Nil von BabYstAr (Leute, es geht weiter! Kapitel 12 heute hochgeladen!) ================================================================================ Kapitel 1: The End ------------------ Lass mich fliehen... Mein Name ist Ruki. Ich besuche seit kurzem ein Jungeninternat. Gegen meinen Willen, versteht sich. Ich wurde gezwungen von den Menschen, die sich meine Eltern schimpfen. Und dafür hasse ich sie. Dass sie meine Eltern sind, meine ich. Niemals haben sie mich geliebt, zumindest hat es sich nie so angefühlt. Immer war ich ihnen im Weg und immer haben sie mich dann weggeräumt, als sei ich nur ein wertloser Gegenstand. Und nun musste ich auf eine höhere Schule gehen. Natürlich sahen meine Eltern das als eine optimale Chance, mich loszuwerden und deshalb schickten sie mich mit meinen jungen sechzehn Jahren auf dieses dreckige Internat. Seit drei Tagen bin ich nun schon hier und weiß nichts mit meiner Zeit anzufangen. Ich hatte erst einmal ein Einzelzimmer bekommen, damit ich mich eingewöhnen konnte. Den Unterricht musste ich auch noch nicht besuchen. Ich konnte also tun und lassen, was ich wollte. Noch. Morgen würde ich in den Unterricht müssen und ich würde meinen Zimmergenossen kennen lernen. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, mein Einzelzimmer zu behalten, aber es war nicht genug Platz und deshalb würde ich einen Mitbewohner bekommen. Gegen meinen Willen natürlich. Aber mich hatte ja sowieso noch nie jemand nach meiner Meinung gefragt. Wieso sollte man auch? Ich war ja nur wertlos und ständig im Weg. Außerdem hatten schmutzige Gegenstände keine Meinung. Wieder saß ich gelangweilt auf meinem Bett und hörte Musik. Der einzige Trost, den ich hatte. Musik. Eigentlich das einzige, wofür ich noch lebte. Ich schrieb meine eigenen Lyrics, drückte mich durch sie aus. Schrieb in ihnen meine Träume und Wünsche nieder, meine Erfahrungen und innersten Gedanken. Niemandem hatte ich diese Lyrics bisher gezeigt. Sie waren mein Geheimnis. Nein, sie waren das, was ich als ‚meins’ bezeichnen konnte. Einzig und allein als ‚meins’. Es konnte sie mir niemand nehmen. Sie gehörten nur mir. Und das sollte auch so bleiben. Wie in dem Moment, als ich plötzlich eine Hand bemerkte, die nach meinem soeben beschriebenen Blatt Papier greifen wollte. Schnell zog ich es weg und faltete es zusammen, um dann nachzusehen, wer mir gerade mein letztes Hab und Gut entreißen wollte. „Was?!“ keifte ich bösartig die ältere Dame vor mir an. Sie lächelte nur matt und deutete mir dann an, aufzustehen. Jetzt erinnerte ich mich. Diese Frau war stumm. Sie war diejenige, die die Schüler immer auf ihre Zimmer begleiten sollte. Moment… Zimmer?! Wieso Zimmer?! War es denn heute schon so weit?! Ich hatte mich doch etwa nicht im Zeitplan vertan, oder? Ich warf einen schnellen Blick auf den Kalender. Stimmt ja! Ich hatte fast einen ganzen Tag lang verschlafen, als ich angereist war. Und die Zeit hatte ich völlig vergessen. „Ähm“ fing ich an. „Ich hab meine Sachen noch nicht…“ Die Frau schien auf Anhieb genervt. Sie zog meine Tasche aus dem Schrank, warf sie mir vor die Füße und deutete mir an, die wenigen Kleidungsstücke und die restlichen Sachen, die ich während der drei Tage schon ausgepackt hatte, wieder einzuräumen und ihr dann ganz unauffällig in mein neues ‚Reich’ zu folgen. Ja, ein Reich, in dem ich mich immer beobachtet fühlen würde. In dem ich keine einzige Minute für mich allein haben würde. In dem alles durch einen fremden Geruch verpestet würde. Ich war ganz sicher nicht eitel und selbstverliebt, aber wenn es um meinen Geruch ging, der an meinen Sachen haftete, so duldete ich keine Ausnahme! Wenn es nicht nach mir roch, hatte ich nicht das Gefühl, dass es mir gehören würde. Dabei gehörte nur so wenig auf dieser Welt mir. Nicht mal mein Zimmer gehörte mir allein… Schnell packte ich meine Sachen in die Tasche, beobachtete dabei die Frau, wie sie mich ungeduldig beobachtete und beeilte mich noch ein bisschen mehr. Als ich dann endlich fertig war, ließ sie mich vorauslaufen und schloss dann hinter mir die Tür ab. Ade, du wundervolles Einzelzimmer. Es war eine schöne Zeit, wenn auch nur eine kurze. Ich hatte wirklich viel Spaß in diesem Zimmer… Schon wieder diese grausamen Blicke, die ich auf mir spürte, als ich an ein paar Schülern vorbeikam. Ich wusste nicht, ob sie schon länger an der Schule waren und mich nur so ansahen, weil ich ein ‚Neuer’ war, oder ob es daran lag, dass ich so feminin aussah. Mir war das erste lieber. Obwohl ich wusste, dass es wohl eher aus dem zweiten Grund war. Dass diese Blicke mich wieder verfolgen würden, so, wie früher. Dass mich alles wieder an meine Vergangenheit erinnern würde… Wieso war diese Frau da nur so unglaublich nervig?! Sie hatte wohl noch einen dringenden Termin mit dem Staubsauger oder sowas, denn sie schien es irgendwie unglaublich eilig zu haben. Aber was sollte es schon… ich folgte ihr gehorsam. Zirka zwei Stockwerke, zwanzig Gänge und dreihundert verschiedenfarbiger Bobinetgardinen später kamen wir endlich an den Zimmern für die Unterstufe dieses Internats an. Gespannt wartete ich darauf, dass jemand antwortete, als die Frau anklopfte. Irgendwann ertönte dann eine junge, männliche (wer hätte das erwartet?!) Stimme, die uns den Eintritt gewährte und stürmisch öffnete die Alte dann die Tür. Meine Tasche warf sie achtlos ins Zimmer, kam dann wieder zu mir, denn ich stand ein paar Meter weiter weg von der Tür. Eilig schob sie mich dann vor bis zur Zimmertür und ließ mich dann einfach da stehen. In dem Moment fragte ich mich, wie man nur so hyperaktiv sein konnte und wie sie damit klar kam, ihre Hysterie nicht einmal herausschreien zu könne. Apropos schreien… wieso hatte dieses Walross eigentlich bei mir nicht angeklopft, als sie in mein Zimmer geplatzt ist?! Als ich mir dann endlich klar gemacht hatte, dass dies wohl Fragen waren, auf die ich niemals eine Antwort bekommen würde – was nicht nur an der Tatsache lag, dass diese Frau nicht sprechen konnte – trat ich endlich ins Zimmer ein. Und was ich dort fand, haute mich ziemlich von den Socken. Nun verstand ich, wieso die Frau es so eilig hatte. Sie wollte scheinbar nur weg von diesem Typen, der da lässig auf dem Bett lag und in seiner Zeitschrift rumblätterte. Er hatte blondes Haar und braune Strähnchen darin. Seine Augen waren geschminkt. … Moment mal!!! Geschminkt?! „Wa…“ irgendwie kam ich mir gerade verdammt bescheuert vor. Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt in der Tür du starrte auf diesen schrägen Bekloppten auf dem Bett, als wäre er der ehemalige irakische Informationsminister höchstpersönlich. „Meine Fresse, willst du da festwachsen oder so? Komm rein, es zieht!“ Seine tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich schüttelte leicht den Kopf und kam dann ins Zimmer. Leise schloss ich die Tür hinter mir und sah mich dann um. Überall an den dunkelroten Wänden hingen Poster rum von diversen Bands: X Japan, Dir en Grey, D'espairs Ray, Merry… und alles Bands, die ich ebenfalls mochte. Sogar ein Malice Mizer – Poster hatte er hier hängen. Ich liebte dieses Zimmer schon jetzt. Aber dieser Typ war mir trotzdem nicht geheuer. „Hat sowas wie du auch nen Namen?“ fragte er dann, warf lässig seine Zeitschrift zurück auf den ohnehin schon überfüllten Nachtschrank. Irgendwie war er mir unsympathisch, obwohl er vieles mit mir gemeinsam zu haben schien. „Ruki“ antwortete ich nur matt und suchte nach dem Kleiderschrank in diesem Zimmer. Als ich fündig wurde, krallte ich mir meine Tasche und hiefte sie zu eben diesem rüber. Hielt dieser Kerl es nicht für nötig, mir mal seinen Namen zu nennen? Das war wohl keine Selbstverständlichkeit in seinen Augen, oder? Hatte der überhaupt schon mal was von Manieren gehört? Immerhin war es nicht gerade höflich, einen armen, kleinen Möchtegern wie mich so bedröppelt da stehen zu lassen. „Und sowas wie du? Hat sowas auch nen Namen?“ fragte ich nach einer Weile, in der ich stillschweigend meine Klamotten in den Schrank eingeräumt hatte. Als ich dann eine weitere der schmalen Türen aufmachen wollte, wurde ich aufmerksam durch eine Stimme. „Die würd ich nicht aufmachen!“ Doch es war schon zu spät. Noch ehe ich mich versehen hatte, fand ich mich schon unter einem Stapel CDs wieder. Okay, dieser Typ wohnte definitiv nicht erst seit einer Woche hier! Ob er wohl älter war als ich? Ich besah mir diese Knalltüte noch einmal, bis mir dann auch wieder in den Sinn kam, wieso der mich gerade auslachte. Schnell setzte ich meinen Deathglare auf und knurrte gefährlich. Was bis jetzt noch jeden dazu gebracht hatte, mich überrascht und erschrocken anzustarren. Und genau das tat dieser Spacken dann auch! „Woah… was war n das? Warst DU das?!“ fragte er überrascht und glotzte mich fasziniert an. „Ja, wieso wohl?! Was machen DEINE CDs in MEINEM Schrank, hä?! Räum. Sie. Weg!“ zischte ich bedrohlich. Obwohl mir irgendwie gerade überhaupt nicht nach bedrohlich war. Diese Type war schon komisch drauf, das musste ich zugeben. Er stand ganz langsam auf und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Dann stand ich auch endlich mal auf und machte mich daran, meine Unterwäsche in die Kommode neben dem Schrank zu räumen. Der Spacken räumte währenddessen seine CDs gemächlich weg, wobei er mir trotzdem immer wieder kurze Blicke zuwarf. Das merkte ich. Aber warum?! Eine Stunde später war ich endlich fertig und ich warf meine leere Tasche unter mein Bett. Dann zog ich meine Nachttischschublade auf und ließ meinen Block hineingleiten. Mein Mitbewohner hatte es sich inzwischen wieder auf seinem Bett bequem gemacht und beobachtete mich. „Damit wir uns verstehen“ zischte ich, drehte mich zu ihm um. Sollte er mich mit meinem momentanen Psychoblick ruhig für ein Monster halten. „Wenn du auch nur einen klitzekleinen Millimeter zu nahe an diesen unschuldigen, kleinen Nachtschrank hier kommst und dessen Inhalt durchwühlst, dann landet dieses grottenhässliche Möbelstück ganz aus Versehen in deiner Hackfresse, ist das angekommen?!“ Das war doch nicht zu fassen! Dieser Typ grinste! Und dabei sollte er sich lieber in die Hosen scheißen! Der hatte ja keine Ahnung, zu was ich fähig war! Himmel, der sollte endlich was sagen! Der machte mich wahnsinnig mit seinem Dauergrinsen auf der Mattscheibe! „Hai, domo. Angekommen…“ „Und bring mich ja nicht dazu, meine Krallen benutzen zu müssen, solltest du auch nur das leiseste Geräusch in der Nacht machen und mich damit wecken, alles klar?!“ meine Stimme war nur ein bedrohliches Raunen und meine Augen hatten sich wie von selbst zu Schlitzen verengt. Aber wieso schien das diesen Typen nicht abzuschrecken?! Mann, wie mich das nervte, diesen Typen in Gedanken immer mit ‚diesem Typen’ oder ‚Spacken’ ansprechen zu müssen! „Und deinen Namen weiß ich noch immer nicht…“ fügte ich dann etwas ungeduldig hinzu, als ich von meinem Bett aufstand und durch das Zimmer zum anderen Ende hinlief, die dortige Tür einen Spalt öffnete. Das Bad also. Irgendwie dreckig. Wie lange schon hatte hier niemand mehr sauber gemacht? „Wir müssen selber putzen“ ertönte es hinter mir. Also hatte ich diese Frage doch laut ausgesprochen? „Bitte WAS?!“ na klasse, jetzt lebte ich schon mit einem Verrückten in einem Zimmer und nun, als wenn das noch nicht Strafe genug wäre, musste ich auch noch selber putzen?! „Okay, damit wir das gleich mal klarstellen“ begann ich und kam langsam auf das Bett meines Mitbewohners zu. „Ich werde deinen Scheiß im Bad ganz sicher nicht wegmachen! Aber wenn ich sehen sollte, dass du nach dem Duschen oder Haare kämmen deine Haare da hinterlassen hast, gnade dir Gott! Und gesaugt wird auch nur einmal in der Woche, aber abwechselnd, klar?“ schließlich blieb ich kurz vor seinem Bett stehen und funkelte ihn an. „Hör mal, Schisser! Ist das hier dein Zimmer oder unseres?! Hier gelten wenn schon meine Regeln! Erstens weil ich älter bin und zweitens weil ich hier schon länger lebe als du!“ erwiderte er und zeigte mir den Mittelfinger. Das ging zu weit! Okay, ganz ruhig, Ruki, mein Alter! Der Spacken würde sich noch wundern, aber nicht jetzt… ich musste mich beherrschen! „Ich bin duschen. Sollte ich deine Anwesenheit in einem Radius von zwei Metern vor der Badezimmertür spüren, bist du längste Zeit blond gewesen, klar, Kurzer?“ „KURZER?!“ brüllte er mich plötzlich an. Ich wich einen Schritt zurück. Mann, hatte der ein Organ, wenn er wollte! „Nenn mich noch einmal KURZER und ich mach dich noch nen Kopf kleiner als du eh schon bist, klar?!“ Langsam wurde mir das zu dämlich und ich winkte ab. Dann verschwand ich mit meinem ‚Neon Genesis Evangelion’ – Handtuch im Badezimmer und schloss hinter mir ab. Aus irgendeinem undefinierbaren Grund konnte ich diesen Typen nicht ausstehen. Und mit dem sollte ich es jetzt die nächsten fünf Jahre aushalten?! Okay, jetzt wollte ich mein Einzelzimmer definitiv zurück… Ich zog mich langsam aus und hängte meine Klamotten ordentlich über die Heizung. Dann stellte ich mich unter die Dusche und lies kaltes Wasser über meinen müden Körper laufen. Es sollte mich wach halten. Ich fragte mich, wann ich wohl morgen früh aufstehen musste. Sicherlich waren das hier alles Streber, die um fünf Uhr morgens aus den Federn sprangen und ihren Lehrern schleimerisch die Stiefel leckten. Widerlich!!! Ich wusch mir meinen vernarbten Körper sauber und shampoonierte mir dann noch die Haare ein, ehe ich mich wieder abwusch und schließlich das Wasser abstellte. Okay, in diesem Moment erklärte ich das Badezimmer zu meinem persönlichen Lieblingsort dieses Internats. Hier konnte ich wenigstens ein bisschen für mich sein. Okay, ich hatte mich wohl doch getäuscht. Von draußen klopfte es an die Tür. Genervt rang ich mich zu einem „Was?!“ durch, nachdem ich mir schon sämtliche Selbstmordvortäuschungsmethoden durch den Kopf hatte gehen lassen, damit sie mich hier raus brachten. „Dein Handy klingelt!“ Das konnte nur Kai sein! Schnell zog ich mir meine bereitgelegte Jogginghose an und schloss die Tür auf, um zu meinem Handy zu sprinten. Ich nahm ab und vernahm die wohlbekannte Stimme meines besten und auch einzigen Freundes… „Oi, Kai! Wie läuft’s?“ „Hai, kann mich nicht beklagen, ne? Und bei dir? Ist dein Wohnpartner sehr schlimm?“ „Oh, nicht doch, wir verstehen uns bestens…“ mit einem ironischen Blick sah ich über meine Schulter auf den in seinem Bett liegenden und grinste flüchtig. Doch mein Mitbewohner bekam von alldem nichts mit, da er Musik hörte. „So schlimm?“ fragte Kai und lachte. „Was weiß ich, was der sich einbildet! Das ist der Freak schlichtweg!“ „Aber selber… wie heißt er denn?“ „Weiß ich ja nicht!“ „Wie, du weißt es nicht?!“ Kai klang ungläubig, was ich nur allzu gut verstehen konnte. „Der ist wirklich freaky… das einzig normale an dem ist die Musik…“ „Du redest von Dir en Grey?“ „Jep“ grinste ich und schob mir ein Kaugummi rein. „Hat ganz viele Poster an der Wand und n Haufen CDs, die mir beim Sachen einräumen schon erwartungsvoll und quietschfröhlich entgegengekommen sind…“ seufzte ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Spast hinter mir seine Musik leiser gedreht hatte. Sollte ich mich ins Bad verflüchtigen? „Kai, ich muss auflegen… muss noch n paar Sachen erledigen, ne?“ „Hai, man sieht sich! Mach’s gut!“ „Mach’s besser…“ grinste ich noch immer und legte auf. Irgendwie tat es gut, seine Stimme zu hören. Ich drehte mich um und besah mir meinen Mitbewohner noch mal. Der saß noch immer seelenruhig auf seinem Bett und hörte Dir en Grey. Das war wohl unverkennbar ‚Ash’… mein Lieblingslied von ihnen. Aber genau das hatte ich nicht! Verdammt, dieser Typ regte mich auf! Ich erhob mich von meinem Bett und lief langsam zurück ins Bad. Schon wieder spürte ich Blicke auf mir und meinem nackten Oberkörper. Was kuckte der Spasti denn so?! Das waren nur Narben! Hatte der noch nie Narben gesehen oder was?! Hastig drehte ich mich um und zeigte ihm meinen mit Ringen verzierten Mittelfinger. Der Blödmann grinste nur und zeigte mir gleich beide davon. ARGH! Okay, ich musste mich beherrschen. Ich hatte heute schließlich noch ein äußerst unnötiges Abendessen vor mir. Und ich hatte absolut keinen Hunger… Eine halbe Stunde später, in der ich mich im Bad fertig gemacht hatte, in der ich die unsäglichen Höllenqualen der etwas geschmackloseren Musikrichtung meines Mitbewohners durch den Ghettoblaster ertragen musste und in der ich endlich etwas passendes zum anziehen gefunden hatte, verließ ich den weiß gekachelten Raum wieder und gesellte mich – nicht ganz freiwillig, versteht sich – zu meinem Zimmergenossen. Dieser schien mich schon sehnlich erwartet zu haben. „Was glotzt n du so?!“ fauchte ich, während ich mir meine noch fehlende schwarze Strickjacke überzog. Dieser Typ konnte einen wirklich aufs Äußerste reizen! „Mann, wenn man fast ne halbe Stunde im Bad braucht, will ich ja wohl sehen, was dabei rauskommt, oder?“ grinste er blöd und stand auf. Wieso bloß widerte er mich auf eine ganz bestimmte Weise an? „Du hast doch auch nicht viel weniger Zeit gebraucht…“ gab ich schnippisch zurück. Warum wollte mein Pullover nicht so, wie ich wollte?! ARGH! Okay, dem Gesicht dieses Spasten zuurteilen hab ich gerade wirklich laut gegrummelt… „Was glotzt du so?! Kuck woanders hin, du gehst mir auf den Sack!“ „Mann, ich lebe mit nem Monster auf einem Zimmer!“ sein fassungsloser Blick brachte mich zum grinsen. Was hatte er denn nun wieder?! Mein Knurren war ja wohl einzigartig und ER?! „Nenn mich noch EIN MAL Monster und dein fetter Bratarsch fliegt hochkant aus dem Fenster!“ somit warf ich ihm noch einen Deathglare zu und zog meine Jacke zu. Seufzend hockte ich mich vor die Zimmertür und hustete kurz. Dann fiel mir der Haken auf. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo hier der Speisesaal war, weil mir das Essen in den letzten Tagen aufs Zimmer gebracht wurde und somit war ich ganz blöderweise an diesen Hornochsen gebunden… KUSO! „Was n? Wieso verziehst du dich nicht? Das wäre jetzt eigentlich der passende Moment dazu gewesen“ grinste dieser fiese, miese, kleine, neunmalkluge Scheißer und deutete auf die Tür. Als wenn ich nicht selber auf die Uhr gekuckt hätte, damit ich meinen Einsatz nicht verpasse… aber WO bitte sollte ich denn hin?! „Du zeigst mir, wo ich hin muss und dann siehst du mich den ganzen Abend nicht wieder… weil ich meinetwegen auch auf dem Flur schlafe oder so… aber ich schlafe garantiert nicht mit dir in einem Zimmer!“ „Ist mir doch egal, mach, was du willst…“ „Leck mich!“ „Ausziehen!“ „PERVERSLING!“ schrie ich. Das war jetzt der zweite Einsatz, in dem ich mich eigentlich aus der Tür hätte verflüchtigen sollen, aber stattdessen saß ich nur ratlos vor der Zimmertür auf dem Boden und starrte meinen Mitbewohner wutentbrannt an. Wie der nur so seelenruhig auf seinem Bett sitzen konnte, war mir definitiv ein Rätsel… wo war das Loch, in dem ich versinken konnte? „Gehen wir, es sind gleich sieben…“ meinte dieser kleine Idiot daraufhin und stand auf. Skeptisch betrachtete ich ihn, wie er auf mich zukam und dabei unglaublich arrogant aussah. Wie konnte man nur so eingebildet laufen?! „Mann, Mann, Mann, bei dir fehlen nur noch die grünlichen Eitelkeitsdämpfe, die die armen Lilien in diesen potthässlichen Friedhofsvasen auf dem Flur verwelken lassen…“ Doch diesen Spasten störte mein Kommentar wenig und er schob mich mit dem Fuß lässig von der Tür weg. Ich grummelte wieder und stand dann auf, woraufhin ich mir den Staub von der Hose klopfte. „Los, Hündchen, folge mir“ grinste dieser Fiesling. Spätestens jetzt wollte ich seine Frettchenfresse mal so richtig ordentlich durch den Mixer jagen. „Sei brav!“ „Fick dich!“ Okay, also erbarmte ich mich, ihm zu folgen und diese unglaublich hässlichen Gardinen ignorierte ich so gut wie möglich. Schon wieder diese vielen Blicke auf mir. Wie ich es hasste. Wieso sahen sie mich nur alle so an?! Früher hatte es mir nicht so viel ausgemacht, weil man mich nur so angesehen hatte, wenn ich draußen war. Aber hier war alles so eng und diese Typen würde ich jeden Tag sehen und sie würden mich immer wieder so ansehen… „Alles okay?“ fragte mich plötzlich jemand, der neben mir lief. Okay, mein Zimmerpartner wurde mir so langsam ziemlich unheimlich… „Hai, was soll sein?“ fragte ich zurück. Wieder sah ich mich prüfend um. Einige sahen mich jetzt sogar noch komischer an. Aber wieso? War meine Stimme denn so schrecklich? War ich so hässlich…? Wenig später… okay, es kam mir eigentlich eher wie eine Ewigkeit vor… standen wir vor einer riesigen Holztür. Der Spasti öffnete sie einen Spalt und es kamen viele Tischreihen zum Vorschein, die alle fast vollständig besetzt waren. Mein Nebenmann schien zielstrebig auf einen der Tische zuzugehen und jemand bestimmten anzusteuern. Ich fragte mich, wieso er mich nicht einfach stehen ließ. Stattdessen achtete er immer darauf, dass ich weiterhin neben ihm lief. Dann blieben wir an einem der Tische stehen, an dem ein blonder Junge mit Nasentuch und ein anderer mit einem Piercing im Mund saßen. „Oi, du! Wer is n der?“ fragte der mit dem Piercing. Mist! Hielt der es nicht mal für nötig, den Namen meines Mitbewohners zu nennen, damit ich ihn nicht immer Spasti nennen musste?! „Ruki, mein neuer Mitbewohner“ grinste der Spastenkönig und setzte sich. Neben ihm war noch ein Platz frei, auf den ich mich wohl oder übel setzen musste. Lieber wäre ich an einen Einzeltisch gegangen, denn ich fühlte mich irgendwie bedrängt zwischen den ganzen Leuten hier… „Reita“ lächelte der mit dem komischen Dingens da vor der Nase. Ob der krank war oder einfach nur Geschmacksverkalkung hatte? Oder beides? „Ach ja, das da ist Aoi, n lustiger Genosse…“ „Fick dich“ meinte dieser Aoi bloß und knuffte Reita in die Seite. Die hatten doch beide nen Schaden… „Wirklich sehr lustig…“ sagte ich nur matt und setzte mich neben meinen ‚lustigen’ Mitbewohner. Der beachtete mich jedoch irgendwie den ganzen Abend nicht weiter. Zumindest nicht beim Abendessen… Während ich schweigend und zuhörend, manchmal auch verständnisvoll und zustimmend nickte, neben und vor ihnen am Vierertisch gesessen hatte, hatten Aoi, Reita und der Spast (dessen Namen ich noch immer nicht weiß, da sich ja niemand mal darum bemüht, ihn mal bei seinem verdammten Namen zu nennen!!! … Wahrscheinlich steckt n Plan dahinter…!) sich scheinbar gut unterhalten. Und ich war froh, als mein Zimmergenosse aufstand und mir andeutete, dass wir nun aufs Zimmer gehen würden. Ich nickte mehr als zufrieden und verabschiedete mich nicht mal mehr ordentlich von Reita und Aoi, lediglich mit einem Wink. Aber der Spast musste ja mal wieder nen Aufstand draus machen und umarmte jeden von beiden – wie affig! Endlich oben angekommen – ich hatte die Gardinen mal wieder gekonnt ignoriert, damit ich mich nicht auf den Gängen übergeben musste – ließ ich mich völlig verstört auf mein Bett fallen. Diese Blicke… überall lagen sie auf mir… und wie sollte es erst morgen im Unterricht werden? Immerhin saß ich da mit ungefähr vierzig Leuten in einem Raum – meine alte Klasse bestand gerade mal aus neunzehn! Und an meiner alten Schule hatte ich immer Zeit, im Klassenzimmer zu warten, bis die anderen weg waren. Wenn wir mal die Klasse wechseln mussten während des Schultages, verließ ich sie immer als letztes und lief Umwege, damit ich nicht allzu vielen Schülern über den Weg laufen musste. Da war alles so einfach gewesen. Nachher hatten mich sowieso die meisten ignoriert, da sie sich an mein seltsames Verhalten gewöhnt hatten. Außerdem war ich da nie allein gewesen. Ich hatte Kai. Und hier? Hier hatte ich niemanden. Hier kannte ich mich nicht aus. Und ich war neu – das schlimmste an der ganzen Sache. Denn wer mich nicht kannte, so wusste ich, der starrte mich komisch an und warf mir abwertende Blicke zu. Bis heute wusste ich nicht, wieso. Lag es an meinen rot-schwarzen Haaren? Oder an meiner Schminke? Vielleicht an meiner Kleidung? Die war doch ganz normal… genau, wie meine Haare. Nein, es musste an der Stimme liegen! Vielleicht hatte ich ja so eine grausame Stimme, dass ich jeden quietschenden Rasenmäher übertrumpfen würde. Verdammt… ich musste doch nicht heulen, oder?! Nicht jetzt… nicht vor dem Oberbaka da auf seinem Bett… „Alles okay?“ Wieso fragte der denn auch noch?! Jetzt musste ich erst recht heulen! Ich drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht so gut es ging in der Bettdecke. Und hörte Schritte. Nein, der sollte sitzen bleiben! Der war blöd und konnte mir nicht helfen! „Ooy… weinst du?“ „Nein, Mann…!“ brachte ich hervor, nuschelte es eher in meine Bettdecke. Was würde der jetzt wohl von mir denken? Dass ich ne Memme war? Sicher würde er es überall rum erzählen und mich auslachen. Deshalb wollte ich mich ihm auch nicht zeigen. Legte der da gerade zögerlich eine Hand auf meine Schulter?! Okay… Option eins: ich schlage ihm mit voller Wucht in seine Frettchenfresse und verzieh mich über Nacht ins Badezimmer, würde diese dann auf dem hauchdünnen Badetuch verbringen, ein weiteres Handtuch als Decke und die Seifenbox als Kopfkissen nutzen. Option zwei: ich bleibe reglos liegen, lasse diese äußerst… wohltuenden? Wieso denn wohltuend?! Okay weiter… Berührungen über mich ergehen und verfalle erneut meinem Selbstmitleid und seinem gespielten Mitgefühl, denke, die Welt ist wieder in Ordnung, weil mich so eine Hackfresse mit sinnlosen Worten aufgemuntert hat. Aber zurück zu dem ‚wohltuend’. Was war denn das jetzt?! Spielte mein Gehirn verrückt?! Das war nicht wohltuend, das war deprimierend! Weil ich genau in dem Moment feststellen musste, dass mir etwas fehlte. Nämlich Nähe… Nein, ich würde mir diese jetzt nicht bei dem Spacken da holen! Die konnte ich auch mit Leichtigkeit woanders herbekommen… na schön, ich sollte mir nichts vormachen. Ich war ein gehasstes Objekt, schon immer, und niemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Also würde ich auch keine neuen Freunde an dieser Schule finden und des Rest meines deprimierenden Aufenthaltes und wohl auch mein ganzes restliches Leben allein verbringen. Wie aussichtsreich… Was machte er denn jetzt?! Legte der Kerl sich doch glatt hinter mich und schlang mir seine Arme um den Bauch! Wollte der mich trösten oder was?! Wollte der mir zeigen, dass ich nicht weinen brauchte…? Aber… warum? Sollte ich das nicht eigentlich? Ich war schließlich erbärmlich und schwach… wer wollte denn sowas? „Mann… wenn’s meine Schuld ist, dann… gomen…“ Toller Aufmunterungsversuch… okay, jetzt war alles verloren. Ich konnte meine Tränen nicht länger zurück halten. Ohne mein Handeln wirklich zu registrieren, drehte ich mich um und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Und heulte mich leise aus. Musste ja nicht jeder hören… Und es muss ziemlich bescheuert ausgesehen haben, wenn ich so drüber nachdenke. Ich lag schließlich neben einem Typen, den ich gerade mal einen Tag lang kannte, den ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, dessen Namen ich nicht mal wusste und der mich nun in seinen Armen hielt und tröstete… Klang irgendwie nach One-Night-Stand… Nach etwa zehn Minuten, in denen ich unfähig war, mich wieder einzukriegen, löste ich mich leicht von meinem Gegenüber. Ich sah das leicht benässte, schwarze Shirt an und seufzte schwer. Was ich besser nicht hätte tun sollen… „Geht’s wieder? Was war n los?“ „Denkste ich erzähl dir was, du Baka? Geht dich n Feuchten an…“ Mann, das hatte gesessen. Eigentlich hätte ich das sanfter ausdrücken wollen. Aber es war mir so rausgerutscht… wofür ich auch gleich weggestoßen wurde. „Junge, du pisst mich an! Ich sag dir eins… du wirst die nächsten fünf Jahre mit mir verbringen müssen… also versucht wenigstens mit mir auszukommen und mach mich nicht so scheiße an…!“ sagte er, nachdem er sich wieder aufrecht hingesetzt hatte. Das war irgendwie verletzend, was er da gesagt hatte. Ich war also scheiße zu ihm? Und zu anderen? Und wenn sie förmlich riechen konnten, dass ich fies war? Zu fies, um mich anzusprechen und mich widerlich anzusehen? „Eto… ich… hab Angst…“ stammelte ich und lachte mich gerade innerlich für meine Doofheit aus. Wieso stotterte ich denn auf einmal so dämlich?! „Wovor denn?“ fragte er. Aber was war das da in seiner Stimme…? „Klingt scheiße, aber… vor Menschen…“ Mann, wieso redete ich so plötzlich mit ihm über meine Probleme, die ihn doch überhaupt nichts angingen?! Und was war dieses… sanfte in seiner Stimme?! „Anou… schlaf ne Nacht drüber und morgen reden wir weiter, wenn du willst, hai? Ich bin müde…“ meinte er und grinste, ehe er seine Hand vor den Mund hielt und herzlich gähnte. Wusste der nicht, dass das ansteckend war?! „Hai~…“ gähnte ich ebenfalls und stand auf, um mir die Zähne zu putzen. Als ich fertig war, betrat er das Bad und ich schmiss mich schon mal auf mein Bett, richtete es mir schön kuschelig. Irgendwann war ich schon in einem leichten Dämmerzustand, als ich merkte, wie jemand das letzte bisschen Licht ausschaltete und sich in seine Federn kuschelte. Ich schloss meine Augen, die ich nur einen kleinen Schlitz geöffnet hatte, wieder, versuchte, einzuschlafen. „Ach ja“ hörte ich eine weit entfernte Stimme, die nur schwach klang. Doch augenblicklich wurde ich wieder etwas heller im Kopf und machte ein leises Geräusch, um zu zeigen, dass ich aufmerksam war. „Ich heiß übrigens Uruha…“ „Freut mich“ machte ich ironisch, aber dennoch klang meine Stimme müde. Und langsam nahm die Müdigkeit dann Überhand und ließ mich einen scheinbar traumlosen Schlaf genießen… © *~*~*~*~*~* Hat's auch alles, was es braucht...? Njoa... wenn nich, auch egal xD! Wer Fehler findet, darf sie behalten... hat ja nich jeder sowas xD Ach ja: Wenn jemand den Text von 'The End' auf dem Album NIL hat, der tue sich keinen Zwang an und schicke ihn mir ^-^!! Danke! Das war's dann auch erstmal... ne? Mata ne... ^^ Baibai, das Uru-chan *winku* *rausstürm* *Staub aufwirbel* *immer kleiner werd* *nur noch ein schwarzer Punkt is* *langsam verschwind* *weg is* Kapitel 2: Nausea & Shudder --------------------------- JUHU, ich habe es doch noch viel früher geschafft, als ich dachte! *freu* Ich hoffe, es ist nicht allzu schlecht... Wie ihr sicher schon gemerkt habt, sind die Texte den Songs des Albums NIL angepasst. Ich versuche dabei, so nah wie möglich am Thema der Lyrics zu bleiben und meine Geschichte danach zu richten. Es könnte schwierig werden, aber ich mach das Beste draus, versprochen ^-^ Sooo~ Noch mal zur Anmerkung: Gazette nix meins, ich krieg auch keene Kohle für den Mist ^^° *lach* also dann! viel Spaß beim Lesen wünsche ich allen ^^ Bleibt mir treu xD! ~*~*~*~*~ Allein in den Schatten meiner Gedanken... Wecker. Störendes, kleines, mechanisches, tickendes Etwas mit drei Zeigern und einer Uhrzeit, von der ich mir im Moment wünschte, dass sie einfach stehen bleiben würde und ich weiterhin meinen Schlaf genießen könnte. Wer auch immer dieses Gerät erfunden hatte, ich würde ihn töten. Langsam öffnete ich meine Augen und versuchte, das stetig piepsende Geräusch hinter mir zu ignorieren. Ich wollte jetzt meine bequeme Seitenlage nicht auflösen! Nicht jetzt, wo ich doch gerade so einen schönen Traum hatte… Einen Traum, in dem ich Nähe bekam… Nähe zu einem anderen Menschen spüren durfte… aber diesen Menschen konnte ich nicht erkennen. Schade eigentlich… „Ruuukiiii…!“ hörte ich eine Stimme hinter mir. Nee ne?! „Ich lass den Wecker jetzt seit zehn Minuten ununterbrochen laufen und du stehst immer noch nicht auf! Was soll ich n noch machen?! Wenn du jetzt nicht sofort aufstehst, kipp ich dir den Eimer Wasser neben mir über die Matschbirne!“ Wasser?! Nein! NEIN! Ich war doch wach! Das war absolut unnötig, das konnte er gerne glauben! „Ich bin ja wach… Himmelarsch…“ grummelte ich dennoch gelassen und rappelte mich auf. Mann, wie ich den Montagmorgen hasste. Den hätte man auch weglassen können in der Woche, wie ich fand. Also erhob ich mich gezwungenermaßen und versuchte, meine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen. Aber das war nicht so einfach… „Jetzt steh auf, Mann! So lang, wie du im Bad brauchst, kommen wir hier vor zwölf nicht mehr raus!“ fluchte Uruha herum, ich seufzte schwer. „Ma, Junge!“ gluckste ich und stand auf, streckte mich kurz, lief dann, ohne mich umzusehen, ins Bad. Dort angekommen sah ich in den Spiegel. Mann, wenn ich immer so aussehen würde, wie jetzt, dann könnte ich es ja noch verstehen, wenn man mich seltsam ansah. Ich hatte mich zuvor nicht mal abgeschminkt… „Uruha! Hast du Haarspray?“ rief ich durch die geschlossene Tür. Wenn ich nicht auf der Stelle meine Haare richtete, würde ich ausrasten. Die standen zu allen Seiten ab… war ja nicht so, als ob sie das sonst nicht auch täten, aber dann sahen sie immer noch ordentlich aus im Gegensatz zu jetzt! „Rechter Schrank ganz oben“ hörte ich und stellte daraufhin zufrieden fest, dass die Flasche noch fast ganz voll war. Nachdem ich meine Haare wieder gebändigt und mich ein bisschen geschminkt hatte, ging ich zurück ins Zimmer. Dort fand ich Uruha vor… Halb nackt. „Was. Tust. Du. Da?!“ fragte ich angestrengt und versuchte, nicht auf eine ganz bestimmte Stelle zu starren, die nur von seiner Shorts überdeckt wurde. Glücklicherweise stand er mit dem Rücken zu mir und sah nicht, wo ich da gerade hingaffte… „Mich umziehen vielleicht?“ „Und wieso stehst du dann an MEINEM Kleiderschrank?“ „Weil ich meine Sachen immer quer durchs Zimmer schmeiße und meine Hose ist eben hier gelandet!“ beschwerte er sich. Und tatsächlich, er hielt eine Hose in der Hand! „Dann gewöhn dir das ab, wenn ich ab jetzt hier wohne…“giftete ich zurück und packte meine Sachen zusammen. „Was muss ich eigentlich alles mitnehmen?“ „Nur nen Ringblock, Bücher haben wir in den Klassenräumen“ gab er als Antwort. Er zog sich seine Hose an und suchte dann nach seinem Shirt. Und wirklich, jetzt fiel mir erst einmal auf, wie unordentlich es im Zimmer war. Es lagen ernsthaft überall Klamotten rum! „Kannst du mal deinen Krempel einsammeln? Wer weiß, was da alles für Flecken dran sind… oder für Gerüche…“ „Wenn, dann riechen sie nach Bvlgari!“ „Wer’s glaubt“ grinste ich nur fies. Er drehte sich um und schmiss ein zusammengeknülltes Shirt nach mir. „Überzeug dich gefälligst selber davon oder es knallt!“ Ich roch also an dem Shirt und wirklich, es roch fantastisch! Bvlgari… den Duft musste ich mir merken… Aber ich wollte ja nicht so sein und ihn ein bisschen ärgern… „Ich riech nur Schweiß und Mief…“ Gut, das hatte gesessen. Dieser Typ war leicht aufzuregen, wie ich sah. Schmollend drehte er sich um und schloss sich im Bad ein. Ich lachte siegreich und legte mich dann auf sein Bett. Selbst dieses roch nach seinem Parfüm. Der hatte scheinbar alles Mögliche damit eingedieselt… Dann fiel mein Blick auf seinen Nachtschrank. Okay, ich hatte gesagt, er sollte nicht in meinen schauen. Aber wer hatte gesagt, dass ich nicht in seinen schauen durfte? Ich wagte es also und öffnete leise seine Schublade. Aber darin befand sich nicht sehr viel. Nur ein paar Zettel, Bleistifte, Radiergummis, Kopfhörer, ein Notizblock und… Kondome?! Hastig machte ich die Schublade wieder zu und starrte völlig perplex auf meine Hände. Den Kopf von einer Seite zur anderen drehend, sodass meine Haare herumwirbelten, sah ich mich im Zimmer um nach einem Fluchtweg direkt nach draußen. Ich musste hier raus! Definitiv! „Hast du n Monster unter meinem Bett gesehen oder was?“ Wieder wirbelte ich herum und erschrak mich vor Uruha, der plötzlich hinter mir stand. „Nein… nein, alles klar…“ gluckste ich. Der musste doch langsam denken, dass ich n Rad abhatte… „Du hast doch n Rad ab…“ Bingo! „Gehen wir…?“ „Hai… Moment noch…“ ich brauchte erstmal was, um mich zu beruhigen. Pfefferminz war jetzt genau das richtige. Das hatte auf mich etwa die gleiche Wirkung wie hundert Gramm Speed auf nen Junkie… Ich wühlte in meinem Nachtschrank nach der kleinen Dose und nahm gleich zwei der kleinen Pillen. „Was nimmst n du da jetzt? Wohl keine Drogen, oder?“ „Für wie hohl hältst du mich eigentlich? Das ist Minze, du Baka…“ sagte ich und packte die kleine Dose wieder weg. Ich stand auf und ging mit ihm zur Tür. Dann wartete ich, bis er voraus lief. „Geh du nur, ich folg dir dann… hab ja eh keine Ahnung, wo ich hin muss…“ „Wenn du meinst… wir haben jetzt jedenfalls Japanisch und das gleich zwei Stunden…“ Wieso nur interessierte mich das gerade weniger als der Anblick seiner Klamotten? Wie konnte man nur so… sexy aussehen?! Und überhaupt… wieso fiel mir das gerade jetzt auf, während ich so neben ihm lief und eigentlich unauffällig hatte bleiben wollen?! Das ging wohl schlecht, so ich doch so offensichtlich auf seine Beine gaffte, die nur bedeckt wurden durch eine Hose, eine schwarze mit vielen lustigen Nieten und lila Stofffetzen, die an den Oberschenkeln abgeschnitten und mit einem Haufen Sicherheitsnadeln wieder zusammengeflickt worden war… Himmel, man konnte seine Beine sehen, störte den das denn gar nicht?! Ich fand meine Beine hässlich… genau, wie alles andere an meinem Körper… „Hab ich n Käfer in der Hose oder wieso starrst du so?“ DAS nannte er Hose?! He… hehe… „Ich frag mir nur mal gerade, ob du keinen Anschiss kriegst für sowas…“ sagte ich dann unbeholfen, ließ meinen Blick jedoch, wo er war, damit es nicht allzu auffällig erschien… „Sagen wir mal, die Lehrer sind meine Eigenarten gewohnt… und außerdem glaub ich eher nicht, dass ich auf andere anziehend damit wirke…“ Oh, doch! „Eher werd ich als schwul oder behindert bezeichnet, wenn ich so rumlaufe…“ Willst du mich verarschen?! „Wenn du meinst…“ ich hatte meinen Blick wieder abgewandt, dachte nun darüber nach, wie dämlich es doch aussehen musste, wenn man jemanden wie mich neben so einen kranken Spasten stellte. Ich mit meiner stinknormalen schwarzen Jeans und dem dunkelroten Shirt, auf dem vorne ‚Alkohol macht gleichgültig und schizophren’ und hinten ‚– ist uns doch egal!’ in schwarzen Lettern draufstand und meinen lustigen Armstulpen, die hier und da mal mit einer Sicherheitsnadel und einer Schnalle verziert waren. Und dann er… mit dieser eben beschriebenen, verdammt freizügigen Hose und einem schwarz – lila Fransenoberteil, das ihm nur über die eine Schulter ging und dort einen langen Ärmel besaß, sein anderer Arm nur mit einer Stulpe aus schwarzen Bandagen und vielen Verzierungen, die meinen ähnelten, bedeckt. Ich kam mir irgendwie idiotisch vor… Und dann war da wieder diese Angst. Dass man mich mit Uruha an meiner Seite noch seltsamer ansehen würde… dass man mich irgendwann deshalb hänseln würde… Gott, wie sehr ich mich doch für mein mangelndes Selbstbewusstsein schämte. Sicher würde es nicht so schlimm werden… aber was, wenn doch? Was sollte ich dann tun? Ich hatte doch niemanden… außer vielleicht Uruha… aber der war mindestens genauso schräg drauf und andersrum wie ich. Dem ging es da sicher nicht anders. Der wurde bestimmt auch gehänselt wegen seines Aussehens. Obwohl ich mir bei mir nicht einmal sicher war, ob es nur wegen meinem Äußeren war… aber auch egal. Viel eher hatte ich mich jetzt auf meinen Unterricht konzentrieren sollen. Aber mein Mitbewohner hatte mich schon lange wieder aus meinen Gedanken gerissen, da wir nun vor unserem Klassenraum standen, in dem der Unterricht heute stattfand. „Ich weiß nur noch nicht, wo ich dich am besten unterbringe“ meinte er schlapp. „Neben mit sitzt Reita. Hinter mit Aoi… weiß gar nicht… war der Platz rechts neben mit noch frei…?“ Jetzt führte der auch noch Selbstgespräche… oh, mein Gott! Und ein noch viel größeres ‚Oh, mein Gott!’, als wir den Klassenraum betraten. Da stand ein Lehrerpult vorn. Ein recht kleines. Und vor dem Lehrerpult waren in einem Halbkreis viele… verdammt viele Tische angeordnet. Sie standen eng beieinander, sodass der Platz für ziemlich viele von ihnen reichte. Aber… wie viele Schüler hatte denn dieser Kurs?! „Uruha… die sind doch nicht alle vollständig besetzt, oder?“ fragte ich unsicher. Doch meine Frage wurde – leider – mit einem unschuldigen ‚Doch’ beantwortet. „Okay, gut. Fast alle. Die hinteren Reihen sind nicht ganz besetzt. Da sitz übrigens auch ich“ grinste er dann fröhlich. Was für tolle Aussichten… Wir liefen also durch die festgelegten Wege in diesem Wald aus Tischen, bahnten uns den Weg nach oben, da die Sitzbänke auf mehreren Absätzen angeordnet waren. Sollte ich mich freuen oder nicht…? Das einzige, was mich wirklich freute, war, dass wir mit ein paar andern wenigen Schülern die ersten waren. Wenigstens ein kleiner Lichtblick… „Ano… wann gibt es eigentlich Frühstück?“ fragte ich, als ich unbeholfen neben Uruhas Tisch stand und mich umkuckte. „Nach den ersten beiden Stunden immer“ antwortete dieser mir dann. „Da kommt Reita!“ Mann, diese gute Laune konnte einem dann doch schon ziemlich auf die Nerven gehen… „Moin, Reita…“ machte ich nur leise und kuckte weg, in irgendeine andere Richtung. „O hayoh…“ grüßte der dann freundlich und setzte sich neben Uruha an den Tisch. „ Hast du noch keinen Sitzplatz?“ „Iie“ antwortete ich gespielt gelangweilt, obwohl ich alles andere als das war. Innerlich schrie ich aus voller Kraft, wollte nur hier raus… „Dann setz dich doch neben mich, der Platz ist Freitag frei geworden…“ sagte der blonde Schönling. Und Uruha kuckte ihn gerade ziemlich doof an. Wie verpeilt war dieser Trottel eigentlich?! „Wie, frei? Wo ist Yuzuke denn hin?“ wollte er wissen. Yuzuke… bestimmt auch so ein Streber… alle Streber hießen entweder Yuzuke oder Kai…! „Woah, Uru-chan, du bist ja n richtiger Checker“ sagte plötzlich ne Stimme hinter mir und mir wurde so richtig freundschaftlich auf die Schulter geklopft, sodass ich, wenn ich mich nicht an Uruhas Tisch festgehalten hätte, bestimmt einen halben Meter in den Boden gerammt worden wäre. Grummel… „Wo ist er denn, Aoi?!“ fragte mein äußerst intelligenter Mitbewohner und kuckte ungeduldig. Mann, wie konnte eine einzelne Person einer unschuldigen anderen wie mir nur so auf die Nerven gehen, indem er einfach nur verpeilt kuckte?! „Runter gegangen? Weißt du nicht mehr, du Spacken? Seine Eltern sind doch…“ Uruha schlug sich vor den Kopf. Und ich kuckte wohl in dem Moment ziemlich verdattert. Seine Eltern waren…? Ja…??? „Gestorben?“ fragte ich neugierig und setzte mich auf meinen neuen Platz. Und auf Aois Antwort wartend hob ich eine Augenbraue. Besagter mit dem langen, schwarzen Haar hatte einen vernichtenden Blick aufgesetzt. Hatte ich etwa was Falsches gesagt? „Was denn?“ fragte ich. „Hai, gestorben“ sagte er dann und wandte sich ab, setzte sich auf seinen eigenen Platz hinter Uruha. Dieser seufzte und zuckte mit den Schultern. „Aoi mag sowas nicht“ zischte Reita mir zu. „Yuzuke tat ihm unglaublich leid. Er ist ein Sensibelchen… gewöhn dich dran!“ Hatte ich eigentlich nicht vor, aber egal… ich beneidete diesen Yuzuke. Hatte er wenigstens niemanden mehr, der ihn herumschubste oder einsperrte… ich wünschte mir in diesem Moment, dass ich Yuzukes Schicksal teilen könnte. Aber in dem Moment fiel mir noch eine andere Frage ein. „Uruha? Wieso sind eigentlich Aoi und Reita in unserem Kurs? Sind die nicht viel älter als alle anderen hier?“ „Sie wiederholen“ erklärte er mir. „Genau wie ich. Sie wissen auch nicht, wohin, wenn sie hier fertig sind. Deshalb zögern sie alles hinaus.“ Wieso auch immer… ich fand es hier grauenvoll… wenn ich nur daran dachte, dass ich die nächsten fünf Jahre hier aushalten musste, wurde mir schlecht! „Ruki? Hinstellen, der Sensei ist da…“ sagte Reita dann und wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht. Ich stellte mich hin, genau, wie alle anderen. „O hayoh, minna-san. O・genki desu ka? Wir werden beginnen mit den neuen Schülern in unserem Kurs. Sie werden sich nun bitte vorstellen, meine Herren.“ Alle setzten sich wieder. Dann begann der alte Mann, verschiedene Namen aufzurufen. Mein Name würde sicher auch irgendwann auftauchen. Also wartete ich und bereitete mich schon mal darauf vor, aufzustehen und mich kurz vorzustellen, so, wie alle anderen es auch taten. Dann wurde ich aufgerufen. Ich stand auf und stellte mich vor. „Konnichi wa, Ruki desu.“ „Haben Sie keinen vollständigen Namen?“ fragte mich der Lehrer sofort. Andere Schüler lachten. Ich starrte gespielt interessiert auf die Tischplatte vor mir. „Doch, aber mich nennen alle so...“ „Das gibt es nicht. Und jetzt bitte Ihren korrekten Namen!“ Ich gab mich also geschlagen… was blieb mir auch anderes übrig? Man lachte schon wieder über mich… auch gut. War ja nachvollziehbar. Aber ich hasste meinen Namen und wenn ich ihn jetzt aussprach würden sie sicher noch mehr lachen… „Matsumoto Takanori“ antwortete ich eben und setzte mich dann wieder. Und wie erwartet lachten sie noch mehr... Mir war eindeutig die Lust am Unterricht vergangen! „Mach dir nichts draus“ zischte Reita mir wieder zu. Merkte der denn nicht, dass er mir auf die Nerven ging?! „Ich heiß eigentlich auch anders… Aoi und Uruha auch… aber uns nennt er auch nicht so, wie wir genannt werden wollen! Damit ist er zwar der einzige, aber das stört den nicht!“ „Akira, halten Sie Ihren Mund oder Sie fliegen raus!“ keifte der Alte dann. Okay, man sollte diesen Typen wirklich nicht reizen, das merkte ich schnell… „Du heißt Akira?“ fragte ich leise nach einer Weile und kuckte blöd. So ein schöner Name… und dann nennt der sich Reita?! Etwas, was man kaum aussprechen konnte?! … Jedem das seine… Der Unterricht begann. Schon fing der alte Sack vorn an, Fragen zu stellen. Wir durchsprachen also nun das Thema Kurzprosa. Großartig… „Was kennzeichnet einen typischen Kurzprosatext? Kann mir das jemand beantworten?“ unser Sensei wartete eine kurze Weile. Als sich noch immer nichts tat, pickte er sich jemanden raus. „Yuu vielleicht?“ Scheinbar war Aoi damit gemeint, denn der schreckte nun aus seinen Tagträumen auf. Das sah ich aus den Augenwinkeln. „Anou… offenes Ende, fängt mitten im Geschehen an…“ „Genau wie Sie, Herr Shiroyama, wie wäre es denn, wenn Sie zur Abwechslung auch mal am Anfang beginnen? Schließlich essen Sie den Nachtisch auch nicht zuerst!“ Andere Schüler lachten wieder. Aoi… oder eher Yuu… schien das nichts auszumachen… mir schon. Ich wusste, wie man sich dabei fühlt und dasselbe ging gerade hundertprozentig auch in Aoi vor. Nur gab er es nach außen hin nicht zu. Die Stunden waren weiterhin so scheiße verlaufen und die Atmosphäre war grausam gewesen. Ich hatte mich die ganze Zeit beobachtet gefühlt, obwohl der Sensei mich nicht dran genommen hatte, aber trotzdem war ich froh, als der Unterricht endlich vorbei war. Wir standen auf und verließen uns unterhaltend den Klassenraum, um die so genannten Pausenräume aufzusuchen. Uruha beschwerte sich lauthals. „Ich hasse diesen Wichser! Was denkt der sich eigentlich?! Der ist übrigens der einzige, der uns bei unseren richtigen Namen nennt, also nenn dich bei den anderen ruhig mit Ruki…!“ „Allein schon aus Protest!“ pflichtete ihm Aoi bei, der neben mir lief. Ich hob eine Augenbraue und stimmte dem einfach mal zu. Aber dann war ich doch neugierig und wollte nun auch wissen, wie denn wohl mein Mitbewohner richtig hieß… „Mein Name?“ lachte Uruha. „Der ist mir peinlich!“ „Na und?! Meiner mir auch! Jetzt sag schon!“ quengelte ich. Das war unfair! Er wusste meinen nun schließlich auch! … Nein, der ganze Kurs wusste ihn jetzt! „Takashima Kouyou…“ antwortete er leise, sodass ich es fast kaum verstanden hatte. Aber dann musste ich grinsen. Das war wirklich ein lustiger Name… klang so richtig adelig! Im Pausenraum angekommen durften wir uns nun eine ganze Dreiviertelstunde mit uns selbst beschäftigen. Ich freute mich schon… eine Dreiviertelstunde mit diesen drei merkwürdigen Gestalten an meiner Seite. Denn erst jetzt fiel mir auf, dass auch Reita und Aoi nicht weniger ‚erotisch’ gekleidet waren als Uruha. Der Schwarzhaarige hatte irgend so ein Corsette – Dings an, dazu einen kurzen Rock mit ganz viel Gebaumel und Kniestrümpfe mit noch mehr Gebaumel dran. Und Reita hatte mal wieder sein komisches Nasenteil auf, dann ein tief ausgeschnittenes, schwarzes Hemd, eine schwarze Weste darüber mit vielen weißen Mustern drauf und eine ebenfalls weit ausgeschnittene Hose. Gut, alles in allem normal. Aber Aoi und Uruha übertrafen wirklich alles… mich wunderte es sowieso, wieso es an diesem Internat keine Uniformen gab. Das fragte ich Aoi dann auch mal gleich. „Die haben die Kleiderordnung hier schon lange aufgegeben“ erklärte er mir. Ich grinste bloß. Was mussten Uruha und mein momentaner Gesprächspartner schon für Fetzen getragen haben, dass die hier sogar schon die Kleiderordnung gestrichen hatten?! „Was habt ihr denn angestellt, dass es keine mehr gibt?“ wollte ich weiter wissen. Jetzt war ich wirklich neugierig, schließlich konnten zwei Schüler ja wohl keine Revolte allein starten… „Eto… Uruha, erklär du ihm das, hai? Ich geh mal rüber zu Riku, den hab ich in letzter Zeit so vernachlässigt…“ sagte er dann schnell und war auch schon weg. Ich wunderte mich ein wenig. War ihm die Geschichte etwa unangenehm? Gut, dann wendete ich mich eben Uruha zu. „Also?“ bohrte ich weiter. „Das war so“ lachte mein Zimmergenosse dann etwas verpeilt und setzte sich an den Tisch, auf den wir schon die ganze Zeit zugelaufen waren. Ich setzte mich ihm gegenüber und blickte ihn erwartungsvoll an. „Aoi und ich hatten Nachsitzen. Und an dem Abend, als das ganze Stattfand, war eine Schulveranstaltung, an der wir unbedingt teilnehmen wollten. Tja… und einen Tag vor dem Nachsitzen hatten sämtliche Kurse beschlossen, aus der Schulveranstaltung, die eigentlich mal eine Art Sportfest oder sowas werden sollte, ein Kostümfest zu machen. Wir haben uns alle irgendwelche Klamotten zerschnitten und sind dann sehr freizügig da aufgetaucht. Die Lehrer haben einen Anfall bekommen und wollten viele von uns der Schule verweisen oder noch mehr Nachsitzen aufhalsen, also haben sie sich dann doch dazu entschieden, die Kleiderordnung aufzuheben. Letztendlich hätte es doch nix gebracht, dass sie uns diese ganzen Strafen aufgeben wollten!“ er lachte wieder. Täuschte ich mich oder sah er wirklich richtig niedlich aus, wenn er so lachte? RUKI! Aber es war doch so… NEIN, WAR ES NICHT! Stimmt, es würde eh nichts bringen, ihn anzuschmachten. Wieso denn auch?! Der Kerl hatte nichts an sich, was auf irgendeine Weise anziehend wirkte… Oder doch? NEIN! Schluss jetzt! Ich musste wirklich damit aufhören… „Und wieso wollte Aoi mir das nicht erzählen?“ fragte ich dann einfach mal. Uruha hob eine Augenbraue und lachte wieder so nied… NEIN, er lachte einfach! AUS! „Ach so… hai, er mag die Story nicht. Ihm ist da ein kleines Missgeschick passiert an dem Abend. Irgend so n Spacken hat ihm an den Klamotten gezogen und da ist ihm die Hose gerissen…“ er musste definitiv aufhören zu lachen…! „Mh“ machte ich nur und grinste fies. Ich überlegte kurz, ob ich den Schwarzhaarigen nun damit aufziehen sollte oder nicht… schließlich ließ ich es doch lieber bleiben. „Willst du was essen oder nicht?“ fragte mich Reita dann, den ich fast schon ganz vergessen hatte. Der saß ja auch noch neben mir! Also nickte ich und folgte ihm zum Buffet, wo sie alles Mögliche bereitgestellt hatten. Ich nahm mir von fast allem, was ich mochte, etwas, aber es war nicht besonders viel. Morgens hatte ich zwar Hunger, aber ich konnte nicht viel essen, sonst wurde mir immer schlecht[1]. Kurze Zeit später saß ich wieder mit Reita und Uruha am Tisch. Auch Aoi war wieder zurückgekommen. Ich konnte mir ein leichtes Grinsen leider nicht mehr verkneifen und seine Gesichtsfarbe nahm allmählich einen leichten Rotton an, das konnte ich sehen. Aber ich tat einfach mal so, als würde ich nichts wissen! Nett, wie ich eben war… „Haben wir viel Unterricht heute?“ fragte ich mit vollem Mund, schluckte dann meinen Bissen Reis runter und stupste Reita an, der schon wieder neben mir saß. „Iie, gleich noch zwei Stunden, dann haben wir Schluss. Heute Abend ist irgend so n Infoabend für die Eltern der Neuen hier und die müssen noch alles vorbereiten. Gehen deine Eltern auch hin?“ Der nächste Bissen Reis blieb mir im Hals stecken, als ich das hörte. Ich schluckte schnell runter und fing dann heftig an zu husten. Aoi reichte mir freundlicherweise sein noch unberührtes Glas Wasser und ich nahm es mit einer Dankesgeste an, leerte es mit einem Zug. Dann hatte ich mich wieder einigermaßen gefasst, stellte das Glas hin und stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging ich aus dem Raum. Hinter mir hörte ich Reita, wie er sich fragte, was ich denn wohl hatte. Aber in dem Moment konnte ich nicht weiter sitzen bleiben. Zu viele Gedanken schwirrten plötzlich in meinem Kopf herum. Sicher würden sie nicht kommen. Dann würde ich der einzige sein, dessen Eltern nicht zu dem Abend gekommen waren. Dann würde ich mal wieder ein Außenseiter sein, wie ich es immer gewesen war. Alle würden wieder über mich lachen, denken, dass keiner sich für mich interessierte. So war es schließlich auch… Ziellos lief ich durch die Gänge und setzte mich dann irgendwo in einen leeren Raum, in dem ein paar Sofas und einige Bücherregale standen. Ich fühlte mich mies. Allein schon der Gedanke daran, dass sie mich dann wieder so seltsam anschauen würden… und sie würden denken, was für seltsame Leute es doch in meiner Familie waren… und sie würden Recht haben! Deshalb würden sie auch mich wiederum seltsam finden und mich ausschließen. Mich wegen meiner Schminke hänseln, meiner Kleidung, meiner Größe… und vor allem wegen meiner Eltern. Was für Aussichten! „Ruki?“ Ich ignorierte die Stimme gekonnt und blickte starr auf den Boden vor mir. Der würde schon wieder gehen… „Hab ich… irgendwas Falsches gesagt? Ist es wegen mir?“ Also war es doch Reita. Ich hatte Recht. Auch gut. Er würde schon verschwinden. … Oder auch nicht. Jetzt saß er nämlich neben mir auf dem Sofa. „Was ist denn los?“ „Nichts! Ich… mir ist nur n bisschen schlecht vom Essen, sonst nichts…“ antwortete ich und hoffte nur, dass er sich mit meiner Antwort zufrieden gab. „Es ist nicht wegen mir also?“ „Iie“ sagte ich knapp und grinste kurz, um meiner Lüge mehr Ausdruck zu verleihen. „Das wollte ich nur wissen… gehst du wieder mit?“ Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und tat eben so, als wäre mir schlecht. Endlich stand er auf und lächelte kurz. „Wir sehen uns dann vorm Klassenraum.“ Wieder eine kaum merkliche Bewegung meinerseits in Form eines Nickens. Er sollte endlich verschwinden! Denn als er kurz vor der Tür war, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Schweigend musterte er mich einen Moment, dann sagte er leise „Wenn du nicht drüber reden willst, ist das in Ordnung. Ich zwing dich zu nix!“ und lachte in selbiger Lautstärke. Und schon war er verschwunden. Plötzlich fühlte ich mich wieder unglaublich allein gelassen. Und das nicht nur von Reita… denn erst jetzt fiel mir auf, wie grausam es war, nicht von seinen Eltern gewollt zu werden. Schließlich hatte ich es niemals anders gekannt. Irgendwann musste ich dann zurück in den Unterricht. Ich folgte dem Weg, den ich gekommen war und fand schnell zum Klassenraum zurück, dort angekommen sahen mich wieder alle an. Als würden sie meine Gedanken lesen können. Als würden sie längst wissen, was in mir vorging. Ich blickte niemanden an, lief einfach in den Klassenraum und setzte mich auf meinen Platz. Weder Uruha oder Aoi, noch Reita sprach mich an. Sie alle schwiegen. Auch den Rest der Unterrichtsstunden. Ich hatte mich zweimal gemeldet, nicht nur, um mich vorzustellen. Nach dem Unterricht teilten sie mir mit, dass ich gut mitgearbeitet hatte. Alles in allem ein zufrieden stellender erster Tag. Aber zufrieden war ich nicht. Noch immer schweigend lief ich neben Uruha zurück zum Zimmer, wartete dort, bis er aufgeschlossen hatte. Schweigen. Wie früher. Und schon wieder spürte ich die aufkommenden Tränen. Als die Tür endlich offen war, schloss ich mich sofort ins Bad ein und ließ den Wasserhahn laufen, damit es so aussah, als würde ich irgendetwas machen. Stattdessen setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und sah zu Boden auf den grauen Badezimmerteppich. Dachte wieder nach. Wie sie mich auslachen würden und hänseln und verstoßen. Wie erbärmlich ich doch war… „Ruki, mach bitte mal auf!“ Der schon wieder?! Konnte der mich nicht einfach in Ruhe lassen?! Ich wollte jetzt nicht reden… „Warum? Ich wasche mich, hörst du das nicht?“ „Tu’ nicht so! Jetzt mach auf!“ Ich wartete eine Weile, in der er noch zweimal meinen Namen gerufen hatte, bis ich schließlich doch nachgab und den Wasserhahn ausstellte. Ich schloss die Tür auf und blickte mein Gegenüber finster an. Aber Uruhas Augen waren weder wütend, obwohl er so geklungen hatte, noch lag Spott in ihnen. Nein, sie waren mitleidig. „Wieso weinst du denn wieder, hm?“ Hatte ich etwa doch geweint?! Verdammt… schon wieder hatte ich mich dabei erwischen lassen… und bestimmt hielt er mich jetzt für einen Schwächling… „Ist doch egal… ist nicht wichtig!“ „Wie soll ich dir denn helfen, wenn ich nicht mal weiß, wobei?“ sagte er dann plötzlich etwas belustigt. Er wollte mir also helfen… und wie gedachte er das bitte zu tun? Meine Eltern zur Rede stellen? HA! „Nirgendwo bei musst du mir helfen… ich bin nur ein bisschen… mit der Situation überfordert, mehr nicht!“ „Ja, das soll ich dir jetzt bestimmt auch noch glauben, hai? Willst du wirklich nicht drüber reden?“ Mann, der konnte wirklich ziemlich nerven! Ich wollte nicht reden, nein. Und nein, ich erwartete auch nicht, dass er mir jetzt glaubte. Es konnte ihm doch egal sein…! Also schüttelte ich den Kopf und sah weg. Kurz herrschte Stille, dann räusperte er sich leise. „Darf ich dich… denn wenigstens umarmen? Dann fühl ich mich wenigstens nicht so, als hätte ich dir gar nicht helfen können…“ Er wollte was…? Mich… umarmen… Ruki, jetzt war dir wirklich nicht mehr zu helfen. Jetzt dachte ich auch schon, dass ich das gebrauchen konnte! Aber… es war doch so… das konnte ich jetzt wirklich gebrauchen! Na gut… Ich nickte schwach und wischte mir die Tränenspuren von den Wangen. Uruha lehnte sich an den Türrahmen und zog mich dann sanft in seine Arme. Er lehnte seinen Kopf an meinen und hatte die Hände auf meinen Rücken gelegt, eine streichelte ihn beruhigend. Kurz zögerte ich, doch dann legte auch ich meine Arme um ihn. Da ich ein bisschen kleiner war, reichte meine Umarmung gerade bis über seine Hüften, aber das war mir egal. Meinen Kopf bettete ich dann auf seiner Schulter. Aber dadurch, dass er seinen Kopf schon an meinen gelehnt hatte, berührten sich so unsere Wangen und ich wurde ein wenig rot… das glaubte ich zumindest zu spüren. Aber wieso zum Teufel fing plötzlich mein Herz an schneller zu schlagen?! Ruki, das war definitiv zu viel… schließlich war es nur eine Umarmung! Na und?! Aber lösen wollte ich sie jetzt auf keinen Fall… dazu tat es einfach zu gut. Deshalb blieb ich so, tat einfach so, als würde mich das gar nicht stören. Es hatte mich auch gar nicht zu stören! Oder…? © ~*~*~*~*~ Sooo~ das war's wieder! Hoffe, es gefällt euch ^^° Wiederhole ich mich? Naja, liegt vielleicht daran, dass es schon so spät is xDD *müde desu* woah schon zehn nach elf und ich hab morgen schule xD njoa... [1] = Das geht nach meinem Beispiel, morgens kann ich nicht viel essen, sonst wird mir schlecht. Wenn ich gar nichts esse, auch... is also immer etwas kompliziert xD Ich freue mich wie immer über Kommentare eurerseits! baibai^^ *winku* das Uru-chan Kapitel 3: Bath Room -------------------- Sooo~ hier mal wieder Neues von mir ^^ Ich hatte eigentlich gedacht, es würde länger dauern, bis ich es fertig habe! Aber ich habe mir aufgrund der vielen Anfragen und der viiii~elen schönen, netten, lieben Kommis seeee~hr viel Mühe gegeben, es schnell fertig zu bekommen! Leider muss ich sagen, es ist nicht besonders lang geworden... aber dafür hat es umso mehr Inhalt xD! An dieser Stelle ein riesiges DANKE AN MEINE BETALESERIN PrincessOfBlood FÜRS KORRIGIEREN! Hab dich ganz doll lieb ^^ *knuddl* Joa viel Spaß dann mit dem neuen Kapitel! Baibai euer Uru-chan! ~*~*~*~*~ Wenn doch nur die Realität ein Traum wäre… Langsam löste ich mich von ihm. Doch ich sah ihn nicht an. Dazu war ich zu feige. Wie zu allem anderen auch. Ich würde nur nicht zu dem Infoabend gehen, weil die Anderen mich ansehen würden… mit diesem spöttischen Blick. Und lieber wäre ich gestorben, als diesen Hohn weiterhin zu ertragen… denn er war berechtigt. Ich konnte nichts für mein Leben. Und auch nichts für meine Eltern. Wieso nur verstanden sie es nicht? Ich lächelte noch einmal schüchtern, starrte noch immer auf den äußerst interessanten Zimmerboden, ehe ich zu meinem Schrank lief und ein paar Klamotten raussuchte. Irgendwas Bequemes. Denn rausgehen würde ich heute ganz sicher nicht mehr. Mein Handtuch hatte ich schon im Badezimmer, also verschwand ich mit meinen Klamotten bepackt kurz darauf in eben diesem Raum. Auf Uruha achtete ich nicht weiter. Jetzt war mir alles egal. Egal… War es das wirklich? War es mir so egal, was die anderen über mich dachten? War es mir egal, was sie sagten? Nein, war es nicht. Ich wollte doch nur, dass sie mich wenigstens akzeptierten. Nur, dass sie mich in Ruhe ließen. Mehr nicht. Immerzu redeten sie hinter meinem Rücken über mich, als wäre ich so verdammt anders als sie. Dabei war ich das doch gar nicht… oder? War ich wirklich so anders? Ich war ein Mensch, genau wie sie. Ein Mann, genau wie sie. Bloß hatte ich rot-schwarzes Haar und ich schminkte mich. Na und? Was störte sie bloß daran? Machte ich etwas falsch? Sah sie nicht gut aus? War sie zu extrem? Oder… störte es einfach nur, wenn ich sie überhaupt trug? Und was machte mich sonst so anders? So anders, dass sie mich ignorierten, ausschlossen, dann auslachten und schließlich schlugen? So war es schon früher gewesen. Viele Fragen, auf die ich keine Antworten wusste. Und war mir das alles so egal? War ich mir selbst egal? Diese Frage beschäftigte mich nun. Ich setzte mich auf den kalten Fliesenboden neben die Badewanne. Dann dachte ich noch einmal genau nach. War ich mir egal? Was hatte ich zu verlieren, wenn ich hier und jetzt auf der Stelle sterben würde? Würde ich dann etwas vermissen? Würde mich jemand vermissen? Was hatte ich, woran ich hing? Außer Musik… und natürlich meiner Schminke. Aber würde ich das in dem Ding, das man ‚Himmel’ nannte, brauchen? Da war ich schließlich wie alle anderen. Alle würden dort sicher weite Gewänder tragen mit schönen Flügeln und alle würden nett zu mir sein. Dann würde ich sicher neue Freunde finden und andere Beschäftigungen, als Musik zu hören und mich grundlos anzumalen oder hübsch zu machen, bloß, um mir die Zeit zu vertreiben. Würde es das alles wert sein? Diese widerliche Welt zu verlassen… Würde das ein Ausweg sein? Und das konnte man wohl oder übel nur auf eine einzige Weise herausfinden… Mit abwesendem Blick suchte ich in meiner Hosentasche nach dem kleinen, roten Ding, das ich immer bei mir trug. Wieso, das wusste ich selbst nie genau. Vielleicht zur Verteidigung, vielleicht, um mein Leben zu retten. Aber vielleicht auch, um es mir zu nehmen. Doch an diese Option hatte ich eigentlich so gut wie noch nie gedacht. Selbst wenn, wäre ich wohl nie darauf gekommen, oder? Nur jetzt, um mir zu beweisen, dass mich wirklich keiner in dieser schäbigen Welt haben wollte. Das war Grund genug für mich. Also klappte ich das kleine Messer aus, prüfte, ob es auch wirklich scharf genug war. Und Himmel, das war es. Selbst, als ich nur leicht über meine Fingerkuppe damit fuhr, bildete sich ein kleiner, kaum sichtbarer Schnitt, der jedoch nicht großartig blutete. Nur ein einzelner, kleiner Tropfen rann an der Stelle heraus, an der ich angesetzt hatte. Ich lächelte leicht. Plötzlich war mir, als würde ich mich selbst sehen. Eine kleine, gebrochene Gestalt auf dem Boden, die ein rotes Taschenmesser in der Hand hielt. Das war zweifellos ich… Aber wie…?! Dann setzte ‚ich’ zum Schnitt an. Ich konnte alles sehen, was ich tat. Wie ich leichten Druck auf die Klinge ausübte, wie sich das kalte Metall unter meine Haut schob und wie die ersten Tropfen Blut sich bildeten. Alles geschah wie in Zeitlupe. Der Schnitt wurde tiefer. Ich verfehlte knapp eine meiner Sehnen, doch die Pulsader hatte ich getroffen. Und das Blut quoll nun in größerer Menge aus meinem Handgelenk. Dasselbe geschah mit dem anderen. Das alles beobachtete ich… und trotzdem fühlte ich, was das ‚Ich’ fühlte, das ich sah. Den Schmerz in meiner Hand und wie ich schwächer wurde. Meine klägliche Gestalt ließ die Hand, die das Taschenmesser hielt, in die Blutlache fallen und senkte den Kopf, lehnte nun mit ihm an der Duschwand. Ein Lächeln. Dann rührte ‚ich’ mich nicht mehr. Ich konnte einerseits sehen, wie alles schwarz war und doch konnte ich mich weiterhin klar erkennen. Eine weinende Stimme dröhnte in meinem Hinterkopf. Ich konnte nicht ausmachen, wem sie gehörte. Sie weinte leise, es war lediglich ein Schluchzen, doch es war zu vernehmen. Und plötzlich wurde mir bewusst, woher es kam. Uruha saß vor meinem toten Körper und strich ihm scheinbar ungläubig durch die Haare. „Ich hab dich umgebracht…“, flüsterte er. „Ich hab dich sterben lassen… weil ich nichts für dich tun konnte, hab ich Recht?“ Ich konnte jedes einzelne Wort verstehen. Konnte fühlen, was er fühlte und gleichzeitig die Dunkelheit sehen, in der sich meine tote Seele befand. Uruha trauerte um mich… Das kleine Taschenmesser nahm er aus meinen leblosen Händen. Es war noch immer blutverschmiert, weil es in der Blutlache gelegen hatte. Er sah es kurz an, ehe er mir näher kam, mir über die Wange strich. Sie war noch immer warm, das fühlte ich. Er schien es ebenfalls zu fühlen. Dann lächelte er wieder ruhig und unbeschwert, als hätte er eben die Erkenntnis gemacht, dass jeglicher Sinn, um mich zu weinen, vergebens gewesen war. In mir wuchs das Mitleid mit meiner toten Gestalt, aber auch das Mitleid mit Uruha. Er hatte mir also wirklich helfen wollen…? „Lass mich bei dir sein, damit ich das alles nachholen kann, was ich nicht für dich tun konnte, hai…?“ Was hatte er da gesagt? Wollte er etwa sterben…? Mit mir…? Es schien wirklich so, denn er setzte sich neben meinen Körper, störte sich gar nicht an der Blutlache, in der er nun saß und setzte das Messer nun auch an seinem Handgelenk an. Ich wollte schreien. Schreien, dass er es nicht tun sollte. Aber ich konnte nicht. Schließlich war ich tot und meine Stimme versagte. Er lächelte noch immer leicht, dann verließ eine schimmernde Träne sein Auge. Und ich war mir sicher, es war seine letzte… denn nun glitt die silberne Klinge auch unter seine Haut, durchschnitt das dünne Fleisch und das tat er gleich mit beiden Armen. Noch immer wollte ich schreien. Er sollte nicht für mich sterben. Auch nicht mit mir, denn das hatte er nicht verdient. Wieso? Was gab es für einen Grund? Warum tat er das ausgerechnet für mich…? „Weil ich dich liebe, Ruki…“, flüsterte seine schwache Stimme, er hatte sich an meinen toten Körper gelehnt und unsere Hände miteinander verschlungen. Sein Kopf ruhte auf meiner Schulter. Es sah so aus, als würden wir schlafen… einfach friedlich schlafen… und doch würden wir nie wieder aufwachen. „WACH AUF! RUKI, VERDAMMT!“ Ich schreckte hoch und atmete schnell und hektisch. Völlig verstört blickte ich einfach geradeaus, hatte die Augen weit aufgerissen und kleine Schweißperlen liefen meine Brust hinunter. Auch mein Rücken und mein Gesicht waren leicht feucht vom Schweiß. Vom Bett wollten wir gar nicht erst sprechen… Aber nicht nur der Schweiß bedeckte mein Gesicht. Da war noch etwas anderes, das fürchterlich auf meiner empfindlichen Haut brannte. Tränen. Ich weinte schon wieder. Und jetzt wurde mir alles klar. Es war nur ein Traum gewesen. Ich hatte niemals an der Badewanne gelehnt. Und sofort prüfte ich meine Handgelenke. Sie waren heil. Also hatte ich niemals versucht, mich umzubringen. Dann fiel mein Blick auf Uruhas Handgelenke. Sie waren völlig makellos. Also hatte auch er niemals versucht, sich für mich umzubringen. Unglaubliche Erleichterung wollte sich in mir breit machen. Doch sie kam nicht gegen diese Woge aus Angst und Unsicherheit hindurch. Wieso bloß träumte ich so etwas? Was hatte das alles zu bedeuten? Dann ein Stich in meiner Brust. Es war, als würde mein Herz zerspringen, denn nun erst realisierte ich wirklich, was Uruha in meinem Traum gesagt hatte… ‚Weil ich dich liebe, Ruki…’ Und was, wenn es nun wirklich so war? Nein, auf keinen Fall. Wieso nicht? Weil es Uruha war und das war zweifellos ein Mann! Und was, wenn er es doch tat? Ich musste wirklich mit diesen Gedanken aufhören. Wieso sollte sich Uruha ausgerechnet in mich verlieben?! Außerdem… war es doch sowieso nur ein Traum gewesen. Scheinbar schien diese Nacht wirklich alles verdammt langsam zu gehen. So war es auch mit meinem Reaktionsvermögen, denn erst jetzt fiel mir auf, in welcher Position ich in meinem Bett saß. Gut, ich saß aufrecht und hatte lediglich eine Schlafhose an, aber mehr als das trug Uruha auch nicht wirklich… und er hatte die Arme um meinen Bauch geschlungen. Wieso auch immer… Aber irgendwie machte mich das gerade sehr unruhig. Immerzu dachte ich an diesen verfluchten Traum… und was er zu mir gesagt hatte. Wieso bloß musste ich das jetzt so sehr auf die Realität beziehen?! „Alles in Ordnung mit dir?“ Uruhas Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück. Eben in die Realität, in der er mich noch immer in einer halben Umarmung hielt, wie am Vortag, denn ein flüchtiger Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits halb drei waren. Dann kam mir erneut der Gedanke, dass es nicht gut war, dass wir so da saßen, denn schließlich könnte er mich ja wirklich… NEIN, VERDAMMT! Und trotzdem stieß ich ihn von mir weg, damit es eben ein bisschen so aussah, als würde ich noch immer völlig verstört sein von dem Alptraum. „Ist ja gut, gomen ne… was war denn eben los…?“ Ich blickte ihn ungläubig an. Gerade, als ich zum Sprechen ansetzen wollte, merkte ich, dass meine Stimme nicht so wollte, wie ich. Mein Hals tat unglaublich weh… „Du hast geschrieen und warst nicht wach zu kriegen! Die Zimmernachbarn haben schon geklopft!“, sagte er ruhig. Plötzlich fing ich unglaublich an zu husten. Mein Hals kratzte, schmerzte schon fast unerträglich. Wie sehr musste ich wohl geschrieen und geweint haben, dass es bereits so wehtat?! Ich sah ihn noch immer nicht an, auch nicht, als er mich kurz losließ und mir ein Glas Wasser holte. Ich bedankte mich nicht einmal… „Was hast du denn so schlimmes geträumt?“, fragte er irgendwann, als ich ausgetrunken hatte und er nun wieder auf meiner Bettkante saß. Ich wusste nicht, wieso, aber ich fühlte mich irgendwie bedrängt von ihm. Also rutschte ich noch ein Stück von ihm weg. Erst dann begann ich zu sprechen… oder sollte ich eher sagen… lügen? „Dass ich… dass ich umgebracht werde…“ Nun, in gewisser Weise war es ja nicht mal gelogen! Schließlich war der Uruha in meinem Traum ja auch der Meinung gewesen, dass er mich umgebracht hatte…! „Hier kann dir wirklich absolut gar nichts passieren, okay? Ich bin schließlich auch noch da…“ Was zum Teufel sollte das bloß…? Liebte er mich etwa doch…? Unsinn… „Hai… demo… du kannst jetzt wieder ins Bett… ich komm schon klar…“ Er lachte. „In dem Bett willst du noch schlafen? Das ist doch durchnässt bis auf die Federung!“ Was sollte denn das nun heißen?! „Ich bin dafür, dass du jetzt duschen gehst, so verschwitzt lass ich dich auch nicht in mein Bett!“ Mir fielen wohl gleich sämtliche Zähne aus, da ich den Mund offen stehen hatte. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Ich sollte in seinem Bett schlafen…?! Das ging doch nicht! Diese Betten waren zwar nicht gerade klein, aber… trotzdem! Und doch… irgendwie… fand ich es gar nicht so schlecht… WAS DACHTE ICH DA SCHON WIEDER?! Stimmte doch, immerhin wollte ich nicht unbedingt in meinem schweißnassen Bett weiterschlafen… „Hai, duschen…“, nuschelte ich und stand mühsam auf. Dabei wäre ich fast umgekippt, wenn Uruha mich nicht kurzerhand mit einem Arm um meine Hüfte gestützt hätte. Ich bedankte mich jedoch bloß mit einem knappen, ebenfalls nur leise genuschelten „Domo“ und löste mich nun wieder so schnell wie möglich von ihm. Ich schnappte mir eine neue Schlafhose und eine neue Shorts aus meiner Schublade im Schrank und machte mich dann auf den Weg ins Bad. Dort fiel mein Blick als erstes auf die Stelle aus meinem Traum. Wie ich da gesessen hatte, wie ich gestoben war, wie er mir gefolgt war… und ich lächelte traurig. Hinter mir nahm ich nur noch wahr, wie Uruha begann, mein Bett abzuziehen und dann schloss ich die Tür hinter mir. Während das lauwarme Wasser über meinen nackten Körper floss, dachte ich wieder über meinen Traum nach. Dass er gesagt hatte, er würde mich lieben. Und dann diese Andeutungen eben. Sollte ich nun wirklich in seinem Bett schlafen…? Nach diesem Traum? Das konnte ich nicht… oder? Nachdem ich mich mit meinem geliebten Kirschduschgel gewaschen hatte, stieg ich wieder aus der Dusche und trocknete mich schnell ab, weil mir verdammt kalt war. Dann zog ich mir frische Shorts und meine Schlafhose an. Unsicher blickte ich mich selbst im Spiegel an. Ich dachte wieder daran, wie ich in meinem Traum so da gesessen und wie meine Handgelenke unaufhörlich geblutet hatten. Ich schauderte. Doch ich rang mich endlich dazu durch, zurück ins Zimmer zu gehen und meinem Schicksal ins Auge zu sehen! Uruha war gerade dabei, das Laken, auf dem ein Schweißfleck in Ringform abgebildet war, über die Heizung zu hängen. Ich lächelte leicht, jedoch war es kein wirklich warmes Lächeln. Eher ein gezwungenes, denn nun sah er mir in die Augen und lächelte seinerseits. „Leg dich ruhig schon hin, ich mach das hier nur schnell noch fertig…“, sagte er, während er noch immer mit meiner Bettwäsche rumhantierte. Ich zögerte zwar noch immer ein wenig, aber dann legte ich mich doch in sein Bett und achtete darauf, mich möglichst weit an den Rand zu legen, dies aber unauffällig zu tun. Ich deckte mich ein wenig zu und wartete gezwungenermaßen auf meinen Mitbewohner. Irgendwann war der dann auch mal fertig mit Bettwäsche abziehen und aufhängen, und kam dann langsam auf das Bett zu. Das hörte ich an seinen Schritten, denn sehen konnte ich ihn nicht, da ich mit dem Rücken zu ihm lag. Ich spürte, wie die Matratze ein Stück absackte und wie die Bettdecke angehoben wurde. Dann legte Uruha sich darunter und schaltete seine kleine Nachttischlampe aus. Und schon war ich noch nervöser als vorher, denn die Bettdecke war nicht besonders breit und so lagen wir doch ziemlich nah beieinander. Mist! Na ja, war eben nicht zu ändern… und bis jetzt war es doch auch gar nicht so schlimm. „O yasumi“, sagte ich leise in der Hoffnung, es würde erwidert und ich könnte endlich in eine hoffentlich schöne Traumwelt abdriften, doch es blieb aus. Stattdessen… „Uruha… was… was machst du…?“, fragte ich vorsichtig und starrte völlig unkonzentriert auf irgendeinen Punkt im Zimmer. Was ich da spürte, war sicherlich keine Spinne, die sich in das Bett verirrt hatte und nun orientierungslos über meinen Rücken krabbelte. Eher hatte sich da was anderes – etwa Uruhas Hand – hin verirrt. Aber was hatte das bitte zu bedeuten?! Okay, nur, weil man mal eine Nacht im selben Bett schlief, was ja nicht ohne Grund passierte, da meines gerade irgendwie verdammt durchnässt war, musste man ja nicht gleich auf Tuchfühlung gehen, oder?! Trotzdem… irgendwie fand ich dieses Gefühl gerade sehr anregend… Moment, was dachte ich da schon wieder?! „Nichts…“, kam es von hinter mir geflüstert. Ja wohl! „Ano… und was ist das da… an meinem Rücken…?“ Mann, war das ne blödsinnige Frage… selten dämlich… Nen herzlichen Glückwunsch, Ruki… „Was denkst du denn?“, fragte Uruha leise und ich konnte seinen Atem an meiner Schulter fühlen. Es machte mir eine Gänsehaut… aber wieso nur? Hatte ich mich etwa doch in ihn… „Lass dich… nicht stören…“, langsam schlossen sich meine Augen und ich begann, diese Berührungen zu genießen. Ja, ehrlich, ich begann ernsthaft, sie zu genießen!!! Ruki, jetzt war alles verloren… „Wenn du dich nicht stören lässt…“ Nein, ich ließ mich ganz und gar nicht stören! Aber… ich wollte trotzdem wissen, wieso er das nun auf einmal tat! „Demo… warum…?“ „Reg dich ab, du hast nur Duschgelreste am Rücken… solltest dich mal besser abtrocknen…“ Ach, so war das… … Verdammt! Wieso immer ich?! Wieso ausgerechnet immer ich?! Ich und mein beschissenes Kirschduschgel! Das war alles dessen Schuld! Ich würde es nie wieder benutzen, das schwor ich mir in diesem Moment! Und dann hörte er auf mit den kleinen Streicheleinheiten. Drehte sich auf die andere Seite und schlief nach kurzer Zeit ein. Und in dieser kurzen Zeit und noch lange darüber hinaus dachte ich nach. Über das eben Geschehene. Eigentlich hatte ich nicht gewollt, dass es aufhörte. Wieso nur hatte er nicht weitergemacht…? Und wieso nur dachte ich so einen Schwachsinn?! © ~*~*~*~*~ Kommentare und Kritik wie immer erwünscht! Kapitel 4: Maggots ------------------ Sooo~ hier ein neues Kapitel für euch ^^ Ich danke an dieser Stelle in erster Linie meiner Betaleserin ChanLili ^^ fürs Korrigieren *knuddel* Und natürlich meinen fleißigen Kommischreibern! *alle umflausch* Viel Spaß beim Lesen von Maggots ^^ ~*~*~*~*~ Aber ich will doch sagen, was ich denke… Das grelle Sonnenlicht schien mir mitten ins Gesicht, als ich aufwachte. Und ich hatte einen unglaublichen Muskelkater… wieso bloß? Diese Matratze war viel zu hart für mich… wie konnte Uruha bloß auf sowas schlafen?! Apropos Uruha… wo war der denn eigentlich?! Ich sah mich im Zimmer um… konnte jedoch niemanden erblicken. Dann lauschte ich. Und hörte das Rauschen von Wasser. Er war also duschen gegangen… auch gut. Würde ich also warten müssen. Aber was machte ich denn nun in der Zeit? Wieder schweifte mein Blick durchs Zimmer und blieb schließlich an meinen Schreibsachen hängen. Mir war in der Nacht sowieso eine Idee für einen neuen Text gekommen. Also beschloss ich, meiner Kreativität mal wieder ein bisschen freien Lauf zu lassen. Stöhnend erhob ich mich aus meinem Bett und schnappte mir Kladde und Füller. Ich begann, die ersten Zeilen niederzuschreiben, die mir einfielen. - tengubana no dokusaika haita tsuba ni hedo wo kasaneru tarenagasu kotoba subete ga magure mo nai real sa totsuzenheni no kanjou nareta tetsuki de image tsubusu [1] - Und in dem Moment, als ich die letzten Kanji zu Ende geschrieben hatte, ging die Tür auf und ein tropfender Uruha kam aus dem Bad. Schnell kuckte ich weg, da er mal wieder nur ein Handtuch knapp um die Hüften trug. Ich stöhnte genervt. „Musst du hier alles voll tropfen?! Ich darf’s nachher wieder wegmachen…!“ keifte ich und packte meine Schreibsachen weg. Nicht mal „O hayoh“ konnte er sagen! Penner! „Spiel dich mal nich so auf, Kleiner! Ich bin doch gar nicht so nass!“ „Dann kuck mal in den Spiegel, du Baka!“ Mal wieder schwer beleidigt drehte er sich um und ließ kurzerhand das Handtuch fallen. Und ich glaubte, zu spüren, wie mir schlecht wurde vor Schreck. Jetzt zog sich dieser Pädophile auch noch vor mir aus! Das gab’s doch nicht! „Mein Gott, nimm dir die Klamotten das nächste Mal mit ins Bad, verdammt!“ keifte ich und drehte mich weg von diesem… ja, was war das denn nun für ein Anblick? Wie genau ließ er sich definieren? Einige Vorschläge meines hirnamputierten zweiten Ichs: Faltig. Hässlich. Durchschnitt. Nett. Süß. Apfelrund. Knackig. Okay, das musste reichen… aber aussuchen wollte ich mir eigentlich keins davon, denn das würde meinem ohnehin schon geschädigten Kopf nur noch mehr schaden… weil es definitiv einer der letzten drei sein würde! Das war gar nicht gut… „Ich bin’s eben nicht gewohnt, dass hier noch jemand im Zimmer wohnt, der dauernd auf meinen nackten Arsch gafft!“ Was zum…?! DAS STIMMTE DOCH GAR NICHT! … Oder doch? NEIN! Doch… NEIN, VERDAMMT! … Gut, ich musste zugeben, ich hatte hingesehen… aber wirklich nur kurz! „Du regst mich auf… jetzt zieh dich endlich an, damit ich mich wieder umdrehen kann!“ zischte ich und suchte mir in Gedanken schon mal meine Klamotten zusammen, die ich heute anziehen würde. Gedanklich verfluchte ich mich ebenfalls für das eben gedachte… und meine jetzigen Gedanken verfluchte ich natürlich ebenfalls! „Hast du n Problem mit mir, Junge?“ fragte plötzlich eine tiefe Stimme direkt hinter mir im Bett. Irrte ich mich oder war er nun wirklich direkt hinter mir…? Und hatte er etwa immer noch nichts an…?! „Ja, ein gewaltiges… und du hast gleich auch eins, wenn du jetzt nicht endlich ins Bad verschwindest!“ keifte ich weiter. Aber was, wenn er jetzt wirklich nichts… „Aber ich hab meine Klamotten hier… genau da, wo du sitzt…“ Drehte der jetzt völlig durch? Was sollte das denn nun wieder heißen?! Konnte es sein… Tatsächlich, ich saß auf seiner Hose… seit wann lag denn die da?! „Und wie’s aussieht muss ich sie mir erst holen, eh?“ Was sollte das werden?! Was hatte denn seine Hand da an meinem Hintern zu suchen?! Okay, ich fand es im nächsten Moment heraus, als er mich unsanft nach vorn schubste und ich somit auf meinem Oberkörper lag. Seine Hose hatte er dann einfach so weggezogen und ich spürte auch sein Gewicht auf der Matratze nicht mehr. Erleichtert atmete ich aus und setzte mich wieder gerade hin. Dann holte ich tief Luft und schrie los. „FAHR ZUR HÖLLE, DU WICHSER!“ und stand mit diesen Worten auf, verschwand im Bad und schaltete dort das kleine Radio an, in das ich dann irgendeine der CDs aus dem Regal einlegte und es so laut machte, dass er mich nicht mehr hören konnte. Ich kramte nach meinen Waschsachen und benässte mein Gesicht erst einmal mit viel kaltem Wasser und Kirschseife… ich kam einfach nicht von ihr los! Wie ich mein Leben doch hasste. Nach diesem elenden Traum war ich sowas von daneben, dass ich schon Angst haben musste, dass man mich demnächst vom Boden aufwischen musste, weil ich schon eine regelrechte Matschbirne hatte vom vielen Nachdenken. Über meinen Traum, aber überwiegend immer noch über die Tatsache, dass die anderen mich nicht akzeptierten. Ich konnte langsam nicht mehr. Ich musste endlich mal wieder einen klaren Kopf bekommen! Und wie konnte ich das am besten anstellen? Natürlich, indem ich meine Gedanken niederschrieb. Aber nein, mein lieber Mitbewohner hielt mich ja wie immer davon ab… SCHEIßE! Ich hatte meine angefangenen Lyrics noch auf seinem Bett liegen! Das war gar nicht gut! Verdammt! Schnell wusch ich mich zu Ende und packte das Duschgel wieder weg, stürmte dann aus dem Zimmer. Und ich hatte wohl meinen allerbesten Zweifelblick aufgesetzt, als ich Uruhas unschuldiges und zugleich schuldiges Gesicht erblickte. Scheinbar war dieser gerade eben noch dabei gewesen, in meiner Kladde rumzublättern und hatte diese nun wieder an ihre ursprüngliche Position gelegt und sich etwa vier Meter von ihr weg katapultiert. Somit saß er nun auf der anderen Seite des Bettes, weit entfernt von meinem Heiligtum, als würden sie sich gegenseitig bekriegt haben und waren nun auseinander gegangen, weil ich als der Hüter meines kleinen Schatzes hereingekommen war und nur wieder böse geworden wäre, wenn ich sie gesehen hatte. Was Uruha nicht wusste: ich hatte sie gerade eben noch gesehen. Und was er auch nicht wusste: dass ich extrem sauer werden konnte. „Du“ ich zeigte mit meinem nackten Zeigefinger auf den mittlerweile angezogenen Oberspacken und sprach so leise, dass man es kaum verstand, wenn man nicht gerade drei Meter entfernt von mir meiner Kladde gegenüber auf dem Bett hockte. „Was machst du mit meinem Aka-chan[2]?!“ Mein überaus lästiger Mitbewohner kuckte mich gerade ziemlich unwissend an, aber ich konnte förmlich riechen, wie seine aufgesetzte Unschuldsfahne rüberzog. Und sie roch widerlich! „N-nichts… doshite?“ „DAS FRAGST DU NOCH?!“ langsam wurde ich wütend. Eigentlich wollte ich nicht wütend werden, denn ich mochte es aus irgendeinem Grund nicht, ausgerechnet auf ihn wütend zu sein. Wieso auch immer… „Du. Hast. In. Meiner. Kladde. Gelesen!“ Hastig schüttelte er den Kopf und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. „Iie, hab ich nicht!“ Ich stöhnte genervt. „Dich kann man wirklich nicht allein lassen! Mann, ich muss ja Schiss haben, dass du dich an meinem Nachtschrank vergreifst! Und das hatte ich dir verboten, erinnerst du dich?! Ich sag dir was, ich werde dieses Buch nun in meinen Nachtschrank legen und du wirst es nicht anfassen, auch den Nachtschrank nicht, hast du verstanden?!“ gut, ich war da auch nicht ganz brav gewesen, aber das musste doch niemand wissen… „Und wenn ich dich auch nur EINMAL dabei erwischen sollte, kette ich dich an mir fest und sorg dafür, dass du nichts unbeaufsichtigt von mir in Reichweite meiner Sachen tust!“ oops… was genau hatte ich da gerade gesagt? „Ma… du willst mich tatsächlich mit unter die Dusche und in dein Bett schleppen, hai?“ Dieser Kerl… konnte der eigentlich auch noch was anderes, außer zweideutig sein und mir damit tierisch auf die Nerven gehen?! „Vergiss, was ich gesagt hab… aber halt dich von meinen Sachen weg, hai?! Das sind MEINE Sachen!“ Ich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen, egal, was er jetzt sagen würde. Aber das, was er sagte, brachte mich doch schon zum nachdenken… „Vielleicht ist es ja das, was die anderen an dir komisch finden! Du willst ja gar nichts von dir preisgeben! Wie sollen sie dich denn da jemals richtig kennen lernen, he?!“ Ich blieb wie angewurzelt stehen, gerade, als ich mich umgedreht hatte und zurück ins Bad wollte. Und ließ mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. War da was dran? Was, wenn es wirklich so war…? Und wenn ich den anderen so fremd war, wollten sie dann nichts mit mir zu tun haben? Weil sie sich kein Bild davon machen konnten, wie ich war? Wer ich war…? „Wie… meinst du das?“ fragte ich noch einmal, als wüsste ich es nicht schon längst selbst. „Ich glaube, das weißt du schon selbst ganz gut. Und ich kann dir meinerseits wirklich nur sagen, dass du mir nichts verschweigen musst, bloß, weil du glaubst, ich zieh dich damit auf oder sowas… so einer bin ich nicht. Wenn du reden willst, kannst du das mit mir tun, hai?“ Diese Worte irritierten mich. Noch nie hatte das jemand zu mir gesagt, den ich gerade mal seit drei Tagen kannte! Aber es lag sicher nur daran, dass ich mit ihm die nächsten fünf Jahre verbringen musste und er wahrscheinlich einfach keinen Bock darauf hatte, seinen Mitbewohner nicht zu kennen und nichts mit ihm anfangen zu können. Hai, das musste es sein. Es hatte nichts damit zu tun, dass er wissen wollte, wie es mir geht. Geschweige denn, dass er mich… Blöder Gedanke. Den wollten wir jetzt gar nicht erst weiter ausführen! „Ich bin mich anziehen“ sagte ich nur knapp und verschwand dann wieder im Bad. Langsam aber sicher wurde dieser Raum mir schon sympathischer als das eigentliche Zimmer… Ich putzte mir in Rekordzeit die Zähne, schminkte mich dann ein bisschen – schwarzer Lidschatten und Kajal, wie immer – und zog mir dann eine enge, schwarze Jeans und ein zerfetztes, weißes T-Shirt mir der roten Aufschrift „It’s just Rock `n Roll’ an. Nach einer Weile betrat ich nun wieder das eigentliche Zimmer. In diesem Moment wurde mir erst einmal bewusst, dass es noch eine lange Woche werden würde, in der ich mich mindestens zweimal mit Uruha darum streiten musste, wer denn nun aufräumt und saugt… das war nämlich buchstäblich ein Saustall! Und wo wir schon mal dabei waren, wollten wir doch gleich mal damit beginnen… „Uruha? Diese Woche machen wir noch sauber, hai? Hier kann man ja gar nich mehr ordentlich laufen vor lauter Klamotten und Büchern und Zeitschriften und CDs und… Bibeln?!“ Was zur Hölle war denn das?! Er hatte eine Bibel da liegen! Das… das wurde ja immer schlimmer! Ob seine Krankheit wohl ansteckend war…? „Ja, Bibel! Was dagegen?“ motzte er zugleich und sprang von der Fensterbank, auf der er bis eben noch gesessen und Musik gehört hatte. Ich machte ein zweifelndes Gesicht. Und ich zweifelte in dem Fall nicht nur den so genannten ‚Gott’ der Europäer an… „Wieso hast du denn eine Bibel da liegen? Stehst du auf Christen oder was? Junge, du machst mir Angst…!“ „Meine Fresse, ich will mich weiterbilden! Außerdem stehen da n paar wirklich bescheuerte Sachen drin, wo man prima drüber abrollen kann!“ Ein weiterer zweifelnder Blick. Was war denn bitte an einem Typen, der angeblich da oben im Himmel saß und die ganzen toten Seelen empfing und sie nach Lust und Laune mal eben in die Hölle schickte oder im Paradies behielt, zum abrollen?! „Hm… du bist komisch“ schlussfolgerte ich und kramte nach meinen Schulsachen. Heute würden wir Sport machen… großartig! „Was macht ihr eigentlich in Sport gerade?“ fragte ich gelangweilt und wartete auf eine Antwort. Doch die kam nicht, da er mich irgendwie komisch anstarrte und scheinbar unfähig zum sprechen geworden war. „Herr von und zu! Kriegen ich Antwort?!“ Er schreckte aus seinem Tagtraum auf und gab ein total verpeiltes ‚Häääääääääääääää?’ von sich, woraufhin ich einen Lachkrampf bekam. Ich war eben ein Mensch mit schwarzen Humor… ich konnte ja auch über Sachen lachen, die eigentlich gar nicht lustig waren! Wie zum Beispiel dieser eine Fall, an dem Kai, ein paar Freunde und ich gemeinsam mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und hackedicht gewesen waren. Kai hatte sich schwungvoll mit einem Köpper in ein nahe liegendes Maisfeld katapultiert und noch etwa fünf Meter weit gerollt, ehe er irgendwo verschollen im Maisfeld zum Stillstand gekommen war. Ich hatte mich natürlich sofort auf dem Boden gekugelt vor Lachen und die anderen gerufen, sie sollten stehen bleiben, unfähig, noch irgendeinen vernünftigen Satz herauszubringen. Als ich mich dann endlich wieder gefasst gehabt hatte, war ich ins Maisfeld gelaufen und hatte nach meinem Kumpel gesucht. Doch vorgefunden hatte ich ihn mit starrem Blick nach oben und stillschweigend. Sofort hatte mich Sorge überkommen, aber dann hatte auch Kai lauthals losgelacht und sein schwarzer Schützenanzug war natürlich total im Eimer gewesen… „Sorry, ich war in Gedanken… was hast du gesagt?“ holte mich Uruha nun aus meinen Gedanken und ich hatte Mühe, nicht auch so verpeilt zu glotzen wie er. „Was ihr im Moment in Sport macht, wollte ich wissen“ sagte ich cool und warf mir noch einen schwarzen Kapuzenpulli über, da es irgendwie verdammt kalt im Zimmer war… „Volleyball“ antwortete er knapp, sprang von seiner Fensterbank und ließ mich völlig deprimiert zurück, als er nun abermals im Bad verschwand. VOLLEYBALL?! Das konnte ich nicht! Das war genau das, was ich nicht konnte! Wieso immer ich?! Irgendwann machten wir uns dann auf den Weg zur Sporthalle. Die ganze Zeit über hatte ich ein sehr ungutes Gefühl… und was, wenn die anderen es wieder alle riechen konnten? Mich dann wieder aufzogen? Mich auslachten? Vielleicht waren sie ja wie Hunde, wie gefährliche Straßenköter, die jede Angst eines Menschen riechen konnten…?! „Ruki?“ Völlig perplex schreckte ich aus meinen Gedanken und stellte fest, dass ich fast stehen geblieben war, während ich nachdachte. Aoi hatte mich wohl mit der Nennung meines Namens darauf hingewiesen. „Hai“ sagte ich bloß und lief wie gehabt neben ihm weiter. „Ano“ begann er. Scheinbar wollte er etwas wissen, was er sich nicht traute, zu fragen, denn er machte einen schüchternen Eindruck. „Magst du Uruha?“ Überrascht wegen der Frage schaute ich nach vorn, wo Uruha neben Reita und ein paar anderen Typen, die ich nicht wirklich kannte, vorlief und sich lachend mit ihnen unterhielt. Plötzlich schaute eben dieser nach hinten direkt in meine Augen und ich erschrak, grinste kurz, kuckte dann wieder weg. „Eto… er ist okay“ sagte ich matt und räusperte mich. Aoi schien das etwas seltsam aufzufassen… „Nur okay?“ Ich stutzte. Was dachte er denn bitte?! Natürlich nur okay… oder? „Er ist chaotisch und verdammt launisch, hai… demo… was meinst du denn mit >Nur okayMaggots< [2] = Baby, Sprössling © Kapitel 5: Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu -------------------------------------------------- Soo~ hier das 5. ^^ Ist ziemlich lang geworden und ihr müsst die Fehler entschuldigen, ich hatte keine Zeit mehr und auch keine Beta ^^" Naja auch egal. Achtung, n Hinweis: Ihr habt euch ja entschieden, dass ich sie zuerst zu Ende bringe, also müsst ihr auf die restlichen Teile der FF n bisschen warten ^^ Aber nun erstmal viel Spaß beim Lesen!!! ~*~*~*~*~ Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu Von wem ich will, dass er mich liebt… Das erste, was ich dachte, als ich aufwachte, war, dass ich mich nicht in meinem Klassenraum befand. Beruhigende Erkenntnis, dann gab es hier auch keinen Sensei, der mich anschreien konnte, weil ich im Unterricht eingeschlafen war. Das nächste, an was ich mich erinnerte, war die kleine Auseinandersetzung mit meinen Klassenkameraden… und daher wohl auch das schmerzhafte Ziehen in meiner unteren Region… Und dann schlug mir wohl gerade jemand mit einem Hammer vor den Hinterkopf. Ahnend, was ich finden würde, tastete ich neben mich aufs Bett und bekam auch etwas zu fassen. Beunruhigend: nackte Haut. Noch beunruhigender: ich war auch nackt. HILFE! Hatte ich jetzt wirklich mit ihm geschlafen…? Und hatte es mir wohlmöglich auch noch gefallen…?! Hai, hatte es. Das fiel mir dann als nächstes ein. Und irgendwie war ich im nächsten Moment ziemlich glücklich. Wieso? Keine Ahnung… Ich traute mich nun auch endlich, meine Augen aufzumachen und meinen Bettnachbarn anzusehen. Er schlief wohl noch… und sah dabei unglaublich niedlich aus! Um nicht zu sagen… schon fast sexy… Langsam beugte ich mich zu ihm, um ihn nicht zu wecken und betrachtete ihn einfach. Darauf achtend, dass es nicht zu viel wurde, streichelte ich ihm mit der Fingerspitze hauchzart über die Wange und lächelte über seine sich rümpfende Nase. „Lass das“ murrte er und lächelte leicht. Sah zumindest so aus… Ich nahm meine Hand weg und stützte mich auf meinen Arm, zog aber vorher noch die Decke ein bisschen höher über meinen Körper. Wie war ich eigentlich in diese Position gekommen? Ich hielt mich jedoch zurück, denn irgendwie war mir das Ganze nun doch ein wenig peinlich gewesen… und deshalb ließ ich ihn sich erst einmal aufrichten. Er rieb sich die Augen, sah mich jedoch danach nicht an. „Wie spät?“ fragte er mich. Ich blickte auf den Wecker neben seiner Nachttischlampe und stellte fest, dass gerade mal zwei Stunden vergangen waren, in denen wir… das gemacht und geschlafen hatten. Und die Uhrzeit teilte ich ihm dann auch gleich mit, woraufhin er bloß einen leisen Laut von sich gab, der mir scheinbar sagen sollte, dass er verstanden hatte. Dann stand er ohne noch irgendwas zu sagen auf und schloss sich im Bad ein. Nun war ich etwas irritiert. Wieso redete er denn plötzlich nicht mit mir? Und hatte ich mir das Lächeln in seinem Gesicht gerade auch nur eingebildet? Was war nur los…?! Hatte er mich nun doch nur verarscht…? Langsam setzte ich mich ordentlich hin und blickte mich im Zimmer um, suchte nichts Bestimmtes. Dann stand ich auf und schnappte mir meine Joggingsachen, zog mir aber vorher noch frische Shorts an und wartete, bis Uruha aus dem Bad kam. Schließlich hatte er sich ja in mich entleert… und das musste abgewaschen werden! Währenddessen schrieb ich meinen Songtext zu Ende, den ich angefangen hatte, bis dieser Idiot es gelesen hatte… hoffentlich hatte er es vergessen… -jiiteki iken to hassou yumemi ga chi no miscast kawaru koto wo tsune ni kirai notauchi mawaru risou wo hiki zutteiru yatsu mo yatsu mo yatsu mo yatsu mo ochitoshi ana ni furueteiru no sa- Er brauchte mal wieder ziemlich lang im Bad… aber was konnte man schon von einem so eitlen Menschen erwarten? Schließlich war ich doch auch nicht besser… -[Dictatorship] kill off inside [The brain of a sow] kill off inside [Crazy fraud lovers] kill off inside [The coward who lovers] kill off inside Sanction to a dirty sow I'm not your shit box Sanction to a dirty sow It is different! You are fat maggots!- [1] Endlich hatte ich ihn beendet. Er würde einen Ehrenplatz in meiner Kladde bekommen, denn er gefiel mir selbst so unwahrscheinlich gut. Vielleicht, weil er diesmal meine Gedanken und Gefühle so exakt widerspiegelte…? Plötzlich erschreckte ich mich fast zu Tode durch eine zufallende Tür. Ich zuckte ungewollt zusammen und drehte mich um, blickte auf einen mal wieder nur halb angezogenen Uruha, der noch immer aus den Haaren tropfte. „Du kannst jetzt, wenn du willst“ sagte er bloß, grinste kurz und kramte dann in seinen Klamotten wahrscheinlich nach irgendwas Bequemen. Und selbst im Bad noch, in seiner Abwesenheit, konnte ich seine Spuren sehen. Seinen Geruch riechen. Wurde ich verrückt?! Langsam machte ich mir Sorgen um mich selbst… Aber ich war eben verliebt… war mein Verhalten jedoch noch normal? Schließlich benahm ich mich wie einer dieser verrückten Teeniegirls, die alles von ihrem Schwarm sammelten und laut losquietschten, wenn der oder die Angebetete vorbeikam. Wie absurd… Und wo zum Teufel hatte ich mein Handtuch hingelegt?! „Wo ist mein Handtuch?!“ schrie ich durch die abgeschlossene Tür und wartete auf Antwort. „Hab’s benutzt und in die Wäsche getan, meine sind alle dreckig!“ hörte ich bloß. Er hatte mein Handtuch benutzt! Vielleicht roch es ja jetzt auch nach ihm…? RUKI! Jetzt drehte ich definitiv durch… „GREAT! Und womit soll ich mich jetzt abtrocknen?!“ einfach mal so tun, als würde mich das alles gar nicht interessieren, dachte ich mir. Schließlich wollte ich ja nicht auffallen oder ihm auf die Nerven gehen… aber tat ich das wohl schon…? Ich zog mich aus bis auf die Boxershorts und kuckte mich dann nach einem Handtuch um, fand zwar nur ein kleines, aber immerhin besser, als gar keines. Also entledigte ich mich auch noch meiner Boxershorts und stellte mich dann in die schmale Duschkabine, drehte das Wasser auf und musste mich zusammenreißen, nicht aufzuschreien: ES WAR EISKALT! Dieser Baka hatte doch tatsächlich das ganze heiße Wasser aufgebraucht! Und jetzt durfte ich kalt duschen! VERDAMMT! Umso schneller wusch ich mich, schäumte meinen fleckigen Körper mit Kirschduschgel ein und fragte mich erneut, wie man so einen hässlichen Körper attraktiv finden konnte. Und wo ich schon mal anfing, nachzudenken, machte ich auch gleich unbewusst weiter, während mir der Schaum des Shampoos über meinen knochigen Rücken lief. Vielleicht war der ja der Grund für Uruhas plötzliches Schweigen und diesen Abstand, den er komischerweise zu mir hielt…? Oder kam dir das auch nur alles so vor…? Oder vielleicht hatte ihm der Sex nicht gefallen?! Viele Fragen, auf die ich keine Antwort wusste… und ich beschloss, sie herauszufinden. Wenn er in den nächsten Tagen genauso drauf war, dann würde ich ihn einfach fragen! Aber war ich auch mutig genug dazu…? Mit Sicherheit war ich schlecht gewesen und jetzt war er deshalb so komisch drauf. Und ich ging ihm auf die Nerven. Und er hatte mich von Anfang an nur für diese eine Nacht gewollt. Großartig, dann hatte ich mich ja schon wieder ausnutzen lassen. Unbewusst, aber ich hatte mich ausnutzen lassen. Sie waren also doch alle gleich… Ich wusch mich fertig und stieg aus der Dusche, fasste einen Entschluss. Ich würde warten, doch ich würde auch nicht untätig bleiben. Wenn es wirklich nur eine Laune war, würde sie vorbeigehen. Aber was, wenn er in der nächsten Woche noch immer so drauf war…? Meine Klamotten glitten nur langsam über meine noch feuchte Haut, ich fror selbst in ihnen. War das schon wieder diese innere Kälte? Sofort musste ich daran denken, was ich früher immer getan hatte, wenn ich diese innere Kälte verspürt hatte. Ich hatte meinen besten Freund um Rat gebeten. Aber aus irgendeinem Grund traute ich mich nicht, mit ihm darüber zu reden… „Kuso…“ flüsterte ich, als ich bemerkte, dass ich meine Socken nicht angezogen hatte. Und auf den kalten Fliesen vor der Miniküche kam mir eisige Kälte entgegen, die durch meinen ganzen Körper zu schleichen schien. Ich zitterte kaum merklich. Also schlenderte ich zu meiner Schublade am Schrank und kramte nach den schwarzen Socken mit den goldenen Sternen drauf. Die waren ein Geschenk von Kai… wahrscheinlich das einzige, was jemals wirklich von Herzen gekommen war… Socken! Andere schenkten Autos und teuren Schmuck, aber ich hatte eben Socken bekommen, weil ich sie so toll gefunden hatte. War ja auch kein Geburtstagsgeschenk gewesen oder sowas… lediglich nebenbei. Und zum Geburtstag hatte ich ähnlich billige Sachen bekommen, worüber andere nur lachen konnten, aber ich hatte mich immer sehr gefreut, weil ich wusste, dass sie ehrlich gemeint waren. Aber sonst meinte es ja auch niemand ehrlich mit mir. Ich schüttete Wasser in das kleine Gerät vor mir, stellte es an und kramte im Schrank nach einem Beutel Kirschtee, befestigte ihn an dem Griff einer weißen Tasse, auf der in roten Lettern „GRÖSSENWAHN“ zu sehen war. Ich grinste stumm vor mich hin. „Machst du mir auch nen Tee?“ kam es von hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um, da ich gerade überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen war, angesprochen zu werden. Ich hob eine Augenbraue. Test: „Was für einen?“ „Mir egal.“ „Sicher?“ „Hai…“ Er klang wirklich genervt… super! Aber nein, ich würde abwarten… Verletzt war ich trotzdem. Und zwar ziemlich… denn dieses ignorante Verhalten von ihm faszinierte mich nur noch mehr… Ich wusste selbst nicht, was mich noch zu ihm hinzog, denn eigentlich wusste ich ja, dass er wahrscheinlich das größte Arschloch unter Gottes Hinterteil war… bloß wollte ich es nicht wissen! Ich bemerkte, dass der Wasserkocher hinter mir piepte und ich nahm die Kanne herunter, goss den Tee in meine Tasse und stellte dann noch eine für Uruha bereit, übergoss den Teebeutel in ihr ebenfalls mit heißem Wasser und tat einen Löffel dabei, schlenderte dann rüber zur Fensterbank und reichte sie meinem Mitbewohner. Er dankte nicht mal. „Bitte, keine Ursache“ antwortete ich schnippisch und setzte mich aufs Bett, kramte in meinem Nachtschrank nach einem Kuli (dieses Zimmer schien die Dinger absichtlich zu verschlingen!). „Bah, da is ja gar kein Zucker drin“ hörte ich plötzlich und dachte, mich aber wirklich SCHWER verhört zu haben. Hatte er sie noch alle?! Jedenfalls war das das, was mir mein Gehirn sagte. „Hast du nichts von gesagt“ antwortete ich und wollte aufstehen, um den Zucker für ihn zu holen, als er sich jedoch selber bequemte und von der Fensterbank rutschte, dabei fiel sein Block achtlos auf den Boden. „Lass stecken, ich hol mir schon selber welchen“ sagte er und klang dabei ein bisschen gereizt. Oder? Verdammt, ich musste irgendwas machen, damit er nicht von mir genervt war! Was machte ich denn nur falsch?! Ich würde keinen Streit mit ihm ertragen können, nicht jetzt! Nein, er war der einzige, der mich hier verteidigte und beachtete, der mir selbst etwas bedeutete! Ich durfte ihn nicht verärgern oder nerven! „Gomen“ nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und kramte dann nach meiner Kladde, um den nächsten Songtext zu schreiben, der mir gerade einfiel. Ich merkte, wie er mich mit einem abschätzenden Blick bedachte und sich dann wieder auf die Fensterbank setzte, weiter auf seinem Block kritzelte und mich unbeachtet ließ. Ich kam mir extrem verarscht vor… -kuzureru you ni taoreteitta hishatai ga wasurerarenai furatsuku ashi wo suri anata wo matta kitto yurushite wa kurenai darou ame no oto ni magirete kikoeru sono oto wa watashi no me no me de tomatta tada anata ni wa tada anata ni wa himegoto hitotsu sae shitakunai kedo wakatte hoshii tada ichido dake kurushimagire no uso wo me wo tsubutte daite- [2] Wieso nur sprach mir der Text gerade aus der Seele…? Ach ja, weil ich der Autor war… wie ironisch! Aber genau das wollte ich doch… von ihm umarmt werden und nie wieder losgelassen werden… nur bei ihm fühlte ich mich sicher, stark und glücklich… wieso wollte er das nicht sehen…?! „Uruha?“ Er gab ein leises Geräusch von sich, ich deutete das jetzt einfach mal als Zeichen seiner Aufmerksamkeit. „Welches Zimmer hat Aoi?“ Er schaute auf hinter seinem Schreibblock, ich erwiderte seinen Blick mutig, obwohl mir ein bisschen schlecht wurde. „Vier Türen weiter nach rechts“ sagte er nur matt und widmete sich dann wieder ganz seinen scheinbar äußerst interessanten linierten Blockseiten. Ich stand auf, tat meine Kladde zurück in den Nachtschrank und verschloss ihn ordentlich, lief ins Bad, um mir noch einmal durch die nassen Haare zu bürsten und sie danach ein bisschen strubbelig zu machen und kehrte zurück ins Zimmer. Schnell leerte ich meinen schon fast kalten Tee und verabschiedete mich nicht einmal, als ich das Zimmer verlies. Draußen auf dem Gang lehnte ich mich an die Wand und seufzte schwer, bis ich endlich die Richtung zu Aois Zimmer einschlug. Ich wusste selbst nicht, wieso, aber ich wollte jetzt aus irgendeinem Grund mit ihm sprechen. Ich blieb an der vierten Tür rechts stehen und klopfte leise, wartete ab. Kurz darauf wurde sie von dem Schwarzhaarigen geöffnet, der mich leicht ungläubig ansah. „Oy, kann ich rein?“ fragte ich höflich und lächelte gezwungen, hoffte auf eine Zustimmung. Aoi nickte bloß stumm und hielt mir die Tür auf, ich schritt hindurch. Reitas und sein Zimmer sah ganz anders aus als das von Uruha und mir. Irgendwie viel aufgeräumter, was ja auch eigentlich gar nicht schwer war, denn Uruha übertraf wirklich niemand mehr, und es roch komplett anders. Bei uns roch es immer etwas bitter, ein wenig nach einer Mischung aus Patchouli und Moschus, hier bei Aoi und Reita eher nach Lavendel und anderen süßen Stoffen. Ich entdeckte Räucherstäbchen auf ihrem Tisch. Reita saß auf seinem Bett, das mit schwarz-blauem Samt überzogen war, auf dem vereinzelt weiße Kanji abgebildet waren und rote Muster. Sah verwirrend aus, genau, wie die restliche Einrichtung. Unser Zimmer hatte dunkelrote Wände und sah irgendwie schon fast antik aus, ihr Zimmer hatte blaue Teppichwände, an denen überall Poster von ihren Lieblingsbands hingen und der Boden war aus Parkett, nicht aus Teppich. Ich wurde ein bisschen neidisch, wohl aber nur, weil unser Zimmer langsam langweilig wurde. Schließlich war es ja nicht hässlich… wenn man die kontinuierliche Unordnung wegließ, versteht sich. Aoi schritt auf sein Bett zu, es war ebenfalls blau bezogen mit einem schwarzen Leopardenmuster drauf. Ich schmunzelte leicht – das passte irgendwie zu ihm. Bis kurz vor sein Bett folgte ich ihm, dann blieb ich stehen und setzte mich kurzerhand auf den beheizten Boden. Eins musste man diesem Gefängnis ja lassen: es hatte Luxus! „Wo wart ihr heute beim Unterricht?“ fragte Reita und ich spürte seine musternden Blicke im Nacken. Das gefiel mir irgendwie nicht. Wieso? Keine Ahnung… „Ano… lange Geschichte…“ antwortete ich. Was sollte ich denn sagen?! ‚Uruha hat mich flachgelegt, nachdem er mich zusammengeschlagen und entstellt auf dem Boden gefunden hat’? Klasse… „Ich hab Zeit“ sagte Aoi und sah mich mit einem schon fast stechendem Blick an. Nun fühlte ich mich noch unwohler. So, als würde er direkt durch meine Augen hindurch in meine Seele schauen können… „Ein andermal…“ sagte ich leise, sodass Reita es hoffentlich nicht gehört hatte. Das bestätigte mir seine Frage, was ich denn gesagt hatte. „Gar nichts“ meinte ich bloß und ging nicht weiter auf Nachfragen ein. „Was haben wir alles auf?“ „Hast du die ersten Stunden nicht mitgeschrieben?“ wollte Aoi wissen. „Doch, und danach?“ ich sah ihn noch immer an. „Danach hatten wir Kunst“ sagte er schließlich. „Oh…“ Reita lachte. „Irgendwie find ich’s verdächtig, dass ihr beide plötzlich zur selben Zeit auf euer Zimmer verschwindet, weißt du?“ Was sollte denn das nun wieder heißen…? Hatte er etwa eine Ahnung, was wir… nein! „Nani?“ fragte ich gespielt unwissend, sah jedoch weiterhin Aoi in die Augen, der mich noch immer so abschätzend ansah. Dann blickte er rüber zu Reita. „Red keinen Scheiß, Reita“ zischte er schon fast, als hätte Reita eben davon gesprochen, dass die Welt bald untergehen würde. „Was habt ihr denn gemacht, dass ihr einfach mal Kunst schwänzt? Was war so wichtig?“ ich drehte mich um zu Reita und musterte ihn zweifelnd. Er wusste doch was…! „Worauf willst du hinaus, hm?“ „Reita“ zischte Aoi bedrohlicher. „Was läuft hier eigentlich, hä?!“ Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und unser Klassenlehrer stand in der Tür, mit Uruha im Schlepptau. Der wurde vom Sensei wie ein Gefangener am Arm festgehalten und reingeschubst. Er grinste mich an. „So, meine Herren“ begann der Sensei. Ich schluckte. „Dann erklären Sie bitte noch mal von vorn, Herr Takashima, hai?“ der Sensei setzte sich auf einen der zwei Stühle an dem kleinen Tisch und sah noch immer sehr wütend aus. „Tss“ machte Uruha und grinste mich noch immer an. „Ruki hatte die Idee, zu schwänzen und wollte unbedingt, dass ich mitmache“ log er. Ich fiel aus allen Wolken. Hatte er das jetzt wirklich gesagt…? „Und deshalb werden Sie beide nachsitzen, und zwar übermorgen, dann werden Sie die restlichen Aufgaben der letzten beiden Lektionen im Japanischbuch erledigen. Ich denke, das wären dann genug Aufgaben für drei Stunden, nicht?“ meinte unser Sensei wütend. „Außerdem haben Sie, Herr Matsumoto, diese Woche keinen Ausgang, verstanden? Ich glaube, man muss Ihnen erst einmal noch Manieren beibringen und die richtige Arbeitseinstellung verpassen! Was glauben Sie denn, wozu Sie hier sind? Sicher nicht, um den Unterricht lediglich nur dann zu besuchen, wenn Sie Lust dazu haben. Ich werde mich bei Ihren Eltern melden!“ „Nein!“ warf ich sofort dazwischen, ohne es wirklich zu wollen. Es war mir rausgerutscht… „Okay, es kommt nicht noch mal vor… sumimasen!“ Uruha grinste immer noch, Aoi und Reita waren wohl beide ziemlich sprachlos. Sie sagten gar nichts mehr… „Sollte das noch einmal der Fall sein, dass Sie auf die geniale Idee kommen, ohne sich abzumelden blau zu machen, werde ich Ihre Eltern darüber in Kenntnis setzen und mit ihnen gemeinsam entscheiden, wie wir vorgehen. Derartige Störungen unseres Unterrichtsablaufes, wie sie von Ihnen kommen, können wir nicht gebrauchen. Merken Sie sich das! Übermorgen in meinem Büro und jetzt ab in Ihre Zimmer, bevor ich noch vollkommen ausraste!“ war er das nicht schon…?! Langsam erwachte ich wieder aus meiner Starre und stand auf, folgte dem Sensei wieder zur Tür. Ich hörte beim rausgehen noch Aois Stimme. „Reita, das stimmt nicht, was er…“ und schon hatte sich die Tür geschlossen. Und in Gedanken führte ich den Satz fort. Uruha… Zurück auf dem Zimmer verschwand mein Mitbewohner auch gleich im Bad und ließ mich völlig verwirrt auf meiner mittlerweile wieder trockenen und bezogenen Matratze zurück. Ich war den Tränen nahe. Wieso nur hatte ich nicht gesagt, wie es wirklich gewesen war…?! Wieso nur hatte ich Uruha die Meinung nicht gesagt?! Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht… Ich merkte, wie eine einzelne Träne meine Wange entlang lief. Nicht schon wieder… Mittlerweile saß ich jeden Abend hier und heulte… egal wann, egal wo, immer nur heulte ich. Was war ich doch für ein Weichei… Aus dem Bad vernahm ich ein schepperndes Geräusch, ich deutete es als ein Glas oder einen Spiegel. Dann ein dumpfes „Oops“ und dann Stille. Sicher würde Uruha die Scherben nicht einmal aufheben… typisch. Kurze Zeit später kam er dann aus dem Bad und musterte mich fragend. Was er wohl jetzt erwartete? Vielleicht, dass ich ihn anschrie, weil er gelogen hatte? Den Gefallen wollte ich ihm nicht tun… ich konnte nicht… „Warum hast du das gemacht?“ fragte ich stattdessen ruhig, als wäre es eine beiläufige Frage, wie etwa, wieso wir denn eigentlich verhütet hatten, und schaute ihn dabei nicht weiter an, sondern hatte meinen Blick starr auf den Boden gerichtet. Sah wirklich unglaublich interessant aus… „Irgendwie muss man sich ja schützen, nee?“ hörte ich ihn sagen und dann spürte ich, wie meine Matratze ein Stück senkte. Ich spürte, wie er sich hinter mich setzte und seine Arme um meinen Bauch schlang. Er lachte. „Jetzt schmoll nicht, Junge! Hätte ich dem Baka sagen sollen, dass sie dich Schwächling verprügelt haben und ich dich dann flachgelegt hab? Wäre n bisschen komisch rüber gekommen, oder?“ Natürlich wäre es das. Klar, wer schämte sich nicht davor, verprügelt zu werden? Er sagte doch wie Wahrheit, warum sollte ich also ausrasten…? Schließlich hatte ich es doch auch so gewollt, hatte die anderen provoziert, mich zu verprügeln, hatte mich nicht gewehrt, als er mich gevögelt hatte, und ich hatte auch nicht die Wahrheit sagen wollen. Wieso also sollte ich sauer sein…? Vielleicht, weil er mich die ganze Zeit nur verarscht hatte…? Nein, ich durfte mich jetzt nicht aufregen. Es würde mich auch nicht weiterbringen. Außerdem würde ich ihn dann endgültig verlieren. Diese Laune von ihm… die würde schon wieder vorbeigehen… Zögernd lehnte ich mich an seine Brust, doch kurz darauf ließ er mich auch schon wieder los und stieg von meinem Bett, ich spürte sein Gewicht auf der Matratze nicht mehr. Ich seufzte leise. „Du bist n Baka“ sagte er und schaltete dann das Licht aus, das bis eben das dunkle Zimmer erhellt hatte. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, schloss die Augen, vergaß völlig, mich zu waschen und umzuziehen, schlief ein. „Ruki! Verdammt noch mal, kannst du nicht einmal pünktlich aufwachen und mich dann wecken?! Wir kommen schon wieder zu spät! Wenn du dich jetzt noch anmalen willst, brauchst du wieder nur stundenlang und wir können gleich unsere Freizeit in den nächsten drei Jahren streichen!“ Großartig. Wieder war ich alles schuld. Na gut, eigentlich war ich das auch. Schließlich hatte uns nicht der letzte Nacht stehen gebliebene Wecker, sondern mein einhundert Dezibel lautes ‚Scheiße’ geweckt. Aber trotzdem besser als nichts, oder?! So gut war meine innere Uhr eben noch nicht eingestellt… „Gomen ne! Ich bin kein wandelnder Wecker, ja?!“ fauchte ich in meiner Rage, aber im nächsten Moment tat es mir auch schon wieder Leid, ihn angeschrieen zu haben. Eilig zog ich mich an und kramte nach meinen Schulsachen. Wir hörten den dumpfen Klang der Schulglocke eine Etage unter uns und ich schluckte, kramte schneller. „Uruha, du hast alle meine Stifte verschleppt“ ich wies auf meine leere Holzbox hin, wo eigentlich mal exakt dreizehn Stifte, davon vier Kugelschreiber, ihr Zuhause gefunden hatten. Leider wurde diesmal nicht den Stiften das Zuhause, sondern dem Zuhause die Bewohner entwendet. Sollte ich mit meinem Eyeliner schreiben oder was?! „Mach hin, du Baka!“ Sah ich aus wie n D-Zug?! „Schnauze“ zischte ich, doch er hatte es nicht gehört, kramte währenddessen ebenfalls nach seinen Sachen. Dann, als wir beide gefunden hatten, was wir brauchten, packten wir es in unsere Taschen und machten uns auf den Weg zum Unterricht. Und auf dem Weg nach unten war mir, als würde mir jemand mit einem Vorschlaghammer gegen meine Matschbirne prügeln. Ich würde wieder unter diesen ganzen Idioten sein, die mich jetzt nur noch mehr auslachen würden, weil sie mich klein gekriegt hatten… und das würde bestimmt noch ein toller Tag werden. Wie schon erwartet stürzten wir als letzte in die Klasse und eilten zu unseren Plätzen, setzten uns eilig hin und wurden sogleich vom Sensei, der soeben den Raum betreten hatte, mit misstrauischen Blicken bedacht. Er selbst setzte sich an sein Pult und schaute in die Runde seiner Schüler. „O hayoh, minna-san. Ruki-san, wie sehen Sie denn aus?“ Wie denn, etwa wie durchgevögelt oder was?! Diese blöde Ziege… „Sind sie die Treppe runter gefallen?“ Erst jetzt kam ich erstmal darauf, was sie überhaupt meinte. Sie meinte die blauen Augen, nicht etwa die Augenringe darunter. Sie meinte die blauen Flecken an meinen entblößten Armen, nicht etwa die Knutschflecke an meinem Hals. Wahrscheinlich deutete sie diese sogar auch noch als blaue Flecken… „Bin ausgerutscht“ nuschelte ich verlegen vor mich hin und konnte einiges an Gekicher aufschnappen. Es ließ mich wütend werden… aber ich wollte nichts dagegen tun. Denn diese Spacken waren zu mehr fähig als nur zu diesem harmlosen Geprügel… „Wenn Sie meinen…“ sagte sie und begann mit dem Unterricht. „Fahren wir fort. Wir sind nun bei einem Thema angelangt, das, wie ich persönlich finde, immer mehr unterschätzt wird. Nämlich die Beraubung von Freiheit und das Antun von Leid auf seelischer Ebene. Wer kann mir dazu einige Beispiele nennen?“ Und da war es wieder. Ich hasste diese verdammten Philosophiestunden. Wieso sprachen wir so einen Mist eigentlich durch?! „Uruha-san, wie wär’s mit Ihnen?“ Der musste es ja wissen… „Ano… vielleicht Mobbing? Lügen? Oder Ausnutzen?“ Jetzt ging mir ein Licht auf. Wieso er gerade diese Beispiele genommen hatte. Wieso er ‚Ausnutzen’ gesagt hatte… „Ruki? Alles klar?“ zischte Aoi mir von hinten zu. Ich schüttelte unter dem Tisch mit der Hand, um ihm zu zeigen, dass es mir gerade nur halb so gut ging, wie es eigentlich sollte… „Gute Beispiele, Uruha-san. Noch jemand?“ Nach der Doppelstunde hatten wir heute ganze zwei Stunden frei. Ich verlies den Klassenraum, diesmal jedoch mit Aoi an meiner Seite, damit niemand auf blöde Ideen kam. Schließlich war Aoi hier um einiges beliebter als ich… Uruha hatte mich auch weiterhin ignoriert, er lachte die ganze Zeit über mit Reita zusammen und lief nun mit ihm voraus in richtung der Pausenräume. Ich jedoch brauchte jetzt erstmal frische Luft, also fragte ich Aoi, ob wir nicht mal irgendwo rausgehen könnten. „Lass uns auf den kleinen Schulhof hinten gehen, da ist meistens keiner“ sagte er zustimmend und schlug einen anderen Gang ein als die anderen Schüler. Ich war ihm gerade sehr dankbar… denn endlich war ich mal allein mit ihm und konnte reden. Dieses Gefühl von Vertrauen hatte ich nämlich nur bei ihm gehabt. Und Uruha… aber mit dem konnte ich gerade wohl etwas schlecht reden. Und sicher würde Aoi mir auch zuhören… so hoffte ich zumindest. Irgendwann kamen wir an einer größeren Glastür an, die nach draußen führte. Der Schulhof war wirklich nicht größer als ein halbes Fußballfeld, aber dafür umso schöner als der eigentliche große Schulhof. Hier hatte man ein paar kleine Beete angelegt, die im Moment jedoch ziemlich dürr aussahen, schließlich wurde es allmählich Winter. Wir setzten uns auf eine Eisenstange, die dazu diente, eines der Beete abzugrenzen. „Was war da gestern, Ruki?“ fragte er plötzlich in die Stille hinein. Aber die Frage überraschte mich nicht. Nur wie sollte ich ihm antworten…? „Was genau meinst du?“ fragte ich schließlich zurück. „Wieso habt ihr geschwänzt?“ „War meine Idee, weißt du doch“ sagte ich matt. „Stimmt nicht. Ich weiß mehr, Ruki.“ „Wieso fragst du dann?“ Was hätte ich sonst fragen sollen…? Sicher hatte Uruha sich schon die ganze Zeit darüber lustig gemacht gehabt, was er mit mir vorhatte. Und das sicher auch vor Aoi und Reita. Aber das würde er mir jetzt sagen, oder? „Weil ich es von dir hören will. Uruha hat schon die ganze Zeit davon geredet, was er mit dir machen will.“ Wunderbar. Da war es also. Das, was ich die ganze Zeit übersehen hatte. Man hatte mich wieder ausgenutzt. Wie gesagt, wunderbar. „Ich bin keine Schlampe“ sagte ich vorwurfsvoll und schaute zu Boden. „Aber ich dachte, er liebt mich…“ „Ja, das sagt er allen“ lachte Aoi gespielt belustigt und scharrte mit dem Fuß über die gefrorene Erde. Während er sprach verlor sich sein Atem in Form einer kaum sichtbaren Dunstwolke im Nichts. Es war kalt. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Aber ich trug nichts weiter als mein Shirt und eine weite, schwarze Hose. Hielt also nicht besonders warm. Bloß spürte ich die äußerliche Kälte nicht, sie war nicht viel kälter als das, was ich gerade an Eiseskälte in mir trug. Ich fühlte mich wirklich nur noch von jedem verarscht. Gut, dass Aoi und Reita mich auch verarschen könnten, das störte mich gerade nun wirklich weniger. Aber dass Uruha sowas getan hatte, machte mich doch schon ziemlich fertig. Ich wusste nicht, was er damit hatte erreichen wollen! Seinen Mitbewohner für die nächsten viereinhalb Jahre damit noch depressiver und destruktiver zu machen, als er eh schon war? Sah er das denn nicht…? „Wem denn noch?“ fragte ich halbherzig, wollte eigentlich die Antwort gar nicht wissen. Mir war es egal. Alles war mir egal. Aber Uruha nicht. „Reita“ kam es sofort von dem Schwarzhaarigen neben mir. „Aber der war auch dumm und hat es nicht gemerkt. Deshalb hat sich auch seine Freundin von ihm getrennt. Uruha hatte irgendwann mal fallen lassen, dass er mit Reita geschlafen hatte. Seine Freundin hat sich daraufhin von ihm getrennt.“ „Und wieso sind sie dann überhaupt noch befreundet?“ wollte ich diesmal mit etwas mehr Interesse wissen. Konnte man denn wirklich so blind sein? „Weil Reita ihm den Arsch nachträgt. Er hatte zwar auch vorher schon immer gesagt, dass er Schluss mit ihr machen wollte, aber Uruha hat dem ganzen schließlich das eigentliche Ende gesetzt. Ich weiß, es ist eigentlich nicht richtig, was ich dir hier alles erzähle, aber ich will dich wirklich vor Uruha schützen, Ruki. Er ist nicht so nett und gutmütig und unschuldig, wie er immer vorgibt, zu sein“ erklärte er mir. Und ich staunte nicht schlecht. In so jemanden hatte ich mich doch tatsächlich verliebt. Irgendwie ein bisschen aussichtslos, oder? „Nur gut, dass ich es jetzt weiß“ sagte ich gezwungenermaßen. Diese Stille war ja nicht zum aushalten! „Aber wieso hast du dann noch was mit ihm zu tun?“ „Weil ich naiv bin“ lachte er wieder. „Ich glaube immer noch, dass ich ihn irgendwann ändern kann. Aber man kann Menschen nicht ändern. Nur Wegweiser setzen, in welche Richtung sie gehen sollten. Aber wenn man die nicht sieht, so, wie Uruha und Reita, dann kann ich den beiden auch nicht helfen. Ich versuche es nur immer wieder. Eigentlich sollte ich schon längst aufgegeben haben.“ Ich konnte ihn durchaus verstehen. Ich war ja selbst so naiv. Selbst jetzt, wo ich das alles wusste, redete ich mir ein, dass es alles nur ein schlechter Scherz war. Dass das alles eigentlich nur eine große Lüge war. Obwohl, war sie das nicht eigentlich auch? „Liebst du ihn?“ Blöde Frage. Wieso sollte ich ihm sonst so hinterher rennen? Mich so von ihm ausnutzen lassen und nichts dazu sagen? Klein bei geben, weil er es war…? „Musst mir keine Antwort geben“ nuschelte er und schaute scheinbar angestrengt in eine andere Richtung. Was er wohl gerade dachte…? Dass ich ein Idiot war, weil ich Uruha nicht mal die Meinung sagte? Dazu war ich sowieso zu feige. Oder dachte er, dass er mir vielleicht würde helfen können? Nein, das würde auch nichts bringen, außer er konnte Gefühle verschwinden lassen. Beantwortete ich gerade meine eigenen Fragen schon wieder mit irgendwelchen Rechtfertigungen?! „Jedenfalls würde ich an deiner Stelle aufpassen. Bei ihm weißt du nie, woran du bist. Er geht durchs Leben, als könne er sich alles erlauben. So ist Uruha nun mal eben…“ Ich schwieg. Dachte noch einmal über alles nach. Uruha hatte also mit Reita geschlafen und so seine Freundin dazu gebracht, sich von diesem zu trennen. Er hatte mich und meine Hilflosigkeit ausgenutzt, um mich ins Bett zu kriegen. Wunderbar. Und dazu kam noch, dass er es mit voller Absicht getan hatte und es wahrscheinlich nicht einmal bereute. Ich verfluchte mich selbst für meine Blindheit. Wie hatte ich nur so dumm sein können?! „Wenn du willst, rede ich mal mit ihm“ bot Aoi mir schließlich an, aber ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab. „Ich warte lieber noch etwas, vielleicht ändert er sich ja doch… und vielleicht war es ja nur ein Ausrutscher.“ „Ich glaube eher, du warst der Ausrutscher, Ruki“ warf er mir plötzlich ohne Vorwarnung an den Kopf. Darauf wusste ich nicht wirklich etwas zu erwidern. Schließlich fing ich doch noch an zu heulen. Wie immer. Eigentlich hatte ich es bereits aufgegeben, es zu verstecken. Es hatte ja eh schon fast jeder gesehen. Langsam liefen mir einzelne Tränen über die Wange. Ich stemmte den Arm auf meinen Oberschenkel und vergrub mein Gesicht in der Hand. Die andere brauchte ich schließlich, um mich in meine Hose zu krallen, damit ich mich wenigstens ein bisschen abreagieren konnte. Leise schluchzte ich, wollte nicht allzu albern aussehen und schwächlich wirken, deshalb zügelte ich meine Lautstärke. Und wie ich eigentlich schon erwartet hatte, zog Aoi mich an sich und tröstete mich, wiegte mich leicht in seinen Armen. „Gomen, ich wollte dich nicht verletzen“ entschuldigte er sich. Aber das brauchte er eigentlich gar nicht. Er hatte schließlich nur die Wahrheit gesagt… „Nicht schlimm“ sagte ich mit noch immer gebrochener Stimme. Ich versuchte, mich wieder einigermaßen einzukriegen, doch es gelang mir nur mit Mühe. „Heult der schon wieder?“ fragte plötzlich eine mir vertraute Stimme und ich traute mich nicht, aufzuschauen. Ich wusste schließlich, wer das war und gerade ihn konnte ich jetzt am wenigsten ansehen… „Uruha, lass ihn lieber mal in Ruhe, ja? Geh wieder rein, du holst dir noch den Tod…“ wie immer musste Aoi ja mal wieder einen auf Mutter machen und ein gutes Wort einlegen. Irgendwie störte mich das gewaltig. „Mein Problem. Hält der eigentlich irgendwas aus? Ich meine, so tragisch war die ganze Sache jetzt auch nicht, oder, Ruki?“ Er hatte mich angesprochen! Aber was sollte ich denn auf so eine Frage bitte antworten?! „Such’s dir aus“ quetschte ich zwischen meinen Zähnen hervor, versuchte, nicht gleich erneut in Tränen auszubrechen und Trost bei ihm suchen zu wollen. „Bitte, dann nicht. Reita, gehen wir wieder rein? Langsam wird mir wirklich kalt“ hatte er also doch diesen blonden Oberbaka dabei? „Hai“ hörte ich von eben diesem und schon kurz darauf verschwanden sie scheinbar, denn Aoi zog mich wieder in seine Arme zurück und dankbar lehnte ich mich an ihn. „Hör nicht auf ihn, Ruki. Er hat keine Ahnung von Gefühlen. Aber deswegen darfst du ihm nicht böse sein, er kann selbst nicht dafür“ sagte er mit ruhiger Stimme und zog mich dann auf die Beine. „Komm, wir gehen rein.“ Ohne weiter zu diskutieren folgte ich ihm zurück in das warme Gebäude. Zum Glück hatten wir morgen den letzten Schultag vor den Ferien, dann würden wir endlich mal raus dürfen. Aber da ich sowieso keine Ahnung hatte, wo ich sonst hingehen sollte, würde ich endlich zu Kai können… Der restliche Schultag war ohne Probleme verlaufen, ich hatte Aoi gebeten, in meiner Nähe zu bleiben, auch, wenn ich ihm noch nicht wirklich erklärt hatte, wieso. Er hatte gesagt, er würde mehr wissen, als ich hatte zugeben wollen, aber gesagt hatte ich nichts mehr. Nun saßen wir beide allein auf seinem Zimmer. Er hatte abgeschlossen. Reita war mit Uruha in die Stadt gegangen, ein paar Sachen für ihre Abreise morgen einkaufen. Aoi hatte mir erzählt, dass Uruha mit zu Reita gehen würde über die Ferien. Sie würden bereits abends fahren. „Du kannst auch mit zu mir kommen“ bot Aoi mir nun schon zum zweiten Mal an. Ich jedoch schüttelte den Kopf. „Ich wollte Kai eigentlich gestern schon anrufen, aber ich hab’s nicht mehr geschafft. Ich hol das noch nach“ sagte ich ruhig und setzte mich an das andere Ende seines Bettes, ihm gegenüber. Zwang mich zu einem müden Lächeln. „Du musst morgen nachsitzen?“ fragte er. Ich nickte und nannte ihm die Uhrzeit, wie lange und wann ich wieder im Zimmer sein würde. Hoffte, dass er genug Fragen gestellt hatte. Doch dem war nicht so. „Woher sind die? War das auch Uruha?“ Er meinte wohl die blauen Flecken an meinen Armen. Wieso eigentlich sollte ich ihm die ganze Sache vorenthalten? Immerhin wusste er schon mehr als die Hälfte, also konnte ich ihm den Rest auch noch erzählen. „Eto“ begann ich und räusperte mich. Angestrengt konzentrierte ich mich auf irgendeinen belanglosen Punkt im Zimmer. Schon bald redete ich mir ein, dass das halb geleerte Limonadenglas neben Aois Bett höchst interessant war. „Ich hatte im Unterricht schon einiges aufgeschnappt, was sie hinter mir geredet haben. Sachen wie ‚Weichei’ und so… und dann war die Stunde zu Ende. Ich wollte mich noch sicher aus der Klasse bringen, aber sie haben mich abgefangen. Und dann…“ eigentlich brauchte ich doch gar nicht mehr weiter sprechen, oder? Den Rest konnte er sich ja wohl auch so denken… „Das tut mir Leid“ flüsterte Aoi schon fast. Eigentlich konnte er sich sein Mitleid auch sparen. Schließlich wusste ich ja jetzt, wie bemitleidenswert ich doch war. „Muss es nicht“ sagte ich bestimmt und lächelte, um meine kleine Lüge noch zu bestärken. Eigentlich wollte ich ja Mitleid von ihm. Ich wollte es nur nicht zugeben! „Ich will dir sagen, was ich weiß über die ganze Sache, hai? Ich meine, bevor du morgen gehst…“ Also wusste er doch noch ein bisschen mehr. Nur zu, sollte er mir alles auf die Nase binden, was Uruha sich da schönes ausgedacht hatte. „Schieß los“ sagte ich und lehnte mich schon mal zurück, wartete halb gespannt und halb aufgeregt, was er mir erzählen würde. „Ich hab einige Male von ihren Gesprächen mitbekommen. Wie Uruha und Reita über dich gesprochen haben. Und begeistert war ich nicht wirklich, du hast mir schon damals Leid getan und ich hätte was sagen sollen…“ „Ich mag den Kleinen irgendwie nicht“ sagte Reita mit spöttischem Unterton. „Und der zieht bei dir ein, hai? Für die ganzen nächsten Jahre?“ „Hai“ bestätigte der Blonde das ganze und lachte verspielt. Er lehnte sich in die roten Samtkissen zurück und bedachte Reita mit einem abschätzenden Blick. „Was denkst du?“ „Ich glaub, du kriegst ihn nicht“ grinste der Angesprochene, zupfte dabei sein Nasenband zurecht und trank dann weiter von seiner Cola. „Nicht?“ wunderte sich Uruha. „Ich krieg jeden, den ich haben will. Hat man doch bei dir gesehen!“ „Mou, du hast mal gesagt, ich wäre n Fehler gewesen! Was denn jetzt?!“ „Reita, du warst definitiv kein Fehler. Wie gesagt, durch dich hab ich die Liebe zum Männer entjungfern entdeckt“ lachte Uruha wieder und zwickte dem anderen leicht in die Wange. „Schmoll nicht und sag mir lieber, wie ich mich verhalten soll dem Neuen gegenüber!“ „Ich an deiner Stelle würde nett sein“ Reita schob sich ein Zitronenbonbon in den Mund. „Solange er dir aus den Händen frisst, kriegst du ihn sowieso. Dann bist du ihn auch als Zimmergenossen wieder los. Musst eben nur dafür sorgen, dass er das ganze nicht auf dich schiebt!“ „Ist ihm ja toll gelungen“ gab ich ganz ehrlich zu. Schließlich hatte ich das ganze ja nicht auf ihn, sondern auf mich geschoben. Dabei hatte diese Lüge, die ich somit auch noch bestätigt hatte, nicht mal annähernd mit mir zu tun gehabt. „Hai, aber an deiner Stelle würde ich mit eigenen Mitteln zurückschlagen“ sagte Aoi zwar etwas zögernd, aber dennoch klang er sehr ernst bei seinen Worten. „Ich meine, ich würde mir das nicht einfach so gefallen lassen!“ „Aber ich glaub, ich kann das nicht“ gab ich ehrlich zu. Das stimmte ja auch. Ich konnte wirklich nicht, denn schließlich liebte ich Uruha ja wirklich… „Na ja, ich kann dich zu nichts zwingen“ sagte Aoi letztendlich nach einem kurzen Moment des Schweigens. Ich nickte, stand auf und wollte mich verabschieden. „Ich glaub, ich hab genug gehört. Ich kann mir denken, wie oft Uruha noch fast aufgegeben haben muss, um mich rumzukriegen. Diese Art, die er mir so aufgesetzt vorgespielt hat, aufrecht zu halten, war bestimmt nicht leicht, vorzuspielen. Nicht schlecht, dachte ich mir. Dann stand ich auf. „Ruki, ich…“ Gerade, als ich zur Tür gehen wollte, hielt Aoi mich noch einmal auf und schien etwas beschämt. Er schaute zur Seite. Wieso bloß? „Ich wollte dir nur sagen… wenn du reden willst oder Trost brauchst, kannst du mit mir über alles reden, hai?“ Ich musste doch leicht lächeln und ging noch einmal zu ihm hin, wuschelte ihm durch die Haare. „Arigatou, Aoi-chan“ bedankte ich mich freundlich bei ihm und verabschiedete mich dann in mein Zimmer zurück. Das sollte ja noch ein prima Abend werden, denn jetzt würde ich zwangsläufig wieder mit Uruha allein sein… Zurück in meinem Zimmer fand ich zwei leere Betten vor, ich seufzte leise und schloss die Tür wieder hinter mir, drehte den Schlüssel um und hoffte, nicht gleich etwas peinlich berührt meinen Zimmergenossen im Bad vorzufinden. Langsam lief ich zur Badezimmertür und öffnete sie, lugte durch den Türspalt und stellte mit Erstaunen fest, dass auch dieses Zimmer leer war. Gut, dachte ich mir. Also lief ich rüber zu meinem Nachtschrank und kramte nach meinem Handy, in welches ich sogleich Kais Nummer eintippte. Ich drückte den kleinen, grünen Hörer und es ertönte ein Freizeichen. Dann ein leises ‚klick’. „Hai, Kai desu.“ „Konban wa, friend.“ Er lachte und hustete plötzlich ein paar Mal. Ich war überrascht. „Hast du dich erkältet?“ fragte ich und setzte mich auf mein Bett, machte es mir gemütlich. „Hai“ antwortete er mir. „Ist aber nich so schlimm. Wie geht’s dir, Kumpel?“ Ich seufzte. Sollte ich ihm von all meinen wunderbar spannenden und fröhlichen Erlebnissen erzählen, die ich innerhalb der letzten drei Wochen gehabt hatte? Das würde ihn sowieso nur nerven. Aber was war mit dem kleinen Problem, was ich da mit meinem Mitbewohner hatte…? „Ano“ begann ich und kratzte mich am Kopf. „Was soll ich sagen… ich fühl mich körperlich und seelisch grad nicht so toll…“ „Doshite?“ kam es wie aus der Pistole geschossen. Ja, das war eben Kai, so, wie ich ihn immer gekannt hatte. Also hatte er sich nicht verändert und war immer noch genauso besorgt um seine Freunde, wie damals. „Ich hab mit Uruha geschlafen“ stieg ich sofort ins Thema ein. Und wartete Kais Reaktion ab. Doch die kam anders, als erwartet. Denn er sagte nichts. Nicht mal ein Schimpfwort oder eine Anschuldigung! „Kai?“ „Hai?“ „Daijobu desu ka?“ „Hai.“ „Warum sagst du dann nichts?“ „Was soll ich denn sagen?“ Sollte ich mich jetzt schon selber für ihn anschreien und beschimpfen?! „Sowas wie ‚Hast du sie noch alle’ oder so bleibt aus?“ „Anou“ fing er diesmal an und lachte leise, hustete dann wieder. Er klang wirklich heiser. „Ist deine Sache, oder? Wieso soll ich dich beschimpfen oder dich deshalb aufziehen? Wenn du es gewollt hast und es dir gefallen hat, ist doch alles in Ordnung. Oder war es so schlimm?“ „Iie, das war es nicht“ bestätigte ich. „Na, siehst du? Ist doch schön, ich freu mich für dich!“ „Aber da ist noch was anderes“ brachte ich schließlich hervor und sah mich noch einmal prüfend im Zimmer um, ob Uruha auch wirklich nicht da war, oder ob er nun in irgendeiner dunklen Ecke saß oder sich hinterm Staubsaugerschrank versteckt hatte… „Nani?“ wollte Kai wissen und klang wieder sehr ernst. Das mochte ich eben so an ihm… „Jetzt ignoriert er mich… ist nicht mehr so nett und freundlich, wie am Anfang und spielt auch nicht mehr vor, mich wirklich gern zu haben…“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. Nach einer kurzen Weile sprach er weiter. „Er war nur nett zu dir, um dich ins Bett zu kriegen?“ „Hai“ bestätigte ich ihm. „Ich hab’s von Aoi gehört, er hat mir alles erzählt. Uruha hat mal mit Reita geschlafen, auch einer aus meiner Klasse. Muss wohl schon ein Jahr oder länger her sein, aber Reita ist jetzt sein bester Kumpel und mit ihm hat Uruha auch alles geplant, wie er mich am besten rumkriegt.“ „Ist das dein Ernst?!“ schrie er fast in den Hörer. „Wo ist der Kerl?! Bring ihn mir und ich reiß ihm eigenhändig den Kopf ab!“ „Beruhig dich wieder, Kai. Ich komm schon klar“ log ich. Nein, ich kam nicht klar. Das war ja das Problem. Eigentlich war ich mal wieder an einem meiner seelischen Tiefpunkte angelangt und hätte jetzt eigentlich jemanden gebraucht, der mich tröstete. Aber zu Aoi wollte ich jetzt nicht rennen, das hätte wirklich ein bisschen absurd ausgesehen, wenn ich mich jetzt von ihm über Uruha hinwegtrösten ließ, oder? „Genauer, bitte. Uruha hatte von Anfang an geplant, dich ins Bett zu kriegen. Deshalb war er die ganze Zeit gezwungenermaßen überfreundlich zu dir?“ „Hai, hat mich vor all diesen Idioten, die mich hier mobben, in Schutz genommen und jetzt macht er selber mit“ ergänzte ich ihn. „Und weil er jetzt hatte, was er wollte, lässt er dich hängen?“ Ich bestätigte ihm seine Feststellung mit einem bejahenden Laut und stand dann auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. „Dieser Idiot. Damit eins klar ist, du kommst in den Ferien zu mir und dann vergisst du diesen Oberbaka für zwei Wochen einfach mal. Das wird dir sicher gut tun“ sagte er mit aufmunternder Stimme. Ich war ihm mal wieder sehr dankbar und leerte mein Glas Wasser in einem Zug. „Hai“ lachte ich leise. „Ist wohl wirklich besser.“ Plötzlich hörte ich, wie jemand versuchte, die Klinke unserer Zimmertür runterzudrücken. „Kai, ich muss auflegen, hai? Ich ruf dich morgen noch mal an, hai?“ Er schien zu verstehen und hustete wieder. „Hai“ kam es gekrächzt durch den Hörer und ich musste mitleidig schmunzeln. „Ich sag dir dann, wann ich dich abholen kann. Bis dann! O yasumi nasai!“ „Hai, mata ne“ sagte ich noch, bevor ich eilig auflegte und mein Handy in der Hosentasche verschwinden ließ. Genau in diesem Moment ging die Tür auf und mein Mitbewohner kam rein, er sah ziemlich fertig aus. „Was n mit dir los?“ fragte ich beinahe schon lustlos, wollte eigentlich gar keine Antwort haben. Uruha schloss die Tür hinter sich wieder ab und ging dann schnurstrax zu seinem Schrank, holte sich seine Schlafklamotten raus und schaute mich dann von der Seite an. „Nichts, war eben n stressiger Tag“ meinte er bloß und machte sich dann auf in richtung Bad. Ich schaute ihm noch kurz nach, ehe ich mich, nachdem er endgültig im anderen Raum verschwunden war, selber umzog und meine Klamotten in den Wäschesack gab, der morgen abgeholt würde. Mein Handy legte ich zurück in meinen Nachtschrank und schließlich schmiss ich mich auf mein Bett, wartete, bis ich endlich ins Bad konnte. Nach etwa zwanzig Minuten öffnete sich die Badezimmertür und Uruha kam mit halb geschlossenen Augen heraus, rieb sich diese verschlafen und legte sich ins Bett, deckte sich zu und drehte sich zur anderen Seite. Ich grinste, er sah irgendwie einfach nur zu süß aus… „Geh dich endlich waschen und mach das Licht aus, ich bin müde“ hörte ich ihn nuscheln und ich stand auf, um meine Sachen zu holen. „Rede nicht so scheiße mit mir“ sagte ich leise, aber verständlich, während ich nach einer sauberen Shorts kramte. Er lachte auf. „Wieso rede ich scheiße mit dir? Ich hab dich doch nur gebeten, gleich das Licht auszumachen, wenn du wiederkommst!“ „Nein“ widersprach ich. „Du hast es mir befohlen und eigentlich kannst du das auch ruhig selber machen. Sei nicht so faul.“ Ich verschwand im Bad und ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. Jetzt war ich es wirklich satt, dachte ich. Müde drehte ich den Wasserhahn auf und ließ kaltes Wasser über meine Hände laufen, spritzte es mir ins Gesicht und wischte die restliche Schminke ab. Dann betrachtete ich mein Spiegelbild erneut, verzog das Gesicht angewidert. Meine schwarze Augenschminke war mir über beide Wangen verlaufen und mein Make-up tropfte mit Wasser vermengt dickflüssig von meinem Kinn. „Ein Monster“ flüsterte ich tonlos und wusch mir schnell das Gesicht zu Ende, trocknete mich dann ab. Ich tat mir Zahnpasta auf die Bürste und schob sie mir in den Mund. Während ich putzte, setzte ich mich nachdenklich auf die Kloschüssel und sogleich fiel mir mein Songtext ein, den ich noch zu Ende bringen wollte. In Gedanken führte ich ihn weiter. -aa kono mama dou ni demo shite sono te ni itsuwari ga nai nara POKETTO no naka no NAIFU goto "watashi wo tsurete nigete yo" mada tomanai ame ni utau wa SHATSU ni kobiri tsuite kienai sabi kusai tsumi to tsumi to tsumi wo hayaku arainagashite REIN Darlyn... anata ni matowaritsuku shitto wo ubatta ima anata no mune ni shizumu watashi wa yuiitsu na no? kasa mo sasazu ni iki wo kirashite watashi wo sagasu anata wo mitsuketa toki totemo ureshikatta mou sore dake de... ato wa kotoba mo kawasazu sono toki wo matsu wa-[3] Zufrieden mit dem, was ich mir gerade so zusammengedacht hatte, putzte ich meine scharfen Beißer zu Ende und spuckte die leicht rötliche Flüssigkeit ins Waschbecken, spülte den Mund aus und verließ dann das Bad, um mich noch schnell meiner Kladde zu widmen. Was Uruha dazu sagen würde, war mir sowas von egal. Schnell schrieb ich das eben Gedachte auf, überlegte dann, wie ich weitermachen konnte. -ASUFARUTO to ame no WARUTSU wo kikinagara futari dakiatte koboresou na yowasa gomakashite amai KISU ni oboreteitai no yasashii jounetsu de afureru anata no sono kasha na te wa itsuka no yakusoku wo nokoshi akai SAIREN ni te wo furu SAYONARA ai shite tomanu hito SAYONARA toozakaru anata e zaratsuita shitasaki ni nokoru saigo no anata wo shinjite tsugi au ao no hi "ame" ga furu nara anata ni kasa wo sasu kara-[4] Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss ich das kleine Büchlein und legte es sorgfältig in meinen Nachtschrank, den ich eilig abschloss und den Schlüssel wie immer unter meinem Kopfkissen versteckte. Einen letzten Blick wagte ich zu dem Blonden neben mir im Bett. Und traf den seinen. Doch in seinen Augen waren keinerlei positive Gefühle zu sehen, eher Abneigung und Langeweile. Ich langweilte ihn also. Wunderbar. „Was ist?“ fragte ich gespielt unwissend, doch ich hatte seine Gedanken schon längst durchschaut. „Vergiss nicht das Licht“ grinste er, bevor er die Decke über sich zog und sich auf die andere Seite drehte. Ich seufzte und stand auf, lief rüber zum Lichtschalter und drückte ihn, sodass die Glühbirnen der Deckenlampe sich auch mal eine Ruhepause gönnen konnten. Genau, wie mein Kopf, der sich langsam mit dem Gedanken anzufreunden schien, endlich im Bett zu liegen und zu schlafen, den vergangenen Tag zu vergessen und von angenehmeren Dingen zu träumen. Diesem Gedanken kam ich gern nach, legte mich ins Bett und schlief schnell ein, jedoch nicht, ohne noch einmal einen Gedanken an den Blonden neben mir im Bett zu verlieren. Wieder wurde ich durch Uruhas Genörgel geweckt, welches eigentlich schon zu einem besseren Wecker geworden war als mein Handy selbst. Genervt schaute ich auf und entdeckte den Blonden, wie er mal wieder halbnackt durchs Zimmer stampfte und irgendwas zu suchen schien. „Was soll denn der Krach? Suchst du was?“ fragte ich und rieb mir verschlafen die Augen, richtete mich in meinem warmen Bett auf. „Ich find mein Oberteil nicht! Hast du an meinen Sachen gesessen?“ wollte er fast schon drohend wissen. Spinnte der Kerl eigentlich? Ich passte nicht mal annähernd in dessen unnatürlich erotische Fummel rein, geschweige denn, das ich sowas überhaupt jemals angezogen hätte! „Hast du nen Knacks weg? Ich versink doch in den Klamotten“ sagte ich beiläufig, stand auf und lief richtung meines kleinen Lieblingsraumes mit dem süßen Waschbecken und der niedlichen Klobrille, die einen morgens so schön schief anlächelte. Erstmal aufs Klo, dann war ich auch ausgeschlafen. Schnell schloss ich die Tür hinter mir ab und grinste über einen entnervten Uruha, der wie bekloppt rumfluchte und ab und an gegen die Tür hämmerte. „Lass mich in Ruhe und such meinetwegen weiter dein Oberteil“ nuschelte ich, jedoch leise, ohne, dass ich es überhaupt selber wollte. Ich wusste gar nicht, dass ich mal wieder so schizophren veranlagt war heute Morgen… Das war ich eigentlich immer… Stimmte auch wieder! „Bist du mal bald fertig da drin?! Ich will auch noch!“ „Du hattest doch vorhin schon genügend Zeit, oder?“ brüllte ich schon fast durch die geschlossene Tür zurück. Wenn man mich bei meiner Morgentoilette störte, konnte ich sehr aggressiv werden, selbst zu den Leuten, bei denen ich das eigentlich vermeiden wollte. „Trotzdem“ kam es nur trotzig zurück und ich spülte schließlich ab, zog meine Hose wieder hoch und öffnete dann die Tür, um einen völlig aufgedrehten Uruha endlich wieder ins Bad zu lassen. Etwa eine Stunde später waren wir dann auch endlich mal soweit, dass wir zum Unterricht konnten und dort wurden wir schon beide erwartet. Aoi begrüßte uns beide, lächelte wie immer freundlich. Reita grinste mich jedoch nur an, widmete sich dann lieber Uruha, der ihm sowieso schon lachend entgegen gekommen war. Ich jedoch zog es vor, lieber bei Aoi zu bleiben. „Alles klar?“ fragte er mich sogleich besorgt und musterte dabei Uruha und mich verdächtig. „Hai“ sagte ich beruhigend und lächelte, um meine Antwort noch zu bekräftigen. Gemeinsam gingen wir in die Klasse und setzten uns auf unsere Plätze, warteten. Währenddessen redete ich, unbemerkt von Uruha, mit dem Schwarzhaarigen. „Ich denke, nach den Ferien ist alles wieder okay zwischen uns beiden“ meinte ich gespielt gelangweilt und setzte ein passendes Gesicht auf, wie es meine Schauspielerkunst eben zuließ. Innerlich jedoch zerriss es mich fast, darüber nachzudenken, dass ich Uruha nun zwei Wochen nicht sehen würde. Aber das wollte ich nicht zugeben, würde ich doch so eine Schwäche mehr zeigen. „Hoffe ich auch“ sagte Aoi und schaute prüfend zu meinem Mitbewohner rüber. „Er wird sich nie ändern. Aber das ist eben Uruha. Kann man nichts machen. Wirst du denn in den Ferien nun zu Kai gehen?“ Ich musste lächeln. Diese Frage hatte er mir jetzt mindestens schon zweimal gestellt und ich hatte immer wieder dasselbe geantwortet. „Hai, die ganzen Ferien über. Die ganzen vierzehn Tage, inklusive Übernachtung und Abendessen“ lachte ich und wuschelte dem mir gegenüber sitzendem durch die Haare. „Gomen, aber ich weiß nicht, wieso ich mir da so große Sorgen mache“ nuschelte er jedoch nun und brachte mich so zum stutzen. Was sollte denn das heißen? Er machte sich Sorgen? „Nani?“ „Na, weil ich dann gar nicht weiß, wie’s dir geht“ sagte er nun noch leiser und kuckte weg. „Ich weiß nicht, wo du bist, ich weiß nicht, ob es dir gut geht oder ob du Hilfe brauchst und so weiter…“ Machte er sich also ernsthaft Sorgen um mich…? „Aoi, mir wird’s schon gut gehen, schließlich bin ich bei Kai!“ Und schon stand auch der Sensei in der Klasse und begann sofort mit dem Unterricht. Nach der Stunde hatte er uns, Uruha und mich, noch darauf hingewiesen, dass wir heute Nachsitzen hatten. Und genau da befanden wir uns jetzt. Allein in einer Klasse sitzend, einander ignorierend und irgendwas schreibend. Ich fühlte mich unwohl. Verdammt unwohl. Denn wieder war ich mit ihm allein und diesmal war er nicht müde. Ich traute mich kaum, auch nur einen Mucks zu machen und hielt deshalb meinen Mund, öffnete ihn lediglich, um mir über die trockenen Lippen zu lecken und atmete fast lautlos. Es war mir deutlich zu still, denn auch er gab keinen Laut von sich, sodass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. „Oy“ drang es plötzlich an mein Ohr und hätte ich mich nicht prompt mit einer Hand an der Tischkante festgehalten, wäre ich wahrscheinlich vom Stuhl gekippt vor Schreck. „Merkst du eigentlich nichts?“ Ich war etwas überfragt. Sah man das eigentlich? Machte ich eigentlich ein bestimmtes Gesicht, wenn ich mal keine Ahnung hatte? Oder sah ich einfach weiterhin nur so bescheuert aus, wie ich es sonst auch immer tat? „Wieso?“ Als Antwort lachte er leise und lehnte sich dann schon fast stolz und überlegen in seinen Stuhl zurück. Er saß zwei Plätze neben mir, so konnte ich ihn lediglich aus den Augenwinkeln sehen, da ich mich immer noch nicht traute, ihn anzusehen. „Oh Mann“ seufzte er. „Blitzmerker. Ich bin nicht so nett, wie ich aussehe. Aber ich find’s erstaunlich, wie du noch immer mit mir reden kannst, nachdem, was alles so passiert ist!“ „Wieso sollte ich nicht?“ ja, ja, meine Naivität… „Du bist echt n Vollbaka! Jeder normale Mensch würde mich jetzt hassen an deiner Stelle…“ Hatte er denn mit so einer Reaktion nicht gerechnet…? „Hm…“ Was machte ich eigentlich falsch? Ich wollte doch nur, dass er mich mochte, mehr nicht… „Wir können gleich gehen“ sagte er beiläufig und packte schon mal seine Sachen zusammen. „Ich kann dich aber nicht hassen“ rutschte es mir plötzlich raus und schon im nächsten Moment schlug ich mir selbst gegen die Stirn. So blöd wie ich war doch wirklich niemand… „Nani?“ lachte er verspielt und schulterte beinahe schon anmutig seinen Rucksack, während er mir beim einpacken zusah. „Du bist auch nicht besser, als die anderen. Wann kapiert ihr es eigentlich endlich? Ich bin nicht so nett, wie ich immer tue. Wenn ich habe, was ich will, könnt ihr mich alle mal, verstehst du das nicht? Ich will nichts von dir und hab auch kein Interesse an dir, du warst lediglich n kleiner Spaß, den ich mir mal gegönnt hab! Schlag mich dir aus dem Kopf, so einen wie dich will ich gar nicht. Nachher werd ich auch noch gemobbt und darauf kann ich eigentlich verzichten.“ Das hatte gesessen. Irgendwer stach mir gerade mit einem Messer ungefähr schon zum zwanzigsten Mal in mein Herz. Großartig, ich hatte mir mal wieder selbst eine Falle gestellt mit ihm, indem ich sein Spiel auch noch mitgespielt hatte. Jetzt hatte ich mich nicht nur zum Affen gemacht, denn Uruha würde das ganze unter Garantie in weniger als einer Woche unter die Leute bringen, sondern ich hatte mir auch noch mit meiner Schwärmerei die ganze Zeit selbst etwas vorgemacht. Hatte mir eingeredet, dass es nur eine Phase gewesen wäre, dass Uruha sich so benahm. Aber er war wirklich ein Arschloch. Doch wieso zum Teufel wollte ich es nur nicht wahrhaben?! Beinahe ließ ich meinen Block aus der Hand fallen, ehe ich mich doch noch besinnte und ihn einpackte, mir nichts anmerken ließ. Die Tränen schluckte ich runter. Wortlos lief ich den Gang entlang richtung Aois Zimmer. Ich brauchte jetzt jemanden zum Reden. Jemanden, der mich tröstete. Und ich hoffte schon mal, dass Reita nicht da war, denn auf den konnte ich jetzt genauso gut verzichten, wie auf Uruha. Uruha. Schon wieder dieser Name. Jeder zweite Gedanke kreiste um ihn, ich wurde ihn nicht mehr los. Er war fast schon wie eine süße Krankheit für mich geworden, seine ignorante und hinterhältige, eiskalte und gefühlsleere Art zog mich magisch an. Ich hatte ja schon immer einen Faible für die Bösen gehabt, aber so sehr, wie für ihn, hatte ich noch für niemanden geschwärmt. „Aoi?“ fragte ich leise, als ich an die Tür klopfte. Meine Stimme klang wirklich ziemlich heiser und trocken, sie konnte jeden Moment versagen, dachte ich. Nach einem kurzen Moment wurde mir die Tür geöffnet und der Schwarzhaarige stand vor mir, zog mich sogleich in seine Arme. „Ich hab’s schon gehört, Uruha war hier und hat Reita abgeholt. Es tut mir so Leid, Ruki…“ tröstete er mich und zog mich ins Zimmer, schloss dann die Tür hinter sich ab. „Setz dich da hin, dann erzählst du mir alles, hai?“ Ich tat, wie er es mir vorgeschlagen hatte und begann, alles noch einmal von vorn bis hinten durchzugehen, schilderte ihm sogar jede Bewegung von Uruha, jedes Zucken mit der Wimper und jede seiner Reaktionen. Und Aois Reaktion verunsicherte mich, denn er sah mich mit immer größeren und ungläubigeren Augen an. „Was denn?“ fragte ich, als ich geendet hatte und er noch immer nichts dazu sagte. „Nichts“ meinte er nur und schlagartig veränderte sich seine Miene wieder. „Und das hat er alles wirklich gesagt…?“ Plötzlich wurde es mir bewusst. Alles, was Uruha gesagt hatte, ergab für mich plötzlich einen Sinn und ich realisierte, dass es wirklich alles passiert war, wie ich es eben erzählt hatte. Wie in einem schlechten Traum, dachte ich, denn eigentlich stimmte es ja auch. Ich wünschte mir in diesem Moment einfach, dass es ein Traum gewesen wäre. Und ich ließ meinen Tränen freien Lauf, konnte sie nun nicht länger unterdrücken. „Ruki“ flüsterte Aoi und zog mich in seine Arme, drückte mich an sich und wiegte leicht hin und her. „Hey, ich kann dich verstehen. An deiner Stelle wäre ich auch ziemlich verletzt, aber ich will dir einen Rat geben und ich möchte dich bitten, wirklich mal drüber nachzudenken, hai? Ich denke, du solltest loslassen. Kette dich nicht an ihn, er ist es nicht wert. Er hat dich nicht verdient, Ruki.“ „Die ganze Welt hat mich nicht verdient, sie ist viel zu schade für mich“ schluchzte ich und klang dabei so verzweifelt, dass es mich schon selbst wieder anekelte. „Unsinn!“ Stimmte aber trotzdem… „Aoi, ich kann ihn nicht vergessen“ wimmerte ich wieder leise und klammerte mich noch fester an ihn. „Ich will ja…“ „Versuch es bitte“ sagte er plötzlich nach einer Weile und streichelte mir durchs Haar. Mir wurde unwohl. „Ich kann dich nicht leiden sehen, Ruki…“ Ich hatte mich wieder etwas beruhigt und drückte mich leicht weg von ihm, sah ihm in die Augen. „Wie meinst du das?“ fragte ich unsicher und mir wurden die Tränen sanft aus dem Gesicht gewischt. „Ich will nicht, dass er dich so sehr verletzt… das kann ich nicht mit ansehen“ noch immer ruhte seine Hand auf meiner Wange und streichelte sie leicht. Allmählich wurde ich sauer. Wieso, wusste ich selber nicht. Aber ich wurde sauer. Vielleicht, weil er mir gerade meine Liebe ausreden wollte…? „Ruki, ich weiß, du hast viel durchgemacht mit ihm… aber kannst du ihn nicht einfach vergessen? Für… für mich?“ Ich machte ein zweifelndes Gesicht und schlagartig wurde mir bewusst, was er wohl meinte. Also lief es schon wieder auf dasselbe hinaus, hai? Gut, das konnte er haben. „Wie du meinst“ sagte ich und zog ihn näher, küsste ihn sofort und ohne zu zögern. Merkte leichten Widerstand. Doch das störte mich nicht, ich machte weiter. „Ruki“ keuchte er, als er sich von mir losgemacht hatte. „Was machst du…?“ „Schnauze“ befahl ich schon fast und drückte ihm erneut meine Lippen auf, diesmal fordernder. Dann setzte ich mich unerlaubterweise auf seinen Schoß und begann, ihn zu streicheln. Es gab mir ein Gefühl der Befreiung, schon fast eine Genugtuung. Etwas in mir fiel von mir ab. Was genau, wusste ich nicht, aber als ich das festgestellt hatte, machte ich weiter und ignorierte seine Abwehrversuche. „Ruki, lass das“ winselte er und schob mich leicht von sich weg, aber ich überbrückte den Abstand zwischen uns schnell wieder und kostete nun von seiner Haut, leckte beinahe schon genüsslich über seinen Hals. Und als meine Hand, die in seinen Schritt gewandert war, nun leicht zudrückte, keuchte er leise auf. Erfolg. „Siehst du? Was willst du denn? Hör schon auf, dich zu wehren“ sagte ich und drückte ihn aufs Bett, um mich über ihn lehnen zu können. Dann öffnete ich schon fast gewaltsam seine Hose und schob währenddessen sein Shirt etwas nach oben, um mit meinen Lippen über die entblößte Haut fahren zu können. Von ihm kam nun noch mehr Widerstand, er schob mich von sich runter und wollte sich aufrichten, als ich ihn jedoch mit Gewalt wieder zurückdrängte und ihm die Hose nun endgültig runter zog. „Ruki, lass das! Hör auf damit!“ bettelte er nun schon fast und wehrte sich mit allen Mitteln, versuchte, mich wegzudrücken oder sich selbst aufzurichten, doch ich ließ ihn nicht. Als jedoch seine Abwehrversuche heftiger wurden, drehte ich ihn kurzerhand auf den Bauch und schnappte nach seinen Händen, hielt sie auf seinem Rücken fest. Nun schrie er auf vor Schmerz. „Ruki, ich will das nicht! LASS MICH LOS!“ sagte er nun etwas lauter und zappelte, zerrte an meinem Handgelenk, dessen Hand seine fest umschlossen hielt. Doch ich ignorierte es. Es gab mir endlich ein Gefühl der Dominanz. Endlich konnte ich das, was ich bekommen hatte, zurückgeben. Zwar nicht dem, der es eigentlich verdient hatte, aber das war mir nun auch egal. Ich wollte es endlich rauslassen. Ich öffnete mir meine eigene Hose und zog sie mir ein Stück runter, sodass meine erregte Männlichkeit frei wurde. Dann schob ich eine Hand unter sein Becken, drückte sein linkes Bein leicht zur Seite, sodass sie sich nun etwas spreizten und drang ohne Vorwarnung in ihn ein. Und sein Schrei erfüllte den Raum, ich dämpfte ihn mit meiner Hand, brachte ihn so schnell zum Schweigen. „Kai, ich hab was angestellt“ flüsterte ich leise, als ich in der Umarmung meines besten Freundes stand und diese erwiderte. Ich schluchzte leise. „Können wir endlich fahren?“ „Hai“ sagte er unsicher und half mir, meine Tasche in sein Auto zu laden. Ja, er durfte tatsächlich schon Auto fahren. Zwar eigentlich nicht ohne Begleitung, aber ich kannte meinen Freund und sowas störte ihn herzlich wenig. Wir packten meine Sachen schnell in den Wagen und stiegen dann ein. Kurz blieben wir still sitzen, schwiegen uns an und dann startete er den Wagen. „Was ist passiert?“ fragte er nach einer Weile, in der wir gefahren waren. Ich schluckte schwer und schaute aus dem Fenster, betrachtete den Regen, der auf die Scheiben des Autos prasselte und auf das Gebäude des immer kleiner werdenden Internats. „Ich hab meinen Schulkumpel vergewaltigt.“ [1] = Fortsetzung Songtext zu ‚Maggots’ [2] = Textauszug aus 'Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu' [3] = Fortsetzung zu 'Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu' [4] = Siehe [3] © ~*~*~*~*~ Tja, das war's erstmal ne ^^ Hoffe, ich hab euch nicht allzu sehr geschockt... o.o" Kommentare SEHR Willkommen ^^ Baibai das Uru-chan Kapitel 6: D.L.N. ----------------- Hoi di ho ^.~ Ich hab grad mal in die FF-Warteliste geschaut und festgestellt, dass es gar nicht lang dauern würde, jetzt ein Kapitel hochzuladen. Also tu' ich euch mal einen Gefallen.... für diejenigen, die gegen meinen Vorschlag waren ^-^ Hoffe, ich mach euch damit eine kleine Freude ^^ Dieses Kapitel ist übrigens GodCat gewidmet, weil ich sie ganz doll lieb hab und es mir Leid tut, weil ich mich so wenig bei ihr melde..... *drop* HDGDL ^-^ Ich weiß, es ist nicht lang, aber... trotzdem viel Spaß beim Lesen ^^ ~*~*~*~*~ Ich habe es von Anfang an gewusst… Dunkelheit. Mein Zimmer erscheint mir fremd. Wo ist bloß Reita? Wo ist Uruha? Wo sind meine Eltern, die mich jeden Moment abholen wollen? Alle lassen mich allein. Sogar meine Liebe. Und meine Liebe liebt mich nicht. Nein, wirklich nicht. Sonst läge ich jetzt nicht hier und würde weinen und lachen zugleich, bluten und mich heilen zugleich. Heilen durch längst überfällige Tränen. Nie wollte ich in seiner Gegenwart weinen, stark für ihn sein und alles tun, um ihn zu beschützen. Stattdessen ist er meiner Blindheit zum Opfer gefallen und ich habe ihn einem großen Fehler ausgeliefert. Niemals wollte ich das alles wahrhaben... und jetzt ist es passiert. „Ruki…“ Ich fühle die weiche Bettwäsche unter mir. Und etwas Nasses darauf. Ich weiß, was es sein könnte. Ich benetze meine Finger mit der feuchten Substanz und führe meine Hand dann zu meinem Gesicht, um sie anzusehen. Rot. „Itai…“ Ich möchte sterben. „Warum?“ Ich weiß selbst nicht, wieso mir dieser Gedanke gerade gekommen ist. Ich will es nicht wissen. Ich will, dass jemand mich findet. Oder auch nicht? Dann sehen sie meine Schwäche. Dann sehen sie, was meine Liebe aus mir gemacht hat. Ein Wrack, einen Schwächling und jemanden mit gebrochenem Herzen. Und ich möchte wieder lachen. „Aoi?“ Ich sage meinen eigenen Namen, fordere mich auf, aufzustehen. Wie gern ich doch jetzt bei ihm wäre. Und wie sehr ich mir doch wünsche, dass er zur Hölle fährt. „Steh endlich auf, zieh dir was an. Deine Eltern sind bald da…“ Ja, ein Lichtblick. Ich liebe meine Eltern. Besonders meine Mutter. Sie ist immer so verständnisvoll, tolerant und sie liebt mich, wie ich bin. Ob sie wohl auch meine Maske liebt? „Anziehen…“ Ich spreche in dem Ton meiner Mutter, wie sie mich früher immer morgens zur Schule geweckt hat. Liebevoll und tadelnd zugleich, denn sie wollte ja nicht, dass ich zu spät komme. Und dann bin ich immer aufgestanden, habe mich angezogen, so, wie jetzt, und ich habe gewartet, bis sie wiederkommt und mir sagt, dass meine Kleidung zusammenpasst und wie schick ich doch darin aussehe. „Du siehst schick aus, mein Junge“ sagt sie, während sie einen Schritt auf mich zu macht. Und sie lächelt so lieb, wie früher eben. Sie umarmt mich, küsst meine heiße Stirn und mein Vater hinter ihr sieht mich lächelnd an. Und ich lächle auch, ich tue es ihnen zuliebe. Ob sie denn auch wissen, wenn mich etwas bedrückt? „Mama?“ „Hai?“ Sie nimmt meinen Kopf in ihre Hände, sieht mich durchdringend an und schüttelt dann mit dem Kopf, sodass ihre langen Haare leicht hin und her schwingen. „Papa trägt deine Koffer, geh ruhig schon mal zu Auto, wir melden dich noch schnell ab.“ Ich laufe die schmale Treppe zum Hintereingang hinab, schaudere, als ich die kalte Luft spüre, die auf meine immer noch heiße Haut trifft. Und ich möchte nicht frieren. Ich sehe unser Auto. Ein Honda. Ein kleiner Familienwagen, in dem ich nun schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gefahren bin. Langsam hebe ich meine Hand, in der sich der Schlüssel befindet, wie in Trance schließe ich den Wagen per Knopfdruck auf und öffne die hintere Tür der Fahrerseite. Ich setze mich in die dunkle Kabine und schließe die Tür wieder. Es hat angefangen zu regnen. Nun sitze ich allein hier und warte auf meine Eltern, sehe mir die Schule von außen an. So, wie er es wohl auch getan hat, nehme ich an. Ob er wohl noch einmal an mich gedacht hat, bevor er gefahren ist? Ob er sich bewusst ist, was er damit angerichtet hat? „Ich will nach Hause“ murmle ich gegen die eiskalte Fensterscheibe und sie beschlägt, ich zeichne ein Herz darauf. Und dann einen Riss hinein. Ich sehe zwei vermummte Gestalten aus dem Schulgebäude kommen, die eine trägt einen Koffer und die andere hält sich angestrengt ihren Mantel zu. Meine Eltern eben. Der Kofferraum wird geöffnet und ein Koffer eingeladen. Dann wird er geschlossen, die beiden vorderen Türen geöffnet und meine Eltern steigen ein, frösteln, schließen die Türen. Dann schnallen sie sich an und verlieren kein Wort. Wir fahren los, ich lehne mich zurück und warte, bis wir das Schulgelände verlassen haben. Erst dann wende ich den Blick ganz ab, versinke in meine Gedankenwelt, die sich wieder nur um ihn dreht. Und ich möchte ihn wieder sehen, zugleich vergessen. Ich will mir selbst keine Fallen mehr stellen, will mir selbst nicht mehr widersprechen und mein eigener Feind sein durch meine Gefühle allein. Und ich will nicht mehr ständig an ihn denken müssen. Nein, ich wollte an ihn denken. Wollte ihm helfen und für ihn da sein, weil andere es nicht waren. Wieso bloß hat er nie etwas erwidert und ist auf Uruha reingefallen…? Ich werde zu sachlich, ich sollte nicht zu sachlich denken und werden. Das erregt mich. © ~*~*~*~*~ Ich freu mich wie immer über Kommentare! Man liest sich Ende des Jahres wieder... ^^ Baibai, das Uru-chan Kapitel 7: Shadow VI II I ------------------------- Ich bringe dich ans Ende der Traurigkeit… „Fühl dich wie zuhause“ sagte Kai, während wir in die kleine Wohnstube eintraten. Es sah noch immer alles so aus, wie früher. Die mit Fotos beklebten, weißen Wände, der Schuhschrank und der Bonsai standen an derselben Stelle und erinnerten mich an damals. Ich schluckte einmal schwer und zog mir dann die Schuhe aus, stellte sie ordentlich weg. Wie oft hatte ich hier früher meine Nachmittage verbracht? Wie oft hatten wir hier gelacht und geweint? Wir beide miteinander? Ja, wir hatten wirklich alles miteinander gemacht. Sogar Erfahrungen in Sachen Liebe ausgetauscht. Und im nächsten Moment schämte ich mich bereits wieder für diesen Gedanken. Kai zog seine Schuhe nun ebenfalls aus, stellte sie weg und zog seine Jacke aus. Dann lächelte er sein wärmstes Lächeln und nahm meinen Koffer, trug ihn bis zur Treppe, die nach oben in die Schlafzimmer führte. Ich mochte Kais Wohnung sehr, sie hatte Stil und war gerade groß genug, wirkte gemütlich und nicht prollig, aber auch nicht zu klein. „Ich bin zuhause“ murmelte ich und schmiss mich dann aufs weinrote Sofa, schloss für einen Moment die Augen und dachte an Nichts. Völlige Leere. Ein weißer Raum, in dem nichts war. Reinheit. Absolute Perfektion. Kein Schmutz. Und da fiel es mir wieder ein. Was ich getan hatte und was ich nun ein Leben lang bereuen würde. Mit welchem Schmerz ich nicht lange überleben würde. Wie weh es mir tat. Aber auch, wie sehr es ihm wehgetan haben musste. Und was war der Grund dafür? „Ruki? Hast du Hunger? Ich habe gestern Okonomiyaki gemacht und es ist noch was… übrig…“ Er war ins Zimmer gekommen und fand mich nun heulend auf dem Sofa vor. Wie erbärmlich er mich doch finden musste mittlerweile. „Was ist denn los?“ Das fragte er noch? Ich war von meiner großen Liebe verarscht worden und hatte meinen unschuldigen Schulfreund dazu ausgenutzt, es raus zu lassen… „Ist es wegen deinem Schulkumpel?“ Zu mehr als einem Nicken war ich nicht fähig. Aber schon wurde der Gedanke schon vom nächsten vertrieben. Wie mochte es wohl Uruha gehen? Ob es ihm gut ging? Ich wusste es nicht und das machte mich traurig. Ich wollte sicher gehen, dass es ihm gut ging, aber ich konnte nicht. Wie denn auch, wenn ich nicht mal seine Handynummer hatte…? „Ruki? Hörst du mir zu?“ Wieder schreckte ich aus meinen Gedanken und sah Kai fragend an. Er schien zu verstehen, auch, wenn ich nichts sagte. „Vergiss es. War unwichtig. Aber was anderes: was genau… war nun da zwischen Uruha und dir?“ Ich schluckte, wollte ihm nicht die Geschichte erzählen, die sich abgespielt hatte. Zu sehr tat es noch immer weh. Ich wollte meine Liebe nicht schlecht reden, auch, wenn alles, was ich zu sagen haben würde, der Wahrheit entspräche. Und ich sträubte mich dagegen. „Kai, ich… nimm’s mir nicht übel, aber… ich kann nicht darüber reden…“ Und wie ich es erwartet hatte, sah er mich verständnislos an. „Ruki, seit wir zusammen im Auto sitzen, bist du schon so seltsam drauf. Und ich weiß einfach nicht, was ich mit dir anstellen soll, verstehst du? Ich kann nichts für dich tun, wenn ich nicht mal weiß, was genau vorgefallen ist!“ Ich schluckte wieder, schluckte die neuen Tränen herunter und richtete mich dann auf, um allein zu sein. „Ich… ich kann nicht…“ Die Dunkelheit um mich herum schien immer erträglicher zu werden. Ich gewöhnte mich langsam an sie. Sie schien die Finsternis in meinem Herzen sogar noch zu übertreffen. Ich fragte mich, wie das noch möglich war. Leise hörte ich das Tropfen eines Wasserhahns nebenan. Es war mittlerweile ein beruhigendes Geräusch. Und sogar das Prasseln des Regens gegen mein Fenster war mir sympathisch. Es gab mir wenigstens noch das Gefühl, nicht ganz in Dunkelheit verhüllt zu sein und nichts mehr zu spüren. Denn in dieser Dunkelheit befand sich nur eine einzige Person, bei der ich mich stets so geborgen gefühlt hatte. Seltsam, dass sie nur wie ein Schatten aussah und keine Form hatte. Aber dennoch konnte ich ein Gesicht erkennen. Er lächelte mich an. Und immer wieder machte ich einen Schritt auf ihn zu. Immer weiter lief ich auf ihn zu, weiter in die Finsternis, weiter ins Ungewisse und weiter trieb ich dem Wahnsinn entgegen. Ich wusste nicht mal, was mich am Ende dieser schier ewigen Finsternis erwarten würde. Aber ich konnte nicht anders und lief einfach weiter. Stets im Kopf behaltend, dass ich niemals eine Chance haben würde, wieder herauszukommen. Und wissend, dass es kein gutes Ende nehmen würde. „Ruki! Mach die verdammte Tür auf und lass mich rein! So kann das doch nicht weitergehen!“ So ging es schon die ganze Zeit. Seit ich hier lag und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Seit zweieinhalb Tagen hockst du nur in deinem Zimmer und bemitleidest dich selbst, hast kein Wort mit mir darüber geredet, weshalb denn überhaupt und ich versuche immer wieder, dir was zu Essen anzudrehen, aber wenn du nicht langsam wieder was isst, wirst du krank, verdammt noch mal!“ Ich konnte es nicht mehr hören… es war unerträglich… er störte mich… es war kein gewohntes Geräusch… seine Stimme war unangenehm und passte nicht in mein momentanes Weltbild… „Langsam glaub ich echt, du hast sie nicht mehr alle! Das ist doch nicht normal! Was soll ich denn machen, hm? Wenn du nicht mit mir redest, kann ich dir nicht helfen! Aber dir muss doch geholfen werden! Sieh doch, was du aus dir machst, weil du dir nicht helfen lässt! Ich will nicht, dass du in deinem Selbstmitleid versinkst und nichts und niemanden mehr an dich ranlässt!“ Ich hätte jemanden an mich heran gelassen… „Ruki, es ist nicht mehr dasselbe, wie früher, siehst du das nicht? Wir sind doch die besten Freunde… und ich will nicht, dass du dein Vertrauen zu mir verlierst! Versteh mich doch! Du musst mich verstehen, hörst du? Ich will mir nicht so vorkommen, als würde ich mit einer Wand reden! Wenn du mich wenigstens reinlassen würdest…“ Eine Weile schwieg er. Endlich. Ich zählte die Sekunden. Dreißig. Einunddreißig. Zweiunddreißig. Dreiunddreißig. „Okay… ich hab verstanden. Du willst nicht mit mir reden, ja? Weißt du was? Du kannst auf meine Hilfe scheißen, ja? Gut, scheiß meinetwegen auf sie! Ich kann auch drauf scheißen, dich aus deinem Loch zu holen! Dann verkriech dich meinetwegen hinter deiner Mauer und lass niemanden mehr an dich ran! Schließ dich ein und verende an Hunger und Durst, aber sag nachher nicht, ich hätte dir nicht meine Hilfe angeboten! Ich wäre wirklich für dich da gewesen, hörst du? Du sollst wissen, dass es mir wehtut, dich so zu sehen! Aber irgendwann wird es zu viel, Ruki! Da toleriere ich deine Launen nicht mehr! Meinetwegen kannst du machen, was du willst, aber mir dieses Theater noch länger ansehen werde ich nicht! Scheiß auf Uruha, scheiß auf Aoi, scheiß auf das, was du angestellt hast, aber scheiß auch auf mich!“ … Stille. „ALS OB DU EINE AHNUNG HÄTTEST!“ Zwei Tage später. Und Kai hatte kein einziges Wort mehr mit mir geredet. Ich war zwar öfter aus meinem Zimmer gekrochen, aber wirklich viel hatte ich außerhalb von dort nicht getan. Lediglich hatte ich etwas gegessen und getrunken, das ganze dann wieder zum Klo gebracht und mir ablehnende Blicke von Kai geholt. Nun lief ich erstmals wieder durch die Straßen Tokios, am helllichten Tage, um mir eine neue Winterjacke zu kaufen. Allein. Mein Schritt führte mich zu vielen altbekannten Orten. Orte der Erinnerungen. Orte, an denen ich mich stets wohl gefühlt hatte. Weil sie in meiner Erinnerung positiv waren. Wahrscheinlich das Einzige, was in mir noch positiv war. Ich konnte ja nicht mal mehr mit meinem besten Freund reden, ohne in Tränen vor Selbstmitleid auszubrechen. Im Moment konnte ich Kritik am allerwenigsten vertragen, obwohl ich doch innerlich wusste, wie falsch es war, was ich tat. Aber Kai wollte mir nur helfen, das war es ja, was mich störte. Ich war stur und egoistisch, dachte immer nur an mich, weil ich die Gefühle der anderen nicht sehen wollte. Nie hatte ich gelernt, mit den Gefühlen anderer umzugehen, vielleicht einmal zu überlegen, was sie wirklich über mich dachten oder warum sie einige Dinge taten, die auf mich verletzend wirkten. Vielleicht war es oft nicht einmal Absicht gewesen, dass sie mich verletzten. Wenn der Tag lang (und vor allem scheiße) war, neigte ich sowieso, mir Dinge einzubilden oder einzureden, meist sogar so zu drehen, dass sie für mich einen Vorteil bildeten oder ich daraus Profit ziehen konnte, wenn er auch aus Mitleid oder Sorge um mich bestand. Es war mir egal, Hauptsache, mir wurde Aufmerksamkeit geschenkt und die durfte aussehen, wie es ihr lieb war. Alles, was ich jemals gewollt hatte und was ich nun noch immer wollte, war, dazuzugehören. Und da tat ich eben auch Dinge, die vielleicht falsch waren. Nur, um Anerkennung der anderen zu finden, suchte ich Wege, wie ich zu dieser gelangen konnte. Aber wie schwer oder falsch diese Wege waren, war mir noch immer egal. Der Laden, in den ich früher immer gegangen war, wenn ich Kleidung brauchte, hatte geschlossen. Ein großes Schild hang in dem einst mit Sonderangeboten prallgefüllten Schaufenster mit der Aufschrift ‚Zu Verkaufen’. Und da war sie verschwunden, die Erinnerung an diesen Laden. Vom einen auf den anderen Moment wusste ich nichts mehr. Wie es drinnen ausgesehen hatte, was ich zuletzt in diesem Schaufenster betrachtet hatte und wann ich überhaupt das letzte Mal in diesem Laden eingekauft hatte. Das alles war doch bis vor fünf Minuten noch da gewesen? Seltsam, doch ich beschloss, es zu ignorieren. Also würde ich weitergehen, mich nach einem anderen, billigen Laden umsehen. Und danach nach einem Ferienjob, um mir wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Der nächste Laden war so gut wie um die Ecke. Genau zwei Straßen weiter, wo ich früher einmal gewohnt hatte. In diesem Armenviertel gab es wenigstens noch billige Läden, die jedoch gute Qualitätsware hatten und Sachen, die mir gefielen. Darüber war ich sehr froh, denn wirklich viel leisten konnte ich mir nicht. Ich hatte gerade mal ein paar Tausend Yen dabei, um mir eine Jacke zu kaufen, das musste eben reichen. Doch es hatte nicht sollen sein, denn dieser Laden hatte ebenfalls geschlossen. Aber er wurde nicht verkauft, so, wie der andere. Musste ich eben doch zum Kaufcenter gehen und mich dort nach einer halbwegs bezahlbaren Jacke umsehen. Und dieses war nicht allzu weit entfernt, etwa drei Blocks weiter. Jedoch führte es an dem Block vorbei, von denen ich mich früher immer ferngehalten hatte, es so gut wie möglich vermieden hatte, ihm zunahe zu kommen. Denn dort trieben sich meist die gefährlichsten Typen der Gegend hier rum. Deshalb beschloss ich, einen kleinen Umweg zu gehen, denn auf eine gebrochene Nase und mehrere Zahnlücken konnte ich verzichten. Ich wählte den Weg durch das Obdachlosenviertel. Auch nicht viel sicherer, aber das war jetzt auch egal. Die Straßen waren seltsam leer heute. Sonst waren eigentlich immer viele unterwegs im Obdachlosenviertel. Irgendwie fühlte ich mich, als wenn ich Jahre nicht hier gewesen war. Alles war zwar vertraut, aber doch so anders auf eine Weise, die sich mir nicht erschloss. Ich wollte nur noch schnell zurück zu Kai, mit meiner neuen Winterjacke und dann wieder in mein Bett, weil es wieder anfing. Dieses seltsame Gefühl in meinem Bauch, das ich verspürte, seit ich mit Uruha geschlafen hatte. Eine süße Mischung aus Angst und Sehnsucht, ein stummer Schrei nach seiner Zärtlichkeit und doch das Flehen nach Erbarmen. Es war, als würde es mich in ein tiefes Loch reißen, in dem es keinen Boden gab, kein Anfang und kein Ende, kein Zurück. Innerlich zerfraß mich dieses unbehagliche Gefühl. Ein Kribbeln in meinem Magen, welches sich bis oben zu meinem Herzen heraufzog. Wie ein Reflex, sich vor etwas zu schützen, stieß es immer wieder seine schwarzen Hände nach oben, hinauf in meinen Kopf, und brachte mich zum Nachdenken. Es wollte, dass ich über etwas nachdachte, woran ich besser nicht denken sollte. Aber warum? Ich hatte keine Erklärung dafür, nicht mal, an was ich überhaupt denken sollte. Übersah ich etwas? Nein, sicher nicht. Dazu war die Angst, etwas übersehen zu haben, zu groß gewesen an jenem Tag, als ich meine Liebe für ihn entdeckt hatte. Aber das Kribbeln in meinem Bauch war kein gewöhnliches Angstgefühl, wie ich es früher immer gehabt hatte, wenn ich zum Zahnarzt musste. Es war etwas anderes und es hatte etwas zu bedeuten. Was es zu bedeuten hatte, sollte ich jedoch erst erfahren, als ich mein Ziel erreicht hatte. Vor dem großen Kaufcenter war ein riesiger Parkplatz, der gerade fertig gestellt worden war, als ich das Internat besuchen sollte. Aber dass er bis auf den letzten Parkplatz voll war und die Geschäfte dementsprechend gut besucht sein würden, war der kleinere Schock. Eher war es der junge Mann, der eine Zigarette rauchend auf einer Bank saß, von seinen Freunden umgeben, scheinbar vergnügt und vertieft in ein Gespräch. Leider hatte ich ihn zu spät hinter den vielen Autos entdeckt, als das ich noch die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu verstecken. Mich zu verstecken vor jenem, dem ich jetzt am allerwenigsten in die Augen sehen konnte. Aber er tat es gerade mit mir. Nun wusste ich, wo das Angstgefühl hergekommen war. So plötzlich und doch erahnt, hatte es mich ein paar hundert Meter vor dem Platz heimgesucht und nun sah ich den Grund dafür direkt vor mir, wollte nur noch schreien und wegrennen. Aber ich konnte nicht. „Ruki?“ Nein, er sollte weggehen, ich wollte ihn nicht sehen! Wegen ihm stiegen mir schon wieder Tränen in die Augen. Nein, er sollte nicht auch noch auf mich zukommen! Wie konnte er nur, nach allem, was passiert war?! „Was machst du denn hier? Bist du allein?“ Wieso wollte er das wissen? Stand genau vor mir und fragte mich, was ich wohl hier tat. Wonach sah es denn aus? Und was sollte denn bitte die letzte Frage? Hatte er Angst, dass ich meinen nicht existierenden, großen Bruder mitgebracht hatte, der mich davon abhielt, schlimme Dinge mit ihm zu tun? „Äh … ich geh mir ne neue Jacke kaufen …“, antwortete ich deshalb wahrheitsgemäß und zwang mich zu einem kleinen Lächeln. Und das vor ihm… „Wohnst du hier irgendwo?“, fragte er mich dann. Eine ganz normale Frage, aber mich machte sie unglaublich wütend. Legte er es etwa darauf an…? „Hai“, murmelte ich bloß und kuckte in eine andere Richtung, konnte sehen, wie sich seine Freunde zu uns umgedreht hatten. „Mein Gott, du Heulsuse, bist du etwa noch immer so geknickt wegen unserem kleinen One-Night-Stand? Das ist ja ätzend! Versteh das doch endlich! Ich will nichts von dir!“ Nun rastete ich aus. Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Überrannt von dieser Welle von Eifersucht, Wut und Traurigkeit schlug ich zu, die flache Handfläche traf sein Gesicht so hart, dass es laut knallte und seine Wange augenblicklich knallrot wurde. Er taumelte ein Stück zur Seite, hielt sich dann die schmerzende Stelle und für mich war es eine Genugtuung. Endlich hatte ich mich wenigstens ein bisschen entlastet. Und dann kam das Donnerwetter, all das, was ich loswerden wollte, kam hoch und ich brüllte es ihm ins Gesicht. „Wieso schläfst du dann mit mir?! Hast du eigentlich schon mal auch nur einen Moment darüber nachgedacht, wie ich mich fühle?! Wegen dir ist mein Leben komplett im Arsch! Weil ich mir Hoffnungen gemacht hab, verstehst du?! Wie konnte ich auch anders, bei dem, was du mit mir abgezogen hast! Ich dachte, du liebst mich! Du hast gesagt, du machst über sowas keine Scherze! Du elender Lügner verstehst dich scheinbar bestens darauf, andere seelisch fertig zu machen, was?! Weißt du eigentlich, was ich getan habe?! Wegen DIR?! Unverzeihliches, etwas, was ich nie wieder gut machen kann, weil DU mich kaputt gemacht hast! DU allein bist dran schuld, verstehst du?! Du hast mein ganzes Leben kaputt gemacht! Da soll ich noch jemandem vertrauen können? Jemanden lieben können? Mich bei dem entschuldigen können, den ich wegen DIR am meisten verletzt habe?! Ich sag dir was! Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden mehr gehasst, als mich selbst! Aber jetzt … jetzt tue ich es …!“ Sein Gesichtsausdruck hatte sich schlagartig verändert und er starrte mich fassungslos an, scheinbar geschockt von meinen Worten. Ich überdachte das eben Gesagte noch einmal, bemerkte, dass ich etwas indirekt verraten hatte, was ich besser nicht hatte verraten sollen. Aber anscheinend würde er nicht weiter darauf eingehen, denn bei meinen letzten Worten hatte sich ein Grinsen in seinem Gesicht angedeutet. „Wie du meinst“, sagte er und zuckte mit den Schultern, „da kann ich mit leben. War zwar nicht der schlechteste Sex, aber ich hatte sowieso schon besseren. Na ja, wenn du mal Langeweile hast, ich wohn nicht weit von hier“, fuhr er fort und ich musste erst noch einmal über diese Worte nachdenken, um zu wissen, ob er das jetzt wirklich gesagt hatte. Hatte er das wirklich gerade gesagt? „Leck mich“, antwortete ich trotzig und schubste ihn von mir, seine Nähe konnte ich jetzt nicht ertragen. Mit verhasstem Blick musterte ich ihn und schrie innerlich weiter, hoffte, betete, dass er endlich verschwand. „Ein andermal“, die Augen zu Schlitzen verengt und mich noch ein letztes Mal bösartig anfunkelnd, drehte er sich um und lief zurück zu seinen Freunden, welche mir allesamt irritierte Blicke zuwarfen und Uruha dann folgten, ihn scheinbar gerade mit Fragen löcherten. Und wieder fühlte ich mich schuldig. Schuldig für etwas, was so absurd war. Schuldig für etwas, was für mich trotzdem solch eine große Bedeutung hatte. Schuldig für etwas, woran ich keine Schuld trug. Aber schuld … das war ich an etwas anderem. © ~*~*~*~*~ Soooo ^^ nächstes Kapi wird wieder etwas kürzer, ist in dem Fall alles erstmal wieder Gefühlskram ^^ Kapitel 8: Barette ------------------ ’Bitte bleib hier’ … so hatte ich gehofft … Ich starrte ihm nach, war abermals fasziniert von seiner Art, seiner Aura, die mich wie magisch in den Bann zu ziehen schien. Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden, blickte ihm weiter nach, solange, bis er verschwunden und nicht mehr zu sehen war. Und nun war ich sicher, dass es das war, was mir fehlte. Die Nähe zu jemandem, den ich liebte. Und ich konnte nicht leugnen, dass er mich wirklich sehr faszinierte. Innerlich wusste ich, dass er ein Arschloch war. Aber wieso ließ er mich dann nächtelang nicht schlafen? Wieso konnte ich ihn nicht vergessen…? Dass mich einige Leute seltsam ansahen, störte mich nicht sonderlich. Sie waren wohl alle ziemlich geschockt von meinem Ausraster, vielleicht hatten einige nicht erwartet, dass so ein kleines, unschuldig aussehendes Ding wie ich so ein lautes Organ hatte. Aber was kümmerte es mich? Ich wollte nur noch weg von hier, also lief ich geradewegs in das Kaufcenter und sah mich nach den Winterjacken an, die sie im Angebot hatten. Schnell suchte ich mir eine schöne, billige aus und kaufte sie, blickte der netten Verkäuferin beim Zahlen nicht einmal in die Augen. Ich fühlte mich schlecht. Den Heimweg würde ich etwas schneller angehen, es war mir auch egal, ob mich irgendwer zusammenschlagen würde, dem ich über den Weg lief, denn nichts würde die Wunden in meinem Inneren noch übersteigen, geschweige denn überspielen können. Kein körperlicher Schmerz der Welt. Ich verließ das Kaufcenter, lief über den riesigen Parkplatz und schließlich blieb ich wieder an der Stelle stehen, an der ich ihn wieder getroffen hatte. Erinnerte mich zurück an das Gespräch, an das, was ich zu ihm gesagt hatte, womit ich ihn beschuldigt hatte. Aber es stimmte doch … er hatte mich nur ausgenutzt. Ich hatte mich wie eine Schlampe gefühlt. Und trotzdem liebte ich ihn immer noch … oder? Plötzlich fiel mein Blick auf eine kleine Haarspange auf dem Boden. Ein kleiner, weißer Totenkopf darauf. Die hatte ich doch schon mal gesehen? Dann kam mir ein Bild in den Sinn. Dieselbe Spange hatte ich in unserem gemeinsamen Zimmer am Waschbecken liegen sehen. Dann war sie also … von ihm? Schnell hob ich sie auf, tat sie mir in die Jackentasche und unterdrückte meine Tränen. Ich hatte etwas von ihm bei mir. Das tröstete mich wenigstens ein bisschen. Immerhin … Umso schneller lief ich den kürzesten Heimweg und bei Kai zuhause angekommen schloss ich die Tür mit meinem Zweitschlüssel auf, trat ein in den warmen Flur. Die Wärme tat verdammt gut. Ich zog mir die Schuhe aus und hing meine Jacke weg, tat die neue gleich dazu, riss das Schild ab und lief direkt in die Küche, um es wegzuwerfen. Dort begegnete ich Kai. Kai, der am Küchentisch saß. Kai, der ein paar Tabletten vor sich liegen hatte. Kai, der weinte. Langsam ging ich auf ihn zu, hockte mich vor seinen Stuhl und legte eine Hand auf sein Bein. Was hatte er bloß? Ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Wieso nicht? Weil wir so lang nicht miteinander gesprochen hatten? Wenn überhaupt das Nötigste? „Kai?“ Er reagierte nicht richtig, hatte das Gesicht in einer Hand vergraben, in der anderen hielt er etwas, aber das konnte ich nicht sehen, weil er die Hand geschlossen hielt. „Was ist denn?“, versuchte ich es erneut, aber noch immer erhielt ich keine Reaktion. Also beschloss ich, das, was er in seiner Hand hielt, wegzunehmen, damit ich seine Hände nehmen konnte. Wie früher, da hatte ich mich immer auf seinen Schoß gesetzt, um ihm zu trösten, und ich hatte seine Hände genommen und sie auf sein Herz gedrückt, ihn dabei umarmt. Damit er sich nicht gegen seine Tränen wehrte… Doch ich war verwundert, als ich ihm einen kleinen Ring aus der Hand nahm, den ich mal gefunden und ihm geschenkt hatte. Und es tat mir in der Seele weh, weil ich nun wusste, worum er weinte. Um unsere Freundschaft. Den Ring legte ich auf den Tisch, dann nahm ich ihm die zweite Hand von dem Gesicht und drückte beide Hände auf sein Herz, setzte mich auf seinen Schoß. Er wehrte sich nicht, wie er es auch sonst noch nie getan hatte. Vorsichtig drückte ich mich an ihn und umarmte ihn fest, vergrub mein Gesicht in seinen Haaren, sein Duft beruhigte mich, hatte mich schon immer beruhigt. Ich spürte, wie er leicht zitterte, ich streichelte ihm über den Rücken und kraulte seinen Nacken, wie früher, und ich genoss seine Nähe seltsamerweise. Meine schützende Umarmung gab auch mir wieder Halt. Und nun kämpfte ich selbst mit den Tränen, wenn ich ihn so weinen sah. „Ist doch in Ordnung“, flüsterte ich leise, spürte, wie seine Hände sich langsam in meinen Pullover krallten. Ich war mir sicher, er würde sich nicht wehren wollen gegen seine Tränen, also gab ich seine Hände wieder frei. Wie ich es mir gedacht hatte, schlang er seine Arme um meinen Rücken und es war, als würde er sich, wie ein verwahrloster Welpe, bei mir verkriechen. Noch nie hatte er das jemals so herübergebracht. Und es überraschte mich demnach sehr. Ich streichelte ihm weiter über den Rücken und verfestigte meine Umarmung wieder etwas. Und bald hatte er sich wieder etwas beruhigt, das tonlose Schluchzen hatte aufgehört. Langsam löste ich meine Umarmung, legte eine Hand an seine Wange und zwang ihn, mich anzusehen. „Wieder okay?“, fragte ich sanft lächelnd. „Nein.“ Wieso überraschte es mich nicht, dass er mir eine derartige Antwort gab? „Erst, wenn du mir sagst, dass mit dir wieder alles in Ordnung ist“, fuhr er fort und sah mich mit verheulten Augen an, in ihnen sah ich seine Sorge und sein Schmerz. Um mich? „Hai, ich bin in Ordnung … wirklich“, antwortete ich ihm. Eigentlich stimmte es nicht, aber ich wollte ihn nicht wieder verletzen, nicht wieder erleben, dass er wirklich um so ein wertloses, kleines Ding wie mich weinte. „Du bist dünn geworden“, sagte er, „du hast seit Tagen nichts richtiges mehr gegessen und warst nicht an der Luft. Ich war so froh, als du heute raus gegangen bist, aber ich war verletzt, dass du nicht mal ein Wort zum Abschied gesagt hast. Ich will nicht, dass unsere Freundschaft an deinem Leid kaputt geht, okay? Ich will nicht, dass du nicht mit mir redest. Oh, Ruki, wir sind uns so schrecklich fremd geworden, seit du nicht mehr hier bist …“ Er hatte Recht. Das waren wir. Sanft zog ich ihm wieder in eine Umarmung und seufzte leise. „Es tut mir Leid, Kai. Ich will das doch selbst nicht … glaub mir, ich vermisse dich jeden Tag.“ Tat ich das denn wirklich? „Aber ich habe dich auch viel zu sehr vernachlässigt. Ich meine, ich habe dich nicht jeden Tag angerufen, wie ich es irgendwann mal versprochen hatte und habe nicht immer gesehen, dass ich dich außen vor lasse.“ Nein, ich hatte ihn meinem besten Freund vorgezogen. Ihn, der mich nicht liebte. Ihn, der mich nur ausgenutzt hatte. Ihn, von dem nichts übrig geblieben war, als eine Haarspange und eine schmerzhafte Erinnerung … „Ich hab dich lieb, Ruki“, hauchte er und ich glaubte, zu spüren, wie er an meiner Schulter lächelte. Nun schlich sich auch auf meine blassen Züge ein Lächeln, es war ein aufrichtiges, ein Lächeln der wahren Freude, weil ich mich wieder mit ihm vertragen hatte. Und ich würde etwas ändern, wenn ich konnte. Etwas aus dem Weg schaffen, was jedoch nicht aus dem Weg zu schaffen war. Weil ich es nicht schaffte, weil ich zu schwach war und weil ich es nicht einmal wirklich wollte. Ich konnte Uruha nicht vergessen. © ~*~*~*~*~ Weiter geht's mit Cassis ^^ *Lieblingslied* Ich empfehle, es während des Lesens zu hören xD Kommentare hebe ich auf, falls sie jemand verliert ;-) Kapitel 9: Cassis ----------------- Auch, wenn du mich morgen hasst … - aa, zutto kurikaeshiteta Zutto kanashimasete bakari datta aa, kitto anata sae mo kizu tsuketa Boku wa ugokenu mama aa, anata ni fureru koto ga Naze konnnani kurushii nodesuka Kitto onaji koto wo kurikaeshi Anata wo ushinatte shimaunoga kowakattakara Yorisou kotode nuguou to shita wasurekirenakatta hi wo Anata wa nani mo kikazu ni kono te wo nigitte kuretane... Ashita anata no kuchi ga hanaretemo kitto kawarazu aishiteru Ashita anata ni boku ga mienakutemo kitto kawarazu aishiteru I will walk together The future not promised It keeps walking together To the future in which you are.. Tsurai koto sae wasureru kurai anata wo omotte iru Aenai yoru wo kazoeru tabi ni kogareru mune Katachigai no samishisa tsunoru Gokaku hitori kiri de nakya ai de Donna ni hanarete itemo Shinnji aeru futari de iyou Douka konomama waratteitai Anata wo kizutsukesasenaide Tokiga tatsu tabi usurete itta Anna omoi kurikaeshitaku nai Ashita anata no kuchi ga hanaretemo kitto kawarazu aishiteru Ashita anata ni boku ga mienakutemo kitto kawarazu aishiteiru Douka bokudake wo mitsumetete Douka kono boku ga todokeru you I will walk together The future not promised It keeps walking together To the future in which you are... To the future in which you are… - Ich hatte Stunden an diesem text gesessen, hatte ewig gebraucht, das alles in Worte zu fassen. Und es hatte mich ziemlich Überwindung gekostet. Nur gut, dass Kai nicht aufgewacht war, als ich es beim Handylicht unter der Decke geschrieben hatte. Immer, wenn er solche Texte von mir las, machte er sich Sorgen und wollte alles erklärt bekommen – wieso ich das schrieb und wie er mir helfen konnte. Das war schon manchmal ziemlich nervig, aber im Moment war er selbst zu aufgewühlt, als dass ich ihn noch mit so etwas belasten konnte. In der Nacht hatte ich ihn nicht allein lassen wollen, auch, wenn er etwas hätte bemerken können. Warum, wusste ich selbst nicht. Er war schließlich kein Kind mehr, doch vielleicht war er gar nicht der Grund, wieso ich bei ihm geblieben war. Eigentlich hatte ich mich schlicht und einfach selbst nur trösten wollen. Seine Nähe hatte mir schon immer Trost gespendet, ich hatte mich stets bei ihm sicher und wohl gefühlt. Und nun lag ich in dem fahl beleuchteten Zimmer, es konnte noch nicht allzu spät sein. Kais Arm war um meine Hüfte geschlungen, deshalb konnte ich mich nicht zur Uhr umdrehen. Aber eigentlich konnte mir die Uhrzeit ja egal sein, schließlich hatte ich ja Ferien. Ich war gerade wieder in meinen Tagträumen versunken, als ich merkte, wie sich hinter mir etwas bewegte. Ich murrte vernehmlich, als ich unsanft in die Seite gepiekst wurde und nuschelte ein ‚Nur noch fünf Minuten’, bis ich ein Lachen vernahm. Der Arm auf meiner Hüfte war verschwunden, war nun damit beschäftigt, mich zu ärgern. Auch ich konnte nun ein Lachen nicht mehr verkneifen, da ich ziemlich kitzelig an den Seiten war, und die fiesen Finger ließen mich genau dort nicht in Ruhe. „Kai, das ist unfair“, jammerte ich und versuchte vergeblich, mich aus seiner Attacke zu befreien. Doch er war schon immer der Stärkere gewesen und so drückte er mich einfach aufs Bett und kitzelte weiter, solange, bis ich keine Luft mehr bekam. Wenigstens wusste er, wann Schluss war! „Na? Hast du genug?“, fragte er lachend und beugte über mir, lächelte mich fröhlich an. Es machte mich glücklich, ihn so heiter zu sehen. Vor allem, weil ich es nicht sein konnte. Denn heitere Menschen in meiner Umgebung machten mich meistens auch heiter. Und das war er eigentlich immer. Ich wünschte mir, dass es immer so blieb bei ihm, denn ihm stand die Traurigkeit nicht … „Ruki?“ Seine sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken, ich schaute ihn an und lächelte etwas. Aber diesmal war es nicht gestellt, nein, diesmal war es wieder ehrlich. Ein ehrliches Lächeln nach so viel Scheiße, die mir passiert war. Aber ich musste damit abschließen. Kurz dachte ich noch einmal nach. War es denn richtig, mit Uruha abzuschließen? Immerhin hatte ich mit ihm mein erstes Mal gehabt – mit einem Mann, versteht sich. Außerdem waren meine Gefühle für ihn noch immer da. Ich konnte sie schließlich nicht einfach abstellen, wie meine Nachttischlampe, wenn ich schlafen wollte. Denn wegen ihm konnte ich kaum noch schlafen. Es war schon beinahe fanatisch, das wusste mein Unterbewusstsein. Aber ich konnte und wollte es auch nicht glauben. Wollte nicht auf die so genannte ‚innere Stimme’ hören. Nicht diesmal. Verdammt, war ich naiv. Richtig, das war ich ja auch! Ach, Mann, wieso machte mich diese innere Stimme immer so fertig? Vielleicht, weil sie wusste, dass ich einfach nur Mist baute? Immer wieder? Nein, ich musste Uruha vergessen. Es ging nicht anders, denn ich musste Platz machen für wichtigere Dinge. Ich konnte mich nicht einfach so an ihm festbeißen, schließlich war er nicht hier. Er war nicht bei mir, er war nie bei mir gewesen und er würde auch nie bei mir sein. Er hatte mich ausgenutzt, mich hintergangen und mich für seine Späße benutzt. Deshalb musste ich endlich mit ihm abschließen, alles andere würde sowieso keinen Sinn machen. Und ich musste noch etwas erledigen… „Kai, du musst mir helfen!“ Er schien überrascht über meine plötzliche Euphorie, denn er schaute mich etwas verwirrt an und legte den Kopf schief. „Tue ich das etwa nicht schon? Ich meine, wenn ich dazu nicht in der Lage bin, dann tut es mir Leid, aber ich kann mich so schlecht in deine Lage hineinversetzen und…“ „Kai, halt doch einfach mal die Klappe“, lächelte ich wieder leicht und drückte ihn von mir runter, setzte mich gerade hin. Ich wollte einfach nur seine Aufmerksamkeit, deshalb legte ich ihm einen Finger auf die Lippen, damit er nicht schon wieder einen Redeschwall über mich ergießen konnte. „Hör zu, ich …“, begann ich, suchte nach den richtigen Worten, „… ich will mich entschuldigen.“ „Bei wem?“, fragte er, setzte sich nun auch gerade hin und schaute wieder leicht verwirrt. „Wenn es um mich geht, will ich gar keine Entschuldigung hören, das hab ich dir aber schon gesagt, weißt du noch? Schließlich bist du doch mein bester-“ „Rede ich oder redest du?“ Wieder lachte ich leise, als er einen Schmollmund machte und woanders hinschaute, aber dann grinste. Er war wirklich zu niedlich … „Jedenfalls wollte ich dich fragen, ob du mir helfen kannst, jemanden zu finden. Du weißt doch, ich … ich hab Scheiße gebaut und deshalb will ich mich bei ihm entschuldigen …“ „Meinst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?“ Was sollte denn das nun wieder heißen? Was sollte Aoi denn von mir denken, wenn ich wieder auf die Schule zurückkam und so tat, als wäre da nie etwas zwischen uns gewesen? Immerhin war er einer meiner besten Freunde geworden und ich wollte ihn nicht auch noch verlieren. Schließlich hatte er mir sehr geholfen, aber was hatte ich ihm denn dafür gegeben? „Was meinst du damit?“, fragte ich deshalb, wartete auf eine halbwegs logische Erklärung für seine Worte, denn sie schockierten mich irgendwie ein bisschen. Wollte er nicht, dass ich meine Fehler wiedergutmachte? „Na ja, ich denke, es wäre einfach nicht so gut, wenn du ihn einfach aufsuchst und dich dann vor ihn stellst und sagst ‚Hey, das mit der Vergewaltigung tut mir echt Leid, meinst du nicht, dass du mir verzeihen kannst?’“, antwortete er und schien sich seiner Worte wirklich sehr sicher. Aber meiner Worte war ich mir nun nicht mehr so sicher. Was sollte das denn werden? Was wollte er damit erreichen? Dass unsere Freundschaft damit auseinander ging? Konnte man sie denn nicht mehr retten …? „Ich meine, man braucht vor dir wirklich keine Angst zu haben, Ruki, das weiß ich und das weißt du genauso gut. Aber dennoch hast du da ziemliche Scheiße gebaut und das sage ich dir ganz offen. Du tust sonst niemandem etwas zuleide, aber diesmal hast du echt alle Grenzen gesprengt und ihn damit wahrscheinlich ziemlich verschreckt. Versetz dich mal in seine Lage. Würdest du mir noch in die Augen sehen können, wenn ich dasselbe mit dir getan hätte?“ Ich dachte einen Moment lang nach. Wie wäre es denn für mich, wenn er mir das angetan hätte? Wie würde ich reagieren, wenn er eines Tages vor meiner Tür stünde und mich unschuldig anlächeln würde, wenn ich keine Ahnung hätte, dass er sich nur entschuldigen würde? Wahrscheinlich würde ich vor Angst einen Meter zurückspringen und die Tür wieder zuknallen, mir wünschen, ihn nie wieder sehen zu müssen. Und dann fielen mir seine Eltern ein. Was, wenn Aoi ihnen davon erzählt hatte? Was, wenn sie die Tür öffnen würden und mich sehen würden? Wie würden sie reagieren? Wahrscheinlich würden sie mich verhasst ansehen und mit einem Messer nach mir ausholen, weil ich ihrem Sohn ein Trauma verpasst hatte. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, Kai? Ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre da nie was gewesen! Ich will ihn nicht als Freund verlieren …“ „Ohne dir wehtun zu wollen, aber ich glaube, das hast du schon …“ Geschockt sah ich Kai an, konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte. Wieso sollte ich Aoi als Freund verloren haben? Er musste doch wissen, dass ich das nie gewollt hatte! Er konnte doch nicht einfach vergessen haben, wie ich einmal gewesen war! Das kleine, zerbrechliche Etwas, dem so schrecklich weh getan wurde, dem er geholfen hatte, wieder halbwegs auf die Beine zu kommen … Konnte er das alles etwa schon vergessen haben? Wenn ja, dann wollte ich es nicht. Ich wollte nicht, dass er vergessen haben konnte, dass er für mich da gewesen war und ich ihm so dankbar gewesen war. Aber hatte ich mich eigentlich jemals dafür bedankt? „Meinst du wirklich?“, hakte ich also nach und hoffte, dass er noch eine andere Antwort hatte. Nein, ich betete. Wie sollte ich sonst über diesen Fehler hinwegkommen? Und wie sollte ich anders, als durch Aoi, über Uruha hinwegkommen …? „Wie gesagt, ich wäre psychisch ziemlich daneben. Schließlich dachte er ja von dir, dass er dein Freund war.“ Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. ~Magst du Uruha?~ ~Ich kann dich nicht leiden sehen, Ruki …~ ~ Ruki, ich weiß, du hast viel durchgemacht mit ihm… aber kannst du ihn nicht einfach vergessen? Für… für mich?~ Was hatte ich nur getan? Ich hatte mehr zerstört, als ich gedacht hatte! Ich hatte nicht nur unsere Freundschaft in den Dreck geworfen, nein. Ich hatte nicht nur sein Vertrauen zu mir genommen. Er hatte mich geliebt …? „Kai, ich … ich hab Hunger, machst du Frühstück?“ Ich konnte nicht mehr. Ich musste irgendwie versuchen, mich abzulenken. Und ich musste ihn finden, um mich bei ihm zu entschuldigen. Egal, was Kai dazu sagte. Mein Gewissen hatte Vorrang, genau, wie Aoi. Genau, wie seine Gefühle. Genau, wie sein gebrochenes Herz. „Wie kommst du … okay, ich bin in der Küche“, sagte er dann und stand auf, lächelte mir noch einmal zu. Ich wusste, er hatte verstanden. Er hatte verstanden, was meine Maske ihm sagen wollte. Dass ich jedoch nur so tat, als hätte ich seinen Rat angenommen und würde ihn befolgen, das hatte er jedoch nicht durchschaut. Diesmal nicht, da war ich mir sicher. © ~*~*~*~*~ Fertig ^^ Nächstes Chap kommt Ende der Woche oder so... oder auch erst nächste Woche, ich werde am WE einen ziemlich herben Geburtstag feiern ... nämlich meinen *drop* Na ja hoffe ich lebe danach noch *angst* Bis dann ^^ Kommentare und Kritik erwünscht!!! Baibai, das Uru-chan Kapitel 10: Silly God Disco --------------------------- Meinetwegen kannst du mir alles antun! Ich legte seufzend auf und stellte das Telefon wieder auf die Ladestation. Verdammt, wenn es um Last-Minute-Ferienjobs ging, war wirklich jeder ausgebucht. Und wie sollte ich so an Geld kommen? Schließlich konnte ich doch nicht Kai das alles finanzieren lassen, was ich mir kaufte. Da kam ich mir irgendwie wie das letzte Arschloch vor. „Kai, streich die letzte Nummer“, rief ich ihm zu, er räumte sicher gerade die Küche auf. Wie ich es hasste, so dazustehen. Ich wollte ihm wenigstens helfen, ein bisschen in seinem Haushalt zur Hand gehen, damit ich mir nicht allzu sehr so vorkam, als würde ich ihn nur ausnutzen. „War’s auch nichts?“, hörte ich seine Stimme aus der Küche, ich antwortete ihm mit einem etwas enttäuschten und genervten „Nee“ und mein Blick fiel dann auf das Telefonbuch, welches ich schon die ganze Zeit im Auge gehabt hatte. Ich würde einen Teufel tun, es nicht wenigstens zu versuchen. „Sag mal, gehen wir nachher was essen? Hast du Lust?“ Ich schrak aus meinen Gedanken, hatte die Frage zwar schon vernommen, wusste aber nicht, was ich darauf antworten sollte. Dann würde er ja schon wieder für mich bezahlen müssen… „Wo denn?“, fragte ich deshalb und stand auf, ging in die Küche, denn diese ‚Durch-die-Wände-Schreierei’ ging mir langsam auf die Nerven. „Weiß nicht. Worauf du Lust hast?“, antwortete er und ich musste mich beherrschen, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. So, wie er da vor mir stand, sah er einfach nur zu herrlich aus. „Was kuckst du so?!“ Wieder musste ich mich sehr beherrschen, besonders, weil ich ja antworten musste und das erforderte enormes Zusammenreißen, damit meine Stimme nicht wieder in hemmungslosem Gelächter unterging. „Du hast da … überall …“, stammelte ich und musste wegschauen, mein Blick fiel auf den geöffneten Backofen und das Schrubbzeugs daneben. „Was hab ich denn wo?“ „Na ja, du siehst aus wie ein einziger, großer Fettfleck“, gab ich ehrlich zu und musterte ihn noch einmal genau, besah mir jeden einzelnen Fleck auf seiner blassen Haut, auf seinen Klamotten und die verklebten Haare. Tja, einfache Rösti zu machen, war schon eine Kunst für sich und dass Kai es als Meister der Kochkünste schaffte, sie anbrennen zu lassen und den halben Backofen damit zu verschmoren, machte es wirklich zu etwas Außergewöhnlichem. „Hä? Wieso Fettfleck? Sag nicht, ich hab mir durchs Gesicht …“ „Nein, du hast dir überall drübergewischt, nicht nur über dein Gesicht!“ Nun schaute er mich wehleidig an, seufzte gequält und drehte sich dann um, zeigte seinem Backofen den Stinkefinger. Ich lachte leise und beschloss, ihm auf seine Frage zu antworten, die er mir zu Anfang gestellt hatte. „Hai, gehen wir essen. Aber ich hab leider noch immer kein Geld, um für mich zu zahlen“, musste ich zugeben und seufzte leise. „Na und? Ich hab nen Job, ich verdiene genug, damit wir uns mal beide was in der Sushibar leisten können!“ Ich musste lächeln über seine fast schon mütterliche Art. „Dann musst du aber vorher duschen“, neckte ich ihn und bekam daraufhin nur eine rote Zunge entgegengestreckt. Eine Stunde später waren wir bereits auf dem Weg in die Sushibar, wo Kai sowieso schon einen Stammplatz für Dienstage reserviert hatte. Schließlich ging er da jeden Dienstag hin. Eigentlich war es ja beneidenswert, bei uns am Internat gab es kaum so leckere Sachen wie Sushi zu essen, höchstens irgendwelches Gekauftes. Meistens gab es nur einfache Sachen wie Reis mit Soße. Da wir ja nicht oft zusammen essen gingen (Kai konnte selber kochen wie ein Meister), hatte ich mich zur Abwechslung mal anständig angezogen und mich so gut wie kaum geschminkt, sah in meinen Augen völlig unnormal aus. Aber da Kai ja sowieso nicht wirklich auf den Stil stand, den ich bevorzugte, war er sowieso schon so gut wie nie geschminkt, obwohl ich noch immer der Meinung war, dass ihm Schminke sehr gut stand. Zumindest, wenn ich es machte! Schließlich hatten wir den Weg größtenteils schweigend hinter uns gebracht und betraten nun das warme Lokal, wo uns schon der köstliche Duft von frischem Sushi entgegenkam. Es war ein verdammt angenehmes Gefühl, aus der Kälte in diese sich schnell in uns ausbreitende Wärme zu kommen. Schnell schälte ich mich aus meiner Jacke, hängte sie zusammen mit Kais auf und wir schauten uns kurz um, bevor wir zum freien Tisch hinten rechts in der Ecke gingen. Wo er eben immer saß und wo wir früher immer gesessen hatten – wo wir heute Abend eben sitzen würden. „Ich hab Hunger“, seufzte Kai und ließ sich auf den weichen Stuhl fallen, schloss kurz die Augen und grinste mich dann an, als ich mich ihm gegenüber hingesetzt hatte. „Hai, ich auch“, gab ich zurück. „Wetten, ich kann schon für dich bestellen?“ „Oh, kannst du etwa Gedanken lesen?“, neckte er mich. Aber ich würde und konnte gar nicht darauf eingehen – schließlich… „ … nimmst du immer dasselbe, seit ich das erste Mal mit dir hier war!“ „Du hast ja Recht“, gab er dann zu und wurde dann von der Bedienung begrüßt. So oft, wie er schon hier gewesen war, kannten sich die beiden wohl ziemlich gut und duzten sich bereits. Ich jedoch kannte den Kellner nicht, ich war schließlich ewig nicht hier gewesen und es war wohl ein Neuer. Und irgendwie schaute der Kai seltsam an. Ich wollte es gar nicht erst deuten … „Zweimal ein gemischtes Sushibento, bitte“, grinste Kai den Typen an, der nickte daraufhin noch mal ihm und danach mir zu, bevor er lächelnd verschwand hinter einer Klapptür, die wohl die Küche vom Restaurant trennte. „Was war das denn eben?“, fragte ich belustigt und das nicht nur über Kais blödes Gesicht. „Ich weiß nicht, was du meinst …“ „Du hast ihn total angeschmachtet, der dich auch!“ Er wurde purpurrot im Gesicht, schaute weg und lachte verlegen. „Unsinn, wie kommst du denn auf sowas?“ „Das ist offensichtlich“, sagte ich nur matt und fragte mich im selben Moment, wieso er mir noch gar nichts davon erzählt hatte. Seit wann schaute er sich denn nun auch nach Typen um? Er hatte mir noch nie gesagt, dass er sie anziehend fand oder ähnliches, vielleicht sogar in irgendeiner Weise erotisch, denn so, wie er den Kerl angeschmachtet hatte, kam es verdächtig so rüber. „Lass uns nicht darüber reden, wechseln wir lieber das Thema! Was meinst du denn, wie es jetzt bei dir in der Schule weitergeht? Ich meine, es ist wirklich kein schönes Thema, aber in einer Woche musst du wieder hin.“ Er hatte Recht. Kurz überlegte ich, bevor ich antwortete. Denn ich hatte wirklich keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte. Ich hatte es mir schließlich mit so ziemlich jedem, den ich dort kennen gelernt hatte, verscherzt. Uruha abserviert. Reita ignoriert und verärgert. Aoi vergewaltigt und zurückgelassen. Etwas Unverzeihliches. Aber ich konnte es nicht rückgängig machen. Wie denn auch? Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen, obwohl ich mir im Moment einfach nichts Sehnlicheres wünschte. „Ich … weiß es nicht. Hab wohl zu großen Mist gebaut, als dass ich mich dort noch blicken lassen könnte. Außerdem weiß ich ja nicht mal, ob ich überhaupt jemals wieder auf diese Schule kommen werde.“ „Wieso das denn?“, fragte er mich irritiert, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute mich abwartend an. Ich atmete tief ein und aus, sprach dann weiter. „Weil ich jemanden vergewaltigt habe. Was, wenn er es jemandem erzählt? Dann sehe ich das schöne Licht dieser Welt vielleicht so schnell nicht mehr wieder.“ Nun seufzte Kai. Wohl diesmal ein Zeichen, dass ich Recht hatte? Bei ihm wusste man das irgendwie nie so genau. „Weißt du“, sagte er, schaute mich dann traurig an, „ich glaube nicht, dass er das tun wird. Er wird es niemandem sagen.“ „Warum nicht?“ Wieso war er sich da so sicher? Immerhin hatte ich ihm sein Herz gebrochen, da war es doch umso wahrscheinlicher, dass er mich dafür hasste und sich rächen wollte, oder? „Wenn er wirklich Gefühle für dich hatte – oder wohlmöglich noch hat – dann sagt er eher nichts. Außerdem sind Menschen, denen so etwas passiert ist, ziemlich aufgefühlt und wissen erst einmal gar nicht, was am besten zu tun ist oder was nicht. Manche sind einfach zu verzweifelt oder einfach nur schockiert, dass gerade ihnen das passiert ist.“ Ich hasste es, wenn er redete, als würde mich das Thema überhaupt nicht betreffen. Aber er war eben immer so scheiße ehrlich … „Vergewaltigungsopfer haben es nicht unbedingt leicht, ihre Psyche ist ziemlich angegriffen und manche hat es auch schon in den Selbstmord gerissen. Das sage ich wirklich nur ungern, aber wenn er sich umbringt, stehen die Chancen schlecht, dass sie dich als Vergewaltiger ertappen.“ „Warum? Er hat immerhin … mein … Sperma im Hintern …“ Sein Gesicht wurde etwas rot, dann lachte er leise und stemmte den Arm auf den Tisch, legte den Kopf auf seinen Handrücken. „Logisches Denken, Ruki. Sie werden ihn wohl kaum untersuchen, wenn sie ihn meinetwegen tot in der Badewanne finden. Da ist Selbstmord offensichtlich.“ Das war hart. Ich konnte sowieso nicht wirklich über so etwas nachdenken, deshalb verletzte es mich auch irgendwie, dass er auf solche Weise gerade von Aoi sprach. Ich hatte das doch nicht gewollt … „Tut mir Leid, wenn das jetzt etwas grob rüber kam, aber es ist nun mal die Wahrheit. Aoi wird auch ziemlich am Ende sein. Aber dass er sich umbringt, hoffe und glaube ich auch nicht.“ Was machte ihn denn da so sicher? „Was ist denn nun eigentlich mit Uruha? Du wirst ja mit ihm in einem Zimmer wohnen müssen …“ Seufzend schaute ich auf, erblickte ein fragendes und zugleich wissendes Gesicht. Er kannte die Antwort schon, wieso fragte er dann noch? „Ich will ein Einzelzimmer, ist doch klar“, meinte ich trocken und trank aus meiner soeben gebrachten Fanta. „Das würde ich an deiner Stelle nicht machen“, erwiderte er daraufhin ebenfalls nur trocken und stellte sein Glas Wasser wieder auf den Tisch. „Uruha hat dich verletzt, aber das ist kein Grund, gleich vor ihm wegzulaufen. Du würdest dich nur noch mehr isolieren und ihm das Gefühl geben, alles richtig gemacht und seinen Willen bekommen zu haben. Er will dich doch auch loswerden, weil er eigentlich weiß, dass du viel zu gut für ihn und ihm haushoch überlegen bist. Er hat Angst vor dir und vor dem, was du tun könntest, um ihn zu treffen.“ Ich fand es immer wieder erstaunlich, was er für eine Menschenkenntnis hatte. Auf sowas würde ich im Leben nicht kommen, aber er schien sich das ganz locker aus dem Ärmel zu ziehen und hatte damit wahrscheinlich auch noch Recht! „Mag sein“, antwortete ich, „aber wenn ich ihn sehe, befürchte ich, dass ganz schnell ein Unglück passiert. Ich könnte“ rückfällig werden „ihm so einige Zähne aus seinem“ wunderschönen „Maul schlagen.“ Kuso, fing ich schon wieder so an? Ich würde wohl nie über ihn hinwegkommen … „Ich an deiner Stelle würde mich so gar nicht mehr von ihm beeindrucken lassen. Ignorier ihn größtenteils einfach und sei immer nett und höflich, aber das auf ne zynische Weise. Das verwirrt ihn wahrscheinlich am meisten“, grinste er stolz. Wieder seufze ich, das war wohl in letzter Zeit meine Lieblingsbeschäftigung geworden. „Und Aoi? Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Ich meine, er wird ja wohl nicht direkt wieder ankommen und sich freuen, mich zu sehen, oder?“ Diese Frage hatte mich sowieso schon die ganze Zeit beschäftigt, schließlich lag der Moment unseres Wiedersehens vor uns und ich wollte mich auf jeden Fall noch vorher bei ihm entschuldigen. Was Kai natürlich nicht wusste, denn er würde nur wieder meinen, dass es nicht gut wäre, ihn schon vor der Schule zu sehen. Aber ich hielt es für richtig so, deshalb hatte ich diesen Entschluss für mich selbst gefasst. Wenn die Schule wieder begann, dann würde es sowieso schon wieder genug Stress geben und ich wollte ihn nicht noch zusätzlich damit belasten, ihm im Ungewissen und neben offenen Fragen immer wieder über den Weg zu laufen. Auch ich würde das nicht lang ertragen können – egal, was Kai sagte, ich würde ihn suchen, finden und mich bei ihm entschuldigen. „Na ja“, er dachte einen Moment nach, bevor er weiter sprach, „ich würde ihm auf jeden Fall erst einmal aus dem Weg gehen. Wenn, dann muss er sich erst wieder an dich gewöhnen. Wenn er überhaupt noch an der Schule sein wird.“ So plump, wie er das sagte, kam es mir schon vor, als würde er sich nur lächerlich machen. Das wurmte mich irgendwie ziemlich. Aoi musste doch wissen, dass ich normalerweise niemals zu so etwas fähig gewesen wäre! Und ich hatte es wirklich nicht gewollt! Unter jenen Umständen hatte ich einfach die Kontrolle verloren, er musste doch also wissen, dass ich eigentlich nicht so jemand war! „So, guten Appetit wünsch ich“, sagte dann plötzlich die Stimme von vorhin, die ich dem komischen Kellner zuordnete. Also lehnte ich mich kurz zurück, als er mir das Essen vorsetzte, mich mit einem gezwungen freundlichen Blick bedachte und Kai dann wie zuvor breit angrinste. Irgendwas war doch faul an dem. Der wollte was von Kai. Das sah jeder Blinde und mir war’s auch schon aufgefallen, obwohl ich ja gar nicht blind war. Blöde Logik. Trotzdem, ich war der Meinung, der war einfach nur eifersüchtig auf mich. Dachte der etwa, wir wären zusammen?! „Dann lass es dir schmecken, Ruki“, lachte Kai, als der Kellner verschwunden war und begann zu essen. Ich besah mir das Essen noch einmal und hatte plötzlich die seltsame Befürchtung, dass sich da eventuell Substanzen drin befanden, die mir möglicherweise schaden konnten … denn dem Futzi von Kellner traute ich irgendwie alles zu. „Ich glaub ja, der will wirklich was von dir. Hast du den Blick gesehen? Der meint bestimmt, wir wären zusammen“, sabbelte ich, denn ich hatte gerade ein besonders scharfes Stück Sushi im Mund. Kai lachte nur auf und schaute mich dann ziemlich verdattert an. „Wie kommst du denn auf sowas?“ „Ich dachte eben, der hätte mir was ins Essen gemischt!“ Wieder Lachen. Langsam kam ich mir verarscht vor. „Red keinen Unsinn, das bildest du dir nur ein! Der will nix von mir, warum denn auch?“ „Weil du süß bist und charmant und außerdem, weil du jede Woche hier bist“, grinste ich schelmisch und nahm einen weiteren Bissen. Er verschluckte sich fast und trank einen großen Schluck Wasser, zog dann einen Schmollmund und schaute mich an. „Du Schleimer.“ Irgendwie hatte ich eine böse Vorahnung an diesem Morgen. Woran es wohl lag? Vielleicht war das Wetter einfach so schlecht? „RUKI!“ Warum nur hatte ich sowas erwartet?! „Hai, verdammt“, murmelte ich verschlafen, konnte ja wirklich stolz auf mein einwandfrei funktionierendes inneres Warnsystem sein, welches mich so wunderbar kurz vor dem Moment des bevorstehenden Aufpralls auf den harten Fußboden warnte. Dass die Heizung schon wieder ausgefallen war, hatte ich spätestens da festgestellt. „Du hast mir gestern Abend versprochen, dass du mitkommst! Du bist ja nicht mal angezogen! Verdammt noch mal, ich will da nicht alleine hin!“ Der konnte sich aber auch anstellen! „Du gehst nur zum Urologen! Stell dich nicht so an!“ „DER SCHIEBT MIR ABER SEINEN FINGER IN DEN ARSCH!“ Jetzt reichte es mir. Ich zog mir einen Bademantel drüber, riss die Tür auf und stampfte in die Küche. „Als ob du noch nie einen Finger im Arsch gehabt hättest! Du kannst mir alles erzählen, aber das kannst du nicht leugnen!“ Ich stand grinsend im Türrahmen, sein knallrotes Gesicht betrachtend und musste plötzlich herzhaft gähnen. Verdammt, gestern war es wirklich spät gewesen … „Ich will aber nicht alleine da hin … kannst du dich nicht ein bisschen beeilen?“, flennte er dann wieder herum, trank nebenbei bestimmt schon seinen zwanzigsten Kaffee an diesem Morgen, um sich zu beruhigen. Ja, wenn es um Ärzte ging, war Kai besonders empfindlich. Das war mir noch sehr, sehr gut in Erinnerung geblieben. „Und was soll ich deiner Meinung nach dann da? Er wird dir Fragen stellen, ich werde daneben sitzen und mich vor Lachen kaum noch auf dem Stuhl halten können, weil es dir peinlich sein wird und ich es so witzig finden werde, wie du dich anstellst. Was ist denn daran so schlimm, wenn sie dir den Finger da reinschieben?“ „Was soll ich denn machen, bitte? Etwa mir vorstellen, dass es mein Schwarm sei, der gerade dabei ist, mich darauf vorzubereiten, sich selbst in mir zu versenken?!“ „Zum Beispiel.“ Sein Gesicht war einfach zu herrlich. Ich liebte es wahrhaftig, ihn auf die Palme zu bringen! „Sag mal, spinnst du?! Soll ich da nachher mit nem Ständer durch die Gegend laufen?“ „Das wäre doch gar nicht so übel“, grinste ich und setzte mich mit meiner soeben geholten Tasse frischen Kaffee an den Küchentisch, „wenn du ne Probe abgeben musst, damit sie deinen Samen untersuchen können, hast du dir einiges an Aufwand gespart, deine Fantasie zu benutzen!“ Wieder dieses herrlich blöde Gesicht, als er sich an seinem Kaffee verschluckt und mich danach böse anfunkelt. „Geht’s noch?! Ich werde mir doch da keinen runterholen!“ „Oh“, lachte ich, „wenn sie sagen, du sollst dir einen von der Palme schütteln, schüttelst du dir auch einen von der Palme. Falls das mit deinem Vorstellungsvermögen nicht klappt, geben sie dir schon, was du dazu brauchst.“ „Macht es dir eigentlich Spaß, mich mit sowas aufzuziehen?!“ Ich nickte eifrig und trank dann, unbeeindruckt von seinen wilden Gestikulierungen, meinen Kaffee weiter aus. „Ach, dann bleib eben hier“, sagte er schmollend und zog eine Schnute wie sieben Tage Regenwetter. „Nö, ich geh mich umziehen!“ Noch, bevor er was dazu sagen konnte, war ich aufgestanden und eilte nun in mein Zimmer. Das durfte ich mir nicht entgehen lassen! Da würde es endlich wieder was zu lachen geben! „Ruki!“ Ich ignorierte sein Geschrei und Gezeter, das würde sowieso nur den Nachbarn schaden, wenn ich jetzt auch noch mitmachte. Das kannten wir ja alles schon und Kai hatte nicht umsonst schon über zehn Mahnungen bekommen – das waren nur so viele, weil der Vermieter über die zwei Jahre hinweg hier schon ca. drei Mal gewechselt hatte. So schnell, wie noch nie hatte ich mich angezogen und stand nun fix und fertig im Flur, grinste Kai an, der bereits Mantel und Schuhe angezogen hatte. „Wenn ich nicht so lieb wäre, dann hätte ich dich einfach hier gelassen“, grummelte er, aber ich hatte nur ein müdes Lächeln für ihn übrig. „Kai, ich kenn dich doch. Wenn du wirklich vorgehabt hättest, mich hier zu lassen, dann wärst du schon längst über alle Berge und hättest einen Finger im Hintern!“ „Ach, sei doch still.“ Eine halbe Stunde später saßen wir im Wartezimmer und ich blätterte fröhlich in einer Zeitschrift herum. Kai neben mir war vollkommen aufgelöst und zitterte schon die ganze Zeit mit den Beinen. Das ging mir zwar tierisch auf den Geist, aber ich konnte wohl auch nicht viel mehr tun, als ihn davon zu überzeugen, dass der Arzt ganz sanft sein würde und sein Finger mit Sicherheit nicht breiter sein würde, als ein Wiener Würstchen. „Jetzt stell dich bitte nicht so an, Kai. Du musst hier, wenn überhaupt, nur ein Mal im Jahr hin! Wenn’s hochkommt!“ „Das ist schon ein Mal zu viel“, jammerte er jedoch nur weiter und ich beschloss, es lieber bleiben zu lassen – es würde ja eh nichts bringen. Keine fünf Minuten später wurden wir ins Sprechzimmer gerufen. Der Arzt hatte zwar schon etwas kritisch geschaut, aber nach einer ca. zweiminütigen Debatte mit dem Doc hatte Kai es dann doch endlich geschafft, diesen davon zu überzeugen, dass er ohne mich keinen Schritt in dieses Behandlungszimmer machen würde. Währenddessen hatte ich einfach nur daneben gestanden und schaute pfeifend aus dem Fenster, als wäre ich gar nicht da. Mich zu übersehen war ja keine besonders große Schwierigkeit! „Also gut, fangen wir an“, begann der Arzt dann, wartete, bis ich mich auf den Stuhl hinten in der Ecke und Kai sich auf die Liege gesetzt hatte. Aber vorher hatte er mir natürlich noch einen wehleidigen Blick zugeworfen, bei dem ich einen Teufel getan und ihn ernst genommen hatte. „Haben Sie Probleme beim Stuhlgang?“ „Iie“, kam Kais knappe Antwort, er schaute beschämt zur Seite. „Nehmen Sie regelmäßige Medikamente?“ „Iie.“ „Kommt es öfter vor, dass das Urinieren brennt?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal Blut im Urin?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal Blut im Sperma?“ „Iie …“ „Haben Sie Schmerzen, wenn Sie erregt sind?“ „ … iie …“ „Schmerzen im Beckenbodenbereich, wenn Sie lachen oder husten?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal eine Geschlechtskrankheit?“ „Iie.“ „Jemand aus Ihrem Verwandten – und Familienkreis?“ „ … iie.“ „Kam es schon einmal zu erhöhtem Blutverlust während einer Erregung?“ „ … iie …“ Ich merkte richtig, wie Kai immer kleiner wurde. Man konnte es geradezu sehen. Es war ihm verdammt unangenehm. Aber jetzt begann er irgendwie, mir Leid zu tun. Armer Kai. Wie würde das erst bei der Untersuchung aussehen? „Dann beginnen wir jetzt mit der Untersuchung. Wenn Sie sich dann bitte unten rum freimachen …“ Eigentlich hatte ich kein Problem damit, ihn nackt zu sehen. Das hatte ich schließlich schon einmal. Auch er hatte mich schon gesehen, er schämte sich auch nie vor mir und umgekehrt. Aber jetzt schämte er sich garantiert. Denn das war fast schon so, als würde ich ihm beim Sex zusehen. Schließlich würde dieser Kerl gleich sein Inneres abtasten … „Bitte einmal auf den Bauch legen. Wir bringen den etwas schmerzhafteren Teil zuerst hinter uns, in Ordnung?“, säuselte der alte Mann und zog sich einen Gummihandschuh an. Mein armer, armer Freund legte sich währenddessen auf den Bauch und biss sich schon mal vorsorglich in den Arm. „Achtung“, und schon verschwand sein Finger in Kais Öffnung. Irgendwie wurde mir gerade ein bisschen schlecht. Ich schaute deshalb lieber Kai ins Gesicht, als auf das direkte Geschehen. Kai hatte den Mund nur zu einem tonlosen Schrei geöffnet. Kein Wunder, der Arzt hatte seinen Finger ja nicht mal annähernd befeuchtet. Idiot. „Gleich vorbei, ich will nur schauen, ob irgendwo Verdickungen auftreten.“ Ja, der sah auch aus wie so ne Verdickung … „Gut, das war’s. Es folgt eine Untersuchung des entsprechenden Geschlechtsorgans, dann brauche ich eine Probe Ihres Urins und Ihres Samens.“ Und Kais Mund sah aus, als würde er sich ihn jeden Moment ausrenken. „Kai, ano … ich geh glaub ich dann in die Stadt, wir sehen uns, hai? Ich meld mich“, nuschelte ich, musste mir das Lachen verkneifen. Dann stand ich auch schon auf, ohne seinem bitterbösen und zugleich flehenden Blick Beachtung zu schenken. Ich hätte sowieso wieder lachen müssen. Als ich dann draußen war aus dem Behandlungszimmer, kicherte ich leise in meinen Hemdärmel. Ich ging ins Wartezimmer, holte meinen Mantel und kramte darin nach etwas Geld. Ich fand sogar noch genug, um davon ein paar Kaugummis zu kaufen! Also beschloss ich, doch lieber nach Hause zu gehen. Ich würde Kai von dort aus eine SMS schreiben, wenn ich ankam. Irgendwie war ich nun doch in der Stimmung, ein bisschen allein zu sein. Musste nun doch wieder ein paar Gedanken niederschreiben, wie ich es schon lang nicht mehr getan hatte. Und zwar nicht in Form eines Songtextes. Ich machte mich auf den Weg, lief durch die nassen, verregneten Straßen und beeilte mich so gut ich konnte, denn ich hasste Regen. Ob Kai das denn wohl ohne mich durchstand? Na ja, immerhin hatte er den schmerzhaften Part der ganzen Aktion überstanden. Als wenn er noch nie was größeres als einen Finger … Okay, darüber wollte ich gar nicht erst weiter nachdenken. So schnell ich jedoch rannte, der Weg schien ewig lang zu sein. Aber nach zwanzig Minuten hatte ich es dann endlich geschafft und ich stand vor der Haustür, schloss auf und zog mir im Flur sofort meine nassen Sachen aus. Ich fand es einfach nur widerlich. Ich streifte meine Schuhe ab, stellte sie ordentlich unter die Heizung und zog mir auch gleich meine nasse Hose aus. Ich hasste Regen! Also lief ich einfach in Shorts durch die Wohnung, suchte mir in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen und machte mir einen Kakao, mit dem ich dann in mein Zimmer verschwand. Ich würde wohl einen Zettel an die Tür hängen müssen, damit ich auch wirklich ungestört blieb. Kai war schon immer etwas überfürsorglich gewesen, kam öfters nach mir schauen oder fragte für meinen Geschmack etwas zu oft, ob es mir gut ging. Aber das war eben Kai. Und genau das machte ihn als besten Freund aus. Ich kramte nach einem Zettel, auf den ich schrieb, dass ich nicht gestört werden wollte und klebte ihn mit etwas Klebeband an die Tür außen. Dann verzog ich mich wieder in mein kleines Reich für vierzehn Tage, schaltete die kleine Lampe auf dem Schreibtisch an und setzte mich. Ließ mir noch einmal alles durch den Kopf gehen, was ich an ihn niederschreiben wollte. Sicher, ich würde niemals auf die Idee kommen, ihm wirklich zu zeigen, was ich schrieb. Dazu war es einfach zu persönlich, auch, wenn es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er das ein oder andere erfahren hätte. Schließlich wusste er ja nichts von der Vergewaltigung … Und in diesem Moment nahm ich mir etwas vor. Ich würde nicht auf Kai hören. Diesmal nicht. Ich würde Aoi finden, mich bei ihm entschuldigen und versuchen, sein Vertrauen zurück zu gewinnen. Auch, wenn es wohl verdammt schwer werden würde. Und Uruha? Den wollte ich vergessen. Es gab nichts mehr, was mich an ihn band. Jedenfalls nicht in den Augen anderer und in seinen Augen. Aber ich? Das würde ich nun alles in Worte fassen. Also setzte ich den Stift an, begann einfach alles aus mir raus zu lassen, was ich mit mir herumtrug … © ~*~*~*~*~ Kommentare gern gesehen! Kapitel 11: Discharge --------------------- Ich entlaste mich mit dir … »Du bist das, was ich einmal geliebt habe. Weißt du noch, wie es angefangen hat? Wir haben uns kennen gelernt, du warst nett und freundlich zu mir und ich war nett und freundlich zu dir. Du hast mir sehr geholfen am Anfang, weißt du? Du hast mir vieles gezeigt, vieles beigebracht und das, obwohl du mir so seltsam und arrogant erschienen bist. Aber genau das war es, was mich an dir fasziniert hat. Deine ignorante Art, deine Eitelkeit und dein Egoismus haben dich so verdammt attraktiv gemacht, dass ich kaum widerstehen konnte. Und was ich dir nicht alles gegeben habe. Es ist schon fast wieder unmenschlich, wie menschlich ich war. Aber du übertriffst wirklich alles. Hast mich nach Strich und Faden verarscht, hast mich ausgenutzt und dich auch noch darüber lustig gemacht. Aber hast du wirklich kein Gewissen? Kannst du nicht einmal ein kleines bisschen Reue empfinden? Oder bist du wirklich so eiskalt, wie du immer tust? Das glaube ich dir nicht. Du bist nicht so herzlos, wie du es gern sein würdest. Ich habe gesehen, dass du kurz nicht wusstest, was du sagen solltest, als ich dich auf dem Parkplatz angeschrieen habe. Als ich dir gesagt habe, was ich denke und fühle. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan, weißt du das? Denn jetzt weißt du, dass ich dich nicht vergessen kann, dass du noch immer irgendwo in meinen Gedanken bist und dass diese Gedanken mir unglaublich wehtun. Du bist das größte Arschloch der Welt. Und zugleich das wundervollste.« Ich starrte gedankenverloren auf das Stück Papier vor mir, knüllte es dann zusammen und warf es im hohen Bogen in den Papierkorb. Ich hätte ihm diesen Brief so oder so niemals gegeben, ich hatte es einfach nur niederschreiben müssen … Denn eigentlich war es albern, so etwas zu schreiben. Er würde mich trotzdem auslachen, würde mich deshalb verspotten, würde sich lustig darüber machen. Ich kannte ihn. Aber ich hatte mit ihm abgeschlossen. War fest entschlossen, dass ich ihn vergessen würde, dass da nichts für ihn übrig bleiben würde, außer einer kleinen Erinnerung. Eine Erinnerung an mein erstes Mal mit einem Mann. Mehr nicht. Wieder musste ich lachen, war doch alles, was ich mit und wegen ihm erlebt hatte, so schön gewesen. Wahrlich, es war eigentlich eine schöne Zeit gewesen, voller Erfahrungen, die wertvoll für mich waren. Immerhin wusste ich jetzt, dass es nicht ratsam war, jemandem wie Uruha zu vertrauen. Ihm Zuneigung zu schenken. Ihm Liebe zu schenken. Nun wusste ich mehr. Ich stand auf, ging aus dem Zimmer und lauschte, ob Kai schon da sein konnte. Ich hörte den Fernseher im Wohnzimmer, also schloss ich daraus, dass er gerade vor der Mattscheibe hing. Ich hatte sowieso gerade Langeweile, deshalb gesellte ich mich zu ihm, schmiss mich schwungvoll neben ihn auf das Sofa. „Bist ja auch noch am leben. Was haste gemacht?“, fragte er mich mit einem Seitenblick, lächelte kurz und irgendwie war ich froh, dass er nicht nachfragte, wieso ich an meine Tür geschrieben hatte, er sollte nicht stören. Er wusste eben immer, wann es besser war, nichts zu sagen. Dann schaute er wieder auf seinen Krimi. Ja, Kai liebte eben Krimis. Nicht nur, dass er hunderte von Büchern in den Regalen stehen hatte, nein, er schaute auch noch jeden guten Krimi, den er im Fernsehen finden konnte. „Ach, nichts Besonderes. Hab an nem neuen Text geschrieben“, log ich, „aber er ist nichts geworden.“ Skeptisch hob er eine Augenbraue und schaute mich nun an, schüttelte mit dem Kopf. „Deine Texte können gar nicht schlecht sein, Ruki!“ Er war irgendwie zu niedlich, wenn er einem widersprach. Aber ich beließ es dabei, schaute zum Fernseher, wo gerade zwei Kommissare miteinander redeten und tüftelten. „Was schaust du da?“ „Irgendeinen Krimi, den ich schon mal gesehen habe“, antwortete er mir und ich war nicht sonderlich überrascht, schließlich musste er ja mittlerweile jeden Krimi auswendig kennen und mitsprechen können. „Bestimmt weißt du am Anfang des Films schon immer, wer der Mörder ist“, sagte ich matt und lachte, schaute ihn wieder an. „Manchmal“, gab er grinsend zurück, „aber dafür muss man logisch denken können! Ist ja nicht deine Stärke, ne?“ Das war fies. Grinsend nahm ich ein Kissen, welches kurz darauf elegant in seinem Gesicht landete. Aber er wehrte sich natürlich, es entstand ein kleines, spielerisches Machtspiel. „Gib auf!“ „Vergiss es!“, lachte ich und lag mittlerweile schon wieder unter ihm, zweifelte erneut stark daran, ob meine Größe wirklich sonderlich günstig für solche Sperenzchen war. „Seit gestern Nachmittag wird der junge Yuu vermisst, bisher haben die Behörden noch keine genaueren Hinweise oder Spuren auf den Aufenthaltsort des Jugendlichen finden können. Man geht jedoch davon aus, dass der Entführungszeitpunkt zwischen dreizehn und sechzehn Uhr gelegen haben muss. Zeugen berichten, den Jungen am frühen Nachmittag noch in der Innenstadt gesehen zu haben. Yuu’s Familie kann sich nicht erklären, wie es zu so etwas kommen konnte, ihr Sohn habe niemals wirklich Aufsehen erregt oder ähnliches. Wir bitten alle Zuschauer, unter der unten eingeblendeten Nummer alle Informationen an die Behörden weiterzugeben, die Sie haben. Wir danken Ihnen für die Mithilfe und hoffen auch für die Familie von Yuu, dass bald eine Spur gefunden wird.“ Mein Kopf wurde leer, mein Herzschlag verlangsamte sich, mein Hals wurde unglaublich trocken. Mit geweiteten Augen starrte ich auf den Bildschirm, war unfähig, mich zu bewegen und registrierte nichts mehr um mich herum. Einzig und allein sein Bild hatte ich vor Augen, sein Lächeln und sein Schimmern in den Augen, wie es damals, als ich etwas getan hatte, was ich nie wiedergutmachen konnte, erloschen war. „Ruki, ganz ruhig“, vernahm ich eine Stimme, doch sie war weit, weit weg von mir. Ich hörte sie kaum. Ich hörte nur noch das leise Schluchzen meiner selbst, spürte, wie mir heiß und kalt zugleich wurde. Was hatte ich getan? Ich hatte es nicht einmal wiedergutmachen können, hatte mich nicht entschuldigen können. Und nun? Nun war er gegangen. Wer wusste schon, ob für immer. Doch er war nicht mehr hier, nicht mehr in dieser Welt. Das war er schon nicht mehr gewesen, seit ich ihm das angetan hatte. Das, was ich nicht wieder hatte gutmachen können. Ich hasste mich dafür. „Ruki, du bist nicht Schuld, hörst du? Er kommt wieder, sie werden ihn finden! Hörst du, Ruki? Sie werden ihn finden, hai? Komm wieder zu dir, bitte! Sieh mich an!“ Die Worte klangen stumpf, monoton und ich wollte sie nicht hören. Ich konnte sie nicht hören. Sie klangen wie ein Echo, ein lügendes Echo, das mich verspottete. Mein bester Freund verspottete mich. Sein Echo verspottete mich. Die Welt verspottete mich. Vielleicht verspottete er mich auch? Vielleicht wollte er einfach, dass ich litt? So, wie er selbst gelitten hatte? Vielleicht war das alles gar nicht real? Gott, ich wollte, ich wäre an seiner Stelle. Ich wollte, ich könnte das alles ungeschehen machen. Ich wollte, ich würde an seiner statt leiden müssen. Denn er hatte bereits genug gelitten. „Jetzt hör doch auf, Ruki! Hör bitte auf zu weinen, hai?“ Mir war es egal, ob ich weinte. Oder ob ich schrie, ob ich mich wand unter seinen Versuchen, mich zu beruhigen, mein Zittern zu beruhigen. Mir war es egal. „Ich hab Schuld…“ Konnte er es nicht verstehen? Ich hatte Schuld. Wieso sagte er mir dann das Gegenteil? Wieso log er mich an? Ich hatte Schuld! Ich war dafür verantwortlich, dass ihm so viel Leid angetan wurde! ICH! „Verdammt, du sollst dich beruhigen!“ Dann ein stechender Schmerz auf meiner linken Wange. Er hatte mich doch tatsächlich geohrfeigt. „Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen! Du hast keine Schuld, verdammt noch mal! Du kannst nichts dafür, wenn irgendwelche Psychopaten durch die Stadt rennen und Jugendliche entführen, sonst was mit ihnen anstellen und sie nachher wohlmöglich umbringen! Vielleicht kommt es auch gar nicht so weit, vielleicht finden sie Aoi vorher! Hörst du?! Sie werden ihn finden, ganz bestimmt!“ „LÜGNER!“, schrie ich, ohne, dass ich es eigentlich wollte. Ich wollte ihn nicht anschreien, nein, er konnte nichts dafür. Aber ich, ich konnte es. Er war wegen mir so zerstört gewesen, ich hatte ihm das alles angetan. Und nun trug er so viel Leid mit sich, dass er schwach davon war. Alles meinetwegen. „Du bist nicht dafür verantwortlich, hörst du? Du hast keine Schuld, Ruki. Du bist nicht schuld, okay?“ Beruhigende Worte? Besänftigende Worte? Was wollte er mir damit sagen? Dass er genauso gut lügen konnte, wie ich …? „Kai, ich wollte mich doch bei ihm entschuldigen“, wimmerte ich leise, krallte meine zitternden Hände in sein Shirt, er lehnte noch immer über mir und schaute mich verwirrt an. „Er wird zurückkommen. Er wird gefunden werden und dann kannst du dich bei ihm entschuldigen“, sagte er wieder leise und zog mich hoch, nahm mich in den Arm. Still saßen wir einfach nur da, in seinem dunklen Wohnzimmer, das nicht weiter beleuchtet war, als vom Fernsehlicht, alles schwieg und tat es doch nicht, die ächzenden Geräusche vom Fernseher ließen mich müde werden. Es ließ mich so vieles müde werden. Müde von Worten, müde vom Denken und müde vom Leben. „Ich bin schuld …“ Zwei Tage später. Zwei unerträgliche Tage, in denen ich mir Sorgen machte um ihn. Gott, wie ich mich selbst dafür verachtete. Er musste sich so dreckig gefühlt haben und nun? Nun war nicht mal mehr jemand da, dem er sich anvertrauen konnte, der ihm half und auch ich war nicht da, um mich bei ihm zu entschuldigen. Stattdessen konnte er überall sein, wo auch immer, aber ich würde ihn nicht finden. Wir waren doch alle nur gottverdammte Japaner. Hatten alle Fehler an uns, hatten alle schon einmal Fehler gemacht, hatten alle schon einmal den Gedanken gehabt, es einfach zu beenden. Es war doch so. Und ich wollte es einfach nur noch beenden. Denn wieso sollte ich so weitermachen, wie bisher? Es gab keinen Grund mehr, mich so sehr zu quälen. Denn dieser Grund, der hatte mich verlassen. Ich würde mich doch nicht mehr wegen ihm quälen müssen, nicht? Nun war er doch fort, ich würde ihn nie wieder sehen. Würde ihn niemals mehr erreichen können. Selbst, wenn er noch hier gewesen wäre, hätte ich ihn niemals erreichen können. Seine Augen ließen mich nicht los. Seine unendlich traurigen, Hilfe suchenden Augen. Ich hatte ihnen das Licht genommen, schon damals. Er war blind gewesen, war nicht mehr imstande dazu, klar zu sehen. Nein, er hatte seine Liebe ab diesem Moment verloren und mich vergessen. Nicht mein Äußeres, nein, er hatte vergessen, wer ich wirklich gewesen war, wer ich wirklich war. Jener Tag hatte sein Leben so sehr verändert, indem er gesehen hatte, wie ich mich verändert hatte. Ich war nicht ich selbst gewesen, war nicht der Ruki gewesen, den er kennen gelernt hatte. An jenem Tag hatte er etwas in mir entdeckt, was er nicht hatte vergessen können und was ihm Angst gemacht hatte. Was er all die Zeit übersehen hatte. Das, was er an mir nicht geliebt hatte. Und genau dies war es, was ihn so weit von mir entfernt hatte. Es schmerzte so sehr, zu wissen, dass man nichts mehr tun konnte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Gar nichts. So saß ich auf dem kalten Fußboden im Flur, hielt das halb durchnässte Papier in der Hand und starrte es einfach nur an. Mit demselben Ausdruck in den Augen, wie er ihn getragen hatte. Denn nun wusste ich, wie es war, etwas zu verlieren, was so wertvoll wie ein ganzes Leben war. Wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren. Es gibt für alles seine Zeit. Es gibt eine Zeit der Stille, des Schmerzes und der Trauer, aber es gibt auch eine Zeit der Dankbarkeit. Shiroyama Yuu 20. Januar 1989 – 9. Oktober 2006 In stiller Trauer verbleiben … Was hatte ich mit ihm verloren …? © ~*~*~*~*~ Nächstes Kapi : Taion Kommentare gern gesehen!!! Kapitel 12: Taion ----------------- Ein Verstehen ist unmöglich … „Und du bist sicher, dass ich nicht noch mit hochkommen soll?“, fragte Kai leicht besorgt und versuchte sich an einem Lächeln. Gott, wie mitleidig es aussah. „Iie, ich schaff das schon, keine Sorge“, antworte ich gezwungen freundlich, obwohl ich ihn in diesem Moment hätte töten können. Mein Ego schien gewachsen zu sein. „Bin zwar klein, aber den Koffer schaff ich noch allein und die Aushilfsmama durftest du schon lang genug spielen.“ Ins Negative. „Gomen, ich wollte dir ja nur helfen“, nuschelte er dann und schaute weg, „aber ich verstehe schon, wenn du mich leid bist.“ „Stimmt nicht.“ Das war die Wahrheit. Ich wollte nicht zurück, aber ich musste gehen. Jeder musste einmal gehen. Wann wohl meine Zeit kommen würde? „Arigato.“ Er schaute sich um, sah zu, wie die vielen Autos auf die Parkplätze fuhren und die Schüler ausstiegen, manche zusammen mit ihren Eltern, manche aus einem Taxi. Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der nicht von seinen Eltern gebracht wurde. Ob diese Schüler sich auch so minderwertig vorkamen? „Es dauert noch so lang bis zu den Weihnachtsferien“, nuschelte er wieder und schaute traurig, „und ich weiß doch noch gar nicht, was du dir überhaupt wünschst.“ „Kai“, nörgelte ich dann, „du weißt doch, dass ich nur ungern Geschenke annehme. Eigentlich sollte ich dich mit Geschenken überhäufen, um meiner Dankbarkeit wenigstens ein bisschen Ausdruck zu verleihen!“ „Dankbarkeit wofür?“ Baka. „Natürlich dafür, dass ich dir zwei Wochen lang auf die Nerven gehen durfte, wofür sonst? Ich kann mich ja nicht einmal bedanken, weil ich kein Geld für ein Geschenk habe oder so…“ „Weißt du“, sagte er und lächelte ein wenig, dennoch sah es etwas gequält aus, „das schönste Geschenk, was du mir geben kannst, ist einfach deine Freundschaft, Ruki. Ich brauche keine Geschenke, um zu wissen, dass ich für dich hoffentlich ein guter Freund bin. Und ich hoffe, dass es auch immer so bleibt, ne …“ Schön gesagt, Kai. Wollte er etwa, dass ich mitten auf diesem Parkplatz in Tränen ausbrach? War doch schon schlimm genug, dass ich wieder allein in diese traumhafte Schule zurückmusste. Dass ich meinen besten Freund schon wieder zurücklassen musste. Dabei wusste ich doch, wie schlecht es ihm manchmal erging. Wegen mir. Weil er helfen wollte und es nicht konnte. Weil er mich nicht verstand. Weil nicht mal ich selbst mich verstand. „Ich hab dich lieb.“, sagte ich kurzerhand und kniff in seine Wange, in seinen Mundwinkeln konnte ich die kleinen Grübchen erkennen, die er beim Lachen hatte. „Ich dich doch auch, Blondschopf!“ „Hey, nur, weil ich jetzt blond bin und du nicht“, protestierte ich und lachte einmal kurz auf. „Wer sagt denn, dass ich auch blond sein will?“ Ich hätte noch stundenlang mit ihm hier stehen können, lachen können und das, obwohl er mir schon manchmal auf die Nerven gegangen war in den zwei Wochen. Aber jetzt, hier, am letzten Abend der Ferien, hatte ich das alles schon wieder vergessen. Ich wollte nicht zurück. Nicht wirklich. Auch, wenn er mir auf die Nerven gegangen war ab und zu, aber an diesem Abend war es wieder wie immer. Doch der Abend dauerte leider nicht ewig, deshalb … „Also dann, Kai. Danke für alles, du wirst mir fehlen.“, murmelte ich leicht traurig und umarmte ihn. Wir mussten schon ein seltsames Paar abgeben, wie wir hier so standen, in einer Umarmung. Schließlich war ich ja viel kleiner als er und das krasse Gegenteil. Ich hatte mir die Haare wasserstoffblond gefärbt am letzten Ferientag und nun stach ich wohl noch mehr aus der Menge hervor, wie vorher. Und mir fiel in diesem Moment wieder ein, dass ich zurück musste. Dass ich wieder zur Schule musste. Ich hatte es nicht wirklich realisiert, als ich meine Koffer gepackt hatte, als ich im Auto gesessen hatte und selbst, als ich ausgestiegen war. Doch jetzt, wo ich hier stand, da fiel es mir auf. Da fiel mir auf, dass ich wieder allein sein würde. „Du wirst mir auch fehlen“, heulte er schon fast. Das machte mich wiederum irgendwie aggressiv. Lieber sollte er jetzt gehen, damit ich nicht auch noch in Tränen ausbrach … „Bis Weihnachten dann“, sagte ich und versuchte, zu lächeln, mich auf unser nächstes Zusammentreffen zu freuen und zu vergessen, dass ich die nächsten Monate allein sein würde. Allein. „Hai, bis dann.“ Es blieb eine kleine Träne auf seinem Gesicht, denn er schien zu wissen, dass es eine schier unendlich lange Zeit dauern würde, bis er mich wieder sehen konnte. Die Gänge kamen mir wieder so unendlich lang vor. Der Weg zur Schlüsselabgabe schien ewig zu dauern. Ob ich wieder mit ihm in ein Zimmer gehen würde? Ob ich dasselbe noch einmal durchmachen müssen würde? Denn das wollte ich garantiert nicht. Wie sehr ich doch auf ihn verzichten konnte. Dabei wollte ich doch nur zu einem einzigen Menschen … „Ruki?“, vernahm ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich blieb kurz vor der Tür zur Schlüsselabgabe stehen und drehte mich um, blickte in ein mir nicht ganz unbekanntes Gesicht. „Reita.“ Er schien überrascht darüber, wie kalt und nahezu feindselig ich meine Stimme klingen ließ. Er hatte mir nichts getan, aber dennoch war mein Hass auch auf ihn gestiegen. Dabei war er nicht einmal unfreundlich gewesen. Auch er blieb stehen, genau vor mir, und lächelte freundlich weiter. Ich hätte ihm am liebsten sein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, aber dann würde ich sicherlich das Zimmer, für welches ich mir eigentlich den Schlüssel hatte abholen wollen, nicht so schnell wieder sehen. War doch eigentlich gar keine so schlechte Aussicht … Oder? „Wie waren die Ferien? Hast du dich gut erholt?“ „Nein“, sagte ich prompt und schien ihn damit nur noch mehr zu überraschen. Er machte gerade ein ziemlich blödes Gesicht, denn mit meiner Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. „Warum nicht?“, fragte er und versuchte, sein Lächeln auf den Lippen zu lassen. Er schien sich schwer damit zu tun. Verständlich, immerhin wusste er ja, wer ich war … „Vielleicht kommst du noch drauf“, meinte ich matt und schulterte meinen Rucksack neu, da er verdammt schwer war. Noch immer schien er nicht zu verstehen, was ich meinte. „Meinst du etwa immer noch die Sache mit Uru? Ist das nicht langsam Geschichte?“, er hatte fragend eine Augenbraue gehoben. Aber ich konnte darüber nur lachen. Wie naiv Menschen doch sein konnten. Wusste er nichts, oder wollte er einfach nur nicht das wahrhaben, worauf ich hinaus wollte? „Vergeben und vergessen, Reita. Ich bin keinem mehr böse, verstehst du?“, sagte ich dann ruhig, behielt das Lächeln im Gesicht. „Na, wurde auch Zeit! Wo hast du denn Aoi gelassen? Bist du nicht mit ihm gekommen?“, fragte er dann und schaute sich offensichtlich kurz um. Für seine Dummheit hatte ich nur ein müdes Lächeln übrig. Es konnte nicht sein, dass er davon nichts wusste. Mittlerweile war es knapp eine halbe Woche her, dass es in der Zeitung gestanden hatte. Tat er einfach nur so dumm, um mich verletzen zu können? „Oh, nein, ich dachte, du wohnst mit ihm auf einem Zimmer“, sagte ich fast schon spöttisch und grinste, sah dabei zu, wie er immer unsicherer zu werden schien. „Ach, dann kommt er sicher noch“, meinte Reita, „und Uruha ist schon oben. Soll ich dir noch helfen? Sieht ziemlich schwer aus, was du da hast.“ „Ich glaube, du hast mir schon genug Abhilfe verschafft, danke. Ich bin dann oben“, sagte ich daraufhin nur kühl, drehte mich um und lief weiter zur Schlüsselabgabe, um mich endlich auf mein warmes Bett im Zimmer schmeißen zu können. Dass Uruha dort sein würde, störte mich herzlich wenig. Alles störte mich herzlich wenig. Auch, dass Reita mich scheinbar wirklich nur verarscht hatte. Naiver Mensch. Ich war so schrecklich ignorant geworden. Ob das so gut für mich war? Immerhin tat ich gerade so, als würde mich nichts mehr auf der Welt wirklich bewegen, dass mich nichts mehr berühren konnte. Ich war noch nicht über Aois Tod hinweg, nein. Und ich war auch noch nicht über Uruha hinweg. Aber das alles schien mir mit der Zeit egal geworden zu sein. Der Tod war mir egal geworden. Ich wartete auf den Fahrstuhl, schaute mich dabei noch einmal um. Es sah alles genauso aus, wie zu Anfang. Wie damals, als ich das erste Mal diese Schule betreten hatte. Altmodisch eingerichtet, für meinen Geschmack total unpassend für ein Jungeninternat, und es roch noch immer nach altem Möbelholz. Für mich ein widerlicher Geruch, aber nun musste ich ihn wieder knapp drei Monate lang ertragen. Und würde ich diesmal ganz allein sein? Würde diesmal niemand mehr da sein, der sich ein ‚Freund’ nannte? Ich konnte mich noch an eine Zeit erinnern, da war jemand bestimmtes für mich da gewesen, war nett zu mir gewesen und hatte mir zumindest für eine kleine Zeit das Gefühl von Freundschaft spüren lassen. Dieser Jemand war nur noch ein paar Türen von mir entfernt, denn die Fahrstuhltür hatte sich geöffnet und ich trat auf den leeren Gang, schaute mich um. Ein paar Lampen an den Türen waren ausgefallen, die Nacht war dunkler als sonst, denn wir hatten Neumond. Ich würde die Nacht über nicht schlafen können. Auch das Licht neben unserer Zimmertür war ausgefallen und dieser Umstand trug nicht gerade dazu bei, mir einen fröhlichen und gemütlichen Abend allein in meinem Bett mit meiner Kladde auszumalen. Großartig. Ich zog den eben abgeholten Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss die Tür auf, drückte die Klinke herunter und trat ins Zimmer. Meinen Koffer stellte ich direkt an der Wand ab, meinen Rucksack schmiss ich einfach irgendwo in eine Ecke und ließ die Tür geräuschvoll zufallen. Das Zimmer war ebenfalls größtenteils dunkel, die einzige Lichtquelle war die Nachttischlampe eines der beiden Betten. Ich konnte mir denken, welche von beiden es war, aber ich schaute mit Absicht nicht hin, sondern zog mir erst einmal meinen Mantel aus, um ihn aufzuhängen. Die Schuhe beförderte ich ebenfalls in irgendeine Ecke des Zimmers, hatte vor einiger Zeit beschlossen, es meinem Zimmergenossen einfach gleichzutun. Mal sehen, wie lange ihm das passen würde. „Sagst du nicht mal mehr hallo, oder was?“, vernahm ich dann seine dunkle Stimme aus richtung Bett. Also schaute ich doch hin und was ich sah, ließ mich schlucken. Ich konnte nicht leugnen, dass er noch besser aussah, als er es vor den Ferien getan hatte. Seine Haare waren ein bisschen dunkler gefärbt und die blonden Strähnen stachen nun noch ein bisschen mehr hervor, denn auch sie hatte er scheinbar heller gemacht. Das alles ließ sich gerade noch in dem fahlen Licht der Nachttischlampe erkennen. Aber dennoch ging mir schon wieder auf die Nerven, wie er mit mir sprach … „Mann, ich bin gerade zur Tür rein, soll ich da freudestrahlend durch die Gegend hüpfen und mich freuen, wieder mit dir in einem Zimmer wohnen zu dürfen, oder was?“ „Ein einfaches ‚Hallo’ hätte es auch getan“, kam es nur schnippisch zurück und schon stand er auf, kam auf mich zu. Lächelnd. Arschloch. „Wie waren denn die Ferien bei dir? Haben uns ja nur … kurz gesehen …“, meinte er daraufhin bloß, schien sich nicht gern daran zurück zu erinnern. Ich mich auch nicht. „Sehr schön, wirklich sehr schön“, antwortete ich ihm, lächelte freundlich, „ich hatte wirklich ne Menge Spaß. Weißt du, ich hatte endlich einmal die Gelegenheit, so richtig zu entspannen und den ganzen Stress zu vergessen. Hoffe, du hattest auch die Gelegenheit?“ „Also waren sie für’n Arsch?“ Wie Recht er doch hatte. Aber das brauchte ihn doch am wenigsten zu interessieren, oder? Schließlich hatte er ja nicht gerade wenig dazu beigetragen. „So kann man es nennen, hai“, mit diesen Worten ging ich an ihm vorbei und schmiss mich auf mein Bett. Ich wollte einfach nur Ruhe vor ihm, vor allem, vor mir selbst, war das denn zu viel verlangt? „Dann erzähl doch einfach mal“, sagte er und setzte sich ans andere Ende meines Bettes, schaute mich mit neutralem Blick an. Man hätte meinen können, er wollte mich wieder auf den Arm nehmen. Mir wäre lieber gewesen, es hätte mich jemand in den Arm genommen … „Was willst du hören?“ „Was du so gemacht hast. Wieso deine Ferien so beschissen waren. Es sei denn, du willst mit mir nicht über sowas reden, weil du immer noch der Meinung bist, dass ich das größte Arschloch auf Erden bin.“ „Das bist du auch“, sagte ich sofort und grinste flüchtig. Aber mehr als das wollte ich zu dem Thema nicht sagen. Also fuhr ich fort. „Ich könnte dir sagen, wieso ich fast keine Nacht durchgeschlafen habe, wieso ich mich zwei Tage lang in mein Zimmer eingeschlossen habe und mein bester Freund sich Sorgen um mein Leben gemacht hat. Aber weißt du, ich kann es auch lassen, ne?“ „Du bist n Baka“, sagte er kurzerhand und lehnte sich zurück, schien es sich ein bisschen gemütlich zu machen. Das nervte mich an. „Fühl dich nicht zu wohl bei mir, Uru-chan …“ „Keine Sorge, solange du mich nicht so nennst, bin ich friedlich. Könntest aber trotzdem mal ein bisschen freundlicher zu mir sein, ne?“ „Wieso sollte ich?“ „Man beantwortet keine Fragen mit Gegenfragen.“ „Na und? Von dir habe ich auch nie Antworten bekommen.“ Er schwieg. Eine ganze Weile lang sagte niemand von uns etwas, wir blickten uns einfach nur an. Ob sein Blick nun feindselig, freundlich, ausdruckslos oder ähnliches war, konnte ich nicht sagen. Einfach undefinierbar. „Wir sollten ins Bett, es ist spät“, sagte er nach einer weiteren kurzen Zeit, er schaute mich jedoch nicht mehr an, sondern stand auf und ging zu unserer kleinen Küche. Dort holte er sich etwas zu Trinken aus dem Kühlschrank und leerte die halb leere Flasche in einem Zug. „Willst du auch was?“, fragte er mich, ich schüttelte den Kopf. Wusste nicht, was ich im Moment von der ganzen Situation halten sollte. Ich kam mir so unendlich allein und verlassen vor. Dabei stand doch die einst wichtigste Person für mich genau mir gegenüber und kam nun auf mich zu. „Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Ruki. So schrecklich können die Ferien nun auch nicht gewesen sein, oder? Ich meine, was ist denn passiert, dass du die ganze Zeit schon aussiehst, als hättest du deinen Lottoschein mit dem Jackpot nicht eingelöst?“ Also hatte er auch keine Ahnung? Oder tat er auch nur so unschuldig, wie Reita es getan hatte? „Langsam glaube ich wirklich, ihr kriegt nichts mehr mit, wisst ihr das? Ich hab jetzt keine Lust mehr, mich mit dir darüber zu unterhalten, ich … bin dann im Bad …“, meine Stimme drohte zu brechen und ich stand zitternd auf, machte mich auf den Weg in unser kleines Badezimmer. Uruha schien nun wirklich rein gar nichts mehr zu verstehen, schaute mich einfach nur an und sagte nichts. Aber sein Blick sagte mehr, als die Worte, die ihm vielleicht gerade im Kopf herumschwirrten. Er wusste wirklich von nichts, hatte keine Ahnung von dem, was sich in der Stadt vor einigen Tagen ereignet hatte. Ich verstand es nicht. War er blind? „Ist es wegen Aoi?“ Und mein Herz schien für einen Schlag auszusetzen. War also doch ich blind gewesen? Hatte ich die ganze Zeit etwas Falsches in den Augen der anderen gesehen? Was hatte es zu bedeuten, dass niemand darüber sprach? Nicht vor mir? Wenn sie doch den Grund kannten … „Weiß Reita davon?“, fragte ich, statt eine Antwort zu geben und blieb im Türrahmen stehen. Uruha schien einen Moment lang nachzudenken, antwortete aber dann. „Hai, natürlich weiß er das“, sagte er leise und seufzte. Also hatte er mich auch nur wieder verarscht. Wie es sonst auch jeder immer nur getan hatte. Wieso nur war ich erneut der Überzeugung, dass jeder, der mich heute schon hier angesprochen hatte, mich nur auf den Arm genommen hatte? Dass sie alle nur nett zu mir waren, weil sie ein Geheimnis aus seinem Tod machten, dass sie nicht wollten, dass ich darüber redete, dass sie alle zu feige waren, es auszusprechen, war ein Grund dafür, wieso ich die erste Träne vergoss. Ich konnte mich nicht länger wehren. Meine Füße trugen mich beinahe schon von selbst ins Badezimmer, ich schloss unbewusst die Tür hinter mir und stand in der Mitte des kleinen Raumes, starrte einfach nur auf den weißen Fliesenboden. Alles, was ich in den letzten paar Wochen erlebt hatte, kam hoch. Erinnerungen an kleinste Dinge, die ich getan hatte. Ich hob meinen Finger und betrachtete den winzigen, verkrusteten Schnitt, den ich mir beim Sortieren meiner voll geschriebenen Blockpapiere zugezogen hatte. Dann das kleine, schwarze Reiskorn, das ich beim Essen mit Kai in meiner Portion gefunden hatte, die kleine Stubenfliege, die seit geraumer Zeit in Kais Gästezimmer gehaust hatte. Alles Dinge, die ich nie wirklich wahrgenommen hatte. Und da fiel mir auf, dass ich vielerlei Dinge nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit wahrgenommen hatte, wie ich es eigentlich hatte tun sollen. So vieles musste ich doch übersehen haben, was wichtig gewesen war. Die kalten Fliesen unter mir jagten kleine Schauer durch meinen Körper. Mein Rücken, bedeckt nur mit einem dünnen Stück Stoff, lehnte an der Wand neben der Badewanne und meine nackten Füße schienen die Kälte wie ein Leiter in meinen Körper zu befördern. Nicht nur meine Haut war wieder gefroren, nein, auch meine Seele schien sich langsam wieder zu verschließen. Durch eine dichte Eisschicht, die sich darum legte und all meine Empfindungen in mir einschloss. Ich war mir sicher, in diesem Moment gerade, war ich nicht fähig, zu empfinden. Meine Gedanken jedoch überschlugen sich im nächsten Moment, denn die kurze Stille in mir und um mich herum schien nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen zu sein. All das, worüber ich so wenig nachgedacht hatte, all das, was trotzdem so wichtig gewesen war, kehrte als endloses Gefühl der Schuld in mich zurück. Was seine Augen ausdrückten, als er unter mir gelegen hatte. Was er mir vielleicht hatte sagen wollen. Die kleinen Perlen auf seinen blassen Wangen, die mir etwas hatten sagen wollen. Es waren die kleinen Dinge, die die Menschen übersahen. Aber genau diese Kleinigkeiten gehörten meist zu den bedeutsamsten aller Dinge. Ich schloss die Augen, spürte, wie heiße Tränen mir über die Wangen liefen. Nahm nichts mehr um mich herum wahr, hatte nur noch ein Bild vor Augen. Sein Bild. „Ich hab es umgebracht, nicht wahr?“, vernahm ich seine leise Stimme, „ich hab es sterben lassen. Weil ich so viel falsch gemacht habe, hab ich Recht?“ Zwei Arme, die meinen schwachen Körper umschlangen, seine Gestalt zog mich an sich und ich fror nicht mehr. Nein, jetzt fror ich nicht mehr. Denn jemand hielt mich in seinen Armen. Auch ich schlang die Arme um ihn, zog ihn an mich und schluchzte leise, jedoch unbewusst. Ich öffnete die Augen einen kleinen Spalt und vernahm seinen Geruch, seine blonden Haare fielen mir ins Gesicht und ich musste die Augen wieder schließen, wollte den Moment genießen, in dem er zu mir zurückgekommen war. Aber was meinte er damit? Was hatte er umgebracht? Was hatte er sterben lassen? Und was hatte er falsch gemacht? War ich es nicht gewesen, der so vieles falsch gemacht hatte? Was ich an ihm hatte sterben lassen? Was also sollte er mir genommen haben …? „Dein Lächeln …“, sagte seine sanfte Stimme und eine Hand streichelte meinen Rücken, wärmte mich. All meine Gefühle schienen mit einem Mal zurückzukehren, das Eis um meine Seele schmolz und bildete kleine Tränen, die meine Augen unaufhaltsam verließen. Alles, was ich sah, war sein Bild und wie er mich gerade in den Armen hielt. Nun war mir alles egal, außer diesem einen Moment. Dieser Moment, der für mich zählte. Der, in dem ich endlich glauben konnte, dass Liebe bis weit über den Tod hinausging. Denn er hielt mich in seinen Armen, gab mir Wärme und schenkte mir mein Lächeln zurück. „Ich liebe dich, Aoi …“ © Kapitel 13: Kapitel 1 - Epilog ------------------------------ SO, hier die ganze FF für EUCH *g* ~*~*~*~*~*~ The End Mein Name ist Ruki. Ich besuche seit kurzem ein Jungeninternat. Gegen meinen Willen, versteht sich. Ich wurde gezwungen von den Menschen, die sich meine Eltern schimpfen. Und dafür hasse ich sie. Dass sie meine Eltern sind, meine ich. Niemals haben sie mich geliebt, zumindest hat es sich nie so angefühlt. Immer war ich ihnen im Weg und immer haben sie mich dann weggeräumt, als sei ich nur ein wertloser Gegenstand. Und nun musste ich auf eine höhere Schule gehen. Natürlich sahen meine Eltern das als eine optimale Chance, mich loszuwerden und deshalb schickten sie mich mit meinen jungen sechzehn Jahren auf dieses dreckige Internat. Seit drei Tagen bin ich nun schon hier und weiß nichts mit meiner Zeit anzufangen. Ich hatte erst einmal ein Einzelzimmer bekommen, damit ich mich eingewöhnen konnte. Den Unterricht musste ich auch noch nicht besuchen. Ich konnte also tun und lassen, was ich wollte. Noch. Morgen würde ich in den Unterricht müssen und ich würde meinen Zimmergenossen kennen lernen. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, mein Einzelzimmer zu behalten, aber es war nicht genug Platz und deshalb würde ich einen Mitbewohner bekommen. Gegen meinen Willen natürlich. Aber mich hatte ja sowieso noch nie jemand nach meiner Meinung gefragt. Wieso sollte man auch? Ich war ja nur wertlos und ständig im Weg. Außerdem hatten schmutzige Gegenstände keine Meinung. Wieder saß ich gelangweilt auf meinem Bett und hörte Musik. Der einzige Trost, den ich hatte. Musik. Eigentlich das einzige, wofür ich noch lebte. Ich schrieb meine eigenen Lyrics, drückte mich durch sie aus. Schrieb in ihnen meine Träume und Wünsche nieder, meine Erfahrungen und innersten Gedanken. Niemandem hatte ich diese Lyrics bisher gezeigt. Sie waren mein Geheimnis. Nein, sie waren das, was ich als ‚meins’ bezeichnen konnte. Einzig und allein als ‚meins’. Es konnte sie mir niemand nehmen. Sie gehörten nur mir. Und das sollte auch so bleiben. Wie in dem Moment, als ich plötzlich eine Hand bemerkte, die nach meinem soeben beschriebenen Blatt Papier greifen wollte. Schnell zog ich es weg und faltete es zusammen, um dann nachzusehen, wer mir gerade mein letztes Hab und Gut entreißen wollte. „Was?!“ keifte ich bösartig die ältere Dame vor mir an. Sie lächelte nur matt und deutete mir dann an, aufzustehen. Jetzt erinnerte ich mich. Diese Frau war stumm. Sie war diejenige, die die Schüler immer auf ihre Zimmer begleiten sollte. Moment… Zimmer?! Wieso Zimmer?! War es denn heute schon so weit?! Ich hatte mich doch etwa nicht im Zeitplan vertan, oder? Ich warf einen schnellen Blick auf den Kalender. Stimmt ja! Ich hatte fast einen ganzen Tag lang verschlafen, als ich angereist war. Und die Zeit hatte ich völlig vergessen. „Ähm“ fing ich an. „Ich hab meine Sachen noch nicht…“ Die Frau schien auf Anhieb genervt. Sie zog meine Tasche aus dem Schrank, warf sie mir vor die Füße und deutete mir an, die wenigen Kleidungsstücke und die restlichen Sachen, die ich während der drei Tage schon ausgepackt hatte, wieder einzuräumen und ihr dann ganz unauffällig in mein neues ‚Reich’ zu folgen. Ja, ein Reich, in dem ich mich immer beobachtet fühlen würde. In dem ich keine einzige Minute für mich allein haben würde. In dem alles durch einen fremden Geruch verpestet würde. Ich war ganz sicher nicht eitel und selbstverliebt, aber wenn es um meinen Geruch ging, der an meinen Sachen haftete, so duldete ich keine Ausnahme! Wenn es nicht nach mir roch, hatte ich nicht das Gefühl, dass es mir gehören würde. Dabei gehörte nur so wenig auf dieser Welt mir. Nicht mal mein Zimmer gehörte mir allein… Schnell packte ich meine Sachen in die Tasche, beobachtete dabei die Frau, wie sie mich ungeduldig beobachtete und beeilte mich noch ein bisschen mehr. Als ich dann endlich fertig war, ließ sie mich vorauslaufen und schloss dann hinter mir die Tür ab. Ade, du wundervolles Einzelzimmer. Es war eine schöne Zeit, wenn auch nur eine kurze. Ich hatte wirklich viel Spaß in diesem Zimmer… Schon wieder diese grausamen Blicke, die ich auf mir spürte, als ich an ein paar Schülern vorbeikam. Ich wusste nicht, ob sie schon länger an der Schule waren und mich nur so ansahen, weil ich ein ‚Neuer’ war, oder ob es daran lag, dass ich so feminin aussah. Mir war das erste lieber. Obwohl ich wusste, dass es wohl eher aus dem zweiten Grund war. Dass diese Blicke mich wieder verfolgen würden, so, wie früher. Dass mich alles wieder an meine Vergangenheit erinnern würde… Wieso war diese Frau da nur so unglaublich nervig?! Sie hatte wohl noch einen dringenden Termin mit dem Staubsauger oder sowas, denn sie schien es irgendwie unglaublich eilig zu haben. Aber was sollte es schon… ich folgte ihr gehorsam. Zirka zwei Stockwerke, zwanzig Gänge und dreihundert verschiedenfarbiger Bobinetgardinen später kamen wir endlich an den Zimmern für die Unterstufe dieses Internats an. Gespannt wartete ich darauf, dass jemand antwortete, als die Frau anklopfte. Irgendwann ertönte dann eine junge, männliche (wer hätte das erwartet?!) Stimme, die uns den Eintritt gewährte und stürmisch öffnete die Alte dann die Tür. Meine Tasche warf sie achtlos ins Zimmer, kam dann wieder zu mir, denn ich stand ein paar Meter weiter weg von der Tür. Eilig schob sie mich dann vor bis zur Zimmertür und ließ mich dann einfach da stehen. In dem Moment fragte ich mich, wie man nur so hyperaktiv sein konnte und wie sie damit klar kam, ihre Hysterie nicht einmal herausschreien zu könne. Apropos schreien… wieso hatte dieses Walross eigentlich bei mir nicht angeklopft, als sie in mein Zimmer geplatzt ist?! Als ich mir dann endlich klar gemacht hatte, dass dies wohl Fragen waren, auf die ich niemals eine Antwort bekommen würde – was nicht nur an der Tatsache lag, dass diese Frau nicht sprechen konnte – trat ich endlich ins Zimmer ein. Und was ich dort fand, haute mich ziemlich von den Socken. Nun verstand ich, wieso die Frau es so eilig hatte. Sie wollte scheinbar nur weg von diesem Typen, der da lässig auf dem Bett lag und in seiner Zeitschrift rumblätterte. Er hatte blondes Haar und braune Strähnchen darin. Seine Augen waren geschminkt. … Moment mal!!! Geschminkt?! „Wa…“ irgendwie kam ich mir gerade verdammt bescheuert vor. Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt in der Tür du starrte auf diesen schrägen Bekloppten auf dem Bett, als wäre er der ehemalige irakische Informationsminister höchstpersönlich. „Meine Fresse, willst du da festwachsen oder so? Komm rein, es zieht!“ Seine tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich schüttelte leicht den Kopf und kam dann ins Zimmer. Leise schloss ich die Tür hinter mir und sah mich dann um. Überall an den dunkelroten Wänden hingen Poster rum von diversen Bands: X Japan, Dir en Grey, D'espairs Ray, Merry… und alles Bands, die ich ebenfalls mochte. Sogar ein Malice Mizer – Poster hatte er hier hängen. Ich liebte dieses Zimmer schon jetzt. Aber dieser Typ war mir trotzdem nicht geheuer. „Hat sowas wie du auch nen Namen?“ fragte er dann, warf lässig seine Zeitschrift zurück auf den ohnehin schon überfüllten Nachtschrank. Irgendwie war er mir unsympathisch, obwohl er vieles mit mir gemeinsam zu haben schien. „Ruki“ antwortete ich nur matt und suchte nach dem Kleiderschrank in diesem Zimmer. Als ich fündig wurde, krallte ich mir meine Tasche und hiefte sie zu eben diesem rüber. Hielt dieser Kerl es nicht für nötig, mir mal seinen Namen zu nennen? Das war wohl keine Selbstverständlichkeit in seinen Augen, oder? Hatte der überhaupt schon mal was von Manieren gehört? Immerhin war es nicht gerade höflich, einen armen, kleinen Möchtegern wie mich so bedröppelt da stehen zu lassen. „Und sowas wie du? Hat sowas auch nen Namen?“ fragte ich nach einer Weile, in der ich stillschweigend meine Klamotten in den Schrank eingeräumt hatte. Als ich dann eine weitere der schmalen Türen aufmachen wollte, wurde ich aufmerksam durch eine Stimme. „Die würd ich nicht aufmachen!“ Doch es war schon zu spät. Noch ehe ich mich versehen hatte, fand ich mich schon unter einem Stapel CDs wieder. Okay, dieser Typ wohnte definitiv nicht erst seit einer Woche hier! Ob er wohl älter war als ich? Ich besah mir diese Knalltüte noch einmal, bis mir dann auch wieder in den Sinn kam, wieso der mich gerade auslachte. Schnell setzte ich meinen Deathglare auf und knurrte gefährlich. Was bis jetzt noch jeden dazu gebracht hatte, mich überrascht und erschrocken anzustarren. Und genau das tat dieser Spacken dann auch! „Woah… was war n das? Warst DU das?!“ fragte er überrascht und glotzte mich fasziniert an. „Ja, wieso wohl?! Was machen DEINE CDs in MEINEM Schrank, hä?! Räum. Sie. Weg!“ zischte ich bedrohlich. Obwohl mir irgendwie gerade überhaupt nicht nach bedrohlich war. Diese Type war schon komisch drauf, das musste ich zugeben. Er stand ganz langsam auf und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Dann stand ich auch endlich mal auf und machte mich daran, meine Unterwäsche in die Kommode neben dem Schrank zu räumen. Der Spacken räumte währenddessen seine CDs gemächlich weg, wobei er mir trotzdem immer wieder kurze Blicke zuwarf. Das merkte ich. Aber warum?! Eine Stunde später war ich endlich fertig und ich warf meine leere Tasche unter mein Bett. Dann zog ich meine Nachttischschublade auf und ließ meinen Block hineingleiten. Mein Mitbewohner hatte es sich inzwischen wieder auf seinem Bett bequem gemacht und beobachtete mich. „Damit wir uns verstehen“ zischte ich, drehte mich zu ihm um. Sollte er mich mit meinem momentanen Psychoblick ruhig für ein Monster halten. „Wenn du auch nur einen klitzekleinen Millimeter zu nahe an diesen unschuldigen, kleinen Nachtschrank hier kommst und dessen Inhalt durchwühlst, dann landet dieses grottenhässliche Möbelstück ganz aus Versehen in deiner Hackfresse, ist das angekommen?!“ Das war doch nicht zu fassen! Dieser Typ grinste! Und dabei sollte er sich lieber in die Hosen scheißen! Der hatte ja keine Ahnung, zu was ich fähig war! Himmel, der sollte endlich was sagen! Der machte mich wahnsinnig mit seinem Dauergrinsen auf der Mattscheibe! „Hai, domo. Angekommen…“ „Und bring mich ja nicht dazu, meine Krallen benutzen zu müssen, solltest du auch nur das leiseste Geräusch in der Nacht machen und mich damit wecken, alles klar?!“ meine Stimme war nur ein bedrohliches Raunen und meine Augen hatten sich wie von selbst zu Schlitzen verengt. Aber wieso schien das diesen Typen nicht abzuschrecken?! Mann, wie mich das nervte, diesen Typen in Gedanken immer mit ‚diesem Typen’ oder ‚Spacken’ ansprechen zu müssen! „Und deinen Namen weiß ich noch immer nicht…“ fügte ich dann etwas ungeduldig hinzu, als ich von meinem Bett aufstand und durch das Zimmer zum anderen Ende hinlief, die dortige Tür einen Spalt öffnete. Das Bad also. Irgendwie dreckig. Wie lange schon hatte hier niemand mehr sauber gemacht? „Wir müssen selber putzen“ ertönte es hinter mir. Also hatte ich diese Frage doch laut ausgesprochen? „Bitte WAS?!“ na klasse, jetzt lebte ich schon mit einem Verrückten in einem Zimmer und nun, als wenn das noch nicht Strafe genug wäre, musste ich auch noch selber putzen?! „Okay, damit wir das gleich mal klarstellen“ begann ich und kam langsam auf das Bett meines Mitbewohners zu. „Ich werde deinen Scheiß im Bad ganz sicher nicht wegmachen! Aber wenn ich sehen sollte, dass du nach dem Duschen oder Haare kämmen deine Haare da hinterlassen hast, gnade dir Gott! Und gesaugt wird auch nur einmal in der Woche, aber abwechselnd, klar?“ schließlich blieb ich kurz vor seinem Bett stehen und funkelte ihn an. „Hör mal, Schisser! Ist das hier dein Zimmer oder unseres?! Hier gelten wenn schon meine Regeln! Erstens weil ich älter bin und zweitens weil ich hier schon länger lebe als du!“ erwiderte er und zeigte mir den Mittelfinger. Das ging zu weit! Okay, ganz ruhig, Ruki, mein Alter! Der Spacken würde sich noch wundern, aber nicht jetzt… ich musste mich beherrschen! „Ich bin duschen. Sollte ich deine Anwesenheit in einem Radius von zwei Metern vor der Badezimmertür spüren, bist du längste Zeit blond gewesen, klar, Kurzer?“ „KURZER?!“ brüllte er mich plötzlich an. Ich wich einen Schritt zurück. Mann, hatte der ein Organ, wenn er wollte! „Nenn mich noch einmal KURZER und ich mach dich noch nen Kopf kleiner als du eh schon bist, klar?!“ Langsam wurde mir das zu dämlich und ich winkte ab. Dann verschwand ich mit meinem ‚Neon Genesis Evangelion’ – Handtuch im Badezimmer und schloss hinter mir ab. Aus irgendeinem undefinierbaren Grund konnte ich diesen Typen nicht ausstehen. Und mit dem sollte ich es jetzt die nächsten fünf Jahre aushalten?! Okay, jetzt wollte ich mein Einzelzimmer definitiv zurück… Ich zog mich langsam aus und hängte meine Klamotten ordentlich über die Heizung. Dann stellte ich mich unter die Dusche und lies kaltes Wasser über meinen müden Körper laufen. Es sollte mich wach halten. Ich fragte mich, wann ich wohl morgen früh aufstehen musste. Sicherlich waren das hier alles Streber, die um fünf Uhr morgens aus den Federn sprangen und ihren Lehrern schleimerisch die Stiefel leckten. Widerlich!!! Ich wusch mir meinen vernarbten Körper sauber und shampoonierte mir dann noch die Haare ein, ehe ich mich wieder abwusch und schließlich das Wasser abstellte. Okay, in diesem Moment erklärte ich das Badezimmer zu meinem persönlichen Lieblingsort dieses Internats. Hier konnte ich wenigstens ein bisschen für mich sein. Okay, ich hatte mich wohl doch getäuscht. Von draußen klopfte es an die Tür. Genervt rang ich mich zu einem „Was?!“ durch, nachdem ich mir schon sämtliche Selbstmordvortäuschungsmethoden durch den Kopf hatte gehen lassen, damit sie mich hier raus brachten. „Dein Handy klingelt!“ Das konnte nur Kai sein! Schnell zog ich mir meine bereitgelegte Jogginghose an und schloss die Tür auf, um zu meinem Handy zu sprinten. Ich nahm ab und vernahm die wohlbekannte Stimme meines besten und auch einzigen Freundes… „Oi, Kai! Wie läuft’s?“ „Hai, kann mich nicht beklagen, ne? Und bei dir? Ist dein Wohnpartner sehr schlimm?“ „Oh, nicht doch, wir verstehen uns bestens…“ mit einem ironischen Blick sah ich über meine Schulter auf den in seinem Bett liegenden und grinste flüchtig. Doch mein Mitbewohner bekam von alldem nichts mit, da er Musik hörte. „So schlimm?“ fragte Kai und lachte. „Was weiß ich, was der sich einbildet! Das ist der Freak schlichtweg!“ „Aber selber… wie heißt er denn?“ „Weiß ich ja nicht!“ „Wie, du weißt es nicht?!“ Kai klang ungläubig, was ich nur allzu gut verstehen konnte. „Der ist wirklich freaky… das einzig normale an dem ist die Musik…“ „Du redest von Dir en Grey?“ „Jep“ grinste ich und schob mir ein Kaugummi rein. „Hat ganz viele Poster an der Wand und n Haufen CDs, die mir beim Sachen einräumen schon erwartungsvoll und quietschfröhlich entgegengekommen sind…“ seufzte ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Spast hinter mir seine Musik leiser gedreht hatte. Sollte ich mich ins Bad verflüchtigen? „Kai, ich muss auflegen… muss noch n paar Sachen erledigen, ne?“ „Hai, man sieht sich! Mach’s gut!“ „Mach’s besser…“ grinste ich noch immer und legte auf. Irgendwie tat es gut, seine Stimme zu hören. Ich drehte mich um und besah mir meinen Mitbewohner noch mal. Der saß noch immer seelenruhig auf seinem Bett und hörte Dir en Grey. Das war wohl unverkennbar ‚Ash’… mein Lieblingslied von ihnen. Aber genau das hatte ich nicht! Verdammt, dieser Typ regte mich auf! Ich erhob mich von meinem Bett und lief langsam zurück ins Bad. Schon wieder spürte ich Blicke auf mir und meinem nackten Oberkörper. Was kuckte der Spasti denn so?! Das waren nur Narben! Hatte der noch nie Narben gesehen oder was?! Hastig drehte ich mich um und zeigte ihm meinen mit Ringen verzierten Mittelfinger. Der Blödmann grinste nur und zeigte mir gleich beide davon. ARGH! Okay, ich musste mich beherrschen. Ich hatte heute schließlich noch ein äußerst unnötiges Abendessen vor mir. Und ich hatte absolut keinen Hunger… Eine halbe Stunde später, in der ich mich im Bad fertig gemacht hatte, in der ich die unsäglichen Höllenqualen der etwas geschmackloseren Musikrichtung meines Mitbewohners durch den Ghettoblaster ertragen musste und in der ich endlich etwas passendes zum anziehen gefunden hatte, verließ ich den weiß gekachelten Raum wieder und gesellte mich – nicht ganz freiwillig, versteht sich – zu meinem Zimmergenossen. Dieser schien mich schon sehnlich erwartet zu haben. „Was glotzt n du so?!“ fauchte ich, während ich mir meine noch fehlende schwarze Strickjacke überzog. Dieser Typ konnte einen wirklich aufs Äußerste reizen! „Mann, wenn man fast ne halbe Stunde im Bad braucht, will ich ja wohl sehen, was dabei rauskommt, oder?“ grinste er blöd und stand auf. Wieso bloß widerte er mich auf eine ganz bestimmte Weise an? „Du hast doch auch nicht viel weniger Zeit gebraucht…“ gab ich schnippisch zurück. Warum wollte mein Pullover nicht so, wie ich wollte?! ARGH! Okay, dem Gesicht dieses Spasten zuurteilen hab ich gerade wirklich laut gegrummelt… „Was glotzt du so?! Kuck woanders hin, du gehst mir auf den Sack!“ „Mann, ich lebe mit nem Monster auf einem Zimmer!“ sein fassungsloser Blick brachte mich zum grinsen. Was hatte er denn nun wieder?! Mein Knurren war ja wohl einzigartig und ER?! „Nenn mich noch EIN MAL Monster und dein fetter Bratarsch fliegt hochkant aus dem Fenster!“ somit warf ich ihm noch einen Deathglare zu und zog meine Jacke zu. Seufzend hockte ich mich vor die Zimmertür und hustete kurz. Dann fiel mir der Haken auf. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wo hier der Speisesaal war, weil mir das Essen in den letzten Tagen aufs Zimmer gebracht wurde und somit war ich ganz blöderweise an diesen Hornochsen gebunden… KUSO! „Was n? Wieso verziehst du dich nicht? Das wäre jetzt eigentlich der passende Moment dazu gewesen“ grinste dieser fiese, miese, kleine, neunmalkluge Scheißer und deutete auf die Tür. Als wenn ich nicht selber auf die Uhr gekuckt hätte, damit ich meinen Einsatz nicht verpasse… aber WO bitte sollte ich denn hin?! „Du zeigst mir, wo ich hin muss und dann siehst du mich den ganzen Abend nicht wieder… weil ich meinetwegen auch auf dem Flur schlafe oder so… aber ich schlafe garantiert nicht mit dir in einem Zimmer!“ „Ist mir doch egal, mach, was du willst…“ „Leck mich!“ „Ausziehen!“ „PERVERSLING!“ schrie ich. Das war jetzt der zweite Einsatz, in dem ich mich eigentlich aus der Tür hätte verflüchtigen sollen, aber stattdessen saß ich nur ratlos vor der Zimmertür auf dem Boden und starrte meinen Mitbewohner wutentbrannt an. Wie der nur so seelenruhig auf seinem Bett sitzen konnte, war mir definitiv ein Rätsel… wo war das Loch, in dem ich versinken konnte? „Gehen wir, es sind gleich sieben…“ meinte dieser kleine Idiot daraufhin und stand auf. Skeptisch betrachtete ich ihn, wie er auf mich zukam und dabei unglaublich arrogant aussah. Wie konnte man nur so eingebildet laufen?! „Mann, Mann, Mann, bei dir fehlen nur noch die grünlichen Eitelkeitsdämpfe, die die armen Lilien in diesen potthässlichen Friedhofsvasen auf dem Flur verwelken lassen…“ Doch diesen Spasten störte mein Kommentar wenig und er schob mich mit dem Fuß lässig von der Tür weg. Ich grummelte wieder und stand dann auf, woraufhin ich mir den Staub von der Hose klopfte. „Los, Hündchen, folge mir“ grinste dieser Fiesling. Spätestens jetzt wollte ich seine Frettchenfresse mal so richtig ordentlich durch den Mixer jagen. „Sei brav!“ „Fick dich!“ Okay, also erbarmte ich mich, ihm zu folgen und diese unglaublich hässlichen Gardinen ignorierte ich so gut wie möglich. Schon wieder diese vielen Blicke auf mir. Wie ich es hasste. Wieso sahen sie mich nur alle so an?! Früher hatte es mir nicht so viel ausgemacht, weil man mich nur so angesehen hatte, wenn ich draußen war. Aber hier war alles so eng und diese Typen würde ich jeden Tag sehen und sie würden mich immer wieder so ansehen… „Alles okay?“ fragte mich plötzlich jemand, der neben mir lief. Okay, mein Zimmerpartner wurde mir so langsam ziemlich unheimlich… „Hai, was soll sein?“ fragte ich zurück. Wieder sah ich mich prüfend um. Einige sahen mich jetzt sogar noch komischer an. Aber wieso? War meine Stimme denn so schrecklich? War ich so hässlich…? Wenig später… okay, es kam mir eigentlich eher wie eine Ewigkeit vor… standen wir vor einer riesigen Holztür. Der Spasti öffnete sie einen Spalt und es kamen viele Tischreihen zum Vorschein, die alle fast vollständig besetzt waren. Mein Nebenmann schien zielstrebig auf einen der Tische zuzugehen und jemand bestimmten anzusteuern. Ich fragte mich, wieso er mich nicht einfach stehen ließ. Stattdessen achtete er immer darauf, dass ich weiterhin neben ihm lief. Dann blieben wir an einem der Tische stehen, an dem ein blonder Junge mit Nasentuch und ein anderer mit einem Piercing im Mund saßen. „Oi, du! Wer is n der?“ fragte der mit dem Piercing. Mist! Hielt der es nicht mal für nötig, den Namen meines Mitbewohners zu nennen, damit ich ihn nicht immer Spasti nennen musste?! „Ruki, mein neuer Mitbewohner“ grinste der Spastenkönig und setzte sich. Neben ihm war noch ein Platz frei, auf den ich mich wohl oder übel setzen musste. Lieber wäre ich an einen Einzeltisch gegangen, denn ich fühlte mich irgendwie bedrängt zwischen den ganzen Leuten hier… „Reita“ lächelte der mit dem komischen Dingens da vor der Nase. Ob der krank war oder einfach nur Geschmacksverkalkung hatte? Oder beides? „Ach ja, das da ist Aoi, n lustiger Genosse…“ „Fick dich“ meinte dieser Aoi bloß und knuffte Reita in die Seite. Die hatten doch beide nen Schaden… „Wirklich sehr lustig…“ sagte ich nur matt und setzte mich neben meinen ‚lustigen’ Mitbewohner. Der beachtete mich jedoch irgendwie den ganzen Abend nicht weiter. Zumindest nicht beim Abendessen… Während ich schweigend und zuhörend, manchmal auch verständnisvoll und zustimmend nickte, neben und vor ihnen am Vierertisch gesessen hatte, hatten Aoi, Reita und der Spast (dessen Namen ich noch immer nicht weiß, da sich ja niemand mal darum bemüht, ihn mal bei seinem verdammten Namen zu nennen!!! … Wahrscheinlich steckt n Plan dahinter…!) sich scheinbar gut unterhalten. Und ich war froh, als mein Zimmergenosse aufstand und mir andeutete, dass wir nun aufs Zimmer gehen würden. Ich nickte mehr als zufrieden und verabschiedete mich nicht mal mehr ordentlich von Reita und Aoi, lediglich mit einem Wink. Aber der Spast musste ja mal wieder nen Aufstand draus machen und umarmte jeden von beiden – wie affig! Endlich oben angekommen – ich hatte die Gardinen mal wieder gekonnt ignoriert, damit ich mich nicht auf den Gängen übergeben musste – ließ ich mich völlig verstört auf mein Bett fallen. Diese Blicke… überall lagen sie auf mir… und wie sollte es erst morgen im Unterricht werden? Immerhin saß ich da mit ungefähr vierzig Leuten in einem Raum – meine alte Klasse bestand gerade mal aus neunzehn! Und an meiner alten Schule hatte ich immer Zeit, im Klassenzimmer zu warten, bis die anderen weg waren. Wenn wir mal die Klasse wechseln mussten während des Schultages, verließ ich sie immer als letztes und lief Umwege, damit ich nicht allzu vielen Schülern über den Weg laufen musste. Da war alles so einfach gewesen. Nachher hatten mich sowieso die meisten ignoriert, da sie sich an mein seltsames Verhalten gewöhnt hatten. Außerdem war ich da nie allein gewesen. Ich hatte Kai. Und hier? Hier hatte ich niemanden. Hier kannte ich mich nicht aus. Und ich war neu – das schlimmste an der ganzen Sache. Denn wer mich nicht kannte, so wusste ich, der starrte mich komisch an und warf mir abwertende Blicke zu. Bis heute wusste ich nicht, wieso. Lag es an meinen rot-schwarzen Haaren? Oder an meiner Schminke? Vielleicht an meiner Kleidung? Die war doch ganz normal… genau, wie meine Haare. Nein, es musste an der Stimme liegen! Vielleicht hatte ich ja so eine grausame Stimme, dass ich jeden quietschenden Rasenmäher übertrumpfen würde. Verdammt… ich musste doch nicht heulen, oder?! Nicht jetzt… nicht vor dem Oberbaka da auf seinem Bett… „Alles okay?“ Wieso fragte der denn auch noch?! Jetzt musste ich erst recht heulen! Ich drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht so gut es ging in der Bettdecke. Und hörte Schritte. Nein, der sollte sitzen bleiben! Der war blöd und konnte mir nicht helfen! „Ooy… weinst du?“ „Nein, Mann…!“ brachte ich hervor, nuschelte es eher in meine Bettdecke. Was würde der jetzt wohl von mir denken? Dass ich ne Memme war? Sicher würde er es überall rum erzählen und mich auslachen. Deshalb wollte ich mich ihm auch nicht zeigen. Legte der da gerade zögerlich eine Hand auf meine Schulter?! Okay… Option eins: ich schlage ihm mit voller Wucht in seine Frettchenfresse und verzieh mich über Nacht ins Badezimmer, würde diese dann auf dem hauchdünnen Badetuch verbringen, ein weiteres Handtuch als Decke und die Seifenbox als Kopfkissen nutzen. Option zwei: ich bleibe reglos liegen, lasse diese äußerst… wohltuenden? Wieso denn wohltuend?! Okay weiter… Berührungen über mich ergehen und verfalle erneut meinem Selbstmitleid und seinem gespielten Mitgefühl, denke, die Welt ist wieder in Ordnung, weil mich so eine Hackfresse mit sinnlosen Worten aufgemuntert hat. Aber zurück zu dem ‚wohltuend’. Was war denn das jetzt?! Spielte mein Gehirn verrückt?! Das war nicht wohltuend, das war deprimierend! Weil ich genau in dem Moment feststellen musste, dass mir etwas fehlte. Nämlich Nähe… Nein, ich würde mir diese jetzt nicht bei dem Spacken da holen! Die konnte ich auch mit Leichtigkeit woanders herbekommen… na schön, ich sollte mir nichts vormachen. Ich war ein gehasstes Objekt, schon immer, und niemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Also würde ich auch keine neuen Freunde an dieser Schule finden und des Rest meines deprimierenden Aufenthaltes und wohl auch mein ganzes restliches Leben allein verbringen. Wie aussichtsreich… Was machte er denn jetzt?! Legte der Kerl sich doch glatt hinter mich und schlang mir seine Arme um den Bauch! Wollte der mich trösten oder was?! Wollte der mir zeigen, dass ich nicht weinen brauchte…? Aber… warum? Sollte ich das nicht eigentlich? Ich war schließlich erbärmlich und schwach… wer wollte denn sowas? „Mann… wenn’s meine Schuld ist, dann… gomen…“ Toller Aufmunterungsversuch… okay, jetzt war alles verloren. Ich konnte meine Tränen nicht länger zurück halten. Ohne mein Handeln wirklich zu registrieren, drehte ich mich um und vergrub mein Gesicht an seiner Brust. Und heulte mich leise aus. Musste ja nicht jeder hören… Und es muss ziemlich bescheuert ausgesehen haben, wenn ich so drüber nachdenke. Ich lag schließlich neben einem Typen, den ich gerade mal einen Tag lang kannte, den ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, dessen Namen ich nicht mal wusste und der mich nun in seinen Armen hielt und tröstete… Klang irgendwie nach One-Night-Stand… Nach etwa zehn Minuten, in denen ich unfähig war, mich wieder einzukriegen, löste ich mich leicht von meinem Gegenüber. Ich sah das leicht benässte, schwarze Shirt an und seufzte schwer. Was ich besser nicht hätte tun sollen… „Geht’s wieder? Was war n los?“ „Denkste ich erzähl dir was, du Baka? Geht dich n Feuchten an…“ Mann, das hatte gesessen. Eigentlich hätte ich das sanfter ausdrücken wollen. Aber es war mir so rausgerutscht… wofür ich auch gleich weggestoßen wurde. „Junge, du pisst mich an! Ich sag dir eins… du wirst die nächsten fünf Jahre mit mir verbringen müssen… also versuch wenigstens mit mir auszukommen und mach mich nicht so scheiße an…!“ sagte er, nachdem er sich wieder aufrecht hingesetzt hatte. Das war irgendwie verletzend, was er da gesagt hatte. Ich war also scheiße zu ihm? Und zu anderen? Und wenn sie förmlich riechen konnten, dass ich fies war? Zu fies, um mich anzusprechen und mich widerlich anzusehen? „Eto… ich… hab Angst…“ stammelte ich und lachte mich gerade innerlich für meine Doofheit aus. Wieso stotterte ich denn auf einmal so dämlich?! „Wovor denn?“ fragte er. Aber was war das da in seiner Stimme…? „Klingt scheiße, aber… vor Menschen…“ Mann, wieso redete ich so plötzlich mit ihm über meine Probleme, die ihn doch überhaupt nichts angingen?! Und was war dieses… sanfte in seiner Stimme?! „Anou… schlaf ne Nacht drüber und morgen reden wir weiter, wenn du willst, hai? Ich bin müde…“ meinte er und grinste, ehe er seine Hand vor den Mund hielt und herzlich gähnte. Wusste der nicht, dass das ansteckend war?! „Hai~…“ gähnte ich ebenfalls und stand auf, um mir die Zähne zu putzen. Als ich fertig war, betrat er das Bad und ich schmiss mich schon mal auf mein Bett, richtete es mir schön kuschelig. Irgendwann war ich schon in einem leichten Dämmerzustand, als ich merkte, wie jemand das letzte bisschen Licht ausschaltete und sich in seine Federn kuschelte. Ich schloss meine Augen, die ich nur einen kleinen Schlitz geöffnet hatte, wieder, versuchte, einzuschlafen. „Ach ja“ hörte ich eine weit entfernte Stimme, die nur schwach klang. Doch augenblicklich wurde ich wieder etwas heller im Kopf und machte ein leises Geräusch, um zu zeigen, dass ich aufmerksam war. „Ich heiß übrigens Uruha…“ „Freut mich“ machte ich ironisch, aber dennoch klang meine Stimme müde. Und langsam nahm die Müdigkeit dann Überhand und ließ mich einen scheinbar traumlosen Schlaf genießen… Nausea & Shudder Wecker. Störendes, kleines, mechanisches, tickendes Etwas mit drei Zeigern und einer Uhrzeit, von der ich mir im Moment wünschte, dass sie einfach stehen bleiben würde und ich weiterhin meinen Schlaf genießen könnte. Wer auch immer dieses Gerät erfunden hatte, ich würde ihn töten. Langsam öffnete ich meine Augen und versuchte, das stetig piepsende Geräusch hinter mir zu ignorieren. Ich wollte jetzt meine bequeme Seitenlage nicht auflösen! Nicht jetzt, wo ich doch gerade so einen schönen Traum hatte… Einen Traum, in dem ich Nähe bekam… Nähe zu einem anderen Menschen spüren durfte… aber diesen Menschen konnte ich nicht erkennen. Schade eigentlich… „Ruuukiiii…!“ hörte ich eine Stimme hinter mir. Nee ne?! „Ich lass den Wecker jetzt seit zehn Minuten ununterbrochen laufen und du stehst immer noch nicht auf! Was soll ich n noch machen?! Wenn du jetzt nicht sofort aufstehst, kipp ich dir den Eimer Wasser neben mir über die Matschbirne!“ Wasser?! Nein! NEIN! Ich war doch wach! Das war absolut unnötig, das konnte er gerne glauben! „Ich bin ja wach… Himmelarsch…“ grummelte ich dennoch gelassen und rappelte mich auf. Mann, wie ich den Montagmorgen hasste. Den hätte man auch weglassen können in der Woche, fand ich. Also erhob ich mich gezwungenermaßen und versuchte, meine Augen an die Helligkeit zu gewöhnen. Aber das war nicht so einfach… „Jetzt steh auf, Mann! So lang, wie du im Bad brauchst, kommen wir hier vor zwölf nicht mehr raus!“ fluchte Uruha herum, ich seufzte schwer. „Ma, Junge!“ gluckste ich und stand auf, streckte mich kurz, lief dann, ohne mich umzusehen, ins Bad. Dort angekommen sah ich in den Spiegel. Mann, wenn ich immer so aussehen würde, wie jetzt, dann könnte ich es ja noch verstehen, wenn man mich seltsam ansah. Ich hatte mich zuvor nicht mal abgeschminkt… „Uruha! Hast du Haarspray?“ rief ich durch die geschlossene Tür. Wenn ich nicht auf der Stelle meine Haare richtete, würde ich ausrasten. Die standen zu allen Seiten ab… war ja nicht so, als ob sie das sonst nicht auch täten, aber dann sahen sie immer noch ordentlich aus im Gegensatz zu jetzt! „Rechter Schrank ganz oben“ hörte ich und stellte daraufhin zufrieden fest, dass die Flasche noch fast ganz voll war. Nachdem ich meine Haare wieder gebändigt und mich ein bisschen geschminkt hatte, ging ich zurück ins Zimmer. Dort fand ich Uruha vor… Halb nackt. „Was. Tust. Du. Da?!“ fragte ich angestrengt und versuchte, nicht auf eine ganz bestimmte Stelle zu starren, die nur von seiner Shorts überdeckt wurde. Glücklicherweise stand er mit dem Rücken zu mir und sah nicht, wo ich da gerade hingaffte… „Mich umziehen vielleicht?“ „Und wieso stehst du dann an MEINEM Kleiderschrank?“ „Weil ich meine Sachen immer quer durchs Zimmer schmeiße und meine Hose ist eben hier gelandet!“ beschwerte er sich. Und tatsächlich, er hielt eine Hose in der Hand! „Dann gewöhn dir das ab, wenn ich ab jetzt hier wohne…“giftete ich zurück und packte meine Sachen zusammen. „Was muss ich eigentlich alles mitnehmen?“ „Nur nen Ringblock, Bücher haben wir in den Klassenräumen“ gab er als Antwort. Er zog sich seine Hose an und suchte dann nach seinem Shirt. Und wirklich, jetzt fiel mir erst einmal auf, wie unordentlich es im Zimmer war. Es lagen ernsthaft überall Klamotten rum! „Kannst du mal deinen Krempel einsammeln? Wer weiß, was da alles für Flecken dran sind… oder für Gerüche…“ „Wenn, dann riechen sie nach Bvlgari!“ „Wer’s glaubt“ grinste ich nur fies. Er drehte sich um und schmiss ein zusammengeknülltes Shirt nach mir. „Überzeug dich gefälligst selber davon oder es knallt!“ Ich roch also an dem Shirt und wirklich, es roch fantastisch! Bvlgari… den Duft musste ich mir merken… Aber ich wollte ja nicht so sein und ihn ein bisschen ärgern… „Ich riech nur Schweiß und Mief…“ Gut, das hatte gesessen. Dieser Typ war leicht aufzuregen, wie ich sah. Schmollend drehte er sich um und schloss sich im Bad ein. Ich lachte siegreich und legte mich dann auf sein Bett. Selbst dieses roch nach seinem Parfüm. Der hatte scheinbar alles Mögliche damit eingedieselt… Dann fiel mein Blick auf seinen Nachtschrank. Okay, ich hatte gesagt, er sollte nicht in meinen schauen. Aber wer hatte gesagt, dass ich nicht in seinen schauen durfte? Ich wagte es also und öffnete leise seine Schublade. Aber darin befand sich nicht sehr viel. Nur ein paar Zettel, Bleistifte, Radiergummis, Kopfhörer, ein Notizblock und… Kondome?! Hastig machte ich die Schublade wieder zu und starrte völlig perplex auf meine Hände. Den Kopf von einer Seite zur anderen drehend, sodass meine Haare herumwirbelten, sah ich mich im Zimmer um nach einem Fluchtweg direkt nach draußen. Ich musste hier raus! Definitiv! „Hast du n Monster unter meinem Bett gesehen oder was?“ Wieder wirbelte ich herum und erschrak mich vor Uruha, der plötzlich hinter mir stand. „Nein… nein, alles klar…“ gluckste ich. Der musste doch langsam denken, dass ich n Rad abhatte… „Du hast doch n Rad ab…“ Bingo! „Gehen wir…?“ „Hai… Moment noch…“ ich brauchte erstmal was, um mich zu beruhigen. Pfefferminz war jetzt genau das richtige. Das hatte auf mich etwa die gleiche Wirkung wie hundert Gramm Speed auf nen Junkie… Ich wühlte in meinem Nachtschrank nach der kleinen Dose und nahm gleich zwei der kleinen Pillen. „Was nimmst n du da jetzt? Wohl keine Drogen, oder?“ „Für wie hohl hältst du mich eigentlich? Das ist Minze, du Baka…“ sagte ich und packte die kleine Dose wieder weg. Ich stand auf und ging mit ihm zur Tür. Dann wartete ich, bis er voraus lief. „Geh du nur, ich folg dir dann… hab ja eh keine Ahnung, wo ich hin muss…“ „Wenn du meinst… wir haben jetzt jedenfalls Japanisch und das gleich zwei Stunden…“ Wieso nur interessierte mich das gerade weniger als der Anblick seiner Klamotten? Wie konnte man nur so… sexy aussehen?! Und überhaupt… wieso fiel mir das gerade jetzt auf, während ich so neben ihm lief und eigentlich unauffällig hatte bleiben wollen?! Das ging wohl schlecht, so ich doch so offensichtlich auf seine Beine gaffte, die nur bedeckt wurden durch eine Hose, eine schwarze mit vielen lustigen Nieten und lila Stofffetzen, die an den Oberschenkeln abgeschnitten und mit einem Haufen Sicherheitsnadeln wieder zusammengeflickt worden war… Himmel, man konnte seine Beine sehen, störte den das denn gar nicht?! Ich fand meine Beine hässlich… genau, wie alles andere an meinem Körper… „Hab ich n Käfer in der Hose oder wieso starrst du so?“ DAS nannte er Hose?! He… hehe… „Ich frag mir nur mal gerade, ob du keinen Anschiss kriegst für sowas…“ sagte ich dann unbeholfen, ließ meinen Blick jedoch, wo er war, damit es nicht allzu auffällig erschien… „Sagen wir mal, die Lehrer sind meine Eigenarten gewohnt… und außerdem glaub ich eher nicht, dass ich auf andere anziehend damit wirke…“ Oh, doch! „Eher werd ich als schwul oder behindert bezeichnet, wenn ich so rumlaufe…“ Willst du mich verarschen?! „Wenn du meinst…“ ich hatte meinen Blick wieder abgewandt, dachte nun darüber nach, wie dämlich es doch aussehen musste, wenn man jemanden wie mich neben so einen kranken Spasten stellte. Ich mit meiner stinknormalen schwarzen Jeans und dem dunkelroten Shirt, auf dem vorne ‚Alkohol macht gleichgültig und schizophren’ und hinten ‚– ist uns doch egal!’ in schwarzen Lettern draufstand und meinen lustigen Armstulpen, die hier und da mal mit einer Sicherheitsnadel und einer Gürtelschnalle verziert waren. Und dann er… mit dieser eben beschriebenen, verdammt freizügigen Hose und einem schwarz – lila Fransenoberteil, das ihm nur über die eine Schulter ging und dort einen langen Ärmel besaß, sein anderer Arm nur mit einer Stulpe aus schwarzen Bandagen und vielen Verzierungen, die meinen ähnelten, bedeckt. Ich kam mir irgendwie idiotisch vor… Und dann war da wieder diese Angst. Dass man mich mit Uruha an meiner Seite noch seltsamer ansehen würde… dass man mich irgendwann deshalb hänseln würde… Gott, wie sehr ich mich doch für mein mangelndes Selbstbewusstsein schämte. Sicher würde es nicht so schlimm werden… aber was, wenn doch? Was sollte ich dann tun? Ich hatte doch niemanden… außer vielleicht Uruha… aber der war mindestens genauso schräg drauf und andersrum wie ich. Dem ging es da sicher nicht anders. Der wurde bestimmt auch gehänselt wegen seines Aussehens. Obwohl ich mir bei mir nicht einmal sicher war, ob es nur wegen meinem Äußeren war… aber auch egal. Viel eher hatte ich mich jetzt auf meinen Unterricht konzentrieren sollen. Aber mein Mitbewohner hatte mich schon lange wieder aus meinen Gedanken gerissen, da wir nun vor unserem Klassenraum standen, in dem der Unterricht heute stattfand. „Ich weiß nur noch nicht, wo ich dich am besten unterbringe“ meinte er schlapp. „Neben mit sitzt Reita. Hinter mit Aoi… weiß gar nicht… war der Platz rechts neben mit noch frei…?“ Jetzt führte der auch noch Selbstgespräche… oh, mein Gott! Und ein noch viel größeres ‚Oh, mein Gott!’, als wir den Klassenraum betraten. Da stand ein Lehrerpult vorn. Ein recht kleines. Und vor dem Lehrerpult waren in einem Halbkreis viele… verdammt viele Tische angeordnet. Sie standen eng beieinander, sodass der Platz für ziemlich viele von ihnen reichte. Aber… wie viele Schüler hatte denn dieser Kurs?! „Uruha… die sind doch nicht alle vollständig besetzt, oder?“ fragte ich unsicher. Doch meine Frage wurde – leider – mit einem unschuldigen ‚Doch’ beantwortet. „Okay, gut. Fast alle. Die hinteren Reihen sind nicht ganz besetzt. Da sitz übrigens auch ich“ grinste er dann fröhlich. Was für tolle Aussichten… Wir liefen also durch die festgelegten Wege in diesem Wald aus Tischen, bahnten uns den Weg nach oben, da die Sitzbänke auf mehreren Absätzen angeordnet waren. Sollte ich mich freuen oder nicht…? Das einzige, was mich wirklich freute, war, dass wir mit ein paar andern wenigen Schülern die ersten waren. Wenigstens ein kleiner Lichtblick… „Ano… wann gibt es eigentlich Frühstück?“ fragte ich, als ich unbeholfen neben Uruhas Tisch stand und mich umkuckte. „Nach den ersten beiden Stunden immer“ antwortete dieser mir dann. „Da kommt Reita!“ Mann, diese gute Laune konnte einem dann doch schon ziemlich auf die Nerven gehen… „Moin, Reita…“ machte ich nur leise und kuckte weg, in irgendeine andere Richtung. „O hayoh…“ grüßte der dann freundlich und setzte sich neben Uruha an den Tisch. „ Hast du noch keinen Sitzplatz?“ „Iie“ antwortete ich gespielt gelangweilt, obwohl ich alles andere als das war. Innerlich schrie ich aus voller Kraft, wollte nur hier raus… „Dann setz dich doch neben mich, der Platz ist Freitag frei geworden…“ sagte der blonde Schönling. Und Uruha kuckte ihn gerade ziemlich doof an. Wie verpeilt war dieser Trottel eigentlich?! „Wie, frei? Wo ist Yuzuke denn hin?“ wollte er wissen. Yuzuke… bestimmt auch so ein Streber… alle Streber hießen entweder Yuzuke oder Kai…! „Woah, Uru-chan, du bist ja n richtiger Checker“ sagte plötzlich ne Stimme hinter mir und mir wurde so richtig freundschaftlich auf die Schulter geklopft, sodass ich, wenn ich mich nicht an Uruhas Tisch festgehalten hätte, bestimmt einen halben Meter in den Boden gerammt worden wäre. Grummel… „Wo ist er denn, Aoi?!“ fragte mein äußerst intelligenter Mitbewohner und kuckte ungeduldig. Mann, wie konnte eine einzelne Person einer unschuldigen anderen wie mir nur so auf die Nerven gehen, indem er einfach nur verpeilt kuckte?! „Runter gegangen? Weißt du nicht mehr, du Spacken? Seine Eltern sind doch…“ Uruha schlug sich vor den Kopf. Und ich kuckte wohl in dem Moment ziemlich verdattert. Seine Eltern waren…? Ja…??? „Gestorben?“ fragte ich neugierig und setzte mich auf meinen neuen Platz. Und auf Aois Antwort wartend hob ich eine Augenbraue. Besagter mit dem langen, schwarzen Haar hatte einen vernichtenden Blick aufgesetzt. Hatte ich etwa was Falsches gesagt? „Was denn?“ fragte ich. „Hai, gestorben“ sagte er dann und wandte sich ab, setzte sich auf seinen eigenen Platz hinter Uruha. Dieser seufzte und zuckte mit den Schultern. „Aoi mag sowas nicht“ zischte Reita mir zu. „Yuzuke tat ihm unglaublich leid. Er ist ein Sensibelchen… gewöhn dich dran!“ Hatte ich eigentlich nicht vor, aber egal… ich beneidete diesen Yuzuke. Hatte er wenigstens niemanden mehr, der ihn herumschubste oder einsperrte… ich wünschte mir in diesem Moment, dass ich Yuzukes Schicksal teilen könnte. Aber in dem Moment fiel mir noch eine andere Frage ein. „Uruha? Wieso sind eigentlich Aoi und Reita in unserem Kurs? Sind die nicht viel älter als alle anderen hier?“ „Sie wiederholen“ erklärte er mir. „Genau wie ich. Sie wissen auch nicht, wohin, wenn sie hier fertig sind. Deshalb zögern sie alles hinaus.“ Wieso auch immer… ich fand es hier grauenvoll… wenn ich nur daran dachte, dass ich die nächsten fünf Jahre hier aushalten musste, wurde mir schlecht! „Ruki? Hinstellen, der Sensei ist da…“ sagte Reita dann und wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht. Ich stellte mich hin, genau, wie alle anderen. „O hayoh, minna-san. O・genki desu ka? Wir werden beginnen mit den neuen Schülern in unserem Kurs, Sie werden sich nun bitte vorstellen, meine Herren.“ Alle setzten sich wieder. Dann begann der alte Mann, verschiedene Namen aufzurufen. Mein Name würde sicher auch irgendwann auftauchen. Also wartete ich und bereitete mich schon mal darauf vor, aufzustehen und mich kurz vorzustellen, so, wie alle anderen es auch taten. Dann wurde ich aufgerufen. Ich stand auf und stellte mich vor. „Konnichi wa, Ruki desu.“ „Haben Sie keinen vollständigen Namen?“ fragte mich der Lehrer sofort. Andere Schüler lachten. Ich starrte gespielt interessiert auf die Tischplatte vor mir. „Doch, aber ich möchte Ruki genannt werden… onegai.“ „Das gibt es nicht. Und jetzt bitte Ihren korrekten Namen!“ Ich gab mich also geschlagen… was blieb mir auch anderes übrig? Man lachte schon wieder über mich… auch gut. War ja nachvollziehbar. Aber ich hasste meinen Namen und wenn ich ihn jetzt aussprach würden sie sicher noch mehr lachen… „Matsumoto Takanori“ antwortete ich eben und setzte mich dann wieder. Mir war eindeutig die Lust am Unterricht vergangen! „Mach dir nichts draus“ zischte Reita mir wieder zu. Merkte der denn nicht, dass er mir auf die Nerven ging?! „Ich heiß eigentlich auch anders… Aoi und Uruha auch… aber uns nennt er auch nicht so, wie wir genannt werden wollen! Damit ist er zwar der einzige, aber das stört den nicht!“ „Akira, halten Sie Ihren Mund oder Sie fliegen raus!“ keifte der Alte dann. Okay, man sollte diesen Typen wirklich nicht reizen, das merkte ich schnell… „Du heißt Akira?“ fragte ich leise nach einer Weile und kuckte blöd. So ein schöner Name… und dann nennt der sich Reita?! Etwas, was man kaum aussprechen konnte?! … Jedem das seine… Der Unterricht begann. Schon fing der alte Sack vorn an, Fragen zu stellen. Wir durchsprachen also nun das Thema Kurzprosa. Großartig… „Was kennzeichnet einen typischen Kurzprosatext? Kann mir das jemand beantworten?“ unser Sensei wartete eine kurze Weile. Als sich noch immer nichts tat, pickte er sich jemanden raus. „Yuu vielleicht?“ Scheinbar war Aoi damit gemeint, denn der schreckte nun aus seinen Tagträumen auf. Das sah ich aus den Augenwinkeln. „Anou… offenes Ende, fängt mitten im Geschehen an…“ „Genau wie Sie, Herr Shiroyama, wie wäre es denn, wenn Sie zur Abwechslung auch mal am Anfang beginnen? Schließlich essen Sie den Nachtisch auch nicht zuerst!“ Andere Schüler lachten wieder. Aoi… oder eher Yuu… schien das nichts auszumachen… mir schon. Ich wusste, wie man sich dabei fühlt und dasselbe ging gerade hundertprozentig auch in Aoi vor. Nur gab er es nach außen hin nicht zu. Die Stunden waren weiterhin so scheiße verlaufen und die Atmosphäre war grausam gewesen. Ich hatte mich die ganze Zeit beobachtet gefühlt, obwohl der Sensei mich nicht dran genommen hatte, aber trotzdem war ich froh, als der Unterricht endlich vorbei war. Wir standen auf und verließen uns unterhaltend den Klassenraum, um die so genannten Pausenräume aufzusuchen. Uruha beschwerte sich lauthals. „Ich hasse diesen Wichser! Was denkt der sich eigentlich?! Der ist übrigens der einzige, der uns bei unseren richtigen Namen nennt, also nenn dich bei den anderen ruhig mit Ruki…!“ „Allein schon aus Protest!“ pflichtete ihm Aoi bei, der neben mir lief. Ich hob eine Augenbraue und stimmte dem einfach mal zu. Aber dann war ich doch neugierig und wollte nun auch wissen, wie denn wohl mein Mitbewohner richtig hieß… „Mein Name?“ lachte Uruha. „Der ist mir peinlich!“ „Na und?! Mir auch! Jetzt sag schon!“ quengelte ich. Das war unfair! Er wusste meinen nun schließlich auch! … Nein, der ganze Kurs wusste ihn jetzt! „Takashima Kouyou…“ antwortete er leise, sodass ich es fast kaum verstanden hatte. Aber dann musste ich grinsen. Das war wirklich ein lustiger Name… klang so richtig adelig! Im Pausenraum angekommen durften wir uns nun eine ganze Dreiviertelstunde mit uns selbst beschäftigen. Ich freute mich schon… eine Dreiviertelstunde mit diesen drei merkwürdigen Gestalten an meiner Seite. Denn erst jetzt fiel mir auf, dass auch Reita und Aoi nicht weniger ‚erotisch’ gekleidet waren als Uruha. Der Schwarzhaarige hatte irgend so ein Corsette – Dings an, dazu einen kurzen Rock mit ganz viel Gebaumel und Kniestrümpfe mit noch mehr Gebaumel dran. Und Reita hatte mal wieder sein komisches Nasenteil auf, dann ein tief ausgeschnittenes, schwarzes Hemd, eine schwarze Weste darüber mit vielen weißen Mustern drauf und eine ebenfalls weit ausgeschnittene Hose. Gut, alles in allem normal. Aber Aoi und Uruha übertrafen wirklich alles… mich wunderte es sowieso, wieso es an diesem Internat keine Uniformen gab. Das fragte ich Aoi dann auch mal gleich. „Die haben die Kleiderordnung hier schon lange aufgegeben“ erklärte er mir. Ich grinste bloß. Was mussten Uruha und mein momentaner Gesprächspartner schon für Fetzen getragen haben, dass die hier sogar schon die Kleiderordnung gestrichen hatten?! „Was habt ihr denn angestellt, dass es keine mehr gibt?“ wollte ich weiter wissen. Jetzt war ich wirklich neugierig, schließlich konnten zwei Schüler ja wohl keine Revolte allein starten… „Eto… Uruha, erklär du ihm das, hai? Da vorn sind Riku und so…“ sagte er dann schnell und war auch schon weg. Ich wunderte mich ein wenig. War ihm die Geschichte etwa unangenehm? Gut, dann wendete ich mich eben Uruha zu. „Also?“ bohrte ich weiter. „Das war so“ lachte mein Zimmergenosse dann etwas verpeilt und setzte sich an den Tisch, auf den wir schon die ganze Zeit zugelaufen waren. Ich setzte mich ihm gegenüber und blickte ihn erwartungsvoll an. „Aoi und ich hatten Nachsitzen. Und an dem Abend, als das ganze Stattfand, war eine Schulveranstaltung, an der wir unbedingt teilnehmen wollten. Tja… und einen Tag vor dem Nachsitzen hatten sämtliche Kurse beschlossen, aus der Schulveranstaltung, die eigentlich mal eine Art Sportfest oder sowas werden sollte, ein Kostümfest zu machen. Wir haben uns alle irgendwelche Klamotten zerschnitten und sind dann sehr freizügig da aufgetaucht. Die Lehrer haben einen Anfall bekommen und wollten viele von uns der Schule verweisen oder noch mehr Nachsitzen aufhalsen, also haben sie sich dann doch dazu entschieden, die Kleiderordnung aufzuheben. Letztendlich hätte es doch nix gebracht, dass sie uns diese ganzen Strafen aufgeben wollten!“ er lachte wieder. Täuschte ich mich oder sah er wirklich richtig niedlich aus, wenn er so lachte? RUKI! Aber es war doch so… JETZT FANG NICHT SO AN! Stimmt, es würde eh nichts bringen, ihn anzuschmachten. Wieso denn auch?! Der Kerl hatte nichts an sich, was auf irgendeine Weise anziehend wirkte… Oder doch? NEIN! Schluss jetzt! Ich musste wirklich damit aufhören… „Und wieso wollte Aoi mir das nicht erzählen?“ fragte ich dann einfach mal. Uruha hob eine Augenbraue und lachte wieder so nied… NEIN, er lachte einfach! AUS! „Ach so… hai, er mag die Story nicht. Ihm ist da ein kleines Missgeschick passiert an dem Abend. Irgend so n Spacken hat ihm an den Klamotten gezogen und da ist ihm die Hose gerissen…“ er musste definitiv aufhören zu lachen…! „Mh“ machte ich nur und grinste fies. Ich überlegte kurz, ob ich den Schwarzhaarigen nun damit aufziehen sollte oder nicht… schließlich ließ ich es doch lieber bleiben. „Willst du was essen oder nicht?“ fragte mich Reita dann, den ich fast schon ganz vergessen hatte. Der saß ja auch noch neben mir! Also nickte ich und folgte ihm zum Buffet, wo sie alles Mögliche bereitgestellt hatten. Ich nahm mir von fast allem, was ich mochte, etwas, aber es war nicht besonders viel. Morgens hatte ich zwar Hunger, aber ich konnte nicht viel essen, sonst wurde mir immer schlecht¹. Kurze Zeit später saß ich wieder mit Reita und Uruha am Tisch. Auch Aoi war wieder zurückgekommen. Ich konnte mir ein leichtes Grinsen leider nicht mehr verkneifen und seine Gesichtsfarbe nahm allmählich einen leichten Rotton an, das konnte ich sehen. Aber ich tat einfach mal so, als würde ich nichts wissen! Nett, wie ich eben war… „Haben wir viel Unterricht heute?“ fragte ich mit vollem Mund, schluckte dann meinen Bissen Reis runter und stupste Reita an, der schon wieder neben mir saß. „Iie, gleich noch zwei Stunden, dann haben wir Schluss. Heute Abend ist irgend so n Infoabend für die Eltern der Neuen hier und die müssen noch alles vorbereiten. Gehen deine Eltern auch hin?“ Der nächste Bissen Reis blieb mir im Hals stecken, als ich das hörte. Ich schluckte schnell runter und fing dann heftig an zu husten. Aoi reichte mir freundlicherweise sein noch unberührtes Glas Wasser und ich nahm es mit einer Dankesgeste an, leerte es mit einem Zug. Dann hatte ich mich wieder einigermaßen gefasst, stellte das Glas hin und stand auf. Ohne ein weiteres Wort ging ich aus dem Raum. Hinter mir hörte ich Reita, wie er sich fragte, was ich denn wohl hatte. Aber in dem Moment konnte ich nicht weiter sitzen bleiben. Zu viele Gedanken schwirrten plötzlich in meinem Kopf herum. Sicher würden sie nicht kommen. Dann würde ich der einzige sein, dessen Eltern nicht zu dem Abend gekommen waren. Dann würde ich mal wieder ein Außenseiter sein, wie ich es immer gewesen war. Alle würden wieder über mich lachen, denken, dass keiner sich für mich interessierte. So war es schließlich auch… Ziellos lief ich durch die Gänge und setzte mich dann irgendwo in einen leeren Raum, in dem ein paar Sofas und einige Bücherregale standen. Ich fühlte mich mies. Allein schon der Gedanke daran, dass sie mich dann wieder so seltsam anschauen würden… und sie würden denken, was für seltsame Leute es doch in meiner Familie waren… und sie würden Recht haben! Deshalb würden sie auch mich wiederum seltsam finden und mich ausschließen. Mich wegen meiner Schminke hänseln, meiner Kleidung, meiner Größe… und vor allem wegen meiner Eltern. Was für Aussichten! „Ruki?“ Ich ignorierte die Stimme gekonnt und blickte starr auf den Boden vor mir. Der würde schon wieder gehen… „Hab ich… irgendwas Falsches gesagt? Ist es wegen mir?“ Also war es doch Reita. Ich hatte Recht. Auch gut. Er würde schon verschwinden. … Oder auch nicht. Jetzt saß er nämlich neben mir auf dem Sofa. „Was ist denn los?“ „Nichts! Ich… mir ist nur n bisschen schlecht vom Essen, sonst nichts…“ antwortete ich und hoffte nur, dass er sich mit meiner Antwort zufrieden gab. „Es ist nicht wegen mir also?“ „Iie“ sagte ich knapp und grinste kurz, um meiner Lüge mehr Ausdruck zu verleihen. „Das wollte ich nur wissen… gehst du wieder mit?“ Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und tat eben so, als wäre mir schlecht. Endlich stand er auf und lächelte kurz. „Wir sehen uns dann vorm Klassenraum.“ Wieder eine kaum merkliche Bewegung meinerseits in Form eines Nickens. Er sollte endlich verschwinden! Denn als er kurz vor der Tür war, blieb er noch einmal stehen und drehte sich um. Schweigend musterte er mich einen Moment, dann sagte er leise „Wenn du nicht drüber reden willst, ist das in Ordnung. Ich zwing dich zu nix!“ und lachte in selbiger Lautstärke. Und schon war er verschwunden. Plötzlich fühlte ich mich wieder unglaublich allein gelassen. Und das nicht nur von Reita… denn erst jetzt fiel mir auf, wie grausam es ist, nicht von seinen Eltern gewollt zu werden. Schließlich hatte ich es niemals anders gekannt. Irgendwann musste ich dann zurück in den Unterricht. Ich folgte dem Weg, den ich gekommen war und fand schnell zum Klassenraum zurück, dort angekommen sahen mich wieder alle an. Als würden sie meine Gedanken lesen können. Als würden sie längst wissen, was in mir vorging. Ich blickte niemanden an, lief einfach in den Klassenraum und setzte mich auf meinen Platz. Weder Uruha oder Aoi, noch Reita sprach mich an. Sie alle schwiegen. Auch den Rest der Unterrichtsstunden. Ich hatte mich zweimal gemeldet, nicht nur, um mich vorzustellen. Nach dem Unterricht teilten sie mir mit, dass ich gut mitgearbeitet hatte. Alles in allem ein zufrieden stellender erster Tag. Aber zufrieden war ich nicht. Noch immer schweigend lief ich neben Uruha zurück zum Zimmer, wartete dort, bis er aufgeschlossen hatte. Schweigen. Wie früher. Und schon wieder spürte ich die aufkommenden Tränen. Als die Tür endlich offen war, schloss ich mich sofort ins Bad ein und ließ den Wasserhahn laufen, damit es so aussah, als würde ich irgendetwas machen. Stattdessen setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und sah zu Boden auf den grauen Badezimmerteppich. Dachte wieder nach. Wie sie mich auslachen würden und hänseln und verstoßen. Wie erbärmlich ich doch war… „Ruki, mach bitte mal auf!“ Der schon wieder?! Konnte der mich nicht einfach in Ruhe lassen?! Ich wollte jetzt nicht reden… „Warum? Ich wasche mich, hörst du das nicht?“ „Tu’ nicht so! Jetzt mach auf!“ Ich wartete eine Weile, in der er noch zweimal meinen Namen gerufen hatte, bis ich schließlich doch nachgab und den Wasserhahn ausstellte. Ich schloss die Tür auf und blickte mein Gegenüber finster an. Aber Uruhas Augen waren weder wütend, obwohl er so geklungen hatte, noch lag Spott in ihnen. Nein, sie waren mitleidig. „Wieso weinst du denn wieder, hm?“ Hatte ich etwa doch geweint?! Verdammt… schon wieder hatte ich mich dabei erwischen lassen… und bestimmt hielt er mich jetzt für einen Schwächling… „Ist doch egal… ist nicht wichtig!“ „Wie soll ich dir denn helfen, wenn ich nicht mal weiß, wobei?“ sagte er dann plötzlich etwas belustigt. Er wollte mir also helfen… und wie gedachte er das bitte zu tun? Meine Eltern zur Rede stellen? HA! „Nirgendwo bei musst du mir helfen… ich bin nur ein bisschen… mit der Situation überfordert, mehr nicht!“ „Ja, das soll ich dir jetzt bestimmt auch noch glauben, hai? Willst du wirklich nicht drüber reden?“ Mann, der konnte wirklich ziemlich nerven! Ich wollte nicht reden, nein. Und nein, ich erwartete auch nicht, dass er mir jetzt glaubte. Es konnte ihm doch egal sein…! Also schüttelte ich den Kopf und sah weg. Kurz herrschte Stille, dann räusperte er sich leise. „Darf ich dich… denn wenigstens umarmen? Dann fühl ich mich nicht so, als hätte ich dir gar nicht helfen können…“ Er wollte was…? Mich… umarmen… Ruki, jetzt war dir wirklich nicht mehr zu helfen. Jetzt dachte ich auch schon, dass ich das gebrauchen konnte! Aber… es war doch so… das konnte ich jetzt wirklich gebrauchen! Na gut… Ich nickte schwach und wischte mir die Tränenspuren von den Wangen. Uruha lehnte sich an den Türrahmen und zog mich dann sanft in seine Arme. Er lehnte seinen Kopf an meinen und hatte die Hände auf meinen Rücken gelegt, eine streichelte ihn beruhigend. Kurz zögerte ich, doch dann legte auch ich meine Arme um ihn. Da ich ein bisschen kleiner war, reichte meine Umarmung gerade bis über seine Hüften, aber das war mir egal. Meinen Kopf bettete ich dann auf seiner Schulter. Aber dadurch, dass er seinen Kopf schon an meinen gelehnt hatte, berührten sich so unsere Wangen und ich wurde ein wenig rot… das glaubte ich zumindest zu spüren. Aber wieso zum Teufel fing plötzlich mein Herz an schneller zu schlagen?! Ruki, das war definitiv zu viel… schließlich war es nur eine Umarmung! Na und?! Aber lösen wollte ich sie jetzt auf keinen Fall… dazu tat es einfach zu gut. Deshalb blieb ich so, tat einfach so, als würde mich das gar nicht stören. Es hatte mich auch gar nicht zu stören! Oder…? Bath Room Wenn doch nur die Realität ein Traum wäre… Langsam löste ich mich von ihm. Doch ich sah ihn nicht an. Dazu war ich zu feige. Wie zu allem anderen auch. Ich würde nur nicht zu dem Infoabend gehen, weil die anderen mich ansehen würden… mit diesem spöttischen Blick. Und lieber wäre ich gestorben, als diesen Hohn weiterhin zu ertragen… denn er war berechtigt. Ich konnte nichts für mein Leben. Und auch für meine Eltern nichts. Wieso nur verstanden sie es nicht? Ich lächelte noch einmal schüchtern, starrte noch immer auf den äußerst interessanten Zimmerboden, ehe ich zu meinem Schrank lief und ein paar Klamotten raussuchte. Irgendwas Bequemes. Denn rausgehen würde ich heute ganz sicher nicht mehr. Mein Handtuch hatte ich schon im Badezimmer, also verschwand ich mit meinen Klamotten bepackt kurz darauf in eben diesem Raum. Auf Uruha achtete ich nicht weiter. Jetzt war mir alles egal. Egal… war es das wirklich? War mir so egal, was die anderen über mich dachten? War es mir egal, was sie sagten? Nein, war es nicht. Ich wollte doch nur, dass sie mich wenigstens akzeptierten. Nur, dass sie mich in Ruhe ließen. Mehr nicht. Immerzu redeten sie hinter meinem Rücken über mich, als wäre ich so verdammt anders als sie. Dabei war ich das doch gar nicht… oder? War ich wirklich so anders? Ich war ein Mensch, genau, wie sie. Ein Mann, genau, wie sie. Bloß hatte ich rot-schwarzes Haar und ich schminkte mich. Na und? Was störte sie bloß daran? Machte ich etwas falsch? Sah sie nicht gut aus? War sie zu extrem? Oder… störte es einfach nur, wenn ich sie überhaupt trug? Und was machte mich sonst so anders? So anders, dass sie mich ignorierten, dann ausschlossen, dann auslachten und schließlich schlugen? So war es schon früher gewesen. Viele Fragen, auf die ich keine Antworten wusste. Und war mir das alles so egal? War ich mir selbst egal? Diese Frage beschäftigte mich nun. Ich setzte mich auf den kalten Fliesenboden neben die Badewanne. Dann dachte ich noch einmal genau nach. War ich mir egal? Was hatte ich zu verlieren, wenn ich hier und jetzt auf der Stelle sterben würde? Würde ich dann etwas vermissen? Würde mich jemand vermissen? Was hatte ich, woran ich hing? Außer Musik… und natürlich meiner Schminke. Aber würde ich das in dem Ding, das man ‚Himmel’ nannte, brauchen? Da war ich schließlich wie alle anderen. Alle würden dort sicher weite Gewänder tragen mit schönen Flügeln und alle würden nett zu mir sein. Dann würde ich sicher neue Freunde finden und andere Beschäftigungen, als Musik zu hören und mich grundlos anzumalen oder hübsch zu machen, bloß, um mir die Zeit zu vertreiben. Würde es das alles wert sein? Diese widerliche Welt zu verlassen… würde das ein Ausweg sein? Und das konnte man wohl oder übel nur auf eine einzige Weise herausfinden… Mit abwesendem Blick suchte ich in meiner Hosentasche nach dem kleinen, roten Ding, das ich immer bei mir trug. Wieso, das wusste ich selbst nie genau. Vielleicht zur Verteidigung, vielleicht, um mein Leben zu retten. Aber vielleicht auch, um es mir zu nehmen. Doch an diese Option hatte ich eigentlich so gut wie noch nie gedacht. Selbst wenn, wäre ich wohl nie darauf gekommen, oder? Bloß jetzt, um mir zu beweisen, dass mich wirklich keiner in dieser schäbigen Welt haben wollte. Das war Grund genug für mich. Also klappte ich das kleine Messer aus, prüfte, ob es auch wirklich scharf genug war. Und Himmel, das war es. Selbst, als ich nur leicht über meine Fingerkuppe damit fuhr, bildete sich ein kleiner, kaum sichtbarer Schnitt, der jedoch nicht großartig blutete. Nur ein einzelner, kleiner Tropfen rann an der Stelle heraus, an der ich angesetzt hatte. Ich lächelte leicht. Plötzlich war mir, als würde ich mich selbst sehen. Eine kleine, gebrochene Gestalt auf dem Boden, die ein rotes Taschenmesser in der Hand hielt. Das war zweifellos ich… Aber wie…?! Dann setzte ‚ich’ zum Schnitt an. Ich konnte alles sehen, was ich tat. Wie ich leichten Druck auf die Klinge ausübte, wie sich das kalte Metall unter meine Haut schob und wie die ersten Tropfen Blut sich bildeten. Alles geschah wie in Zeitlupe. Der Schnitt wurde tiefer. Ich verfehlte knapp eine meiner Sehnen, doch die Pulsader hatte ich getroffen. Und das Blut quoll nun in größerer Menge aus meinem Handgelenk. Dasselbe geschah mit dem anderen. Das alles beobachtete ich… und trotzdem fühlte ich, was das ‚Ich’ fühlte, das ich sah. Den Schmerz in meiner Hand und wie ich schwächer wurde. Meine klägliche Gestalt ließ die Hand in die Blutlache fallen und senkte den Kopf, lehnte nun mit ihm an der Duschwand. Ein Lächeln. Dann rührte ‚ich’ mich nicht mehr. Ich konnte einerseits sehen, wie alles schwarz war und doch konnte ich mich weiterhin klar erkennen. Eine weinende Stimme dröhnte in meinem Hinterkopf. Ich konnte nicht ausmachen, wem sie gehörte. Sie weinte leise, es war lediglich ein Schluchzen, doch es war zu vernehmen. Und plötzlich wurde mir bewusst, woher es kam. Uruha saß vor meinem toten Körper und strich ihm scheinbar ungläubig durch die Haare. „Ich hab dich umgebracht…“ flüsterte er. „Ich hab dich sterben lassen… weil ich nichts für dich tun konnte, hab ich Recht?“ Ich konnte jedes einzelne Wort verstehen. Konnte fühlen, was er fühlte und gleichzeitig die Dunkelheit sehen, in der sich meine tote Seele befand. Uruha trauerte um mich… Das kleine Taschenmesser nahm er aus meinen leblosen Händen. Es war noch immer blutverschmiert, weil es in der Blutlache gelegen hatte. Er sah es kurz an, ehe er mir näher kam, mir über die Wange strich. Sie war noch immer warm, das fühlte ich. Er schien es ebenfalls zu fühlen. Dann lächelte er wieder ruhig und unbeschwert, als hätte er eben die Erkenntnis gemacht, dass jeglicher Sinn, um mich zu weinen, vergebens gewesen war. In mir wuchs das Mitleid mit meiner toten Gestalt, aber auch das Mitleid mit Uruha. Er hatte mir also wirklich helfen wollen…? „Lass mich bei dir sein, damit ich das alles nachholen kann, was ich nicht für dich tun konnte, hai…?“ Was hatte er da gesagt? Wollte er etwa sterben…? Mit mir…? Es schien wirklich so, denn er setzte sich neben meinen Körper, störte sich gar nicht an der Blutlache, in der er nun saß und setzte das Messer nun auch an seinem Handgelenk an. Ich wollte schreien. Schreien, dass er es nicht tun sollte. Aber ich konnte nicht. Schließlich war ich tot und meine Stimme versagte. Er lächelte noch immer leicht, dann verließ eine schimmernde Träne sein Auge. Und ich war mir sicher, es war seine letzte… denn nun glitt die silberne Klinge auch unter seine Haut, durchschnitt das dünne Fleisch und das tat er gleich mit beiden Armen. Noch immer wollte ich schreien. Er sollte nicht für mich sterben. Auch nicht mit mir, denn das hatte er nicht verdient. Wieso? Was gab es für einen Grund? Warum tat er das ausgerechnet für mich…? „Weil ich dich liebe, Ruki…“ flüsterte seine schwache Stimme, er hatte sich an meinen toten Körper gelehnt und unsere Hände miteinander verschlungen. Sein Kopf ruhte auf meiner Schulter. Es sah so aus, als würden wir schlafen… einfach friedlich schlafen… und doch würden wir nie wieder aufwachen. „WACH AUF! RUKI, VERDAMMT!“ Ich schreckte hoch und atmete schnell und hektisch. Völlig verstört blickte ich einfach geradeaus, hatte die Augen weit aufgerissen und kleine Schweißperlen liefen meine Brust hinunter. Auch mein Rücken und mein Gesicht waren leicht feucht vom Schweiß. Vom Bett wollten wir gar nicht erst sprechen… Aber nicht nur der Schweiß bedeckte mein Gesicht. Da war noch etwas anderes, das fürchterlich auf meiner empfindlichen Haut brannte. Tränen. Ich weinte schon wieder. Und jetzt wurde mir alles klar. Es war nur ein Traum gewesen. Ich hatte niemals an der Badewanne gelehnt. Und sofort prüfte ich meine Handgelenke. Sie waren heil. Also hatte ich niemals versucht, mich umzubringen. Dann fiel mein Blick auf Uruhas Handgelenke. Sie waren völlig makellos. Also hatte auch er niemals versucht, sich für mich umzubringen. Unglaubliche Erleichterung wollte sich in mir breitmachen. Doch sie kam nicht gegen diese Woge aus Angst und Unsicherheit hindurch. Wieso bloß träumte ich so etwas? Was hatte das alles zu bedeuten? Dann ein Stich in meiner Brust. Es war, als würde mein Herz zerspringen, denn nun erst realisierte ich wirklich, was Uruha in meinem Traum gesagt hatte… ‚Weil ich dich liebe, Ruki…’ Und was, wenn es nun wirklich so war? Nein, auf keinen Fall. Wieso nicht? Weil es Uruha war und das war zweifellos ein Mann! Und was, wenn er es doch tat? Ich musste wirklich mit diesen Gedanken aufhören. Wieso sollte sich Uruha ausgerechnet in mich verlieben?! Außerdem… war es doch sowieso nur ein Traum gewesen. Scheinbar schien diese Nacht wirklich alles verdammt langsam zu gehen. So war es auch mit meinem Reaktionsvermögen, denn erst jetzt fiel mir auf, in welcher Position ich in meinem Bett saß. Gut, ich saß aufrecht und hatte lediglich eine Schlafhose an, aber mehr als das trug Uruha auch nicht wirklich… und er hatte die Arme um meinen Bauch geschlungen. Wieso auch immer… Aber irgendwie machte mich das gerade sehr unruhig. Immerzu dachte ich an diesen verfluchten Traum… und was er zu mir gesagt hatte. Wieso bloß musste ich das jetzt so sehr auf die Realität beziehen?! „Alles in Ordnung mit dir?“ Uruhas Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück. Eben in die Realität, in der er mich noch immer in einer halben Umarmung hielt, wie am Vortag, denn ein flüchtiger Blick auf den Wecker verriet mir, dass es bereits halb drei waren. Dann kam mir erneut der Gedanke, dass es nicht gut war, dass wir so da saßen, denn schließlich könnte er mich ja wirklich… NEIN, VERDAMMT! Und trotzdem stieß ich ihn von mir weg, damit es eben ein bisschen so aussah, als würde ich noch immer völlig verstört sein von dem Alptraum. „Ist ja gut, gomen ne… was war denn eben los…?“ Ich blickte ihn ungläubig an. Gerade, als ich zum Sprechen ansetzen wollte, merkte ich, dass meine Stimme nicht so wollte, wie ich. Mein Hals tat unglaublich weh… „Du hast geschrieen und warst nicht wach zu kriegen! Die Zimmernachbarn haben schon geklopft!“ sagte er ruhig. Plötzlich fing ich unglaublich an zu husten. Mein Hals kratzte, schmerzte schon fast unerträglich. Wie sehr musste ich wohl geschrieen und geweint haben, dass es bereits so wehtat?! Ich sah ihn noch immer nicht an, auch nicht, als er mich kurz losließ und mir ein Glas Wasser holte. Ich bedankte mich nicht einmal… „Was hast du denn so schlimmes geträumt?“ fragte er irgendwann, als ich ausgetrunken hatte und er nun wieder auf meiner Bettkante saß. Ich wusste nicht, wieso, aber ich fühlte mich irgendwie bedrängt von ihm. Also rutschte ich noch ein Stück von ihm weg. Erst dann begann ich zu sprechen… oder sollte ich eher sagen… lügen? „Dass ich… dass ich umgebracht werde…“ nun, in gewisser Weise war es ja nicht mal gelogen! Schließlich war der Uruha in meinem Traum ja auch der Meinung gewesen, dass er mich umgebracht hatte…! „Hier kann dir wirklich absolut gar nichts passieren, okay? Ich bin schließlich auch noch da…“ Was zum Teufel sollte das bloß…? Liebte er mich etwa doch…? Unsinn… „Hai… demo… du kannst jetzt wieder ins Bett… ich komm schon klar…“ Er lachte. „In dem Bett willst du noch schlafen? Das ist doch durchnässt bis auf die Federung!“ Was sollte denn das nun heißen?! „Ich bin dafür, dass du jetzt duschen gehst, so verschwitzt lass ich dich auch nicht in mein Bett!“ Mir fielen wohl gleich sämtliche Zähne aus, da ich den Mund offen stehen hatte. Ich wollte etwas sagen, aber ich konnte nicht. Ich sollte in seinem Bett schlafen…?! Das ging doch nicht! Diese Betten waren zwar nicht gerade klein, aber… trotzdem! Aber irgendwie… fand ich es gar nicht so schlecht… WAS DACHTE ICH DA SCHON WIEDER?! Stimmte doch, immerhin wollte ich nicht unbedingt in meinem schweißnassen Bett weiterschlafen… „Hai, duschen…“ nuschelte ich und stand mühsam auf. Dabei wäre ich fast umgekippt, wenn Uruha mich nicht kurzerhand mit einem Arm um meine Hüfte gestützt hätte. Ich bedankte mich jedoch bloß mit einem knappen, ebenfalls nur leise genuschelten „Domo“ und löste mich nun wieder so schnell wie möglich von ihm. Ich schnappte mir eine neue Schlafhose und eine neue Shorts aus meiner Schublade am Schrank und machte mich dann auf den Weg ins Bad. Dort fiel mein Blick als erstes auf die Stelle aus meinem Traum. Wie ich da gesessen hatte, wie ich gestoben war, wie er mir gefolgt war… und ich lächelte traurig. Hinter mir nahm ich nur noch wahr, wie Uruha begann, mein Bett abzuziehen und dann schloss ich die Tür hinter mir. Während das lauwarme Wasser über meinen nackten Körper floss, dachte ich wieder über meinen Traum nach. Dass er gesagt hatte, er würde mich lieben. Und dann diese Andeutungen eben. Sollte ich nun wirklich in seinem Bett schlafen…? Nach diesem Traum? Das konnte ich nicht… oder? Nachdem ich mich mit meinem geliebten Kirschduschgel gewaschen hatte, stieg ich wieder aus der Dusche und trocknete mich schnell ab, weil mir verdammt kalt war. Dann zog ich mir frische Shorts an und meine Schlafhose. Unsicher blickte ich mich selbst im Spiegel an. Ich dachte wieder daran, wie ich so da gesessen hatte in meinem Traum und wie meine Handgelenke unaufhörlich bluteten. Ich schauderte. Doch ich rang mich endlich dazu durch, zurück ins Zimmer zu gehen und meinem Schicksal ins Auge zu sehen! Uruha war gerade dabei, das Laken, auf dem ein Schweißfleck in Ringform abgebildet war, über die Heizung zu hängen. Ich lächelte leicht, jedoch war es kein wirklich warmes Lächeln. Eher ein gezwungenes, denn nun sah er mir in die Augen und lächelte seinerseits. „Leg dich ruhig schon hin, ich mach das hier nur schnell noch fertig…“ sagte er, während er noch immer mit meiner Bettwäsche rumhantierte. Ich zögerte zwar noch immer ein wenig, aber dann legte ich mich doch in sein Bett und achtete darauf, mich möglichst weit an den Rand zu legen, es aber dennoch unauffällig zu tun. Ich deckte mich ein wenig zu und wartete gezwungenermaßen auf meinen Mitbewohner. Irgendwann war der dann auch mal fertig mit Bettwäsche abziehen und aufhängen und kam dann langsam auf das Bett zu. Das hörte ich an seinen Schritten, denn sehen konnte ich ihn nicht, da ich mit dem Rücken zu ihm lag. Ich spürte, wie die Matratze ein Stück absackte und wie die Bettdecke angehoben wurde. Dann legte Uruha sich darunter und schaltete seine kleine Nachttischlampe aus. Und schon war ich umso nervöser als vorher, denn die Bettdecke war nicht besonders breit und so lagen wir doch ziemlich nah beieinander. Mist! Na ja, war eben nicht zu ändern… und bis jetzt war es doch auch gar nicht so schlimm. „O yasumi“ sagte ich leise in der Hoffnung, es würde erwidert und ich könnte endlich in eine hoffentlich schöne Traumwelt abdriften, doch es blieb aus. Stattdessen… „Uruha… was… was machst du…?“ fragte ich vorsichtig und starrte völlig unkonzentriert auf irgendeinen Punkt im Zimmer. Was ich da spürte, war sicherlich keine Spinne, die sich in mein Bett verirrt hatte und nun orientierungslos über meinen Rücken krabbelte. Eher hatte sich da was anderes – etwa Uruhas Hand – hin verirrt. Aber was hatte das bitte zu bedeuten?! Okay, nur, weil man mal eine Nacht im selben Bett schläft, was sowieso nicht ohne Grund passierte, da meines gerade irgendwie verdammt durchnässt war, musste man ja nicht gleich auf Tuchfühlung gehen, oder?! Trotzdem… irgendwie fand ich dieses Gefühl gerade sehr anregend… Moment, was dachte ich da schon wieder?! „Nichts…“ kam es von hinter mir geflüstert. Ja wohl! „Ano… und was ist das da… an meinem Rücken…?“ Mann, war das ne blödsinnige Frage… selten dämlich… Nen herzlichen, Ruki… „Was denkst du denn?“ fragte Uruha leise und ich konnte seinen Atem an meiner Schulter fühlen. Es machte mir eine Gänsehaut… aber wieso nur? Hatte ich mich etwa doch in ihn… „Lass dich… nicht stören…“ langsam schlossen sich meine Augen und ich begann, diese Berührungen zu genießen. Ja, ehrlich, ich begann ernsthaft, sie zu genießen!!! Ruki, jetzt war alles verloren… „Wenn du dich nicht stören lässt…“ Nein, ich ließ mich ganz und gar nicht stören! Aber… ich wollte trotzdem wissen, wieso er das nun auf einmal tat! „Demo… warum…?“ „Reg dich ab, du hast nur Duschgelreste am Rücken… solltest dich mal besser abtrocknen…“ Ach, so war das… … Verdammt! Wieso immer ich?! Wieso ausgerechnet immer ich?! Ich und mein beschissenes Kirschduschgel! Das war alles seine Schuld! Ich würde es nie wieder benutzen, das schwor ich mir in diesem Moment! Und dann hörte er auf mit den kleinen Streicheleinheiten. Drehte sich auf die andere Seite und schlief nach kurzer Zeit ein. Und in dieser kurzen Zeit und noch lange darüber hinaus dachte ich nach. Über das eben Geschehene. Eigentlich hatte ich nicht gewollt, dass es aufhörte. Wieso nur hatte er nicht weitergemacht…? Und wieso nur dachte ich so einen Schwachsinn?! Maggots Aber ich will doch sagen, was ich denke… Das grelle Sonnenlicht schien mir mitten ins Gesicht, als ich aufwachte. Und ich hatte einen unglaublichen Muskelkater… wieso bloß? Diese Matratze war viel zu hart für mich… wie konnte Uruha bloß auf sowas schlafen?! Apropos Uruha… wo war der denn eigentlich?! Ich sah mich im Zimmer um… konnte jedoch niemanden erblicken. Dann lauschte ich. Und hörte das Rauschen von Wasser. Er war also duschen gegangen… auch gut. Würde ich also warten müssen. Aber was machte ich denn nun in der Zeit? Wieder schweifte mein Blick durchs Zimmer und blieb schließlich an meinen Schreibsachen hängen. Mir war in der Nacht sowieso eine Idee für einen neuen Text gekommen. Also beschloss ich, meiner Kreativität mal wieder ein bisschen freien Lauf zu lassen. Stöhnend erhob ich mich aus meinem Bett und schnappte mir Kladde und Füller. Ich begann, die ersten Zeilen niederzuschreiben, die mir einfielen. - tengubana no dokusaika haita tsuba ni hedo wo kasaneru tarenagasu kotoba subete ga magure mo nai real sa totsuzenheni no kanjou nareta tetsuki de image tsubusu [1] - Und in dem Moment, als ich die letzten Kanji zu Ende geschrieben hatte, ging die Tür auf und ein tropfender Uruha kam aus dem Bad. Schnell kuckte ich weg, da er mal wieder nur ein Handtuch knapp um die Hüften trug. Ich stöhnte genervt. „Musst du hier alles voll tropfen?! Ich darf’s nachher wieder wegmachen…!“ keifte ich und packte meine Schreibsachen weg. Nicht mal „O hayoh“ konnte er sagen! Penner! „Spiel dich mal nich so auf, Kleiner! Ich bin doch gar nicht so nass!“ „Dann kuck mal in den Spiegel, du Baka!“ Mal wieder schwer beleidigt drehte er sich um und ließ kurzerhand das Handtuch fallen. Und ich glaubte, zu spüren, wie mir schlecht wurde vor Schreck. Jetzt zog sich dieser Pädophile auch noch vor mir aus! Das gab’s doch nicht! „Mein Gott, nimm dir die Klamotten das nächste Mal mit ins Bad, verdammt!“ keifte ich und drehte mich weg von diesem… ja, was war das denn nun für ein Anblick? Wie genau ließ er sich definieren? Einige Vorschläge meines hirnamputierten zweiten Ichs: Faltig. Hässlich. Durchschnitt. Nett. Süß. Apfelrund. Knackig. Okay, das musste reichen… aber aussuchen wollte ich mir eigentlich keins davon, denn das würde meinem ohnehin schon geschädigten Kopf nur noch mehr schaden… weil es definitiv einer der letzten drei sein würde! Das war gar nicht gut… „Ich bin’s eben nicht gewohnt, dass hier noch jemand im Zimmer wohnt, der dauernd auf meinen nackten Arsch gafft!“ Was zum…?! DAS STIMMTE DOCH GAR NICHT! … Oder doch? NEIN! Doch… NEIN, VERDAMMT! … Gut, ich musste zugeben, ich hatte hingesehen… aber wirklich nur kurz! „Du regst mich auf… jetzt zieh dich endlich an, damit ich mich wieder umdrehen kann!“ zischte ich und suchte mir in Gedanken schon mal meine Klamotten zusammen, die ich heute anziehen würde. Gedanklich verfluchte ich mich ebenfalls für das eben gedachte… und meine jetzigen Gedanken verfluchte ich natürlich ebenfalls! „Hast du n Problem mit mir, Junge?“ fragte plötzlich eine tiefe Stimme direkt hinter mir im Bett. Irrte ich mich oder war er nun wirklich direkt hinter mir…? Und hatte er etwa immer noch nichts an…?! „Ja, ein gewaltiges… und du hast gleich auch eins, wenn du jetzt nicht endlich ins Bad verschwindest!“ keifte ich weiter. Aber was, wenn er jetzt wirklich nichts… „Aber ich hab meine Klamotten hier… genau da, wo du sitzt…“ Drehte der jetzt völlig durch? Was sollte das denn nun wieder heißen?! Konnte es sein… Tatsächlich, ich saß auf seiner Hose… seit wann lag denn die da?! „Und wie’s aussieht muss ich sie mir erst holen, eh?“ Was sollte das werden?! Was hatte denn seine Hand da an meinem Hintern zu suchen?! Okay, ich fand es im nächsten Moment heraus, als er mich unsanft nach vorn schubste und ich somit auf meinem Oberkörper lag. Seine Hose hatte er dann einfach so weggezogen und ich spürte auch sein Gewicht auf der Matratze nicht mehr. Erleichtert atmete ich aus und setzte mich wieder gerade hin. Dann holte ich tief Luft und schrie los. „FAHR ZUR HÖLLE, DU WICHSER!“ und stand mit diesen Worten auf, verschwand im Bad und schaltete dort das kleine Radio an, in das ich dann irgendeine der CDs aus dem Regal einlegte und es so laut machte, dass er mich nicht mehr hören konnte. Ich kramte nach meinen Waschsachen und benässte mein Gesicht erst einmal mit viel kaltem Wasser und Kirschseife… ich kam einfach nicht von ihr los! Wie ich mein Leben doch hasste. Nach diesem elenden Traum war ich sowas von daneben, dass ich schon Angst haben musste, dass man mich demnächst vom Boden aufwischen musste, weil ich schon eine regelrechte Matschbirne hatte vom vielen Nachdenken. Über meinen Traum, aber überwiegend immer noch über die Tatsache, dass die anderen mich nicht akzeptierten. Ich konnte langsam nicht mehr. Ich musste endlich mal wieder einen klaren Kopf bekommen! Und wie konnte ich das am besten anstellen? Natürlich, indem ich meine Gedanken niederschrieb. Aber nein, mein lieber Mitbewohner hielt mich ja wie immer davon ab… SCHEIßE! Ich hatte meine angefangenen Lyrics noch auf seinem Bett liegen! Das war gar nicht gut! Verdammt! Schnell wusch ich mich zu Ende und packte das Duschgel wieder weg, stürmte dann aus dem Zimmer. Und ich hatte wohl meinen allerbesten Zweifelblick aufgesetzt, als ich Uruhas unschuldiges und zugleich schuldiges Gesicht erblickte. Scheinbar war dieser gerade eben noch dabei gewesen, in meiner Kladde rumzublättern und hatte diese nun wieder an ihre ursprüngliche Position gelegt und sich etwa vier Meter von ihr weg katapultiert. Somit saß er nun auf der anderen Seite des Bettes, weit entfernt von meinem Heiligtum, als würden sie sich gegenseitig bekriegt haben und waren nun auseinander gegangen, weil ich als der Hüter meines kleinen Schatzes hereingekommen war und nur wieder böse geworden wäre, wenn ich sie gesehen hatte. Was Uruha nicht wusste: ich hatte sie gerade eben noch gesehen. Und was er auch nicht wusste: dass ich extrem sauer werden konnte. „Du“ ich zeigte mit meinem nackten Zeigefinger auf den mittlerweile angezogenen Oberspacken und sprach so leise, dass man es kaum verstand, wenn man nicht gerade drei Meter entfernt von mir meiner Kladde gegenüber auf dem Bett hockte. „Was machst du mit meinem Aka-chan[2]?!“ Mein überaus lästiger Mitbewohner kuckte mich gerade ziemlich unwissend an, aber ich konnte förmlich riechen, wie seine aufgesetzte Unschuldsfahne rüberzog. Und sie roch widerlich! „N-nichts… doshite?“ „DAS FRAGST DU NOCH?!“ langsam wurde ich wütend. Eigentlich wollte ich nicht wütend werden, denn ich mochte es aus irgendeinem Grund nicht, ausgerechnet auf ihn wütend zu sein. Wieso auch immer… „Du. Hast. In. Meiner. Kladde. Gelesen!“ Hastig schüttelte er den Kopf und setzte ein unschuldiges Lächeln auf. „Iie, hab ich nicht!“ Ich stöhnte genervt. „Dich kann man wirklich nicht allein lassen! Mann, ich muss ja Schiss haben, dass du dich an meinem Nachtschrank vergreifst! Und das hatte ich dir verboten, erinnerst du dich?! Ich sag dir was, ich werde dieses Buch nun in meinen Nachtschrank legen und du wirst es nicht anfassen, auch den Nachtschrank nicht, hast du verstanden?!“ gut, ich war da auch nicht ganz brav gewesen, aber das musste doch niemand wissen… „Und wenn ich dich auch nur EINMAL dabei erwischen sollte, kette ich dich an mir fest und sorg dafür, dass du nichts unbeaufsichtigt von mir in Reichweite meiner Sachen tust!“ oops… was genau hatte ich da gerade gesagt? „Ma… du willst mich tatsächlich mit unter die Dusche und in dein Bett schleppen, hai?“ Dieser Kerl… konnte der eigentlich auch noch was anderes, außer zweideutig sein und mir damit tierisch auf die Nerven gehen?! „Vergiss, was ich gesagt hab… aber halt dich von meinen Sachen weg, hai?! Das sind MEINE Sachen!“ Ich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen, egal, was er jetzt sagen würde. Aber das, was er sagte, brachte mich doch schon zum nachdenken… „Vielleicht ist es ja das, was die anderen an dir komisch finden! Du willst ja gar nichts von dir preisgeben! Wie sollen sie dich denn da jemals richtig kennen lernen, he?!“ Ich blieb wie angewurzelt stehen, gerade, als ich mich umgedreht hatte und zurück ins Bad wollte. Und ließ mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. War da was dran? Was, wenn es wirklich so war…? Und wenn ich den anderen so fremd war, wollten sie dann nichts mit mir zu tun haben? Weil sie sich kein Bild davon machen konnten, wie ich war? Wer ich war…? „Wie… meinst du das?“ fragte ich noch einmal, als wüsste ich es nicht schon längst selbst. „Ich glaube, das weißt du schon selbst ganz gut. Und ich kann dir meinerseits wirklich nur sagen, dass du mir nichts verschweigen musst, bloß, weil du glaubst, ich zieh dich damit auf oder sowas… so einer bin ich nicht. Wenn du reden willst, kannst du das mit mir tun, hai?“ Diese Worte irritierten mich. Noch nie hatte das jemand zu mir gesagt, den ich gerade mal seit drei Tagen kannte! Aber es lag sicher nur daran, dass ich mit ihm die nächsten fünf Jahre verbringen musste und er wahrscheinlich einfach keinen Bock darauf hatte, seinen Mitbewohner nicht zu kennen und nichts mit ihm anfangen zu können. Hai, das musste es sein. Es hatte nichts damit zu tun, dass er wissen wollte, wie es mir geht. Geschweige denn, dass er mich… Blöder Gedanke. Den wollten wir jetzt gar nicht erst weiter ausführen! „Ich bin mich anziehen“ sagte ich nur knapp und verschwand dann wieder im Bad. Langsam aber sicher wurde dieser Raum mir schon sympathischer als das eigentliche Zimmer… Ich putzte mir in Rekordzeit die Zähne, schminkte mich dann ein bisschen – schwarzer Lidschatten und Kajal, wie immer – und zog mir dann eine enge, schwarze Jeans und ein zerfetztes, weißes T-Shirt mir der roten Aufschrift ‚It’s just Rock `n Roll’ an. Nach einer Weile betrat ich nun wieder das eigentliche Zimmer. In diesem Moment wurde mir erst einmal bewusst, dass es noch eine lange Woche werden würde, in der ich mich mindestens zweimal mit Uruha darum streiten musste, wer denn nun aufräumt und saugt… das war nämlich buchstäblich ein Saustall! Und wo wir schon mal dabei waren, wollten wir doch gleich mal damit beginnen… „Uruha? Diese Woche machen wir noch sauber, hai? Hier kann man ja gar nich mehr ordentlich laufen vor lauter Klamotten und Büchern und Zeitschriften und CDs und… Bibeln?!“ Was zur Hölle war denn das?! Er hatte eine Bibel da liegen! Das… das wurde ja immer schlimmer! Ob seine Krankheit wohl ansteckend war…? „Ja, Bibel! Was dagegen?“ motzte er zugleich und sprang von der Fensterbank, auf der er bis eben noch gesessen und Musik gehört hatte. Ich machte ein zweifelndes Gesicht. Und ich zweifelte in dem Fall nicht nur den so genannten ‚Gott’ der Christen an… „Wieso hast du denn eine Bibel da liegen? Stehst du auf Christen oder was? Junge, du machst mir Angst…!“ „Meine Fresse, ich will mich weiterbilden! Außerdem stehen da n paar wirklich bescheuerte Sachen drin, wo man prima drüber abrollen kann!“ Ein weiterer zweifelnder Blick. Was war denn bitte an einem Typen, der angeblich da oben im Himmel saß und die ganzen toten Seelen empfing und sie nach Lust und Laune mal eben in die Hölle schickte oder im Paradies behielt, zum abrollen?! „Hm… du bist komisch“ schlussfolgerte ich und kramte nach meinen Schulsachen. Heute würden wir Sport machen… großartig! „Was macht ihr eigentlich in Sport gerade?“ fragte ich gelangweilt und wartete auf eine Antwort. Doch die kam nicht, da er mich irgendwie komisch anstarrte und scheinbar unfähig zum sprechen geworden war. „Herr von und zu! Kriegen ich Antwort?!“ Er schreckte aus seinem Tagtraum auf und gab ein total verpeiltes ‚Häääääääääääääää?’ von sich, woraufhin ich einen Lachkrampf bekam. Ich war eben ein Mensch mit schwarzen Humor… ich konnte ja auch über Sachen lachen, die eigentlich gar nicht lustig waren! Wie zum Beispiel dieser eine Fall, an dem Kai, ein paar Freunde und ich gemeinsam mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und hackedicht gewesen waren. Kai hatte sich schwungvoll mit einem Köpper in ein nahe liegendes Maisfeld katapultiert und noch etwa fünf Meter weit gerollt, ehe er irgendwo verschollen im Maisfeld zum Stillstand gekommen war. Ich hatte mich natürlich sofort auf dem Boden gekugelt vor Lachen und die anderen gerufen, sie sollten stehen bleiben, unfähig, noch irgendeinen vernünftigen Satz herauszubringen. Als ich mich dann endlich wieder gefasst gehabt hatte, war ich ins Maisfeld gelaufen und hatte nach meinem Kumpel gesucht. Doch vorgefunden hatte ich ihn mit starrem Blick nach oben und stillschweigend. Sofort hatte mich Sorge überkommen, aber dann hatte auch Kai lauthals losgelacht und sein schwarzer Schützenanzug war natürlich total im Eimer gewesen… „Sorry, ich war in Gedanken… was hast du gesagt?“ holte mich Uruha nun aus meinen Gedanken und ich hatte Mühe, nicht auch so verpeilt zu glotzen wie er. „Was ihr im Moment in Sport macht, wollte ich wissen“ sagte ich cool und warf mir noch einen schwarzen Kapuzenpulli über, da es irgendwie verdammt kalt im Zimmer war… „Volleyball“ antwortete er knapp, sprang von seiner Fensterbank und ließ mich völlig deprimiert zurück, als er nun abermals im Bad verschwand. VOLLEYBALL?! Das konnte ich nicht! Das war genau das, was ich nicht konnte! Wieso immer ich?! Irgendwann machten wir uns dann auf den Weg zur Sporthalle. Die ganze Zeit über hatte ich ein sehr ungutes Gefühl… und was, wenn die anderen es wieder alle riechen konnten? Mich dann wieder aufzogen? Mich auslachten? Vielleicht waren sie ja wie Hunde, wie gefährliche Straßenköter, die jede Angst eines Menschen riechen konnten…?! „Ruki?“ Völlig perplex schreckte ich aus meinen Gedanken und stellte fest, dass ich fast stehen geblieben war, während ich nachdachte. Aoi hatte mich wohl mit der Nennung meines Namens darauf hingewiesen. „Hai“ sagte ich bloß und lief wie gehabt neben ihm weiter. „Ano“ begann er. Scheinbar wollte er etwas wissen, was er sich nicht traute, zu fragen, denn er machte einen schüchternen Eindruck. „Magst du Uruha?“ Überrascht wegen der Frage schaute ich nach vorn, wo Uruha neben Reita und ein paar anderen Typen, die ich nicht wirklich kannte, vorlief und sich lachend mit ihnen unterhielt. Plötzlich schaute eben dieser nach hinten direkt in meine Augen und ich erschrak, grinste kurz, kuckte dann wieder weg. „Eto… er ist okay“ sagte ich matt und räusperte mich. Aoi schien das etwas seltsam aufzufassen… „Nur okay?“ Ich stutzte. Was dachte er denn bitte?! Natürlich nur okay… oder? „Er ist chaotisch und verdammt launisch, hai… demo… was meinst du denn mit >Nur okayMaggots< [2] = Baby, Sprössling Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu Von wem ich will, dass er mich liebt… Das erste, was ich dachte, als ich aufwachte, war, dass ich mich nicht in meinem Klassenraum befand. Beruhigende Erkenntnis, dann gab es hier auch keinen Sensei, der mich anschreien konnte, weil ich im Unterricht eingeschlafen war. Das nächste, an was ich mich erinnerte, war die kleine Auseinandersetzung mit meinen Klassenkameraden… und daher wohl auch das schmerzhafte Ziehen in meiner unteren Region… Und dann schlug mir wohl gerade jemand mit einem Hammer vor den Hinterkopf. Ahnend, was ich finden würde, tastete ich neben mich aufs Bett und bekam auch etwas zu fassen. Beunruhigend: nackte Haut. Noch beunruhigender: ich war auch nackt. HILFE! Hatte ich jetzt wirklich mit ihm geschlafen…? Und hatte es mir wohlmöglich auch noch gefallen…?! Hai, hatte es. Das fiel mir dann als nächstes ein. Und irgendwie war ich im nächsten Moment ziemlich glücklich. Wieso? Keine Ahnung… Ich traute mich nun auch endlich, meine Augen aufzumachen und meinen Bettnachbarn anzusehen. Er schlief wohl noch… und sah dabei unglaublich niedlich aus! Um nicht zu sagen… schon fast sexy… Langsam beugte ich mich zu ihm, um ihn nicht zu wecken und betrachtete ihn einfach. Darauf achtend, dass es nicht zu viel wurde, streichelte ich ihm mit der Fingerspitze hauchzart über die Wange und lächelte über seine sich rümpfende Nase. „Lass das“ murrte er und lächelte leicht. Sah zumindest so aus… Ich nahm meine Hand weg und stützte mich auf meinen Arm, zog aber vorher noch die Decke ein bisschen höher über meinen Körper. Wie war ich eigentlich in diese Position gekommen? Ich hielt mich jedoch zurück, denn irgendwie war mir das Ganze nun doch ein wenig peinlich gewesen… und deshalb ließ ich ihn sich erst einmal aufrichten. Er rieb sich die Augen, sah mich jedoch danach nicht an. „Wie spät?“ fragte er mich. Ich blickte auf den Wecker neben seiner Nachttischlampe und stellte fest, dass gerade mal zwei Stunden vergangen waren, in denen wir… das gemacht und geschlafen hatten. Und die Uhrzeit teilte ich ihm dann auch gleich mit, woraufhin er bloß einen leisen Laut von sich gab, der mir scheinbar sagen sollte, dass er verstanden hatte. Dann stand er ohne noch irgendwas zu sagen auf und schloss sich im Bad ein. Nun war ich etwas irritiert. Wieso redete er denn plötzlich nicht mit mir? Und hatte ich mir das Lächeln in seinem Gesicht gerade auch nur eingebildet? Was war nur los…?! Hatte er mich nun doch nur verarscht…? Langsam setzte ich mich ordentlich hin und blickte mich im Zimmer um, suchte nichts Bestimmtes. Dann stand ich auf und schnappte mir meine Joggingsachen, zog mir aber vorher noch frische Shorts an und wartete, bis Uruha aus dem Bad kam. Schließlich hatte er sich ja in mich entleert… und das musste abgewaschen werden! Währenddessen schrieb ich meinen Songtext zu Ende, den ich angefangen hatte, bis dieser Idiot es gelesen hatte… hoffentlich hatte er es vergessen… -jiiteki iken to hassou yumemi ga chi no miscast kawaru koto wo tsune ni kirai notauchi mawaru risou wo hiki zutteiru yatsu mo yatsu mo yatsu mo yatsu mo ochitoshi ana ni furueteiru no sa- Er brauchte mal wieder ziemlich lang im Bad… aber was konnte man schon von einem so eitlen Menschen erwarten? Schließlich war ich doch auch nicht besser… -[Dictatorship] kill off inside [The brain of a sow] kill off inside [Crazy fraud lovers] kill off inside [The coward who lovers] kill off inside Sanction to a dirty sow I'm not your shit box Sanction to a dirty sow It is different! You are fat maggots!- [1] Endlich hatte ich ihn beendet. Er würde einen Ehrenplatz in meiner Kladde bekommen, denn er gefiel mir selbst so unwahrscheinlich gut. Vielleicht, weil er diesmal meine Gedanken und Gefühle so exakt widerspiegelte…? Plötzlich erschreckte ich mich fast zu Tode durch eine zufallende Tür. Ich zuckte ungewollt zusammen und drehte mich um, blickte auf einen mal wieder nur halb angezogenen Uruha, der noch immer aus den Haaren tropfte. „Du kannst jetzt, wenn du willst“ sagte er bloß, grinste kurz und kramte dann in seinen Klamotten wahrscheinlich nach irgendwas Bequemen. Und selbst im Bad noch, in seiner Abwesenheit, konnte ich seine Spuren sehen. Seinen Geruch riechen. Wurde ich verrückt?! Langsam machte ich mir Sorgen um mich selbst… Aber ich war eben verliebt… war mein Verhalten jedoch noch normal? Schließlich benahm ich mich wie einer dieser verrückten Teeniegirls, die alles von ihrem Schwarm sammelten und laut losquietschten, wenn der oder die Angebetete vorbeikam. Wie absurd… Und wo zum Teufel hatte ich mein Handtuch hingelegt?! „Wo ist mein Handtuch?!“ schrie ich durch die abgeschlossene Tür und wartete auf Antwort. „Hab’s benutzt und in die Wäsche getan, meine sind alle dreckig!“ hörte ich bloß. Er hatte mein Handtuch benutzt! Vielleicht roch es ja jetzt auch nach ihm…? RUKI! Jetzt drehte ich definitiv durch… „GREAT! Und womit soll ich mich jetzt abtrocknen?!“ einfach mal so tun, als würde mich das alles gar nicht interessieren, dachte ich mir. Schließlich wollte ich ja nicht auffallen oder ihm auf die Nerven gehen… aber tat ich das wohl schon…? Ich zog mich aus bis auf die Boxershorts und kuckte mich dann nach einem Handtuch um, fand zwar nur ein kleines, aber immerhin besser, als gar keines. Also entledigte ich mich auch noch meiner Boxershorts und stellte mich dann in die schmale Duschkabine, drehte das Wasser auf und musste mich zusammenreißen, nicht aufzuschreien: ES WAR EISKALT! Dieser Baka hatte doch tatsächlich das ganze heiße Wasser aufgebraucht! Und jetzt durfte ich kalt duschen! VERDAMMT! Umso schneller wusch ich mich, schäumte meinen fleckigen Körper mit Kirschduschgel ein und fragte mich erneut, wie man so einen hässlichen Körper attraktiv finden konnte. Und wo ich schon mal anfing, nachzudenken, machte ich auch gleich unbewusst weiter, während mir der Schaum des Shampoos über meinen knochigen Rücken lief. Vielleicht war der ja der Grund für Uruhas plötzliches Schweigen und diesen Abstand, den er komischerweise zu mir hielt…? Oder kam dir das auch nur alles so vor…? Oder vielleicht hatte ihm der Sex nicht gefallen?! Viele Fragen, auf die ich keine Antwort wusste… und ich beschloss, sie herauszufinden. Wenn er in den nächsten Tagen genauso drauf war, dann würde ich ihn einfach fragen! Aber war ich auch mutig genug dazu…? Mit Sicherheit war ich schlecht gewesen und jetzt war er deshalb so komisch drauf. Und ich ging ihm auf die Nerven. Und er hatte mich von Anfang an nur für diese eine Nacht gewollt. Großartig, dann hatte ich mich ja schon wieder ausnutzen lassen. Unbewusst, aber ich hatte mich ausnutzen lassen. Sie waren also doch alle gleich… Ich wusch mich fertig und stieg aus der Dusche, fasste einen Entschluss. Ich würde warten, doch ich würde auch nicht untätig bleiben. Wenn es wirklich nur eine Laune war, würde sie vorbeigehen. Aber was, wenn er in der nächsten Woche noch immer so drauf war…? Meine Klamotten glitten nur langsam über meine noch feuchte Haut, ich fror selbst in ihnen. War das schon wieder diese innere Kälte? Sofort musste ich daran denken, was ich früher immer getan hatte, wenn ich diese innere Kälte verspürt hatte. Ich hatte meinen besten Freund um Rat gebeten. Aber aus irgendeinem Grund traute ich mich nicht, mit ihm darüber zu reden… „Kuso…“ flüsterte ich, als ich bemerkte, dass ich meine Socken nicht angezogen hatte. Und auf den kalten Fliesen vor der Miniküche kam mir eisige Kälte entgegen, die durch meinen ganzen Körper zu schleichen schien. Ich zitterte kaum merklich. Also schlenderte ich zu meiner Schublade am Schrank und kramte nach den schwarzen Socken mit den goldenen Sternen drauf. Die waren ein Geschenk von Kai… wahrscheinlich das einzige, was jemals wirklich von Herzen gekommen war… Socken! Andere schenkten Autos und teuren Schmuck, aber ich hatte eben Socken bekommen, weil ich sie so toll gefunden hatte. War ja auch kein Geburtstagsgeschenk gewesen oder sowas… lediglich nebenbei. Und zum Geburtstag hatte ich ähnlich billige Sachen bekommen, worüber andere nur lachen konnten, aber ich hatte mich immer sehr gefreut, weil ich wusste, dass sie ehrlich gemeint waren. Aber sonst meinte es ja auch niemand ehrlich mit mir. Ich schüttete Wasser in das kleine Gerät vor mir, stellte es an und kramte im Schrank nach einem Beutel Kirschtee, befestigte ihn an dem Griff einer weißen Tasse, auf der in roten Lettern „GRÖSSENWAHN“ zu sehen war. Ich grinste stumm vor mich hin. „Machst du mir auch nen Tee?“ kam es von hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um, da ich gerade überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen war, angesprochen zu werden. Ich hob eine Augenbraue. Test: „Was für einen?“ „Mir egal.“ „Sicher?“ „Hai…“ Er klang wirklich genervt… super! Aber nein, ich würde abwarten… Verletzt war ich trotzdem. Und zwar ziemlich… denn dieses ignorante Verhalten von ihm faszinierte mich nur noch mehr… Ich wusste selbst nicht, was mich noch zu ihm hinzog, denn eigentlich wusste ich ja, dass er wahrscheinlich das größte Arschloch unter Gottes Hinterteil war… bloß wollte ich es nicht wissen! Ich bemerkte, dass der Wasserkocher hinter mir piepte und ich nahm die Kanne herunter, goss den Tee in meine Tasse und stellte dann noch eine für Uruha bereit, übergoss den Teebeutel in ihr ebenfalls mit heißem Wasser und tat einen Löffel dabei, schlenderte dann rüber zur Fensterbank und reichte sie meinem Mitbewohner. Er dankte nicht mal. „Bitte, keine Ursache“ antwortete ich schnippisch und setzte mich aufs Bett, kramte in meinem Nachtschrank nach einem Kuli (dieses Zimmer schien die Dinger absichtlich zu verschlingen!). „Bah, da is ja gar kein Zucker drin“ hörte ich plötzlich und dachte, mich aber wirklich SCHWER verhört zu haben. Hatte er sie noch alle?! Jedenfalls war das das, was mir mein Gehirn sagte. „Hast du nichts von gesagt“ antwortete ich und wollte aufstehen, um den Zucker für ihn zu holen, als er sich jedoch selber bequemte und von der Fensterbank rutschte, dabei fiel sein Block achtlos auf den Boden. „Lass stecken, ich hol mir schon selber welchen“ sagte er und klang dabei ein bisschen gereizt. Oder? Verdammt, ich musste irgendwas machen, damit er nicht von mir genervt war! Was machte ich denn nur falsch?! Ich würde keinen Streit mit ihm ertragen können, nicht jetzt! Nein, er war der einzige, der mich hier verteidigte und beachtete, der mir selbst etwas bedeutete! Ich durfte ihn nicht verärgern oder nerven! „Gomen“ nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart und kramte dann nach meiner Kladde, um den nächsten Songtext zu schreiben, der mir gerade einfiel. Ich merkte, wie er mich mit einem abschätzenden Blick bedachte und sich dann wieder auf die Fensterbank setzte, weiter auf seinem Block kritzelte und mich unbeachtet ließ. Ich kam mir extrem verarscht vor… -kuzureru you ni taoreteitta hishatai ga wasurerarenai furatsuku ashi wo suri anata wo matta kitto yurushite wa kurenai darou ame no oto ni magirete kikoeru sono oto wa watashi no me no me de tomatta tada anata ni wa tada anata ni wa himegoto hitotsu sae shitakunai kedo wakatte hoshii tada ichido dake kurushimagire no uso wo me wo tsubutte daite- [2] Wieso nur sprach mir der Text gerade aus der Seele…? Ach ja, weil ich der Autor war… wie ironisch! Aber genau das wollte ich doch… von ihm umarmt werden und nie wieder losgelassen werden… nur bei ihm fühlte ich mich sicher, stark und glücklich… wieso wollte er das nicht sehen…?! „Uruha?“ Er gab ein leises Geräusch von sich, ich deutete das jetzt einfach mal als Zeichen seiner Aufmerksamkeit. „Welches Zimmer hat Aoi?“ Er schaute auf hinter seinem Schreibblock, ich erwiderte seinen Blick mutig, obwohl mir ein bisschen schlecht wurde. „Vier Türen weiter nach rechts“ sagte er nur matt und widmete sich dann wieder ganz seinen scheinbar äußerst interessanten linierten Blockseiten. Ich stand auf, tat meine Kladde zurück in den Nachtschrank und verschloss ihn ordentlich, lief ins Bad, um mir noch einmal durch die nassen Haare zu bürsten und sie danach ein bisschen strubbelig zu machen und kehrte zurück ins Zimmer. Schnell leerte ich meinen schon fast kalten Tee und verabschiedete mich nicht einmal, als ich das Zimmer verlies. Draußen auf dem Gang lehnte ich mich an die Wand und seufzte schwer, bis ich endlich die Richtung zu Aois Zimmer einschlug. Ich wusste selbst nicht, wieso, aber ich wollte jetzt aus irgendeinem Grund mit ihm sprechen. Ich blieb an der vierten Tür rechts stehen und klopfte leise, wartete ab. Kurz darauf wurde sie von dem Schwarzhaarigen geöffnet, der mich leicht ungläubig ansah. „Oy, kann ich rein?“ fragte ich höflich und lächelte gezwungen, hoffte auf eine Zustimmung. Aoi nickte bloß stumm und hielt mir die Tür auf, ich schritt hindurch. Reitas und sein Zimmer sah ganz anders aus als das von Uruha und mir. Irgendwie viel aufgeräumter, was ja auch eigentlich gar nicht schwer war, denn Uruha übertraf wirklich niemand mehr, und es roch komplett anders. Bei uns roch es immer etwas bitter, ein wenig nach einer Mischung aus Patchouli und Moschus, hier bei Aoi und Reita eher nach Lavendel und anderen süßen Stoffen. Ich entdeckte Räucherstäbchen auf ihrem Tisch. Reita saß auf seinem Bett, das mit schwarz-blauem Samt überzogen war, auf dem vereinzelt weiße Kanji abgebildet waren und rote Muster. Sah verwirrend aus, genau, wie die restliche Einrichtung. Unser Zimmer hatte dunkelrote Wände und sah irgendwie schon fast antik aus, ihr Zimmer hatte blaue Teppichwände, an denen überall Poster von ihren Lieblingsbands hingen und der Boden war aus Parkett, nicht aus Teppich. Ich wurde ein bisschen neidisch, wohl aber nur, weil unser Zimmer langsam langweilig wurde. Schließlich war es ja nicht hässlich… wenn man die kontinuierliche Unordnung wegließ, versteht sich. Aoi schritt auf sein Bett zu, es war ebenfalls blau bezogen mit einem schwarzen Leopardenmuster drauf. Ich schmunzelte leicht – das passte irgendwie zu ihm. Bis kurz vor sein Bett folgte ich ihm, dann blieb ich stehen und setzte mich kurzerhand auf den beheizten Boden. Eins musste man diesem Gefängnis ja lassen: es hatte Luxus! „Wo wart ihr heute beim Unterricht?“ fragte Reita und ich spürte seine musternden Blicke im Nacken. Das gefiel mir irgendwie nicht. Wieso? Keine Ahnung… „Ano… lange Geschichte…“ antwortete ich. Was sollte ich denn sagen?! ‚Uruha hat mich flachgelegt, nachdem er mich zusammengeschlagen und entstellt auf dem Boden gefunden hat’? Klasse… „Ich hab Zeit“ sagte Aoi und sah mich mit einem schon fast stechendem Blick an. Nun fühlte ich mich noch unwohler. So, als würde er direkt durch meine Augen hindurch in meine Seele schauen können… „Ein andermal…“ sagte ich leise, sodass Reita es hoffentlich nicht gehört hatte. Das bestätigte mir seine Frage, was ich denn gesagt hatte. „Gar nichts“ meinte ich bloß und ging nicht weiter auf Nachfragen ein. „Was haben wir alles auf?“ „Hast du die ersten Stunden nicht mitgeschrieben?“ wollte Aoi wissen. „Doch, und danach?“ ich sah ihn noch immer an. „Danach hatten wir Kunst“ sagte er schließlich. „Oh…“ Reita lachte. „Irgendwie find ich’s verdächtig, dass ihr beide plötzlich zur selben Zeit auf euer Zimmer verschwindet, weißt du?“ Was sollte denn das nun wieder heißen…? Hatte er etwa eine Ahnung, was wir… nein! „Nani?“ fragte ich gespielt unwissend, sah jedoch weiterhin Aoi in die Augen, der mich noch immer so abschätzend ansah. Dann blickte er rüber zu Reita. „Red keinen Scheiß, Reita“ zischte er schon fast, als hätte Reita eben davon gesprochen, dass die Welt bald untergehen würde. „Was habt ihr denn gemacht, dass ihr einfach mal Kunst schwänzt? Was war so wichtig?“ ich drehte mich um zu Reita und musterte ihn zweifelnd. Er wusste doch was…! „Worauf willst du hinaus, hm?“ „Reita“ zischte Aoi bedrohlicher. „Was läuft hier eigentlich, hä?!“ Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und unser Klassenlehrer stand in der Tür, mit Uruha im Schlepptau. Der wurde vom Sensei wie ein Gefangener am Arm festgehalten und reingeschubst. Er grinste mich an. „So, meine Herren“ begann der Sensei. Ich schluckte. „Dann erklären Sie bitte noch mal von vorn, Herr Takashima, hai?“ der Sensei setzte sich auf einen der zwei Stühle an dem kleinen Tisch und sah noch immer sehr wütend aus. „Tss“ machte Uruha und grinste mich noch immer an. „Ruki hatte die Idee, zu schwänzen und wollte unbedingt, dass ich mitmache“ log er. Ich fiel aus allen Wolken. Hatte er das jetzt wirklich gesagt…? „Und deshalb werden Sie beide nachsitzen, und zwar übermorgen, dann werden Sie die restlichen Aufgaben der letzten beiden Lektionen im Japanischbuch erledigen. Ich denke, das wären dann genug Aufgaben für drei Stunden, nicht?“ meinte unser Sensei wütend. „Außerdem haben Sie, Herr Matsumoto, diese Woche keinen Ausgang, verstanden? Ich glaube, man muss Ihnen erst einmal noch Manieren beibringen und die richtige Arbeitseinstellung verpassen! Was glauben Sie denn, wozu Sie hier sind? Sicher nicht, um den Unterricht lediglich nur dann zu besuchen, wenn Sie Lust dazu haben. Ich werde mich bei Ihren Eltern melden!“ „Nein!“ warf ich sofort dazwischen, ohne es wirklich zu wollen. Es war mir rausgerutscht… „Okay, es kommt nicht noch mal vor… sumimasen!“ Uruha grinste immer noch, Aoi und Reita waren wohl beide ziemlich sprachlos. Sie sagten gar nichts mehr… „Sollte das noch einmal der Fall sein, dass Sie auf die geniale Idee kommen, ohne sich abzumelden blau zu machen, werde ich Ihre Eltern darüber in Kenntnis setzen und mit ihnen gemeinsam entscheiden, wie wir vorgehen. Derartige Störungen unseres Unterrichtsablaufes, wie sie von Ihnen kommen, können wir nicht gebrauchen. Merken Sie sich das! Übermorgen in meinem Büro und jetzt ab in Ihre Zimmer, bevor ich noch vollkommen ausraste!“ war er das nicht schon…?! Langsam erwachte ich wieder aus meiner Starre und stand auf, folgte dem Sensei wieder zur Tür. Ich hörte beim rausgehen noch Aois Stimme. „Reita, das stimmt nicht, was er…“ und schon hatte sich die Tür geschlossen. Und in Gedanken führte ich den Satz fort. Uruha… Zurück auf dem Zimmer verschwand mein Mitbewohner auch gleich im Bad und ließ mich völlig verwirrt auf meiner mittlerweile wieder trockenen und bezogenen Matratze zurück. Ich war den Tränen nahe. Wieso nur hatte ich nicht gesagt, wie es wirklich gewesen war…?! Wieso nur hatte ich Uruha die Meinung nicht gesagt?! Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht… Ich merkte, wie eine einzelne Träne meine Wange entlang lief. Nicht schon wieder… Mittlerweile saß ich jeden Abend hier und heulte… egal wann, egal wo, immer nur heulte ich. Was war ich doch für ein Weichei… Aus dem Bad vernahm ich ein schepperndes Geräusch, ich deutete es als ein Glas oder einen Spiegel. Dann ein dumpfes „Oops“ und dann Stille. Sicher würde Uruha die Scherben nicht einmal aufheben… typisch. Kurze Zeit später kam er dann aus dem Bad und musterte mich fragend. Was er wohl jetzt erwartete? Vielleicht, dass ich ihn anschrie, weil er gelogen hatte? Den Gefallen wollte ich ihm nicht tun… ich konnte nicht… „Warum hast du das gemacht?“ fragte ich stattdessen ruhig, als wäre es eine beiläufige Frage, wie etwa, wieso wir denn eigentlich verhütet hatten, und schaute ihn dabei nicht weiter an, sondern hatte meinen Blick starr auf den Boden gerichtet. Sah wirklich unglaublich interessant aus… „Irgendwie muss man sich ja schützen, nee?“ hörte ich ihn sagen und dann spürte ich, wie meine Matratze ein Stück senkte. Ich spürte, wie er sich hinter mich setzte und seine Arme um meinen Bauch schlang. Er lachte. „Jetzt schmoll nicht, Junge! Hätte ich dem Baka sagen sollen, dass sie dich Schwächling verprügelt haben und ich dich dann flachgelegt hab? Wäre n bisschen komisch rüber gekommen, oder?“ Natürlich wäre es das. Klar, wer schämte sich nicht davor, verprügelt zu werden? Er sagte doch wie Wahrheit, warum sollte ich also ausrasten…? Schließlich hatte ich es doch auch so gewollt, hatte die anderen provoziert, mich zu verprügeln, hatte mich nicht gewehrt, als er mich gevögelt hatte, und ich hatte auch nicht die Wahrheit sagen wollen. Wieso also sollte ich sauer sein…? Vielleicht, weil er mich die ganze Zeit nur verarscht hatte…? Nein, ich durfte mich jetzt nicht aufregen. Es würde mich auch nicht weiterbringen. Außerdem würde ich ihn dann endgültig verlieren. Diese Laune von ihm… die würde schon wieder vorbeigehen… Zögernd lehnte ich mich an seine Brust, doch kurz darauf ließ er mich auch schon wieder los und stieg von meinem Bett, ich spürte sein Gewicht auf der Matratze nicht mehr. Ich seufzte leise. „Du bist n Baka“ sagte er und schaltete dann das Licht aus, das bis eben das dunkle Zimmer erhellt hatte. Ich ließ mich auf mein Bett fallen, schloss die Augen, vergaß völlig, mich zu waschen und umzuziehen, schlief ein. „Ruki! Verdammt noch mal, kannst du nicht einmal pünktlich aufwachen und mich dann wecken?! Wir kommen schon wieder zu spät! Wenn du dich jetzt noch anmalen willst, brauchst du wieder nur stundenlang und wir können gleich unsere Freizeit in den nächsten drei Jahren streichen!“ Großartig. Wieder war ich alles schuld. Na gut, eigentlich war ich das auch. Schließlich hatte uns nicht der letzte Nacht stehen gebliebene Wecker, sondern mein einhundert Dezibel lautes ‚Scheiße’ geweckt. Aber trotzdem besser als nichts, oder?! So gut war meine innere Uhr eben noch nicht eingestellt… „Gomen ne! Ich bin kein wandelnder Wecker, ja?!“ fauchte ich in meiner Rage, aber im nächsten Moment tat es mir auch schon wieder Leid, ihn angeschrieen zu haben. Eilig zog ich mich an und kramte nach meinen Schulsachen. Wir hörten den dumpfen Klang der Schulglocke eine Etage unter uns und ich schluckte, kramte schneller. „Uruha, du hast alle meine Stifte verschleppt“ ich wies auf meine leere Holzbox hin, wo eigentlich mal exakt dreizehn Stifte, davon vier Kugelschreiber, ihr Zuhause gefunden hatten. Leider wurde diesmal nicht den Stiften das Zuhause, sondern dem Zuhause die Bewohner entwendet. Sollte ich mit meinem Eyeliner schreiben oder was?! „Mach hin, du Baka!“ Sah ich aus wie n D-Zug?! „Schnauze“ zischte ich, doch er hatte es nicht gehört, kramte währenddessen ebenfalls nach seinen Sachen. Dann, als wir beide gefunden hatten, was wir brauchten, packten wir es in unsere Taschen und machten uns auf den Weg zum Unterricht. Und auf dem Weg nach unten war mir, als würde mir jemand mit einem Vorschlaghammer gegen meine Matschbirne prügeln. Ich würde wieder unter diesen ganzen Idioten sein, die mich jetzt nur noch mehr auslachen würden, weil sie mich klein gekriegt hatten… und das würde bestimmt noch ein toller Tag werden. Wie schon erwartet stürzten wir als letzte in die Klasse und eilten zu unseren Plätzen, setzten uns eilig hin und wurden sogleich vom Sensei, der soeben den Raum betreten hatte, mit misstrauischen Blicken bedacht. Er selbst setzte sich an sein Pult und schaute in die Runde seiner Schüler. „O hayoh, minna-san. Ruki-san, wie sehen Sie denn aus?“ Wie denn, etwa wie durchgevögelt oder was?! Diese blöde Ziege… „Sind sie die Treppe runter gefallen?“ Erst jetzt kam ich erstmal darauf, was sie überhaupt meinte. Sie meinte die blauen Augen, nicht etwa die Augenringe darunter. Sie meinte die blauen Flecken an meinen entblößten Armen, nicht etwa die Knutschflecke an meinem Hals. Wahrscheinlich deutete sie diese sogar auch noch als blaue Flecken… „Bin ausgerutscht“ nuschelte ich verlegen vor mich hin und konnte einiges an Gekicher aufschnappen. Es ließ mich wütend werden… aber ich wollte nichts dagegen tun. Denn diese Spacken waren zu mehr fähig als nur zu diesem harmlosen Geprügel… „Wenn Sie meinen…“ sagte sie und begann mit dem Unterricht. „Fahren wir fort. Wir sind nun bei einem Thema angelangt, das, wie ich persönlich finde, immer mehr unterschätzt wird. Nämlich die Beraubung von Freiheit und das Antun von Leid auf seelischer Ebene. Wer kann mir dazu einige Beispiele nennen?“ Und da war es wieder. Ich hasste diese verdammten Philosophiestunden. Wieso sprachen wir so einen Mist eigentlich durch?! „Uruha-san, wie wär’s mit Ihnen?“ Der musste es ja wissen… „Ano… vielleicht Mobbing? Lügen? Oder Ausnutzen?“ Jetzt ging mir ein Licht auf. Wieso er gerade diese Beispiele genommen hatte. Wieso er ‚Ausnutzen’ gesagt hatte… „Ruki? Alles klar?“ zischte Aoi mir von hinten zu. Ich schüttelte unter dem Tisch mit der Hand, um ihm zu zeigen, dass es mir gerade nur halb so gut ging, wie es eigentlich sollte… „Gute Beispiele, Uruha-san. Noch jemand?“ Nach der Doppelstunde hatten wir heute ganze zwei Stunden frei. Ich verlies den Klassenraum, diesmal jedoch mit Aoi an meiner Seite, damit niemand auf blöde Ideen kam. Schließlich war Aoi hier um einiges beliebter als ich… Uruha hatte mich auch weiterhin ignoriert, er lachte die ganze Zeit über mit Reita zusammen und lief nun mit ihm voraus in richtung der Pausenräume. Ich jedoch brauchte jetzt erstmal frische Luft, also fragte ich Aoi, ob wir nicht mal irgendwo rausgehen könnten. „Lass uns auf den kleinen Schulhof hinten gehen, da ist meistens keiner“ sagte er zustimmend und schlug einen anderen Gang ein als die anderen Schüler. Ich war ihm gerade sehr dankbar… denn endlich war ich mal allein mit ihm und konnte reden. Dieses Gefühl von Vertrauen hatte ich nämlich nur bei ihm gehabt. Und Uruha… aber mit dem konnte ich gerade wohl etwas schlecht reden. Und sicher würde Aoi mir auch zuhören… so hoffte ich zumindest. Irgendwann kamen wir an einer größeren Glastür an, die nach draußen führte. Der Schulhof war wirklich nicht größer als ein halbes Fußballfeld, aber dafür umso schöner als der eigentliche große Schulhof. Hier hatte man ein paar kleine Beete angelegt, die im Moment jedoch ziemlich dürr aussahen, schließlich wurde es allmählich Winter. Wir setzten uns auf eine Eisenstange, die dazu diente, eines der Beete abzugrenzen. „Was war da gestern, Ruki?“ fragte er plötzlich in die Stille hinein. Aber die Frage überraschte mich nicht. Nur wie sollte ich ihm antworten…? „Was genau meinst du?“ fragte ich schließlich zurück. „Wieso habt ihr geschwänzt?“ „War meine Idee, weißt du doch“ sagte ich matt. „Stimmt nicht. Ich weiß mehr, Ruki.“ „Wieso fragst du dann?“ Was hätte ich sonst fragen sollen…? Sicher hatte Uruha sich schon die ganze Zeit darüber lustig gemacht gehabt, was er mit mir vorhatte. Und das sicher auch vor Aoi und Reita. Aber das würde er mir jetzt sagen, oder? „Weil ich es von dir hören will. Uruha hat schon die ganze Zeit davon geredet, was er mit dir machen will.“ Wunderbar. Da war es also. Das, was ich die ganze Zeit übersehen hatte. Man hatte mich wieder ausgenutzt. Wie gesagt, wunderbar. „Ich bin keine Schlampe“ sagte ich vorwurfsvoll und schaute zu Boden. „Aber ich dachte, er liebt mich…“ „Ja, das sagt er allen“ lachte Aoi gespielt belustigt und scharrte mit dem Fuß über die gefrorene Erde. Während er sprach verlor sich sein Atem in Form einer kaum sichtbaren Dunstwolke im Nichts. Es war kalt. Das war mir noch gar nicht aufgefallen. Aber ich trug nichts weiter als mein Shirt und eine weite, schwarze Hose. Hielt also nicht besonders warm. Bloß spürte ich die äußerliche Kälte nicht, sie war nicht viel kälter als das, was ich gerade an Eiseskälte in mir trug. Ich fühlte mich wirklich nur noch von jedem verarscht. Gut, dass Aoi und Reita mich auch verarschen könnten, das störte mich gerade nun wirklich weniger. Aber dass Uruha sowas getan hatte, machte mich doch schon ziemlich fertig. Ich wusste nicht, was er damit hatte erreichen wollen! Seinen Mitbewohner für die nächsten viereinhalb Jahre damit noch depressiver und destruktiver zu machen, als er eh schon war? Sah er das denn nicht…? „Wem denn noch?“ fragte ich halbherzig, wollte eigentlich die Antwort gar nicht wissen. Mir war es egal. Alles war mir egal. Aber Uruha nicht. „Reita“ kam es sofort von dem Schwarzhaarigen neben mir. „Aber der war auch dumm und hat es nicht gemerkt. Deshalb hat sich auch seine Freundin von ihm getrennt. Uruha hatte irgendwann mal fallen lassen, dass er mit Reita geschlafen hatte. Seine Freundin hat sich daraufhin von ihm getrennt.“ „Und wieso sind sie dann überhaupt noch befreundet?“ wollte ich diesmal mit etwas mehr Interesse wissen. Konnte man denn wirklich so blind sein? „Weil Reita ihm den Arsch nachträgt. Er hatte zwar auch vorher schon immer gesagt, dass er Schluss mit ihr machen wollte, aber Uruha hat dem ganzen schließlich das eigentliche Ende gesetzt. Ich weiß, es ist eigentlich nicht richtig, was ich dir hier alles erzähle, aber ich will dich wirklich vor Uruha schützen, Ruki. Er ist nicht so nett und gutmütig und unschuldig, wie er immer vorgibt, zu sein“ erklärte er mir. Und ich staunte nicht schlecht. In so jemanden hatte ich mich doch tatsächlich verliebt. Irgendwie ein bisschen aussichtslos, oder? „Nur gut, dass ich es jetzt weiß“ sagte ich gezwungenermaßen. Diese Stille war ja nicht zum aushalten! „Aber wieso hast du dann noch was mit ihm zu tun?“ „Weil ich naiv bin“ lachte er wieder. „Ich glaube immer noch, dass ich ihn irgendwann ändern kann. Aber man kann Menschen nicht ändern. Nur Wegweiser setzen, in welche Richtung sie gehen sollten. Aber wenn man die nicht sieht, so, wie Uruha und Reita, dann kann ich den beiden auch nicht helfen. Ich versuche es nur immer wieder. Eigentlich sollte ich schon längst aufgegeben haben.“ Ich konnte ihn durchaus verstehen. Ich war ja selbst so naiv. Selbst jetzt, wo ich das alles wusste, redete ich mir ein, dass es alles nur ein schlechter Scherz war. Dass das alles eigentlich nur eine große Lüge war. Obwohl, war sie das nicht eigentlich auch? „Liebst du ihn?“ Blöde Frage. Wieso sollte ich ihm sonst so hinterher rennen? Mich so von ihm ausnutzen lassen und nichts dazu sagen? Klein bei geben, weil er es war…? „Musst mir keine Antwort geben“ nuschelte er und schaute scheinbar angestrengt in eine andere Richtung. Was er wohl gerade dachte…? Dass ich ein Idiot war, weil ich Uruha nicht mal die Meinung sagte? Dazu war ich sowieso zu feige. Oder dachte er, dass er mir vielleicht würde helfen können? Nein, das würde auch nichts bringen, außer er konnte Gefühle verschwinden lassen. Beantwortete ich gerade meine eigenen Fragen schon wieder mit irgendwelchen Rechtfertigungen?! „Jedenfalls würde ich an deiner Stelle aufpassen. Bei ihm weißt du nie, woran du bist. Er geht durchs Leben, als könne er sich alles erlauben. So ist Uruha nun mal eben…“ Ich schwieg. Dachte noch einmal über alles nach. Uruha hatte also mit Reita geschlafen und so seine Freundin dazu gebracht, sich von diesem zu trennen. Er hatte mich und meine Hilflosigkeit ausgenutzt, um mich ins Bett zu kriegen. Wunderbar. Und dazu kam noch, dass er es mit voller Absicht getan hatte und es wahrscheinlich nicht einmal bereute. Ich verfluchte mich selbst für meine Blindheit. Wie hatte ich nur so dumm sein können?! „Wenn du willst, rede ich mal mit ihm“ bot Aoi mir schließlich an, aber ich lehnte mit einem Kopfschütteln ab. „Ich warte lieber noch etwas, vielleicht ändert er sich ja doch… und vielleicht war es ja nur ein Ausrutscher.“ „Ich glaube eher, du warst der Ausrutscher, Ruki“ warf er mir plötzlich ohne Vorwarnung an den Kopf. Darauf wusste ich nicht wirklich etwas zu erwidern. Schließlich fing ich doch noch an zu heulen. Wie immer. Eigentlich hatte ich es bereits aufgegeben, es zu verstecken. Es hatte ja eh schon fast jeder gesehen. Langsam liefen mir einzelne Tränen über die Wange. Ich stemmte den Arm auf meinen Oberschenkel und vergrub mein Gesicht in der Hand. Die andere brauchte ich schließlich, um mich in meine Hose zu krallen, damit ich mich wenigstens ein bisschen abreagieren konnte. Leise schluchzte ich, wollte nicht allzu albern aussehen und schwächlich wirken, deshalb zügelte ich meine Lautstärke. Und wie ich eigentlich schon erwartet hatte, zog Aoi mich an sich und tröstete mich, wiegte mich leicht in seinen Armen. „Gomen, ich wollte dich nicht verletzen“ entschuldigte er sich. Aber das brauchte er eigentlich gar nicht. Er hatte schließlich nur die Wahrheit gesagt… „Nicht schlimm“ sagte ich mit noch immer gebrochener Stimme. Ich versuchte, mich wieder einigermaßen einzukriegen, doch es gelang mir nur mit Mühe. „Heult der schon wieder?“ fragte plötzlich eine mir vertraute Stimme und ich traute mich nicht, aufzuschauen. Ich wusste schließlich, wer das war und gerade ihn konnte ich jetzt am wenigsten ansehen… „Uruha, lass ihn lieber mal in Ruhe, ja? Geh wieder rein, du holst dir noch den Tod…“ wie immer musste Aoi ja mal wieder einen auf Mutter machen und ein gutes Wort einlegen. Irgendwie störte mich das gewaltig. „Mein Problem. Hält der eigentlich irgendwas aus? Ich meine, so tragisch war die ganze Sache jetzt auch nicht, oder, Ruki?“ Er hatte mich angesprochen! Aber was sollte ich denn auf so eine Frage bitte antworten?! „Such’s dir aus“ quetschte ich zwischen meinen Zähnen hervor, versuchte, nicht gleich erneut in Tränen auszubrechen und Trost bei ihm suchen zu wollen. „Bitte, dann nicht. Reita, gehen wir wieder rein? Langsam wird mir wirklich kalt“ hatte er also doch diesen blonden Oberbaka dabei? „Hai“ hörte ich von eben diesem und schon kurz darauf verschwanden sie scheinbar, denn Aoi zog mich wieder in seine Arme zurück und dankbar lehnte ich mich an ihn. „Hör nicht auf ihn, Ruki. Er hat keine Ahnung von Gefühlen. Aber deswegen darfst du ihm nicht böse sein, er kann selbst nicht dafür“ sagte er mit ruhiger Stimme und zog mich dann auf die Beine. „Komm, wir gehen rein.“ Ohne weiter zu diskutieren folgte ich ihm zurück in das warme Gebäude. Zum Glück hatten wir morgen den letzten Schultag vor den Ferien, dann würden wir endlich mal raus dürfen. Aber da ich sowieso keine Ahnung hatte, wo ich sonst hingehen sollte, würde ich endlich zu Kai können… Der restliche Schultag war ohne Probleme verlaufen, ich hatte Aoi gebeten, in meiner Nähe zu bleiben, auch, wenn ich ihm noch nicht wirklich erklärt hatte, wieso. Er hatte gesagt, er würde mehr wissen, als ich hatte zugeben wollen, aber gesagt hatte ich nichts mehr. Nun saßen wir beide allein auf seinem Zimmer. Er hatte abgeschlossen. Reita war mit Uruha in die Stadt gegangen, ein paar Sachen für ihre Abreise morgen einkaufen. Aoi hatte mir erzählt, dass Uruha mit zu Reita gehen würde über die Ferien. Sie würden bereits abends fahren. „Du kannst auch mit zu mir kommen“ bot Aoi mir nun schon zum zweiten Mal an. Ich jedoch schüttelte den Kopf. „Ich wollte Kai eigentlich gestern schon anrufen, aber ich hab’s nicht mehr geschafft. Ich hol das noch nach“ sagte ich ruhig und setzte mich an das andere Ende seines Bettes, ihm gegenüber. Zwang mich zu einem müden Lächeln. „Du musst morgen nachsitzen?“ fragte er. Ich nickte und nannte ihm die Uhrzeit, wie lange und wann ich wieder im Zimmer sein würde. Hoffte, dass er genug Fragen gestellt hatte. Doch dem war nicht so. „Woher sind die? War das auch Uruha?“ Er meinte wohl die blauen Flecken an meinen Armen. Wieso eigentlich sollte ich ihm die ganze Sache vorenthalten? Immerhin wusste er schon mehr als die Hälfte, also konnte ich ihm den Rest auch noch erzählen. „Eto“ begann ich und räusperte mich. Angestrengt konzentrierte ich mich auf irgendeinen belanglosen Punkt im Zimmer. Schon bald redete ich mir ein, dass das halb geleerte Limonadenglas neben Aois Bett höchst interessant war. „Ich hatte im Unterricht schon einiges aufgeschnappt, was sie hinter mir geredet haben. Sachen wie ‚Weichei’ und so… und dann war die Stunde zu Ende. Ich wollte mich noch sicher aus der Klasse bringen, aber sie haben mich abgefangen. Und dann…“ eigentlich brauchte ich doch gar nicht mehr weiter sprechen, oder? Den Rest konnte er sich ja wohl auch so denken… „Das tut mir Leid“ flüsterte Aoi schon fast. Eigentlich konnte er sich sein Mitleid auch sparen. Schließlich wusste ich ja jetzt, wie bemitleidenswert ich doch war. „Muss es nicht“ sagte ich bestimmt und lächelte, um meine kleine Lüge noch zu bestärken. Eigentlich wollte ich ja Mitleid von ihm. Ich wollte es nur nicht zugeben! „Ich will dir sagen, was ich weiß über die ganze Sache, hai? Ich meine, bevor du morgen gehst…“ Also wusste er doch noch ein bisschen mehr. Nur zu, sollte er mir alles auf die Nase binden, was Uruha sich da schönes ausgedacht hatte. „Schieß los“ sagte ich und lehnte mich schon mal zurück, wartete halb gespannt und halb aufgeregt, was er mir erzählen würde. „Ich hab einige Male von ihren Gesprächen mitbekommen. Wie Uruha und Reita über dich gesprochen haben. Und begeistert war ich nicht wirklich, du hast mir schon damals Leid getan und ich hätte was sagen sollen…“ „Ich mag den Kleinen irgendwie nicht“ sagte Reita mit spöttischem Unterton. „Und der zieht bei dir ein, hai? Für die ganzen nächsten Jahre?“ „Hai“ bestätigte der Blonde das ganze und lachte verspielt. Er lehnte sich in die roten Samtkissen zurück und bedachte Reita mit einem abschätzenden Blick. „Was denkst du?“ „Ich glaub, du kriegst ihn nicht“ grinste der Angesprochene, zupfte dabei sein Nasenband zurecht und trank dann weiter von seiner Cola. „Nicht?“ wunderte sich Uruha. „Ich krieg jeden, den ich haben will. Hat man doch bei dir gesehen!“ „Mou, du hast mal gesagt, ich wäre n Fehler gewesen! Was denn jetzt?!“ „Reita, du warst definitiv kein Fehler. Wie gesagt, durch dich hab ich die Liebe zum Männer entjungfern entdeckt“ lachte Uruha wieder und zwickte dem anderen leicht in die Wange. „Schmoll nicht und sag mir lieber, wie ich mich verhalten soll dem Neuen gegenüber!“ „Ich an deiner Stelle würde nett sein“ Reita schob sich ein Zitronenbonbon in den Mund. „Solange er dir aus den Händen frisst, kriegst du ihn sowieso. Dann bist du ihn auch als Zimmergenossen wieder los. Musst eben nur dafür sorgen, dass er das ganze nicht auf dich schiebt!“ „Ist ihm ja toll gelungen“ gab ich ganz ehrlich zu. Schließlich hatte ich das ganze ja nicht auf ihn, sondern auf mich geschoben. Dabei hatte diese Lüge, die ich somit auch noch bestätigt hatte, nicht mal annähernd mit mir zu tun gehabt. „Hai, aber an deiner Stelle würde ich mit eigenen Mitteln zurückschlagen“ sagte Aoi zwar etwas zögernd, aber dennoch klang er sehr ernst bei seinen Worten. „Ich meine, ich würde mir das nicht einfach so gefallen lassen!“ „Aber ich glaub, ich kann das nicht“ gab ich ehrlich zu. Das stimmte ja auch. Ich konnte wirklich nicht, denn schließlich liebte ich Uruha ja wirklich… „Na ja, ich kann dich zu nichts zwingen“ sagte Aoi letztendlich nach einem kurzen Moment des Schweigens. Ich nickte, stand auf und wollte mich verabschieden. „Ich glaub, ich hab genug gehört. Ich kann mir denken, wie oft Uruha noch fast aufgegeben haben muss, um mich rumzukriegen. Diese Art, die er mir so aufgesetzt vorgespielt hat, aufrecht zu halten, war bestimmt nicht leicht, vorzuspielen.“ Nicht schlecht, dachte ich mir. Dann stand ich auf. „Ruki, ich…“ Gerade, als ich zur Tür gehen wollte, hielt Aoi mich noch einmal auf und schien etwas beschämt. Er schaute zur Seite. Wieso bloß? „Ich wollte dir nur sagen… wenn du reden willst oder Trost brauchst, kannst du mit mir über alles reden, hai?“ Ich musste doch leicht lächeln und ging noch einmal zu ihm hin, wuschelte ihm durch die Haare. „Arigatou, Aoi-chan“ bedankte ich mich freundlich bei ihm und verabschiedete mich dann in mein Zimmer zurück. Das sollte ja noch ein prima Abend werden, denn jetzt würde ich zwangsläufig wieder mit Uruha allein sein… Zurück in meinem Zimmer fand ich zwei leere Betten vor, ich seufzte leise und schloss die Tür wieder hinter mir, drehte den Schlüssel um und hoffte, nicht gleich etwas peinlich berührt meinen Zimmergenossen im Bad vorzufinden. Langsam lief ich zur Badezimmertür und öffnete sie, lugte durch den Türspalt und stellte mit Erstaunen fest, dass auch dieses Zimmer leer war. Gut, dachte ich mir. Also lief ich rüber zu meinem Nachtschrank und kramte nach meinem Handy, in welches ich sogleich Kais Nummer eintippte. Ich drückte den kleinen, grünen Hörer und es ertönte ein Freizeichen. Dann ein leises ‚klick’. „Hai, Kai desu.“ „Konban wa, friend.“ Er lachte und hustete plötzlich ein paar Mal. Ich war überrascht. „Hast du dich erkältet?“ fragte ich und setzte mich auf mein Bett, machte es mir gemütlich. „Hai“ antwortete er mir. „Ist aber nich so schlimm. Wie geht’s dir, Kumpel?“ Ich seufzte. Sollte ich ihm von all meinen wunderbar spannenden und fröhlichen Erlebnissen erzählen, die ich innerhalb der letzten drei Wochen gehabt hatte? Das würde ihn sowieso nur nerven. Aber was war mit dem kleinen Problem, was ich da mit meinem Mitbewohner hatte…? „Ano“ begann ich und kratzte mich am Kopf. „Was soll ich sagen… ich fühl mich körperlich und seelisch grad nicht so toll…“ „Doshite?“ kam es wie aus der Pistole geschossen. Ja, das war eben Kai, so, wie ich ihn immer gekannt hatte. Also hatte er sich nicht verändert und war immer noch genauso besorgt um seine Freunde, wie damals. „Ich hab mit Uruha geschlafen“ stieg ich sofort ins Thema ein. Und wartete Kais Reaktion ab. Doch die kam anders, als erwartet. Denn er sagte nichts. Nicht mal ein Schimpfwort oder eine Anschuldigung! „Kai?“ „Hai?“ „Daijobu desu ka?“ „Hai.“ „Warum sagst du dann nichts?“ „Was soll ich denn sagen?“ Sollte ich mich jetzt schon selber für ihn anschreien und beschimpfen?! „Sowas wie ‚Hast du sie noch alle’ oder so bleibt aus?“ „Anou“ fing er diesmal an und lachte leise, hustete dann wieder. Er klang wirklich heiser. „Ist deine Sache, oder? Wieso soll ich dich beschimpfen oder dich deshalb aufziehen? Wenn du es gewollt hast und es dir gefallen hat, ist doch alles in Ordnung. Oder war es so schlimm?“ „Iie, das war es nicht“ bestätigte ich. „Na, siehst du? Ist doch schön, ich freu mich für dich!“ „Aber da ist noch was anderes“ brachte ich schließlich hervor und sah mich noch einmal prüfend im Zimmer um, ob Uruha auch wirklich nicht da war, oder ob er nun in irgendeiner dunklen Ecke saß oder sich hinterm Staubsaugerschrank versteckt hatte… „Nani?“ wollte Kai wissen und klang wieder sehr ernst. Das mochte ich eben so an ihm… „Jetzt ignoriert er mich… ist nicht mehr so nett und freundlich, wie am Anfang und spielt auch nicht mehr vor, mich wirklich gern zu haben…“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. Nach einer kurzen Weile sprach er weiter. „Er war nur nett zu dir, um dich ins Bett zu kriegen?“ „Hai“ bestätigte ich ihm. „Ich hab’s von Aoi gehört, er hat mir alles erzählt. Uruha hat mal mit Reita geschlafen, auch einer aus meiner Klasse. Muss wohl schon ein Jahr oder länger her sein, aber Reita ist jetzt sein bester Kumpel und mit ihm hat Uruha auch alles geplant, wie er mich am besten rumkriegt.“ „Ist das dein Ernst?!“ schrie er fast in den Hörer. „Wo ist der Kerl?! Bring ihn mir und ich reiß ihm eigenhändig den Kopf ab!“ „Beruhig dich wieder, Kai. Ich komm schon klar“ log ich. Nein, ich kam nicht klar. Das war ja das Problem. Eigentlich war ich mal wieder an einem meiner seelischen Tiefpunkte angelangt und hätte jetzt eigentlich jemanden gebraucht, der mich tröstete. Aber zu Aoi wollte ich jetzt nicht rennen, das hätte wirklich ein bisschen absurd ausgesehen, wenn ich mich jetzt von ihm über Uruha hinwegtrösten ließ, oder? „Genauer, bitte. Uruha hatte von Anfang an geplant, dich ins Bett zu kriegen. Deshalb war er die ganze Zeit gezwungenermaßen überfreundlich zu dir?“ „Hai, hat mich vor all diesen Idioten, die mich hier mobben, in Schutz genommen und jetzt macht er selber mit“ ergänzte ich ihn. „Und weil er jetzt hatte, was er wollte, lässt er dich hängen?“ Ich bestätigte ihm seine Feststellung mit einem bejahenden Laut und stand dann auf, um mir ein Glas Wasser zu holen. „Dieser Idiot. Damit eins klar ist, du kommst in den Ferien zu mir und dann vergisst du diesen Oberbaka für zwei Wochen einfach mal. Das wird dir sicher gut tun“ sagte er mit aufmunternder Stimme. Ich war ihm mal wieder sehr dankbar und leerte mein Glas Wasser in einem Zug. „Hai“ lachte ich leise. „Ist wohl wirklich besser.“ Plötzlich hörte ich, wie jemand versuchte, die Klinke unserer Zimmertür runterzudrücken. „Kai, ich muss auflegen, hai? Ich ruf dich morgen noch mal an, hai?“ Er schien zu verstehen und hustete wieder. „Hai“ kam es gekrächzt durch den Hörer und ich musste mitleidig schmunzeln. „Ich sag dir dann, wann ich dich abholen kann. Bis dann! O yasumi nasai!“ „Hai, mata ne“ sagte ich noch, bevor ich eilig auflegte und mein Handy in der Hosentasche verschwinden ließ. Genau in diesem Moment ging die Tür auf und mein Mitbewohner kam rein, er sah ziemlich fertig aus. „Was n mit dir los?“ fragte ich beinahe schon lustlos, wollte eigentlich gar keine Antwort haben. Uruha schloss die Tür hinter sich wieder ab und ging dann schnurstrax zu seinem Schrank, holte sich seine Schlafklamotten raus und schaute mich dann von der Seite an. „Nichts, war eben n stressiger Tag“ meinte er bloß und machte sich dann auf in richtung Bad. Ich schaute ihm noch kurz nach, ehe ich mich, nachdem er endgültig im anderen Raum verschwunden war, selber umzog und meine Klamotten in den Wäschesack gab, der morgen abgeholt würde. Mein Handy legte ich zurück in meinen Nachtschrank und schließlich schmiss ich mich auf mein Bett, wartete, bis ich endlich ins Bad konnte. Nach etwa zwanzig Minuten öffnete sich die Badezimmertür und Uruha kam mit halb geschlossenen Augen heraus, rieb sich diese verschlafen und legte sich ins Bett, deckte sich zu und drehte sich zur anderen Seite. Ich grinste, er sah irgendwie einfach nur zu süß aus… „Geh dich endlich waschen und mach das Licht aus, ich bin müde“ hörte ich ihn nuscheln und ich stand auf, um meine Sachen zu holen. „Rede nicht so scheiße mit mir“ sagte ich leise, aber verständlich, während ich nach einer sauberen Shorts kramte. Er lachte auf. „Wieso rede ich scheiße mit dir? Ich hab dich doch nur gebeten, gleich das Licht auszumachen, wenn du wiederkommst!“ „Nein“ widersprach ich. „Du hast es mir befohlen und eigentlich kannst du das auch ruhig selber machen. Sei nicht so faul.“ Ich verschwand im Bad und ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. Jetzt war ich es wirklich satt, dachte ich. Müde drehte ich den Wasserhahn auf und ließ kaltes Wasser über meine Hände laufen, spritzte es mir ins Gesicht und wischte die restliche Schminke ab. Dann betrachtete ich mein Spiegelbild erneut, verzog das Gesicht angewidert. Meine schwarze Augenschminke war mir über beide Wangen verlaufen und mein Make-up tropfte mit Wasser vermengt dickflüssig von meinem Kinn. „Ein Monster“ flüsterte ich tonlos und wusch mir schnell das Gesicht zu Ende, trocknete mich dann ab. Ich tat mir Zahnpasta auf die Bürste und schob sie mir in den Mund. Während ich putzte, setzte ich mich nachdenklich auf die Kloschüssel und sogleich fiel mir mein Songtext ein, den ich noch zu Ende bringen wollte. In Gedanken führte ich ihn weiter. -aa kono mama dou ni demo shite sono te ni itsuwari ga nai nara POKETTO no naka no NAIFU goto "watashi wo tsurete nigete yo" mada tomanai ame ni utau wa SHATSU ni kobiri tsuite kienai sabi kusai tsumi to tsumi to tsumi wo hayaku arainagashite REIN Darlyn... anata ni matowaritsuku shitto wo ubatta ima anata no mune ni shizumu watashi wa yuiitsu na no? kasa mo sasazu ni iki wo kirashite watashi wo sagasu anata wo mitsuketa toki totemo ureshikatta mou sore dake de... ato wa kotoba mo kawasazu sono toki wo matsu wa-[3] Zufrieden mit dem, was ich mir gerade so zusammengedacht hatte, putzte ich meine scharfen Beißer zu Ende und spuckte die leicht rötliche Flüssigkeit ins Waschbecken, spülte den Mund aus und verließ dann das Bad, um mich noch schnell meiner Kladde zu widmen. Was Uruha dazu sagen würde, war mir sowas von egal. Schnell schrieb ich das eben Gedachte auf, überlegte dann, wie ich weitermachen konnte. -ASUFARUTO to ame no WARUTSU wo kikinagara futari dakiatte koboresou na yowasa gomakashite amai KISU ni oboreteitai no yasashii jounetsu de afureru anata no sono kasha na te wa itsuka no yakusoku wo nokoshi akai SAIREN ni te wo furu SAYONARA ai shite tomanu hito SAYONARA toozakaru anata e zaratsuita shitasaki ni nokoru saigo no anata wo shinjite tsugi au ao no hi "ame" ga furu nara anata ni kasa wo sasu kara-[4] Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss ich das kleine Büchlein und legte es sorgfältig in meinen Nachtschrank, den ich eilig abschloss und den Schlüssel wie immer unter meinem Kopfkissen versteckte. Einen letzten Blick wagte ich zu dem Blonden neben mir im Bett. Und traf den seinen. Doch in seinen Augen waren keinerlei positive Gefühle zu sehen, eher Abneigung und Langeweile. Ich langweilte ihn also. Wunderbar. „Was ist?“ fragte ich gespielt unwissend, doch ich hatte seine Gedanken schon längst durchschaut. „Vergiss nicht das Licht“ grinste er, bevor er die Decke über sich zog und sich auf die andere Seite drehte. Ich seufzte und stand auf, lief rüber zum Lichtschalter und drückte ihn, sodass die Glühbirnen der Deckenlampe sich auch mal eine Ruhepause gönnen konnten. Genau, wie mein Kopf, der sich langsam mit dem Gedanken anzufreunden schien, endlich im Bett zu liegen und zu schlafen, den vergangenen Tag zu vergessen und von angenehmeren Dingen zu träumen. Diesem Gedanken kam ich gern nach, legte mich ins Bett und schlief schnell ein, jedoch nicht, ohne noch einmal einen Gedanken an den Blonden neben mir im Bett zu verlieren. Wieder wurde ich durch Uruhas Genörgel geweckt, welches eigentlich schon zu einem besseren Wecker geworden war als mein Handy selbst. Genervt schaute ich auf und entdeckte den Blonden, wie er mal wieder halbnackt durchs Zimmer stampfte und irgendwas zu suchen schien. „Was soll denn der Krach? Suchst du was?“ fragte ich und rieb mir verschlafen die Augen, richtete mich in meinem warmen Bett auf. „Ich find mein Oberteil nicht! Hast du an meinen Sachen gesessen?“ wollte er fast schon drohend wissen. Spinnte der Kerl eigentlich? Ich passte nicht mal annähernd in dessen unnatürlich erotische Fummel rein, geschweige denn, das ich sowas überhaupt jemals angezogen hätte! „Hast du nen Knacks weg? Ich versink doch in den Klamotten“ sagte ich beiläufig, stand auf und lief richtung meines kleinen Lieblingsraumes mit dem süßen Waschbecken und der niedlichen Klobrille, die einen morgens so schön schief anlächelte. Erstmal aufs Klo, dann war ich auch ausgeschlafen. Schnell schloss ich die Tür hinter mir ab und grinste über einen entnervten Uruha, der wie bekloppt rumfluchte und ab und an gegen die Tür hämmerte. „Lass mich in Ruhe und such meinetwegen weiter dein Oberteil“ nuschelte ich, jedoch leise, ohne, dass ich es überhaupt selber wollte. Ich wusste gar nicht, dass ich mal wieder so schizophren veranlagt war heute Morgen… Das war ich eigentlich immer… Stimmte auch wieder! „Bist du mal bald fertig da drin?! Ich will auch noch!“ „Du hattest doch vorhin schon genügend Zeit, oder?“ brüllte ich schon fast durch die geschlossene Tür zurück. Wenn man mich bei meiner Morgentoilette störte, konnte ich sehr aggressiv werden, selbst zu den Leuten, bei denen ich das eigentlich vermeiden wollte. „Trotzdem“ kam es nur trotzig zurück und ich spülte schließlich ab, zog meine Hose wieder hoch und öffnete dann die Tür, um einen völlig aufgedrehten Uruha endlich wieder ins Bad zu lassen. Etwa eine Stunde später waren wir dann auch endlich mal soweit, dass wir zum Unterricht konnten und dort wurden wir schon beide erwartet. Aoi begrüßte uns beide, lächelte wie immer freundlich. Reita grinste mich jedoch nur an, widmete sich dann lieber Uruha, der ihm sowieso schon lachend entgegen gekommen war. Ich jedoch zog es vor, lieber bei Aoi zu bleiben. „Alles klar?“ fragte er mich sogleich besorgt und musterte dabei Uruha und mich verdächtig. „Hai“ sagte ich beruhigend und lächelte, um meine Antwort noch zu bekräftigen. Gemeinsam gingen wir in die Klasse und setzten uns auf unsere Plätze, warteten. Währenddessen redete ich, unbemerkt von Uruha, mit dem Schwarzhaarigen. „Ich denke, nach den Ferien ist alles wieder okay zwischen uns beiden“ meinte ich gespielt gelangweilt und setzte ein passendes Gesicht auf, wie es meine Schauspielerkunst eben zuließ. Innerlich jedoch zerriss es mich fast, darüber nachzudenken, dass ich Uruha nun zwei Wochen nicht sehen würde. Aber das wollte ich nicht zugeben, würde ich doch so eine Schwäche mehr zeigen. „Hoffe ich auch“ sagte Aoi und schaute prüfend zu meinem Mitbewohner rüber. „Er wird sich nie ändern. Aber das ist eben Uruha. Kann man nichts machen. Wirst du denn in den Ferien nun zu Kai gehen?“ Ich musste lächeln. Diese Frage hatte er mir jetzt mindestens schon zweimal gestellt und ich hatte immer wieder dasselbe geantwortet. „Hai, die ganzen Ferien über. Die ganzen vierzehn Tage, inklusive Übernachtung und Abendessen“ lachte ich und wuschelte dem mir gegenüber sitzendem durch die Haare. „Gomen, aber ich weiß nicht, wieso ich mir da so große Sorgen mache“ nuschelte er jedoch nun und brachte mich so zum stutzen. Was sollte denn das heißen? Er machte sich Sorgen? „Nani?“ „Na, weil ich dann gar nicht weiß, wie’s dir geht“ sagte er nun noch leiser und kuckte weg. „Ich weiß nicht, wo du bist, ich weiß nicht, ob es dir gut geht oder ob du Hilfe brauchst und so weiter…“ Machte er sich also ernsthaft Sorgen um mich…? „Aoi, mir wird’s schon gut gehen, schließlich bin ich bei Kai!“ Und schon stand auch der Sensei in der Klasse und begann sofort mit dem Unterricht. Nach der Stunde hatte er uns, Uruha und mich, noch darauf hingewiesen, dass wir heute Nachsitzen hatten. Und genau da befanden wir uns jetzt. Allein in einer Klasse sitzend, einander ignorierend und irgendwas schreibend. Ich fühlte mich unwohl. Verdammt unwohl. Denn wieder war ich mit ihm allein und diesmal war er nicht müde. Ich traute mich kaum, auch nur einen Mucks zu machen und hielt deshalb meinen Mund, öffnete ihn lediglich, um mir über die trockenen Lippen zu lecken und atmete fast lautlos. Es war mir deutlich zu still, denn auch er gab keinen Laut von sich, sodass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. „Oy“ drang es plötzlich an mein Ohr und hätte ich mich nicht prompt mit einer Hand an der Tischkante festgehalten, wäre ich wahrscheinlich vom Stuhl gekippt vor Schreck. „Merkst du eigentlich nichts?“ Ich war etwas überfragt. Sah man das eigentlich? Machte ich eigentlich ein bestimmtes Gesicht, wenn ich mal keine Ahnung hatte? Oder sah ich einfach weiterhin nur so bescheuert aus, wie ich es sonst auch immer tat? „Wieso?“ Als Antwort lachte er leise und lehnte sich dann schon fast stolz und überlegen in seinen Stuhl zurück. Er saß zwei Plätze neben mir, so konnte ich ihn lediglich aus den Augenwinkeln sehen, da ich mich immer noch nicht traute, ihn anzusehen. „Oh Mann“ seufzte er. „Blitzmerker. Ich bin nicht so nett, wie ich aussehe. Aber ich find’s erstaunlich, wie du noch immer mit mir reden kannst, nachdem, was alles so passiert ist!“ „Wieso sollte ich nicht?“ ja, ja, meine Naivität… „Du bist echt n Vollbaka! Jeder normale Mensch würde mich jetzt hassen an deiner Stelle…“ Hatte er denn mit so einer Reaktion nicht gerechnet…? „Hm…“ Was machte ich eigentlich falsch? Ich wollte doch nur, dass er mich mochte, mehr nicht… „Wir können gleich gehen“ sagte er beiläufig und packte schon mal seine Sachen zusammen. „Ich kann dich aber nicht hassen“ rutschte es mir plötzlich raus und schon im nächsten Moment schlug ich mir selbst gegen die Stirn. So blöd wie ich war doch wirklich niemand… „Nani?“ lachte er verspielt und schulterte beinahe schon anmutig seinen Rucksack, während er mir beim einpacken zusah. „Du bist auch nicht besser, als die anderen. Wann kapiert ihr es eigentlich endlich? Ich bin nicht so nett, wie ich immer tue. Wenn ich habe, was ich will, könnt ihr mich alle mal, verstehst du das nicht? Ich will nichts von dir und hab auch kein Interesse an dir, du warst lediglich n kleiner Spaß, den ich mir mal gegönnt hab! Schlag mich dir aus dem Kopf, so einen wie dich will ich gar nicht. Nachher werd ich auch noch gemobbt und darauf kann ich eigentlich verzichten.“ Das hatte gesessen. Irgendwer stach mir gerade mit einem Messer ungefähr schon zum zwanzigsten Mal in mein Herz. Großartig, ich hatte mir mal wieder selbst eine Falle gestellt mit ihm, indem ich sein Spiel auch noch mitgespielt hatte. Jetzt hatte ich mich nicht nur zum Affen gemacht, denn Uruha würde das ganze unter Garantie in weniger als einer Woche unter die Leute bringen, sondern ich hatte mir auch noch mit meiner Schwärmerei die ganze Zeit selbst etwas vorgemacht. Hatte mir eingeredet, dass es nur eine Phase gewesen wäre, dass Uruha sich so benahm. Aber er war wirklich ein Arschloch. Doch wieso zum Teufel wollte ich es nur nicht wahrhaben?! Beinahe ließ ich meinen Block aus der Hand fallen, ehe ich mich doch noch besinnte und ihn einpackte, mir nichts anmerken ließ. Die Tränen schluckte ich runter. Wortlos lief ich den Gang entlang richtung Aois Zimmer. Ich brauchte jetzt jemanden zum Reden. Jemanden, der mich tröstete. Und ich hoffte schon mal, dass Reita nicht da war, denn auf den konnte ich jetzt genauso gut verzichten, wie auf Uruha. Uruha. Schon wieder dieser Name. Jeder zweite Gedanke kreiste um ihn, ich wurde ihn nicht mehr los. Er war fast schon wie eine süße Krankheit für mich geworden, seine ignorante und hinterhältige, eiskalte und gefühlsleere Art zog mich magisch an. Ich hatte ja schon immer einen Faible für die Bösen gehabt, aber so sehr, wie für ihn, hatte ich noch für niemanden geschwärmt. „Aoi?“ fragte ich leise, als ich an die Tür klopfte. Meine Stimme klang wirklich ziemlich heiser und trocken, sie konnte jeden Moment versagen, dachte ich. Nach einem kurzen Moment wurde mir die Tür geöffnet und der Schwarzhaarige stand vor mir, zog mich sogleich in seine Arme. „Ich hab’s schon gehört, Uruha war hier und hat Reita abgeholt. Es tut mir so Leid, Ruki…“ tröstete er mich und zog mich ins Zimmer, schloss dann die Tür hinter sich ab. „Setz dich da hin, dann erzählst du mir alles, hai?“ Ich tat, wie er es mir vorgeschlagen hatte und begann, alles noch einmal von vorn bis hinten durchzugehen, schilderte ihm sogar jede Bewegung von Uruha, jedes Zucken mit der Wimper und jede seiner Reaktionen. Und Aois Reaktion verunsicherte mich, denn er sah mich mit immer größeren und ungläubigeren Augen an. „Was denn?“ fragte ich, als ich geendet hatte und er noch immer nichts dazu sagte. „Nichts“ meinte er nur und schlagartig veränderte sich seine Miene wieder. „Und das hat er alles wirklich gesagt…?“ Plötzlich wurde es mir bewusst. Alles, was Uruha gesagt hatte, ergab für mich plötzlich einen Sinn und ich realisierte, dass es wirklich alles passiert war, wie ich es eben erzählt hatte. Wie in einem schlechten Traum, dachte ich, denn eigentlich stimmte es ja auch. Ich wünschte mir in diesem Moment einfach, dass es ein Traum gewesen wäre. Und ich ließ meinen Tränen freien Lauf, konnte sie nun nicht länger unterdrücken. „Ruki“ flüsterte Aoi und zog mich in seine Arme, drückte mich an sich und wiegte leicht hin und her. „Hey, ich kann dich verstehen. An deiner Stelle wäre ich auch ziemlich verletzt, aber ich will dir einen Rat geben und ich möchte dich bitten, wirklich mal drüber nachzudenken, hai? Ich denke, du solltest loslassen. Kette dich nicht an ihn, er ist es nicht wert. Er hat dich nicht verdient, Ruki.“ „Die ganze Welt hat mich nicht verdient, sie ist viel zu schade für mich“ schluchzte ich und klang dabei so verzweifelt, dass es mich schon selbst wieder anekelte. „Unsinn!“ Stimmte aber trotzdem… „Aoi, ich kann ihn nicht vergessen“ wimmerte ich wieder leise und klammerte mich noch fester an ihn. „Ich will ja…“ „Versuch es bitte“ sagte er plötzlich nach einer Weile und streichelte mir durchs Haar. Mir wurde unwohl. „Ich kann dich nicht leiden sehen, Ruki…“ Ich hatte mich wieder etwas beruhigt und drückte mich leicht weg von ihm, sah ihm in die Augen. „Wie meinst du das?“ fragte ich unsicher und mir wurden die Tränen sanft aus dem Gesicht gewischt. „Ich will nicht, dass er dich so sehr verletzt… das kann ich nicht mit ansehen“ noch immer ruhte seine Hand auf meiner Wange und streichelte sie leicht. Allmählich wurde ich sauer. Wieso, wusste ich selber nicht. Aber ich wurde sauer. Vielleicht, weil er mir gerade meine Liebe ausreden wollte…? „Ruki, ich weiß, du hast viel durchgemacht mit ihm… aber kannst du ihn nicht einfach vergessen? Für… für mich?“ Ich machte ein zweifelndes Gesicht und schlagartig wurde mir bewusst, was er wohl meinte. Also lief es schon wieder auf dasselbe hinaus, hai? Gut, das konnte er haben. „Wie du meinst“ sagte ich und zog ihn näher, küsste ihn sofort und ohne zu zögern. Merkte leichten Widerstand. Doch das störte mich nicht, ich machte weiter. „Ruki“ keuchte er, als er sich von mir losgemacht hatte. „Was machst du…?“ „Schnauze“ befahl ich schon fast und drückte ihm erneut meine Lippen auf, diesmal fordernder. Dann setzte ich mich unerlaubterweise auf seinen Schoß und begann, ihn zu streicheln. Es gab mir ein Gefühl der Befreiung, schon fast eine Genugtuung. Etwas in mir fiel von mir ab. Was genau, wusste ich nicht, aber als ich das festgestellt hatte, machte ich weiter und ignorierte seine Abwehrversuche. „Ruki, lass das“ winselte er und schob mich leicht von sich weg, aber ich überbrückte den Abstand zwischen uns schnell wieder und kostete nun von seiner Haut, leckte beinahe schon genüsslich über seinen Hals. Und als meine Hand, die in seinen Schritt gewandert war, nun leicht zudrückte, keuchte er leise auf. Erfolg. „Siehst du? Was willst du denn? Hör schon auf, dich zu wehren“ sagte ich und drückte ihn aufs Bett, um mich über ihn lehnen zu können. Dann öffnete ich schon fast gewaltsam seine Hose und schob währenddessen sein Shirt etwas nach oben, um mit meinen Lippen über die entblößte Haut fahren zu können. Von ihm kam nun noch mehr Widerstand, er schob mich von sich runter und wollte sich aufrichten, als ich ihn jedoch mit Gewalt wieder zurückdrängte und ihm die Hose nun endgültig runter zog. „Ruki, lass das! Hör auf damit!“ bettelte er nun schon fast und wehrte sich mit allen Mitteln, versuchte, mich wegzudrücken oder sich selbst aufzurichten, doch ich ließ ihn nicht. Als jedoch seine Abwehrversuche heftiger wurden, drehte ich ihn kurzerhand auf den Bauch und schnappte nach seinen Händen, hielt sie auf seinem Rücken fest. Nun schrie er auf vor Schmerz. „Ruki, ich will das nicht! LASS MICH LOS!“ sagte er nun etwas lauter und zappelte, zerrte an meinem Handgelenk, dessen Hand seine fest umschlossen hielt. Doch ich ignorierte es. Es gab mir endlich ein Gefühl der Dominanz. Endlich konnte ich das, was ich bekommen hatte, zurückgeben. Zwar nicht dem, der es eigentlich verdient hatte, aber das war mir nun auch egal. Ich wollte es endlich rauslassen. Ich öffnete mir meine eigene Hose und zog sie mir ein Stück runter, sodass meine erregte Männlichkeit frei wurde. Dann schob ich eine Hand unter sein Becken, drückte sein linkes Bein leicht zur Seite, sodass sie sich nun etwas spreizten und drang ohne Vorwarnung in ihn ein. Und sein Schrei erfüllte den Raum, ich dämpfte ihn mit meiner Hand, brachte ihn so schnell zum Schweigen. „Kai, ich hab was angestellt“ flüsterte ich leise, als ich in der Umarmung meines besten Freundes stand und diese erwiderte. Ich schluchzte leise. „Können wir endlich fahren?“ „Hai“ sagte er unsicher und half mir, meine Tasche in sein Auto zu laden. Ja, er durfte tatsächlich schon Auto fahren. Zwar eigentlich nicht ohne Begleitung, aber ich kannte meinen Freund und sowas störte ihn herzlich wenig. Wir packten meine Sachen schnell in den Wagen und stiegen dann ein. Kurz blieben wir still sitzen, schwiegen uns an und dann startete er den Wagen. „Was ist passiert?“ fragte er nach einer Weile, in der wir gefahren waren. Ich schluckte schwer und schaute aus dem Fenster, betrachtete den Regen, der auf die Scheiben des Autos prasselte und auf das Gebäude des immer kleiner werdenden Internats. „Ich hab meinen Schulkumpel vergewaltigt.“ [1] = Fortsetzung Songtext zu ‚Maggots’ [2] = Textauszug aus ‚Namaatatakai Ame To Zaratsuita Jounetsu’ [3] = Weiterer Text zum Lied [4] = siehe 3 D.L.N. Ich habe es von Anfang an gewusst… Dunkelheit. Mein Zimmer erscheint mir fremd. Wo ist bloß Reita? Wo ist Uruha? Wo sind meine Eltern, die mich jeden Moment abholen wollen? Alle lassen mich allein. Sogar meine Liebe. Und meine Liebe liebt mich nicht. Nein, wirklich nicht. Sonst läge ich jetzt nicht hier und würde weinen und lachen zugleich, bluten und mich heilen zugleich. Heilen durch längst überfällige Tränen. Nie wollte ich in seiner Gegenwart weinen, stark für ihn sein und alles tun, um ihn zu beschützen. Stattdessen ist er meiner Blindheit zum Opfer gefallen und ich habe ihn einem großen Fehler ausgeliefert. Niemals wollte ich das alles wahrhaben... und jetzt ist es passiert. „Ruki…“ Ich fühle die weiche Bettwäsche unter mir. Und etwas Nasses darauf. Ich weiß, was es sein könnte. Ich benetze meine Finger mit der feuchten Substanz und führe meine Hand dann zu meinem Gesicht, um sie anzusehen. Rot. „Itai…“ Ich möchte sterben. „Warum?“ Ich weiß selbst nicht, wieso mir dieser Gedanke gerade gekommen ist. Ich will es nicht wissen. Ich will, dass jemand mich findet. Oder auch nicht? Dann sehen sie meine Schwäche. Dann sehen sie, was meine Liebe aus mir gemacht hat. Ein Wrack, einen Schwächling und jemanden mit gebrochenem Herzen. Und ich möchte wieder lachen. „Aoi?“ Ich sage meinen eigenen Namen, fordere mich auf, aufzustehen. Wie sehr ich doch jetzt gern bei ihm wäre. Und wie sehr ich mir doch wünsche, dass er zur Hölle fährt. „Steh endlich auf, zieh dir was an. Deine Eltern sind bald da…“ Ja, ein Lichtblick. Ich liebe meine Eltern. Besonders meine Mutter. Sie ist immer so verständnisvoll, tolerant und sie liebt mich, wie ich bin. Ob sie wohl auch meine Maske liebt? „Anziehen…“ Ich spreche in dem Ton meiner Mutter, wie sie mich früher immer morgens zur Schule geweckt hat. Liebevoll und tadelnd zugleich, denn sie wollte ja nicht, dass ich zu spät komme. Und dann bin ich immer aufgestanden, habe mich angezogen, so, wie jetzt, und ich habe gewartet, bis sie wiederkommt und mir sagt, dass meine Kleidung zusammenpasst und wie schick ich doch darin aussehe. „Du siehst schick aus, mein Junge“ sagt sie, während sie einen Schritt auf mich zu macht. Und sie lächelt so lieb, wie früher eben. Sie umarmt mich, küsst meine heiße Stirn und mein Vater hinter ihr sieht mich lächelnd an. Und ich lächle auch, ich tue es ihnen zuliebe. Ob sie denn auch wissen, wenn mich etwas bedrückt? „Mama?“ „Hai?“ Sie nimmt meinen Kopf in ihre Hände, sieht mich durchdringend an und schüttelt dann mit dem Kopf, sodass ihre langen Haare leicht hin und her schwingen. „Papa trägt deine Koffer, geh ruhig schon mal zu Auto, wir melden dich noch schnell ab.“ Ich laufe die schmale Treppe zum Hintereingang hinab, schaudere, als ich die kalte Luft spüre, die auf meine noch immer heiße Haut trifft. Und ich möchte nicht frieren. Ich sehe unser Auto. Ein Honda. Ein kleiner Familienwagen, in dem ich nun schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gefahren bin. Langsam hebe ich meine Hand, in der sich der Schlüssel befindet, wie in Trance schließe ich den Wagen per Knopfdruck auf und öffne die hintere Tür der Fahrerseite. Ich setze mich in die dunkle Kabine und schließe die Tür wieder. Es hat angefangen zu regnen. Nun sitze ich allein hier und warte auf meine Eltern, sehe mir die Schule von außen an. So, wie er es wohl auch getan hat, nehme ich an. Ob er wohl noch einmal an mich gedacht hat, bevor er gefahren ist? Ob er sich bewusst ist, was er damit angerichtet hat? „Ich will nach Hause“ murmle ich gegen die eiskalte Fensterscheibe und sie beschlägt, ich zeichne ein Herz darauf. Und dann einen Riss hinein. Ich sehe zwei vermummte Gestalten aus dem Schulgebäude kommen, die eine trägt einen Koffer und die andere hält sich angestrengt ihren Mantel zu. Meine Eltern eben. Der Kofferraum wird geöffnet und ein Koffer eingeladen. Dann wird er geschlossen, die beiden vorderen Türen geöffnet und meine Eltern steigen ein, frösteln, schließen die Türen. Dann schnallen sie sich an und verlieren kein Wort. Wir fahren los, ich lehne mich zurück und warte, bis wir das Schulgelände verlassen haben. Erst dann wende ich den Blick ganz ab, versinke in meine Gedankenwelt, die sich wieder nur um ihn dreht. Und ich möchte ihn wieder sehen, zugleich vergessen. Ich will mir selbst keine Fallen mehr stellen, will mir selbst nicht mehr widersprechen und mein eigener Feind sein durch meine Gefühle allein. Und ich will nicht mehr ständig an ihn denken müssen. Nein, ich wollte an ihn denken. Wollte ihm helfen und für ihn da sein, weil andere es nicht waren. Wieso bloß hat er nie etwas erwidert und ist auf Uruha reingefallen…? Ich werde zu sachlich, ich sollte nicht zu sachlich denken und werden. Das erregt mich. Shadow IV II I Ich bringe dich ans Ende der Traurigkeit… „Fühl dich wie zuhause“ sagte Kai, während wir in die kleine Wohnstube eintraten. Es sah noch immer alles so aus, wie früher. Die mit Fotos beklebten, weißen Wände, der Schuhschrank und der Bonsai standen an derselben Stelle und erinnerten mich an damals. Ich schluckte einmal schwer und zog mir dann die Schuhe aus, stellte sie ordentlich weg. Wie oft hatte ich hier früher meine Nachmittage verbracht? Wie oft hatten wir hier gelacht und geweint? Wir beide miteinander? Ja, wir hatten wirklich alles miteinander gemacht. Sogar Erfahrungen in Sachen Liebe ausgetauscht. Und im nächsten Moment schämte ich mich bereits wieder für diesen Gedanken. Kai zog seine Schuhe nun ebenfalls aus, stellte sie weg und zog seine Jacke aus. Dann lächelte er sein wärmstes Lächeln und nahm meinen Koffer, trug ihn bis zur Treppe, die nach oben in die Schlafzimmer führte. Ich mochte Kais Wohnung sehr, sie hatte Stil und war gerade groß genug, wirkte gemütlich und nicht prollig, aber auch nicht zu klein. „Ich bin zuhause“ murmelte ich und schmiss mich dann aufs weinrote Sofa, schloss für einen Moment die Augen und dachte an Nichts. Völlige Leere. Ein weißer Raum, in dem nichts war. Reinheit. Absolute Perfektion. Kein Schmutz. Und da fiel es mir wieder ein. Was ich getan hatte und was ich nun ein Leben lang bereuen würde. Mit welchem Schmerz ich nicht lange überleben würde. Wie weh es mir tat. Aber auch, wie sehr es ihm wehgetan haben musste. Und was war der Grund dafür? „Ruki? Hast du Hunger? Ich habe gestern Okonomiyaki gemacht und es ist noch was… übrig…“ Er war ins Zimmer gekommen und fand mich nun heulend auf dem Sofa vor. Wie erbärmlich er mich doch finden musste mittlerweile. „Was ist denn los?“ Das fragte er noch? Ich war von meiner großen Liebe verarscht worden und hatte meinen unschuldigen Schulfreund dazu ausgenutzt, es raus zu lassen… „Ist es wegen deinem Schulkumpel?“ Zu mehr als einem Nicken war ich nicht fähig. Aber schon wurde der Gedanke schon vom nächsten vertrieben. Wie mochte es wohl Uruha gehen? Ob es ihm gut ging? Ich wusste es nicht und das machte mich traurig. Ich wollte sicher gehen, dass es ihm gut ging, aber ich konnte nicht. Wie denn auch, wenn ich nicht mal seine Handynummer hatte…? „Ruki? Hörst du mir zu?“ Wieder schreckte ich aus meinen Gedanken und sah Kai fragend an. Er schien zu verstehen, auch, wenn ich nichts sagte. „Vergiss es. War unwichtig. Aber was anderes: was genau… war nun da zwischen Uruha und dir?“ Ich schluckte, wollte ihm nicht die Geschichte erzählen, die sich abgespielt hatte. Zu sehr tat es noch immer weh. Ich wollte meine Liebe nicht schlecht reden, auch, wenn alles, was ich zu sagen haben würde, der Wahrheit entspräche. Und ich sträubte mich dagegen. „Kai, ich… nimm’s mir nicht übel, aber… ich kann nicht darüber reden…“ Und wie ich es erwartet hatte, sah er mich verständnislos an. „Ruki, seit wir zusammen im Auto sitzen, bist du schon so seltsam drauf. Und ich weiß einfach nicht, was ich mit dir anstellen soll, verstehst du? Ich kann nichts für dich tun, wenn ich nicht mal weiß, was genau vorgefallen ist!“ Ich schluckte wieder, schluckte die neuen Tränen herunter und richtete mich dann auf, um allein zu sein. „Ich… ich kann nicht…“ Die Dunkelheit um mich herum schien immer erträglicher zu werden. Ich gewöhnte mich langsam an sie. Sie schien die Finsternis in meinem Herzen sogar noch zu übertreffen. Ich fragte mich, wie das noch möglich war. Leise hörte ich das Tropfen eines Wasserhahns nebenan. Es war mittlerweile ein beruhigendes Geräusch. Und sogar das Prasseln des Regens gegen mein Fenster war mir sympathisch. Es gab mir wenigstens noch das Gefühl, nicht ganz in Dunkelheit verhüllt zu sein und nichts mehr zu spüren. Denn in dieser Dunkelheit befand sich nur eine einzige Person, bei der ich mich stets so geborgen gefühlt hatte. Seltsam, dass sie nur wie ein Schatten aussah und keine Form hatte. Aber dennoch konnte ich ein Gesicht erkennen. Er lächelte mich an. Und immer wieder machte ich einen Schritt auf ihn zu. Immer weiter lief ich auf ihn zu, weiter in die Finsternis, weiter ins Ungewisse und weiter trieb ich dem Wahnsinn entgegen. Ich wusste nicht mal, was mich am Ende dieser schier ewigen Finsternis erwarten würde. Aber ich konnte nicht anders und lief einfach weiter. Stets im Kopf behaltend, dass ich niemals eine Chance haben würde, wieder herauszukommen. Und wissend, dass es kein gutes Ende nehmen würde. „Ruki! Mach die verdammte Tür auf und lass mich rein! So kann das doch nicht weitergehen!“ So ging es schon die ganze Zeit. Seit ich hier lag und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Seit zweieinhalb Tagen hockst du nur in deinem Zimmer und bemitleidest dich selbst, hast kein Wort mit mir darüber geredet, weshalb denn überhaupt und ich versuche immer wieder, dir was zu Essen anzudrehen, aber wenn du nicht langsam wieder was isst, wirst du krank, verdammt noch mal!“ Ich konnte es nicht mehr hören… es war unerträglich… er störte mich… es war kein gewohntes Geräusch… seine Stimme war unangenehm und passte nicht in mein momentanes Weltbild… „Langsam glaub ich echt, du hast sie nicht mehr alle! Das ist doch nicht normal! Was soll ich denn machen, hm? Wenn du nicht mit mir redest, kann ich dir nicht helfen! Aber dir muss doch geholfen werden! Sieh doch, was du aus dir machst, weil du dir nicht helfen lässt! Ich will nicht, dass du in deinem Selbstmitleid versinkst und nichts und niemanden mehr an dich ranlässt!“ Ich hätte jemanden an mich heran gelassen… „Ruki, es ist nicht mehr dasselbe, wie früher, siehst du das nicht? Wir sind doch die besten Freunde… und ich will nicht, dass du dein Vertrauen zu mir verlierst! Versteh mich doch! Du musst mich verstehen, hörst du? Ich will mir nicht so vorkommen, als würde ich mit einer Wand reden! Wenn du mich wenigstens reinlassen würdest…“ Eine Weile schwieg er. Endlich. Ich zählte die Sekunden. Dreißig. Einunddreißig. Zweiunddreißig. Dreiunddreißig. „Okay… ich hab verstanden. Du willst nicht mit mir reden, ja? Weißt du was? Du kannst auf meine Hilfe scheißen, ja? Gut, scheiß meinetwegen auf sie! Ich kann auch drauf scheißen, dich aus deinem Loch zu holen! Dann verkriech dich meinetwegen hinter deiner Mauer und lass niemanden mehr an dich ran! Schließ dich ein und verende an Hunger und Durst, aber sag nachher nicht, ich hätte dir nicht meine Hilfe angeboten! Ich wäre wirklich für dich da gewesen, hörst du? Du sollst wissen, dass es mir wehtut, dich so zu sehen! Aber irgendwann wird es zu viel, Ruki! Da toleriere ich deine Launen nicht mehr! Meinetwegen kannst du machen, was du willst, aber mir dieses Theater noch länger ansehen werde ich nicht! Scheiß auf Uruha, scheiß auf Aoi, scheiß auf das, was du angestellt hast, aber scheiß auch auf mich!“ … Stille. „ALS OB DU EINE AHNUNG HÄTTEST!“ Zwei Tage später. Und Kai hatte kein einziges Wort mehr mit mir geredet. Ich war zwar öfter aus meinem Zimmer gekrochen, aber wirklich viel hatte ich außerhalb von dort nicht getan. Lediglich hatte ich etwas gegessen und getrunken, das ganze dann wieder zum Klo gebracht und mir ablehnende Blicke von Kai geholt. Nun lief ich erstmals wieder durch die Straßen Tokios, am helllichten Tage, um mir eine neue Winterjacke zu kaufen. Allein. Mein Schritt führte mich zu vielen altbekannten Orten. Orte der Erinnerungen. Orte, an denen ich mich stets wohl gefühlt hatte. Weil sie in meiner Erinnerung positiv waren. Wahrscheinlich das Einzige, was in mir noch positiv war. Ich konnte ja nicht mal mehr mit meinem besten Freund reden, ohne in Tränen vor Selbstmitleid auszubrechen. Im Moment konnte ich Kritik am allerwenigsten vertragen, obwohl ich doch innerlich wusste, wie falsch es war, was ich tat. Aber Kai wollte mir nur helfen, das war es ja, was mich störte. Ich war stur und egoistisch, dachte immer nur an mich, weil ich die Gefühle der anderen nicht sehen wollte. Nie hatte ich gelernt, mit den Gefühlen anderer umzugehen, vielleicht einmal zu überlegen, was sie wirklich über mich dachten oder warum sie einige Dinge taten, die auf mich verletzend wirkten. Vielleicht war es oft nicht einmal Absicht gewesen, dass sie mich verletzten. Wenn der Tag lang (und vor allem scheiße) war, neigte ich sowieso, mir Dinge einzubilden oder einzureden, meist sogar so zu drehen, dass sie für mich einen Vorteil bildeten oder ich daraus Profit ziehen konnte, wenn er auch aus Mitleid oder Sorge um mich bestand. Es war mir egal, Hauptsache, mir wurde Aufmerksamkeit geschenkt und die durfte aussehen, wie es ihr lieb war. Alles, was ich jemals gewollt hatte und was ich nun noch immer wollte, war, dazuzugehören. Und da tat ich eben auch Dinge, die vielleicht falsch waren. Nur, um Anerkennung der anderen zu finden, suchte ich Wege, wie ich zu dieser gelangen konnte. Aber wie schwer oder falsch diese Wege waren, war mir noch immer egal. Der Laden, in den ich früher immer gegangen war, wenn ich Kleidung brauchte, hatte geschlossen. Ein großes Schild hang in dem einst mit Sonderangeboten prallgefüllten Schaufenster mit der Aufschrift ‚Zu Verkaufen’. Und da war sie verschwunden, die Erinnerung an diesen Laden. Vom einen auf den anderen Moment wusste ich nichts mehr. Wie es drinnen ausgesehen hatte, was ich zuletzt in diesem Schaufenster betrachtet hatte und wann ich überhaupt das letzte Mal in diesem Laden eingekauft hatte. Das alles war doch bis vor fünf Minuten noch da gewesen? Seltsam, doch ich beschloss, es zu ignorieren. Also würde ich weitergehen, mich nach einem anderen, billigen Laden umsehen. Und danach nach einem Ferienjob, um mir wenigstens ein bisschen Geld zu verdienen. Der nächste Laden war so gut wie um die Ecke. Genau zwei Straßen weiter, wo ich früher einmal gewohnt hatte. In diesem Armenviertel gab es wenigstens noch billige Läden, die jedoch gute Qualitätsware hatten und Sachen, die mir gefielen. Darüber war ich sehr froh, denn wirklich viel leisten konnte ich mir nicht. Ich hatte gerade mal ein paar Tausend Yen dabei, um mir eine Jacke zu kaufen, das musste eben reichen. Doch es hatte nicht sollen sein, denn dieser Laden hatte ebenfalls geschlossen. Aber er wurde nicht verkauft, so, wie der andere. Musste ich eben doch zum Kaufcenter gehen und mich dort nach einer halbwegs bezahlbaren Jacke umsehen. Und dieses war nicht allzu weit entfernt, etwa drei Blocks weiter. Jedoch führte es an dem Block vorbei, von denen ich mich früher immer ferngehalten hatte, es so gut wie möglich vermieden hatte, ihm zunahe zu kommen. Denn dort trieben sich meist die gefährlichsten Typen der Gegend hier rum. Deshalb beschloss ich, einen kleinen Umweg zu gehen, denn auf eine gebrochene Nase und mehrere Zahnlücken konnte ich verzichten. Ich wählte den Weg durch das Obdachlosenviertel. Auch nicht viel sicherer, aber das war jetzt auch egal. Die Straßen waren seltsam leer heute. Sonst waren eigentlich immer viele unterwegs im Obdachlosenviertel. Irgendwie fühlte ich mich, als wenn ich Jahre nicht hier gewesen war. Alles war zwar vertraut, aber doch so anders auf eine Weise, die sich mir nicht erschloss. Ich wollte nur noch schnell zurück zu Kai, mit meiner neuen Winterjacke und dann wieder in mein Bett, weil es wieder anfing. Dieses seltsame Gefühl in meinem Bauch, das ich verspürte, seit ich mit Uruha geschlafen hatte. Eine süße Mischung aus Angst und Sehnsucht, ein stummer Schrei nach seiner Zärtlichkeit und doch das Flehen nach Erbarmen. Es war, als würde es mich in ein tiefes Loch reißen, in dem es keinen Boden gab, kein Anfang und kein Ende, kein Zurück. Innerlich zerfraß mich dieses unbehagliche Gefühl. Ein Kribbeln in meinem Magen, welches sich bis oben zu meinem Herzen heraufzog. Wie ein Reflex, sich vor etwas zu schützen, stieß es immer wieder seine schwarzen Hände nach oben, hinauf in meinen Kopf, und brachte mich zum Nachdenken. Es wollte, dass ich über etwas nachdachte, woran ich besser nicht denken sollte. Aber warum? Ich hatte keine Erklärung dafür, nicht mal, an was ich überhaupt denken sollte. Übersah ich etwas? Nein, sicher nicht. Dazu war die Angst, etwas übersehen zu haben, zu groß gewesen an jenem Tag, als ich meine Liebe für ihn entdeckt hatte. Aber das Kribbeln in meinem Bauch war kein gewöhnliches Angstgefühl, wie ich es früher immer gehabt hatte, wenn ich zum Zahnarzt musste. Es war etwas anderes und es hatte etwas zu bedeuten. Was es zu bedeuten hatte, sollte ich jedoch erst erfahren, als ich mein Ziel erreicht hatte. Vor dem großen Kaufcenter war ein riesiger Parkplatz, der gerade fertig gestellt worden war, als ich das Internat besuchen sollte. Aber dass er bis auf den letzten Parkplatz voll war und die Geschäfte dementsprechend gut besucht sein würden, war der kleinere Schock. Eher war es der junge Mann, der eine Zigarette rauchend auf einer Bank saß, von seinen Freunden umgeben, scheinbar vergnügt und vertieft in ein Gespräch. Leider hatte ich ihn zu spät hinter den vielen Autos entdeckt, als das ich noch die Möglichkeit gehabt hätte, mich zu verstecken. Mich zu verstecken vor jenem, dem ich jetzt am allerwenigsten in die Augen sehen konnte. Aber er tat es gerade mit mir. Nun wusste ich, wo das Angstgefühl hergekommen war. So plötzlich und doch erahnt, hatte es mich ein paar hundert Meter vor dem Platz heimgesucht und nun sah ich den Grund dafür direkt vor mir, wollte nur noch schreien und wegrennen. Aber ich konnte nicht. „Ruki?“ Nein, er sollte weggehen, ich wollte ihn nicht sehen! Wegen ihm stiegen mir schon wieder Tränen in die Augen. Nein, er sollte nicht auch noch auf mich zukommen! Wie konnte er nur, nach allem, was passiert war?! „Was machst du denn hier? Bist du allein?“ Wieso wollte er das wissen? Stand genau vor mir und fragte mich, was ich wohl hier tat. Wonach sah es denn aus? Und was sollte denn bitte die letzte Frage? Hatte er Angst, dass ich meinen nicht existierenden, großen Bruder mitgebracht hatte, der mich davon abhielt, schlimme Dinge mit ihm zu tun? „Äh … ich geh mir ne neue Jacke kaufen …“, antwortete ich deshalb wahrheitsgemäß und zwang mich zu einem kleinen Lächeln. Und das vor ihm… „Wohnst du hier irgendwo?“, fragte er mich dann. Eine ganz normale Frage, aber mich machte sie unglaublich wütend. Legte er es etwa darauf an…? „Hai“, murmelte ich bloß und kuckte in eine andere Richtung, konnte sehen, wie sich seine Freunde zu uns umgedreht hatten. „Mein Gott, du Heulsuse, bist du etwa noch immer so geknickt wegen unserem kleinen One-Night-Stand? Das ist ja ätzend! Versteh das doch endlich! Ich will nichts von dir!“ Nun rastete ich aus. Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Überrannt von dieser Welle von Eifersucht, Wut und Traurigkeit schlug ich zu, die flache Handfläche traf sein Gesicht so hart, dass es laut knallte und seine Wange augenblicklich knallrot wurde. Er taumelte ein Stück zur Seite, hielt sich dann die schmerzende Stelle und für mich war es eine Genugtuung. Endlich hatte ich mich wenigstens ein bisschen entlastet. Und dann kam das Donnerwetter, all das, was ich loswerden wollte, kam hoch und ich brüllte es ihm ins Gesicht. „Wieso schläfst du dann mit mir?! Hast du eigentlich schon mal auch nur einen Moment darüber nachgedacht, wie ich mich fühle?! Wegen dir ist mein Leben komplett im Arsch! Weil ich mir Hoffnungen gemacht hab, verstehst du?! Wie konnte ich auch anders, bei dem, was du mit mir abgezogen hast! Ich dachte, du liebst mich! Du hast gesagt, du machst über sowas keine Scherze! Du elender Lügner verstehst dich scheinbar bestens darauf, andere seelisch fertig zu machen, was?! Weißt du eigentlich, was ich getan habe?! Wegen DIR?! Unverzeihliches, etwas, was ich nie wieder gut machen kann, weil DU mich kaputt gemacht hast! DU allein bist dran schuld, verstehst du?! Du hast mein ganzes Leben kaputt gemacht! Da soll ich noch jemandem vertrauen können? Jemanden lieben können? Mich bei dem entschuldigen können, den ich wegen DIR am meisten verletzt habe?! Ich sag dir was! Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden mehr gehasst, als mich selbst! Aber jetzt … jetzt tue ich es …!“ Sein Gesichtsausdruck hatte sich schlagartig verändert und er starrte mich fassungslos an, scheinbar geschockt von meinen Worten. Ich überdachte das eben Gesagte noch einmal, bemerkte, dass ich etwas indirekt verraten hatte, was ich besser nicht hatte verraten sollen. Aber anscheinend würde er nicht weiter darauf eingehen, denn bei meinen letzten Worten hatte sich ein Grinsen in seinem Gesicht angedeutet. „Wie du meinst“, sagte er und zuckte mit den Schultern, „da kann ich mit leben. War zwar nicht der schlechteste Sex, aber ich hatte sowieso schon besseren. Na ja, wenn du mal Langeweile hast, ich wohn nicht weit von hier“, fuhr er fort und ich musste erst noch einmal über diese Worte nachdenken, um zu wissen, ob er das jetzt wirklich gesagt hatte. Hatte er das wirklich gerade gesagt? „Leck mich“, antwortete ich trotzig und schubste ihn von mir, seine Nähe konnte ich jetzt nicht ertragen. Mit verhasstem Blick musterte ich ihn und schrie innerlich weiter, hoffte, betete, dass er endlich verschwand. „Ein andermal“, die Augen zu Schlitzen verengt und mich noch ein letztes Mal bösartig anfunkelnd, drehte er sich um und lief zurück zu seinen Freunden, welche mir allesamt irritierte Blicke zuwarfen und Uruha dann folgten, ihn scheinbar gerade mit Fragen löcherten. Und wieder fühlte ich mich schuldig. Schuldig für etwas, was so absurd war. Schuldig für etwas, was für mich trotzdem solch eine große Bedeutung hatte. Schuldig für etwas, woran ich keine Schuld trug. Aber schuld … das war ich an etwas anderem. Barette ’Bitte bleib hier’ … so hatte ich gehofft … Ich starrte ihm nach, war abermals fasziniert von seiner Art, seiner Aura, die mich wie magisch in den Bann zu ziehen schien. Ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden, blickte ihm weiter nach, solange, bis er verschwunden und nicht mehr zu sehen war. Und nun war ich sicher, dass es das war, was mir fehlte. Die Nähe zu jemandem, den ich liebte. Und ich konnte nicht leugnen, dass er mich wirklich sehr faszinierte. Innerlich wusste ich, dass er ein Arschloch war. Aber wieso ließ er mich dann nächtelang nicht schlafen? Wieso konnte ich ihn nicht vergessen…? Dass mich einige Leute seltsam ansahen, störte mich nicht sonderlich. Sie waren wohl alle ziemlich geschockt von meinem Ausraster, vielleicht hatten einige nicht erwartet, dass so ein kleines, unschuldig aussehendes Ding wie ich so ein lautes Organ hatte. Aber was kümmerte es mich? Ich wollte nur noch weg von hier, also lief ich geradewegs in das Kaufcenter und sah mich nach den Winterjacken an, die sie im Angebot hatten. Schnell suchte ich mir eine schöne, billige aus und kaufte sie, blickte der netten Verkäuferin beim Zahlen nicht einmal in die Augen. Ich fühlte mich schlecht. Den Heimweg würde ich etwas schneller angehen, es war mir auch egal, ob mich irgendwer zusammenschlagen würde, dem ich über den Weg lief, denn nichts würde die Wunden in meinem Inneren noch übersteigen, geschweige denn überspielen können. Kein körperlicher Schmerz der Welt. Ich verließ das Kaufcenter, lief über den riesigen Parkplatz und schließlich blieb ich wieder an der Stelle stehen, an der ich ihn wieder getroffen hatte. Erinnerte mich zurück an das Gespräch, an das, was ich zu ihm gesagt hatte, womit ich ihn beschuldigt hatte. Aber es stimmte doch … er hatte mich nur ausgenutzt. Ich hatte mich wie eine Schlampe gefühlt. Und trotzdem liebte ich ihn immer noch … oder? Plötzlich fiel mein Blick auf eine kleine Haarspange auf dem Boden. Ein kleiner, weißer Totenkopf darauf. Die hatte ich doch schon mal gesehen? Dann kam mir ein Bild in den Sinn. Dieselbe Spange hatte ich in unserem gemeinsamen Zimmer am Waschbecken liegen sehen. Dann war sie also … von ihm? Schnell hob ich sie auf, tat sie mir in die Jackentasche und unterdrückte meine Tränen. Ich hatte etwas von ihm bei mir. Das tröstete mich wenigstens ein bisschen. Immerhin … Umso schneller lief ich den kürzesten Heimweg und bei Kai zuhause angekommen schloss ich die Tür mit meinem Zweitschlüssel auf, trat ein in den warmen Flur. Die Wärme tat verdammt gut. Ich zog mir die Schuhe aus und hing meine Jacke weg, tat die neue gleich dazu, riss das Schild ab und lief direkt in die Küche, um es wegzuwerfen. Dort begegnete ich Kai. Kai, der am Küchentisch saß. Kai, der ein paar Tabletten vor sich liegen hatte. Kai, der weinte. Langsam ging ich auf ihn zu, hockte mich vor seinen Stuhl und legte eine Hand auf sein Bein. Was hatte er bloß? Ich traute mich nicht, etwas zu sagen. Wieso nicht? Weil wir so lang nicht miteinander gesprochen hatten? Wenn überhaupt das Nötigste? „Kai?“ Er reagierte nicht richtig, hatte das Gesicht in einer Hand vergraben, in der anderen hielt er etwas, aber das konnte ich nicht sehen, weil er die Hand geschlossen hielt. „Was ist denn?“, versuchte ich es erneut, aber noch immer erhielt ich keine Reaktion. Also beschloss ich, das, was er in seiner Hand hielt, wegzunehmen, damit ich seine Hände nehmen konnte. Wie früher, da hatte ich mich immer auf seinen Schoß gesetzt, um ihm zu trösten, und ich hatte seine Hände genommen und sie auf sein Herz gedrückt, ihn dabei umarmt. Damit er sich nicht gegen seine Tränen wehrte… Doch ich war verwundert, als ich ihm einen kleinen Ring aus der Hand nahm, den ich mal gefunden und ihm geschenkt hatte. Und es tat mir in der Seele weh, weil ich nun wusste, worum er weinte. Um unsere Freundschaft. Den Ring legte ich auf den Tisch, dann nahm ich ihm die zweite Hand von dem Gesicht und drückte beide Hände auf sein Herz, setzte mich auf seinen Schoß. Er wehrte sich nicht, wie er es auch sonst noch nie getan hatte. Vorsichtig drückte ich mich an ihn und umarmte ihn fest, vergrub mein Gesicht in seinen Haaren, sein Duft beruhigte mich, hatte mich schon immer beruhigt. Ich spürte, wie er leicht zitterte, ich streichelte ihm über den Rücken und kraulte seinen Nacken, wie früher, und ich genoss seine Nähe seltsamerweise. Meine schützende Umarmung gab auch mir wieder Halt. Und nun kämpfte ich selbst mit den Tränen, wenn ich ihn so weinen sah. „Ist doch in Ordnung“, flüsterte ich leise, spürte, wie seine Hände sich langsam in meinen Pullover krallten. Ich war mir sicher, er würde sich nicht wehren wollen gegen seine Tränen, also gab ich seine Hände wieder frei. Wie ich es mir gedacht hatte, schlang er seine Arme um meinen Rücken und es war, als würde er sich, wie ein verwahrloster Welpe, bei mir verkriechen. Noch nie hatte er das jemals so herübergebracht. Und es überraschte mich demnach sehr. Ich streichelte ihm weiter über den Rücken und verfestigte meine Umarmung wieder etwas. Und bald hatte er sich wieder etwas beruhigt, das tonlose Schluchzen hatte aufgehört. Langsam löste ich meine Umarmung, legte eine Hand an seine Wange und zwang ihn, mich anzusehen. „Wieder okay?“, fragte ich sanft lächelnd. „Nein.“ Wieso überraschte es mich nicht, dass er mir eine derartige Antwort gab? „Erst, wenn du mir sagst, dass mit dir wieder alles in Ordnung ist“, fuhr er fort und sah mich mit verheulten Augen an, in ihnen sah ich seine Sorge und sein Schmerz. Um mich? „Hai, ich bin in Ordnung … wirklich“, antwortete ich ihm. Eigentlich stimmte es nicht, aber ich wollte ihn nicht wieder verletzen, nicht wieder erleben, dass er wirklich um so ein wertloses, kleines Ding wie mich weinte. „Du bist dünn geworden“, sagte er, „du hast seit Tagen nichts richtiges mehr gegessen und warst nicht an der Luft. Ich war so froh, als du heute raus gegangen bist, aber ich war verletzt, dass du nicht mal ein Wort zum Abschied gesagt hast. Ich will nicht, dass unsere Freundschaft an deinem Leid kaputt geht, okay? Ich will nicht, dass du nicht mit mir redest. Oh, Ruki, wir sind uns so schrecklich fremd geworden, seit du nicht mehr hier bist …“ Er hatte Recht. Das waren wir. Sanft zog ich ihm wieder in eine Umarmung und seufzte leise. „Es tut mir Leid, Kai. Ich will das doch selbst nicht … glaub mir, ich vermisse dich jeden Tag.“ Tat ich das denn wirklich? „Aber ich habe dich auch viel zu sehr vernachlässigt. Ich meine, ich habe dich nicht jeden Tag angerufen, wie ich es irgendwann mal versprochen hatte und habe nicht immer gesehen, dass ich dich außen vor lasse.“ Nein, ich hatte ihn meinem besten Freund vorgezogen. Ihn, der mich nicht liebte. Ihn, der mich nur ausgenutzt hatte. Ihn, von dem nichts übrig geblieben war, als eine Haarspange und eine schmerzhafte Erinnerung … „Ich hab dich lieb, Ruki“, hauchte er und ich glaubte, zu spüren, wie er an meiner Schulter lächelte. Nun schlich sich auch auf meine blassen Züge ein Lächeln, es war ein aufrichtiges, ein Lächeln der wahren Freude, weil ich mich wieder mit ihm vertragen hatte. Und ich würde etwas ändern, wenn ich konnte. Etwas aus dem Weg schaffen, was jedoch nicht aus dem Weg zu schaffen war. Weil ich es nicht schaffte, weil ich zu schwach war und weil ich es nicht einmal wirklich wollte. Ich konnte Uruha nicht vergessen. Cassis Auch, wenn du mich morgen hasst … - aa, zutto kurikaeshiteta Zutto kanashimasete bakari datta aa, kitto anata sae mo kizu tsuketa Boku wa ugokenu mama aa, anata ni fureru koto ga Naze konnnani kurushii nodesuka Kitto onaji koto wo kurikaeshi Anata wo ushinatte shimaunoga kowakattakara Yorisou kotode nuguou to shita wasurekirenakatta hi wo Anata wa nani mo kikazu ni kono te wo nigitte kuretane... Ashita anata no kuchi ga hanaretemo kitto kawarazu aishiteru Ashita anata ni boku ga mienakutemo kitto kawarazu aishiteru I will walk together The future not promised It keeps walking together To the future in which you are.. Tsurai koto sae wasureru kurai anata wo omotte iru Aenai yoru wo kazoeru tabi ni kogareru mune Katachigai no samishisa tsunoru Gokaku hitori kiri de nakya ai de Donna ni hanarete itemo Shinnji aeru futari de iyou Douka konomama waratteitai Anata wo kizutsukesasenaide Tokiga tatsu tabi usurete itta Anna omoi kurikaeshitaku nai Ashita anata no kuchi ga hanaretemo kitto kawarazu aishiteru Ashita anata ni boku ga mienakutemo kitto kawarazu aishiteiru Douka bokudake wo mitsumetete Douka kono boku ga todokeru you I will walk together The future not promised It keeps walking together To the future in which you are.. To the future in which you are… - Ich hatte Stunden an diesem text gesessen, hatte ewig gebraucht, das alles in Worte zu fassen. Und es hatte mich ziemlich Überwindung gekostet. Nur gut, dass Kai nicht aufgewacht war, als ich es beim Handylicht unter der Decke geschrieben hatte. Immer, wenn er solche Texte von mir las, machte er sich Sorgen und wollte alles erklärt bekommen – wieso ich das schrieb und wie er mir helfen konnte. Das war schon manchmal ziemlich nervig, aber im Moment war er selbst zu aufgewühlt, als dass ich ihn noch mit so etwas belasten konnte. In der Nacht hatte ich ihn nicht allein lassen wollen, auch, wenn er etwas hätte bemerken können. Warum, wusste ich selbst nicht. Er war schließlich kein Kind mehr, doch vielleicht war er gar nicht der Grund, wieso ich bei ihm geblieben war. Eigentlich hatte ich mich schlicht und einfach selbst nur trösten wollen. Seine Nähe hatte mir schon immer Trost gespendet, ich hatte mich stets bei ihm sicher und wohl gefühlt. Und nun lag ich in dem fahl beleuchteten Zimmer, es konnte noch nicht allzu spät sein. Kais Arm war um meine Hüfte geschlungen, deshalb konnte ich mich nicht zur Uhr umdrehen. Aber eigentlich konnte mir die Uhrzeit ja egal sein, schließlich hatte ich ja Ferien. Ich war gerade wieder in meinen Tagträumen versunken, als ich merkte, wie sich hinter mir etwas bewegte. Ich murrte vernehmlich, als ich unsanft in die Seite gepiekst wurde und nuschelte ein ‚Nur noch fünf Minuten’, bis ich ein Lachen vernahm. Der Arm auf meiner Hüfte war verschwunden, war nun damit beschäftigt, mich zu ärgern. Auch ich konnte nun ein Lachen nicht mehr verkneifen, da ich ziemlich kitzelig an den Seiten war, und die fiesen Finger ließen mich genau dort nicht in Ruhe. „Kai, das ist unfair“, jammerte ich und versuchte vergeblich, mich aus seiner Attacke zu befreien. Doch er war schon immer der Stärkere gewesen und so drückte er mich einfach aufs Bett und kitzelte weiter, solange, bis ich keine Luft mehr bekam. Wenigstens wusste er, wann Schluss war! „Na? Hast du genug?“, fragte er lachend und beugte über mir, lächelte mich fröhlich an. Es machte mich glücklich, ihn so heiter zu sehen. Vor allem, weil ich es nicht sein konnte. Denn heitere Menschen in meiner Umgebung machten mich meistens auch heiter. Und das war er eigentlich immer. Ich wünschte mir, dass es immer so blieb bei ihm, denn ihm stand die Traurigkeit nicht … „Ruki?“ Seine sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken, ich schaute ihn an und lächelte etwas. Aber diesmal war es nicht gestellt, nein, diesmal war es wieder ehrlich. Ein ehrliches Lächeln nach so viel Scheiße, die mir passiert war. Aber ich musste damit abschließen. Kurz dachte ich noch einmal nach. War es denn richtig, mit Uruha abzuschließen? Immerhin hatte ich mit ihm mein erstes Mal gehabt – mit einem Mann, versteht sich. Außerdem waren meine Gefühle für ihn noch immer da. Ich konnte sie schließlich nicht einfach abstellen, wie meine Nachttischlampe, wenn ich schlafen wollte. Denn wegen ihm konnte ich kaum noch schlafen. Es war schon beinahe fanatisch, das wusste mein Unterbewusstsein. Aber ich konnte und wollte es auch nicht glauben. Wollte nicht auf die so genannte ‚innere Stimme’ hören. Nicht diesmal. Verdammt, war ich naiv. Richtig, das war ich ja auch! Ach, Mann, wieso machte mich diese innere Stimme immer so fertig? Vielleicht, weil sie wusste, dass ich einfach nur Mist baute? Immer wieder? Nein, ich musste Uruha vergessen. Es ging nicht anders, denn ich musste Platz machen für wichtigere Dinge. Ich konnte mich nicht einfach so an ihm festbeißen, schließlich war er nicht hier. Er war nicht bei mir, er war nie bei mir gewesen und er würde auch nie bei mir sein. Er hatte mich ausgenutzt, mich hintergangen und mich für seine Späße benutzt. Deshalb musste ich endlich mit ihm abschließen, alles andere würde sowieso keinen Sinn machen. Und ich musste noch etwas erledigen… „Kai, du musst mir helfen!“ Er schien überrascht über meine plötzliche Euphorie, denn er schaute mich etwas verwirrt an und legte den Kopf schief. „Tue ich das etwa nicht schon? Ich meine, wenn ich dazu nicht in der Lage bin, dann tut es mir Leid, aber ich kann mich so schlecht in deine Lage hineinversetzen und…“ „Kai, halt doch einfach mal die Klappe“, lächelte ich wieder leicht und drückte ihn von mir runter, setzte mich gerade hin. Ich wollte einfach nur seine Aufmerksamkeit, deshalb legte ich ihm einen Finger auf die Lippen, damit er nicht schon wieder einen Redeschwall über mich ergießen konnte. „Hör zu, ich …“, begann ich, suchte nach den richtigen Worten, „… ich will mich entschuldigen.“ „Bei wem?“, fragte er, setzte sich nun auch gerade hin und schaute wieder leicht verwirrt. „Wenn es um mich geht, will ich gar keine Entschuldigung hören, das hab ich dir aber schon gesagt, weißt du noch? Schließlich bist du doch mein bester-“ „Rede ich oder redest du?“ Wieder lachte ich leise, als er einen Schmollmund machte und woanders hinschaute, aber dann grinste. Er war wirklich zu niedlich … „Jedenfalls wollte ich dich fragen, ob du mir helfen kannst, jemanden zu finden. Du weißt doch, ich … ich hab Scheiße gebaut und deshalb will ich mich bei ihm entschuldigen …“ „Meinst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?“ Was sollte denn das nun wieder heißen? Was sollte Aoi denn von mir denken, wenn ich wieder auf die Schule zurückkam und so tat, als wäre da nie etwas zwischen uns gewesen? Immerhin war er einer meiner besten Freunde geworden und ich wollte ihn nicht auch noch verlieren. Schließlich hatte er mir sehr geholfen, aber was hatte ich ihm denn dafür gegeben? „Was meinst du damit?“, fragte ich deshalb, wartete auf eine halbwegs logische Erklärung für seine Worte, denn sie schockierten mich irgendwie ein bisschen. Wollte er nicht, dass ich meine Fehler wiedergutmachte? „Na ja, ich denke, es wäre einfach nicht so gut, wenn du ihn einfach aufsuchst und dich dann vor ihn stellst und sagst ‚Hey, das mit der Vergewaltigung tut mir echt Leid, meinst du nicht, dass du mir verzeihen kannst?’“, antwortete er und schien sich seiner Worte wirklich sehr sicher. Aber meiner Worte war ich mir nun nicht mehr so sicher. Was sollte das denn werden? Was wollte er damit erreichen? Dass unsere Freundschaft damit auseinander ging? Konnte man sie denn nicht mehr retten …? „Ich meine, man braucht vor dir wirklich keine Angst zu haben, Ruki, das weiß ich und das weißt du genauso gut. Aber dennoch hast du da ziemliche Scheiße gebaut und das sage ich dir ganz offen. Du tust sonst niemandem etwas zuleide, aber diesmal hast du echt alle Grenzen gesprengt und ihn damit wahrscheinlich ziemlich verschreckt. Versetz dich mal in seine Lage. Würdest du mir noch in die Augen sehen können, wenn ich dasselbe mit dir getan hätte?“ Ich dachte einen Moment lang nach. Wie wäre es denn für mich, wenn er mir das angetan hätte? Wie würde ich reagieren, wenn er eines Tages vor meiner Tür stünde und mich unschuldig anlächeln würde, wenn ich keine Ahnung hätte, dass er sich nur entschuldigen würde? Wahrscheinlich würde ich vor Angst einen Meter zurückspringen und die Tür wieder zuknallen, mir wünschen, ihn nie wieder sehen zu müssen. Und dann fielen mir seine Eltern ein. Was, wenn Aoi ihnen davon erzählt hatte? Was, wenn sie die Tür öffnen würden und mich sehen würden? Wie würden sie reagieren? Wahrscheinlich würden sie mich verhasst ansehen und mit einem Messer nach mir ausholen, weil ich ihrem Sohn ein Trauma verpasst hatte. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun, Kai? Ich kann doch nicht einfach so tun, als wäre da nie was gewesen! Ich will ihn nicht als Freund verlieren …“ „Ohne dir wehtun zu wollen, aber ich glaube, das hast du schon …“ Geschockt sah ich Kai an, konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte. Wieso sollte ich Aoi als Freund verloren haben? Er musste doch wissen, dass ich das nie gewollt hatte! Er konnte doch nicht einfach vergessen haben, wie ich einmal gewesen war! Das kleine, zerbrechliche Etwas, dem so schrecklich wehgetan wurde, dem er geholfen hatte, wieder halbwegs auf die Beine zu kommen … Konnte er das alles etwa schon vergessen haben? Wenn ja, dann wollte ich es nicht. Ich wollte nicht, dass er vergessen haben konnte, dass er für mich da gewesen war und ich ihm so dankbar gewesen war. Aber hatte ich mich eigentlich jemals dafür bedankt? „Meinst du wirklich?“, hakte ich also nach und hoffte, dass er noch eine andere Antwort hatte. Nein, ich betete. Wie sollte ich sonst über diesen Fehler hinwegkommen? Und wie sollte ich anders, als durch Aoi, über Uruha hinwegkommen …? „Wie gesagt, ich wäre psychisch ziemlich daneben. Schließlich dachte er ja von dir, dass er dein Freund war.“ Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. ~Magst du Uruha?~ ~Ich kann dich nicht leiden sehen, Ruki …~ ~ Ruki, ich weiß, du hast viel durchgemacht mit ihm… aber kannst du ihn nicht einfach vergessen? Für… für mich?~ Was hatte ich nur getan? Ich hatte mehr zerstört, als ich gedacht hatte! Ich hatte nicht nur unsere Freundschaft in den Dreck geworfen, nein. Ich hatte nicht nur sein Vertrauen zu mir genommen. Er hatte mich geliebt …? „Kai, ich … ich hab Hunger, machst du Frühstück?“ Ich konnte nicht mehr. Ich musste irgendwie versuchen, mich abzulenken. Und ich musste ihn finden, um mich bei ihm zu entschuldigen. Egal, was Kai dazu sagte. Mein Gewissen hatte Vorrang, genau, wie Aoi. Genau, wie seine Gefühle. Genau, wie sein gebrochenes Herz. „Wie kommst du … okay, ich bin in der Küche“, sagte er dann und stand auf, lächelte mir noch einmal zu. Ich wusste, er hatte verstanden. Er hatte verstanden, was meine Maske ihm sagen wollte. Dass ich jedoch nur so tat, als hätte ich seinen Rat angenommen und würde ihn befolgen, das hatte er jedoch nicht durchschaut. Diesmal nicht, da war ich mir sicher. Silly God Disco Meinetwegen kannst du mir alles antun! Ich legte seufzend auf und stellte das Telefon wieder auf die Ladestation. Verdammt, wenn es um Last-Minute-Ferienjobs ging, war wirklich jeder ausgebucht. Und wie sollte ich so an Geld kommen? Schließlich konnte ich doch nicht Kai das alles finanzieren lassen, was ich mir kaufte. Da kam ich mir irgendwie wie das letzte Arschloch vor. „Kai, streich die letzte Nummer“, rief ich ihm zu, er räumte sicher gerade die Küche auf. Wie ich es hasste, so dazustehen. Ich wollte ihm wenigstens helfen, ein bisschen in seinem Haushalt zur Hand gehen, damit ich mir nicht allzu sehr so vorkam, als würde ich ihn nur ausnutzen. „War’s auch nichts?“, hörte ich seine Stimme aus der Küche, ich antwortete ihm mit einem etwas enttäuschten und genervten „Nee“ und mein Blick fiel dann auf das Telefonbuch, welches ich schon die ganze Zeit im Auge gehabt hatte. Ich würde einen Teufel tun, es nicht wenigstens zu versuchen. „Sag mal, gehen wir nachher was essen? Hast du Lust?“ Ich schrak aus meinen Gedanken, hatte die Frage zwar schon vernommen, wusste aber nicht, was ich darauf antworten sollte. Dann würde er ja schon wieder für mich bezahlen müssen… „Wo denn?“, fragte ich deshalb und stand auf, ging in die Küche, denn diese ‚Durch-die-Wände-Schreierei’ ging mir langsam auf die Nerven. „Weiß nicht. Worauf du Lust hast?“, antwortete er und ich musste mich beherrschen, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. So, wie er da vor mir stand, sah er einfach nur zu herrlich aus. „Was kuckst du so?!“ Wieder musste ich mich sehr beherrschen, besonders, weil ich ja antworten musste und das erforderte enormes Zusammenreißen, damit meine Stimme nicht wieder in hemmungslosem Gelächter unterging. „Du hast da … überall …“, stammelte ich und musste wegschauen, mein Blick fiel auf den geöffneten Backofen und das Schrubbzeugs daneben. „Was hab ich denn wo?“ „Na ja, du siehst aus wie ein einziger, großer Fettfleck“, gab ich ehrlich zu und musterte ihn noch einmal genau, besah mir jeden einzelnen Fleck auf seiner blassen Haut, auf seinen Klamotten und die verklebten Haare. Tja, einfache Rösti zu machen, war schon eine Kunst für sich und dass Kai es als Meister der Kochkünste schaffte, sie anbrennen zu lassen und den halben Backofen damit zu verschmoren, machte es wirklich zu etwas Außergewöhnlichem. „Hä? Wieso Fettfleck? Sag nicht, ich hab mir durchs Gesicht …“ „Nein, du hast dir überall drübergewischt, nicht nur über dein Gesicht!“ Nun schaute er mich wehleidig an, seufzte gequält und drehte sich dann um, zeigte seinem Backofen den Stinkefinger. Ich lachte leise und beschloss, ihm auf seine Frage zu antworten, die er mir zu Anfang gestellt hatte. „Hai, gehen wir essen. Aber ich hab leider noch immer kein Geld, um für mich zu zahlen“, musste ich zugeben und seufzte leise. „Na und? Ich hab nen Job, ich verdiene genug, damit wir uns mal beide was in der Sushibar leisten können!“ Ich musste lächeln über seine fast schon mütterliche Art. „Dann musst du aber vorher duschen“, neckte ich ihn und bekam daraufhin nur eine rote Zunge entgegengestreckt. Eine Stunde später waren wir bereits auf dem Weg in die Sushibar, wo Kai sowieso schon einen Stammplatz für Dienstage reserviert hatte. Schließlich ging er da jeden Dienstag hin. Eigentlich war es ja beneidenswert, bei uns am Internat gab es kaum so leckere Sachen wie Sushi zu essen, höchstens irgendwelches Gekauftes. Meistens gab es nur einfache Sachen wie Reis mit Soße. Da wir ja nicht oft zusammen essen gingen (Kai konnte selber kochen wie ein Meister), hatte ich mich zur Abwechslung mal anständig angezogen und mich so gut wie kaum geschminkt, sah in meinen Augen völlig unnormal aus. Aber da Kai ja sowieso nicht wirklich auf den Stil stand, den ich bevorzugte, war er sowieso schon so gut wie nie geschminkt, obwohl ich noch immer der Meinung war, dass ihm Schminke sehr gut stand. Zumindest, wenn ich es machte! Schließlich hatten wir den Weg größtenteils schweigend hinter uns gebracht und betraten nun das warme Lokal, wo uns schon der köstliche Duft von frischem Sushi entgegenkam. Es war ein verdammt angenehmes Gefühl, aus der Kälte in diese sich schnell in uns ausbreitende Wärme zu kommen. Schnell schälte ich mich aus meiner Jacke, hängte sie zusammen mit Kais auf und wir schauten uns kurz um, bevor wir zum freien Tisch hinten rechts in der Ecke gingen. Wo er eben immer saß und wo wir früher immer gesessen hatten – wo wir heute Abend eben sitzen würden. „Ich hab Hunger“, seufzte Kai und ließ sich auf den weichen Stuhl fallen, schloss kurz die Augen und grinste mich dann an, als ich mich ihm gegenüber hingesetzt hatte. „Hai, ich auch“, gab ich zurück. „Wetten, ich kann schon für dich bestellen?“ „Oh, kannst du etwa Gedanken lesen?“, neckte er mich. Aber ich würde und konnte gar nicht darauf eingehen – schließlich… „ … nimmst du immer dasselbe, seit ich das erste Mal mit dir hier war!“ „Du hast ja Recht“, gab er dann zu und wurde dann von der Bedienung begrüßt. So oft, wie er schon hier gewesen war, kannten sich die beiden wohl ziemlich gut und duzten sich bereits. Ich jedoch kannte den Kellner nicht, ich war schließlich ewig nicht hier gewesen und es war wohl ein Neuer. Und irgendwie schaute der Kai seltsam an. Ich wollte es gar nicht erst deuten … „Zweimal ein gemischtes Sushibento, bitte“, grinste Kai den Typen an, der nickte daraufhin noch mal ihm und danach mir zu, bevor er lächelnd verschwand hinter einer Klapptür, die wohl die Küche vom Restaurant trennte. „Was war das denn eben?“, fragte ich belustigt und das nicht nur über Kais blödes Gesicht. „Ich weiß nicht, was du meinst …“ „Du hast ihn total angeschmachtet, der dich auch!“ Er wurde purpurrot im Gesicht, schaute weg und lachte verlegen. „Unsinn, wie kommst du denn auf sowas?“ „Das ist offensichtlich“, sagte ich nur matt und fragte mich im selben Moment, wieso er mir noch gar nichts davon erzählt hatte. Seit wann schaute er sich denn nun auch nach Typen um? Er hatte mir noch nie gesagt, dass er sie anziehend fand oder ähnliches, vielleicht sogar in irgendeiner Weise erotisch, denn so, wie er den Kerl angeschmachtet hatte, kam es verdächtig so rüber. „Lass uns nicht darüber reden, wechseln wir lieber das Thema! Was meinst du denn, wie es jetzt bei dir in der Schule weitergeht? Ich meine, es ist wirklich kein schönes Thema, aber in einer Woche musst du wieder hin.“ Er hatte Recht. Kurz überlegte ich, bevor ich antwortete. Denn ich hatte wirklich keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte. Ich hatte es mir schließlich mit so ziemlich jedem, den ich dort kennen gelernt hatte, verscherzt. Uruha abserviert. Reita ignoriert und verärgert. Aoi vergewaltigt und zurückgelassen. Etwas Unverzeihliches. Aber ich konnte es nicht rückgängig machen. Wie denn auch? Ich konnte die Zeit nicht zurückdrehen, obwohl ich mir im Moment einfach nichts Sehnlicheres wünschte. „Ich … weiß es nicht. Hab wohl zu großen Mist gebaut, als dass ich mich dort noch blicken lassen könnte. Außerdem weiß ich ja nicht mal, ob ich überhaupt jemals wieder auf diese Schule kommen werde.“ „Wieso das denn?“, fragte er mich irritiert, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute mich abwartend an. Ich atmete tief ein und aus, sprach dann weiter. „Weil ich jemanden vergewaltigt habe. Was, wenn er es jemandem erzählt? Dann sehe ich das schöne Licht dieser Welt vielleicht so schnell nicht mehr wieder.“ Nun seufzte Kai. Wohl diesmal ein Zeichen, dass ich Recht hatte? Bei ihm wusste man das irgendwie nie so genau. „Weißt du“, sagte er, schaute mich dann traurig an, „ich glaube nicht, dass er das tun wird. Er wird es niemandem sagen.“ „Warum nicht?“ Wieso war er sich da so sicher? Immerhin hatte ich ihm sein Herz gebrochen, da war es doch umso wahrscheinlicher, dass er mich dafür hasste und sich rächen wollte, oder? „Wenn er wirklich Gefühle für dich hatte – oder wohlmöglich noch hat – dann sagt er eher nichts. Außerdem sind Menschen, denen so etwas passiert ist, ziemlich aufgefühlt und wissen erst einmal gar nicht, was am besten zu tun ist oder was nicht. Manche sind einfach zu verzweifelt oder einfach nur schockiert, dass gerade ihnen das passiert ist.“ Ich hasste es, wenn er redete, als würde mich das Thema überhaupt nicht betreffen. Aber er war eben immer so scheiße ehrlich … „Vergewaltigungsopfer haben es nicht unbedingt leicht, ihre Psyche ist ziemlich angegriffen und manche hat es auch schon in den Selbstmord gerissen. Das sage ich wirklich nur ungern, aber wenn er sich umbringt, stehen die Chancen schlecht, dass sie dich als Vergewaltiger ertappen.“ „Warum? Er hat immerhin … mein … Sperma im Hintern …“ Sein Gesicht wurde etwas rot, dann lachte er leise und stemmte den Arm auf den Tisch, legte den Kopf auf seinen Handrücken. „Logisches Denken, Ruki. Sie werden ihn wohl kaum untersuchen, wenn sie ihn meinetwegen tot in der Badewanne finden. Da ist Selbstmord offensichtlich.“ Das war hart. Ich konnte sowieso nicht wirklich über so etwas nachdenken, deshalb verletzte es mich auch irgendwie, dass er auf solche Weise gerade von Aoi sprach. Ich hatte das doch nicht gewollt … „Tut mir Leid, wenn das jetzt etwas grob rüber kam, aber es ist nun mal die Wahrheit. Aoi wird auch ziemlich am Ende sein. Aber dass er sich umbringt, hoffe und glaube ich auch nicht.“ Was machte ihn denn da so sicher? „Was ist denn nun eigentlich mit Uruha? Du wirst ja mit ihm in einem Zimmer wohnen müssen …“ Seufzend schaute ich auf, erblickte ein fragendes und zugleich wissendes Gesicht. Er kannte die Antwort schon, wieso fragte er dann noch? „Ich will ein Einzelzimmer, ist doch klar“, meinte ich trocken und trank aus meiner soeben gebrachten Fanta. „Das würde ich an deiner Stelle nicht machen“, erwiderte er daraufhin ebenfalls nur trocken und stellte sein Glas Wasser wieder auf den Tisch. „Uruha hat dich verletzt, aber das ist kein Grund, gleich vor ihm wegzulaufen. Du würdest dich nur noch mehr isolieren und ihm das Gefühl geben, alles richtig gemacht und seinen Willen bekommen zu haben. Er will dich doch auch loswerden, weil er eigentlich weiß, dass du viel zu gut für ihn und ihm haushoch überlegen bist. Er hat Angst vor dir und vor dem, was du tun könntest, um ihn zu treffen.“ Ich fand es immer wieder erstaunlich, was er für eine Menschenkenntnis hatte. Auf sowas würde ich im Leben nicht kommen, aber er schien sich das ganz locker aus dem Ärmel zu ziehen und hatte damit wahrscheinlich auch noch Recht! „Mag sein“, antwortete ich, „aber wenn ich ihn sehe, befürchte ich, dass ganz schnell ein Unglück passiert. Ich könnte“ rückfällig werden „ihm so einige Zähne aus seinem“ wunderschönen „Maul schlagen.“ Kuso, fing ich schon wieder so an? Ich würde wohl nie über ihn hinwegkommen … „Ich an deiner Stelle würde mich so gar nicht mehr von ihm beeindrucken lassen. Ignorier ihn größtenteils einfach und sei immer nett und höflich, aber das auf ne zynische Weise. Das verwirrt ihn wahrscheinlich am meisten“, grinste er stolz. Wieder seufze ich, das war wohl in letzter Zeit meine Lieblingsbeschäftigung geworden. „Und Aoi? Wie soll ich mich ihm gegenüber verhalten? Ich meine, er wird ja wohl nicht direkt wieder ankommen und sich freuen, mich zu sehen, oder?“ Diese Frage hatte mich sowieso schon die ganze Zeit beschäftigt, schließlich lag der Moment unseres Wiedersehens vor uns und ich wollte mich auf jeden Fall noch vorher bei ihm entschuldigen. Was Kai natürlich nicht wusste, denn er würde nur wieder meinen, dass es nicht gut wäre, ihn schon vor der Schule zu sehen. Aber ich hielt es für richtig so, deshalb hatte ich diesen Entschluss für mich selbst gefasst. Wenn die Schule wieder begann, dann würde es sowieso schon wieder genug Stress geben und ich wollte ihn nicht noch zusätzlich damit belasten, ihm im Ungewissen und neben offenen Fragen immer wieder über den Weg zu laufen. Auch ich würde das nicht lang ertragen können – egal, was Kai sagte, ich würde ihn suchen, finden und mich bei ihm entschuldigen. „Na ja“, er dachte einen Moment nach, bevor er weiter sprach, „ich würde ihm auf jeden Fall erst einmal aus dem Weg gehen. Wenn, dann muss er sich erst wieder an dich gewöhnen. Wenn er überhaupt noch an der Schule sein wird.“ So plump, wie er das sagte, kam es mir schon vor, als würde er sich nur lächerlich machen. Das wurmte mich irgendwie ziemlich. Aoi musste doch wissen, dass ich normalerweise niemals zu so etwas fähig gewesen wäre! Und ich hatte es wirklich nicht gewollt! Unter jenen Umständen hatte ich einfach die Kontrolle verloren, er musste doch also wissen, dass ich eigentlich nicht so jemand war! „So, guten Appetit wünsch ich“, sagte dann plötzlich die Stimme von vorhin, die ich dem komischen Kellner zuordnete. Also lehnte ich mich kurz zurück, als er mir das Essen vorsetzte, mich mit einem gezwungen freundlichen Blick bedachte und Kai dann wie zuvor breit angrinste. Irgendwas war doch faul an dem. Der wollte was von Kai. Das sah jeder Blinde und mir war’s auch schon aufgefallen, obwohl ich ja gar nicht blind war. Blöde Logik. Trotzdem, ich war der Meinung, der war einfach nur eifersüchtig auf mich. Dachte der etwa, wir wären zusammen?! „Dann lass es dir schmecken, Ruki“, lachte Kai, als der Kellner verschwunden war und begann zu essen. Ich besah mir das Essen noch einmal und hatte plötzlich die seltsame Befürchtung, dass sich da eventuell Substanzen drin befanden, die mir möglicherweise schaden konnten … denn dem Futzi von Kellner traute ich irgendwie alles zu. „Ich glaub ja, der will wirklich was von dir. Hast du den Blick gesehen? Der meint bestimmt, wir wären zusammen“, sabbelte ich, denn ich hatte gerade ein besonders scharfes Stück Sushi im Mund. Kai lachte nur auf und schaute mich dann ziemlich verdattert an. „Wie kommst du denn auf sowas?“ „Ich dachte eben, der hätte mir was ins Essen gemischt!“ Wieder Lachen. Langsam kam ich mir verarscht vor. „Red keinen Unsinn, das bildest du dir nur ein! Der will nix von mir, warum denn auch?“ „Weil du süß bist und charmant und außerdem, weil du jede Woche hier bist“, grinste ich schelmisch und nahm einen weiteren Bissen. Er verschluckte sich fast und trank einen großen Schluck Wasser, zog dann einen Schmollmund und schaute mich an. „Du Schleimer.“ Irgendwie hatte ich eine böse Vorahnung an diesem Morgen. Woran es wohl lag? Vielleicht war das Wetter einfach so schlecht? „RUKI!“ Warum nur hatte ich sowas erwartet?! „Hai, verdammt“, murmelte ich verschlafen, konnte ja wirklich stolz auf mein einwandfrei funktionierendes inneres Warnsystem sein, welches mich so wunderbar kurz vor dem Moment des bevorstehenden Aufpralls auf den harten Fußboden warnte. Dass die Heizung schon wieder ausgefallen war, hatte ich spätestens da festgestellt. „Du hast mir gestern Abend versprochen, dass du mitkommst! Du bist ja nicht mal angezogen! Verdammt noch mal, ich will da nicht alleine hin!“ Der konnte sich aber auch anstellen! „Du gehst nur zum Urologen! Stell dich nicht so an!“ „DER SCHIEBT MIR ABER SEINEN FINGER IN DEN ARSCH!“ Jetzt reichte es mir. Ich zog mir einen Bademantel drüber, riss die Tür auf und stampfte in die Küche. „Als ob du noch nie einen Finger im Arsch gehabt hättest! Du kannst mir alles erzählen, aber das kannst du nicht leugnen!“ Ich stand grinsend im Türrahmen, sein knallrotes Gesicht betrachtend und musste plötzlich herzhaft gähnen. Verdammt, gestern war es wirklich spät gewesen … „Ich will aber nicht alleine da hin … kannst du dich nicht ein bisschen beeilen?“, flennte er dann wieder herum, trank nebenbei bestimmt schon seinen zwanzigsten Kaffee an diesem Morgen, um sich zu beruhigen. Ja, wenn es um Ärzte ging, war Kai besonders empfindlich. Das war mir noch sehr, sehr gut in Erinnerung geblieben. „Und was soll ich deiner Meinung nach dann da? Er wird dir Fragen stellen, ich werde daneben sitzen und mich vor Lachen kaum noch auf dem Stuhl halten können, weil es dir peinlich sein wird und ich es so witzig finden werde, wie du dich anstellst. Was ist denn daran so schlimm, wenn sie dir den Finger da reinschieben?“ „Was soll ich denn machen, bitte? Etwa mir vorstellen, dass es mein Schwarm sei, der gerade dabei ist, mich darauf vorzubereiten, sich selbst in mir zu versenken?!“ „Zum Beispiel.“ Sein Gesicht war einfach zu herrlich. Ich liebte es wahrhaftig, ihn auf die Palme zu bringen! „Sag mal, spinnst du?! Soll ich da nachher mit nem Ständer durch die Gegend laufen?“ „Das wäre doch gar nicht so übel“, grinste ich und setzte mich mit meiner soeben geholten Tasse frischen Kaffee an den Küchentisch, „wenn du ne Probe abgeben musst, damit sie deinen Samen untersuchen können, hast du dir einiges an Aufwand gespart, deine Fantasie zu benutzen!“ Wieder dieses herrlich blöde Gesicht, als er sich an seinem Kaffee verschluckt und mich danach böse anfunkelt. „Geht’s noch?! Ich werde mir doch da keinen runterholen!“ „Oh“, lachte ich, „wenn sie sagen, du sollst dir einen von der Palme schütteln, schüttelst du dir auch einen von der Palme. Falls das mit deinem Vorstellungsvermögen nicht klappt, geben sie dir schon, was du dazu brauchst.“ „Macht es dir eigentlich Spaß, mich mit sowas aufzuziehen?!“ Ich nickte eifrig und trank dann, unbeeindruckt von seinen wilden Gestikulierungen, meinen Kaffee weiter aus. „Ach, dann bleib eben hier“, sagte er schmollend und zog eine Schnute wie sieben Tage Regenwetter. „Nö, ich geh mich umziehen!“ Noch, bevor er was dazu sagen konnte, war ich aufgestanden und eilte nun in mein Zimmer. Das durfte ich mir nicht entgehen lassen! Da würde es endlich wieder was zu lachen geben! „Ruki!“ Ich ignorierte sein Geschrei und Gezeter, das würde sowieso nur den Nachbarn schaden, wenn ich jetzt auch noch mitmachte. Das kannten wir ja alles schon und Kai hatte nicht umsonst schon über zehn Mahnungen bekommen – das waren nur so viele, weil der Vermieter über die zwei Jahre hinweg hier schon ca. drei Mal gewechselt hatte. So schnell, wie noch nie hatte ich mich angezogen und stand nun fix und fertig im Flur, grinste Kai an, der bereits Mantel und Schuhe angezogen hatte. „Wenn ich nicht so lieb wäre, dann hätte ich dich einfach hier gelassen“, grummelte er, aber ich hatte nur ein müdes Lächeln für ihn übrig. „Kai, ich kenn dich doch. Wenn du wirklich vorgehabt hättest, mich hier zu lassen, dann wärst du schon längst über alle Berge und hättest einen Finger im Hintern!“ „Ach, sei doch still.“ Eine halbe Stunde später saßen wir im Wartezimmer und ich blätterte fröhlich in einer Zeitschrift herum. Kai neben mir war vollkommen aufgelöst und zitterte schon die ganze Zeit mit den Beinen. Das ging mir zwar tierisch auf den Geist, aber ich konnte wohl auch nicht viel mehr tun, als ihn davon zu überzeugen, dass der Arzt ganz sanft sein würde und sein Finger mit Sicherheit nicht breiter sein würde, als ein Wiener Würstchen. „Jetzt stell dich bitte nicht so an, Kai. Du musst hier, wenn überhaupt, nur ein Mal im Jahr hin! Wenn’s hochkommt!“ „Das ist schon ein Mal zu viel“, jammerte er jedoch nur weiter und ich beschloss, es lieber bleiben zu lassen – es würde ja eh nichts bringen. Keine fünf Minuten später wurden wir ins Sprechzimmer gerufen. Der Arzt hatte zwar schon etwas kritisch geschaut, aber nach einer ca. zweiminütigen Debatte mit dem Doc hatte Kai es dann doch endlich geschafft, diesen davon zu überzeugen, dass er ohne mich keinen Schritt in dieses Behandlungszimmer machen würde. Währenddessen hatte ich einfach nur daneben gestanden und schaute pfeifend aus dem Fenster, als wäre ich gar nicht da. Mich zu übersehen war ja keine besonders große Schwierigkeit! „Also gut, fangen wir an“, begann der Arzt dann, wartete, bis ich mich auf den Stuhl hinten in der Ecke und Kai sich auf die Liege gesetzt hatte. Aber vorher hatte er mir natürlich noch einen wehleidigen Blick zugeworfen, bei dem ich einen Teufel getan und ihn ernst genommen hatte. „Haben Sie Probleme beim Stuhlgang?“ „Iie“, kam Kais knappe Antwort, er schaute beschämt zur Seite. „Nehmen Sie regelmäßige Medikamente?“ „Iie.“ „Kommt es öfter vor, dass das Urinieren brennt?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal Blut im Urin?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal Blut im Sperma?“ „Iie …“ „Haben Sie Schmerzen, wenn Sie erregt sind?“ „ … iie …“ „Schmerzen im Beckenbodenbereich, wenn Sie lachen oder husten?“ „Iie.“ „Hatten Sie schon einmal eine Geschlechtskrankheit?“ „Iie.“ „Jemand aus Ihrem Verwandten – und Familienkreis?“ „ … iie.“ „Kam es schon einmal zu erhöhtem Blutverlust während einer Erregung?“ „ … iie …“ Ich merkte richtig, wie Kai immer kleiner wurde. Man konnte es geradezu sehen. Es war ihm verdammt unangenehm. Aber jetzt begann er irgendwie, mir Leid zu tun. Armer Kai. Wie würde das erst bei der Untersuchung aussehen? „Dann beginnen wir jetzt mit der Untersuchung. Wenn Sie sich dann bitte unten rum freimachen …“ Eigentlich hatte ich kein Problem damit, ihn nackt zu sehen. Das hatte ich schließlich schon einmal. Auch er hatte mich schon gesehen, er schämte sich auch nie vor mir und umgekehrt. Aber jetzt schämte er sich garantiert. Denn das war fast schon so, als würde ich ihm beim Sex zusehen. Schließlich würde dieser Kerl gleich sein Inneres abtasten … „Bitte einmal auf den Bauch legen. Wir bringen den etwas schmerzhafteren Teil zuerst hinter uns, in Ordnung?“, säuselte der alte Mann und zog sich einen Gummihandschuh an. Mein armer, armer Freund legte sich währenddessen auf den Bauch und biss sich schon mal vorsorglich in den Arm. „Achtung“, und schon verschwand sein Finger in Kais Öffnung. Irgendwie wurde mir gerade ein bisschen schlecht. Ich schaute deshalb lieber Kai ins Gesicht, als auf das direkte Geschehen. Kai hatte den Mund nur zu einem tonlosen Schrei geöffnet. Kein Wunder, der Arzt hatte seinen Finger ja nicht mal annähernd befeuchtet. Idiot. „Gleich vorbei, ich will nur schauen, ob irgendwo Verdickungen auftreten.“ Ja, der sah auch aus wie so ne Verdickung … „Gut, das war’s. Es folgt eine Untersuchung des entsprechenden Geschlechtsorgans, dann brauche ich eine Probe Ihres Urins und Ihres Samens.“ Und Kais Mund sah aus, als würde er sich ihn jeden Moment ausrenken. „Kai, ano … ich geh glaub ich dann in die Stadt, wir sehen uns, hai? Ich meld mich“, nuschelte ich, musste mir das Lachen verkneifen. Dann stand ich auch schon auf, ohne seinem bitterbösen und zugleich flehenden Blick Beachtung zu schenken. Ich hätte sowieso wieder lachen müssen. Als ich dann draußen war aus dem Behandlungszimmer, kicherte ich leise in meinen Hemdärmel. Ich ging ins Wartezimmer, holte meinen Mantel und kramte darin nach etwas Geld. Ich fand sogar noch genug, um davon ein paar Kaugummis zu kaufen! Also beschloss ich, doch lieber nach Hause zu gehen. Ich würde Kai von dort aus eine SMS schreiben, wenn ich ankam. Irgendwie war ich nun doch in der Stimmung, ein bisschen allein zu sein. Musste nun doch wieder ein paar Gedanken niederschreiben, wie ich es schon lang nicht mehr getan hatte. Und zwar nicht in Form eines Songtextes. Ich machte mich auf den Weg, lief durch die nassen, verregneten Straßen und beeilte mich so gut ich konnte, denn ich hasste Regen. Ob Kai das denn wohl ohne mich durchstand? Na ja, immerhin hatte er den schmerzhaften Part der ganzen Aktion überstanden. Als wenn er noch nie was größeres als einen Finger … Okay, darüber wollte ich gar nicht erst weiter nachdenken. So schnell ich jedoch rannte, der Weg schien ewig lang zu sein. Aber nach zwanzig Minuten hatte ich es dann endlich geschafft und ich stand vor der Haustür, schloss auf und zog mir im Flur sofort meine nassen Sachen aus. Ich fand es einfach nur widerlich. Ich streifte meine Schuhe ab, stellte sie ordentlich unter die Heizung und zog mir auch gleich meine nasse Hose aus. Ich hasste Regen! Also lief ich einfach in Shorts durch die Wohnung, suchte mir in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen und machte mir einen Kakao, mit dem ich dann in mein Zimmer verschwand. Ich würde wohl einen Zettel an die Tür hängen müssen, damit ich auch wirklich ungestört blieb. Kai war schon immer etwas überfürsorglich gewesen, kam öfters nach mir schauen oder fragte für meinen Geschmack etwas zu oft, ob es mir gut ging. Aber das war eben Kai. Und genau das machte ihn als besten Freund aus. Ich kramte nach einem Zettel, auf den ich schrieb, dass ich nicht gestört werden wollte und klebte ihn mit etwas Klebeband an die Tür außen. Dann verzog ich mich wieder in mein kleines Reich für vierzehn Tage, schaltete die kleine Lampe auf dem Schreibtisch an und setzte mich. Ließ mir noch einmal alles durch den Kopf gehen, was ich an ihn niederschreiben wollte. Sicher, ich würde niemals auf die Idee kommen, ihm wirklich zu zeigen, was ich schrieb. Dazu war es einfach zu persönlich, auch, wenn es vielleicht besser gewesen wäre, wenn er das ein oder andere erfahren hätte. Schließlich wusste er ja nichts von der Vergewaltigung … Und in diesem Moment nahm ich mir etwas vor. Ich würde nicht auf Kai hören. Diesmal nicht. Ich würde Aoi finden, mich bei ihm entschuldigen und versuchen, sein Vertrauen zurück zu gewinnen. Auch, wenn es wohl verdammt schwer werden würde. Und Uruha? Den wollte ich vergessen. Es gab nichts mehr, was mich an ihn band. Jedenfalls nicht in den Augen anderer und in seinen Augen. Aber ich? Das würde ich nun alles in Worte fassen. Also setzte ich den Stift an, begann einfach alles aus mir raus zu lassen, was ich mit mir herumtrug … Discharge »Du bist das, was ich einmal geliebt habe. Weißt du noch, wie es angefangen hat? Wir haben uns kennen gelernt, du warst nett und freundlich zu mir und ich war nett und freundlich zu dir. Du hast mir sehr geholfen am Anfang, weißt du? Du hast mir vieles gezeigt, vieles beigebracht und das, obwohl du mir so seltsam und arrogant erschienen bist. Aber genau das war es, was mich an dir fasziniert hat. Deine ignorante Art, deine Eitelkeit und dein Egoismus haben dich so verdammt attraktiv gemacht, dass ich kaum widerstehen konnte. Und was ich dir nicht alles gegeben habe. Es ist schon fast wieder unmenschlich, wie menschlich ich war. Aber du übertriffst wirklich alles. Hast mich nach Strich und Faden verarscht, hast mich ausgenutzt und dich auch noch darüber lustig gemacht. Aber hast du wirklich kein Gewissen? Kannst du nicht einmal ein kleines bisschen Reue empfinden? Oder bist du wirklich so eiskalt, wie du immer tust? Das glaube ich dir nicht. Du bist nicht so herzlos, wie du es gern sein würdest. Ich habe gesehen, dass du kurz nicht wusstest, was du sagen solltest, als ich dich auf dem Parkplatz angeschrieen habe. Als ich dir gesagt habe, was ich denke und fühle. Ich wünschte, ich hätte es nicht getan, weißt du das? Denn jetzt weißt du, dass ich dich nicht vergessen kann, dass du noch immer irgendwo in meinen Gedanken bist und dass diese Gedanken mir unglaublich wehtun. Du bist das größte Arschloch der Welt. Und zugleich das wundervollste.« Ich starrte gedankenverloren auf das Stück Papier vor mir, knüllte es dann zusammen und warf es im hohen Bogen in den Papierkorb. Ich hätte ihm diesen Brief so oder so niemals gegeben, ich hatte es einfach nur niederschreiben müssen … Denn eigentlich war es albern, so etwas zu schreiben. Er würde mich trotzdem auslachen, würde mich deshalb verspotten, würde sich lustig darüber machen. Ich kannte ihn. Aber ich hatte mit ihm abgeschlossen. War fest entschlossen, dass ich ihn vergessen würde, dass da nichts für ihn übrig bleiben würde, außer einer kleinen Erinnerung. Eine Erinnerung an mein erstes Mal mit einem Mann. Mehr nicht. Wieder musste ich lachen, war doch alles, was ich mit und wegen ihm erlebt hatte, so schön gewesen. Wahrlich, es war eigentlich eine schöne Zeit gewesen, voller Erfahrungen, die wertvoll für mich waren. Immerhin wusste ich jetzt, dass es nicht ratsam war, jemandem wie Uruha zu vertrauen. Ihm Zuneigung zu schenken. Ihm Liebe zu schenken. Nun wusste ich mehr. Ich stand auf, ging aus dem Zimmer und lauschte, ob Kai schon da sein konnte. Ich hörte den Fernseher im Wohnzimmer, also schloss ich daraus, dass er gerade vor der Mattscheibe hing. Ich hatte sowieso gerade Langeweile, deshalb gesellte ich mich zu ihm, schmiss mich schwungvoll neben ihn auf das Sofa. „Bist ja auch noch am leben. Was haste gemacht?“, fragte er mich mit einem Seitenblick, lächelte kurz und irgendwie war ich froh, dass er nicht nachfragte, wieso ich an meine Tür geschrieben hatte, er sollte nicht stören. Er wusste eben immer, wann es besser war, nichts zu sagen. Dann schaute er wieder auf seinen Krimi. Ja, Kai liebte eben Krimis. Nicht nur, dass er hunderte von Büchern in den Regalen stehen hatte, nein, er schaute auch noch jeden guten Krimi, den er im Fernsehen finden konnte. „Ach, nichts Besonderes. Hab an nem neuen Text geschrieben“, log ich, „aber er ist nichts geworden.“ Skeptisch hob er eine Augenbraue und schaute mich nun an, schüttelte mit dem Kopf. „Deine Texte können gar nicht schlecht sein, Ruki!“ Er war irgendwie zu niedlich, wenn er einem widersprach. Aber ich beließ es dabei, schaute zum Fernseher, wo gerade zwei Kommissare miteinander redeten und tüftelten. „Was schaust du da?“ „Irgendeinen Krimi, den ich schon mal gesehen habe“, antwortete er mir und ich war nicht sonderlich überrascht, schließlich musste er ja mittlerweile jeden Krimi auswendig kennen und mitsprechen können. „Bestimmt weißt du am Anfang des Films schon immer, wer der Mörder ist“, sagte ich matt und lachte, schaute ihn wieder an. „Manchmal“, gab er grinsend zurück, „aber dafür muss man logisch denken können! Ist ja nicht deine Stärke, ne?“ Das war fies. Grinsend nahm ich ein Kissen, welches kurz darauf elegant in seinem Gesicht landete. Aber er wehrte sich natürlich, es entstand ein kleines, spielerisches Machtspiel. „Gib auf!“ „Vergiss es!“, lachte ich und lag mittlerweile schon wieder unter ihm, zweifelte erneut stark daran, ob meine Größe wirklich sonderlich günstig für solche Sperenzchen war. „Seit gestern Nachmittag wird der junge Yuu vermisst, bisher haben die Behörden noch keine genaueren Hinweise oder Spuren auf den Aufenthaltsort des Jugendlichen finden können. Man geht jedoch davon aus, dass der Entführungszeitpunkt zwischen dreizehn und sechzehn Uhr gelegen haben muss. Zeugen berichten, den Jungen am frühen Nachmittag noch in der Innenstadt gesehen zu haben. Yuu’s Familie kann sich nicht erklären, wie es zu so etwas kommen konnte, ihr Sohn habe niemals wirklich Aufsehen erregt oder ähnliches. Wir bitten alle Zuschauer, unter der unten eingeblendeten Nummer alle Informationen an die Behörden weiterzugeben, die Sie haben. Wir danken Ihnen für die Mithilfe und hoffen auch für die Familie von Yuu, dass bald eine Spur gefunden wird.“ Mein Kopf wurde leer, mein Herzschlag verlangsamte sich, mein Hals wurde unglaublich trocken. Mit geweiteten Augen starrte ich auf den Bildschirm, war unfähig, mich zu bewegen und registrierte nichts mehr um mich herum. Einzig und allein sein Bild hatte ich vor Augen, sein Lächeln und sein Schimmern in den Augen, wie es damals, als ich etwas getan hatte, was ich nie wiedergutmachen konnte, erloschen war. „Ruki, ganz ruhig“, vernahm ich eine Stimme, doch sie war weit, weit weg von mir. Ich hörte sie kaum. Ich hörte nur noch das leise Schluchzen meiner selbst, spürte, wie mir heiß und kalt zugleich wurde. Was hatte ich getan? Ich hatte es nicht einmal wiedergutmachen können, hatte mich nicht entschuldigen können. Und nun? Nun war er gegangen. Wer wusste schon, ob für immer. Doch er war nicht mehr hier, nicht mehr in dieser Welt. Das war er schon nicht mehr gewesen, seit ich ihm das angetan hatte. Das, was ich nicht wieder hatte gutmachen können. Ich hasste mich dafür. „Ruki, du bist nicht Schuld, hörst du? Er kommt wieder, sie werden ihn finden! Hörst du, Ruki? Sie werden ihn finden, hai? Komm wieder zu dir, bitte! Sieh mich an!“ Die Worte klangen stumpf, monoton und ich wollte sie nicht hören. Ich konnte sie nicht hören. Sie klangen wie ein Echo, ein lügendes Echo, das mich verspottete. Mein bester Freund verspottete mich. Sein Echo verspottete mich. Die Welt verspottete mich. Vielleicht verspottete er mich auch? Vielleicht wollte er einfach, dass ich litt? So, wie er selbst gelitten hatte? Vielleicht war das alles gar nicht real? Gott, ich wollte, ich wäre an seiner Stelle. Ich wollte, ich könnte das alles ungeschehen machen. Ich wollte, ich würde an seiner statt leiden müssen. Denn er hatte bereits genug gelitten. „Jetzt hör doch auf, Ruki! Hör bitte auf zu weinen, hai?“ Mir war es egal, ob ich weinte. Oder ob ich schrie, ob ich mich wand unter seinen Versuchen, mich zu beruhigen, mein Zittern zu beruhigen. Mir war es egal. „Ich hab Schuld…“ Konnte er es nicht verstehen? Ich hatte Schuld. Wieso sagte er mir dann das Gegenteil? Wieso log er mich an? Ich hatte Schuld! Ich war dafür verantwortlich, dass ihm so viel Leid angetan wurde! ICH! „Verdammt, du sollst dich beruhigen!“ Dann ein stechender Schmerz auf meiner linken Wange. Er hatte mich doch tatsächlich geohrfeigt. „Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen! Du hast keine Schuld, verdammt noch mal! Du kannst nichts dafür, wenn irgendwelche Psychopaten durch die Stadt rennen und Jugendliche entführen, sonst was mit ihnen anstellen und sie nachher wohlmöglich umbringen! Vielleicht kommt es auch gar nicht so weit, vielleicht finden sie Aoi vorher! Hörst du?! Sie werden ihn finden, ganz bestimmt!“ „LÜGNER!“, schrie ich, ohne, dass ich es eigentlich wollte. Ich wollte ihn nicht anschreien, nein, er konnte nichts dafür. Aber ich, ich konnte es. Er war wegen mir so zerstört gewesen, ich hatte ihm das alles angetan. Und nun trug er so viel Leid mit sich, dass er schwach davon war. Alles meinetwegen. „Du bist nicht dafür verantwortlich, hörst du? Du hast keine Schuld, Ruki. Du bist nicht schuld, okay?“ Beruhigende Worte? Besänftigende Worte? Was wollte er mir damit sagen? Dass er genauso gut lügen konnte, wie ich …? „Kai, ich wollte mich doch bei ihm entschuldigen“, wimmerte ich leise, krallte meine zitternden Hände in sein Shirt, er lehnte noch immer über mir und schaute mich verwirrt an. „Er wird zurückkommen. Er wird gefunden werden und dann kannst du dich bei ihm entschuldigen“, sagte er wieder leise und zog mich hoch, nahm mich in den Arm. Still saßen wir einfach nur da, in seinem dunklen Wohnzimmer, das nicht weiter beleuchtet war, als vom Fernsehlicht, alles schwieg und tat es doch nicht, die ächzenden Geräusche vom Fernseher ließen mich müde werden. Es ließ mich so vieles müde werden. Müde von Worten, müde vom Denken und müde vom Leben. „Ich bin schuld …“ Zwei Tage später. Zwei unerträgliche Tage, in denen ich mir Sorgen machte um ihn. Gott, wie ich mich selbst dafür verachtete. Er musste sich so dreckig gefühlt haben und nun? Nun war nicht mal mehr jemand da, dem er sich anvertrauen konnte, der ihm half und auch ich war nicht da, um mich bei ihm zu entschuldigen. Stattdessen konnte er überall sein, wo auch immer, aber ich würde ihn nicht finden. Wir waren doch alle nur gottverdammte Japaner. Hatten alle Fehler an uns, hatten alle schon einmal Fehler gemacht, hatten alle schon einmal den Gedanken gehabt, es einfach zu beenden. Es war doch so. Und ich wollte es einfach nur noch beenden. Denn wieso sollte ich so weitermachen, wie bisher? Es gab keinen Grund mehr, mich so sehr zu quälen. Denn dieser Grund, der hatte mich verlassen. Ich würde mich doch nicht mehr wegen ihm quälen müssen, nicht? Nun war er doch fort, ich würde ihn nie wieder sehen. Würde ihn niemals mehr erreichen können. Selbst, wenn er noch hier gewesen wäre, hätte ich ihn niemals erreichen können. Seine Augen ließen mich nicht los. Seine unendlich traurigen, Hilfe suchenden Augen. Ich hatte ihnen das Licht genommen, schon damals. Er war blind gewesen, war nicht mehr imstande dazu, klar zu sehen. Nein, er hatte seine Liebe ab diesem Moment verloren und mich vergessen. Nicht mein Äußeres, nein, er hatte vergessen, wer ich wirklich gewesen war, wer ich wirklich war. Jener Tag hatte sein Leben so sehr verändert, indem er gesehen hatte, wie ich mich verändert hatte. Ich war nicht ich selbst gewesen, war nicht der Ruki gewesen, den er kennen gelernt hatte. An jenem Tag hatte er etwas in mir entdeckt, was er nicht hatte vergessen können und was ihm Angst gemacht hatte. Was er all die Zeit übersehen hatte. Das, was er an mir nicht geliebt hatte. Und genau dies war es, was ihn so weit von mir entfernt hatte. Es schmerzte so sehr, zu wissen, dass man nichts mehr tun konnte, um ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Gar nichts. So saß ich auf dem kalten Fußboden im Flur, hielt das halb durchnässte Papier in der Hand und starrte es einfach nur an. Mit demselben Ausdruck in den Augen, wie er ihn getragen hatte. Denn nun wusste ich, wie es war, etwas zu verlieren, was so wertvoll wie ein ganzes Leben war. Wie es war, einen geliebten Menschen zu verlieren. Es gibt für alles seine Zeit. Es gibt eine Zeit der Stille, des Schmerzes und der Trauer, aber es gibt auch eine Zeit der Dankbarkeit. Shiroyama Yuu 20. Januar 1979 – 9.10.2006 In stiller Trauer verbleiben … Was hatte ich mit ihm verloren …? Taion Ein Verstehen ist unmöglich … „Und du bist sicher, dass ich nicht noch mit hochkommen soll?“, fragte Kai leicht besorgt und versuchte sich an einem Lächeln. Gott, wie mitleidig es aussah. „Iie, ich schaff das schon, keine Sorge“, antworte ich gezwungen freundlich, obwohl ich ihn in diesem Moment hätte töten können. Mein Ego schien gewachsen zu sein. „Bin zwar klein, aber den Koffer schaff ich noch allein und die Aushilfsmama durftest du schon lang genug spielen.“ Ins Negative. „Gomen, ich wollte dir ja nur helfen“, nuschelte er dann und schaute weg, „aber ich verstehe schon, wenn du mich leid bist.“ „Stimmt nicht.“ Das war die Wahrheit. Ich wollte nicht zurück, aber ich musste gehen. Jeder musste einmal gehen. Wann wohl meine Zeit kommen würde? „Arigato.“ Er schaute sich um, sah zu, wie die vielen Autos auf die Parkplätze fuhren und die Schüler ausstiegen, manche zusammen mit ihren Eltern, manche aus einem Taxi. Gut zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der nicht von seinen Eltern gebracht wurde. Ob diese Schüler sich auch so minderwertig vorkamen? „Es dauert noch so lang bis zu den Weihnachtsferien“, nuschelte er wieder und schaute traurig, „und ich weiß doch noch gar nicht, was du dir überhaupt wünschst.“ „Kai“, nörgelte ich dann, „du weißt doch, dass ich nur ungern Geschenke annehme. Eigentlich sollte ich dich mit Geschenken überhäufen, um meiner Dankbarkeit wenigstens ein bisschen Ausdruck zu verleihen!“ „Dankbarkeit wofür?“ Baka. „Natürlich dafür, dass ich dir zwei Wochen lang auf die Nerven gehen durfte, wofür sonst? Ich kann mich ja nicht einmal bedanken, weil ich kein Geld für ein Geschenk habe oder so…“ „Weißt du“, sagte er und lächelte ein wenig, dennoch sah es etwas gequält aus, „das schönste Geschenk, was du mir geben kannst, ist einfach deine Freundschaft, Ruki. Ich brauche keine Geschenke, um zu wissen, dass ich für dich hoffentlich ein guter Freund bin. Und ich hoffe, dass es auch immer so bleibt, ne …“ Schön gesagt, Kai. Wollte er etwa, dass ich mitten auf diesem Parkplatz in Tränen ausbrach? War doch schon schlimm genug, dass ich wieder allein in diese traumhafte Schule zurückmusste. Dass ich meinen besten Freund schon wieder zurücklassen musste. Dabei wusste ich doch, wie schlecht es ihm manchmal erging. Wegen mir. Weil er helfen wollte und es nicht konnte. Weil er mich nicht verstand. Weil nicht mal ich selbst mich verstand. „Ich hab dich lieb.“, sagte ich kurzerhand und kniff in seine Wange, in seinen Mundwinkeln konnte ich die kleinen Grübchen erkennen, die er beim Lachen hatte. „Ich dich doch auch, Blondschopf!“ „Hey, nur, weil ich jetzt blond bin und du nicht“, protestierte ich und lachte einmal kurz auf. „Wer sagt denn, dass ich auch blond sein will?“ Ich hätte noch stundenlang mit ihm hier stehen können, lachen können und das, obwohl er mir schon manchmal auf die Nerven gegangen war in den zwei Wochen. Aber jetzt, hier, am letzten Abend der Ferien, hatte ich das alles schon wieder vergessen. Ich wollte nicht zurück. Nicht wirklich. Auch, wenn er mir auf die Nerven gegangen war ab und zu, aber an diesem Abend war es wieder wie immer. Doch der Abend dauerte leider nicht ewig, deshalb … „Also dann, Kai. Danke für alles, du wirst mir fehlen.“, murmelte ich leicht traurig und umarmte ihn. Wir mussten schon ein seltsames Paar abgeben, wie wir hier so standen, in einer Umarmung. Schließlich war ich ja viel kleiner als er und das krasse Gegenteil. Ich hatte mir die Haare wasserstoffblond gefärbt am letzten Ferientag und nun stach ich wohl noch mehr aus der Menge hervor, wie vorher. Und mir fiel in diesem Moment wieder ein, dass ich zurück musste. Dass ich wieder zur Schule musste. Ich hatte es nicht wirklich realisiert, als ich meine Koffer gepackt hatte, als ich im Auto gesessen hatte und selbst, als ich ausgestiegen war. Doch jetzt, wo ich hier stand, da fiel es mir auf. Da fiel mir auf, dass ich wieder allein sein würde. „Du wirst mir auch fehlen“, heulte er schon fast. Das machte mich wiederum irgendwie aggressiv. Lieber sollte er jetzt gehen, damit ich nicht auch noch in Tränen ausbrach … „Bis Weihnachten dann“, sagte ich und versuchte, zu lächeln, mich auf unser nächstes Zusammentreffen zu freuen und zu vergessen, dass ich die nächsten Monate allein sein würde. Allein. „Hai, bis dann.“ Es blieb eine kleine Träne auf seinem Gesicht, denn er schien zu wissen, dass es eine schier unendlich lange Zeit dauern würde, bis er mich wieder sehen konnte. Die Gänge kamen mir wieder so unendlich lang vor. Der Weg zur Schlüsselabgabe schien ewig zu dauern. Ob ich wieder mit ihm in ein Zimmer gehen würde? Ob ich dasselbe noch einmal durchmachen müssen würde? Denn das wollte ich garantiert nicht. Wie sehr ich doch auf ihn verzichten konnte. Dabei wollte ich doch nur zu einem einzigen Menschen … „Ruki?“, vernahm ich plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich blieb kurz vor der Tür zur Schlüsselabgabe stehen und drehte mich um, blickte in ein mir nicht ganz unbekanntes Gesicht. „Reita.“ Er schien überrascht darüber, wie kalt und nahezu feindselig ich meine Stimme klingen ließ. Er hatte mir nichts getan, aber dennoch war mein Hass auch auf ihn gestiegen. Dabei war er nicht einmal unfreundlich gewesen. Auch er blieb stehen, genau vor mir, und lächelte freundlich weiter. Ich hätte ihm am liebsten sein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, aber dann würde ich sicherlich das Zimmer, für welches ich mir eigentlich den Schlüssel hatte abholen wollen, nicht so schnell wieder sehen. War doch eigentlich gar keine so schlechte Aussicht … Oder? „Wie waren die Ferien? Hast du dich gut erholt?“ „Nein“, sagte ich prompt und schien ihn damit nur noch mehr zu überraschen. Er machte gerade ein ziemlich blödes Gesicht, denn mit meiner Antwort schien er nicht gerechnet zu haben. „Warum nicht?“, fragte er und versuchte, sein Lächeln auf den Lippen zu lassen. Er schien sich schwer damit zu tun. Verständlich, immerhin wusste er ja, wer ich war … „Vielleicht kommst du noch drauf“, meinte ich matt und schulterte meinen Rucksack neu, da er verdammt schwer war. Noch immer schien er nicht zu verstehen, was ich meinte. „Meinst du etwa immer noch die Sache mit Uru? Ist das nicht langsam Geschichte?“, er hatte fragend eine Augenbraue gehoben. Aber ich konnte darüber nur lachen. Wie naiv Menschen doch sein konnten. Wusste er nichts, oder wollte er einfach nur nicht das wahrhaben, worauf ich hinaus wollte? „Vergeben und vergessen, Reita. Ich bin keinem mehr böse, verstehst du?“, sagte ich dann ruhig, behielt das Lächeln im Gesicht. „Na, wurde auch Zeit! Wo hast du denn Aoi gelassen? Bist du nicht mit ihm gekommen?“, fragte er dann und schaute sich offensichtlich kurz um. Für seine Dummheit hatte ich nur ein müdes Lächeln übrig. Es konnte nicht sein, dass er davon nichts wusste. Mittlerweile war es knapp eine halbe Woche her, dass es in der Zeitung gestanden hatte. Tat er einfach nur so dumm, um mich verletzen zu können? „Oh, nein, ich dachte, du wohnst mit ihm auf einem Zimmer“, sagte ich fast schon spöttisch und grinste, sah dabei zu, wie er immer unsicherer zu werden schien. „Ach, dann kommt er sicher noch“, meinte Reita, „und Uruha ist schon oben. Soll ich dir noch helfen? Sieht ziemlich schwer aus, was du da hast.“ „Ich glaube, du hast mir schon genug Abhilfe verschafft, danke. Ich bin dann oben“, sagte ich daraufhin nur kühl, drehte mich um und lief weiter zur Schlüsselabgabe, um mich endlich auf mein warmes Bett im Zimmer schmeißen zu können. Dass Uruha dort sein würde, störte mich herzlich wenig. Alles störte mich herzlich wenig. Auch, dass Reita mich scheinbar wirklich nur verarscht hatte. Naiver Mensch. Ich war so schrecklich ignorant geworden. Ob das so gut für mich war? Immerhin tat ich gerade so, als würde mich nichts mehr auf der Welt wirklich bewegen, dass mich nichts mehr berühren konnte. Ich war noch nicht über Aois Tod hinweg, nein. Und ich war auch noch nicht über Uruha hinweg. Aber das alles schien mir mit der Zeit egal geworden zu sein. Der Tod war mir egal geworden. Ich wartete auf den Fahrstuhl, schaute mich dabei noch einmal um. Es sah alles genauso aus, wie zu Anfang. Wie damals, als ich das erste Mal diese Schule betreten hatte. Altmodisch eingerichtet, für meinen Geschmack total unpassend für ein Jungeninternat, und es roch noch immer nach altem Möbelholz. Für mich ein widerlicher Geruch, aber nun musste ich ihn wieder knapp drei Monate lang ertragen. Und würde ich diesmal ganz allein sein? Würde diesmal niemand mehr da sein, der sich ein ‚Freund’ nannte? Ich konnte mich noch an eine Zeit erinnern, da war jemand bestimmtes für mich da gewesen, war nett zu mir gewesen und hatte mir zumindest für eine kleine Zeit das Gefühl von Freundschaft spüren lassen. Dieser Jemand war nur noch ein paar Türen von mir entfernt, denn die Fahrstuhltür hatte sich geöffnet und ich trat auf den leeren Gang, schaute mich um. Ein paar Lampen an den Türen waren ausgefallen, die Nacht war dunkler als sonst, denn wir hatten Neumond. Ich würde die Nacht über nicht schlafen können. Auch das Licht neben unserer Zimmertür war ausgefallen und dieser Umstand trug nicht gerade dazu bei, mir einen fröhlichen und gemütlichen Abend allein in meinem Bett mit meiner Kladde auszumalen. Großartig. Ich zog den eben abgeholten Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss die Tür auf, drückte die Klinke herunter und trat ins Zimmer. Meinen Koffer stellte ich direkt an der Wand ab, meinen Rucksack schmiss ich einfach irgendwo in eine Ecke und ließ die Tür geräuschvoll zufallen. Das Zimmer war ebenfalls größtenteils dunkel, die einzige Lichtquelle war die Nachttischlampe eines der beiden Betten. Ich konnte mir denken, welche von beiden es war, aber ich schaute mit Absicht nicht hin, sondern zog mir erst einmal meinen Mantel aus, um ihn aufzuhängen. Die Schuhe beförderte ich ebenfalls in irgendeine Ecke des Zimmers, hatte vor einiger Zeit beschlossen, es meinem Zimmergenossen einfach gleichzutun. Mal sehen, wie lange ihm das passen würde. „Sagst du nicht mal mehr hallo, oder was?“, vernahm ich dann seine dunkle Stimme aus richtung Bett. Also schaute ich doch hin und was ich sah, ließ mich schlucken. Ich konnte nicht leugnen, dass er noch besser aussah, als er es vor den Ferien getan hatte. Seine Haare waren ein bisschen dunkler gefärbt und die blonden Strähnen stachen nun noch ein bisschen mehr hervor, denn auch sie hatte er scheinbar heller gemacht. Das alles ließ sich gerade noch in dem fahlen Licht der Nachttischlampe erkennen. Aber dennoch ging mir schon wieder auf die Nerven, wie er mit mir sprach … „Mann, ich bin gerade zur Tür rein, soll ich da freudestrahlend durch die Gegend hüpfen und mich freuen, wieder mit dir in einem Zimmer wohnen zu dürfen, oder was?“ „Ein einfaches ‚Hallo’ hätte es auch getan“, kam es nur schnippisch zurück und schon stand er auf, kam auf mich zu. Lächelnd. Arschloch. „Wie waren denn die Ferien bei dir? Haben uns ja nur … kurz gesehen …“, meinte er daraufhin bloß, schien sich nicht gern daran zurück zu erinnern. Ich mich auch nicht. „Sehr schön, wirklich sehr schön“, antwortete ich ihm, lächelte freundlich, „ich hatte wirklich ne Menge Spaß. Weißt du, ich hatte endlich einmal die Gelegenheit, so richtig zu entspannen und den ganzen Stress zu vergessen. Hoffe, du hattest auch die Gelegenheit?“ „Also waren sie für’n Arsch?“ Wie Recht er doch hatte. Aber das brauchte ihn doch am wenigsten zu interessieren, oder? Schließlich hatte er ja nicht gerade wenig dazu beigetragen. „So kann man es nennen, hai“, mit diesen Worten ging ich an ihm vorbei und schmiss mich auf mein Bett. Ich wollte einfach nur Ruhe vor ihm, vor allem, vor mir selbst, war das denn zu viel verlangt? „Dann erzähl doch einfach mal“, sagte er und setzte sich ans andere Ende meines Bettes, schaute mich mit neutralem Blick an. Man hätte meinen können, er wollte mich wieder auf den Arm nehmen. Mir wäre lieber gewesen, es hätte mich jemand in den Arm genommen … „Was willst du hören?“ „Was du so gemacht hast. Wieso deine Ferien so beschissen waren. Es sei denn, du willst mit mir nicht über sowas reden, weil du immer noch der Meinung bist, dass ich das größte Arschloch auf Erden bin.“ „Das bist du auch“, sagte ich sofort und grinste flüchtig. Aber mehr als das wollte ich zu dem Thema nicht sagen. Also fuhr ich fort. „Ich könnte dir sagen, wieso ich fast keine Nacht durchgeschlafen habe, wieso ich mich zwei Tage lang in mein Zimmer eingeschlossen habe und mein bester Freund sich Sorgen um mein Leben gemacht hat. Aber weißt du, ich kann es auch lassen, ne?“ „Du bist n Baka“, sagte er kurzerhand und lehnte sich zurück, schien es sich ein bisschen gemütlich zu machen. Das nervte mich an. „Fühl dich nicht zu wohl bei mir, Uru-chan …“ „Keine Sorge, solange du mich nicht so nennst, bin ich friedlich. Könntest aber trotzdem mal ein bisschen freundlicher zu mir sein, ne?“ „Wieso sollte ich?“ „Man beantwortet keine Fragen mit Gegenfragen.“ „Na und? Von dir habe ich auch nie Antworten bekommen.“ Er schwieg. Eine ganze Weile lang sagte niemand von uns etwas, wir blickten uns einfach nur an. Ob sein Blick nun feindselig, freundlich, ausdruckslos oder ähnliches war, konnte ich nicht sagen. Einfach undefinierbar. „Wir sollten ins Bett, es ist spät“, sagte er nach einer weiteren kurzen Zeit, er schaute mich jedoch nicht mehr an, sondern stand auf und ging zu unserer kleinen Küche. Dort holte er sich etwas zu Trinken aus dem Kühlschrank und leerte die halb leere Flasche in einem Zug. „Willst du auch was?“, fragte er mich, ich schüttelte den Kopf. Wusste nicht, was ich im Moment von der ganzen Situation halten sollte. Ich kam mir so unendlich allein und verlassen vor. Dabei stand doch die einst wichtigste Person für mich genau mir gegenüber und kam nun auf mich zu. „Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Ruki. So schrecklich können die Ferien nun auch nicht gewesen sein, oder? Ich meine, was ist denn passiert, dass du die ganze Zeit schon aussiehst, als hättest du deinen Lottoschein mit dem Jackpot nicht eingelöst?“ Also hatte er auch keine Ahnung? Oder tat er auch nur so unschuldig, wie Reita es getan hatte? „Langsam glaube ich wirklich, ihr kriegt nichts mehr mit, wisst ihr das? Ich hab jetzt keine Lust mehr, mich mit dir darüber zu unterhalten, ich … bin dann im Bad …“, meine Stimme drohte zu brechen und ich stand zitternd auf, machte mich auf den Weg in unser kleines Badezimmer. Uruha schien nun wirklich rein gar nichts mehr zu verstehen, schaute mich einfach nur an und sagte nichts. Aber sein Blick sagte mehr, als die Worte, die ihm vielleicht gerade im Kopf herumschwirrten. Er wusste wirklich von nichts, hatte keine Ahnung von dem, was sich in der Stadt vor einigen Tagen ereignet hatte. Ich verstand es nicht. War er blind? „Ist es wegen Aoi?“ Und mein Herz schien für einen Schlag auszusetzen. War also doch ich blind gewesen? Hatte ich die ganze Zeit etwas Falsches in den Augen der anderen gesehen? Was hatte es zu bedeuten, dass niemand darüber sprach? Nicht vor mir? Wenn sie doch den Grund kannten … „Weiß Reita davon?“, fragte ich, statt eine Antwort zu geben und blieb im Türrahmen stehen. Uruha schien einen Moment lang nachzudenken, antwortete aber dann. „Hai, natürlich weiß er das“, sagte er leise und seufzte. Also hatte er mich auch nur wieder verarscht. Wie es sonst auch jeder immer nur getan hatte. Wieso nur war ich erneut der Überzeugung, dass jeder, der mich heute schon hier angesprochen hatte, mich nur auf den Arm genommen hatte? Dass sie alle nur nett zu mir waren, weil sie ein Geheimnis aus seinem Tod machten, dass sie nicht wollten, dass ich darüber redete, dass sie alle zu feige waren, es auszusprechen, war ein Grund dafür, wieso ich die erste Träne vergoss. Ich konnte mich nicht länger wehren. Meine Füße trugen mich beinahe schon von selbst ins Badezimmer, ich schloss unbewusst die Tür hinter mir und stand in der Mitte des kleinen Raumes, starrte einfach nur auf den weißen Fliesenboden. Alles, was ich in den letzten paar Wochen erlebt hatte, kam hoch. Erinnerungen an kleinste Dinge, die ich getan hatte. Ich hob meinen Finger und betrachtete den winzigen, verkrusteten Schnitt, den ich mir beim Sortieren meiner voll geschriebenen Blockpapiere zugezogen hatte. Dann das kleine, schwarze Reiskorn, das ich beim Essen mit Kai in meiner Portion gefunden hatte, die kleine Stubenfliege, die seit geraumer Zeit in Kais Gästezimmer gehaust hatte. Alles Dinge, die ich nie wirklich wahrgenommen hatte. Und da fiel mir auf, dass ich vielerlei Dinge nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit wahrgenommen hatte, wie ich es eigentlich hatte tun sollen. So vieles musste ich doch übersehen haben, was wichtig gewesen war. Die kalten Fliesen unter mir jagten kleine Schauer durch meinen Körper. Mein Rücken, bedeckt nur mit einem dünnen Stück Stoff, lehnte an der Wand neben der Badewanne und meine nackten Füße schienen die Kälte wie ein Leiter in meinen Körper zu befördern. Nicht nur meine Haut war wieder gefroren, nein, auch meine Seele schien sich langsam wieder zu verschließen. Durch eine dichte Eisschicht, die sich darum legte und all meine Empfindungen in mir einschloss. Ich war mir sicher, in diesem Moment gerade, war ich nicht fähig, zu empfinden. Meine Gedanken jedoch überschlugen sich im nächsten Moment, denn die kurze Stille in mir und um mich herum schien nur die Ruhe vor dem Sturm gewesen zu sein. All das, worüber ich so wenig nachgedacht hatte, all das, was trotzdem so wichtig gewesen war, kehrte als endloses Gefühl der Schuld in mich zurück. Was seine Augen ausdrückten, als er unter mir gelegen hatte. Was er mir vielleicht hatte sagen wollen. Die kleinen Perlen auf seinen blassen Wangen, die mir etwas hatten sagen wollen. Es waren die kleinen Dinge, die die Menschen übersahen. Aber genau diese Kleinigkeiten gehörten meist zu den bedeutsamsten aller Dinge. Ich schloss die Augen, spürte, wie heiße Tränen mir über die Wangen liefen. Nahm nichts mehr um mich herum wahr, hatte nur noch ein Bild vor Augen. Sein Bild. „Ich hab es umgebracht, nicht wahr?“, vernahm ich seine leise Stimme, „ich hab es sterben lassen. Weil ich so viel falsch gemacht habe, hab ich Recht?“ Zwei Arme, die meinen schwachen Körper umschlangen, seine Gestalt zog mich an sich und ich fror nicht mehr. Nein, jetzt fror ich nicht mehr. Denn jemand hielt mich in seinen Armen. Auch ich schlang die Arme um ihn, zog ihn an mich und schluchzte leise, jedoch unbewusst. Ich öffnete die Augen einen kleinen Spalt und vernahm seinen Geruch, seine blonden Strähnen fielen mir ins Gesicht und ich musste die Augen wieder schließen, wollte den Moment genießen, in dem er zu mir zurückgekommen war. Aber was meinte er damit? Was hatte er umgebracht? Was hatte er sterben lassen? Und was hatte er falsch gemacht? War ich es nicht gewesen, der so vieles falsch gemacht hatte? Was ich an ihm hatte sterben lassen? Was also sollte er mir genommen haben …? „Dein Lächeln …“, sagte seine sanfte Stimme und eine Hand streichelte meinen Rücken, wärmte mich. All meine Gefühle schienen mit einem Mal zurückzukehren, das Eis um meine Seele schmolz und bildete kleine Tränen, die meine Augen unaufhaltsam verließen. Alles, was ich sah, war sein Bild und wie er mich gerade in den Armen hielt. Nun war mir alles egal, außer diesem einen Moment. Dieser Moment, der für mich zählte. Der, in dem ich endlich glauben konnte, dass Liebe bis weit über den Tod hinausging. Denn er hielt mich in seinen Armen, gab mir Wärme und schenkte mir mein Lächeln zurück. „Ich liebe dich, Aoi …“ Epilog: The End of The End Glory, Free, Treasure... Jetzt war es wohl zu Ende. Gestern hatte ich erfahren, dass er von der Schule gegangen war, ganz plötzlich, mit der Begründung, seine Eltern würden umziehen und er würde sonst nicht nach Hause können. Ich wusste, dass es anders war. Er hatte während der Schulzeit keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt. Er war in den Ferien nicht bei ihnen gewesen. Und er würde auch jetzt nicht bei ihnen sein. So plötzlich war er gegangen, und ich hatte nicht einmal Zeit gehabt. Keine Zeit mehr, um ihn zu verabschieden. Mit ein paar lächerlichen Worten, die ich ihm eigentlich hätte entgegenbringen sollen. Aber ich war zu feige gewesen... "Morgen, Uruha." "Morgen, Reita." "Hast du Mathe gemacht?" "Seh ich so aus?" "Schlechte Laune?" "Ich hab nur schlecht geschlafen." "Warum? Mondsüchtig?" "Nein." "Ach so." "Was haben wir heute in der ersten Stunde?" "Kunst." "Kunst?" "Ja." "Oh..." "Was denn?" "Nichts." "Woran denkst du?" "Nichts." "Sag mal." "Warum?" "Ich weiß schon, wieso." "Warum fragst du dann?" "Hat mich nur interessiert." "Wenn du es eh schon weißt?" "Stimmt." "Ich hasse Kunst." "Weiß ich. Wegen damals, ne? Nach der Kunststunde." "Ich weiß nicht, wovon du redest." "Du vermisst ihn, ne?" "Wen?" "Den Kleinen." "Nein." "Tu nicht so." "Mach ich gar nicht." "Doch." "Nein!" "Und warum heulst du dann gleich?" "Bin noch müde und hab gegähnt..." "Ja, ja." "Was willst du von mir?!" "Nichts." "Egal." "Nein, nicht egal." "Natürlich ist er mir egal!" "Ist er nicht." "Warum sollte es bei ihm anders sein, als bei den anderen?!" "Weil es dir Leid tut." "Warum...?" "Ist das nicht offensichtlich?" Natürlich, was hatte ich denn auch erwartet? Reita war ein Arschloch. Er mochte manchmal wirklich verdammt dumm sein. Aber er war nicht blind ... © Epilog: The End of The End -------------------------- Glory, Free, Treasure... Jetzt war es wohl zu Ende. Gestern hatte ich erfahren, dass er von der Schule gegangen war, ganz plötzlich, mit der Begründung, seine Eltern würden umziehen und er würde sonst nicht nach Hause können. Ich wusste, dass es anders war. Er hatte während der Schulzeit keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt. Er war in den Ferien nicht bei ihnen gewesen. Und er würde auch jetzt nicht bei ihnen sein. So plötzlich war er gegangen, und ich hatte nicht einmal Zeit gehabt. Keine Zeit mehr, um ihn zu verabschieden. Mit ein paar lächerlichen Worten, die ich ihm eigentlich hätte entgegenbringen sollen. Aber ich war zu feige gewesen... "Morgen, Uruha." "Morgen, Reita." "Hast du Mathe gemacht?" "Seh ich so aus?" "Schlechte Laune?" "Ich hab nur schlecht geschlafen." "Warum? Mondsüchtig?" "Nein." "Ach so." "Was haben wir heute in der ersten Stunde?" "Kunst." "Kunst?" "Ja." "Oh..." "Was denn?" "Nichts." "Woran denkst du?" "Nichts." "Sag mal." "Warum?" "Ich weiß schon, wieso." "Warum fragst du dann?" "Hat mich nur interessiert." "Wenn du es eh schon weißt?" "Stimmt." "Ich hasse Kunst." "Weiß ich. Wegen damals, ne? Nach der Kunststunde." "Ich weiß nicht, wovon du redest." "Du vermisst ihn, ne?" "Wen?" "Den Kleinen." "Nein." "Tu nicht so." "Mach ich gar nicht." "Doch." "Nein!" "Und warum heulst du dann gleich?" "Bin noch müde und hab gegähnt..." "Ja, ja." "Was willst du von mir?!" "Nichts." "Egal." "Nein, nicht egal." "Natürlich ist er mir egal!" "Ist er nicht." "Warum sollte es bei ihm anders sein, als bei den anderen?!" "Weil es dir Leid tut." "Warum...?" "Ist das nicht offensichtlich?" Natürlich, was hatte ich denn auch erwartet? Reita war ein Arschloch. Er mochte manchmal wirklich verdammt dumm sein. Aber er war nicht blind ... © ~*~*~*~*~*~ Nachwort Ich habe nun fast ein halbes Jahr für diese Fanfiction gebraucht. Sie ist die einzige FF, die ich wahrscheinlich vermissen werde, jetzt, wo sie nun abgeschlossen ist. Die Zeit, an ihr zu schreiben, war zwar manchmal ziemlich schwer und kompliziert, weil ich einige Hänger hatte, aber dennoch konnte sie abgeschlossen werden. An dieser Stelle möchte ich meinen Dank aussprechen. Danke... -an meine Betaleser (Losti, Chi, Karirin - Ich hab euch LIEB!) -an meinen PC (dass er NUR bei den beiden wichtigsten Kapiteln der Fiction abgestürzt ist und ansonsten prima durchgehalten hat...) -an meine "Vor-Leser" Ruki, Chi und natürlich ReiRei, die einige meiner Kapitel überflogen und mir ihre Meinung dazu mitgegeben haben (Ich hab euch LIEB!) -an meine vielen Lieblingsbands, die so tolle Lieder geschrieben haben, welche mich so sehr inspiriert haben -an meine Mama, die mich immer wieder dazu animiert hat, weiterzuschreiben (wenn ich kreischend über einen neuen Kommentar durch die Wohnung gerannt bin und sie gesagt hat "Hör auf zu schreien und geh wieder weiterschreiben!")... ...womit wir bei dem allergrößten DANKE wären, welches ALL MEINEN LESERN UND KOMMISCHREIBERN GILT! Ich danke Euch... -für über 100 Kommentare -für Eure Kritik und auch Euer Lob an meiner Story und auch an mir als Autor -für Eure Lesertreue -für die Inspiration, die Kraft und die Freude, die Ihr mir gegeben und beschert habt und die mich dazu angespornt hat, weiterzuschreiben -für die vielen Anfragen, Bitten und Danksagungen, die Ihr mir geschrieben habt. Danke! baibai, Euer Uru-chan (cuTevOmiT) ---------- Womit das Ende beendet wäre... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)