My Wish for the Forbidden Kiss Remains von Serpentia (-道ならぬ恋 michi naranu koi –) ================================================================================ MenschenWert ------------ My Wish for the Forbidden Kiss remains -道ならぬ恋 michi naranu koi – Kapitel 14 MenschenWert Du kannst jederzeit weinen, weil es regnet. Aber es wird niemals regnen, weil du weinst. Wieviel bist du wert? Ehrlichkeit. Aufrichtigkeit. Was bedeuteten diese Begriffe für Kaoru? Ehrlichkeit war wichtig und Grundlage für jedes soziales Verhältnis, aber war es manchmal nicht auch aufrichtig eine Notlüge anzubringen? Wenn das Wissen für die nicht direkt Betroffenden nur störend oder sogar verletztend war zum Beispiel. Angenommen er erzählte seiner Freundin von dem Kuss mit Die. Nur so, ganz nebenbei. Würde sie ausrasten oder es als Spaß ansehen, wenn er es als eine Art Alltagsunfall hinüber brachte. Wahrscheinlich würde sie sagen, es als Spaß anzusehen, und dann ausrasten –mit doppelter Wucht. Nervös trommelte er mit den Fingerspitzen auf seiner Gitarre. Sie musste jeden Moment ankommen und er saß da, in seiner schlechtbeleuchteten Wohnung und verarbeitete die musikalischen Ideen, die Die und ihn in der letzten Nacht unter Einfluss des ein oder anderem wirren Gedankenzuges überfallen hatten. Es regnete –schon wieder. Gestern hatte es auch geregnet, aber das war egal gewesen, weil er den ganzen Nachmittag geprobt hatte. Warum regnete es andauernd, überlegte er. Führte der Regen zur Melancholie, weil der Himmel weinte oder weil man im Haus festsaß und sich nicht von der Sonne ablenken lassen konnte? Es musste die ganze Nacht durchgeregnet haben. Kaoru rief Shizuka an und machte sich auf den Weg zur U-Bahnstation, um sie abzuholen. Der Regenschirm lag zusammengeklappt fest in seiner Faust. Der Niesel legte sich in mikrobischen Perlen in seine violette Haare, intensivierte sie. Als er ankam, war seine Jacke schon fast durchnässt. Seine Freundin wartete geduldig am überdachten Eingang der Stationstreppe zärtlich lächelnd und vielleicht auch ein bisschen amüsiert. Im gleichen Moment, als sein Herz wie gewohnt aufsprang, verkrampfte es sich zu einem knartschigem, schmerzhaftem Knoten. Sie begrüßten sie wie gewohnt, liefen eng aneinander gedrängt unter dem Schirm. Shizuka nannte ihn einen „nassen Pudel“, er sie eine „gackernde Henne“ und doch kam es Kaoru vor, als würde er allein in einem Tunnel umherwandern. Abgeschirmt und unberührt von der Außenwelt. Hier und jetzt das letzte Mal mit ihr Hand in Hand zu laufen, das letzte Mal ihr Lachen so klar und frei in seinen Ohren hören. Niewieder mit seinen Fingern ihren zarten Hals zu kraulen, niewieder ihre zierlichen, beinahe irreal zierlichen Lippen küssen. Könnte er das alles ertragen? Könnte er alles für Die ertragen? Plötzlich zog er sie noch näher zu sich, in seine Arme auf offender Straße und küsste sie. Sie taten nicht mehr, als ihre Augen zu schließen und sanft ihre Münder aufeinander zu legen, aber eine alte Dame sah trotzdem erpört zu ihnen herüber. Kaoru war es egal wie eh und je. Das hier war gar nichts. Was wäre, wenn... –ja, was wäre, wenn er hier und jetzt Die küssen würde? Küssen könnte. Das würde er nie schaffen. Mit Shizuka war es soviel einfacher, freier, unbelasteter. Sie liebten sich gegenseitig und genau diese Gegenseitigkeit war der Punkt, an dem es bei ihm und Die schwankte. Toshiya betrachtete Sarah mit einer unendlichen Genugtung. Er mochte schöne Sachen und das ästhetischte Wesen selbst lag hier, genau vor ihm. Der Regen prasselte gegen die hohen, dunkeln Fensterscheiben. Kerzenlicht flackerte auf dem Nachttisch. Ihre blonden Haare wirrten wie lange Fäden aus Gold von ihren Schultern übers Kopfkissen auf dem Betttuch. Ihre Haut war porzelanhafter als die Malerien von Geisha auf den Vasen in seinem Elternhaus. Toshiya bewunderte die geschwungene Form ihres schlanken Armes, der ausgestreckt von ihr weg zeigte. Ein weißer Kontrast zur dunklen Bettwäsche, die sie nicht mal halb bedeckte. In Aquamarinblau waren Blumen und Pflanzen auf luxoriöse Seide gemalt. Er hatte sie nur deshalb gekauft. Weil es die gleiche Farbe war, in der ihn Sarahs Augen immer so verführerisch ansahen. Sie murrte ein wenig, als er die Decke von ihrer Tallie herunter bis zur Hüfte zog. „Ich will dich nur ansehen“, flüsterte er und sie präsentierte ihm einen von diesen verschmitzt lasiven Blicken. Dann senkte sich eine Trägheit über ihr Gesicht, eine Ernsthaftigkeit, die er seit dem zuvorigem Tag fürchtete. Toshiya sah wie schwer es ihr fiel den Anfang zu machen, aber seine Ahnung, seine Angst vor dem was kommen würde, schnürrte ihm genauso, wenn nicht sogar mehr, den Hals zu einem engem Schlauch zusammen. „Du wolltest mit mir reden?“ Sarah erhob sich nicht, nickte aber stumm. Er drehte sich auf den Rücken und starrte zur Decke, wartete aufs Ungewisse. Er hörte sie tief durchatmen, sich aufsetzen und die Decke hochziehen. „Wie läuft es mit der Band?“ Nach einer kurzen Überraschung fiel der Ärger über ihn hinein: „Lenk nicht ab. Das hat mit uns doch nichts zu tun.“ „Doch hat es“, entgegnete sie ruhig. Er seufzte. Sie konnte sich gar nicht vernachlässigt fühlen. Sie verbrachten soviel Zeit miteinander. Sie... „Wir haben noch nie über konkrete Zukunftspläne gesprochen“, begann Sarah, er hörte das Zittern ihrer Stimme ganz deutlich, „Über Visionen und Träume, aber nicht über die nähere Zukunft.“ Still hörte er ihr zu. Ein Verdacht machte sich breit. Er war gewarnt worden, hatte das Thema aber immer vor sich hergeschoben. „Bitte sag mir nicht, dass es Probleme mit deinem Visum gibt.“ Kläglich, bettelnd musste er klingen, doch es war ihm nicht peinlich. Sie sollte wissen wie sehr er sie brauchte, liebte, für sich haben wollte. „Nein, es ist alles in Ordnung“, beruhigte sie ihn, „Darum geht es nicht. Toshiya, ich will noch nicht erwachsen werden.“ „Du bist erwachsen“, sagte er verstört. „Du möchtest doch auch noch viel erleben, bis du erwachsen wirst, oder? Du wirst gerade Rockstar, oder?“, fragte sie und sah ihn dabei eindringlich, flehend an. „Ja, natürlich, so in etwa.“ „Toshiya, es ist etwas schiefgelaufen und ich weiß nicht, wie wir das schaffen sollen“, gestand sie ihm endlich. Verständnislos sah er sie an und schüttelte seinen Kopf: „Wie schiefgelaufen? Wovon redest du?!“ Tränen perlen aus den Aquamarienen. „Verhütung.“ Für den Schock und die Angst –die pure Angst, die Toshiya in diesem Moment bis in jede Zehe, in jedes Haar und Zelle erfüllte- gab und gibt es keine Worte. Sie saßen sich am kleinem Küchentisch gegenüber und tranken Tee. Kaoru suchte nach Worten, während sie plauderten, nach dem berühmt-berüchtigtem richtigen Moment, hatten sie doch noch den ganzen Abend Zeit. Je weiter er es vor sich her schob, desto mehr driftete er von seinem Entschluss hinweg in die typische Gedankenlosigkeit, die ihn immer überfiel, wenn er sich mit Shizuka traf. Ihr war sein seltsames Verhalten aufgefallen und sie überspielte seine Schweigsamkeit indem sie mehr erzählte als fragte. Das passierte in jeder anstrengenden Phase, die er durchmachte. Shizuka half ihm abzuschalten und sich freizumachen. Dadurch, dass sie ihm unbedeutende kleine Anekdoten berichtete, brachte sie ihn auf neue Gedanken und zum Lachen, bis er ihr dann meistens von sich aus sagte, was geschehen war. Kaoru streckte seine Hand aus und griff nach ihrer. Sie verhakten ihre Finger und sanft ihr Daume berührte seine Handfläche. Erschöpft ließ er sich nach vorne fallen und legte seinen Kopf auf den anderen Arm. „Du musst ein schlechter Schüler gewesen sein“, schmunzelte sie, „Man sieht dir an, wie gut du auf Tischen schlafen kannst.“ „Ich hab nicht einmal die Highschool durchgezogen“, gestand er lachend. „Echt? Warum nicht?“ „Musik ging vor, Feiern und Freunde sowieso. Meine Kumpels waren alle älter und fertig mit der Schule. Ich wär eh nie auf eine gute Uni gekommen. Wollte ich auch gar nicht. Ich brauchte und brauch nur meine Musik. Also bin ich mehr oder weniger von zu Hause getürmt und hab den ersten Zug nach Tokio genommen.“ Er gluckste ein bisschen über seine jugendliche Naivität und Dummheit. Nicht, dass er es bereute oder es ihm deswegen jetzt schlecht ging, aber er musste gestehen, dass er wirklich viel Glück gehabt hatte. Vielleicht war sein größtes Glück sogar Die gewesen, der ihm in der Großstadt auf die Beine geholfen hatte. „Du Freak“, sagte sie nur akzeptierend und kein bisschen vorwurfsvoll. Er lächelte sie an und wusste in diesem Augenblick, dass sie niemals, nicht mal über seine Leiche von Die und ihm erfahren würde. „Ich hab was für dich“, flüsterte sie und sah ihn bedeutend an, „Bin gleich wieder da.“ Kaoru verblieb liegend auf dem Küchentisch und betrachtete seine ausgestreckte Hand. Wie einsam sie alleine aussah, wenn sie so halb gebogen auf dem platten Tisch einfach nur da war. Seine Hand wartete darauf wieder festgehalten zu werden. Könnte sie es ertragen, wenn Shizuka nicht mehr aus dem Wohnzimmer zurückkehren würde? Hinter ihm raschelte eine Plastiktüte. Ein Geschenk. Zärtliche Finger liebkosteten seinen Nacken und Hals. „Ein Geschenk zur Aufmunterung, Motivation und Stärkung meines Helden“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Langsam richtete er sich auf und sah was sie in der Hand hielt. Aus einer kleinen Tüte zog sie ein Stück Stoff und reichte es ihm. Er faltete es außeinander und verstand noch nicht so richtig, was er in den Händen hielt. „Das sieht klasse aus!“, keuchte Kaoru und sah ungläubig von dem T-Shirt zu seiner Freundin. „Ich hab es für dich entworfen. Für euren Auftritt am dreizehnten“, erklärte sie, „Ich möchte dich mit dem unterstützen, was ich am besten kann. Und Design studiere ich nunmal.“ Kaoru konnte mit seinem Lachen nichtmal einen Anteil von dem Glück zum Ausdruck bringen, das er gerade empfand. Er zog Shizuka in seine Arme, das Oberteil zwischen sie gepresst, und küsste sie immer wieder auf die Schläfen, den Scheitel, die Ohren, alles was er von ihr erwischen konnte. „Ich liebe dich, mein kleines Mädchen. Hilfe, ich liebe dich so sehr.“ Er lag mit Kaoru in enger Umarmung sich gegenseitig liebkostend in einem Meer von weißen Kissen und Decken. Die Fingerspitzen berührten seine Haut kaum, sodass er sie mehr erahnte als spührte. Die wand sich unter ihnen wie ein Aal, verkrampfte sich in seiner Erregung und stöhnte, wenn nackte Haut nackter Haut begegnete. Die Lippen, der Atem –alles machte ihn wahnsinnig. Jedesmal wenn sie sich minimal voneinander entfernten, folgte er verzweifelt Kaorus Mund und zog ihn zurück. Sie tanzten miteinander, verschlangen sich neu ineinander, wechselten zwischen Dominanz und Apathie. Wie sehr genoß er diese Hände. Die Hände, die überall waren, ihn streichelten. Die konnte spüren wie hart Kaoru war, als dieser sich auf ihn legte. Er hörte sie beide atmen und stöhnen, intensiv und erotisch. Sie liebten sich auf jeder möglichen Ebene. Routiniert bewegten sie ihre Hüften gegeneinander, küssten sich tief. Dann lag Die hellwach und schwitzend allein in seinem Bett. Vollkommene Stille umfing ihn. Nicht mal Wind oder Regen waren zu hören, nur sein eigender, schwerer Atem. Hektisch versuchte er sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen. Er schaltete seine Nachtlampe an und stöhnte genervt, als er sah, dass es vier Uhr morgends war. Das Licht der Lampe reichte aus um sein Bücherregal zu erhellen, in dem viele Photorahmen standen. Dieses eine, von Kaoru und ihm, auf dem sie sich die Arme um die Schultern legten, sah er auch diese Nacht an. Verzweiflung überkam ihn. Er blickte auf sein Bett, sein viel zu großes Bett. Mit nur einer Decke sah es verräterisch einsam aus. Er war immer noch ausser Atem und Erinnerungen seines Traumes waren noch sehr fest in ihm verankert. Nicht nur in seinem Kopf, auch sein Körper hatte nicht vergessen. Er wollte sich gut fühlen. „Warum wirst du niemals bei mir sein?“, flüsterte er für sich und als er sich selbst berührte, weinte er dabei ein bisschen. Kaoru staunte nicht schlecht, als er Toshiya schon vor sich im Proberaum vorfand. Als er an der Rezeption den Schlüssel nicht mehr hatte abholen können, hatte er eigentlich damit gerechnet, dass Die hiersein würde. Ein bisschen enttäuschend war es. Weil seine Begrüßung schon nur mit einem Murmeln quittiert wurde, machte er sich keine weitere Mühe zu fragen, warum Toshiya mit seinem Kopf zwischen den Armen vergraben halb auf dem Tisch lag. Der Bass stand in der Tasche achtlos in der Ecke. Kaoru warf noch einen verwunderten Blick auf das Häufchen Elend, fing dann aber an sich auf die Probe vorzubereiten. Er hatte wenig Zeit für die neuen Stücke gehabt und versuchte sich gerade in letzter Minute auf den neusten Standt zu bringen. Laut krachte seine E-Gitarre durch den Raum, heulte, kreischte und sang ihr eigenenes, freies Lied. „Hey“, klang es aufeinmal und nocheinmal bis Kaoru es hörte und still wurde. Mit der Gitarre noch umgeschnallt stellte er sich hinter Toshiya und legte ihm seine Hand auf die Schulter. Wortlos wollte er ihm Trost spenden, bis dieser von sich aus berichten würde, was Schreckliches Sarah hatte mit ihm bereden wollen. Minuten lang waren sie einfach nur so da. Wortlos –bis Toshiya seufzte und sagte: „Ich habe Mist gebaut.“ Kaoru wollte schmunzeln, doch die tiefe Last in der Stimme verdarb es: „Das passiert jedem von uns mal.“ „Nicht das“, widersprach Toshiya, „Nicht dieser Mist.“ Als er keine Reaktion bekam –Kaoru dachte darüber nach, wie und auf welche Weise Toshiya solch eine Katastrophe herausgefordert haben könnte und landete dabei bei der Liste der Sachen, die Die jemals verbockt hatte- hob Toshiya seinen Kopf ein wenig und gerade aus zur Tür. Flyer, Sticker und Krickeleien machten die Tür zu einer umfassenden Kollage aus jenen Träumen und Visionen aller, die hier einst für den Weltruhm geübt hatten. Wieviele davon wohl je auch nur bis in eine von Kyos Rezessionen, geschweige denn an die breite japanische Öffentlichkeit gelangt? Einer von hundert? Hunderten? Tausenden? Man war so leicht austauschbar. „Soll ich weitermachen?“, fragte er Kaoru, als wüsste dieser genau worum es ginge. „Man soll immer weitermachen“, antwortete dieser universal. Toshiya vergrub sein Gesicht wieder, aber die vollgeklebte Tür verschwand nicht von seinem innerem Auge. Es klang überhaupt nicht, wie seine eigene Stimme, als er es zum ersten Mal vor einer dritten Person aussprach: „Sarah ist schwanger.“ Die Nachricht donnerte auf Kaoru ein. Damit hatte Toshiya ein wirklich großes Problem. Wovon sollte sich die mögliche Familie ernähren? Wie Kaoru lebte Toshiya noch von der Unterstützung seiner Eltern –die Band brachte mehr Kosten als Profit. Was war mit Sarah? Wollte sie nicht nach ihrem Studium nach England zurückkehren? Wo würde das Kind bleiben? Wie lange waren sie überhaupt schon zusammen? Doch nichtmal ein halbes Jahr. Viel, viel weniger. „Ich will das nicht“, jammerte Toshiya aus tiefster Seele, „Ich schaff das noch nicht. Ich bin nichtmal 20!“ „Das hat nichts mit Alter, vielmehr mit Reife zu tun.“ Verzweifelt wand er seinen Kopf zu Kaoru: „Ja, eben! Ich bin noch nicht reif genug für ein Kind!“ Kaoru wusste nichts zu erwidern, ohne zu lügen. Es war eine scheiß Situation. Eine richtig beschissene Situation. „Sarah und ich haben noch zuviel Jugend vor uns!“, rief er aus und die schalldichten Wände verschluckten seine Worte, „Wir brauchen unsere Jugend!“ Tränen floßen und Kaoru konnte nicht mehr tun als beide Hände auf die Schultern zu legen und zu zuhören. „Wir können jetzt noch keine glückliche Familie gründen. Ich weiß nichtmal, ob ich es mit ihr jemals möchte.“ „Liebst du sie?“, fragte Kaoru mehr aus Neugier als aus Hilfsbereitschaft. „Verdammt ja! Über alles!“, seine Hände verkrampften sich zu Fäusten, „Aber werd ich das mein Leben lang? Ich weiß es nicht.“ Kaoru nickte nur resignierend, dachte an seine eigenen Eltern und an all die Paare, die nichtmal ein bisschen Liebe als Grundlage gehabt hatten und trotzdem jahrelang zusammen blieben, Kinder großzogen und alt wurden. Liebe war Luxus. Vielleicht scheiterte heutzutage deshalb soviel. Weil man zuviel darüber nachdachte. „Aber sie will das Kind behalten?“, fragte er, weil er nichts anderes wusste. Sarah war willensstark. Sie zog alles sicher durch, davon war er überzeugt. Und sie war Sozialarbeiterin, sogar Christin –soweit er es mitbekommen hatte. Toshiya schwieg, schwieg lange. Mulmig wurde es in Kaorus Magen. Nie könnte er sich das bei ihnen vorstellen. „Wir... haben auch über...“, er machte wieder eine lange Pause, während er nach einem ersetzenden, beschreibenden Wort suchte, „eine Operation gesprochen. Und vielleicht... –eventuell ziehen wir es in Erwägung.“ Kaoru atmete einmal tief ein und aus, dann tätschelte er nochmal Toshiyas Schultern. Was würde er tun, wenn Shizuka schwanger wäre? Mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen war leicht. Würde er Shizuka jetzt heiraten und für immer der Vater ihrer Kinder sein wollen? Lieber schon in neun Monaten Windeln wechseln, anstatt Konzerte zu geben? „Zumindest trefft ihr solche Entscheidungen zusammen“, rang er sich etwas positives ab, „Das ist doch schon ein Anfang.“ „Ja...“, antwortete Toshiya lethargisch, „Ein Anfang... Nur wofür?“ Die steckte seinen Kopf in den Proberaum und sah verblüfft aus. Kaoru zog ihn zurück auf den Flur und schloß hinter sich die Tür. Eine ähnliche Hilflosigkeit wie bei Toshiya zeichnete sein Gesicht. Wie sollte er beistehen, wenn er selbst so aufgeschmissen war? Gerade in den letzten Stunden war er zwischen Die und Shizuka zerrissen und nun blieb nichts außer sich in Dies Arme zu werfen und Hilfe zu suchen. Sie standen am höchsten Absatz des Treppenhauses. Im spärlichem und warmen Sonnenlicht flimmerte der Staub. Die Wände waren genauso dreckig und sogar noch viel beschmierter als der Boden. Sie hörten den Schall zugeschlagender Türen, dumpfe Tritte schwerer Stiefel auf dem Laminat der Stufen und das Klackern der Absätze in der marmornenen Eingangshalle. Die hielt ihn mit einem festen Griff an den Schulter. Kaoru lehnte sich an die Brust, genoß den Halt und versuchte seine Gedanken zu strukturieren. Nutzte er Die eigentlich aus? Er konnte nicht anders, denn sein Traum war gerade dabei einzubrechen. Wenn Toshiya kein Teil mehr von Dir en grey war, dann müssten sie wieder umbauen, einen neues Mitglied mit neuen Komponenten zulassen. Und sich ganz neu um einen Plattenvertrag bewerben. Es gab kaum eine Bassisten, der so gut spielte, attraktiv für Frauen war und musikalisch zu ihnen passte. Toshiya war ein großer Gewinn gewesen und ein Verlust wäre eine Katastrophe. Aber wenn er bei ihnen blieb, ließ er Sarah vielleicht abtreiben. Was das der richtige Weg? „Was ist bloß schon wieder los?“, murmelte Die ihm mit einem amüsiertem Unterton ins Ohr und er schmiegte sich an ihn. Die Kraft, die ihn umgab war genauso wichtig, wie die Fröhlichkeit und Entspannung, die Shizuka in sein Leben brachte. Er wurde beschützt und gehalten. Kaoru drehte seinen Kopf, sah aber nicht in Dies Gesicht, sondern nur auf den Hals. Warm war Die und zärtlich. „Lass mich einfach nur so bleiben“, bat er und sie blieben, bis erst Shinya, dann Kyo die Treppe zu ihnen hoch kamen. Kaoru sagte es den anderen sofort. Toshiya saß auf einer Verstärkerbox, den Kopf gesenkt und wagte nur selten einen Blick auf die ernsten Mienen um ihn herum. Er war dem Leader dankbar dafür, dass er nichts mehr sagen musste und alles für ihn geklärt wurde. Sein Magen schmerzte. Sein Kopf pocherte mal, mal war er einfach nur betäubt und still. Shinya nahm es auf sich, das auszusprechen, was sich unsichtbar in den Raum und aller Köpfe geschlichen hatte. Er hatte fast die ganze Zeit geschwiegen und räusperte sich nun, um sich Gehör zu verschaffen. „Toshiya, ich sag es nicht gerne“, begann er und betrübte Blicke wanderten umher, „Aber du steckst bis zum Hals in Scheiße.“ Der Bassist nickte nur, wartete auf das, was kommen musste. „Wir waren und sind uns doch einig darüber, das diese Band nicht zum Spaß geführt wird. Dir en grey möchte etwas erreichen“, Shinyas Stimme war klar, aber weich. Er versuchte zu verharmlosen. Die wollte sich neben Toshiya setzen, ihm den Arm um die Schulter legen, aber, als er sich bewegte, hielt Kyo ihn zurück. Sie tauschten einen Blick aus und Die gab unwillig nach. Nein, lass ihn, hatte der Sänger ihm gesagt und Da muss er durch. „Wir haben gerade eine Riesenchance. Jeder einzelne von uns“, sprach Shinya weiter, „Du hast deine in Gefahr gebracht. Und ich möchte dich weiter dabei haben.“ Er machte eine Pause. „Aber nur, wenn du sicher bis zum Ende dabei bleiben kannst.“ Toshiya biss sich ein Stück seiner Zunge ab und schmeckte das Blut. Es war klar gewesen und fair. Wenn Shinya Yukino geschwängert hätte, wäre es nicht viel anders verlaufen. Wenn er Vater würde, müsste er mehr Geld verdienen. Ein Kind war teuer. Wäre er als Rockstar ein guter Vater? Für Dir en grey viel interessanter war aber noch: Wäre er als junger Vater ein guter Rockstar? Die Belastung wäre unheimlich. „Was Shinya damit sagen will“, schaltete Kaoru sich ein, „Ist eigentlich ganz simpel.“ Zum ersten Mal hob Toshiya seinen Kopf. Er hatte mit Sarah die ganze Nacht geredet, gestritten, geweint. Viel geweint. Sein Gesicht war gezeichnet von Taubheit. „Wenn alles glatt läuft und wir nach dem Auftritt am 13ten einen Festvertrag angeboten bekommen, unterschreibst du bitte nur, wenn du sicher bist, dass du unser Bassist bleibst. Der Vertrag wird für die nächsten Jahre bindend sein. Da kommst du nicht mehr raus.“ Toshiya nickte wieder träge. Kaoru war ruhig und erwachsen. Die kam zu ihm und legte ihm den Arm um seine Schulter. Er reagierte schwach. „Ich möchte nicht wieder einen Bassisten verlieren“, sagte Kyo, „Aber wenn du Vater wirst, dann mach den Job richtig.“ Wieder nickte Toshiya. Was hatte er auch für eine Wahl. Brich dich sooft wie du möchtest mit Kaoru, hatte Shinya einmal zu ihm gesagt, aber brich dich niemals mit Kyo. Er bestimme wer in der Band blieb -Kaoru nur die Rangordnung. Er sah sich seine blauen Haare abrasieren, seinen Vater um Arbeit bitten. Morgends würde früh aufstehen, abends spät nach Hause kommen. Sarah würde auf ihn warten und die stolzen Zeugnisse ihrer Kinder würden auf dem Küchentisch liegen. Es sah seine Freunde im Fernsehn und erklärte noch nach Jahren jedem, der es hören wollte, was für eine Chance er gehabt hatte. Was hatte er für eine Wahl? Wenn das Kind geboren würde. Sarah und er saßen sich gegenüber. Still, wie beim Gebet, waren sie am leeren Tisch. Hinter einem großen Fenster hingen die grauen Wolken tief über der Stadt. Regen fiel keiner. Ihre Augen waren kühl, aber angespannt. Toshiya wich ihnen ein bisschen aus, sie machten ihm Angst. Sarahs Wohnung hatte sich in ein kaltes, klinisches Gefängniss verwandelt. Er war selten bei ihr. Es war klein und spärlich eingerichtet. Alles erinnerte daran, dass diese Wohnung nicht dauerhaft war. Sarah kaufte wenig Kleidung und schon gar keine Möbel. „Es ist zu teuer, das alles bei meiner Rückkehr nach England mitzunehmen“, hatte sie ihm einmal erklärt und seitdem hatte er niewieder darüber nachdenken wollen. Doch gerade jetzt fing es wieder an, an ihm zu nagen. „Hast du dich entschieden?“, fragte er leise. Seine jugendliche Stimme klang an den glatten, weißen Wänden wieder. Ganz zart und klar war sie. Sarah schüttelte den Kopf: „In zwei Wochen muss ich mich entschieden haben. Sonst krieg ich keinen pünktlichen Termin mehr.“ Er nickte nur andeutend. Es war lächerlich, dass ihre Entscheidung übers Kinder kriegen oder nicht kriegen von so etwas banalem wie einem Kliniksplan eingegrenzt wurde. „In 10 Tagen“, setzte sie fort, „Möchte ich von dir eine Entscheidung haben.“ Er sah sie fragend an. Sie blickte auf ihre gefaltenen Hände am Tisch. „Einfach nur Ja oder Nein zum Kind. Mach es unabhängig von meiner Entscheidung“, sie war ruhig, bedrohlich ruhig, „Wir schreiben es beide ehrlich auf einen Zettel. Eine geheime Wahl.“ Toshiya stimmte zu. Sie würden sich nicht unter Druck setzten, keine Angst haben ein Nein auszusprechen. Es war klug. So wie Sarah eben war. Intelligent und geplant. Ganz im Gegensatz zu ihm. Sie war eine Karrierefrau, hatte ihr Leben fest im Griff –gehabt. „Und was ist, wenn wir uns uneinig sind?“ Sie zuckte mit den Schultern, als wolle sie nicht antworten. Er übernahm die Entscheidung: „Ein Ja soll reichen.“ Wenn sie das Kind haben wollte, würde er es mit ihr großziehen. Egal wie. „Dann liegt also nur ¼ der Wahrscheinlichkeit beim Tod“, sagte sie. Sarahs Gesicht war weiß und leer. Genau wie die Wände, die Wohnung um sie herum. Er fasste ihren Kopf mit beiden Händen und küsste sie über den Tisch hinweg. „Egal wie das hier ausgeht“, versprach er, „Ich werde dich immer lieben.“ Wieder weinte sie, aber diesmal sah sie etwas erleichterter dabei aus. „Gib mir deine ehrliche Meinung“, forderte Kaoru von Shizuka, nachdem er ihr von Sarahs Schwangerschaft erzählt hatte, „Soll sie das Kind bekommen oder nicht?“ Sie spazierten durch die Altstadt und besuchten ein Tempelanlangen, die im Herbstlaub rot leuchteten. Die Blätter raschelten unter ihren Füßen, der Wind war mäßig und die Sonne hell und warm. Es war ein wunderschöner, ruhiger Sonntagnachmittag. Das schlechte Wetter der letzten Tage war vergessen. „Ich bin grundsätzlich gegen Abtreibung“, antwortete sie, „Aber ich verstehe, dass Sarah viel zu verlieren hat. Aber sie ist ohnehin so labil in ihrer Persönlichkeit. Ich glaube nicht, dass sie eine Abtreibung verkraftet.“ „Wäre ein Kind und ein totaler Umsturz in ihrem beruflichen und privaten Leben nicht viel schwerer auf der Seele?“, wand Kaoru ein und versteckte sein Kinn im Schal. Er hielt Sarah für alles andere als labil. Er wusste wie anstrengend es war im Ausland zu leben und fand, dass sie diese Herausforderung hervorangend bewältigte. Seit gestern kämpfte er sich mit diesem Thema rum. Dass er Toshiya nicht helfen und beraten konnte, machte ihm ein schlechtes Gewissen. „Ich würde es gebären und abgeben.“ „Dann weiß aber jeder Bescheid“, wand Kaoru ein, „Ich würde das nicht aushalten. Eine Abtreibung bleibt ja noch so einigermaßen unter der Decke. Das passt viel weniger auf eine psychisch labile. Warum überhaupt labil?“ Sie begegnete seinem verstörtem Blick mit einem gelassenem Schulterzucken: „Ich hab gesagt, was ich tun würde. Sarah war lange unglücklch. Frauen, die soviele Männer haben, versuchen Komplexe zu überspielen und suchen Bestätigung, die sie woanders nicht kriegen.“ „Aber jetzt ist sie mit Toshiya glücklich.“ Shizuka schwieg und sie liefen ein Stück der Allee hinab. Sie hörten nur das Rascheln der Blätter und Zwitschern der Vögel und ein Stück Zeitlosigkeit umfing das Paar. Sie hielten sich nicht an der Hand oder waren eingehakt, sie gingen einfach neben einander. „Sie ist schwanger von einem der besten Freunde jemandes, der einer der einzigen ist in diesem Land ist, den sie jemals geliebt hat“, sprach Shizuka langsam, „Ich weiß nicht, was Kyo von ihr dachte, aber sie hat ihn geliebt.“ Ihr Gesicht drehte sich zu Kaoru: „Glaubst du, er mochte sie?“ Eine Erinnerung stürtzte über ihn ein und der Mann unterdrückte einen Aufschrei. Wann war es gewesen? Bei ihrer vorletzten Probe, vor vier oder fünf Tagen noch, hatten Kyo etwas über Sarah gesagt. Er sie zu klein für sie gewesen. Zu klein, um sie so hoch wie Toshiya auf Händen zu tragen. Hieß das nun, dass er es gewollt, aber nicht gekonnt hatte, oder dass es ihm schlichtweg zu anstrengend gewesen wäre? Sarah und Kyo. Eine kuriose Vorstellung, fand Kaoru. Aber es könnte durchaus sein, dass Kyo Sarah auf die ein oder andere Weise bewundert hatte. Sie war schön, sie schien intelligent und selbstsicher, vor allem aber willensstark. Wenn sie wirklich unsicher war, konnte sie es zumindest vor Kaoru gut verstecken. Und es war selten, dass jemand Interesse an einer Beziehung mit Kyo zeigte. Bei dessen komplizierten Gedanken- und Gefühlsgängen wenig verwunderlich. „Ich weiß nicht“, antwortete Kaoru seiner Freundin, „Keine Ahnung, was er von Sarah hält und hielt. Sie hat ihn betrogen und das trägt er ihr immer noch nach.“ „Aus Rache?“ „Nein, weil er meint, es wäre schade um Toshiya. Der steckt sowas nicht einfach weg.“ Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fest. Er drückte nicht zurück. Er sah sie nicht an. „Du hast vorhin gesagt, dass du ein Kind abgeben würdest.“ „Ja, wahrscheinlich.“ „Würdest du auch mein Kind abgeben?“ Shizuka musterte erst sein ausdrucksloses Gesicht, dann die Blätter auf dem Kopfsteinpflaster unter ihnen. Sie trennten ihre Hände. „Würdest du es etwa mit mir großziehen wollen?“ „Warum nicht?!“, sagte er erst, dann berichtigte Kaoru sich selbst, „Nein, wahrscheinlich nicht.“ Sie war darauf vorbereitet gewesen, schluckte aber trotzdem Enttäuschung herunter. Zusammen betraten sie einen kleinen Tempelgarten. Das Laub schimmerte von gold-gelb bis dunkelrot. Irgendwo schlug ein Priester gegen einen Gong. Der Ton dröhnte leise über den Platz. „Oh, wie schön“, sagte sie und er nahm ihre Hand, wie man es aus Gewohnheit tut, und sie liefen weiter. „Kriesensitzung“, hatte Kaoru in den Hörer gebrummt und nun saßen Die und Kyo in seiner Wohnung, schwiegen sich an und wechselten bedrückte Blicke. Er hatte Shizuka nach Hause gebracht, war noch ein bisschen geblieben und hatte es gerade noch geschafft unter die Dusche zu springen, bevor Die mit Kyo unterm Arm klingelte. Als seinem besten Freund ins Gesicht gesehen hatte, befürchtete er, dass man es noch riechen konnte. Das, was er mit seiner Freundin getan hatte. Er hatte keine Zeit gehabt um bei ihr den Schweiß und die Lust trocknen zu lassen, bevor er ins seine Kleider geschlüpft und weggefahren war. Und nun, als Die bei ihm war, bekam er ein schlechtes Gewissen. Shiuzuka gegenüber, weil er so schnell verschwunden war, und Die gegenüber, weil.... eben überhaupt. Als hätte er Die betrogen, obwohl es doch genau andersherum war. Er betrog in Wahrheit nicht ihn, sondern sie. Trotzdem schämte er sich vor Die für den Sex mehr als für den Kuss mit ihm vor Shizuka. Sie würde es nie herausbekommen, doch Die konnte leicht eins und eins zusammenzählen und sich selbst beantworten, was Kaoru diesen Nachmittag getan hatte. Vielleicht würde Shizuka schreien und meckern, aber Die würde still vor sich hin leiden. Das würde Kaoru nicht ertragen können. Als Die ihn zur Begrüßung umarmte, glaubte Kaoru, dass sein Herz ihn hätte verraten müssen, so laut pochte es aufeinmal. In seiner Küche atmete er nocheinmal tief durch, nahm sich eine Wasserflasche und drei Gläser und ging ins Wohnzimmer. Kyo saß auf dem Schreibtischstuhl mit dem Rücken zu ihm vor dem Fenster. Er hatte den Stuhl umgedreht und lehnte sich mit den Ellbogen auf die Rückenlehne, betrachtete die dunkle Stadt. Die Tage waren kälter und kürzer geworden, es war kaum sieben oder acht Uhr geworden, als die ersten Lichter in Tokyo angeschaltet worden waren. Nun war es schon lange nach zehn. Mit seiner kleinen Statur und den verstrubbelten Haaren, erinnerte er Kaoru an Shizuka. Es war ihr Lieblingsplatz. Im Gegensatz zu ihm mochte sie diese kleine Wohnung, wegen diesem einzigem Fenster, von dem man über die Stadt hinweg sehen konnte, bis der Blick in der Ferne Berge und Meer erahnte. Man konnte den Lauf der Flugzeuge verfolgen und manchmal sah es aus als seien Himmel und Erde umgedreht. Als würden die Lichter der Stadt ein riesiges Netz voll Sterne seinen, die herunter gefallen sind vom Himmel, an dem ein paar einsame Wanderer mit kleinen, blinkenden Lampen herumirrten. Sie war ein Stadtkind, genau wie Die und Kyo, aber für Kaoru bedeutete das eine unfassbare Einsamkeit in einer ihm fremden Welt. Das Leben in Tokyo gefiehl ihm meistens, doch in Nächten wie heute, wo alles in seinem Leben ihn verwirrte, alles sein Leben verwirrte, wünschte er sich zurück in den Bambushain seiner Kindheit, wo noch alles so war, wie es seit Urzeiten gewesen war. Er stellte die Getränke auf den Schreibtisch zur Selbstbedienung und setzte sich neben Die aufs Bett. Träge drehte sich Kyo zu ihnen um. „Shinya ist mit Yukino bei Toshiya und Sarah“, erklärte er seine Hände im Schoß gefaltet, „Vielleicht können sie ein bisschen Klarheit und Ruhe schaffen.“ Kyo brummte zustimmend, während Die aufstand und sich Wasser nahm. Die Flasche zischte beim Öffnen. In ihrem Schweigen klang es bedrohlich und laut. Als er Kaoru ein volles Glas reichte, trafen sich ihre Augen und Die blickte ihn voller Bedauern an: „Man redet über Sarah. Sie sei nur wegen des Geldes mit Toshiya zusammen. Eigentlich fände sie ihn wegen seiner schiefen Zähne abstoßend. Wenn irgendwer herauskriegt, dass sie schwanger ist...“, er stockte, senkte seinen Blick, „Sie hat sich wegen ihrer alten Männergeschichten viele Feinde gemacht. Typen, denen sie das Herz gebrochen hat, und noch viel schlimmer sind die vielen Frauen, die sie eifersüchtig oder neidisch auf sie sind.“ „Weil sie als Ausländerin allen die Männer wegschnappt hat“, rundete Kaoru ab, was er von Die gehört hatte. Davon hatte er nichts gewusst, obwohl es naheliegend war. Und wer wusste, wieviel davon zu Recht gesagt wurde. Er war nicht sehr oft in Clubs unterwegs und Die war wie Kyo und Shinya tief in der Szene drin, kannte alle Leute, jedermanns Meinung und Wünsche. Er sah zu Kyo hinüber und wunderte sich über dessen unschlüssiges Gesicht. In dessen Kopf musste es rattern und knartschen. Sein Blick wurde bemerkt und Kyo schien ihn mit bösen Gedanken loswerden zu wollen. Kaoru betrachtete ihn daraufhin nur amüsiert und endlich bekam er Kyos Meinung zu hören: „Sarah hat es nicht nötig wegen Geldes mit Toshiya zusammen zu sein. Ihre Familie besitzt in England irgendeinen Mobilkonzern. Wär sie arm, könnte sie sich doch auch kein Auslandsstudium leisten. Ihr Papa hat Geld wie Heu und sie hat seine Kreditkarte.“ Kyo sprach in einem abfälligen Ton, vielleicht war es ihm peinlich Sarah zu verteidigen. Schließlich tat er nichts weiter als ihre Liebe zu Toshiya zu bestätigen. Kaoru dachte an seine Vermutung, die er noch am gleichen Nachmittag gefasst hatte. „Wie sollen wir Toshiya handhaben?“, brachte er die Diskussion aufs eigentliche Thema. „Frage ist, ob er mit Kind sich genug auf Dir en grey konzentrieren kann“, meinte Kyo. „Er muss eben! Wir können nicht schon wieder einen neuen Bassisten einsetzen. Wir haben keine Zeit um jemanden neues einzuarbeiten“, sagte Die und setzte sich zurück neben Kaoru. Der sah ihn von der Seite an und wagte vorsichtig zu sagen, dass es noch nicht sicher sei, dass das Kind geboren werden würde. Kyo kniff die Augen zusammen und nickte verstehend. Die erstarrte. Er war nicht auf den Gedanken einer Abtreibung gekommen. Für ihn war so etwas wie von einer fernen Welt. Das machten doch nur Frauen, die viel verzweifelter waren als Sarah. Die von ihren Männern sitzen gelassen wurden, nicht wie von Toshiya die Hand gehalten bekommen würden. Wenn Sarahs Familie reich war, warum wollte sie das Kind nicht großziehen? Sie konnte sich Babysitter und Krankenkassen leisten, sie hatte nicht optimale Bedingungen, aber immerhin gute. „Wenn Toshiya zulässt, dass Sarah abtreibt“, sagte er mit fester Stimme, „dann werde ich nicht mehr mit ihm zusammen arbeiten. Aus ethischen Gründen.“ Er sprach und es war standfest. Die bemerkte Kaorus geschockten Seitenblick, versuchte sich aber nicht daran stören zu lassen. Vielleicht war seine Drohung zu hart, vielleicht würde er sie nichtmal wahr machen, aber es schien im gerade noch angemessen um das Leben eines Menschen zu retten. Es war das Mindeste was er tun konnte. „Bitte Kaoru“, sagte mit leiser Stimme, „Sieh mich nicht so an. Ich hab meine Gründe.“ Und er würde sich nicht davon abbringen lassen. Kyo sah ihn fragend an, schien aber etwas zu ahnen. Er würde nicht fragen. „Also behalten wir Toshiya, wenn er das Kind behält?“, fasste Kaoru zusammen. Die erste Runde war schneller gegangen, als er gedacht hatte. Es war unklar, ob es bei diesem Entschluss bleiben würde, aber Die war es ernst und niemand würde riskieren wollen, für einen unsicheren Bassisten den zweiten Gitarristen auch zu opfern. „Und was ist, wenn sie nicht abtreibt, es aber abgibt?“, fragte er um alle Möglichkeiten abzusichern. „Dann muss er damit leben, da misch ich mich nicht ein“, sagte Die und Kyo schloss sich ihm an. Innerlich wog Kaoru ab, ob das vielleicht nicht die beste Version war. Er würde sehen, inwiefern sie Toshiya beeinflussen konnten und wieweit Sarah mit sich reden ließ. Er mochte es nicht gern, sich so sehr in die privaten Angelegenheiten einzumischen –Freundschaft hin und her. Sie taten es für die Band und Toshiya hatte geschworen, hatte wie sie alle geschworen mit all seiner Kraft und Bereitschaft für Dir en grey zu leben. Sie würden diesen Eid einfordern. „Shinya kann gut mit Toshiya reden und ihn je nachdem zur Vernunft bringen“, schlug vor Die vor und Kaoru nickte. Das wäre ein Anfang. „Miyako hat doch einen guten Draht zu Sarah. Lässt sich da nicht was machen?“, fragte Kyo und die beiden zuckten nur hilflos mit den Schultern. „Meinst du nicht, dass sie in so einer Situation euren Streit vergisst?“, wandte sich Kaoru an Die und der zuckte wieder nur herum. Wer wusste schon was? Vielleicht war es möglich, vielleicht hoffnunglos. „Was ist mit Shizuka? Sie kennt Sarah doch auch gut, oder nich?“, fragte Die zurück. Er meinte seinen besten Freund kurz zusammenzucken zu sehen, als er ihren Namen nannte. „Ich glaube, sie stimmt der Sache mit dem Abgeben zu. Vielleicht redet sie ja mal mit Sarah.“ Kaoru klang unsicher. Sie spannen noch weiter Theorien, überlegten wie sie Toshiya und vor allem sich selbst helfen konnten, bis keine Bahn mehr nach Hause fuhr und Die und Kyo nur noch bei Kaoru übernachten konnten. Kyo saß wieder vor dem Fenster, sah in die Nacht hinaus und hielt ein kleines Büchlein in der Hand. Melancholisch blätterte er in seinen Texten herum, las leise, las laut und lauschte von Zeit zu Zeit Die und Kaorus Unterhaltung. Er hatte Shizuka und Kaoru am Nachmittag zufällig gesehen. Mit dem Fahrrad war er an ihnen vorbei gefahren, hatte gedacht, was für ein schönes Paar dort doch liefe, bis er sie erkannt hatte. Nun, als er wusste, wie Kaoru mit Die auf dem Bett saß, hörte, was sie sagten, spührte, was sie fühlen mussten, kam ihm beides falsch vor. Der Fernseher lief, eine Matratze war für Kyo auf dem Fußboden ausgelegt und die anderen hatten sich schon zum schlafen umgezogen. Die brauchte sich nichtmal etwas leihen, er hatte alles was er brauchte bei Kaoru gelagert. Von Zahnbürste bis Schlafanzug. Er lag neben dem sitzenden Kaoru, der in einer Musikzeitschrift blätterte, und sah in Richtung des Fernsehers. Die Decke lag schon über ihm und er betrachtete Kaorus Halbprofil. Er war verliebt. In einem Moment wie jetzt sogar glücklich verliebt. Ihm wurde das Gefühl gegeben gebraucht zu werden. Obwohl Kaoru das Bettlaken gewechselt hatte, schien es immer noch nach dem Rauch von letzter Nacht zu riechen. Von der Nacht, in der sie sich in den Armen gelegen hatten. Es war bis auf den kurzen Kuss nichts passiert, aber er brauchte nicht unbedingt Sex um Liebe zu spühren. Kaoru warf die Zeitschrift auf den Schreibttisch, wo sie im Schwung eine Stiftedose umkippte, legte sich neben Die und zog sich seine Decke bis zum Kinn, setzte sich wieder auf um den Fernseher auszuschalten und kuschelte sich nocheinmal ein. Ihm war trotzdem kalt. Er hatte die dünnen Sommerdecken noch nicht ausgetauscht und schlief darum meist mit zwei übereinander. Nun hatte aber Die seine zweite und für Kyo lag letzte Gästedecke auf dem Boden. Kyo saß immer noch angezogen mit dem Rücken zu ihnen vor dem Fenster. Auch als Die das Licht ausschaltete, bewegte er sich nicht. Ein bisschen gruselig sah er aus. „Kaoru, du solltest was gegen deinen kaputten Heizungsboiler tun“, sagte Die hinter ihm und lachte. „Ich sollte auch was gegen mein kaputtes Auto tun“, gab er amüsiert zurück, „Und vor allem aber was gegen die Dauerpleite meiner Bank. Da sollte ich vielleicht als erstes was gegen tun.“ Die lachte wieder. Ihm war kalt, denn die Decke war zu dünn. Kaoru drehte sich zu ihm um und sie sahen sich in der Dunkelheit an. „Warum bist du so hart gegen Abtreibung?“ Er beobachtete die Miene vor sich genau. Die roten Haare hatten alles an Farbe verloren und waren grau geworden, die Augen tiefschwarz und undurchdringlich. Jemand fremdes lag ihm gegenüber. „Meine Eltern wollten mich abtreiben“, erklärte Die trocken und schlicht, „Als ich geboren wurde, war meine Mutter gerade mal 17. Dass ich lebe, verdanke ich ihrem Panikanfall auf dem Weg ins Krankenhaus, der sie daran gehindert hat operiert zu werden.“ Der Schock musste Kaorus Gesicht sehr deutlich zeichnen, denn Dies Hand streichelte ihm beruhigend die Wange. Er lächelte beruhigend, als er weitersprach: „Sie hat mit sich gerungen und hat dann am letzten Tag der Frist zum Arzt gehen wollen. Ich weiß nicht, was sie gedacht hat oder was mein Vater zu ihr gesagt hat. Jedenfalls saß sie in der U-Bahn und fing an zu hyperventilieren. Sie wurde in ein anderes Krankenhaus gebracht und es war zu spät um mich noch loszuwerden.“ Kaoru griff unter der anderen Decke nach Dies linker Hand und wollte ihm Trost spenden. „Es ist in Ordnung“, sagte Die ruhig, „Ich hab getobt, als ich es erfahren habe, aber jetzt ist es in Ordnung. Sie hatte es nicht leicht. Meine Eltern haben mich gut großgezogen.“ Kaoru erwiderte sein Lächeln, ein flaumiges Gefühl blieb aber in seinem Magen. Immer wenn er etwas neues aus Dies Kindheit oder über dessen Familie erfuhr freute und traf es ihn. Es hielt ihm vor Augen wie kurz sie sich erst kannten und wie fremd sie sich manchmal waren. Gerade sowas hätte er wissen wollen. Er hätte so etwas viel früher wissen wollen. „Mein Vater war jünger als Toshiya jetzt, aber er hat es trotzdem geschafft“, fuhr er fort, „Ich glaube fest, dass Toshiya das schaffen wird.“ Die war froh über die Stille im Zimmer. Zusammen mit der Dunkelheit brachte sie Anonymität mit sich und erleichterte das Reden. Und Kaoru war bei ihm. Kaoru war bei ihm und nahm willig auf, was sonst kaum jemand wusste. Es knüpfte ein weiteres Band zwischen ihnen und brachte ihn fast so nah an ihn heran, wie Miyako es war. Noch ein bisschen, noch ein paar Sachen und bald würde sich Die ihm völlig geöffnet haben. „Meine Mutter war Prostituierte. Aber eine edele.“ Kyos Stimme klang nicht nur überraschend, sondern auch fremd. Er erzählte so gut wie nie von sich selbst. „Ich hab eine Halbschwester in Kyoto. Unsere Mutter hat uns geliebt, auch wenn sie jeder Mann nach einer Nacht verlassen hat. Sie hat sich um uns gekümmert, uns gehegt, gepflegt und so gut sie konnte großgezogen“, sprach er bewegungslos. Vor dem hellem Fenster war seine schwarze Siluette ein trauriger, einsamer Schatten. „Sie wäre besser drangewesen, wenn sie uns hätte sterben lassen. Wenn eine Prostituierte schwanger ist, kann sie monatelang nicht arbeiten. Sie hatte es schwer. Wir wären einige Male fast verreckt, aber wir waren glücklich und wir haben uns geliebt.“ Die sah Kaorus Gesicht, sah die Angst und die Unverständnis. Die Beddecke bebte, Kaoru zitterte. Die drückte seine Hand fester und zog seine Decke über ihn. Es war wie eine Feuertaufe. Kaoru, der Rebell aus gutem Hause, erlebte fast hautnah eine andere Realität. „Wir waren alles, was sie zum Leben hatte, denn als das Jugendamt uns entgülig mitgenommen hat...“, Kyo schwieg wieder. Kaoru konnte die Bitterkeit durchs Zimmer kriechen sehen, fühlte sie unter die beiden Decken dringen und schmeckte sie auf seiner Zunge. Er zog an beiden Decken um sie mit Die zu teilen. Die rutschte zu ihm und legte seinen Arm um Kaorus Hüfte. Überall, wo sich ihre Körper berührten, wurde es warm. „Als das Jugendamt uns mitgenommen hat, hat sie den Strick genommen. Sie hätte sich ohne uns schon viel früher befreien können. Sie kannte die Namen unserer Väter, sie hätte uns weggeben können, sich einen Scheißdreck um uns kümmern können und raus aus der Gosse. In Himmel, Hölle oder sonst wo hin. Aber sie hat es nicht getan. Sie war immer für uns da und selbst jetzt, wo sie tod ist, wissen wir, dass sie es getan hat, damit wir uns nicht mehr zu ihr zurücksehnen, sondern nach vorne blicken.“ Die fand es unangemessen antworten zu wollen. Kaoru schmiegte sich an ihn und seine Gedanken schweiften ab. Er hatte Kyos Geschichte schon einmal gehört und er kannte die abgehärtete Einstellung. Kyo hatte abgeschlossen mit seiner Mutter. Er wusste, woran er nichts mehr ändern konnte. „Die und ich sind in der Stadt großgeworden. Toshiya und du könnt uns nicht verstehen“, sagte Kyo, „Ich bin dankbar geboren worden zu sein. Auch wenn es manchmal ein scheiß Leben ist. Manche Sachen können wir nicht beeinflussen. Aber mindestens hab ich einmal Licht in den Augen gehabt. Meine Haut hat den Wind aller vier Jahreszeiten gespührt. Meine Nase kennt Gestank und Parfüm. Ich liebe und leide und lebe. Auch wenn ich unglücklich bin, lebe ich und kann die Sonne auf meiner Haut spühren, kann umarmt werden, kann geküsst werden. Selbst wenn ich nur geboren wäre um das Licht im Kreissaal zu sehen und wieder zu sterben, bevor ich laufen konnte, wäre ich glücklich! Ich kann denken! Ich bin da! Ist das nicht schon das höchste und größte Geschenk, das man bekommen kann?!“ Es war als hätte Kyo gesungen. Es war die gleiche Leidenschaftlichkeit, die gleiche Kraft und Überzeugung mit der er sprach und rief bis er beinahe schrie. Kaoru antwortete still. Es war lange her, dass er sich nicht getraut hatte, etwas zu sagen. Aber jetzt konnte er sich nicht dazu ringen. Alles schien ihm unpassend, er schien nicht berechtigt etwas zu sagen. Dann sprach Die ihm und Kyo aus der Seele: „Ja, es ist das höchste Glück. Wir wurden geboren.“ Kyo schwieg wieder die Fensterscheibe an. Er sah nicht zum Bett hinüber. Die hielt Kaoru eng an den Brustkorb gedrängt fest in seinen Armen. Sie waren nicht allein, aber sie wurden nicht gesehen. Unter der Decke fing er an Kaorus Rücken zu streicheln. Es war das zweite Mal, das er Kaoru so nüchtern so nah war. Das erste Mal hatte er sich eine Abfuhr eingeholt, aber jetzt lag Kaoru so ergeben bei ihm, das er nicht anders konnte. Erregung kroch durch seinen Körper. Er wollte ihm nah sein, noch viel näher. Dann rollte er sich über Kaoru. Er tat nicht mehr als sich auf ihn zu legen und zu spühren. Er drückte sich mit seinem Gewicht gegen den Körper um ihn so gut wie möglich zu spühren. Der Atem streifte seinen Hals und Kaoru umfing ihn sogar mit seinen Armen, presste ihn noch näher. Jede Kälte war vergessen. Die ließ ihn seinen Körper spühren, er küsste ihn am Hals. Ganz entfernt wurde sein Name gerufen. Die presste seinen Unterleib auf Kaorus und hörte, wie dieser Luft einzog. Er hätte über die Effektlosigkeit auf Kaoru enttäuscht sein sollen, doch er bekam nur ganz unterbewusst mit, dass er der einzige erregte war. Stattdessen nahm er das Gesicht unter sich in beide Hände und fing an Kaoru zu küssen. Die Freude, als Kaoru erwiderte, war nicht zu bremsen. Alles machte Sinn im Leben, alles passte zusammen. Das hier war die Antwort auf all die Stunden, in denen er gelitten hatte, hoffunglos wegen seiner Liebe getrauert hatte. Es gehörte alles zueinander. Kaoru spührte Dies Penis, der sich durch die Schlafanzughosen an seinen Oberschenkel drückte. War es jetzt das dritte oder vierte Mal, dass er es bemerkte, seit... ja, genau. Seit wann? Seit er angefangen hatte mit Die nicht nicht ins Bett zu gehen? Der Kuss schmeckte gut, sehr gut und anregend. Er hatte die Augen geschlossen und genoß den festen Griff um seinen Kopf. Dies heutiges sicheres Besitzergreifen ließ kaum Platz für Zweifel des Gewissens. Er streichelte ihn an den Seiten entlang, liebte die Wärme und Zuneigung. Er vergaß Kyo auf dem Stuhl nah bei ihnen, vergaß Toshiya und seine Probleme, dachte nicht mehr an Morgen oder Gestern. Die hatte angefangen ihm unters T-Shirt zu greifen und streichelte ihm über die Brust. Kein Busen, dachte Kaoru, Kannst du das wirklich schön finden? Er strich Die über den nackten Rücken. Der hatte schon immer mit freien Oberkörper und langer Hose geschlafen, Kaoru umgekehrt im XXL-Shirt und Boxer. Er fühlte die Schulterblätter und Muskeln, die Kraft und Sicherheit, die Die immer ausstrahlte. Es war schön, dass Die geboren war, es war ein wunderbares Geschenk. Er fühlte wie sich die Sehnen bewegten, Muskelstränge zusammenzog, als der Körper sich aufrichtete. Benebelt und wie neben sich ließ Kaoru zu, wie ihm sein T-Shirt ausgezogen wurde. Sie küssten sich wieder und erst da fiel ihm auf, dass es falsch war. Er war wenig erregt. Shizuka hatte ihn mit all ihrer Ausdauer schon ermattet. Auf einmal war er müde, erschöpft und wurde knitterig. Die sollte aufhören, es nervte. Trotzdem spielte er weiter mit. Sie hatten das hier schoneinmal getan und als sie damals aufhörten, weil er Die nicht lieben konnte, hatte sein bester Freund bis zum Morgen geweint. Warum ließ er es so weit kommen, wenn er doch nicht bis zum Ende gehen wollte, konnte? Küsse an seinem Bauch lenkten ihn von seinen Gedanken ab und er ergab sich dem Gefühl. Es war nicht schlecht, was Die tat, es war sehr gut. Es war die Gewissheit gebraucht zu werden, geliebt zu werden. Er wurde geliebkostet und ränkelte sich unter dem anderen. Er spührte den Blick, das Begehren und fühlte sich sexy. Er wollte nicht aufhören, aber auch nicht weitermachen. Dieser Augenblick war wertvoll, so weit waren sie schonmal gegangen und wenn sie nicht weiter in die Intimität gingen, war es für ihn noch in Ordnung. Dann wusste er, wie er damit umzugehen hatte, hatte keine Angst vor etwas neuem. Doch Die hatte andere Sachen im Kopf. Er legte sich neben Kaoru und brachte ihn küssend in eine Seitenlage, fuhr mit der Hand am Bauch entlang zur Boxer. Vor Schreck zuckte Kaoru zusammen und noch während er überlegte, wie er Die am schonensten aufhalten konnte, war es schon zu spät. Die fasste ihn an, streichelte und liebkoste ihn. Er hörte Dies aufgeregte Atmung, sah in die dunklen Pupillen und verdrehte die eigenen Augen, als die Erregung über ihn kam. Er löste den Kuss und dann war Shizuka da. In seinen Gedanken sah sie ihn vorwurfsvoll an, schrie und weinte, darüber, dass er sie verriet. Sie hielt seine Hand in der Küche und munterte ihn auf. Sie lag neben ihm, dort wo Die lag und berührte ihn, lachte mal heißer und erotisch, mal klar und fröhlich. Sie lag in seinen Armen und hielt ihn fest. Sie war sein Leben und er setzte sie aufs Spiel. Mit zwei Menschen am gleichen Tag intim zu werden war auf einmal nicht mehr richtig. Kaoru sah die flehend an und es wurde missgedeutet. Die berührte ihn nur noch intensiver, statt aufzuhören. Alles brach über ihn hinein. Die, der ihm Shizuka vorstellte, der Kuss in der Disko, der Ewigkeiten her sein musste, Dies unbekannte, unglückliche Liebe, all die Umarmungen. Shizuka in seinen Armen und er in Dies Armen. Das erste Mal, dass er mit ihr schlief, mit ihr glücklich war. Der erfüllteste Sex seit langem. Sie hatte ihn genauso berührt. Unschüchtern und verliebt. Er saß mit Die auf diesem Bett und Die schrie ihn an: Du liebst sie doch, oder?! Du liebst sie doch! Dann war er wieder zurück in der Realität und hielt dem Druck nicht mehr stand. Er begann zu weinen, zu schluchzen wie ein Kind. Erschrocken ließ Die ihn sofort los und wollte sich gerade entschuldigen, als Kaoru ihm zuvorkam. „Tut mir leid, Die...“, flennte er, die Arme über dem Gesicht verschränkt, „Tut mir leid, ich kann das nicht...“ Kaoru Schluchzen hallte in der Dunkelheit wieder. Er wollte Die lieben können, er hasste es ihn zu verletzen. Er wollte es wirklich. Die reichte ihm sein Shirt und versuchte seine Enttäuschung nicht zu offen zu zeigen, obwohl die Wunde ihn einmal längst durchschnitt. Sie spaltete ihn und legte ihn bar, das Blut tröpfelte am glatten Schnitt entlang. „Komm, lass uns schlafen“, sagte er mit belegter Stimme und half Kaoru brav sich wieder anzuziehen. Sie sahen sich nicht an, sondern legten sich mit dem Rücken zueinander hin. Die Sehnsucht brannte immer noch in ihm, aber er wagte nicht, sich umzudrehen. Er hätte auf der Matratze schlafen sollen, hätte auf die Uhr achten und zeitig nach Hause fahren sollen. Gerade waren sie noch so nah beieinander gewesen und nun lag eine Welt zwischen ihnen. Die Welt, die weder Kaorus noch seine Wunschwelt war, die bittere Realität. Er brauchte Trost. „Umarmen?“, fragte er heiser und drehte sich um, sodass er auf das schwarze Shirt sah. Kaoru nickte: „Is’ okay.“ Vorsichtig um ihn nicht wieder zu verschrecken tastete er sich voran, bis er seinen rechten Arm um Kaoru gelegt hatte. Finger verschränkten sich mit seinen und das Vertrauen motivierte ihn dazu sich an den Rücken zu schmiegen. Wie am Abend zuvor lagen sie dicht aneinander und taten nicht mehr als die Nähe zu fühlen. Kaoru beruhigte sich schnell. Er atmete wieder normal und wurde schläfrig. Er spührte Die klarer als in der Nacht zuvor. Keine Drogen dröhnten in ihm und trotzdem war es angenehm. Er spührte immer noch Dies harten Penis gegen seinen Po, aber es störte nicht, war sogar ein bisschen schmeichelnd. Die Hand auf seinem Bauch machte ihn ein bisschen an und manchmal, wenn die Müdigkeit verflog prickelte es um seinen Nabel herum. Einmal, als er sich auf Dies Atem in seinem Nacken konzentrierte, weil er es interessant fand, wie langsam der andere trotz seiner Erregung atmen konnte, und Die ihn gleichzeitig über jeden einzelnen Bauchmuskel streichelte, wurde ihm selbst auch ganz warm, schließlich heiß. Aber es klang genauso gemächlich ab, wie es gekommen war und irgendwann doppelte Kaoru zum Schlaf über. Du kannst jederzeit weinen, weil es regnet. Aber es wird niemals regnen, weil du weinst. Wie viel bist du wert? So laut wie du schweigst. Kyo klappte sein Notizbuch zu und erhob sich aus seiner Starre. Er trottete zur Matratze und blickte lange auf das Paar im Bett, bevor er sich hinlegte. Er konnte Dies nicht sehen, aber Kaorus Gesicht sah glücklich aus im Schlaf. Es war aufregend live mitzubekommen, wie sich die Beziehung zwischen ihnen verhielt. Kaoru wusste also nicht was er wollte. Die wollte vielleicht zu viel auf einmal. „Armes Putt-putt...“, murmelte er amüsiert. Wie riesig klein ihre Probleme ihm doch erschienen. So einfach zu lösen und dennoch wusste er aus Erfahrung wie sehr sie litten. Er hatte ihr Keuchen lauter gehört als sie selbst, hatte es vielleicht sogar genauso erotisch und enttäuschend gefunden wie Die. Die Stimmung in dieser Nacht war einzigartig gewesen. Immer noch lächelnd legte er sich hin ohne sich umzuziehen. Es waren eh nur noch ein paar Stunden bis Sonnenaufgang. Der Stuhl stand einsam vor dem großen Fenster. Der Mond war dabei unterzugehen. Die Stadt leuchtete weniger als zuvor, alle Menschen schliefen. Die Umrisse des hinterbliebenen Stuhles zeichneten sich schwarz vom Hintergrund ab bis sie vor seinen Augen verwischten und verschwanden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)