass ich es nicht weiter hinnehmen werde, wenn dich, wenn uns irgendjemand angreift.“ „Das kann ich doch regeln…“ „Ja, sicher. Ich weiß schon, wie du das regeln wirst. ‚Oh, Professor Suzuki, werfen Sie mich nicht raus, ich tu alles, was Sie wollen, ich bin ja so unwürdig, Sie haben mit allem Recht, beschimpfen Sie mich nur weiter’“, ahmte er Morinaga nach. „So… rede ich doch gar nicht!“ „Nein, so wirst du auch nicht mehr reden. Ich werde diese Angelegenheiten in Zukunft regeln.“ „Aber wenn du das auf deine Weise regelst, dauert es keine zwei Tage und wir werden wirklich rausgeschmissen!“ „Na und? Ist mir jetzt alles egal. Dann miete ich mir eben irgendwo ein Labor und mache da weiter. Ausreichendes Fachwissen habe ich ja, und den Doktortitel habe ich auch so gut wie in der Tasche.“ „Und ich?“ „Du kannst mir weiter assistieren.“ „Und wovon soll ich leben?“ „Ich werde genügend Geld verdienen. Da brauchst du nicht extra zu arbeiten. Außerdem hast du dann auch mehr Zeit, um dich um den Haushalt zu kümmern.“ „Wie, Haushalt?“ „Du hast doch eben gesagt, dass du mit mir zusammenleben willst. Das heißt doch, in einer Wohnung, oder was meintest du?“ „Ja, sicher. Das willst du wirklich? Richtig mit mir zusammen sein?“ „Ja, sagte ich doch. So, und da sich die Hausarbeit nicht von alleine erledigt, machst du das. Du machst ja im Moment in deiner Wohnung auch den Haushalt alleine. Also hast du schon Erfahrung. Kannst du eigentlich kochen?“ „Nicht so besonders…“ „Aber du kannst?“ „Ja, so ein paar Gerichte bekomme ich hin.“ „Sehr gut. Dann wäre das auch geklärt.“ „Halt, Moment mal!“ Morinaga fiel aus allen Wolken. Eben hatte er noch gedacht, dass Soichi sensibel und nett wäre, und jetzt war er wieder ganz der Alte. „Wieso soll ich das alles machen? Wieso kochst du nicht?“ „Kochen? Ich bin ein Mann.“ „Ich bin auch ein Mann!“ „Also willst du nicht mit mir zusammenziehen?“ „Doch, aber…“ „Nichts, aber.“ Morinaga gab sich geschlagen. „Also… gut.“ Soichi lächelte ihn an, dann zog er Morinagas Kopf zu sich heran und küsste ihn. „Du, ich habe mich übrigens entschieden, doch zu meinem Bruder auf die Hochzeit zu gehen. Ich habe auch schon mit ihm telefoniert.“ „Das ist gut. Vielleicht schafft ihr es, wieder einigermaßen normal miteinander umzugehen.“ „Ja. Und… ich möchte, dass du mitkommst. Ich möchte dich meinen Eltern vorstellen. Du hast mir gesagt, du willst zu mir stehen. Also werde ich auch zu dir stehen.“ „Gut. Ja. Lass es uns gemeinsam durchziehen.“ Plötzlich fiel Morinaga etwas ein. „Oh, warte, das hätte ich ja fast vergessen.“ „Was?“ fragte Soichi verwirrt. „Es gibt noch ein Loch an deinem Körper, das ich stopfen muss.“ Morinaga grinste und griff wieder auf die Ablage am Kopfende des Bettes. Soichi wurde rot. „Sag das doch nicht auf so eine Weise! Außerdem kann ich jetzt nicht schon wieder. Wenn du unbedingt noch mal willst, dann vielleicht in ein paar Stunden.“ „Das meine ich doch gar nicht. Das hier meine ich.“ Zwischen zwei Fingern hielt er den goldenen Ring. „Darf ich?“ „Oh… ja, natürlich.“ Morinaga steckte den Ring wieder in die Brustwarze und schloss ihn. „Ich liebe dich, Soichi“, flüsterte er. „Ich liebe dich auch, Tetsuhiro.“ Und Ende der nächsten Woche… „Da kommt er“, sagte Soichi leise, als auf dem Hof der Universität Professor Suzuki nahte. „Willst du das wirklich tun?“ fragte Morinaga noch leiser. „Ich weiß nicht, ob das…“ „Still.“ Soichi nahm Morinagas Hand und ging mit ihm in Richtung Haupteingang. Der Professor beobachtete die beiden verstört. „He!“ rief er ihnen nach. „Tatsumi, Morinaga! Was soll das?“ Er lief auf sie zu. „Wieso halten Sie hier Händchen in der Öffentlichkeit? Schämen Sie sich denn gar nicht? Ich denke, Sie wollen heiraten, Tatsumi?“ Soichi sah ihn herausfordernd an. „Wie bitte, Professor Suzuki? Wie nennen Sie mich? Nur Tatsumi? Haben Sie da nicht etwas vergessen?“ „Was? Sie… Sie glauben wohl, jetzt, wo Sie promoviert haben, können Sie machen, was Sie wollen, Doktor Tatsumi!“ Soichi lächelte überlegen. „Na bitte, es geht doch. Wenn Sie uns jetzt entschuldigen würden, mein Freund Tetsuhiro und ich haben noch eine Menge Arbeit zu erledigen. Man sieht sich.“ „Das ist doch die Höhe! Haben Sie mich etwa die ganze Zeit belogen? Von wegen, heiraten!“ „Das war in der Tat eine dumme Idee. Zum Glück habe ich mich noch rechtzeitig für den richtigen Weg entschieden. Die Hochzeit ist abgesagt.“ „Und ich war so blauäugig, Sie auch noch zu unterstützen und bei meinen Kollegen Stimmung für Sie zu machen! Lassen Sie sich gesagt sein, für Lügner ist an meiner Universität kein Platz. Ein einziger Vorfall noch und Sie können endgültig einpacken.“ „Versuchen Sie gar nicht erst, mich einzuschüchtern. Als ob ich auf Sie angewiesen bin. Mein Vater Prof. Dr. Dr. Tatsumi Soichi ist mit seinen beiden neuen Werken seit Wochen in den Top-Ten der Fachbuch-Bestsellerlisten vertreten. Ich bin mir sicher, jede andere Universität reißt sich um seinen Sohn. Glauben Sie mir, wenn ich hier bleibe, wird das Ihrer Uni nur gut tun. Nun, ich muss natürlich nicht hier bleiben. Ich habe die freie Wahl. Ich könnte zum Beispiel nach Hongkong gehen. Dann haben Sie einen weiteren wertvollen Mitarbeiter verloren. Oder ich gehe in die USA, wie mein Bruder. Überlegen Sie es sich also gut, ob Sie mich vor die Tür setzen. Ach, und ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass ich hier sofort aufhöre, sobald Tetsuhiro oder ich wegen unserer Beziehung noch ein einziges Mal in irgendeiner Weise diskriminiert werden.“ Professor Suzuki stand der Mund offen. Er sagte nichts mehr. Soichi legte einen Arm um Morinagas Taille. „Lass uns reingehen, Tetsuhiro.“ Lachend liefen sie die Flure entlang, wieder Hand in Hand, unter den Augen etlicher Studenten. „Ich glaub das einfach nicht“, sagte Morinaga immer wieder kopfschüttelnd, grinste aber dabei. „Hat doch prima geklappt. Ich weiß gar nicht, was du hast.“ „Übertreib das bloß nicht.“ „Keine Sorge. Ich mach das schon.“ Hinter der nächsten Ecke waren Stimmen zu hören. Als Soichi seinen Namen vernahm, blieb er abrupt stehen und Morinaga ebenfalls. „Wer, Tatsumi?“ fragte jemand. „Ja. Möchte mal wissen, wie der es so schnell geschafft hat, an den Titel zu kommen“, antwortete ein anderer. „Da stimmt doch was nicht“, meinte ein dritter. Und ein vierter sagte: „Er hat zwar was auf dem Kasten, aber es würde mich nicht wundern, wenn er mit ein paar zusätzlichen mündlichen Prüfungen etwas nachgeholfen hat, wenn ihr versteht, was ich meine.“ Er lachte gehässig, und die anderen stimmten mit ein. „Ja, wahrscheinlich ist er mal eben mit den Professoren der Reihe nach ins Bett gestiegen. Das passt zu dem.“ „Und unsereins muss sich mit Lernen abquälen, um ehrlich an einen Doktortitel zu kommen.“ „Kannst ja auch mal vor den Professoren die Hosen runterlassen und dich auf dem Chefschreibtisch flachlegen lassen.“ Wieder schallendes Gelächter. „Soichi, nicht!“ rief Morinaga noch, aber es war zu spät. Er stürmte bereits um die Ecke, und Morinaga eilte hinterher. Da stand Soichi und vor ihm vier kräftige Studenten, alle größer als er. „Ach, sieh an, da ist er ja, unser frischgebackener Doktor“, höhnte der eine. „Na, Tatsumi? Kannst du schon wieder sitzen oder tut dir dein Hintern noch von den Prüfungen weh?“ Soichi packte ihn brutal am Kragen. „Glaube mir, dir wird dein Hintern wehtun, wenn ich mit dir fertig bin!!“ Professor Suzuki blickte nach oben. Er stand in der großen Eingangshalle. Was waren das für Schreie? Sie kamen aus einem der oberen Stockwerke. Schnell lief er die Treppen hoch, und jetzt erkannte er eine der Stimmen. Natürlich, Tatsumi. Endlich hatte er die sechs jungen Männer erreicht. „Was ist denn hier los?!“ brüllte er. Einer der vier Studenten kauerte heulend am Boden. Vor ihm stand Soichi und schrie ihn aus voller Kehle an. Die anderen drei hatten ängstlich Abstand genommen, ebenso Morinaga. „Ruhe!!“ brüllte der Professor dazwischen. Soichi verstummte. „Machen Sie wieder Ärger, Tatsumi?! Und Sie…“ Er ging auf den weinenden Studenten zu. „Hat Tatsumi Ihnen etwas getan? Hat er Sie geschlagen?“ Der Student schüttelte schluchzend den Kopf und brachte kein Wort heraus. „Ich möchte so etwas nicht noch einmal erleben, Tatsumi!“ „Ich musste nur ein paar Dinge klären“, sagte Soichi, mühsam beherrscht, ruhig zu klingen. „Diese… Herren hier meinten nämlich, dass Sie und ich eine Art sexuelle Beziehung hätten.“ „Wie bitte?!“ Der Professor sah die vier Studenten, die bei Soichis letztem Satz allesamt erblasst waren, der Reihe nach an. „Ist das wahr?! Was fällt Ihnen ein?!“ Soichi drehte sich um und ging, Morinaga hinter sich herziehend, zum Labor. „Komm. Lass die das alleine regeln.“ Ende von Kapitel 4 Fortsetzung ist in Arbeit und schon fast fertig... Hui, da hat’s Soichi denen aber richtig gegeben! ^__^y Jetzt sind ja alle Fragen beantwortet. Ich muss dazusagen, dass ich das erste Kapitel einfach so geschrieben habe, ohne mir großartig Gedanken über einen Schluss zu machen. Da habe ich erst beim zweiten Kapitel wirklich drüber nachgedacht. Ich hoffe, es sind deswegen nicht allzu viele Logikfehler in der Geschichte. Wenn doch, sorry… ^_^’’’ Im nächsten Kapitel – wir haben dann einen Zeitsprung von einem Monat gemacht – geht es zur Hochzeit von Morinagas Bruder, und wir werden erfahren, was die Zukunft für unser Lieblings-Paar bereithält… Außerdem, das kann ich ja schon mal verraten, sind einige Bonuskapitel geplant. Bis jetzt habe ich Ideen für drei Bonusgeschichten... Die eigentliche Geschichte wird aber mit dem nächsten Kapitel abgeschlossen sein (Ich weiß, das habe ich schon am Ende von Kapitel 2 geschrieben...). Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)