Parasitäre Lebensform von Elster (Schuldig & Aya) ================================================================================ Kapitel 15: Symbiose -------------------- Was war nur mit der Welt los? Wie konnte denn ein einziger simpler Plan so nach hinten losgehen? Richtig, es hatte Gründe, warum Schwarz nie Erzeugnisse der BANG Inc. benutzt hatte... Warum fiel ihm das eigentlich erst jetzt wieder ein? Scheiße, das war es doch! Er war klitschnass und fror erbärmlich. Ein Zustand, der Schuldig verdammt bekannt vorkam. Nur, dass es vor einer knappen Woche noch nicht ganz so kalt gewesen war. Schön, diesmal tat ihm nichts Bestimmtes weh - eher sein ganzer Körper. Er hatte es so satt! Irgendwas lief doch wohl extrem falsch in seinem Leben. Beschissener Fluss, diese verdammte Jaucherinne... So langsam fing Schuldig an, Wasser zu hassen. Er schulterte die Sporttasche, die er aus der abgesoffenen Limo gezogen hatte. Die richtige Tasche. Toll, fünf Millionen und er lief hier nass durch die Stadt. Oh Gott, er musste wahrscheinlich schon froh sein, dass er wieder in Tokyo war! Er hatte ja schon lange den Verdacht, dass ihn irgendjemand da oben hasste, aber als Kaikes schwarzer Lieferwagen, den er mit Mühe und Not von den Resten der Brücke bekommen hatte, kurz vor Tokyo liegengeblieben war, war er sich ganz sicher gewesen, dass Farf mit seiner Meinung von Gott verdammt richtig lag. Kein Benzin mehr. Schuldig hätte denjenigen, der da vergessen hatte zu tanken, liebend gern eigenhändig erwürgt. Es musste jetzt drei, vielleicht vier sein, aber es waren immer noch Leute auf der Straße. Leute die ihn komisch ansahen. Er hasste sie alle. Die gehörten bestimmt auch zu denen, die ihr Auto nie voll tankten. Die Welt war schlecht. Als er endlich in dem Hotel ankam, versuchte der Page auch noch aufzumucken. Was war das denn für ein versnobtes Hotel, wo man nicht mehr eingelassen wurde, nur weil man mal in schlammigen Industrieabwässern gebadet hatte? Wenn er nicht so müde gewesen wäre, hätte er sich noch Zeit genommen, diesem Bengel Schmerzen zuzufügen. Aber so wie es aussah, konnte er wegen dem Zähneklappern kaum sprechen und gar nicht so schnell zittern, wie er fror. Also bestach er diese weitere Strafe Gottes nur mit einer Banknote aus der Tasche und konnte dann ungehindert hinein. Dann war er endlich im Zimmer. Es war aufgeräumt worden. Das Bett war gemacht, es standen frische Blumen auf einem der Beistelltischchen und die Einkaufstüten waren wieder in Reih und Glied aufgestellt worden. Schuldig hasste es. Er warf die schlammige triefnasse Tasche in hohem Bogen auf die hell beige Couch und sah mit einer gewissen Befriedigung zu, wie ein Schwall des braunen Wassers auch noch den Sessel traf und sich die Polster mit der Brühe voll sogen. Als er in Richtung Bad schlurfte, fiel sein Blick auf seine Füße. Das schmutzige Wasser tropfte an ihm herunter auf den hellen Hotelteppich. Er musste an Ran denken. Sein Welthass bekam Risse. Ran war nicht mehr da gewesen, als er endlich wieder auf der Brücke gestanden hatte. Er konnte ihn nicht erreichen, war aber auch viel zu fertig, um es gezielter zu versuchen. Nein, Ran war weg gewesen, und er konnte nur hoffen, dass es ihm gut ging. Aber wäre er dann nicht noch da gewesen? Hätte er dann nicht nach ihm gesucht? Ach Scheiße, wahrscheinlich hatten diese bekloppten Weiß ihn mitgenommen und waren dann einfach abgehauen. War ja in Ordnung, er konnte ja sehen, wie er zurück nach Tokyo kam - mit einem Auto, das nur zu Weihnachten betankt wurde. Ran hätte das sicher nicht zugelassen. Irgendwie hatte Schuldig gehofft, dass er hier wäre - aus welchem Grund auch immer... er wusste selbst, dass das verdammt unwahrscheinlich war. Er gab dem schönen antiken Sekretär im Vorbeigehen einen Tritt. Es wäre bestimmt beruhigend gewesen, ein paar Möbel zu zerschlagen, aber erst mal musste er aufhören zu zittern. Also ging er ins Bad und stellte sich so lange unter das warme Wasser der Dusche, bis er seine Finger wieder spürte und er gewillt war, Wasser nicht mehr allgemein als seinen persönlichen Feind zu sehen. Kaltes Wasser aber schon. Damit wollte er nichts mehr zu tun haben. Nach einer großzügigen Portion Shampoo roch sein Haar auch nicht mehr nach diesem seltsamen Flusswasser. Er drehte den Regler noch ein bisschen höher und ließ sich das fast schon heiße Wasser auf den Kopf pladdern. Dann wurde ihm bewusst, wie müde er war, und er beschloss, dass die Hotelmöbel noch einmal Glück gehabt hatten. Er wollte nur noch schlafen. Er hätte gern ein, zwei Kopfschmerztabletten gehabt, wahlweise auch eine von den netten Antidepressiva, die er samt seiner anderen Sachen in Ayas Haus zurückgelassen hatte. Ihm wären auch Placebos recht gewesen, Medikamente hatten immer so eine beruhigende Wirkung. Er stellte das Wasser ab, wrang seine Haare aus, um nicht allzu sehr zu tropfen und trocknete sich dann nachlässig ab, bevor er aus dem Bad wankte und ins Bett fiel. Es roch nach Pfirsichblüte. Sie hatten es frisch bezogen. Er hasste dieses Hotel. Aber in einigen Stunden würde er Ran wiedersehen. Das war gut. Er zog sich die Decke über den Kopf, weil das Licht im Zimmer immer noch brannte, und schlief ein. ~*~ Aya wählte eine Nummer und hörte das Tuten in der Leitung, das scheinbar gar kein Ende nehmen wollte. Ein Knacken machte sich bemerkbar, gerade als ihm einfiel, dass es ja noch früher Vormittag war und bei Aya-chan somit mitten in der Nacht. Eine verschlafene Stimme meldete sich mit einem undefinierbaren Laut. "Aya? Bist du's?" "Ran?" Ein unterdrücktes Gähnen. "Schön, dass du anrufst. Ich hab mir schon Sorgen gemacht." "Hm, ja. Entschuldige, mir ist eben erst eingefallen, wie früh es ist. Ich ruf dich besser später noch mal an.", sagte er zerknirscht, weil er sie geweckt hatte. "Nein, nein, ist schon gut. Wehe, du legst auf." "Na ja, aber..." "Nichts aber." Sie klang immer noch müde, schien aber langsam wirklich wach zu werden. "Du kannst mich nicht einfach um drei aus dem Bett klingeln und dann erwarten, dass ich neugierig wieder schlafen gehe. Außerdem hab ich ja wohl für mein Leben genug geschlafen, also sag mir lieber, was los ist. Ich hab vorgestern versucht, dich anzurufen, aber ich bin nicht durchgekommen. Stimmt irgendwas mit deinem Telefon nicht?" "Es ist kaputt.", sagte er ohne jede Ironie, entschied sich dann aber für die Wahrheit. "Das Haus auch." "Wie ist denn das passiert?", fragte sie erschrocken nach. "Ein Unfall.", erwiderte er ausweichend. Jetzt, wo er mit ihr sprach, wusste er gar nicht, ob er ihr überhaupt von dem Ganzen erzählen sollte und wenn doch, wo er anfangen sollte. "Ich glaub dir kein Wort. Hat es irgendwas mit Weiß zu tun? Du willst dich doch nicht wieder in so etwas verwickeln lassen?" Sie klang ernst und besorgt. "Nein.", sagte er wahrheitsgetreu. Irgendwie musste aber doch noch etwas in seiner Stimme mitgeschwungen haben, denn Aya wurde hellhörig. "Aber?" So war es immer gewesen. Sie hatte ein fast schon unheimliches Gespür dafür, wann er versuchte, ihr etwas zu verschweigen. "Nun rück schon damit raus, was dich so erschüttert hat, dass du vergisst, wie spät es ist und hier mitten in der Nacht anrufst.", drängte sie ihn. "Es hat nicht zufällig etwas mit Schuldig zu tun?" Aya blinzelte überrascht. Dann fiel ihm ihr letztes Gespräch wieder ein und dass er ihr ja versprochen hatte, ihr zu erklären, warum Schuldig bei ihm wohnte - gewohnt hatte besser. "Hast du Zeit?", wollte er wissen. "Ja, klar, heute ist doch Sonntag und um diese Urzeit mach ich mir nie Termine. Also fang schon an. Du klingst, als hättest du eine ziemlich anstrengende Woche gehabt." Aya lächelte etwas schief und begann, ihr von Montag an zu erzählen, wobei er viel ausließ und immer wieder von seiner Schwester ermahnt wurde, sich nicht alles aus der Nase ziehen zu lassen. Er fragte sich oft, ob es richtig gewesen war, ihr nachdem sie aufgewacht war, die Wahrheit über sich zu sagen. Wahrscheinlich war es das nicht, vielleicht hätte er sie gar nicht wiedersehen sollen, aber es war anders gekommen. "Ran, du weißt wirklich, wie man sich das Leben schwer macht.", seufzte sie, als er fertig war. "Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht so genau, was du jetzt von mir hören willst." "Ich weiß auch nicht.", meinte Ran nach einer Weile. "Es ist kompliziert..." Aya schnaubte nur missbilligend. "Nichts ist kompliziert. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Hör auf zu denken. Das führt bei dir immer nur zu einem großen schwarzen Wirrwarr. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist. Und Weiß mag gut für die Welt sein, aber für dich sicher nicht. Schuldig ist gut für dich. Okay, er macht dich wahnsinnig, aber du klingst glücklicher, wenn du dich über ihn beschwerst." Ran schwieg einen Moment und nickte dann, obwohl Aya das natürlich nicht sehen konnte. "Ich mache mir Sorgen um ihn.", sagte er zusammenhangslos. Er war selbst überrascht, irgendwie hatte er einfach gesprochen, ohne nachzudenken. Aya seufzte leicht. "Kann ich verstehen... aber du kannst nichts tun, oder?" "Ich hasse das.", meinte er düster. "Was? Nichts tun zu können?" "Auch. Aber vor allem nervt es mich, dass ich mir Sorgen um ihn mache." Aya-chan lachte nur. "Echt, du bist so gefühlsgestört, Brüderchen. - Aber du kriegst das hin.", sagte sie dann ernster. "Ich geh jetzt noch ein paar Stunden schlafen. Viel Glück." "Nacht.", sagte Ran noch in das Tuten der Leitung, bevor er auflegte. Du kriegst das schon hin? Viel Glück? Was sollte er denn damit anfangen? Er konnte sich nicht helfen, irgendwie fühlte er sich verraten. Was hatte er sich von diesem Gespräch eigentlich versprochen? ~*~ Schuldig langweilte sich. Das war nie gut. Langeweile war etwas, womit er überhaupt nicht klar kam. Und in diesem Hotelzimmer gab es schlicht und einfach nichts zu tun. Er steckte sich eine neue Zigarette an und legte eine weitere Reihe Geldscheine auf den Teppich. Die Dinger waren in der Tasche zusammengepappt und er hatte sie erst mal in der Wanne einweichen müssen. Außerdem: Wer sagte, dass Geld nicht stinkt, hatte wahrscheinlich noch nie fünf Millionen aus einem schlammigen Fluss gezogen. Es war zumindest eine schön geisttötende Beschäftigung. Und irgendwie musste er sich ja beschäftigen. Es könnte immerhin sein, dass Ran herkam. Und wenn nicht, hatte er immer noch zwei Stunden, bis er am Flughafen sein musste. Zwei endlose Stunden. Voll mit grünen Präsidenten. Irgendwie machte Kettenrauchen auch nur halb soviel Spaß, wenn sich niemand darüber aufregte. Er hatte versucht, ihn mental zu erreichen, aber jemanden im Gewimmel der tokyoer Gedanken zu finden, war beinahe unmöglich und außerdem konnte er sich nicht richtig konzentrieren. Das lag wahrscheinlich vor allem an seinem brummenden Kopf und dem Niesen. Er hatte nicht unbedingt das, was man als eiserne Gesundheit bezeichnete und kilometerweit nass durch die Kälte laufen, war sowieso nie eine gute Idee. Die Reihe war fertig und er holte sich eine neue handvoll Scheine aus der Wanne. Er war fast fertig mit Geld waschen... Und was sollte er dann machen? Packen brauchte er nicht. Fast alle Sachen waren noch in den Tüten. Hm, vielleicht sollte er doch einen Koffer kaufen... gab es so was auf Flughäfen? Als er fertig war und der größte Teil des Zimmers mit grünen Scheinen ausgelegt war, bestellte er sich eine Pizza. Ihm war irgendwie nicht nach Kellnerärgern. Allein machte das keinen Spaß. Musik hören wäre nicht schlecht gewesen, aber er hatte nichts hier. Vielleicht sollte er doch noch mal in seine Wohnung fahren, um ein paar Sachen zu holen. Andererseits hatte er das dumpfe Gefühl, dass Kaikes Leute nicht so ganz glücklich über den Ausgang der letzten Nacht waren und möglicherweise dort auf ihn warteten. Und er fühlte sich gerade wirklich nicht danach, sich mit so was auseinander zu setzen. Drei Zigaretten später kam die Pizza Er aß sie nur halb, ein sicheres Zeichen, dass er krank war. Nach dieser Feststellung lauschte er noch eine Weile in sich hinein und fühlte sich gleich noch ein wenig schlechter. Er schlug also noch ein bisschen Zeit tot, indem er sich selbst bemitleidete, aber das wurde ihm schnell zu albern und er beschloss, jetzt gleich zum Flughafen zu fahren und sammelte das Geld ein. ~*~ Aya hatte nichts zu tun. Und er hasste es. Er hatte Yohji und dessen mehr oder weniger dezente Hinweise auf ärztliche Ratschläge von wegen ruhig liegen bleiben sowie seine Kopfschmerzen ignoriert und war aufgestanden. Stundenlang sinnlos im Bett herumzuliegen war definitiv nichts, wozu man ihn gewaltlos bringen konnte, solange er bei vollem Bewusstsein war. Daran hatte sich dann auch Yohji erinnert und es einfach aufgegeben. Aya war einfach der Alptraumpatient und Yohji fühlte sich auch nicht gerade zur Krankenschwester geboren, sodass er Aya nur zwei Aspirin gegeben hatte, die dieser eher widerwillig als dankbar annahm. Jetzt saß Aya im Blumenladen, sah Yohji, Ken und Omi dabei zu, wie sie arbeiteten, sah den Mädchen zu, wie sie überall herumstanden und quatschten und kicherten. Omi war größer geworden, ansonsten hatten sie sich aber kaum verändert. Sie hatten sich gefreut, als er heruntergekommen war, hatten ihn begrüßt und versucht, ihn wieder ins Bett zu schicken. Irgendwie hatte er das vermisst. Er hatte die drei vermisst, die jahrelang seine Familie gewesen waren und irgendwie auch die Arbeit in dem Blumenladen, selbst wenn ihm die trügerisch entspannte Atmosphäre oft auf die Nerven gegangen war. Und vielleicht hatte er sogar die unvermeidlichen Mädchen vermisst, die ja fast schon zum Inventar gehörten. Vielleicht. Er schnaubte unwillig. Was war das für eine seltsame Abschiedsstimmung? Deshalb hasste er es, wenn er nichts zu tun hatte: Er wurde sentimental und es gab nichts, was er dagegen tun könnte. Er hatte nichts zu packen. Die Sachen, die er anhatte, hatten die anderen ihm gegeben. Hier im Laden war auch nichts zu tun. Aber er musste sowieso bald los. Vor einer Stunde hatte er sich nach langem Zögern dazu durchgerungen, im Hotel anzurufen. Am anderen Ende der Leitung hatte man mit Auskünften gegeizt, aber so wie es aussah, war Schuldig da gewesen und ausgezogen. Ran war so erleichtert über dieses Lebenszeichen gewesen, dass er sich entschlossen hatte, seine Zweifel Zweifel sein zu lassen und es zu versuchen. Er wollte ja den Teufel nicht an die Wand malen, aber da war doch irgendwas... Liebe vielleicht... oder so was in der Art... Trotzdem saß er jetzt hier und zögerte seinen Aufbruch hinaus. Ein Entschluss war schnell gefasst, aber auch danach zu handeln, konnte mitunter kraftraubend sein. Warum fiel ihm das so schwer? Er verstand sich selbst nicht. Aber je länger er darüber nachdachte, desto unsicherer wurde er wieder, und schließlich lenkte er sich wieder ab, indem er die Leute im Laden beobachtete. Er hatte sich gerade entschlossen, jetzt endlich zum Flughafen zu fahren, da wurde seine Aufmerksamkeit plötzlich auf drei Männer gelenkt, die den Blumenladen betraten. Sie hoben sich von der gewohnten Kundschaft so stark ab, dass man sie automatisch bemerkte. Sie trugen schwarze Anzüge, unter deren Jacketts schwarze Hemden und schwarze Krawatten nicht wirklich einen abwechslungsreichen Kontrast bildeten. Als sie den Laden betreten hatten, hatten sie mit einer wie jahrelang einstudiert wirkenden, routinierten Bewegung synchron die Hüte abgenommen. Es schien ihnen nicht besonders viel auszumachen, dass jeder im Raum sie irritiert anstarrte. Wahrscheinlich waren sie der festen Überzeugung, Eindruck zu machen, allerdings wirkten sie eher lächerlich. Aya beobachtete, wie auch die anderen die Neuankömmlinge mit misstrauischen Blicken beobachteten. Einer von ihnen wandte sich an Ken und schien ihn etwas zu fragen, der daraufhin in Ayas Richtung zeigte. Der Anführer der drei Schwarzgekleideten schaute kurz zu ihm hinüber, dann nickte er Ken knapp zu und kam auf ihn zu, die anderen zwei im Schlepptau. "Sind Sie Fujimiya Ran?", fragte er in bester Hollywood-Manier. Aya nickte nur irritiert. Er fragte sich am Rande, was das für Figuren waren und was sie von ihm wollen könnten. Es klärte sich auf, als einer von ihnen ihm eine Visitenkarte hinhielt. Aya lehnte sich leicht vor und warf einen Blick darauf. Irgendwas Insurance. Die Leute waren also von seiner Versicherung. Oh. Er hatte weder Lust noch Zeit, sich jetzt mit Versicherungsdetektiven herumzuschlagen, aber diese ließen ihm da keine Wahl und begannen, ihm irgendwas von verdächtigen Umständen in Zusammenhang mit den Schäden an seinem Haus zu erzählen. Es würde sich ganz klar um Brandstiftung handeln und die Tatsache, dass er nicht mehr da gewesen wäre und es versäumt hatte, sich mit der Polizei und seiner Versicherung in Kontakt zu setzen... Aya versuchte, eine plausible und unverdächtige Erklärung dafür zu finden, dass er nach dem 'Unfall' einfach verschwunden war, aber ihm fiel nichts ein und so ließ er den Typen in schwarz einfach weiterreden. Oder wäre es wirklich schlau, seine Abwesenheit damit zu entschuldigen, dass er hatte fliehen müssen, weil sein Exfeind/Geliebter/Sargnagel Probleme mit diversen kriminellen Organisationen hatte? Wohl eher nicht. "...Wie Sie wissen, ist jeder Versicherungsfall unverzüglich dem Versicherer schriftlich anzuzeigen. Darüber hinaus sind Sie verpflichtet, alles zur Abwendung und Minderung des Schadens zu unternehmen und die Umstände, die zu dem Schaden geführt haben, ausführlich und wahrheitsgemäß mitzuteilen, was Sie nicht getan haben. Unser Unternehmen kann keine Haftung übernehmen für Schäden, die der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt..." Während der Sprecher unter den Dreien gewechselt hatte und ihm irgendwas über Klagen wegen Versicherungsbetrugs mitteilte, fragte Aya sich, wie sie ihn eigentlich gefunden hatten. Andererseits war es sicher nicht so schwierig, herauszufinden, wo er vorher gewohnt hatte. Er warf einen Blick auf die Uhr und stellte fest, dass der Monolog der Versicherungsleute schon über zwanzig Minuten dauerte und er jetzt wirklich los musste, wenn er rechtzeitig am Flughafen sein wollte. Er stand auf, ohne weiter auf die Möchtegern-Blues-Brothers zu achten und hatte den Laden halb durchquert, bevor sie ihn eingeholt hatten und ihm den Weg versperrten. "Wo wollen Sie hin?" "Zum Flughafen.", antwortete Aya lapidar. "Du willst schon wieder weg?" mischte sich Omi ein. Er nickte. "Was willst du am Flughafen?", wollte Ken wissen. "Na was wird er wohl am Flughafen wollen? Zollfrei einkaufen?", sagte Yohji und handelte sich damit einen genervten Blick nebst Tritt gegens Schienbein von Ken ein. "Treffen mit der hypothetischen Person?", fragte er unbeeindruckt an Aya gewandt, der nur die Augen verdrehte. "Wohin fliegst du?" Aya wollte gerade den Mund aufmachen, um Omi zu antworten, aber einer von den Schwarzgekleideten fiel ihm ins Wort. "Ihnen ist aber klar, dass Sie sich mit dem Verlassen des Landes verdächtig machen?" Noch verdächtiger? Aya war langsam leicht genervt, was nicht besser wurde, als er nach einer Jacke fragte und daraufhin von den inzwischen hektisch werdenden Versicherungsleuten umstellt und mit der Polizei bedroht wurde. War ihm diese Versicherung jetzt scheiß egal! "Hören Sie," zischte er den Versicherungstypen an, der das Pech hatte, ihm direkt im Weg zu stehen. "Ich könnte mich wohl kaum verdächtiger machen, selbst wenn ich mit Benzinkanister hier rumspringen würde. Also warum haken Sie den Fall nicht einfach ab und hören auf, mir meine Zeit zu stehlen?!" "W-Wir", der Versicherungsbeamte machte zwei Schritte zurück und zögerte sichtlich mit der Antwort, "sind verpflichtet, Nachforschungen anzustellen und gegebenenfalls..." Er verstummte unter Ayas Blick. "Wir sind noch mitten in der Beweisaufnahme.", sprach einer der anderen weiter. "Um Ihre Ansprüche gänzlich entkräften zu können, müssen gewisse..." "Aya, wohin fliegst du?", meldete sich Omi wieder zu Wort. Aya beschloss, die Versicherungsleute erst mal zu ignorieren. "L.A." "Was willst du da?" "Nichts. Es war der einzige Flug raus aus Japan, wo man noch so kurzfristig zwei Plätze bu-" "Ha! Zwei!" Aya ignorierte Yohjis Einwurf. "War schön, euch wieder zu sehen.", sagte er lächelnd. Er wandte sich von den Dreien ab, die geschockt schwiegen. "Und Sie," sagte er dann zu dem Versicherungstypen, der gerade auf dem Handy die Polizei rief. "haben Sie vielleicht so eine Art Verzichtserklärung, die ich schnell unterschreiben kann?" Der Mann sah ihn nur entgeistert an und legte dann auf. Dann legte sich auf die Gesichter der Drei ein seliger Ausdruck, als wäre Weihnachten dieses Jahr vorverlegt worden. Einer von ihnen zog mit zufriedenem Grinsen ein Kuvert aus der Innentasche seines Anzuges. "Ja, zufällig hätte ich da-" Aya riss ihm den Wisch nur mit einem Knurren aus der Hand, überflog den Text und unterschrieb dann, dass er den Vertrag kündige und keine Ansprüche an die Versicherung stellen würde. "Aya, meld dich bei uns!" "Du weißt ja, dass du zurück kommen kannst, wenn du willst." "Ja, wenn alles schief geht..." Er drehte sich in der Tür noch mal um. "Kann mir einer von euch Geld fürs Taxi leihen?" ~*~ Okay, das Leben war scheiße. Neue Erkenntnis? Nein, aber irgendwie traf sie Schuldig jedes Mal wieder. Inzwischen stand der fünfte Kaffee vor ihm und wurde kalt. Langeweile war scheiße. In einer verdammten Flughafenhalle im Café zu sitzen und zu warten war scheiße. Versetzt werden war scheiße. Fürs Ego und überhaupt. Und von Ran versetzt zu werden, tat weh. Obwohl das natürlich Blödsinn war. Wahrscheinlich wurde ihm nur von dem vielen Kaffee schlecht. War ja ganz normal, das viele Koffein und so... Er verschob den Zucker, den er vor sich auf dem Tisch verteilt hatte von links nach rechts und wieder zurück, verstrich ihn dann gelangweilt zu einer möglichst glatten Fläche. Das hier war ganz klar einer dieser Momente, in denen man erwarten würde, dass ein älterer Herr mit langen grauen Haaren auf einen zutreten würde, mit den Worten: "Guten Tag, mein Herr! Ihr Leben ist ein Witz. Warum lachen Sie nicht?" Dann hätte man wenigstens jemanden, den man guten Gewissens zusammenschlagen könnte. Preisfrage: Warum saß er jetzt wie ein Depp hier und schwankte zwischen Welthass und Selbstmitleid? Richtig. Falsche Entscheidungen. Nur falsche Entscheidungen und das seit er vor einer Woche an der falschen Tür geklopft hatte. Und dann hatte er natürlich auch noch all seine guten Vorsätze über Bord geworfen. Nichts anfangen, mit jemanden, vor dem man Respekt hat. Ein Scheiß. Niemandem Macht über sich geben. Ein Scheiß. Eine verzerrte weibliche Stimme informierte die Wartenden in mehreren Sprachen darüber, dass die Maschine nach L.A. in einer Viertelstunde abfliegen würde und sich die letzen Passagiere auch umgehen an Bord begeben sollten. Ohne dass er wirklich darauf geachtet hätte, zeichneten Schuldigs Finger ein Fragezeichen in den Zucker auf dem Tisch. Direkt neben das Herz, dessen Umrisse die Fläche der weißen Kristalle schon durchbrach.. Wie kam das dahin? Er wischte den Zucker mit einer wütenden Bewegung vom Tisch und ignorierte die indignierten Blicke der Kellnerin, der der Inhalt von zehn Zuckertütchen auf die Schuhe hagelte. Er knallte nur Geld auf den Tisch und murmelte im Aufstehen noch ein "Stimmt so.", bevor er sich die Geldtasche griff und zu den Gateways ging. Wo war er gewesen? Richtig. Falsche Entscheidungen und gute Vorsätze. Aber das sollte ihm eine Lehre sein. Zum Glück war man hinterher immer schlauer. Wenigstens das. Also ab in den Flieger, Japan wurde in den letzten Jahren eh langweilig. Hier hielt ihn nichts. Also weg, mal wieder in die guten alten USA, eine Nation von Amokläufern. Eine neue Stadt, ein neuer Abschnitt in seinem Leben. Vielleicht mal wieder ne neue Frisur? Er könnte sich die Haare wieder mal grün färben lassen, oder blau. Oder schwarz. Was auch immer. ~*~ "Geht das nicht schneller?" "Wie denn?" Der Fahrer machte sich nicht mal die Mühe, sich umzudrehen. "Vor uns sind Autos, neben uns sind Autos und die Triebwerke sind leider bei der letzten Landung kaputt gegangen." Oh prima, ein witziger Taxifahrer. Ran lehnte sich in seinen Sitz zurück und warf einen Blick auf die Uhr. Seit seinem letzten Blick waren genau dreißig Sekunden vergangen. Rekord. "Könnten Sie nicht vielleicht auf dem Gehweg...?" "Na sicher." Der Fahrer hatte offenbar die Grenzen seines Humors erreicht und zeigte ihm einen Vogel. "Wenn Sie mitten im Berufsverkehr pünktlich zum Flughafen wollen, müssen Sie eben rechtzeitig losfahren.", erklärte er weise. Aya schwieg ihn nur eisig an. Die Autokolonne wälzte sich wieder ein Stück nach vorn, dann kam sie zum Stillstand. "Ich lauf von hier.", informierte er den Fahrer beim Aussteigen und warf noch ein paar Geldscheine durchs Fenster, dann rannte er los. Als Aya am Flughafen ankam, kam er sich vor wie in einem dieser schlechten amerikanischen Filme, die er hasste. Aber nein, zum Glück war es doch ein bisschen anders. In den blöden Hollywoodschnulzen sahen die Schauspieler nach dem Run zum Flughafen/Bahnhof/Hafen nie so aus, als würden sie gleich tot umkippen - bei sich selbst war er sich da nicht so sicher, er konnte nicht mal mehr geradeaus gucken und gab dem Arzt, der da was von Ruhe gesagt hatte, insgeheim Recht. Auf der Tafel, die die Abflugzeiten anzeigte (und die den Protagonisten in den Hollywoodfilmen immer noch mindestens fünf Minuten Zeit gab), war der Flug nicht mal mehr aufgelistet und er musste erst an einem Infostand nachfragen, wie er zu dem Gate kam. Und zu guter letzt war es in den Filmen dann auch immer mehr oder weniger üblich, dass man dann am Gate/Bahnsteig/Steg schon erwartet wurde. Aber hier? Fehlanzeige. Aber hey, er konnte immerhin noch sehen, wie das Flugzeug am Himmel immer kleiner wurde. Was wollte man mehr? Ihm war irgendwie danach, etwas kaputt zu machen oder sich die Seele aus dem Leib zu kotzen, aber stattdessen brach er einfach nur auf einer der Bänke zusammen. Dann lag er eine Weile einfach nur da und dachte darüber nach, warum er so ein gottverdammter Idiot war, was in seinem Leben alles falsch lief und, als ihm da zu viele Dinge einfielen, darüber, dass es sowieso ein Fehler war, ins Kino zu gehen, und dass Hollywood einfach nur Scheiße war. "Ja, die Filme, die du guckst. Aber aus Hollywood und Umgebung kommen auch jede Menge richtig gute Pornos." Schuldig! Ran hob den Arm an, den er über seine Augen gelegt hatte und sah auf in Schuldigs grinsendes Gesicht. Er grinste zurück. Ihm schossen tausend Dinge durch den Kopf, die er Schuldig sagen wollte, aber es hätte alles ziemlich bescheuert geklungen. "Und ich hab mich schon gefragt, was du in L.A. willst.", sagte er nach einigen Sekunden, in denen er den anderen nur angestarrt hatte. Schuldig lachte befreit auf. "Ja, was auch sonst." Schuldig hob vorsichtig Rans Kopf an und setzte sich dann auf die Bank, bevor er den roten Schopf auf seinen Schoß sinken ließ. "Und wie war dein Tag so?", fragte er leise. "Beschissen," Aya genoss die Hand, die über seinen Kopf strich. "Noch ne Gehirnerschütterung, durchgeknallte, geldgeile Versicherungsfutzis, Stau, die Macht des positiven Denkens, du kennst mich..." "Du hörst dich an wie ich." "Schu, jeder, der sich beschwert und dabei möglichst viele Schimpfworte benutzt, klingt wie du. Und wie war's bei dir?" "Ich war baden in dieser gottverfluchten kalten Jauchebrühe von Fluss, bin dann nach Tokyo gelaufen, weil Kaike nur hirnlose Vollidioten anstellt, die zu blöd sind, ne Tankanzeige zu lesen, es war verdammt kalt und im Hotel hatten sie das Bett neu bezogen." "Verbrechen." "Genau. Außerdem war ich verabredet und wurde versetzt. Hab den halben Tag hier verbracht." "Ich bin ein Idiot. Tut mir leid." "Hoffentlich. Gott, ich musste mich mit Koffervertauschen ablenken, dann hab ich viel zu viel Kaffee getrunken und Herzen in Zucker gemalt und dich gehasst und du wärst schuld gewesen, wenn ich mir die Haare schwarz gefärbt hätte. Ich wollte schon fliegen, aber dann hab ich nach Gründen gesucht, um es nicht zu tun und mir ist eingefallen, dass mein persönlicher Glückskeks mir ja eine von seinen obskuren Nachrichten hinterlassen hat." "Was?" "Crawford.", erklärte Schuldig. "Er hat mir doch ausrichten lassen, ich soll nicht fliegen. Vielleicht schick ich ihm ne Karte." Sie schwiegen eine Weile. Ran hatte zufrieden die Augen geschlossen und folgte Aya-chans Rat indem er nicht nachdachte. So ganz gelang es ihm nicht. "Du hast Herzen gemalt?", fragte er, ohne die Augen zu öffnen. Die Hand, die durch sein Haar streichelte, stockte kurz. "Bin halt ein gottverdammter Künstler.", brummte Schuldig dann und förderte ein Plastikröhrchen aus seiner Tasche zutage. "Willst du auch ne Aspirin? War gerade in der Apotheke." "Ein Assassin kennt keinen Schmerz." "Na wenn du meinst..." Schuldig schluckte zwei der Tabletten und steckte die Packung wieder ein. "Ich bin krank. Brauch Pflege und Urlaub." "Du Armer." Ran hob die Hand und wuschelte träge durch Schuldigs Haare. "Du brauchst auch Urlaub. Du musst völlig fertig sein, wenn du so nett bist." "Keine Angst, das geht vorbei." Als Beweis zog er an einer der Strähnen. "Liegt wahrscheinlich an der Gehirnerschütterung. Morgen bin ich bestimmt wieder..." Schuldig ließ ihn nicht ausreden, sondern beugte sich herunter und küsste ihn. Es war schön und machte es viel einfacher, nicht nachzudenken. Vielleicht hatte Aya-chan Recht und es war doch nicht so kompliziert. Einen Moment später machte er sich los. "Schuldig, ich fall von der Bank." "Du bist so unromantisch." "Kann sein, aber wenn ich von der Bank falle, ist das auch unromantisch." "Blödsinn." Schuldig grinste. "Wenn du von der Bank fällst, machen wir auf dem Boden weiter." "Spinner." Aya sah sich nach den anderen Leuten um, die er bis jetzt völlig ignoriert hatte. "Warst du nicht eben noch krank und pflegebedürftig?" "Na ja, Pflege... sagen wir: Zuwendung." Als Antwort wurde er nur wieder an den Haaren gezogen. "Und was machen wir jetzt?", fragte Aya nach einer Weile, in der er friedlich vor sich hin gedöst und Schuldig alle Wartenden, die sich auch setzen wollten, mit bösen Blicken und unverhohlenen Drohungen verjagt hatte. "Zuerst müssten wir mal aufstehen," - Aya knurrte und Schuldig grinste - "und dann könnten wir jemanden überreden, uns Tickets zu schenken und damit unserem Gepäck hinterher reisen. Andererseits hab ich hier fünf Millionen in der Tasche, also könnten wir das Gepäck auch einfach Gepäck sein lassen und irgendwo anders hinfliegen." Aya sah auf. "Du hast das Geld?" "Ich hab mich schon gewundert, dass du nicht danach gefragt hast." "Ach, war nicht so wichtig.", meinte Aya müde und schloss wieder die Augen. "Was du nicht sagst.", meinte Schuldig lächelnd. "Wozu hab ich den ganzen Zirkus eigentlich mitgemacht, wenn's jetzt auf einmal nicht mehr wichtig ist?" "Keine Ahnung." "Du, Ran?" "Hm?" "Über die Sache mit den Inseln müssen wir noch mal reden. Ich hab genug von Kälte. Ich will mindestens für vier Monate kein Wasser mehr sehen, das kälter ist als zwanzig Grad - es sei denn zum Trinken." "Okay." "... und Ran?" "Hm?" "Ich bin froh, dass ich nicht geflogen bin." "... ich auch." ~*~ ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)