My Wish for the Forbidden Kiss Remains von Serpentia (-道ならぬ恋 michi naranu koi –) ================================================================================ Wetterumschwung --------------- My Wish for the Forbidden Kiss remains -道ならぬ恋 michi naranu koi – Kapitel 15 Wetterumschwung プツンと糸が切れた Schnipp -Der Faden wurde zerschnittten プツン・・・いとも簡単に Schnipp... einfach so 明日君の唄を歌うよ Morgen werde ich dein Lied singen 有りふれた愛の歌を Ein gewöhnliches Liebeslied 不器用な僕は上手く言えない Mein nutzloses ich war zu ungeschickt um zu sagen... さよなら Auf Wiedersehen. [1] In der U-Bahnstation war es ruhig. Ein paar Schüler drängten sich laut schnatternd durch die Gänge, aber ansonsten fuhren wenig Leute nachmittags in die Wohngebiete. Kaoru hatte seine Gitarre auf den Rücken geschnallt und fuhr von einem Schüler zum nächsten. Genervt blickte er zur Anzeigetafel. Neun Minuten. Sein Handy brummte. Er klickte Shizukas Sms weg ohne zu antworten. Stattdessen rief er Shinya an und fragte ihn nach Toshiya. „Wir wissen noch nicht, wie weit wir bei Sarah sind, aber Toshiya will das Kind wohl behalten“, berichtete Shinya nüchtern, „Yukino hat erklärt wie eine Abtreibung funktioniert. Ziemlich ekelhafte Sache. Die schaben das Kind aus der Gebärmutter raus. Und es landet dann im normalen Krankenhausabfall. Also da wo die Omas ihre defekten Herzklappen und Nieren lassen.“ Kaoru verzog angewiedert das Gesicht. Shinya konnte genauso unberührt sein und sprechen wie Kyo. „Sarah ist da ein harter Brocken“, fuhr er fort, „Sie argumentatiert sehr gut und sie hat wirklich verdammt viel zu verlieren. Außerdem würde sie das Kind zwingen in Japan zu bleiben und das will sie nicht. Das hat Toshiya fertig gemacht. Er hat sich in den Kopf gesetzt, es notfalls alleine aufzuziehen“ „Ach, du scheiße“, entfuhr es Kaoru und er bekam Kopfschmerzen, „Dann können wir ihn gleich abschreiben.“ „Naja, überleg, was seine Alternative ist.“ Genervt schnaubte er ins Handy: „Ich weiß. Hast du meine Nachricht heute morgen bekommen?“ Shinya bejate und versichterte ihm, dass er alles dafür getan hatte, um den von ihnen gefassten Lösungsvorschlag bei Toshiya und Sarah durchzusetzen. „An Sarah bin ich gescheitert. Tut mir leid. Wie gesagt, sie ist ein harter Brocken. Yukino hatte auch nur mäßigen Einfluss auf sie. Die sei nämlich berufsbedingt an ihre Ansichten gebunden. Kannst du dir vorstellen sowas zu hören? Wir sollten es über Miyako versuchen. Können Die oder du sie nichtmal fragen?“ Vielleicht war es nicht unbedingt effektiv, wenn Kaoru sich bei ihr wegen soetwas meldete, aber Shinya pochte auf der Idee und überredete ihn. Seine Bahn kam und er fuhr nachdenklich drei Stationen, verpasste beinahe seinen Ausstieg und machte sich zu Fuß auf den Weg zum Haus seines Schülers. Es war ein spießiges Viertel. Die Hecken waren gerade geschnitten und zu hoch zum drüberhinweg sehen. Moderner Baustil mischte sich mit traditionellem zu mehrstöckigen Einfamilienhäusern mit Garten und Wahlplakate verschiedener Parteien hingen an manchem Gartenzaun. Etwa in der Mitte des Weges sah er auf die Uhr und fasste endlich genug Mut um Miyako anzurufen. Sie war überrascht, dass er sich meldete, und nicht wenig skeptisch. Er versuchte so neutral und diplomatisch wie möglich zu bleiben und erklärte die Situation, die Problemstellung und die von der Band beschlossene Lösung. „Ihr wollt also Sarah die Entscheidung abnehmen, ob sie Mutter werden will oder nicht?“, war ihre erste Frage und Kaorus Nacken wurde heiß, er schwitze. Das war offen und ehrlich gesagt, was sie taten, aber auf ihre verkorkste Art richtig hielten. „Wir denken es ist die beste Lösung für alle.“ „Für schwangere Frauen gibt es aber kein „alle“. Sie haben nur sich selber, ihr Leben und ihr Kind“, meinte sie hörbar misbilligend, „Niemand hat ein Recht ihr da reinzureden.“ „Willst du zulassen, dass ein Kind getötet wird?“, gab er knartschig zurück und schallt sich für seinen Umgangston. Er wollte sie auf seine Seite ziehen und nicht anzicken. „Ich bin gegen Abtreibung, aber Sarah ist die Mutter“, erklärte sie trocken und unbeeindruckt, „Es ist nunmal leider so, dass Eltern als erstes und meist einziges verantwortlich sind. Und vergiss nicht: Sarah ist keine Japanerin. Sie lebt nach einer anderen Ethik.“ „Bitte, Miyako!“, sagte Kaoru flehend, „Wir brauchen Toshiya.“ Er hörte nur noch ihre ruhige Atmung und blieb unbewusst stehen. „Bitte. Sonst ist’s aus mit dem Traum von Dir en grey“, es war ihm peinlich, aber er flehte. Er flehte sie um Hilfe an, Ehre hatte er keine zu verlieren. „Wenn sie abtreibt, steigt Die wirklich aus?“ „Ja, dann wird er aussteigen“, bestätigte er, „Es ist ihm ernst. Und ich kann ihn verstehen.“ „Na gut“, seufzte Miyako und Kaoru konnte sich vorstellen, dass sie sich zwischen den Augen rieb, so wie immer, wenn sie sehr nachdenken musste, „Ich red mal mit Sarah von Frau zu Frau. Aber Wunder kann ich keine versprechen. Nur ihr etwas ins Gewissen reden und ihr vorschwärmen wie glücklich sie mit Toshiya und Kind werden würde.“ Ehrleichtert nahm Kaoru seinen Weg wieder auf: „Danke. Das reicht schon.“ „Tust du mir dafür auch einen Gefallen?“ Zögerlich bejate er. In ihm liefen die grausamsten Bedingungen durch Kopf und Herz. „Sei vorsichtiger mit Die“, bat sie nun ihrerseits unsicher, „Ich weiß, dass was war. Er sieht richtig scheiße aus und ich kann ihm nicht helfen, weil er noch sauer auf mich ist.“ „Ich hab versucht...“, wollte er sich rechtfertigen, aber alles andere blieb ihm im Hals stecken. Was auch immer er versucht hatte, es war im Endeffekt schief gelaufen. „Er ist einsam“, redete Miyako weiter auf ihn ein, „Bitte. Hilf ihm.“ Seine Brust zog sich zusammen, die Tränen der letzten Nacht kamen wieder in ihm hoch, doch er wollte nicht weinen. Er war ein Mann und weinte nicht. „Ich will dich nicht zwingen mit ihm zusammen zu sein, aber bitte sei gut zu Daisuke. Er hat es verdient.“ „Ja, das hat er wohl...“, sprach Kaoru. Vor ihm ragte das Haus, in dem sein Schüler wartete, und er war schon fast zu spät. Es drohte auf ihn zu fallen und zu erdrücken. Die Luft wurde dick und lastete schwer in seinem Hals, seiner Lunge. Dann sagte er: „Ich werd mein Möglichstes tun.“ Er würgte die Worte heraus und drückte auf den Klingelknopf. Das hellen Schellen klang von innen bis ans Gartentor. Es war irreal in der Schwere seiner Welt. „Ich auch, versprochen“, antwortete der Hörer. „Versprochen“, wiederholte er monoton und klappte sein Handy zu. Er unterrichtete unkonzentriert und vergaß sein Konzept. Sein wohl untalentiertester Schüler dankte es ihm mit Unaufmerksamkeit und er beendete die Stunde frühzeitig. Die Luft war stickig und es stank nach verfaulendem Fallobst aus dem Garten. Auf der Fahrt zu Arimi, seiner Lieblingsschülerin, rief er Toshiya an und erkundigte sich nach dem Stand der Dinge. Die erhoffte Ablenkung blieb aus. Er erfuhr nichts Neues und rang sich endlich ab, auf Shizukas Sms zu antworten. Erst nachdem er auf Senden gedrückt hatte, konnte er sich zum entgültigem Entschluss durchringen. Er sendete eine zweite Nachricht. „Wir müssen reden.“ Die typischen drei Worte der Ankündigung. Sie sagten schon soviel. Er hielt die Luft an bis er nach drei oder vier Ewigkeiten auf OK drückte und zusah wie die Punkte des Sendebalkens über den kleinen schwarz-weißen Bildschirm wanderten. Mit einem Mal war die Erleichterung da, zu wissen, dass seine Grübelei ein Ende hatte. Miyako hatte ihm die Entscheidung abgenommen. Er würde nicht mehr nachdenken müssen. Kein schlechtes Gewissen gegenüber niemanden mehr. Er hatte diese eine Seite gewählt und würde dabei bleiben. Mit dieser Gewissheit machte ihm der Unterricht wieder Spaß. Arimi brachte ihn zum Staunen und Lachen und als er nach Hause fuhr, kam ihm alles gar nicht mehr schlimm, viel mehr natürlich vor. Es war spät geworden, lange neun Uhr durch, trotzdem rief er Die an und fragte, wie es ihm ginge. Sie telefonierten eine Stunde lang, währenddessen Kaoru kochte und zu Abend aß. Er vermisste Dies geschickte Küche. Shizuka rief ihn derweil dreimal an. Er ignorierte das Summen seinen Handys und das Klopfen in der Leitung. Am Ende des Gesprächs hatte sich Die dazu überreden lassen Miyako zu verzeihen und Kaoru dazu mit ihm nach dem Konzert am 13. Oktober ein Bad in der Menge zu nehmen um die anderen Bands und den Hauptakt zu sehen. Er fühlte sich wie beflügelt und war voller Zuversicht in die Richtigkeit seiner Pläne. Nach dem Telefonat setzte er sich an seinen Schreibtisch, schaltete die kleine Lampe an und die Deckenbeleuchtung aus. Er nahm ein sauberes Blatt Papier und seinen Füller, bog an der Schreibtischlampe nochmal herum und schrieb in ordentlicher Schrift die erste Zeile. Er kratzte sich an der Nase, verbog den Lichtkegel nocheinmal. Murmelnd strich er die letzten Worte und setzte neu an. Diesmal klappte es besser und die Liste entstand stockend, aber immerhin. -keine gemeinsame Zukunft -zu beschäftigt mit der Band -das bist du nicht wert -wir passen nicht zueinander -wir können uns keine Kinder zusammen vorstellen -ich bin mir unsicher was unser Verhältnis angeht -ich brauche etwas Zeit für mich -mir fehlt Zeit -ich mag dich gerne, weiß aber nicht, ob ich dich liebe -du hast gesagt, du würdest mein Kind weggeben Mit sicherem Strich makkierte Kaoru den letzten Punkt. Zufrieden betrachtete er seine Gedanken. Er hatte genug Gründe ohne sagen zu müssen, dass er sich entschieden hatte eine schwule Beziehung anzufangen. Schwul. Waren Die oder er schwul? Wenn überhaupt, dann bi-sexuell. Schwule schliefen doch gar nicht mit Frauen, oder? Würde er mit Die schlafen? So richtig? Er schaltete das Licht aus und warf sich rückwärts auf sein Bett. Hier hatte er letzte Nacht mit Die gelegen. Und die Nacht davor auch. Die Nacht davor mit Shizuka. Aber sie würde nie wieder hier schlafen. Ob Die es wirklich wieder tun würde? Das Bett war zu groß für ihn allein. Es war ihm oft zu schmal für zwei Personen vorgekommen, aber alleine war es zu groß. Gerade jetzt. Sein Handy fiel ihm aus der Hosentasche. Er nahm es und rief Shizuka an. Sie verabredeten sich für einen Spaziergang am nächsten Vormittag. Sie fragte erst gar nicht wegen seiner Nachricht, sodass Kaoru schon fast dachte, sie hätte nichts gelesen, aber als sie sich nach dem Nötigstem an Smalltalk verabschiedete, wusste er Bescheid. Sie ahnte es. Dafür schien dieser Satz ja auch gemacht. Um sich auf das Ende vorzubereiten. Sein Herz starb im Hagel der Messerstichte tauesend Tode, aber er weigerte sich, es als Reue anzunehmen und schob es auf die Einsamkeit. Die schwang sich wieder aus dem Bett und zog sich ein Shirt über. Er konnte nicht schlafen. Barfuß tapste er durch den Flur, durchs Wohnzimmer an der Fernsehnsoap und Miyako vorbei auf den Balkon. Der Boden war nass und kalt, der Wind eisig. Es war etwa gegen Mitternacht, doch der Mond war nicht zu sehen. Schwere Gewitterwolken zogen von Osten aus hoch und über die ganze Stadt hatte sich die sternenlose Dunkelheit gelegt. Das Grollen des nahenden Sturmes war nicht zu überhören. Es nieselte schon. Die spührte es auf dem überdachten Balkon nicht auf seiner Haut, aber er konnte es riechen und ganz leise zwischen dem Lärm der Autos heraushören. Ihm war kalt. Gänsehaut überzog ihn und es tat gut, endlich die innere Kälte herauszulassen, auszuleben, die ihn befallen hatte, seit er am Morgen Kaorus Bett verlassen hatte. Er stützte sich mit den Ellbogen aufs eiserne Geländer. Seine Muskeln begannen zu zittern und der Schmerz der Kälte erweckte ihn zu Leben. Er wünschte sich jemanden bei sich, wollte in den Arm genommen werden. Die letzte Nacht überkam ihn und er spührte wieder Kaorus Wärme, die Haut, den Atem. Er spührte den kräftigen Druck auf seinen Körper, die Arme, die ihn festhielten, Hände, die ihn streichelten. Den Kuss, die Küsse, die Leidenschaft. Stöhnend vergrub er seinen Kopf zwischen den Händen, raufte sich die Haare und sah wieder in die Dunkelheit hinaus. Kaoru hatte geweint. Er wollte nicht mit Die zusammen sein. Er hatte sich zwingen wollen und doch nicht gekonnt. Verzweiflung trieb in Die Tränen hoch und Wut wischte sie wieder weg. Er hatte es gewusst und wünschte sich, er könnte aufhören Kaoru zu bedrängen. Eine Abfuhr hätte doch genügen müssen. Warum gab er sich nicht zufrieden? War er ein derartiges Sexmonster, dass er ihn immerzu belästigen musste? Sie beide weiter und weiter in Schuldgefühle treiben wollte? Kaoru hätte Shizuka für ihn aufgegeben, wenn Die verlangt hätte, aber er tat es nicht. Liebe ließ sich nunmal nicht erzwingen. Erstrecht nicht mit Freundschaft. Ohnehin waren sie mit ihrer Freundschaft besser bedient, als mit einer heimlichen Beziehung. Zwischen zwei Männern war es maximal optimal, nie perfekt. Irgendwann wollte Die Kinder haben. Er hätte sie sogar irgendwann mit Miyako haben wollen, sie vielleicht geheiratet, aber sie wollte alles jetzt, sofort und spätestens morgen. Für ihn lagen diese Pläne noch weit hinter übermorgen, aber er wollte eine Familie gründen. Irgendwann. Kaoru sicher auch. Doch diese unersetzbare Nähe, die unendliche Zuneigung, diese unvergleichbare Zweisamkeit –alles was sie fühlten, wenn sie zusammen waren, ersetzte das nicht alles? Wog es nicht viel schwerer als jede Scham vor dem anders sein? Zusammen sein. Nicht nur im Bett, sondern auf der Bühne, im Gespräch, im Lachen fand es sich. Die wollte Kaoru für sich. Er wollte ihn ganz für sich. Wollte ihn besitzen. Nicht teilen. Halten. Festhalten und festgehalten werden. Die Tür klackte und Miyako bat ihn still um Erlaubnis. Er nickte ihr müde zu und ließ sie zu sich kommen. Sie brachte ihm einen Pullover und einen Teller mit Butterbroten. Wortlos zog er sich an und drehte sich dann wieder zur Stadt. „Entschuldigung. Ich war unfair zu dir“, sagte er und löste sein Versprechen Kaoru gegenüber ein. Er sah sie nicht an und wurde auch nicht nervös wie sonst, wenn er sich bei ihr entschuldigte. Miyako kümmerte sich um ihn und hatte ihm längst verziehen. Sie war da. Bei ihm. I love to care for my boy. Caring for my boy I feel happy. Verdutzt blickte er sie an, war nicht sicher, ob er es sich eingebildet hatte. Doch sie stand wirklich neben ihm, den Blick in der Ferne verankert, sang sie. „He’s my child. He’s my life.“ Sie wiederholte die vier Zeilen. Die liebte ihre klare und starke Stimme. Er hatte sie schon immer geliebt. Er dachte an die Zeit zurück, in der Miyako mit ihrer Band auf der Bühne gestanden hatte, das Publikum in ihren Bann gezogen hatte und er nur einer von den vielen Volltrotteln war, der versucht hatte, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie war der pure Sex in ihren Kostümen gewesen. Mit ihrer selbstsicheren Art hatte sie die Hitze in die Clubs gebracht, mit jedem geflirtet und niemanden gewollt. Jetzt sang sie nur noch sehr selten. Mal summte sie vor sich hin, aber es war Monate her, dass er sie so frei und kräftig hatte singen hören. Der Wind wehte durch ihre gebleichten Haare, ließ sie flattern wie eine Fahne. „He’s my life“, sang sie und stockte bevor sie die nächste Zeile leise vor sich herflüsterte, „And life betrays.“ Entschuldigend sah sie ihn an und Die lächelte gutmütig. Ihre männerfeindlichen Texte störten ihn lange nicht mehr. Sie sang keine Liebeslieder –keine glücklichen. Sie gehörten zum gleichen Schlag, zur gleichen Szene wie Kyo. Das war eben nicht in. Verzweiflung verkaufte sich in ihrern Lieblingsclubs besser und es half zu überwinden, zu schreien. „Du solltest wieder mit der Musik anfangen“, forderte er sie auf. Ihre Stimme hatte die Gänsehaut der Einsamkeit gegen eine des Genußes ausgetauscht. Sie lächelte geschmeichelt. „Du solltest wieder mit dem Essen anfangen“, hielt sie dagegen und hielt ihm die Brote hin. Er stritt seinen Hunger ab, aber ihre penetrante Argumentation zwang ihn schließlich zum Zugreifen. „Domina“, murrte er gespielt und sie lachte. „Ja, vielleicht bin ich das wirklich“, gluckste sie und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, „Hast du denn Angst vor mir?“ „Ich hatte mal einen Heidenrespekt vor dir“, gab er nostagalisch zu und biss herzhaft ins Käsebrot. Er betrachtete sie und stellte mal wieder fest, wie schön sie war. Ihr Gesicht hatte ein unglaublich perfektes Profil. Sie war nicht zu dünn, aber schlank und muskellös. Selbst ungeschminkt und im schlabbrigen Schlafanzug strahlte sie Attraktivität aus. „Ja, und damals hast du mir so gut wie gar nicht gefallen!“, grinste sie und strich sich zitternd über die Arme. Die zog seinen Pullover wieder aus und legte ihn grinsend ihr über sie: „Ich weiß. Du hast mich beim ersten Sex ausgelacht.“ Nach Ewigkeiten hatte er es mit Kyos Hilfe geschafft sie zu einem Date hereinzulegen und sogar noch mit in ihre Wohnung zu kommen. Als sie seine Unsicherheit bemerkte, hatte sie mit einen genervten „Hilfe, `ne Jungfrau!“ ihm den Sex verwehrt. Damals hätte er sich am liebsten mit ihr auf der Stelle umgebracht, aber nun fand er es nur noch amüsant. Wie sehr er sich entwickelt hatte. Seitdem war viel passiert. „Man hat es eben nicht von dir erwartet. Da freut man sich auf was heißes, einmaliges und am Ende sitzt frau da mit nem Jungfer, der eine feste Beziehung will“, entrüstete sie sich lachend. Sie hatten diese Aktion im Nachhinein schon etliche Male durchbesprochen, gelacht, geschimpft und dennoch war es der Grundstein, auf dem sie fundierten. „Du bist ein toller Mann“, sagte sie auf einmal und zog seinen Pullover enger um sich, „Kaoru sollte besser auf dich Acht geben.“ Die lächelte sie dankbar an. Ihre Worte zeigten mehr, als sie aussprach. Nimm dir Kaoru, sagte sie, vergiss, was ich von dir will. Werd mit ihm glücklich. „Dein Macker sollte besser sehr gut auf dich aufpassen“, sagte er und tätschelte ihr den Kopf, „Sonst werd ich mich bei ihm melden und ihm einen vom guten Ehemann erzählen.“ Sie lehnte sich an ihn und ihrer beide Arme schloßen sich umeinander. Die spührte ihren weichen Busen, ihre dünnen Arme und den schlanken Körper. Es war vertraut, verräterisch vertraut. „Ich werde dich vermissen.“ Die wusste nicht, wer es gesagt hatte. Vielleicht hatte er es auch nur gedacht, eventuell laut gedacht. Aber er wusste, dass sie es beide aus tiefster Seele spührten. Sie waren lange zusammen gewesen. Fast viel zu lange. Seine erste richtige Freundin, seine erste große Liebe, erste ernsthafte Beziehung. Er war nichs davon für sie gewesen und trotzdem etwas besonderes. Er hatte sie aus dem Nachtleben zu sich geholt, an sich gebunden. Sie waren zusammengeblieben, jahrelang. Waren. Kaoru hechtete die Treppen zu Kyos Wohung hoch. Der Wohnblock war kalt und grau, ähnlich wie sein eigener, nur waren die dünnen Wände noch beschmierter und lagen die Türen noch näher beieinander im faden Beton. Die Tür zur Wohnung war schon angelehnt für ihn und er trat mit einer gerufenen Ankündigung ein. Kyo stand im kurzen Flur und kratzte sich verschlafen am Hinterkopf, sichtlich gestört durch den frühen Besuch. „Morg’n. Du bist’s...“, murmelte der kleine Mann und schlurfte ins Schlafzimmer ohne zu fragen, warum er wachgeklingelt wurde. Kaoru folgte ihm ohne Aufforderung. Er brannte darauf zu reden, denn er brauchte die Bestätigung, dass er das Richtige tat. Kaoru musste wissen, ob er einen Mann... Kaoru erstarrte, als der den Mann in Kyos Bett sah. Verschlafen wühlte sich ein kantiges Gesicht unter dem einzigen Kissen und der Decke hervor. Der Körper war lang, dünn und vorallem nackt. „Du musst raus, ich hab zu tun“, erklärte Kyo dem trocken und warf ein paar Kleidungsstücke aufs Bett. Der hochgewachsene Mann blickte von der Uhr zu Kyo und stöhnte genervt: „Warst du nicht mal Langschläfer?“ „Das nächste Mal vielleicht. Hau rein“, meinte Kyo nur schulterzuckend und schleifte den sich für die Störung entschuldigenden Kaoru in die Küche. „Macht nichts. Um diese Uhrzeit sind wir meistens fertig“, wehrte er lässig ab und griff nach einer Zigarettenschachtel neben dem Herd. Nach dem Öffnen lachte ihn nur die gähnende Leere mit zwei Worten im Deckel aus: „No smoking.“ Schnaubend warf er sie gegen die Wand und füllte stattdessen den Wasserkocher. „Auch Kaffee?“, fragte er knapp und Kaoru nickte, während er sich an die kleine Arbeitsfläche lehnte. Die Anrichte aus Plastik war locker und wackelte unsicher, woraufhin er sich daneben stellte und fehl am Platz fühlte. Seine Arme baumelten unnütz an ihm herunter und seine Füße fanden keine entspannte und lässige Weise zum Stehen. Der fremde, junge Mann kam in die Küche und verabschiedete sich mit einem lockerem: „Bin dann mal weg!“ „Keinen Kaffee?“, fragte Kyo und war schon dabei die dritte Tasse zurück in den Schrank zu stellen. Der Fremde warf einen skeptischen Seitenblick auf Kaoru und schüttelte den Kopf: „Nein, danke. Ich will euch nicht stören. Sieht mir dringend aus.“ Der begann sofort sich zu entschuldigen und wiederholte mehrmals, dass es gar nicht so eilig wär, obwohl er insgeheim die Uhr genau im Kopf hatte. Er durfte sich nicht zum Treffen mit Shizuka verspäten. Nachdem der junge Mann trotzdem gegangen war und die Tür ins Schloß fiel, erklärte ihm Kyo nur lässig: „Mach dir keine Mühe mit falschem Höflichkeiten bei ihm. Ist überflüssig.“ Kaoru kümmerte sich um den Kaffee, froh endlich etwas zu tun zu haben, und musterte den frühstückenden kleinen Mann: „Wer war das eigentlich?“ „Niemand, niemand besonderes“, wurde er abgewehrt. Kyo kaute auf dunkelbraunem Toast und altem Käse herum und knabberte an den verbrannten Stellen entlang. Er beachtete Kaoru nicht bis auf ein paar forschende Blicke, ganz so als wartete er darauf, dass der andere von sich aus das Thema auf den Tisch brachte. „Hm...“, machte Kaoru und goß den Kaffee in zwei Disneyland-Tassen. Es gab keinen zweiten Stuhl zum Brett an der Wand, das soetwas wie ein Küchentisch sein sollte. Absolute Single-Wohnung, noch schlimmer als seine. „Koyama ist ein Kumpel von mir. Wir kommen ganz gut klar, besonders was solche nächtlichen Sachen betrifft. Auf Abruf und auf Gegenseitigkeit. Vor allem aber sind wir unkompliziert, okay?“, erklärte Kyo dann doch und schob den leeren Teller von sich weg. Kaoru stellte ihm den Kaffe hin und lehnte sich wieder gegen die Anrichte, diesmal aber an einer stabilen Stelle. Der Duft umhüllte und wärmte ihn. Es war doch schon recht kalt geworden draußen, besonders morgends, wenn noch keine U-Bahn bis hierher in die Altstadt fuhr und die Heizung seines kleinen, alten Autos erst zum Aufheizen kam, wenn er am Ziel war. Am ersten Ziel für den Tag war er jetzt, nur hatte er nochnichts erreicht. Obwohl er sich am vorherigen Abend ganz sicher gewesen war, als er jede Station ganz vernünftig mit Pro und Contra ausgetüftelt hatte, überwogen in ihm nun die Zweifel, ob es wirklich gut war. „Du bist aber nicht hierher gekommen um meine Affäre aus dem Bett zu schmeißen, oder?“ Kaoru schüttelte den Kopf und pustete den Kaffedampf von der Tasse, während er nach einem Anfang suchte. „Geht es um Toshiya und Sarah?“ Sein schlechtes Gewissen meldete sich, weil er die Sache fast vergessen hätte. Er schüttelte den Kopf. „Um den Plattenvertrag?“ Kopfschütteln. Kyo machte eine längere Pause. „Wieder deine Eltern?“ Kopfschütteln: „Ganz falsch.“ „Shizuka?“ Der Kaffee schmeckte billig und schal, kurzgefasst scheußlich. Kaoru stellte die Tasse angewiedert auf die Anrichte neben sich, legte aber seine Handfläche an das warme Porzellan. „Auch“, antwortete er und beobachtete die Dampffäden, die sich vom Kaffee durch die kalte Küchenluft zur Decke hinzogen und verloren. „Auch?“, wiederholte Kyo mit einem verschlagenen Unterton und seine Augen grinnsten über den Tassenrand hinweg. „Wäre der eine nicht, hätte der andere kein Problem“, behauptete Kaoru gequält und ließ Kyos Musterung über sich ergehen. Er konnte die Augen auf sich spühren, wie sie sein Gesicht und seine Haltung in sich aufnahmen und analysierten. „Wo du schon soweit bist, hast du dich etwa entschieden?“ „Sagen wir mal, ich hatte gewisse Entscheidungshilfe“, erklärte er und ein böses Jucken begann ihn im Gaumen zu reizen. Genervt versuchte er sich mit der Zunge zu kratzen und Würgen zu imitieren. „Entscheidungshilfe?“, Kyo klang sehr skeptisch, er hatte sich keinen Centimeter bewegt und starrte immernoch zwischen den Damfschwaden hindurch über den Rand der Tasse, „Ob die so verlässlich ist?“ Seine Art, seine Gelassenheit, Ruhe und vielleicht auch Überheblichkeit provozierten Kaoru, doch er riss sich zur Neutralität, indem er einige Male betont ruhig und gleichmäßig einatmete. „Wenn ich sie dafür halten würde, wäre ich nicht hier“, sagte er und erwiderte nun den starren Blick genauso penetrant, „Woran erkennt man, dass man schwul ist?“ Ein wenig Stolz machte es ihn schon, dass er Kyo aus der Fassung gebracht hatte. Er hörte wie die Morgenluft durch den kleinen Mund eingesogen wurde, die Tasse vom plötzlich erschwachtem Arm auf den Tisch klackte und viele, kleine Finger wild durch das Haar wuschelten, fuhren, strebten. „Ich bin ein Hase und weiß von nix?“, versuchte sich Kyo mit einem unglücklich entschuldigendem Lächeln, schien aber schon bald zu merken, dass er damit nicht weit kommen würde. Sein Gegenüber sah ihn tief an, sehr tief und tiefer. Er würde immer weiter in ihn hineingehen, bis er seine Antwort gefunden haben würde. „Komm schon! Das ist nicht lustig!“, drängte er stattdessen, entfernte sich von der Anrichte und ging ohne den aufdringlichen Blickkontakt zu unterbrechen auf Kyo zu, setzte sich auf den wackeligen Küchentisch. Skeptisch bemerkte Kyo das Knartschen und fragte sich wie lange das wohl noch gut gehen würde. „Das glaub ich dir wohl“, stöhnte er und fuhr sich mit ausgestreckten Fingern wie mit breiten Fächerkämmen wieder und wieder durch sein durchgewühltes, strubbeliges Morgenhaar, „Seit wann steht du ausgerechnet bei mir am Sonntagmorgen auf der Matte und willst über Sex reden?“ „Seit wann hast du ein Problem damit über Sex zu reden?“, konterte Kaoru Uhrzeit außer Acht lassend. Kyo legte nochmals stöhnend den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und massierte seine Schläfen. Die letzte Nacht drückte auf sein Gemüt. Der Restalkohol hatte sich nicht durch die ausführliche körperliche Betätigung mit Koyama vertreiben lassen und zusammen mit dem Mangel an Ruhe und Schlaf schaffte er es den Kaffee zu überwältigen. Das Sitzen auf dem hölzernen Küchenstuhl war unbequem. Was ihm vor ein paar Stunden im Bett noch gefallen hatte, meldete sich nun je wacher er wurde umso stärker zurück. Wie sollte er unter diesen Umständen Kaoru dazu überreden sich Männern hinzuwenden? Es war offensichtlich wozu dieses Gespräch dienen sollte und er gönnte es Die. Nicht weil Shizuka ihm unpassend für Kaoru erschien, ganz im Gegenteil, sondern aus reiner Soldarität zu seinem gutem Freund. „Was willst du wissen?“, fragte er direkt um die ganze Sache möglichst schnell hinter sich zu bringen. Er lugte hinter seinem Pony und Unterarmen unsicher zu Kaoru: „Willst du’s mit Die machen?“ Vielleicht ging es ja einfach nur um eine praktische Anweisung. Er hörte die beruhigende Atmung, das scharfe Einsaugen der Luft. Die Antwort überraschte ihn wenig. „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“ Kaoru sah ihn um Verständis bittend an. Große, fragende Augen in einer unsicheren Miene. Dieses Geständis hatte ernorme Kraft gekostet. Kyo nickte. Das Gefühl kannte man. „Es ist neu, fremd und für niemanden leicht“, beschrieb er, „Ich glaube, ausgenommen von einigen Tucken ist sich keiner sicher, was richtig ist.“ Er stand auf und tapste zur Anrichte hinüber, hobste bis er sich neben Kaorus Kaffeetasse gesetzt hatte und griff nach dem kalten Gesöff. „Es ist nicht unnatürlich. Wusstest du, dass es im alten Griechenland ganz normal und gängig war sich mit Lustknaben zu vergnügen?“ „Was hat das denn jetzt damit zu tun?“, knurrte Kaoru, dem es weniger darum ging sich mit Homosexualität generell rumzuschlagen als eher herauszufinden, ob er dafür in Frage kam. „Ich will nur sagen, dass es nicht daran liegt, dass Die einen Schwanz zwischen den Beinen hat, dass du letztens verzweifelt bist“, kürzte Kyo seine Rede ab und schmunzelte über Kaorus Reaktion. Der Blick war gebrochen und ertappt. Er hatte gar nicht gewusst, dass dieser harte Bursche erröten konnte. „So wie du dich davor angehört hast, klang es schwul um es direkt zu sagen“, machte er weiter und fand ein bisschen Gefallen daran zu provozieren, „Du kannst mir nicht auf die Nase binden, es hätte dir nicht gefallen.“ Kaoru bedankte sich mit aufspießenden Blicken und einem schmalen Mund. Es war schön gewesen, von seinem schlechtem Gewissen abgesehen. Das würde er heute abschaffen. Sobald er Shizuka aus seinem Leben gestrichen hatte, würde er frei sein Die zu lieben. Aber... „Mit ihr gefällt es mir auch.“ Erschrocken über sich selbst blickte er auf. Er hatte das nicht sagen wollen. Er wollte es verdrängen, vergessen. Die war wichtiger, Die gab ihm den Halt im Leben. Was war schon so eine Frau wert im Gegensatz zu seinem Freund, dem Menschen, der ihn unterstütze, rettete. Sie waren eins, sie waren die Band, das Leben, der Spaß, die Vernunft und das Chaos. Waren sie deshalb Liebe? „Das eine schließt das andere ja nicht aus“, sagte Kyo mit ein bisschen Enttäuschung in der Stimme. Er hatte gehofft, Kaoru hätte sich entgültig für Die entschieden. So weit und so tief ging also schon die Beziehung zu Shizuka. Er hatte gedacht, dass die beiden Jahre zwischen den Männern stärker wären. „Ich will nicht mehr auf zwei Schienen fahren“, beschloss Kaoru mit entschiedener Stimme, „Ich kann es mir nicht leisten Die zu verlieren.“ Kyo wurde hellhörig. Er konnte die Gewichte spüren, die auf Kaorus Schultern lag und diesen zu Boden drücken wollten, konnte sehen, wie sich der Mann mit seiner letzten Kraft dagegen aufstämmte, versuchte mit schweren Beinen vorwärts zu kommen. Er wollte ihm sagen, dass Die ihn nie verlassen würde, ihm versichern, dass Die Shizuka akzeptierte und es ihm gönnte, dass es nicht fair war, dass nur Kaoru sich ins Fleisch schnitt, aber nichts davon schien ihm angebracht. Er konnte es sagen, aber nicht versprechen. Die hatte Kaorus Blut geleckt und wollte ihn nun ganz. Auch wenn er die Sache mit Shizuka überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte, schien er sich nun dagegen entschieden zu haben. Anders konnte sich Kyo diese Überfälle auf Kaoru nicht erklären. Der kalte Kaffee schmeckte noch dünner und scheußlicher. In einem dünnen, tröpfelnden Strahl goß er ihn in den Ausguß neben sich und sprach dabei zu Kaoru ohne ihn anzusehen: „Liebst du ihn?“ Es war gewagt, aber anders schien es keinen Sinn mehr zu machen. Er glaubte fest daran, dass Kaoru seinen besten Freund liebte. Kyo hatte es schon vermutet, bevor Die sich verliebt hatte, noch als der mit Miyako zusammen war, vielleicht war Kaoru auch schon von der ersten Begegnung an hin und weg gewesen. Es hatte nie einen Beweis, aber auch selten einen Gegenbeweis gegeben. Vorsichtig, ganz langsam und vorsichtig drehte er seinen Kopf und sah in das aufgewühlte Meer an seinem Küchentisch. Es war zu viel. Zu viel hin und her und wieder zurück und überhaupt. Warum verstand niemand, dass Kaoru ein bisschen Frieden brauchte. Er war im Frieden, wenn er mit Shizuka allein war und er war im Frieden, wenn er mit Die Zeit verbrachte, aber seit dieses Gezerre der Gefühle in und um ihn herum begonnen hatte, schaffte er es selten bis nie mit einem der beiden alleine zu sein. In Gedanken jagte ihm jeweils der andere mit einem schlechtem Gewissen. Er wollte Die nicht verlieren, noch viel weniger als Shizuka. Sie war ihm auch wichtig –auch. Das Plätschern des kalten Kaffees im Ausguß klang wie Regen. Schon wieder Regen. „Liebst du ihn?“ Kaoru durchfuhr ein Blitz und er war sich sicher, dass der ewige Niederschlag um ihn herum sich nun entgültig in einem Gewitter entladen hatte. Wie konnte Kyo das fragen? Hatte er es wirklich gefragt oder war es nur die Einbildung gewesen, eine der hunderten, tausenden Stimmen, die in seinem Kopf durcheinander sprachen, schrieen, befahlen. Liebte er Die? Er hatte immer angenommen, er könnte das nicht. Er könnte nicht mehr für ihn empfinden. Aber was empfand er jetzt, in diesem Augenblick. Was fühlte er seit ihrer ersten Begegnung. Bewunderung, Wärme, Zuneigung, endlose Freundschaft. Die, der ihn hielt und versprach niemals loszulassen. Die, der in kalten Nächten bei ihm lag. Die, den er bemuttern wollte. Der einzige Mann, dem er es erlaubte sich bemuttern zu lassen. Ein starker Händedruck, eine feste Umarmung. DoDomm. DoDomm. Das war nicht neu. Es war vertraut. Schon immer in ihm gewesen. Die Tränen drangen aus ihm heraus und es war egal, ob Kyo da war oder nicht. Genauso wie es in der vorletzten Nacht bei Die egal gewesen war. Schluchzen schüttelte seinen Körper. Verzweifelt versuchte er sein Gesicht zwischen den Händen zu verbergen, wollte vor sich selbst keinen Gefühlsausbruch zulassen, doch nun musste es raus. Er konnte den Herzschlag hören und es war nicht sein eigener. Dies Herzschlag klang ganz deutlich aus seiner Erinnerung. Er kannte ihn. Er wollte ihn noch mehr kennen lernen. Kaoru wollte bei Die sein. Niemals mehr könnte er mehr für ihn empfinden. Kein Wesen konnte mehr für einen Menschen empfinden als er für seinen Freund. Eine Hand hielt ihm ein Küchenpapier hin und er griff danach, versuchte sein Gesicht zu trocknen, kam eine Sekunde zur Ruhe und fing dann doch wieder an mit der verdammten Heulerei. „Sag es mir, Kaoru. Liebst du ihn?“ Er nickte. Sein Oberkörper sackte zusammen und die Ellbogen schlugen auf die Platte des Tisches. Er wischte sich grob über Augen, Nase, Mund und sah unscharf nach vorne. Kyos Umrisse waren plötzlich bei ihm, er hatte ihn nicht bemerkt. „Ja, ich liebe Die. Verdammte scheiße!“ Es war schneller und lauter gesagt, als gedacht. Auf einmal überfiel ihn eine Wut auf Kyo, der ihn zu diesem Geständnis gebracht hatte. Diese Worte waren nicht für Kyo bestimmt gewesen. Er hätte sie nicht als erster hören sollen. Die hätte sie hören sollen. Die... Das Streicheln auf seinem Rücken beruhigte ihn ein wenig. Sein Kopf war seit Langem nicht mehr so klar gewesen. Das Rätsel war gelöst. Der Gedankenknoten war erweicht. Kaoru war noch nie von Kyo umarmt worden, aber als ihn der kleine Mann in seine dünnen Arme nahm, fand er, dass er es sich verdient hatte. Er legte seinen Kopf auf die Schulter und genoß das beruhigende Klopfen auf seinem Rücken. „Danke“, krächtste er heiser zwischen dem Schluckauf, das ihn überfallen hatte. Nun war er doch wieder froh hierher gekommen zu sein. Kyo war eine seltsame, aber hilfreiche Persönlichkeit. „Mach dir keinen Kopf“, sagte der, „Er wird es verstehen, wenn du noch ein bisschen mehr Zeit brauchst.“ Die Stimme klang so sanft und freundlich, dass er glaubte jemand anderen bei sich zu haben als die schreiende Göre aus der ersten Reihe seiner Band. Kaoru nickte und war dankbar. Unglaublich dankbar. Versteckte und einsame Straßen wurden als erstes glatt als der Winter sich leise in Tokyo hineinkroch. Das gestern noch rote Laub erstarrte unter Millionen von klitzekleinen Kristallchen und die seltenen Grasflächen in der Stadt knacksten und knartschten unter dem Tritt von Kaorus Stiefeln. Sein Schritt war mal schnell und eilig, dann wieder in Gedanken verloren schlendernd und träge. Sein Auto hatte er außerhalb der Innenstadt geparkt und lief nun zum Trip, seinem Stammlokal und Club. Er war öfters mit Shizuka dort gewesen, aber noch viel öfter mit Die und der Band. Die Szenerie sollte ihm helfen, unterstützen, das Richtige zu tun, indem sie Erinnerungen ihres Lachens, ihrer Zusammengehörigkeit, ihrer Freundschaft durch das Zimmer schickte, indem die vertrauten Wände mit ihren Postern, die Tische, Sessel und Stühle ihm Geschichten erzählten, die er kannte. Seinen Jackenkragen hochgeschlagen ging, lief oder schlich Kaoru zum Ziel. Shizuka würde auf ihn warten. Er war nicht so früh wie sonst, schon zehn vor zwölf. Sein Handy klingelte und der Melodie altbekannt beantwortete er Dies Anruf wie immer mit einem lockerem: „Na, was geht?“ Sein Herz hätte loswummern sollen, er war doch verliebt, doch es flaute ab. Der durch den schnellen Gang beschleunigte Puls suchte und fand Ruhe, Gelassenheit, Sicherheit. Sicherheit, dass Die immernoch da war, dass er sich nicht allein der Herausforderung stellte, dass es sich lohnte zu kämpfen auch wenn es Opfer geben würde. Dies Hand zitterte sogar noch wenn er sie fest in ein Sofakissen knautschte. Auf Socken tapste Miyako an ihn heran, nahm über die Lehne gebeugt die zitternde Hand sanft in die ihre. Bis auf die vorbeifahrenden Autos hinter den Fenstern und dem kalten Wind, der durch diese pfiff, war es still. Dies Atem lang aus dem Höhrer wieder. Er drückte Miyakos Hand. „Das frag ich dich“, sagte er endlich, „Hast du was von Toshiya oder Shinya gehört? Ich treff mich gleich nach der Arbeit mit Toshiya und dachte ich bring mich vorher mal auf den neuesten Stand.“ Er wusste, dass er nicht so leicht und lässig klang wie sonst, aber er machte sich keine Mühe. Kaoru war nicht dumm. Er wollte nicht, dass Kaoru dumm war. Ein unzufriedenes Grunzen: „Sarah will es scheinbar nicht haben und Toshiya droht es alleine aufziehen zu wollen.“ „Ah...“, machte Die, mehr wusste er nicht. Miyakos andere Hand lag auf seiner Schulter und klopfte ihn beruhigend. Hilfesuchend drehte er sein Gesicht zu ihr und sie nickte ihm aufmunternd zu. „Die?“, fragend, vielleicht sogar ein bisschen besorgt klang es. „Bin noch da“, meldete er sich monoton. „Versuch nicht zusehr auf Toshiya einzugehen, ja?“, bat Kaoru und klang dabei so freundlich, dass es schon fast zärtlich war. Es dauerte bis Die antwortete, er drückte Miyakos Hand fester: „Japp...“ „Wir arbeiten erstmal an Sarah. Versprichst du es mir?“ „Ich verspreche es“, wiederholte er und fühlte sich gut aufgehoben in der Sorge seines Freundes. Es tat gut umsorgt zu werden. Er hörte Kaorus Atem ein wenig hecheln und wunderte sich, wohin er wohl lief, bis ihm das Datum einfiel. „Du bist unterwegs, oder? Dann ruf ich später lieber nocheinmal an...“ „Bin gleich verabredet, hab aber noch ein paar Minuten.“ Von der anderen Seite klang es bis auf die Atmung keineswegs gehetzt. Wenig Begeisterung schwang in seiner Stimme mit, aber immernoch diese starke Freundlichkeit, die Kaoru einfach an sich hatte. Eigentlich immer schon, aber jetzt gerade war sie so stark, dass sie sich verfestigte und Die mit der Hand danach greifen zu können glaubte. Die Hoffnung drang eher zu ihm als der Sinn der Worte, der wieder alles in Stücke riss. Kaoru sagte immer mit wem er verabredet war, außer wenn er sich mit Shizuka traf. Nur dann hielt er es zurück als wolle er Die vor der bösen Erkenntnis wahren, dass er nicht mehr frei war, dass er Verpflichtungen gegenüber seiner Freundin hatte. Die blickte in Miyakos braune Augen, sah sich selbst in der Spiegelung der Pupillen und befand sich für hässlich. Sie lächelte ihn an, versuchte Mut zu geben und er fühlte sich schuldig ihr gegenüber. „Ich wollte nur...“, sagte er stockend und undeutlich, hörte sich selbst kaum mit dem Rauschen seiner Ohren und war doch nicht überrascht, dass Kaoru ihn verstandt und zum weitersprechen aufforderte, „Mich entschuldigen. Das wollte ich. Wegen vorgestern abend. Das hätte ich nicht machen sollen.“ Es war raus. Die goldene Regel war gebrochen. Die unaufgeschriebende, aber klare Regel über ihr Zusammensein zu schweigen. Er hatte dagegen verstoßen. Er hatte die Umarmungen, die Küsse zur Realität gemacht. Sie waren da, offiziell. Mit seiner Entschuldigung verpflichtete er sich die Zukunft von solchen Dingen frei zu halten, wenn Kaoru nichts dagegen unternahm. Aber so wollte er nicht weitermachen, so ging es nicht. Das konnte kein Mensch ertragen. Diese Aktion war der Sprung aus dem Hochhaus und auch wenn er ganz tief in ihm drinnen darauf hoffte, dass Kaoru ein Fangnetz für ihn ausbreitete, war seine Erfahrung weißer und belehrte ihn der Realität. Er zitterte und Miyakos Streicheln half nichts dagegen. Er hatte sich nicht in Kaoru verlieben wollen. Er hatte das alles hier nicht gewollt. Jetzt hatten er und auch Kaoru genug gelitten. Schlussstrich. Er wollte zusammenfassen, addieren und suptrahieren und sie würden sehen was unten stehen blieb. „Don’t mind“, war die schlichte Antwort und dann nach einem Seufzen, „Aber ich bin froh, dass wir darüber sprechen. Ist ja ein Anfang am Telefon.“ Kaorus Auffangnetz war Freundlichkeit und es geschah, was immer geschah, wenn Die versuchte ein Ende zu finden. Er gab Hoffnung, aber die Hände hörten trotzdem nicht auf zu zittern. Seine Stimme hörte nicht auf zu zittern: „Ja, ich auch.“ Miyako strich ihm über die Schulter, hörte mit, verstand jedes Wort, jedes Gefühl. „Die?“, fragte Kaoru wieder und er meldete sich wieder mit einem: „Bin noch dran.“ „Hast du schon gefrühstückt?“ „Nein“, antwortete er verwirrt über die aus dem Zusammengehang gerissene Frage. „Iss was, du hattest gestern kein Abendessen.“ Gestern am Telefon hatte er es erwähnt, stimmt, dass er appetitlos ins Bett gegangen war. Warum dachte Kaoru an soetwas? Woher wusste er es? Warum war er so verdammt fürsorglich? Warum tat es so verdammt gut? „Mach ich“, sagte Die und wusste, dass er nicht lügte, „Miyako hat mir noch was gemacht. Brote.“ „Gut zu hören, dass du noch lebst“, Kaoru lachte, die Stimmung entspannte sich, „Die, ich muss auflegen. Ich ruf dich zurück. Wir sehen uns die Tage, okay?“ „Ja, tschau. Feiert schön“, wünschte Die und legte auf. Er sah immer noch in Miyakos Gesicht, sie lächelte immernoch: „Gut gemacht. Bin stolz auf dich und deine Pflaume!“ Er nahm sie in den Arm, freundschaftlich und sie streichelte nicht über seinen Rücken, sondern klopfte darauf, freundschaftlich, wie es sich gehörte. Alles war wie früher. Nicht das Päärchen-Früher, sondern das Wohngemeinschafts-, Freundschafts-, Zicken-Früher. „Meine Pflaume?“, wiederholte Die und betonte das erste Wort fragend, ein wenig schmunzelnd. „Du kriegst ihn schon“, ermunterte Miyako und ihr Lächeln war ehrlich, „Das glaube ich ganz fest.“ Feiert schön? Kaoru starrte einen Moment auf den Handybildschirm und vergaß es wieder. Durch die Fensterscheibe vor ihm konnte er Shizuka sehen, die mit dem Rücken zu ihm im Trip saß. Es fing schonwieder an zu regnen. Dick und schwer schlugen die Tropfen gegen das Glaß, auf seine Jacke, seine Haare, Kopf, Beine. Der Wolkenbruch durchnäßte ihn, er rührte sich nicht. Shizukas kleiner Rücken war gebeugt, ihr Kopf nach vorne zwischen ihre Hände gesunken. Sie hatte sich die Haare in ein Kastanienrot gefärbt, aber er erkannte sie wieder ohne ihr Gesicht zu sehen. Er könnte sie aus jeder Menge heraus wiedererkennen. An ihrer Zartheit, ihrer Verletzlichkeit, ihrer mädchenhaften Art. So dünn und zerbrechlich. Seins. Vom plötzlichen Schauer aufgeweckt drehte sie sich zum Fenster um und sah Kaoru an. Sah ihn so wie er war, mit hängenden, nassen Haaren, durchweicht, im Regen stehend. Und er sah sich selbst, sah sich in der Spiegelung des bodentiefen Fensters, sah seine Armut an Courage. Undeutlich erkannte er seine Gesichtszüge, deutlich seine Miene. Leer und ausgetrocknet war sie, erschöpft, leidend, hässlich. Kaoru sah sie, erspähte die Angst in ihrem Blick, die Unsicherheit und die bittere Ahnung dessen, was er ihr angekündigt hatte. Wir müssen reden. Er musste diese Sache beenden. Drei Monate waren sie heute zusammen. Ein kleines Jubiläum, einer kleinen Feier wert. Aber heute, am Tag auf den man sich eigentlich freute, würde es anders sein. Sie wusste es von dem Moment an, als sie ihn draußen vor dem Café entdeckte. Shizuka hatte es geahnt, nun war es soweit gekommen. Sie würde dieses Restaurant nicht glücklich verlassen, nicht mit Kaoru an ihrer Hand. Die Versuchung aufzustehen und wegzurennen war groß und während sie diese gegen die Neugierde der Gründe, den Verstand der Bestätigung abgewog, stand er schon vor ihr. Er musste gerannt sein, denn sein Brustkorb hob und senkte sich stark, Wasser tropfte von ihm hinunter auf das abgetretene Parkett. Sie starrten sich an. Kein Begrüßungskuss um die Öffentlichkeit neidisch zu machen, nichtmal eine flüchtige Umarmung, bloße Gegenüberstellung. Die Bedienung machte einige Schritte auf ihren Tisch zu, überlegte es sich offensichtlich anders und fragte bei den Nachbarn, ob alles in Ordnung sei. Nichts war in Ordnung, nicht an diesem Tisch. Jeder Mensch hasst diese Momente, in denen man es einfach wusste, nicht verhindern, nur erleiden kann; in denen man es nicht wagt sich an die Hoffnung zu klammern, zu banal, zu träumerisch wäre das. Shizuka war kein Opferlamm. Sie riss sich los und kramte in ihrer Handtasche nach einem Stofftaschentuch. Wort- und blicklos streckte sie es ihm entgegen, fühlte, wie es aus ihrer Hand gezogen wurde, Schritte, Stuhlbeine reibten roh über das Holz. Mut fassend hob sie sein Gesicht und sah in seinem mehr Unsicherheit, Verzweiflung als jemals zuvor. Er tupfte sich sein Gesicht ab, versuchte nahzu es hinter dem Tuch zu verstecken, es wegzuwischen. Das hier würde ihm nicht leicht fallen. Sie kannte ihn. Vielleicht sollte sie kämpfen, ihn zurückholen, seine Schwäche nutzen, ihn zwingen bei ihr zu bleiben, aber das wäre nicht sie. Das waren andere Frauen, die immer bekamen was sie wollten. Ayame, Miyako, Yukino, Sarah... Sie wollte nicht so sein, hatte es nie sein wollen, würde nie so sein. Wenn er sie genug liebte, dann würde er zurück kommen –sie würde warten. „Du bist spät...“, sagte sie, fühlte sich widersprüchlicher Weise dazu verpflichtet ihn zu unterstützen. Schlimmer als die Gewissheit war eigentlich nur die Angst, die Vorahnung. Weg damit. „Tut mir leid“, antwortete Kaoru. Sein Gesicht war leer, seinen Augen klein, übermüdet, milchig war sein Blick. Es war das erste Mal, das er zu spät kam. Während er seine Jacke auszog, beobachtete Shizuka seine Bewegungen. Seit wann waren sie so vorsichtig? Wo war der stolze, starke Kaoru, der mit dem mächtigem Ego und der großen Klappe. Dieser Kaoru pellte sich nicht vorsichtig heraus, sondern riss sie sich vom Leib und warf sie über die Stuhllehne. Sie sahen sich an, wobei keiner bereit war einen Anfang zu machen. Die Kellnerin rettete sie aus der Zone des Schweigens. Shizuka bestellte einen Milchkaffee, er ein Wasser. Im Wasser ficken die Fische. Das sagte er sonst immer. Sie waren wieder allein und still. Dann öffnete er den Mund und entschuldigte sich noch einmal für die Verspätung und bedankte sich für das kurzfristige Treffen. Sie nickte. Ja, amen. Immerdoch. Für ihren Kaoru immerdoch. Er hörte nicht auf herum zu drucksen, bis sie es nicht mehr aushielt und ihn sagte: „Willst du mit mir Schluss machen?“ Sie fragte kühn, kalt ohne Hoffnung. Es hatte schon andere vor ihm gegeben, einer von ihnen war genauso daran gegangen. Eins der Naturgesetze schien zu besagen, dass kein Mann es mit ihr länger als drei Monate aushielt. Sie wollte es hören, jetzt oder gar nicht. Entweder er rettete sie mit einem wunderlichen Blick und lachte sie aus, wie sie darauf den käme oder er tat es. Sein Gesicht allein war die erste Bestätigung. Die Ertapptheit, die Schuld und Schande darin erzählten mehr als sie an diesem Nachmittag bereden konnten. Er nickte, antwortete dann noch einmal: „Ja, werde ich.“ Das Zittern überfiel sie, brachte Schluckauf und die ersten Tränen mit sich. Als die Kellnerin kam, senkte sie ihren Kopf. Kaoru bezahlte. Das letzte Mal, dass sie als Paar hier waren. Sie würde dieses Lokal nie wieder betreten. „Mach“, forderte sie ihn auf, „Bring es hinter uns. Ich hör dir zu.“ Er seufzte tief, atmete wieder schwer wie nach einem langen Lauf und began zu sprechen. Bei jedem Wort beobachtete er die Wirkung, machte Pausen, sammelte sich neu um dann wieder auf seine Freundin einzudreschen. Es tat weh. Es zerrte überall, wenn er sie verletzte, statt sie zu beschützen, sie zum weinen brachte, statt sie zu trösten, sie wegzustoßen, statt sie in den Arm zu nehmen. Warum tat er das? „Ich glaube nicht, dass wir eine Zukunft haben. Ich mein, du willst doch Familie haben, oder nicht? Ich möchte erstmal einen Plattenvertrag. Unsere Präferenzen liegen da einfach zu weit aus einander. Und es macht mich fertig, wenn ich wieder zu wenig Zeit für dich habe, aber ich kann und darf die Band nicht zurück stellen. Das ist es einfach nicht wert. Dabei bist du es doch gar nicht wert bei jemanden zu bleiben, der dich nicht genug schätzt um ein paar Tage die Woche frei zu halten. Aber mir fehlt einfach die Zeit. Mir fehlt auch Zeit für mich, die ich brauche. Dringend brauche, für mich allein. Ich will dir das nicht mehr antun. Wir passen nicht zueinander. Lass uns Schluss machen, bevor es zu spät ist. Ich weiß nie, wo wir stehen. Wie ernst es uns auf langer Sicht ist und bevor wir beide falsche Vorstellungen machen, ist es wohl besser einen Schlussstrich zu ziehen. Ich mag dich gerne, sehr gerne. Hilfe, ich war schon lange nicht mehr so verliebt, aber ich weiß nicht ob aus dieser Verliebtheit wirklich Liebe geworden ist. Es liegt an mir, dass wir soviel und immer Stress hatten. Ich hätte dich besser behandeln sollen, da kann ich wohl noch viel dazulernen. Ich bin der ohne Zeit, Gedult, der immer und ewig Vergessliche. Tut mir leid, dass ich so bin. Unterm Strich bin ich wohl einfach nicht der Richtige mit dem du Kinder großziehen solltest.“ Sein Text war abgeschlossen, gut vorbereitet und geübt hatte er fast alles so formuliert, wie es geplant gewesen war. Shizuka hatte währenddessen nichts anderes getan, als mit gesenktem Kopf leise vor sich hin geweint. Sie wimmerte leise, ab und zu rücktete ein Schluchzen ihren Körper, dann zitternten ihre Händen. Er überlegte, ob er ihr das Taschentuch wieder geben sollte oder ob es zu unangemessen war, dann nahm sie schon die Papierservierte. Endlich sah sie auf, sah ihn an als hätte sie ihn noch nie gesehen, als wäre er ihr fremdgeworden, weil sie sich Jahre nicht mehr begegnet waren, sie ihn vergessen hatte. Amnesiekranke Augen. „Ist es deswegen?“, flüsterte sie, „Weil ich gesagt habe, dass ich dein Kind weggeben würde?“ Sie hörte auf zu weinen wie ein Wasserspiegel sich nach dem Einschlagen eines Steines beruhigt, nahm sie die Schwere in sich auf. „Ja“, glaubte er zu meinen, „Auch.“ „Ich verstehe“, sagte sie und dann noch, „Dann ist das hier kein Fehler?“ Diese ängstlichen Augen brachten ihn nah an die Grenze des Gefühlsausbruches. Er wollte weinen, heftig nach Hilfe schreien und laut die Welt fragen, warum sie ungerecht war. Wer wusste schon, ob es ein Fehler war? Wer ohne Leid leben wollte, dessen Fehler war es mit dem Leben anzufangen. Ja, vielleicht war es ein riesiger Fehler, aber bestimmt kein Missgeschick. „Nein, ich meine nicht.“ [1]The string was cut So easily it was cut Sie nickte, forderte: „Lass mich bitte allein.“ Ihr Kopf sackte wieder nach unten. Für Kaoru gab es nichts richtiges mehr zu sagen. Kein „Wir können ja Freunde bleiben“ oder „Es war wirklich schön mit dir“ würde es ihr erleichtern, würde es ihm erleichtern. Er stand auf, zog seine Jacke an, ließ sein Wasser unangetastet stehen. Gerne wär er mit ihr zusammen bis zur Tür gegangen. Dann hätte er noch eine Möglichkeit gehabt sie zum Abschied zu umarmen, doch sie stand nicht auf, schien wenig von der Idee zu halten, wenn sie ihr überhaupt gekommen war. Es drängte ihn sie noch ein letztes Mal zu berühren, darum legte er ihr die Hand sanft auf die Schulter, spührte, wie sie zusammenzuckte und sagte das letzte Wort zu ihr: „Danke.“ Er wollte sie nie wieder sehen. Nicht in diesem Leben würde er über sie hinweg kommen. I will sing your song tomorrow Just an ordenary love song I was to awkward to say... Kaum aus dem Lokal getreten lief er los, rannte bis er sich im Auto verstecken konnte und die Wogen hereinbrechen lassen konnte. Kein Regen mehr, aber es würde dauern, bis die Sonne wieder für ihn scheinen würde, wenn sie jemals wieder scheinen würde. Passanten liefen vorbei, dann und wann entdeckte ihn ein Kind oder eine alte Dame, doch er bemerkte sie nicht. Shizukas Taschentuch noch fest in seiner Hand presste er es gegen sein Gesicht als könnte er seine Tränen wie eine Blutung stillen. Sein Handy piepte und der Ablenkung dankbar öffnete er eine Nachricht. Ein bisschen lächeln konnte er doch noch. Woher auch immer, Kyo wusste wie er sich fühlte, wusste als einziges was er gerade getan hatte. „Du kannst jederzeit weinen, weil es regnet. Aber es wird niemals regnen, weil du weinst. Er ist es wert.“ Ein einziges Wort kam über seine Lippen, ein letztes Mal erlaubte er sich Shizukas Gesicht in der Erinnerung: „Goodbye!“ [1] Gedicht aus Kyos Textbuch; Nr. 26: japanische Originalfassung, deutsche Übersetzung ist von mir, die englische ist meiner Meinung nicht ganz treffend, aber trotzdem schön und daher hier auch unverändert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)