My Wish for the Forbidden Kiss Remains von Serpentia (-道ならぬ恋 michi naranu koi –) ================================================================================ Mein Leben hängt an dir ----------------------- My Wish for the Forbidden Kiss remains -道ならぬ恋 michi naranu koi – Kapitel 4 Mein Leben hängt an dir Im kargen Bau irgendwo in Tokio öffnete ein blonder Junge die Tür zu seiner Wohnung. Es war ein kalter Frühling, dennoch schien er nicht das Bedürfnis zu haben die Heizung anzustellen. Vom Eingang aus kam man einen Flur der zu nur etwa einen Meter lang war und nur zwei Möglichkeiten offen ließ. Rechts oder links. Ging man links kam man in einen kleinen Raum mit einer Kochzelle und einem kleinen Schreibtisch, rechts sah man in ein wüstes Schlafzimmer mit offenen Schränken, wild herumliegender Kleidung und einer Tür, die ins Bad führte. Überall war gerade soviel Platz wie benötigt, gerade soviel Einrichtung wie es brauchte und nirgendwo war es ordentlicher als es musste. Durch ein kleines Fenster schien der Mond auf das Bett. Kyo öffnete es und die kalte Nachtluft ließ die halbtransparenten Vorhänge schweben. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Die Stadt vor seinem Fenster war trotz der späten Stunde belebt und erleuchtet. Hunderte kleine Menschen liefen durch die Straßen, jeder für sich. Jeder für sein Ziel. Hunderte kleine Menschen liefen aneinander vorbei, jeder für sich und nicht für irgendjemanden sonst. Er wusste, wofür er kämpfte, er wusste warum er die Schule abgebrochen hatte und in dieser kleine Wohnung vergammelte, warum er nicht einer von ihnen dort unten war. 誰の わけでもなく 誰の鳴でもなく 誰の道でもなく 誰の夢でもなく Niemand, außer mir Niemandes Werden, außer meinem Niemandes Weg, außer meinem Niemandes Traum, außer meinem [1] Kyo ließ das Fenster offen und ging in die Küche, blickte auf den Tisch und ging die Post durch. Zwischen Rechnungen und Werbeanzeigen suchte er zwei Briefumschläge heraus, ein ungeöffneter, einer mit einem offensichtlich hektisch aufgerissenen Rand. Den zweiten nahm er sanft in die Hand, öffnete ihn und entfaltete zwei doppelseitig mit Hand beschriebene Briefbögen. Die Schrift war rund und ordentlich, verziert auf buntem Papier, das von kleinen, niedlichen Figuren umsäumt war. Er lächelte, setzte sich auf sein Bett und schaltete die Nachttischlampe an. Hallo großer Bruder, als Erstes schöne Grüße von Vater und Keiko, das letzte Mal als ich es vergessen habe, waren sie echt enttäuscht. Hier in Kyoto läuft alles wie immer, das Herbstlaub ist dieses Jahr besonders schön. Vielleicht besuchst du mich ja mal wieder, dann sehen wir es uns gemeinsam an. In der Schule ist alles in Ordnung, aber ich habe einen neuen Chemielehrer. So ein richtig alter Sack, kann mir gut vorstellen, dass der sich freut auf einer Mädchenschule zu unterrichten. Wir haben uns alle gefragt, warum er in seinem Alter noch die Stelle gewechselt hat und sind zum Schluss gekommen, dass er bestimmt mal geflogen ist, weil er irgendwen belästigt hat. Ich hab ihm gesagt, wenn er weiter versucht uns unter den Rock zu gucken, kommt mein großer Bruder und haut ihm eine runter, dass er bis nach Hokkaido fliegt. Davon war er nicht so begeistert und ich hab einen Tadel ins Klassenbuch bekommen. Außerdem musste ich deshalb mit Ma-chan gestern den Chemiesaal für ihn aufräumen. Vater hat mir auch endlich eine Gesangslehrerin besorgt, aber so gut wie du werde ich wohl nicht. Sie meint, ich bin ganz gut für mein Alter, aber sie ist nicht das was ich mir erhofft hatte. Einen Ton kann ich auch ohne sie halten, trotzdem will ich es mit soviel Gefühl schaffen wie du. Manchmal glaube ich, dass mir einfach die Gefühle fehlen. Du singst ja deine eigenen Texte, ich nur irgendwelche Arien, von denen ich den Kontext kaum kenne, von den dort beschriebenen Emotionen ganz zu schweigen. Keiko und Vater streiten sich in letzter Zeit immer öfter, aber er meint, das ist normal nach einer bestimmten Zahl von Ehejahren. Sie sagt auch, eigentlich wären sie glücklich mit ihm. In den letzten Wochen sei es nur sehr stressig gewesen. Ich glaube den beiden, dass es nichts Ernstes ist. Denn nach jedem Streit sitzen sie in der Küche und lachen über sich selber. Aka geht es gut, schön das du fragst. Seine Erkältung ist weg und er ist noch viel größer geworden, geht mir schon fast bis zu Hüfte. Er passt auch immer ganz lieb auf mich auf, wenn sich jemand fremdes nähert knurrt er ganz gefährlich. Keiko knurrt er manchmal auch an, aber die beiden werden sich wohl nie verstehen, sie hat sich schließlich immer noch nicht an ihn gewöhnt. Aber ich find es cool, dass du und Vater ihn mir einfach gekauft habt. Er guckt immer so süß und ist ein bisschen wie du. Nimm es mir nicht böse, du siehst nicht aus wie ein Hund, aber ab und zu muss ich ihn einfach knuddeln… Kyo legte den Brief zur Seite, seine Miene wurde wieder kühler, als er den anderen Brief öffnete. Phlegmatisch bewegten sich seine Finger und rissen den Umschlag auf. Guten Tag Kyo, ich habe lange nichts mehr von dir gehört, darum habe ich mich sehr über deinen Brief gefreut. Dir scheint es ja wirklich wieder besser zu gehen mit der Band und allem. Ich hoffe, es bleibt bei dieser Art von Entwicklung und dass du dich durch nichts aus der Bahn werfen lassen wirst. Ich habe diesmal keine Interpretation deiner neuen Texte mitgeschickt, weil ich denke, dass du weißt, was sie bedeuten. Steh dazu, das bist du und niemand anderes. Was früher einmal war, kannst du nicht ohne weiteres ablegen und das verlangt auch niemand von dir. Von deiner Schwester habe ich nicht viel Neues gehört, außer, dass es ihr gut gehen soll. Mein Versprechen dir von allem Beunruhigen zu berichten, was sie angeht bleibt natürlich weiterhin bestehen. Ich besuche sie und ihre Eltern regelmäßig, auch wenn ihr neuer Hund mich persönlich etwas einschüchtert. Er scheint einfach nicht mit dem Wachstum aufhören zu wollen. Darüber hinaus scheint es ihnen allen dort gut zu gehen, wenn du nichts von mir hörst, bedeutet das im Allgemeinen, dass sich daran nicht viel geändert hat. Die gewisse Person hat wieder einmal nach dir gefragt, ich habe aber weder Adresse noch Aufenthaltsort preisgegeben und werde es weiter so halten, bis du mir unverkennbar grünes Licht gibst. Eine Auseinandersetzung zwischen euch würde ich sehr befürworten, damit letzte Unzufriedenheiten geklärt werden, aber du musst selbst wissen, wann du dafür bereit bist. So altmodisch es auch klingen mag, die Zeit heilt alle Wunden, also nimm sie dir. Viele Grüße von allen hier im Heim, nächsten Monat findet ein Treffen der Ehemaligen statt. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass du daran teilnimmst. Dein Gesicht mal wieder in vertrauter Umgebung zu sehen, würde mich und alle anderen beruhigen. Ich wünsche dir alles Liebe und freue mich immer über eine Nachricht oder einen Besuch von dir, wenn schon nicht im Heim, dann mindestens privat. Ich nehme an, du weißt noch wo und wie du mich immer finden kannst. Mit besten Wünschen und einem starken Hoffen auf ein baldiges Wiedersehen, Dr. Hiromichi Masako Einen Moment noch blickte er auf das Papier, überflog die Textzeilen ein weiteres Mal, legte es dann zur Seite und ließ sich rückwärts auf das Bett fallen, starrte an die weiße Decke. Der Mond schien ihm ins Gesicht, erleuchtete den Raum und der Wind strich über seinen Körper, eine kalte Herbstbriese, die ihn erschaudern ließ und den kommenden Winter ankündigte. Schließlich stand er auf, schloss das Fenster, löschte das Licht und setzte sich in der Küche an den Schreibtisch. „Auf dich wartet Arbeit, Tooru. Du hast es gelesen, lass dich nicht wieder aus der Bahn werfen“, murmelte er vor sich hin und ging mit ruhiger Hand einen Papierstapel durch. Mit dem Anknipsen der kleinen Schreibtischleuchte blendete er sich selbst und er brauchte einen Augenblick, bis er wieder sehen konnte. Langsam griff er nach seinem Kugelschreiber, setzte ihn auf das leere, weiße Blatt und schrieb zunächst langsam die ersten Zeichen darauf, wurde immer schneller, immer flüssiger. Rezession zum Konzert von Start! im Trip letzten Samstag Obwohl die Erwartungen an diesen Auftritt maßlos übertroffen wurden, kann ich mich nicht damit anfreunden, dass… Die drehte müde den Schlüssel im Schloss um und trat in den Flur. Es war spät geworden, noch später als sonst. Ein Blick zur Uhr verriet ihm, dass es schon nach eins war. Aus dem Wohnzimmer hörte er den Fernseher flimmern und fand dort Miyako und Kaoru auf dem Sofa, es lief irgendeine Mitternachtsdiskussion über japanische Innenpolitik. Das passte zu den beiden, er selbst hielt da nicht viel von. Bevor ihm großartige Ideen kamen, was das Beste für den Staatshaushalt war, musste er erstmal sein eigenes Leben in Ordnung bringen. „Hey“, machte er und setzte sich zwischen sie. Der Mond schien durch die großen Glasfenster, die von der Decke bis zum Boden reichten und schien sanft auf die drei. Die Rahmen standen auf kipp und die kühle Luft erinnerte an den frühen Herbst. „Hey, wie war die Arbeit?“, kam von links, aber Kaoru blieb still. Die sah sich zu ihm um und bemerkte, dass dieser schlief: „War ganz okay, aber heute war es ungewöhnlich voll. Was hast du mit dem gemacht, dass er so fertig ist?“ Sie zuckte mit den Schulter: „Ich nichts, wir haben nur im Auto ein wenig über dich geredet und hier ferngesehen. Dann war er auf einmal weg vom Fenster.“ „Über mich?“, Die sah sie fragend an. Die junge Frau erwiderte seinen Blick ernst: „Er fragt sich was mit dir los ist, darauf kommen um wen es geht wird er wahrscheinlich nicht so schnell, aber er macht sich dennoch Sorgen und will dir helfen.“ Ein kurzes Lachen: „Und was hast du ihm darauf gesagt?“ „Dass du es ihm schon irgendwann selbst sagen wirst und er sich bis dahin um dich kümmern soll.“ „Miyako“, Die setzte sich auf und stützte sich mit den Ellenbogen auf seine Knie, „Ich werde es ihm im Leben nicht sagen, außer die Sache erledigt sich und ich kann in zwanzig Jahren darüber lachen.“ „Meinst du nicht, er hat irgendwie ein Recht darauf es zu erfahren?“ Ihr fröstelte es und sie knöpfte ihre schwarze Pulloverjacke zu. Früher hätte er sie jetzt umarmt und gewärmt. Dann wären sie zusammen ins Bett gegangen und jegliche Kälte wäre vergessen gewesen. Jetzt saßen sie auf diesem Sofa, nebeneinander und doch so distanziert, mit einer Person, die ihr alles zerstört hatte und trotzdem durfte sie diese nicht hassen, sondern bemühte sich auch noch, dass der Weg der Zerstörung weiter ging. So etwas konnte man schon fast Masochismus nennen. „Kyo weiß jetzt auch davon“, gestand der Mann, „Als ich mit ihm vorgestern Abend raus war, hat er es aus mir herausgequetscht. Ich glaube er hat mir nur soviel Alkohol ausgegeben, um das herauszufinden. Aber die Umstände sind nun mal etwas gewöhnungsbedürftig. Ich will nicht alles kaputt machen, indem die Pflaume es erfährt“, er griff nach der Fernsehnbedienung und zappte durch die Kanäle. Bei einer Soap bedeutete Miyako ihm anzuhalten, er seufzte, legte die Bedienung aber wieder weg. „Wenn das Leben so einfach wäre wie in diesen Geschichten da, müsste ich mich jetzt nur mit ihm etwas trinken gehen, mich maßlos besaufen, ihm im Rausch alles gestehen und am Ende herausfinden, dass er schon lange in der selben Situation ist und tadaa- alle sind glücklich“, er ließ seinen Kopf auf die Knie sinken und schloss die Augen. Die Müdigkeit machte ihn fertig, jetzt wollte er nur noch schlafen, schlafen und die ganze Sache im Traum vergessen. „Warum kann es nicht so einfach sein?“ Seine Freundin atmete langsam, beherrscht und ruhig aus: „Weil das hier die Realität ist. Das Wichtigste in deinem Leben ist niemals leicht umkämpft, sonst wäre es niemals so bedeutend für dich geworden.“ „Wenn das so ist, sollte man mindestens ein Recht haben, sich das Wichtigste aussuchen zu dürfen“, stöhnte er und tippte Kaoru an die Schulter, „Hey, aufwachen Cowboy! Du hast doch nicht vor sitzend in den Klamotten die ganze Nacht zu verbringen!“ Dieser murrte etwas und drehte sich nur mit dem Rücken zu ihm. Doch Die hatte keine Lust ihn jetzt noch ins Bett zu tragen und rüttelte ihn solange bis er ihn verwirrt ansah. „Hmm…?“ „Zieh dich mindestens um und leg dich in ein ordentliches Bett, komm ich leih dir ein T-Shirt zum Schlafen“, forderte der jüngere und stand auf. Der andere orientierte sich verschlafen und folgte ihm kurz darauf. Miyako sah den beiden hinterher und schaltete den Fernseher aus. Ja, warum war die Welt so ungerecht und man konnte sich nicht einmal aussuchen wofür man kämpfte? Es würde ja reichen wenn sich einer der drei um entscheiden würde. Egal wer und sie wäre zufrieden. Aber so rotteten sie weiter durch die Straßen und erfanden irgendeinen Sinn um weiterleben zu dürfen, als Entschuldigung an das eigene Gewissen. Shinya blickte aus der Wohnung im 11. Stock auf die Straße hinunter, wo Kyo am letzten Abend das Gebäude verlassen hatte. Alles was er von hier aus sah, schien ihm nur kalt, grau und so belebt, dass er sich bereits wieder einsam fühlte. Hinter der Skyline dämmerte der Morgen und tauchte die Stadt in ein trügerisch schönes Orange-rot. Der kleine Kerl hatte ihm ordentlich seine Meinung gegeigt und im Unrecht war er auch nicht. Warum zögerte er also? Er spielte in einer Visual Key Band, rebellierte so offen gegen das strenge japanische Gesellschaftssystem, aber schaffte es nicht einmal selbst einen Sprung ins kalte Wasser zu wagen? Kurz entschlossen suchte er das Telefon, fand es ihm Flur und erwischte sich dabei, wie er kurz ins Zimmer seiner Mutter spähte um zu kontrollieren, dass sie noch schlief. Ihr Atem hörte sich leise und regelmäßig an. Kurz darauf schallt er sich innerlich, auf Dauer würde sie sich damit abfinden müssen. Sie war lange genug das Zentrum seiner Mühen gewesen, jetzt war es Zeit selbst zu entscheiden, was ihm das Wichtigste war. Yukina hatte sich sehr bemüht die Ausbildung so schnell und gut wie möglich abzulegen und hatte fleißig auf ihre Wohnung gespart. Er hatte seinen Teil ebenfalls getan, bis auf diese eine, letzte Sache. Seit er 15 war, träumten sie davon. Jetzt stand es kurz davor und er brauchte nur ein wenig Mut. Ein wenig Mut um für das zu kämpfen, was ihm etwas bedeutete. Er suchte im digitalen Telefonbuch nach der Nummer und sah sich selbst im Spiegel an, der im Flur hing. Es war albern, dass sein Herz so klopfte, aber dagegen tun konnte man ja auch nicht. Eine ruhige Frauenstimme meldete sich am anderen Ende. „Hey, ich bin’s!“, murmelte er. „Hey! Du rufst aber früh an, ich dachte wir telefonieren erst heute Abend.“ „Stör ich?“ „Nein, ich bin nur gerade erst aufgestanden. Ist etwas passiert, du hörst dich irgendwie anders an.“ Er sah noch einmal in den Spiegel, war er so verstört? „Nein, mir geht’s gut. Und dir?“ „Mir auch, bin nur ein wenig im Stress. Die Prüfung kommt immer näher, weißt du ja. Und manche Sachen kann ich mir einfach nicht merken. Mein Kopf platzt vor lauter Fachlatein und im Krankenhaus ist soviel los“, sie plapperte noch eine Weile drauf los. Lauter belanglose Geschichten von der Arbeit, ihren Eltern, Geschwistern, Freunden. Shinya antwortete, kommentierte, erzählte vom letzten Abend, von neuen Liedern, der Band, Ereignissen in Tokio. Ganz objektiv teilten sie so regelmäßig ihren Alltag über die große räumliche Distanz, dadurch, dass sie sich über jedes kleine Detail ihres Lebens austauschten, entstand ein Gefühl der Nähe, der Zusammengehörigkeit. Irgendwann schwiegen sie und Shinya stellte sich wieder vor das Fenster, sah hinaus. „Wann willst du eigentlich herkommen, damit wir nach einer Wohnung gucken können? Nicht, dass ich hier einfach eine aussuche, die dir nicht gefällt.“ Er wunderte sich über sich selbst, so sicher und klar hatte er diese Worte hervorgebracht. Die Antwort ließ ein wenig auf sich warten. Die Stille machte ihm Angst, weil er sie nicht deuten konnte. Dann endlich, als sie anfing zu sprechen, fühlte er wie mit einem Mal die Endorphine in seinem Kopf explodierten und auf der Straße unter ihm waren lauter bunte, lustige Lichter. „Anfang nächsten Monats am besten schon. Dann hab ich meinen Abschluss fertig in der Tasche. Kann ich dann direkt bei dir bleiben oder schickst du mich noch einmal zurück, weil das sonst zu kurzfristig ist?“ „Bleib hier“, antwortete er entschlossen, „Bleib am besten gleich hier, dann fahren wir, sobald wir eine Wohnung gefunden haben, zusammen zurück um deine restlichen Sachen zu holen.“ „Gut, ich freue mich darauf dich wieder zu sehen.“ „Ich mich auch, ich mich auch. So sehr, das glaubst du gar nicht!“ „Also, Leute, das gibt es doch nicht.“ Kaoru machte sich keine Mühe seine schlechte Laune zu verbergen und ließ sie frei durch die Aula aka den Proberaum schweben, bis sie auch jeden einzelnen dort erreichte. Die seufzte, letzte Nacht hatte der doch noch so ruhig und brav ausgesehen, jetzt benahm er sich wie ein Drache und meckerte an allem herum. „Was denn?“, entgegnete Toshiya entnervt und steckte sich noch eine Zigarette an, „Stimmt etwas nicht mit den Formularen?“ „Das ist kein Kindergeburtstag, ihr könnt die doch nicht einfach nach Lust und Laune ausfüllen!“ „Alles was darin steht stimmt doch“, verteidigte sich Kyo, „Oder spielst du auf den Teil an, in dem wir uns gegenseitig beschreiben sollten?“ „Nein, wie kommst du bloß darauf?“, zischte der Leader. „Ich weiß nicht, du siehst etwas angefasst aus. War ich vielleicht etwas zu ehrlich?“, grinste er und klaute sich eine Ladung Nikotin vom Bassisten. Der beschwerte sich nicht, sondern hielt ihm sogar die Packung hin. Dann bot er Die eine an, der nervös mit den Fingern tippelte. „Jetzt nimm dir schon eine! Ist ja nicht anzusehen“, forderte er. Doch der Angesprochene schüttelte energisch den roten Kopf: „Nein, werde ich nicht. Ich habe aufgehört, das wird mir zu teuer.“ „Hey! Endlich läuft mal jemand zu mir über“, dankte Shinya und klopfte Die auf die Schulter. „Als ob“, Kyo verdrehte die Augen, „Wie lange rauchst du jetzt schon? Seit du 16 bist? Vergiss es, ich gebe dir allerhöchstens zwei Monate, dann qualmst du wieder los.“ „Danke für ihr Vertrauen, Nishimura!“ „Hallo? Hört mir jemand vielleicht noch einmal zu?“ „Och, komm. Kaoru! Reg dich nicht so auf“, beschwichtigte Toshiya ihn, „Das wird schon so stimmen. Wenn die von der Plattenfirma Probleme mit unserer Art haben, dann wird sich das früher oder später sowieso zeigen. Ich glaube nicht, dass irgendwer von uns es darauf anlegt dauerhaft ernst zu sein, wenn einer von denen dabei ist.“ Die hatte sich derweil neben seinen besten Freund gestellt und musste beim Blick auf die Formulare grinsen: „Willst du mal wissen, was Kyo über dich geschrieben hat, Toshiya?“ „Was?“ „Stärken: Bishonenhaftes Aussehen, Bass spielen, andere Leute aufmuntern.“ Shinya sah zum Sänger herüber. So etwas Positives zu schreiben, passte eigentlich gar nicht zu ihm. „Bevor ihr etwas sagt, es geht noch weiter!“, warnte Die, „Schwächen: Er weiß von seinen Stärken und benimmt sich meistens wie ein Kind, das unter dem Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom leidet. “ „Danke, Kyo“, murrte Toshiya, „Ich hab dich auch schrecklich lieb.“ „Tja, deine Kritiken sind immer etwas heftig“, bemerkte Kaoru und setzte sich zu den anderen auf den Bühnenrand, „Ich hab deinen Verriss über das Konzert von Die Smiling im Trip letztens in der Zeitung gelesen. Hast ja nicht gerade mit Tadel gespart.“ Der kleine Sänger zog nur ruhig an seiner Zigarette: „Wer ein Problem damit hat, soll es halt nicht lesen. Ich verdiene nur mein Geld mit dem was ich gut kann, mir eine Meinung bilden und diese treffend formulieren. Außerdem kannst du mir nicht sagen, dass die ein gutes Konzert gemacht haben. Ob die jetzt schon einen Namen haben oder nicht, wenn sie ihre Instrumente wie eine lausige Garagenband beherrschen und ihre Songtexte vor thematischer Wiederholung nur so schreien, kann man dazu nichts anderes sagen, als: geht wieder dahin wo ihr hergekommen seid. Ab in die Provinz!“ Der Leader grinste: „Ich gebe zu, gut waren sie nicht, aber manchmal glaube ich, deine Kolumne wird nur noch wegen der Verrisse gelesen. Diesmal warst du sogar auf der Titelseite und das Magazin ist überregional.“ Die Zigarette starb eines frühen Todes und Kyo stellte sich auf die Bühne: „Ich schreibe für die, weil es gut bezahlt wird. Was die damit machen ist mir egal. Beschweren tun sie sich nie, darüber dass ich zu hart bin. Also kann ich ruhig mal weiter nach einer Grenze suchen. Aber die Kritik über Start! ist nicht ganz so brutal geworden, mir war gestern Abend nicht so darnach.“ Shinya folgte ihm und setzte sich hinter sein Schlagzeug: „Was ist eigentlich mit diesem persönlichen Interview von dem im Brief des Produzenten die Rede war? Wir sollten doch einen Termin dafür vorschlagen.“ Kaoru legte seinen Gitarrengurt an und antwortete: „Ich denke, der soll halt man bei einer unser Sonntagproben vorbeischauen. Dann brauchen wir unter uns nicht so viele neu organisieren.“ „Achja, Kyo!“, Toshiya lief auf die Bühne und zupfte an seinem Bass, „Wie sicher bist du dir, dass alles stimmt was du mir über Sarah erzählt hast?“ Der Sänger hockte auf dem Boden, suchte nach dem Mikrofon und spielte mit der Zunge an seinem Piercing: „Ziemlich sicher, wenn du mir nicht glaubst ist das deine Sache.“ „Nein, ich wundere mich nur. Ihr Verhalten passt nämlich gar nicht dazu. Eine Frau wie so sollte von weniger als einem Kuss doch nicht schon rot werden, oder?“ Die schloss seine rote Gitarre an den Verstärker an und lachte: „Wie definierst du weniger als ein Kuss. Entweder du küsst jemanden oder eben nicht.“ „Eine vorsichtige Kollision der Münder?“, schlug Shinya vor. „Er wird wohl kaum auf sie drauf gefallen sein“, meinte Kaoru und lachte, „Bist du doch nicht, oder? “ „Natürlich nicht!“, der Bass begann mit dem Intro von Erode. „Euer drittes Date und du hast sie nicht einmal geküsst?“, stichelte Die und wartete auf seinen Einsatz, während Shinya sich hinterm Schlagzeug in Bewegung setzte. Kyos Laune stieg und obwohl er dafür sicher den einen oder anderen bösen Blick bekommen würde, schrie er anstatt der ersten Textzeile „Langweiler“ ins Mikrofon. Das hier war seine Welt, seine Band spielte und es gab nichts weiter als ihn und seine Musik. Für ihn zählte hier und jetzt nur das, was ihm wichtig war. Er hatte genug dafür geopfert, um frei zu sein wie jetzt. Wer brauchte schon irgendwelche Doktoren, die ihm immerzu sagten was er tun sollte. Das hier war seine Art der Therapie! Und sie half, darauf konnten sämtliche Psychologen Japans Gift nehmen! Nach der Probe saßen sie noch miteinander in der Aula und alberten miteinander herum, als Dies Handy klingelte. Er meldete sich mit einem: „Jo?“ und entfernte sich etwas von den anderen, um diese in Ruhe zu telefonieren. Unnötig wie sich herausstellte, sie schwiegen alle. Ob aus Höflichkeit oder Neugierde sei mal dahingestellt. „Ja, der bin ich. Darf ich jetzt erfahren mit wem ich spreche? Nein, ich erinnere mich nicht. Woher hast du diese Nummer? - Dann bestell ihr doch mal bitte schöne Grüße und sag ihr, dass sie meine Daten in Zukunft vertraulicher handhaben soll. … Gibt es einen bestimmten Grund, warum du anrufst? … Ich kann ihn mal fragen, einen Moment bitte.“ Die drehte sich zu der wartenden Gruppe um: „Kaoru, kennst du eine Sumi?“ Kaoru zog eine Augenbraue hoch: „Nein? Eigentlich nicht.“ „Irgendeine Ex-Freundin?“, mutmaßte Shinya. „Ich meine, ich kann mich an alle Frauen erinnern mit denen ich im Bett war.“ „Das meine ich eigentlich auch“, räumte Kyo verträumt ein, „Aber dann begegnet man hin und wieder jemanden, von dem man ganz sicher ist, dass man diese Person irgendwoher kennt.“ Toshiya schaltete sich grinsend ein: „Okay! In welchem Bett bist du in letzter Zeit aufgewacht und wusstest nicht mehr wie du dort hingekommen bist?“ „Das letzte Mal war es nach unserer Feier zum Angebot der Plattenfirma. Am nächsten Morgen konnte ich mich an echt nichts mehr erinnern und trotzdem bin ich sehr sicher, dass ich mit Die nicht gevögelt habe, obwohl wir im gleichen Bett aufgewacht sind“, erklärte er seelenruhig und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus. „Ich glaube, davon hätte doch noch jemand etwas mitbekommen!“, stellte der Rothaarige fest und sprach wieder in sein Handy, „Ich befürchte, du verwechselst da jemanden. Er hat keine Ahnung, wer du bist. … Oh, na dann. … Ich frag mal.“ Er sah seinen besten Freund an: „Das ist die nette Dame von besagter Feier im Trip, auf der du mir verboten hast einer nur hinterher zu sehen und selber den großen Aufreißer gespielt hast!“ „Das wirst du mir auf ewig nachtragen, oder?“, er winkte lässig ab, „Die war mir zu aufdringlich, sag ich bin beschäftigt, oder so.“ Die grinste und sagte mit einer übertrieben wichtigtuerischen Betonung: „Ich befürchte der Herr ist gerade schrecklich beschäftigt. … Nein, ich glaube nicht, dass es Sinn hat später noch einmal anzurufen. … Ich bin leider nicht befugt, seine Nummer weiterzugeben.“ Er legte auf und setzte sich zurück zu den anderen: „Kaoru, du Herzensbrecher. Da macht sie sich schon soviel Mühe und du weist sie nur angenervt ab? Das ist doch nicht fair.“ Doch sein Blick und Tonfall sprachen nicht einmal halb soviel Mitleid aus, wie seine Worte an sich. „Wenn das so ist, werde ich mir in nächster Zeit auch Mühe geben“, er blickte andächtig in die Runde, „Und zwar um sie fern zu halten. Solche aufdringlichen Weiber kann ich gar nicht ab!“ „Dafür scheint es, als könnten dich alle anderen Weiber im Moment gar nicht ab“, Kyo bewarf ihn mit Toshiyas leerer Zigarettenschachtel, „Oder wann hattest du dein letztes Date?“ „Sag mal, brauchen wir erst einen Dresseur damit wir dir Affe dieses ständige Bewerfen von Leuten abgewöhnen können?“, Kaoru pfefferte ihm die Schachtel mit aller Kraft an den Kopf. Gut, hatte er eben lange keine Freundin mehr gehabt. Gut, hatte er eben auch lange keinen super Sex mehr gehabt. Gut, war er eben nicht so toll wie Shinya, der seit Ewigkeiten eine erfolgreich Beziehung führte und dann eben auch nicht so toll wie Die, der nur einmal lächeln musste und sofort liefen ihm die Frauen hinterher wie die Ratten diesem komischen Flötenspieler. Gut, war das eben alles nicht so. Immer noch besser, als… ja, als was denn? „Ach, Kaoru“, sagte Shinya. „Was denn?“, entgegnete er schnaubend. Wollte jetzt auch noch der Kleine mit dem Ärgern anfangen? „Ganz ruhig, ich wollte nur Bescheid sagen, dass ich in zwei Wochen zur Dienstagsprobe nicht kommen kann.“ Er wollte nicht. „Und warum?“ „Ich muss Yukina vom Bahnhof abholen.“ Oder eben doch. Kyo setzte sich neben den Schlagzeuger: „Als Wochenendbesuch oder als…“ Dieser verknotete die Finger ineinander: „Als dauerhaften Besuch.“ „Dauerhaft bis wann?“, bohrte Die nach und trommelte mit den Fingern auf seinem Knie, versuchte möglichst nichts anzusehen was mit Zigaretten zu tun hatte, das sich schwerer als gedacht herausstellte, wenn man mit drei Rauchern zusammen saß. „Bis wir eine Wohnung gefunden haben und der Besuch zur Mitbewohnerin wird.“ Ein kurzer Moment der Stille legte sich über die Schulaula, die Bandmitglieder schwiegen und interpretierten die Worte jeder für sich. Kyo formte kleine Rauchringe und warf einen Seitenblick zu Die, der ihn unsicher erwiderte. Bis Toshiya es nicht mehr aushielt und los schrie: „Hey! Ist doch super, endlich kommst du mal da bei dir raus!“ Die anderen nickten, aber dennoch konnte Kaoru sich nicht zurückhalten: „Tut mir leid, wenn ich zu direkt bin, aber ich muss das einfach fragen. Was machst du mit deiner Mutter? Die kann man doch nicht allein wohnen lassen.“ Shinya nickte: „Ich weiß, ich hab so eine Art betreute WG für sie gefunden, die besteht nur aus Frauen, denen es ähnlich geht. Auch im selben Alter und so. Ich denke, da wird sie sich wohl fühlen. Wenn nicht, müssen wir eben noch etwas anderes finden. Aber ab Anfang des Monats wird trotzdem nach einer Wohnung für Yukina und mich gesucht.“ „Dürfen wir deine große Angebetete dann auch mal kennen lernen? Oder müssen wir uns weiter mit dem Photo in deinem Portmonee zufrieden stellen lassen?“, drängte Toshiya und auch Die nickte zustimmend: „Ich würde sie auch mal gerne sehen, außer Kyo hatte ja noch niemand die Ehre.“ Dieser grinste: „Yukina und wir alle 5 auf einmal? Die weiß schon warum die es so lange mit unserem braven Shin-chan aushält, wenn wir alle zusammen mit der ausgehen kriegt die doch einen Herzinfarkt! Krankenschwester hin oder her.“ „Och, komm! So schlimm sind wir auch nicht!“, Toshiya rüttelte an seiner Zigarettenschachtel und sah böse zu den anderen hinüber. Vor der Probe war die noch voll gewesen und so viele hatte er sicher nicht bewusst abgegeben. Sein Blick blieb bei Kyo hängen, der absichtlich von ihm wegsah, während er seinen letzten Glimmstängel aufrauchte. „Nein, sind wir natürlich nicht“, Kaoru verdrehte die Augen und reichte ihm seine eigene Packung, „Das letzte Mal, als wir feiern waren, hat bei allen außer Shinya einen Filmriss seit ungefähr 11 Uhr hervorgerufen und das letzte woran ich mich erinnern konnte, war eine aufdringliche Frau, dessen Namen mir bis vor wenigen Minuten rätselhaft war, und an ein paar äußerst seltsame Metapher wie Kyo ist ein Pikatchu und Die ein Relaxo. Nein, wir sind nicht seltsam oder so. Wie kommst du bloß darauf?“ Der Bassist hüstelte peinlich berührt, wies die Zigaretten zurück und klaute sich seine von Kyo zurück. Shinya nickte heftig: „Nicht das Yukina sich nicht zur Wehr setzten könnte, aber dann krieg ich wieder den Stress wenn sie sich zu sehr aufgeregt hat. Aber wir können die Sache ja ganz einfach regeln.“ Er blickte in die Runde und sah prüfend jeden an: „Wir gehen aus, alle 5, aber jeder von euch bringt auch eine Frau mit. Dann fühlt sie sich nicht ganz verloren unter Verrückten und wir haben eine Gelegenheit mal diese Sarah einzuschätzen.“ „Was soll das heißen verloren unter Verrückten?“, Toshiya fühlte sich offensichtlich angesprochen, „Und bin ich jetzt gezwungen Sarah mitzubringen? Ich weiß gar nicht, ob wir in zwei Wochen noch miteinander ausgehen.“ Kaoru überging die erste Frage einfach und antwortete stattdessen: „Sieh es einfach als Erwartung an. Und was ist, wenn man keine Begleitung auftreibt?“ „Dann bezahlt man die Zeche für alle!“, schlug Shinya vor, „Und ich habe nicht vor bei Burger King essen zu gehen.“ „Soll das eine Wette sein?“, grinste Kyo und wollte sich eine Zigarette von Leader klauen, der seine Schachtel nur kommentarlos in Sicherheit brachte. Innerlich stöhnte dieser auf. Heute hatten sich wirklich alle gegen ihn verschworen. „Keine Sorge, wir finden schon jemanden für dich!“, Die tätschelte ihm die Schulter, „Wird ja sowieso mal wieder Zeit, dass du jemanden ausführst.“ „Du hast gut reden!“ Der Sänger klopfte ihm auf die andere Seite: „Keine Sorge, so einfach machen wir es Big Red nicht.“ Er sah ihn an und grinste: „Miyako zählt für ihn nämlich nicht als Date.“ „Was? Warum nicht?“ „Weil sie auch eine Verrückte ist?“ Bei den Worten des Sängers musste Kaoru an die Autofahrt mit ihr denken und grinste gequält. Die Frau musste schon ziemlich verrückt sein, um so leben zu können. Besagte Verrückte löffelte gerade einen Joghurt, als ihr Ex-Freund in die Küche kam. Die Abendsonne schien durch die Küche herein und färbte ihre braunblonden Haare ein wenig ins goldene, ein starker Kontrast zu ihrem langen schwarzen, berüschten Stufenrock, Handschuhen, die bis über den Ellebogen reichten und dem gleichfarbigen schlichten Trägertop. Ihre Tätowierung am rechten Schulterblatt zeigten die Schriftzeichen für Liebe und Vergessen in Schwarz und Bordeaux, die Augen waren dunkel geschminkt und mit lauter kleinen Kreuzen und Linien verziert, der rote Lippenstift gab mit der hellen Grundierung ihrem Gesicht etwas Puppenhaftes. Zierlich und zerbrechlich schien sie, als könnte nur eine Berührung den Zauber lösen und sie zu Staub verfallen lassen. „Wie ein Engel der Apokalypse“, kommentierte Die und lehnte sich in den Türrahmen, „Du siehst dem Sonnenuntergang zu und lachst die Götter aus, denn jetzt kommt seine Zeit in der du die Welt im Grauen versenkst.“ „Wir gehen in einen Visual Club und ich hatte heute sowieso mal wieder Lust auf etwas weniger Farbe“, sie räumte den leeren Becher weg und zog ihren Lippenstift nach, „Außerdem kann ja nicht jeder so unscheinbar rumlaufen wie du!“ Sie warf einen tadelnden Blick zu Die herüber. „Was denn?“, er sah an sich hinunter. Was gab es an einer zerrissenen Hose, Nietengürtel, rot-schwarz gestreiften Shirt und dunkler Leaderjacke auszusetzen? „Du siehst aus wie ein Teeny, der zum ersten Mal was von Rock und Gitarren gehört hat!“ „Und? Lass mich doch!“, verteidigte er sich, „Es reicht doch wenn Kyo und du gleich aufgemacht wie zwei Paradiesvögel rumlaufen. Irgendwer muss da doch dezent bleiben. Außerdem war mir heute nicht nach irgendetwas körperbetonten und diese Sachen sind schön weit und bequem.“ Sie verdrehte die Augen: „Gut, mach was du willst, wenn du am Ende nicht hinein kommst ist das dein Bier, okay?“ „Dafür wirst du morgen erkältet sein, so wie du aussiehst, schreist du ja regelrecht nach Viren und einer dicken Erkältung. Im Übrigen hatte ich heute einfach keine Lust auf großes Auftreten“, erklärte er und öffnete den Kühlschrank. Miyako sah ihn fragend an. Das passte nicht zu ihm, mindestens genauso wenig wie zu Toshiya der Begriff Bescheidenheit. „Grund?“ „Ich hab nachgedacht.“ Die sah sie nicht an, sondern stand mit dem Rücken zu ihr und durchforstete weiter die Lebensmittel. Schließlich schloss er ihn ohne sich etwas herauszunehmen, drehte sich jedoch nicht um. „Über unser Gespräch gestern Nacht, du weißt schon. Das Wichtigste und so. Ich glaube es nicht so, dass man sich das Wichtigste nicht selbstständig aussuchen kann, sondern dass man sich schon selbst entscheidet. Denn im Grunde geht es nur wieder um uns selbst. Auch wenn ich sage, es reicht mir wenn Kaoru glücklich ist egal mit wem, möchte ich das nur, weil ich mir dann keine Sorgen mehr um ihn machen muss. Obwohl man sich von jeglichem Besitzanspruch befreit, ist es doch nur eine andere Art von Egoismus. Sind wir Menschen so selbstsüchtig, dass wir sogar in der Liebe nur an uns denken?“ Der junge Mann drehte sich um und sah sehnsüchtig nach einer Antwort in ihre Augen, doch sie schüttelte den Kopf und drehte sich weg. Im Türrahmen lehnte sie sich an dieselbe Stelle, wie zuvor Die und sagte: „Jeder macht sein Glück von dem abhängig, was einem am wichtigsten ist, egal ob es ein bestimmtes Ziel oder eine andere Person ist. Daran ist nichts egoistisch. Ohne so etwas würde uns der Sinn im Leben fehlen, in Momenten, in denen alles schrecklich und falsch scheint, gibt es uns Kraft weiterzumachen. Du kennst doch den Ausdruck es ist mein Leben oder etwas wofür es sich zu leben lohnt.“ Die nickte, unbewusst der Tatsache, dass sie es nicht sehen konnte. Es kostete ihn einige Überwindung bis er sagte: „Du bist mein Leben. Das haben wir uns früher immer gesagt.“ Er sah wie sie kaum merklich ihren Kopf bewegte. „Früher, in alten Zeiten.“ „Zeiten ändern sich.“ „Nur wenn die Menschen es wollen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten ging sie ins Bad und ließ ihren Ex-Freund allein in der Küche stehen. Dort sah sie sich im Spiegel an und redete sich innerlich gut zu. Es war schon ein wenig grausam, dass sie nicht mal mehr Tränen zurück halten musste. Der Schmerz hatte sie einfach taub gemacht, bis sie kaum noch etwas spürte. Nur irgendetwas zog sich in ihrem Inneren zusammen und verkrampfte ihr Herz bis sie für einen Wimpernaufschlag glaubte, es würde still stehen. Sie war einmal sein Leben gewesen, war. Zeiten änderten sich und jetzt war ihre Zeit vorbei, nun hatte er ein neues Leben, vielleicht nicht unbedingt ein glücklicheres, aber sie war es nicht mehr. Sie reichte ihm nicht mehr als Grund seine Existenz weiter zu führen. Miyako griff nach ihrem Eyeliner und malte noch ein Kreuz unter ihr Auge. Für ihn war sie gestorben. Der Anrufbeantworter blinkte in der Dunkelheit, durchbrach mit seinem roten Licht das Düstere in dem kleinen Zimmer. Als Kaoru seine Wohnung betrat schaltete er keine Lampe an, zog Jacke und Schuhe aus, drückte auf einen Knopf des Telefons und ließ sich auf sein Bett fallen. Die kubanische Musik seines Wohnungsnachbarn und leider auch Vermieters hallte durch die dünne Wand und raubte ihm nun auch den letzten Nerv, der nach einem langen Arbeitstag übergeblieben war. Das Aufnahmeband surrte und die erste Nachricht spielte sich ab. Eine ruhige, warme Stimme, die langsam und beherrscht sprach. Er seufzte, als er sie erkannte und griff instinktiv nach einem Kissen, um es seine Ohren zu verdecken. Helfen tat es zwar nicht, aber die Absicht zählte. „Hey, Mittlerer! Ich bin’s, Hiro. Vater ruft mal wieder ein Familientreffen ein und er sagt, wenn du diesmal wieder nicht kommst… naja, denk dir deinen Teil. Ich würde mich auf jeden Fall freuen, wenn du dabei wärst. Ich soll unserem heiß geliebten großen Bruder auch noch Bescheid sagen, aber wenn du nicht willst, dass er mit Frau und Kind kommt, dann informier mich einfach und ich werde das ganz zufälliger Weise vergessen. Mutter macht sich nämlich schon Sorgen, weil wir so selten was von dir hören, Vater auch, er hat nur eine andere Art das zu zeigen. Naja, ich will nicht Psychologe über Tonband spielen. Ruf zurück und ich hoffe wir sehen uns.“ -Klick. Er drehte sich auf den Bauch und schloss die Augen. Als würde etwas Schweres auf ihm liegen, fühlte er sich schrecklich bedrückt. Etwas lastete auf seinem Kopf, den Schultern, dem Rücken, selbst Arme und Beine wogen so viel, das er dachte nie wieder aufstehen zu können. Ob er einfach einschlafen sollte? Ohne sich umzuziehen? Hier und jetzt liegen bleiben, ohne den Wecker zu stellen, ohne die Wohnung aufzuräumen und vor allem ohne zurückzurufen. Das wäre… einfach gammelig und inkonsequent, aber ihm fiel kein Grund ein, warum er sich jetzt bewegen sollte. Am besten blieb er so und verrottete. Innerlich wie äußerlich. Die nächste Nachricht. „So ein Anrufbeantworter ist echt eine praktische Sache, sollte ich mir vielleicht auch mal zulegen. Besser als eine Mailbox, die du sowieso wieder nicht abhörst, weil du zu geizig bist! Mag ja sein, dass du gerade noch irgendwelchen Kiddies Unterricht gibst, aber wenn du wieder zuhause bist, dann ruf! Mich! An! Kyo und ich werden heute mal wieder ein bisschen rausgehen und sind der Meinung, dass du mal wieder mitkommen solltest und nicht soviel Arbeiten. Allein wegen der Wette mit Shinya und bla blup. Miyako und ein paar ihrer Mädels sind auch da, Shinya kommt eventuell auch noch nach, nur Toshiya will seine heilige Sarah nicht versetzten. Also hau rein und ruf zurück, egal zu welcher Uhrzeit, steht aber im Moment noch nicht fest, welcher Club. Aber du kommst nach ohne Widerrede!“ Kaoru lächelte, auf Regen folgte Sonne, nach bergauf, kam immer bergab. Er setzte sich auf, Schwindel überkam ihn kurz und er brauchte einige Augenblicke bis er sich gefasst hatte und griff nach dem Telefon. Auswendig wählte er Dies Nummer und wartete das Klingeln ab. Eine kindliche Vorfreude erfasst ihn und die vorherige Müdigkeit und das Gefühl erdrückt zu werden schienen von gerade auf jetzt verschwunden zu sein. „Jo?“ Im Hintergrund war es schrecklich laut, Stimmen, Musik und der Bass pochten durch das Telefon hindurch in seine Ohren. „Hey, schieß los. Wo seid ihr?“ Während Die ihm begeistert über seinen Anruf den Weg zum Club erklärte, musste Kaoru an einen regnerischen Tag im Park denken. Viertens bin ich auf Grund drittens dein bester Freund, damit ich dafür sorge, dass du es nicht übertreibst. , hatte Big Red gesagt. Wie konnte sich ein Mensch so ausführlich um jemand anderen kümmern? Kaoru hatte kaum die Kraft seine Leben in den Griff zu bekommen. Sein großes Ziel hatte er immer noch nicht erreicht und davor wollte und konnte er nicht nach Hause. Während er in dieser kleinen Wohnung vor sich hin rottete, aß sein Bruder bestimmt schon mit Frau und Kind zu Abend, las die Zeitung und lebte seinen geregelten Tagesablauf. Er gab bestimmt auch nicht irgendwelchen untalentierten Kindern Unterricht gegen einen Hungerlohn, sondern wenn, dann höheren Töchtern, für deren Eltern es eine Ehre war den großen Pianisten Niikura persönlich im Haus zu haben. Dann spielte er am nächsten Abend im Theater Chopin und Beethoven, vor einem riesigen Publikum, die ihn umjubelten und für sein außergewöhnliches Talent lobten. Sein Freund hatte geendet, er legte auf und schnaubte. Ein wirklich außergewöhnliches Talent, das nur in seiner musikalischen Familie vorkommen konnte. Eine Begabung zur Nachahmung, zwar übertraf er selbst ihren Vater im Klavierspiel, aber selber komponieren konnte sein Bruder nicht. Variieren vielleicht, aber auch nur ein Thema eines Satzes, eine einzige Melodie selbst zusammenstellen? Nein, wieso denn auch? Es war doch soviel einfacher und die Garantie erfolgreich zu sein, wenn man nur lernte, was andere schon massenweise getan hatten. Lernen durch Wiederholung. Was der große Konfuzius sagte, musste doch irgendwo stimmen. Kaoru schüttelte den Kopf, er würde es auf seine Art schaffen sich musikalisch einen Namen zu machen. Nicht unter Pinguinen und Flamingos, der feinen Welt der Abendgarderobe, sondern in seiner Szene, unter seinen Leuten. Und wenn er dann allen gezeigt hatte, was er konnte, dann würde sich vor allen zeigen, ob es der falsche Weg gewesen war, den er eingeschlagen hatte. Im Gang Richtung Badezimmer schaltete er das Licht an und warf noch einen Blick auf den Wohnzimmertisch. Über diesen waren Massen an Papieren verteilt, zwischen den altbekannten Formularen, tauchte die Handschrift Kyos auf, die er in Kleinstarbeit an seinen Melodien anglich, und vermischte sich mit Gitarrenakkorden und Bassnoten. Das war seine Arbeit, sein Leben. Einen Moment blieb er stehen und ordnete ein paar Zettel neu, riss sich dann aber los und ging ins Bad. Jemand wartete auf ihn und jetzt galt es das zu genießen, was ihm an seinem Weg das Wichtigste und Liebste war. Die Freiheit fast alles so zu tun, wie es einem gefiel. Die kehrte vom Telefonat zurück zur Sitzecke, in der Kyo, Miyako, Shinya und einige andere saßen. Der Club war voll, stickig und laut. Im inneren Kreis war eine Tanzfläche, auf dieser zappelten Körper zur Musik, die vor Gitarren und Bass kaum noch Platz zum Reden ließ, rundherum waren Sofas und Sitzecken zwischen den verschiedenen Bars aufgestellt und die Beleuchtung flackerte in allen Farben blitzartig durch den Raum. Sein Blick fiel auf Miyako, ihre extrovertierte Kleidung ging ihm nicht aus den Gedanken. Bei ihr war es ein Zeichen für Sorgen, typisch Frauen. Wenn sie Kummer haben, färbten sie sich die Haare oder ließen sich eine neue Tätowierung oder einen Piercing stechen. Nur war sie da etwas zu vernünftig um so aus dem Bauch heraus zu handeln und hielt sich an gelegentliche Aufmachungen. Vielleicht würde alles besser werden, wenn er ausziehen würde. Es würde es sicher leichter für sie machen, wenn etwas Abstand zwischen ihnen herrschte. Kaoru suchte doch auch eine neue Wohnung, sie könnten zusammenziehen. Doch im selben Augenblick, als ihm dieser Gedanke kam, verwarf er diesen wieder. Er würde es nicht schaffen in der jetzigen Situation mit dem Lilahaarigen zusammenzuziehen, abgesehen davon, würde Miyako niemals zugeben, dass Distanz benötigt wurde und erst recht nicht gutheißen. Er warf einen Blick auf die Uhr, noch eine halbe Stunde bis er mit ihr Kaoru abholen musste. Sie hatte noch nichts getrunken und musste das Auto fahren, er wusste wo der Treffpunkt war- eine klare Aufgabenteilung. Andererseits war ein richtiges Trennen der Wege kaum möglich, sie hatten im Laufe der Jahre denselben Freundeskreis aufgebaut, gingen auf die gleichen Konzerte und hatten denselben Stammtisch im Trip. Wenn er die Uhr zurückdrehen könnte, würde er sich dann anders entscheiden und weiter mit Miyako als Paar leben? Wahrscheinlich nicht, rational vielleicht schon, aber emotional? Was die Pflaume anging, schien es hoffnungslos. Zum einen konnte er an seinen Gefühlen kaum etwas ändern und die Aussicht auf Erwiderung war in den letzten Monaten kleiner und kleiner geworden, bis sie schließlich hinter dem weiten Horizont verschwand. Für diese Person zählte nur die Arbeit und die Band, das war ihr das Wichtigste und ihr Leben. Er zweifelte daran, dass dieser Mensch sich darin jemals ändern würde. Aber das machte Die nichts mehr aus, solange dieses Leben mit ihm nur ein kleines bisschen geteilt wurde. [1] Der Text stammt aus Kyos veröffentlichter Textsammlung „Kyo - Just a line to ask you, how are you? To you who has no name, with love from the end of the earth…“ Jeder einzelne Text ist auf einem B5 Blatt gestaltet, dieser Auszug ist einer meiner Lieblingstexte, ich habe aber nicht die vorgegebene englische Übersetzung übernommen, diese ist zwar schöner, aber auch sehr frei. nobody but me not for anybody else nobody else’s way nobody else’s dream Dazu ist anzumerken, dass das von Kyo gewählte Zeichen (道michi) für Weg gleichzeitig auch „religiöse Lehre“ bzw. „Weg der Tugend“ bedeuten kann /bedeutet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)