Feuertanz von -Ria- (Harry/Draco) ================================================================================ Kapitel 14: Rien ne va plus – nichts geht mehr ---------------------------------------------- Rien ne va plus – nichts geht mehr ooOoo Übernächtigt nach vielen, unruhigen Träumen, und außerdem der festen Überzeugung, des Nachts von einer Horde übellauniger Zentauren überrannt worden zu sein, betrat Harry am nächsten Morgen den Speisesaal. Wenig Tageslicht konnte die rauchbeschlagenen, hohen Fenster durchdringen, dafür spendeten einige schwebenden Kerzen dem tristen Raum etwas Beleuchtung, flackernde Schatten an den speckigen, jahrhundertealten Steinboden werfend. Diese Umgebung trug auch nicht gerade dazu bei, die Stimmung des schwarzhaarigen Jungen zu heben. Er war auch da. Obwohl Harry entschlossen war, diese irritierenden Gefühle zu ignorieren, welche Malfoy in ihm hervorrief, schlug sein Magen fast einen Salto, als ihre Blicke sich trafen. Nicht schon wieder! Nur schwer dem Drang widerstehend, auf der Stelle aus dem Speisesaal zu flüchten, setzte er sich an einen der langen, spärlich besetzten Tische. Aus den Augenwinkeln betrachtete er weiterhin Dracos Profil. Als würde er spüren, wie intensiv er beobachtet wurde, wandte Draco den Kopf und grinste Harry an, dessen Herz einen Takt aussetzte – bis er den Grund für dieses Grinsen bemerkte. Ginny schlenderte Seite an Seite mit Justin Finch-Fletchley an seinem Tisch vorbei, Harry über die Schulter einen herausfordernden Blick zuwerfend, bevor sie den Speisesaal verließ. Doch das war es nicht, was Harrys Blut plötzlich kochen ließ. Es war der Anblick Zabinis, der sich süffisant lächelnd neben Draco setzte und diesem etwas ins Ohr flüsterte. Ihm war, als würden seine Innereien zu einem kleinen heißen Klumpen zusammenschrumpfen, als er mit zusammengepressten Lippen beobachtete, wie Draco schulterzuckend aufstand, um Blaise aus der Halle zu folgen. Seine Hände krampften sich unbewusst zusammen. Über den Boden kratzende Stuhlbeine rissen Harry aus der süßen Vorstellung, Blaise zu erwürgen; blinzelnd sah er auf, direkt in Megans mürrisch verzogenes Gesicht. „Hallo“, begrüßte er sie um ein Lächeln bemüht, das wohl eher einer Grimasse glich. „Du bist doch die kleine Freundin von Malfoy, oder?“ Ein finsterer Gesichtsausdruck, gefolgt von einem knappen Nicken war die einzige Reaktion auf seine Frage. Sie knallte ihren Becher so heftig auf den Tisch, dass die warme Milch über den Rand schwappte. Mit gerunzelter Stirn lehnte Harry sich ein wenig vor. „Du kannst mich nicht leiden, oder?“ „Nein. Du magst Draco schließlich nicht!“ Harry schluckte hart, seine Finger spielten nervös mit dem unbenutzten Besteck. Er wich Megans aufgebrachtem Blick unangenehm berührt aus. „Das beruht auf Gegenseitigkeit“, antwortete er belegt. „Es war schon immer so…“ … und alles andere bildete Harry sich bloß ein… „Du hast Draco geschlagen!“, warf Megan zischend ein. Anscheinend war gerade diese Untat Harrys für sie unverzeihlich. Die zusammengepressten Lippen des blonden Jungen, als Harry den Unterricht vorzeitig beendet hatte… „Er hat mir mal die Nase gebrochen“, verteidigte sich Harry, trotz der recht schmerzhaften Erinnerung schmunzelnd. Dieser Schatten, der sich gestern Nacht über Dracos Gesicht gelegt hatte… „Das hattest du bestimmt verdient“, entgegnete Megan bissig. Ihre kleine Nase krauste sich verächtlich. Der abwartende Ausdruck in seinen Augen… „Er hat keine Gelegenheit ausgelassen, meine Freunde und mich in Schwierigkeiten zu bringen“, rechtfertigte Harry sich weiter. Ihn begann dieses absurde Gespräch zu amüsieren, und so langsam erkannte er, warum Malfoy die Kleine anscheinend mochte. Wie weit wäre Draco gegangen, in jener Nacht, als Harry aus seinem Alptraum erwacht war? Megan zog eine trotzige Schnute, die hellbraunen Augen blitzten ihn kampflustig an. „Na und? Hattet ihr bestimmt auch verdient!“ Wie weit wäre er selbst gegangen? „Draco ist nicht der Unschuldsengel für den du ihn hältst. Er hat eine große Dummheit gemacht, und viele Menschen in Gefahr gebracht“, antwortete Harry, dem das Grinsen plötzlich verging. Wie weit würde er noch gehen? Die kleinen Hände ballten sich zu Fäusten; Harry war bestürzt über den Zorn, der von dem ebenso kleinen, mageren Körper ausging. Anscheinend hatte er unbeabsichtigt einen wunden Punkt getroffen. „Hast du ihn mal gefragt, warum er das gemacht hat?“ „Du kennst die Geschichte?“ Nun war Harry mehr als überrascht – er hatte nie damit gerechnet, dass Malfoy diesem Kind soweit vertrauen würde. „Ja. Und du kommst dir anscheinend ganz toll vor, nur weil alle dich für einen Helden halten!“ Megan fauchte wie eine kleine Katze. Ihre Finger umklammerten jetzt den Becher, als überlege sie, diesen Harry an den Kopf zu knallen. „Immer mit der Ruhe“, antwortete Harry verblüfft. „Immerhin hast du dich zu mir gesetzt. Hast du das nur gemacht, weil du dich streiten wolltest?“ Megan trank einen Schluck Milch, und warf Harry über den Becherrand einen vernichteten Blick zu. „Ich musste“, antwortete sie abweisend. „Du musstest?“, hakte er irritiert nach. „Hat Malfoy das etwa von dir verlangt?“ Das Kind sah ihn an, als zweifelte es an seinem Verstand. Und Harry konnte es verstehen – er glaubte selbst nicht, was er da eben gefragt hatte. “Draco verlangt gar nichts von mir! Das war meine Schwester.“ „Deine...?“ Weiter kam Harry nicht, da eine freundlich lächelnde, ältere Ausgabe Megans sich neben ihn setzte, das Kind gespielt streng ansehend. „Was machst du denn hier, Megan? Du sollst Harry doch nicht belästigen.“ Morag wandte sich an Harry, ehe sie fortfuhr. „Sie mag dich nämlich sehr.“ „Tatsächlich?“ Harry zwinkerte Megan verschwörerisch zu. „Das kann sie aber gut verstecken...“ Malfoy beinahe perfekt nachahmend hob Megan beide Augenbrauen, und Harry lachte schallend los. Morag blinzelte irritiert, während Megan sich zu einem hinreißenden Lächeln bewegen ließ. Harry stand noch immer leise glucksend auf. „Ich habe jetzt Unterricht bei Remus Lupin, möchtest du mich begleiten, Megan?“ Der pure Schalk tanzte in Megans braunen Augen, als sie bedauernd den Kopf schüttelte. „Ich habe schon eine Verabredung. Aber Morag hat Zeit.“ Völlig entgeistert starrte Harry ihr nach, wie sie kichernd aufsprang und aus dem Refektorium rannte. Er war gerade sauber von einem kleinen Mädchen ausgetrickst worden. Malfoy wäre sicher stolz auf sie – und er würde sich darüber totlachen, wenn er davon erführe. Harry seufzte und lächelte Morag, die ihn erwartungsvoll ansah, zögernd an. ooOoo „Was hast du mir denn so unglaublich Wichtiges mitzuteilen, Zabini?“, erkundigte sich Draco gelangweilt, als sie den Friedhof erreicht hatten. Mit einem abwartenden Blick auf den dunkelhäutigen Jungen lehnte er sich gegen eines der Kreuze. Blaise war am Zug. Dessen braune Augen fixierten Draco lauernd, während er die vollen Lippen zu einem hämischen Grinsen verzog. „Ich habe vor wenigen Tagen ein sehr interessantes Gespräch mit Longbottom geführt“, eröffnete er Draco. „Ich hatte ihn beim Lauschen erwischt, und nachdem Potter mir nicht mehr dazwischengefunkt hat, war er sehr redselig.“ „Toll! Du hast Longbottom eingeschüchtert“, spottete Draco in die Hände klatschend. „Vielleicht verleihen sie dir jetzt einen Orden!“ Mit einem Schritt stand Blaise dicht vor Draco, stieß ihn rücklings enger gegen das steinerne Kreuz. „Tu nicht so überheblich! Ich weiß, dass du dir alle zehn Finger nach Informationen über Potter lecken würdest, also sei still und hör zu!“ Alle vorgespielte Gelassenheit fiel von Draco ab, als er scharf Luft holte. Seine Finger krallten sich in Blaises Hemd, zogen den anderen Jungen auf seine Höhe hinunter. „Behalte deine falschen Vermutungen für dich und komm endlich zum Punkt, Zabini!“, zischte er mühsam beherrscht. Angesichts des wissenden Lächelns, das Blaises Lippen umspielte, verkrampften sich seine Hände noch mehr. „Sie bringen Potter den Avada Kedavra bei…“ Augenblicklich ließ Draco von Blaise ab, der einen Schritt zurücktrat und sich abwesend das Hemd glatt strich. Draco gönnte sich ein Lächeln voller Genugtuung. „Was du nicht sagst…“ „Du siehst nicht gerade überrascht aus, Malfoy.“ „Warum sollte ich?“ Blaises dunkle Augen musterten Draco verblüfft. Er rang nach Worten. „Du wusstest es!“, stellte er dann fest. „Manchmal frage ich mich, was du für ein Spiel spielst, Malfoy!“ „So? Das frage ich mich in deinem Fall auch.“ Wachsamkeit ließ Draco der Frage ausweichen – Blaise jonglierte erstaunlich geschickt mit den Indizien, und kam der Wahrheit wahrscheinlich schneller nahe, als Draco lieb sein konnte. „Ich will auf der richtigen Seite stehen!“ „Du meinst wohl eher, dass du auf der Gewinnerseite stehen willst“, höhnte Draco. „Was willst du von mir hören? Soll ich dir etwa die Entscheidung abnehmen?“ „Ich will die Wahrheit hören!“, rief Blaise, seine Distanziertheit fahren lassend. Er sah plötzlich entsetzlich jung aus. „Auf welcher Seite stehst du?“ Draco ballte seine Hände zu Fäusten, um das Zittern zu verbergen, das von ihm Besitz ergriff. Er empfand plötzlich Mitleid für Blaise. „Ich weiß es nicht“, antwortete er ehrlich. „Die Grenzen haben sich so sehr verschoben, dass ich sie nicht mehr erkenne…“ Er stockte, hätte die Worte am liebsten wieder zurückgenommen. Nun sah er sich einem äußerst verwirrten Blaise gegenüber. „Frag doch Longbottom, vielleicht hat er ja noch mehr belauscht.“ „Der?“ Blaise machte eine wegwerfende Handbewegung. „Longbottom ist nur an einem interessiert: Seiner Rache an Lestrange. Er scharwenzelt ständig in der Nähe von Lupin herum, darum wusste er auch von Potters neuem Unterrichtsstoff.“ Eine hohe Stimme, die fragend Dracos Namen rief, ließ beide Jungen erstarren. Megans schmale Gestalt tauchte zwischen den Kreuzen auf, als sie lachend auf Draco zurannte. Draco grinste in sich hinein, als Megan Blaise misstrauisch betrachtete, dann ihm einen Blick zuwarf, als solle er ihr sagen, ob der fremde Junge Freund oder Feind war. „Neue Freundin, Malfoy?“, stichelte Blaise, in seinen Augen jedoch lag kein Spott, als er an Draco vorbeiging und ihm zuraunte: „Was immer du vorhast, ich hoffe, du weißt was du tust…“ ooOoo „Du hättest sein Gesicht sehen sollen, Draco.“ Megan kicherte noch immer, während sie nicht zu bemerken schien, dass Draco zwischen Wut und Amüsement schwankte. Sie hatte ihm brühwarm von ihrem Gespräch mit Harry erzählt, sobald Blaise außer Hörweite gewesen war. Jetzt schien sie sehr stolz darauf zu sein, Harry Potter hereingelegt zu haben. Die kleinen Finger flochten eifrig an einem Kranz aus Grashalmen, während sie Draco mit sich überschlagender Stimme Harrys Gesichtsausdruck schilderte. „Weißt du, Draco, ich glaube, er ist doch lustig“, stellte sie nachdenklich fest. „Ein wenig“, stimmte Draco abwesend zu. Er dachte wieder an die Begegnung mit Potter, beim Frühstück. Seine Intuition ließ ihn im Stich, wenn es darum ging, Harry einzuschätzen. Manchmal hatte dessen Blick etwas beinahe Wissendes; als hätte er Draco durchschaut… Und was war jetzt mit der kleinen Weasley? Harrys Augen hatten vor unterdrückter Wut geradezu gesprüht, als sie mit diesem Hufflepuff an seinem Tisch vorbeistolziert war. Dennoch… diese Blicke, mit denen Harry ihn manchmal bedachte, bescherten ihm die widersprüchlichsten Gefühle. Wut. Verwirrung. Bitterkeit. Und bisweilen… unangebrachte Hoffnung, fast schon Euphorie. Sie hatten eine Art stummen Frieden geschlossen, doch Draco wusste, dass dieser Frieden auf wackeligen Beinen stand. Die Spannung war fast greifbar; nur ein Funke würde genügen, um das Pulverfass, um das sie herumtanzten, explodieren zu lassen. Und Draco war sich nicht sicher, wie lange er dieses Spiel noch durchstand. Megans plappernde Stimme war in den Hintergrund gerückt, während er über Potter nachgedacht hatte, und nun holte sie ihn mit Wucht in die Realität zurück, als sie nüchtern feststellte: „Du bist böse auf mich.“ Sie konnte Draco mit ihrer Art, die Dinge erstaunlich klar zu sehen, immer wieder überraschen. „Warum sollte ich das sein?“ „Weil ich Morag mit Harry allein gelassen habe.“ Draco biss sich schuldbewusst auf die Lippen. War es so offensichtlich, dass es selbst einem Kind nicht verborgen blieb? „Stimmt, das war nicht nett von dir“, ließ sich Harry vernehmen, der lautlos hinter ihnen aufgetaucht war. „Es war gar nicht so leicht, deine Schwester abzuschütteln.“ Draco hatte sich unwillkürlich angespannt, als er die vertraute Stimme vernahm; er fragte sich, wie viel Potter wohl gehört hatte. Nun atmete er zittrig aus, sich dazu zwingend, den über sich aufragenden Harry spöttisch anzugrinsen. „Wieder mal Ärger mit deinem Fanclub, Potter? Vielleicht solltest du Termine vergeben.“ „Ich bin nicht in der Stimmung, um mich mit dir zu streiten, Malfoy. Halt doch einfach mal die Klappe“, entgegnete Harry liebenswürdig, richtete lächelnd seinen Zauberstab auf Draco und sprach den Silencio aus. Ungläubig fasste Draco sich mit aufgerissenen Augen an die Kehle, aus der kein Laut mehr hervordrang. Er sah Megan verwirrt blinzeln. Jetzt stieg heiße Wut in ihm empor. Potter hatte ihn tatsächlich verhext! Ausgerechnet Potter! „Schon viel besser“, stellte Harry noch immer grinsend fest. Lachend sprang er außer Reichweite, als Draco nach ihm griff. Im Zickzackkurs rannte er vor Draco davon, der glaubte, vor Wut über Potters Dreistigkeit zu platzen. Er hörte Megans vergnügtes Quietschen, mit dem sie ihn anfeuerte, Harry zu schnappen, und ihm wieder einmal eines auf die Nase zu geben. „Blutrünstige, kleine Göre“, lachte Harry keuchend, während er an ihr vorbeisprintete, über ihre ausgestreckten Beine stolpernd. Taumelnd versuchte er einen Sturz zu vermeiden. Leise schrie er auf, als Draco ihn unsanft zu Boden stieß. Stummer Jubel stieg in Draco auf, als er Harry mit seinem Körper in das trockene, duftende Gras drückte. Seine Hände legten sich leicht um Harrys Hals, konnten den rasenden Puls fühlen, der unter seinen Fingerspitzen pochte. Harry lag einfach nur da; ohne sich zu wehren starrte er Draco fassungslos an. Den Mund zu einem schiefen Lächeln verziehend, beugte Draco sich vor. Er wollte die Niederlage in Harrys Augen sehen, wollte hören, wie diese schönen Lippen eine Entschuldigung murmelten – und er sog überrascht die Luft ein, als Harry wie in Trance nach Draco Haar tastete, ihm eine Strähne aus der Stirn streichend. Stille legte sich wie ein Schleier über den Friedhof, als selbst Megan in atemloses Schweigen verfiel. Wie hypnotisiert starrte er in Harrys Augen, fühlte die federleichte Berührung an seiner Wange; unbewusst leckte er sich über die trockenen Lippen, als er sich über Harry beugte. Er nahm den frischen Geruch nach Seife wahr, der von Harry ausging, spürte schon Harrys zitternden Atem… als eine aufgebrachte Stimme ihn brutal aus seinem rauschhaften Zustand riss: „Lass ihn in Ruhe, du verdammter Mistkerl!“ Draco sah auf, und seine Augen verengten sich. Ob vor Zorn oder Enttäuschung, hätte er nicht mit Sicherheit sagen können. ooOoo Auch Harry warf seinen Kopf herum. Sowohl von ihrem Zorn der Gerechten als auch von ihrer flammenden Mähne umhüllt schaute Ginny wie die Rachegöttin höchstpersönlich aus. Die hübsche Rothaarige stürmte mit blitzenden Augen auf sie zu, den Zauberstab schon erhoben, während Harry noch immer wie gelähmt dalag. Dementsprechend teilnahmslos beobachtete er, wie Megan (im Gegensatz zu ihm sehr geistesgegenwärtig) nach Ginnys Beinen griff. Megans Plan war von Erfolg gekrönt, denn prompt fiel Ginny, nur um sich sofort darauf wütend aufzurichten, die Hand bereits zum Schlag gegen das kleine Mädchen erhoben. Noch immer geschah alles viel zu schnell für Harry, der nach wie vor im Gras lag, diese skurrile Szene verfolgend, welche von leicht geöffneten Lippen und hellblonden, seidigweichen Strähnen überlagert wurde. Ginny bekam niemals die Chance, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen – Draco war längst aufgesprungen. Mit wenigen sparsamen Bewegungen hatte er Megan aus der Gefahrenzone geschoben, Ginny den Zauberstab aus der Hand geschlagen, und sie zugleich an ihren langen Haaren zurückgezerrt. Gezwungenermaßen rückwärts stolpernd, ließ Ginny einen spitzen Schmerzensschrei vernehmen, der in Fluchen überging – Megan hatte wie ein kleiner, tollwütiger Hund in Ginnys Wade gebissen. Die Starre fiel plötzlich von Harry ab; auf Draco zustürzend, griff er nach dessen Handgelenk, sah die straff gespannten Sehnen seines Unterarms, als dieser Ginny noch weiter zurückriss. Jegliche Verstellung war von dem Slytherin abgefallen, sein schmales Gesicht sprach nur noch von unbändigem Zorn. Harry glaubte, noch immer die Seidigkeit der blonden Haare zu spüren. „Lass sie los“, befahl Harry leise, den Druck seiner Finger leicht verstärkend. „Sofort!“ Dracos Blick traf ihn wie ein Schlag, als er Ginnys Haar abrupt fahren ließ, seine Finger an der Hose abwischend. Die blutleeren Lippen zusammengepresst, wandte er sich von Harry ab. Glaubte, noch immer Dracos Geruch wahrzunehmen. Harry hob seinen Zauberstab und murmelte ein leises „Finite Incantatem“. Sofort war Megan dem blonden Jungen nachgerannt, der sich mit steif wirkenden Schritten entfernte. Nun konnte Harry beobachten, wie Draco kurz mit Megan sprach, bis die Kleine mit gesenktem Kopf die Richtung des Klosters einschlug. Draco selbst bog zur Scheune ab und verschwand. Aus einem Reflex heraus hatte er Dracos Wange berührt. Nervös sah er Ginny an, die sich fluchend über ihr Bein rieb. „Das kleine Miststück hat mich wahrhaftig gebissen!“ „Sie wollte Malfoy nur helfen.“ „Du willst das Balg doch wohl nicht auch noch verteidigen?“, fragte Ginny ungläubig. „Schlimm genug, dass sie sich mit dem Frettchen abgibt – ihrer Schwester wird das gar nicht gefallen.“ Die Haut war ebenso weich wie sein Haar gewesen. „Sie ist doch nur ein kleines Kind, Ginny“, entgegnete Harry schwach. Seine Gedanken waren bei Draco; bei diesem letzten Blick, den er ihm zugeworfen hatte. Und bei… sein Magen zog sich nervös zusammen, als er daran dachte, was Ginny wohl gesehen hätte, wäre sie nur wenige Augenblicke später aufgetaucht. Und sein Herz hatte erwartungsvoll schneller geschlagen. „Was war eigentlich los, Harry?“ Er wusste plötzlich, wie weit er gegangen wäre. Wachsam musterte er sie, zwang sich dazu, nicht länger an Draco zu denken, bevor er zaudernd antwortete: „Nichts weiter, das Übliche eben…“ Er stockte, fühlte hysterisches Lachen in seiner Brust aufsteigen, angesichts der (wieder einmal) doppeldeutigen Worte. Doppeldeutigkeiten wurden langsam zur Gewohnheit. „Wir haben uns mal wieder gestritten, meine ich“, fügte er schnell hinzu, wich Ginnys prüfenden Augen aus, und wechselte ungeschickt das Thema: „Was wolltest du eigentlich hier?“ „Was…“ Ihre Augen weiteten sich verblüfft. „Was ich hier wollte?“ Ihrer Stimme mischte sich ein schriller Unterton bei. „Ich wollte dich sehen, Harry! Ich habe gesehen, wie du zum Friedhof gegangen bist, und wollte Zeit mit dir verbringen! Ist das etwa so ungewöhnlich?“ Die letzten Worte überschlugen sich fast; Harry wich unbewusst einen Schritt zurück. Er verkniff sich eine Frage nach Justins Verbleiben – er wollte sie nicht glauben lassen, dass er eifersüchtig war. Zumindest nicht auf Justin, wie er innerlich seufzend zugeben musste. „Ich wollte ein wenig allein sein“, log er kläglich. Er hatte geahnt, dass er Draco hier finden würde, doch das brauchte Ginny nicht zu erfahren. Ebenso wenig, dass Eifersucht ihn dazu getrieben hatte, Draco mit dem Silencio zu belegen… „Du bist ständig allein, Harry! Ist dir das eigentlich mal aufgefallen?“ Sie trat näher, doch als sie die Hand hob, um seine Wange zu berühren, wurde der Drang zurückzuweichen beinahe übermächtig. Harry beschränkte sich jedoch darauf, ihre Hand mit seiner abzufangen, damit sie seine Haut nicht erreichte. „Ginny… das hatten wir doch schon…“ Ihre Lippen waren nur ein schmaler Strich, als Ginny zurücktrat, ihm ihre Hand entreißend. Harry ahnte, wie sehr er sie mit seinen Worten verletzt hatte. Sie sah ihn genauso an, wie Draco es vorhin getan hatte. Dann hatte Draco sich abgewandt... Harrys Nerven begannen zu kribbeln (Dracos Blick, stürmisch-grau umwölkt, verwundet) – ihr Blick löste kein Gefühl in ihm aus, als hätte ein Klatscher seinen Magen getroffen. „Ja, das hatten wir schon. Du hast Recht“, bestätigte Ginny kühl. „Vielleicht gehe ich jetzt besser.“ Sie ging nicht sofort, stand noch abwartend da, was für Harry recht durchschaubar war. Anscheinend hoffte sie darauf, dass er widersprechen würde, aber das Schweigen wog schwerer als jedes Wort. Schließlich stieß Ginny zitternd den Atem aus. „Ich weiß nicht was mit dir los ist, Harry. Ich habe mal gesagt, ich könne warten… aber vielleicht warte ich ja umsonst. Vielleicht wird es nie wieder so wie es war…“ Eine unausgesprochene Bitte lag in ihren blauen Augen. Da Harry schlicht nicht wusste, was er antworten sollte, und weiterhin beharrlich schwieg, senkte sie betroffen den Kopf. „Entscheide dich, Harry. Entscheide, was du wirklich willst.“ Abrupt wandte Ginny sich um. Als die Schatten der klösterlichen Alkoven sie letztendlich verschluckten, war Harrys Kopf seltsam leer. Eine nie gekannte Ruhe überkam ihn, während seine Füße wie von selbst den Weg einschlugen, der zur Scheune führte. Staub wirbelte auf, als er die schwere Tür aufdrückte, tanzte in den Sonnenstrahlen, die durch das halbzerfallende Dach einfielen, und das düstere Innere in sanftes Licht tauchten. Er entdeckte Draco, an einem der Balken lehnend. Er wog eine der Porzellantassen, die sie für den Unterricht benötigten, in den blassen Händen. Harry entging es nicht, wie sich Dracos Schultern strafften, als er hinter ihn trat. „Du hättest nicht herkommen sollen.“ Lächelnd senkte Harry den Kopf, sog den Geruch nach frisch geschnittenem Holz ein, der von Dracos Haut ausging. „Du hättest mit deiner kleinen Freundin einen netten Nachmittag verbringen sollen.“ Jedes dieser bedächtig ausgesprochenen Worte schnitt wie eine Klinge durch die Luft. Harry schluckte hart. „Vielleicht hätte ich das tun sollen. Aber jetzt bin ich hier.“ Er spürte den Seufzer eher, als dass er ihn gehört hätte. Dracos Schultern sanken ergeben herab, und Harrys Magen schlingerte nervös. Er sah kleine Schweißtropfen über Dracos Nacken rinnen, streckte zögernd eine Hand aus, in seiner Bewegung stockend, als ihm bewusst wurde, was er zu tun gedachte. „Ja, du bist hier“, antwortete Draco seltsam belegt. Resignation schwang in seiner Stimme mit, als hätte er sich mit etwas Unvermeidlichem abgefunden. Langsam drehte er sich um, sah Harry an – jetzt waren seine grauen Augen hart und klar, wie in einem letzten Versuch, die Dinge noch abzuwenden. „Beende es jetzt, Potter, oder es gibt kein Zurück mehr!“ Harry schwieg. Und vielleicht war das alles, was Draco als Antwort hören wollte. Draco brach nicht einen Moment lang den Blickkontakt. Und Harry war wie gebannt von der lodernden Wut in diesen Augen, der Gier, dem Triumph, dem fiebrigen Verlangen, das ihm entgegenschlug. Seine Hände fanden ihren Weg zu Dracos Nacken, wischten die salzige Feuchtigkeit fort, die sich dort gesammelt hatte. Und wieder spürte er, wie die zarten Muskeln sich unter seinen Fingern bewegten, als Draco seinen Nacken beugte, spürte Dracos gepressten Atem an seinem Mund und schloss die Augen. Harry verdrängte sein Gewissen, das ihn warnen wollte, das leiser wurde, und schließlich unter der elektrisierenden Berührung Dracos ganz verstummte. Denn unendlich weiche, warme Lippen hatten sich auf seine gelegt. Sie schmeckten süß. Und Harry war verloren. Sein Griff verstärkte sich, als ihre Zungen sich zögernd berührten. Er spürte wie Dracos Finger sich in sein Hemd krallten, grob an dem Stoff rissen, als der anfangs sanfte Kuss sich veränderte; tiefer, inniger, beinahe brutal wurde. Harry nahm lediglich am Rande wahr, wie ein harter Holzbalken sich in seinen Rücken bohrte, er zog Draco nur näher an sich heran, wollte die Hitze teilen, die von der weißen Haut ausging, wollte in diesem Duft nach Holz und Sonne ertrinken. Wollte Schuld und Scham vergessen, und wusste plötzlich, dass es nie ein Zurück geben hatte. ooOoo Ersticktes Schluchzen riss Draco aus dem süßen Hochgefühl des Sieges, das sich seiner bemächtigt hatte. Sich von Harrys Haut losreißend, glatt und warm unter seinen Fingerspitzen, wandte er ruckartig den Kopf: Megan stand mit aufgerissenen, tränennassen Augen in der Tür. Er hörte Harry nach Luft schnappen, als dieser das Kind ebenfalls bemerkte, das sich jäh umdrehte und aus der Scheune rannte. Was hatte er getan? Sein Kopf war wie leergefegt, als er ihr, Harrys Blick ausweichend, nach draußen folgte. Er fand sie an die Scheuenwand gelehnt, das Gesicht in den Armen vergraben. Die schmalen Schultern bebten haltlos, als Draco sanft eine Hand auf den mageren Rücken legte, während er sich neben ihr im Gras niederließ. „Megan?“ Die Nase hochziehend, setzte Megan sich auf, wischte sich mit beiden Händen über das runde, nasse Gesicht. „Ich heule nicht!“, flüsterte sie erstickt. „Natürlich nicht“, stimmte Draco lächelnd zu. Megan musterte ihn kurz, ehe sie wieder ihre aufgeschürften Knie fixierte. „Du hast gesagt, du kannst ihn nicht leiden“, wisperte sie belegt. Ihre Stimme war eine einzige Anklage. Draco begriff, dass Eifersucht sie quälte, doch ihm fehlten die Worte, um die veränderte Situation zu erklären – er verstand es ja selbst kaum. Potter war ihm gefolgt. Hatte die kleine Weasley sich selbst überlassen. „Megan, das ist… kompliziert.“ Und die glühende Eifersucht hatte sich in Triumph gewandelt. Die Zähne in ihre bebende Unterlippe grabend, schluckte Megan hörbar; Draco beugte sich vor, um ihr ins Ohr zu flüstern: „Aber ich verspreche dir, dass du immer meine beste Freundin sein wirst.“ Megans Selbstbeherrschung brach zusammen; sich Draco an die Brust werfend, schluchzte sie laut auf, sein Hemd mit ihren Tränen durchnässend. Unbeholfen strichen Dracos Finger über die zuckenden Schultern. Er konnte Harry noch immer schmecken. „Ich kann ihn trotzdem nicht leiden!“, murmelte sie heiser, ihr Gesicht in Dracos Halsbeuge bergend, als ihr verzweifeltes Weinen verebbte, von einem Schluckauf abgelöst. Für einen winzigen Augenblick schob Draco sämtliche Vorbehalte beiseite, presste ihren kleinen Körper dicht an seinen, inhalierte den leichten Geruch nach Gras und Sommerblumen, den sie verströmte. Er sah Harry lächelnd in der Tür lehnen und lockerte betreten seinen Griff. Was sollte nun werden? Als würde sie sein Unbehagen spüren, hob Megan das Gesicht, um Harry aus Dracos Armen böse anzufunkeln. Mit trotzig erhobenen Haupt stolzierte sie an Harry vorbei; sie zögerte einen Augenblick, ehe sie ihn nachdenklich musterte. „Ich heiße Megan McDougal!“ „Und ich bin Harry Potter.“ Megans Lippen zuckten, scheinbar gegen ein Grinsen ankämpfend. Doch Draco schenkte sie ein richtiges Lächeln mit bloßgelegter Zahnlücke, was dieser mit einem freundlichen Winken beantwortete, bevor sie davonlief. Einerseits froh, dass er Megan hatte beruhigen können, anderseits nervös darüber, jetzt wieder mit Harry allein zu sein, mied Draco abermals Harrys durchdringenden Blick. Zu Boden starrend, versuchte er seine rasenden Gedanken zu ordnen. Das süße Gefühl des Triumphes war fast vollständig verflogen, ließ den bitteren Geschmack der Realität zurück. Wie sollte es jetzt weitergehen? „Wie geht es jetzt weiter?“, sprach Harry die Gedanken Dracos plötzlich aus. Er war unbemerkt näher getreten, stand jetzt, unsicher auf Draco herabsehend, dicht vor ihm. Zu gern hätte Draco seine Arme nach ihm ausgestreckt. Zu gern hätte er seine Finger in diesem wirren Haar vergraben. Zu gern wäre er aufgesprungen und geflüchtet… Machtlos gegen die widersprüchlichen Emotionen, die ihn ihm wüteten, unternahm Draco einen letzten schwachen Versuch, die Dinge abzuwehren: „Was erwartest du von mir, Potter? Soll ich dich jetzt etwa meinen Eltern vorstellen? Das eben war… nichts.“ Hoffend, dass die kränkenden Worte ausreichen würden, Harry zu vertreiben, starrte Draco ihn herausfordernd an. Wollte noch einmal den Zorn sehen, ehe Verachtung Harrys Blick beherrschen würde, wenn er realisierte, was sie getan hatten. Angespannt lachend kniete Harry sich vor Draco ins Gras; weder Verachtung noch Zorn spiegelten sich in den grünen Tiefen. „Mich vorzustellen wäre wohl keine so gute Idee“, stellte er leise fest. Draco konnte das Zittern in den Fingerspitzen spüren, die warm auf seiner Wange lagen, sanft darüber strichen. Er ballte die Fäuste, zwang sich die nächsten Worte voller Wut auszuspeien: „Was verdammt noch mal erwartest du, Potter?“ Harrys Gesicht war Draco jetzt sehr nahe, ließ den Rest der Welt unwichtig und klein erscheinen, zwang seine Selbstbeherrschung regelrecht in die Knie. „Ich weiß es nicht. Aber mich beim Vornamen zu nennen wäre ein Anfang… Draco.“ Das Stöhnen nicht als sein eigenes erkennend, vergrub er seine Finger in Harrys Haaren, genoss die widerspenstige Weichheit. Seine Stimme, aller Kraft beraubt, war nur zu einem Flüstern fähig: „Harry.“ Hitzige Küsse tauschend, klammerten sie sich aneinander. Die Schluchten ignorierend, die sie trennten. Schlechte Gewissen verdrängend, die ihnen sagten, dass ihr Tun falsch war. Verrat vergessend, der begangen werden musste. Draco war verloren, und er wusste es. Es gab kein Zurück. ooOoo Severus sah auf, als die Tür sich öffnete, um einen unscheinbaren jungen Mann einzulassen. Die Geste, mit der er sich das dunkelblonde Haar aus der hohen Stirn strich, brachte seine Ungeduld zum Ausdruck. „Ich frage mich wirklich, warum ich mich auf dieses Spiel überhaupt eingelassen habe“, murmelte er, sich in einen Sessel setzend. „Geht es eigentlich auch weniger kompliziert?“ „Nein. Und das weißt du ebenso gut wie ich, Lucius“, erwiderte Severus gelassen, ergriff einen Becher, gefüllt mit hellbrauner Flüssigkeit. Mit verzerrtem Gesicht ließ er den Inhalt seine Kehle hinabrinnen. „Eines muss man dir lassen, mein Freund“, spottete Lucius, „du bist immer für eine Überraschung gut. Allerdings wüsste ich gern den Namen des… Originals.“ Er deutete auf seine äußere Erscheinung. „Er heißt Samuel“, keuchte Severus unter den Schmerzen der Verwandlung, während er, ebenfalls, die Gestalt Samuels annahm „Er ist noch nicht lange ein Todesser…“ „Und er hat dir freiwillig seine Haare zur Verfügung gestellt?“ „Nicht ganz.“ Severus lächelte schmal, als er an den Rekruten dachte, der starr vor Entsetzen den Todesfluch ausgesprochen hatte, um sich als des Lords würdiger Diener zu beweisen. „Er hat es nur nicht bemerkt.“ „Jeder, der dich mit Narzissa im Wald verschwinden sieht, wird denken, sie setze mir Hörner auf!“, schnaubte Lucius aufgebracht. „Warum kannst du nicht einfach jedes Mal Vielsafttrank zu dir nehmen, wenn du deine Kontaktperson aufsuchst?“ „Weil ich nicht genug Haare des Jungen habe“, erklärte Severus geduldig, während er nach den Pergamentrollen griff, um sie unter seiner Robe verschwinden zu lassen. „Ich bin bald wieder zurück.“ Er hörte Lucius noch undeutlich grummeln, als er in sich hinein grinsend die Tür hinter sich zuzog. Severus wusste, dass sein Freund angesichts des Gedankens, Narzissa könne in Gefahr geraten, nahezu wahnsinnig wurde. Das Lächeln wurde ganz sanft, als eine bestimmte Erinnerung an James aus verstaubter Vergessenheit aufstieg: Wie James sich, einem gewandten Tänzer gleich, durch die Flure von Hogwarts hatte bewegen können, und höchst selten dabei erwischt wurde. Severus seinerseits nutzte jetzt die wenigen Geheimgänge, die er kannte, um die Kerker ohne eventuelle Verfolger zu erreichen. Unwillkürlich flacher atmend durchquerte er die Verliese; die wehklagenden Laute der wenigen Gefangenen ignorierte er geflissentlich. Severus betätigte einen verborgenen Schalter, lauschte dem Knirschen des Mechanismus, der die Wand zurückgleiten ließ, und betrat einen weiteren düsteren Gang. Letztendlich erklomm Severus eine Leiter, die ins Freie führte, atmete die würzige Nachtluft ein, welche den Geruch der Fäulnis aus seiner Nase vertrieb. Der Himmel war klar, dennoch konnte er in der Ferne Donnergrollen vernehmen. Narzissa trat aus den Schatten, die Kapuze ihres Umhangs tief in das blasse Gesicht gezogen. „Ich dachte schon, du wärst aufgehalten worden.“ „Ich bin nur einen Umweg gegangen.“ Besorgt betrachtete Severus die mondhelle Landschaft, dirigierte Narzissa in den Schatten der über ihnen aufragenden Festung, auf das Gewitter und Wolken hoffend, die jetzt rasch aufzogen. „Komm, wir müssen in den Wald.“ Narzissa passte sich nickend seiner eiligen Gangart an, folgte ihm bis sie nur noch wenige Yards vom Waldrand entfernt waren. Wenige Yards, die über freies Feld führten… „Wir werden uns wie Schattenfiguren auf einer Leinwand ausmachen“, flüsterte Narzissa, das Offensichtliche aussprechend. Wieder betrachtete Severus den dunklen Himmel. Erleichterung breitete sich in ihm aus, als eine regenschwere Gewitterwolke sich vor den noch beinahe vollen Mond schob. „Schnell!“ Er ergriff Narzissas Hand, ignorierte den erschrockenen Laut, den sie ausstieß, während er sie unbarmherzig mit sich schleifte. Erst als sie die schützende Dunkelheit der Bäume erreicht hatten, lockerte er seinen Griff, mit einem entschuldigenden Blick auf eine atemlos keuchende Narzissa. „Es tut mir Leid. Doch das Risiko entdeckt zu werden war zu groß, um langsamer zu laufen.“ „Womit du bewiesen hast, dass du wirklich nicht weißt wie man eine Dame behandelt“, antwortete Narzissa neckend. Severus erkannte die Befriedigung auf ihren ebenmäßigen Zügen, als er sie sprachlos anstarrte. Kopfschüttelnd lief er weiter, musste den Verrat erst verarbeiten. Irgendwann stellte er kühl fest: „Lucius hat es dir also erzählt.“ Narzissas Blick war voller Melancholie, ehe sie schnell den Kopf senkte, sodass ihr blondes Haar unter der Kapuze hervorquoll, ihr Gesicht wie ein Schleier verdeckend. „Er hielt es wohl für eine gute Einleitung, mir schonend beizubringen, dass ich nicht auf Enkelkinder hoffen kann…“ Ihre Schritte verursachten kaum ein Geräusch auf dem moosbedeckten Boden, während sie immer tiefer in den Wald eindrangen. Die Wipfel der Bäume rauschten im zunehmenden Wind; erneut erklang ein Donnergrollen. Auf einer Lichtung blieb Severus stehen, hob seinen Zauberstab und beschwor einen Patronus herauf. Der silberne Hirsch verschwand lautlos in den Schatten. Einem Impuls nachgebend, brach Severus das unangenehme Schweigen: „Was denkt Lucius darüber?“ Es schien, als lege sich Narzissa ihre Worte genau zurecht, bevor sie antwortete: „Er sorgt sich um Draco. Er will ihn schützen… um jeden Preis!“ Severus lachte freudlos auf. „Wovor? Der Gesellschaft? Davor, dass Potter vielleicht nicht wie sein Vater ist? Dass er vielleicht doch so ist? Ebenfalls die gleiche Wahl trifft?“ Voller Bitterkeit presste Severus die Fragen über seine Lippen. Die Parallelen waren zu deutlich, um ihn nicht zu berühren. „Nein.“ Narzissas Blick war plötzlich durchdringend, klar und hart. „Lucius will seinen Sohn vor dem Schmerz bewahren, sollte Harry Potter sterben!“ Für einen Moment schnürte es Severus die Kehle zu; er kannte diesen Schmerz nur zu gut. „Und vor der Möglichkeit, so zu enden wie ich“, fügte er leise hinzu. Narzissa holte Luft, wurde jedoch von wohlklingendem Singsang abgelenkt, der den Wald erfüllte. Augenblicklich spürte Severus die tröstende Wirkung der Melodie – ahnte, dass auch Narzissa sich dem betörenden Klang nicht entziehen konnte. Er sah ihre ungläubig geweiteten Augen, als der große Vogel sich auf Severus’ ausgestreckten Arm niederließ. Ihre Finger zitterten leicht, als sie das rotgoldene Gefieder ehrfürchtig-zart berührte, welches selbst noch in der Dunkelheit einer Flamme glich. „Das ist Fawkes“, erklärte Severus mit einem seltenen, offenen Lächeln. Tbc… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)