Parasitäre Lebensform von Elster (Schuldig & Aya) ================================================================================ Kapitel 13: Löwenhöhle ---------------------- Aya war verwirrt. Und das war noch harmlos ausgedrückt. Schuldig verhielt sich nicht so, wie er es erwartet hatte. Er hatte gedacht... Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber sicher nicht, dass Schuldig _nett_ war. Das war nicht sehr hilfreich und würde ihn nur dazu bringen, sich noch weiter zu verlieben. Und das wollte er nicht. Oder doch? Warum konnte Schuldig sich nicht einfach ein einziges Mal so verhalten, wie man es von ihm erwartete?! Es wäre sicher viel einfacher nach kurzer Zeit von einem arroganten, oberflächlichen Schuldig verlassen zu werden, als nach längerer von einem freundlichen... Aya seufzte unmerklich und hoffte, dass Schuldig, der sich auf dem Beifahrersitz zurückgelehnt hatte, wirklich schlief und nicht nur so tat. Ob er auch im Schlaf Gedanken lesen konnte? Wohl eher nicht. Irgendwie war das gruselig... na ja, oder beunruhigend. Aber vielleicht - wenn es halten würde... Für einige Zeit zumindest. Es wäre vielleicht gut... ~*~ Es war kurz nach zwölf, als Aya und Schuldig die Hotelsuite wieder betraten. Obwohl ihre Fahrt zur Brücke und zurück nicht ganz so lange gedauert hatte wie gedacht, machte sich Aya Sorgen, ob sie heute noch alles schaffen konnten. Ihm wurde bewusst, dass er es einfach nicht gewohnt war, in einem so kleinen Team zu arbeiten. Irgendwie war er bei dem Zeitplan von Weiß-Maßstäben ausgegangen. Überhaupt hatte er ja mit der Planung nie sehr viel zu tun gehabt. Schuldig war erst mal ans Telephon gestürzt, um das Mittagessen aufs Zimmer zu bestellen, sah aber jetzt zu Aya hinüber. "Wir könnten das Ganze immer noch auf morgen verschieben.", warf er möglichst beiläufig ein. "Es ist sowieso nicht gut, so viel an einem Tag zu tun." Aya überging die Einmischung in seine Gedanken großzügig - getreu seinem Vorsatz, netter zu Schuldig zu sein - und rechnete nach. Wenn sie den Brief jetzt schrieben, konnte er spätestens halb drei bei Kaike sein. Übergabe gegen Mitternacht, dann hätten sie für Vorbereitungen noch knapp zehn Stunden Zeit. Er schüttelte entschlossen den Kopf. "Das ist zu schaffen." Er wollte das hier hinter sich bringen, so schnell es ging. "Was willst du essen?" Aya winkte nur ungeduldig ab. "Reicht die Zeit für Kaike, um das Geld zusammen zu bekommen?" Schuldig zuckte die Schultern. "Er hat immer größere Beträge Zuhaus, falls er plötzlich das Land verlassen muss. - Ja hallo, die 21 und die 13 bitte, aber mit der Beilage von Nummer sieben, dazu eine doppelte Portion 42 mit ein wenig 17 und den Wein des Hauses... auf Zimmer 372." Aya sah Schuldig leicht irritiert an. "Was hast du da gerade bestellt?" Schuldig zuckte die Schultern und zwinkerte Aya verschwörerisch zu. "Ich lass mich überraschen. Wenn's eklig aussieht, kann man's immer noch zurückschicken." Aya verdrehte die Augen, ging aber nicht darauf ein. "Woher weißt du das mit Kaikes Geld?" "Ich bin Telepath." Aya stieß sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte und ging zum Sekretär hinüber. Dieser war ebenso wie alle Möbelstücke in dieser Suite aus dunklem, sehr edel anmutendem Holz gearbeitet und schien eher als Schmuck, denn als Gebrauchsgegenstand genutzt zu werden. Trotzdem, als Aya ihn aufklappte fand er neben einem kleinen Stapel Briefpapier, einem fein ziselierten Becher mit Brieföffner, Schere und einigen Stiften darin, und sogar ein Kaligraphie-Set vor. "Edel.", kommentierte Schuldig, der zu Aya herübergekommen war und ihm jetzt über die Schulter guckte. Aya nickte nur und setzte sich auf den gepolsterten Stuhl, der vor dem Sekretär stand. Er nahm eines der Blätter vom Stapel, griff dann nach einem der Stifte, einem schweren Füllfederhalter, und begann zu schreiben. "Sehr geehrter...?" Schuldig runzelte die Stirn, ließ sich dann aber von Ayas Hals ablenken, den er da so überaus verlockend vor sich hatte. Sein Gesicht näherte sich langsam der zarten Haut. Er schloss die Augen und atmete tief ein. Der Geruch und die leichte Wärme, die Ayas Nacken ausstrahlte, riefen ihm die letzte Nacht sehr nachdrücklich ins Gedächtnis zurück. Fast ohne sein Zutun legten sich seine Lippen federleicht auf die Stelle, wo die ersten roten Härchen sich von der reinweißen Haut abhoben. Aya erschauderte, ließ sich aber offensichtlich nicht so einfach von seinem Vorhaben abbringen. Er schrieb, wenn auch nicht ungerührt, so doch wenigstens entschlossen weiter, während Schuldig selbstvergessen hinter ihm stand, sich leicht auf der Lehne von Ayas Stuhl abstützte und sein bestes tat, keine Stelle auf Ayas Hals ungeküsst zu lassen. Nach einigen Minuten ließ Aya den Stift sinken und Schuldig zog ihn an seinen Schultern zu sich, bis er die begehrten Lippen erreichen konnte. Er ließ sich Zeit, platzierte kleine Küsse auf Unterlippe und Mundwinkel bis Aya den Kopf auf seine Schulter legte, eine Hand in seinen Nacken schob und den Kuss intensivierte. Als sie sich nach einiger Zeit wieder voneinander lösten, griff Aya geschäftig auf den Schreibtisch und hielt Schuldig den Brief vors Gesicht. Den mehr als irritierten Ausdruck quittierte der Rotschopf mit einem spitzbübischen Lächeln, das Schuldig ihm nie zugetraut hätte. Widerwillig nahm Schuldig das Blatt entgegen und richtete sich auf, ohne aber seine freie Hand von Ayas Schulter zu nehmen. Er überflog den Brief. "... bitten höflichst...? ... hochachtungsvoll, die Erpresser?!", fragte er schließlich und sah Aya an, als zweifelte er ernsthaft an dessen Verstand. Aya runzelte die Stirn und neigte nachdenklich den Kopf. "Na ja, vielleicht klingt es ein bisschen förmlich...", räumte er ein. "Ein bisschen?!" Schuldigs Gesichtsausdruck wechselte von zweifelnd zu fassungslos. "Mal' doch gleich Blümchen und Häschen an den Rand. Wir sind doch hier nicht bei Disney! Das Ding können wir so nicht abschicken. Kaike weiß, dass ich dahinter stecke! Das würde mir meinen Ruf ruinieren!" "Welchen Ruf?", fragte Aya leicht genervt. Okay, er hatte halt keine Erfahrung mit Erpresserbriefen, aber wer hatte ihn denn bitteschön die ganze Zeit abgelenkt? Und mal ehrlich: Ein bisschen Höflichkeit konnte doch wohl nicht schaden. Also warum regte sich Schuldig so auf? "Welchen Ruf!", rief Schuldig jetzt fast beleidigt aus. "Meinen Ruf eben. Rücksichtslos, respektlos, skrupellos, unbarmherzig. Dur erinnerst dich?" "Vage." Aya sah ihn nur mit erhobenen Augenbrauen an und schien nicht besonders beeindruckt. Schuldig änderte die Taktik. "Stell dir vor, ich hätte euch vor zwei Jahren so einen Brief geschrieben, hättet ihr Schwarz dann noch ernst genommen?" Aya zog Schuldigs Hand mit dem Brief zu sich heran und überflog den Text noch mal mit gerunzelter Stirn, dann warf er einen abschätzenden Blick auf Schuldig, dann noch einen auf den Brief. Schließlich schlich sich ein amüsierter Ausdruck auf sein Gesicht, dann zuckte er aber nur die Schultern. "Wir haben euch sowieso für wahnsinnig gehalten, so ein Brief hätte uns nicht erschüttert. - Aber gut...", er nahm Schuldig den Brief aus der Hand, um ihn wieder auf die Arbeitsfläche zu legen und darin herumzustreichen. "Wir ersetzen 'hochachtungsvoll' durch 'mit freundlichen Grüßen' und 'freuen uns, sie zur angegebenen Zeit begrüßen zu dürfen' durch 'erwarten Ihre werte Anwesenheit um' und so weiter. Wäre das in Ordnung?" Schuldig sah Aya fassungslos an, während ihm ein ganz und gar abwegiger Gedanke kam. "Sag mal, verarschst du mich?" Aya sah ihn mit einer Mischung aus engelshafter Unschuld und vollkommenem Unverständnis an, die Schuldig mit beeindruckender Geschwindigkeit von der Richtigkeit seines Verdachtes überzeugte. Es klopfte und Aya stand schnell auf, um zu öffnen. Draußen stand ein junger Mann, der in die Hoteluniform gekleidet war und nun einen der auf Hochglanz polierten Speisewagen an Aya vorbei ins Zimmer schob. Routiniert förderte er eine Tischdecke, Teller, Gläser und Besteck aus dem Inneren des Wagens zu Tage und fing an, mit präzisen Handgriffen den Tisch einzudecken. Schuldig war inzwischen an den Wagen getreten und hob nacheinander die glänzenden Edelstahlglocken über den Tellern an, wobei er seine Entdeckungen telepathisch an Aya weiterleitete. ~Gebackene Ente. Lecker, das war auf jeden Fall eine gute Wahl.~ Aya fragte sich zwar, wo da die Wahl gewesen war, amüsierte sich aber insgeheim über das konsternierte Gesicht des Kellners, der es offensichtlich missbilligte, wenn die Gäste sich nicht an die Regeln hielten und abwarteten, bis er das Essen servierte. ~Hm.~, ließ sich Schuldig vernehmen, während er die zweite Glocke anhob. ~Gebratene Forelle mit... Makkaroni?... na ja, mal was anderes.~ Als nächstes hob er eine kleinere Glocke an und wich zwei Schritte zurück. "Wer hat da bitte in den Pudding gerotzt?!" Der Kellner ließ vor Schreck ein Messer fallen und wandte sich mit entsetztem Gesicht zu Schuldig um. "Das tut mir furchtbar leid, es..." Er war jetzt an den Wagen getreten und sah mit gerunzelter Stirn in die Schüssel. "Das ist... Auster.", stellte er dann verwirrt fest, bevor er einen kleinen Notizblock aus der Tasche zog und las, wobei sich die Falten auf seiner Stirn noch vertieften. "42... Mousse au Chocolat... mit... 17...", er blätterte noch einmal durch das Heft und nickte dann. "Ja. 17, das sind Austern." Schuldig wedelte nur unwillig mit der Hand. "Was soll das? Was ist das für ein Hotel? Warum schickt man den Gästen hier Mousse au Chocolat mit Austern?" Der Kellner zuckte zusammen und blätterte noch hastiger durch seine Zettel. "Nun ja, es tut mir leid... aber es sieht so aus, als hätten Sie das selbst bestellt." "Seien Sie nicht albern! Wer würde schon Mousse au Chocolat mit Austern bestellen?", fauchte Schuldig. Der Kellner wollte gerade den Mund öffnen, aber Schuldig unterbrach ihn sofort. "Genau! Niemand, der noch alle Tassen im Schrank hat. Die Hotelleitung sollte eventuell mal in Erwägung ziehen, einen nicht Hörbehinderten mit der Bestellungsannahme zu betrauen. Mousse au Chocolat mit Austern! Es ist nicht zu glauben! Was man sich in diesem Hotel bieten lassen muss!" Schuldig ging inzwischen wild gestikulierend im Zimmer auf und ab und mimte den Choleriker, während der Kellner zerknirscht neben dem Wagen stand und Aya an der Wand nahe dem Ausgang lehnte und die ganze Szene scheinbar desinteressiert beobachtete. "Ist es denn zu viel verlangt," fuhr Schuldig in seinem Monolog fort, "ist es denn wirklich und wahrhaftig zu viel verlangt, auch nur einen denkenden Menschen in der Küche zu beschäftigen? Nur einen, dem es komisch vorkommt, Austern in eine Süßspeise zu werfen?! HimmelHerrgottnochmal", fluchte Schuldig auf deutsch und schüttelte den Kellner, der den offensichtlich verrückten Gast jetzt eindeutig entsetzt anstarrte. "Ist das zuviel verlangt?, frag ich:" Der unglückliche Kellner schüttelte panisch den Kopf. "Sehen Sie?", sagte Schuldig mit einem Anflug von Zufriedenheit, bevor er seinen Weg durch die Suite wieder aufnahm. "Es ist doch nun wirklich machbar, den Gast - der ja schließlich König ist, und ich hoffe, das ist Ihnen klar - den Gast also vor dem wirklich unappetitlichen Anblick von grauweißen, glibberigen Meeresgetieren in Schokoladendesserts zu bewahren. Wie sieht denn das aus?! Rotz - Sie müssen meine Ausdrucksweise verzeihen - ist bei diesem Anblick ja wohl noch die weitaus angenehmste Assoziation. Mousse au Chocolat mit Austern! Es verschlägt mir die Sprache!", behauptete Schuldig entgegen allen Tatsachen. "Was man sich hier bieten lassen muss! GottimHimmelnochmaldasgehtaufkeineKuhhaut! Ran, mein Schatz, was sagst denn du dazu? Ist es nicht eine Zumutung, was einem hier serviert wird? Ist es nicht furchtbar, dass man hier eine klare und durch und durch eindeutige Bestellung abgibt und dann SOWAS bekommt?" Aya zog nur bezeichnend eine Augenbraue hoch. Erstens dachte er nicht im Traum daran, Schuldig die Show zu stehlen und zweitens: Schatz'?! Von dem mein' mal ganz zu schweigen. Dem Kellner, der wohl auf ein wenig Unterstützung gehofft hatte, nützte das allerdings nichts. Schuldig nickte zustimmend, als hätte Aya etwas sehr richtiges gesagt und warf die Arme in die Luft. "Sehen Sie? Auch ihm fehlen die Worte! Es ist ja auch skandalös, wie man uns hier zu vergiften versucht!", hielt er dem Kellner vor. Dieser nahm seinen Mut zusammen, um die Ehre des Hotels zu verteidigen. "Von vergiften kann aber keine Rede sein, die Austern sind ganz sicher frisch.", wagte er einzuwerfen. Schuldig erstarrte mitten in der Bewegung und kam dann sehr langsam und sehr bedrohlich auf den Kellner zu. Einen Moment starrte er ihn nur an, bevor er mühsam beherrscht fragte: "Sie verlangen doch nicht allen Ernstes, dass ich DAS", er deutete angewidert auf die Schüssel, "esse?!" Dem Kellner war völlig schleierhaft, wann, wie und ob er das verlangt hatte. Aber er war inzwischen so verwirrt, dass er nur weiter in panischer Angst vor diesem Irren den Kopf schütteln und irgendwelche Entschuldigungen murmeln konnte. "Und das soll ein Fünf-Sterne-Hotel sein, wo arme, unschuldige, nichtsahnende Gäste gezwungen werden, ihre Nachspeise mit Glibber zu essen? Wo sich die Köche mit dem Mousse au Chocolat verlustieren?! Ich bitte Sie, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Das ist skandalös! Was glauben Sie, wird die Gewerbeaufsicht dazu sagen?! Aber das wollen wir noch sehen... Und jetzt verschwinden sie mit diesem Zeug!" Schuldig drückte dem zitternden Kellner die Schüssel in die Hand und schob ihn zur Tür, die ihm Aya mit unbewegtem Gesicht aufhielt. "Und halten Sie Ihre Köche in Zukunft davon ab, in den Nachtisch zu masturbieren!", brüllte Schuldig über den Flur, woraufhin eine Gruppe von Gästen, die gerade am Aufzug wartete, erstarrte und dann mit hastigem Geschnatter ihr Entsetzen zum Ausdruck brachte. Der Kellner erbleichte, schien kurz vor einer Ohnmacht, wankte dann aber hastig davon. Schuldig stapfte wütend ins Zimmer zurück und warf die Tür hinter sich zu. Er verbeugte sich formvollendet in Ayas Richtung, bevor er in Gelächter ausbrach und mit tränenden Augen an der Tür hinabsank. "Das... ist immer... wieder... komisch!", keuchte er völlig atemlos und krümmte sich vor Lachen. "Hast du... dieses...", eine neue Lachsalve erschütterte ihn, "hast du dieses...", er kam einfach nicht weiter. "Gesicht!", keuchte er. Auf Ayas Gesicht zeigte sich tatsächlich ein Lächeln, während er leicht verständnislos auf den japsenden Schuldig herunterblickte. So langsam machte er sich Sorgen, dass der Telepath noch ersticken könnte. Er sah auf Schuldig hinab, legte den Kopf schief und beobachtete ihn mit fast wissenschaftlichem Interesse. "Du bist total irre.", stellte er dann bestimmt, aber mit freundlicher, sanfter Stimme fest. "Aber es ist doch eine ziemlich aufwändige Art, das Trinkgeld zu sparen.", fügte er dann nach einigen Sekunden hinzu, was Schuldig in erneutes Gelächter stürzte. Schließlich ging Aya weg und nahm sich die Ente vom Wagen. Er setzte sich an den nicht ganz vollständig gedeckten Tisch und fing an, zu essen. Schuldig, der sich nach einigen Momenten doch wieder eingekriegt hatte und dem Erstickungstod somit entkommen war, kam herüber und nahm sich den Fisch vom Wagen und setzte sich zu Aya an den Tisch. "Du machst das öfters?", fragte Aya, bevor ein Stück Ente in seinem Mund verschwand. Schuldig nickte. "Gelegentlich. Damit konnte man Crawford immer wahnsinnig machen, du glaubst gar nicht, wie der Service darunter leidet." Er grinste. "Ah, und du kannst dir nicht vorstellen, wie genial Farf die Böser Cop'-Rolle drauf hatte. Da bin ich nichts gegen." "Das ist kindisch und völlig albern.", stellte Aya fest. "Nicht wahr? Und es macht Spaß." Schuldigs Grinsen wurde noch ein wenig breiter. "Aber wir können natürlich auch gern mit dem Spaß für Erwachsene weiter machen..." Aya schüttelte lächelnd den Kopf. "Du bist unmöglich." Er merkte selbst, dass seinen Worten jede Schärfe abging und runzelte die Stirn. Vielleicht konnte man sich sogar an sexuelle Belästigung gewöhnen... "Belästigung?!" Schuldig hätte sich fast an seinem Fisch verschluckt. Er blitzte Aya böse an, dieser blitzte fast ebenso beleidigt zurück, weil Schuldig mal wieder seine Gedanken kommentierte. Einen Moment lieferten sie sich ein stummes Duell, dann huschte ein hinterhältiges Grinsen über Schuldigs Gesicht. Er kam zu Aya herüber, nahm ihm ohne die Miene zu verziehen den Teller ab und kniete sich dann vor den Sessel. "Das ist schade.", meinte er, den Blick bedauernd auf Ayas Knie gesenkt. Seine Hand streichelte scheinbar gedankenverloren über Ayas Oberschenkel. "Ein Missverständnis. Du hast heute nacht so wenig belästigt gewirkt... Tut mir leid." "Du versagst kläglich, wenn du versuchst, unschuldig zu wirken.", sagte Aya trocken. Aber es amüsierte ihn. Die Stimmung war so entspannt und friedlich... liebevoll - aber er scheute sich, das Wort zu denken. Zu viele Verwicklungen, zu kompliziert. Liebe war für ihn, der alle, die er liebte, verloren oder verloren geglaubt hatte, immer mit Schmerzen verbunden. Aber Frieden war gut. Entspannung. Er ließ seine Hand durch Schuldigs Haare streichen und bemerkte erst jetzt - mit einiger Verspätung, wie er vermutete -, dass die grünen Augen ihn beobachteten. Der Blick war so durchdringend wie immer, als könnte der Andere direkt in seine Seele sehen. Und das konnte er ja auch, wurde Aya wieder einmal bewusst, und wie immer erfüllte ihn der Gedanke mit Unbehagen und einem unangenehmen Gefühl von Unterlegenheit. Hastig wich er dem Blick aus. Er hatte zwar bemerkt, dass er Schuldig auf falsche Fährten bringen oder auch gelegentlich ganz aussperren konnte, aber das war nicht viel. "Du bist besser, als du denkst.", hörte er Schuldigs leise Stimme. "Die Menschen sind sehr unterschiedlich, einige lassen sich ganz leicht manipulieren und einige sind eher wie du." Er richtete sich weiter auf und suchte wieder Ayas Blick. "Würdest du mir glauben, wenn ich dir verspreche, dich nicht zu manipulieren?" "Jetzt im Augenblick?" Aya lächelte schief. "Im Moment würde ich dir fast alles glauben." "Und das macht dir Angst..." Schuldig seufzte. "So misstrauisch. Und dabei hast du gestern gesagt, du vertraust mir." "Was Geld angeht, was die Übergabe angeht... ja. Du brauchst kein Geld und du hättest nichts davon, mir zu schaden." /Aber ich hasse es, die Kontrolle zu verlieren./, setzte Aya in Gedanken hinzu. "Zerbrich dir nicht deinen hübschen Kopf. Gegen deine Persönlichkeit ist der gordische Knoten ein harmloses Wollknäuel und ich halte nicht viel von der Schwertmethode.", versuchte Schuldig die Stimmung wieder aufzulockern. "Und was soll das bedeuten?" Schuldig zuckte scheinbar unbesorgt die Schultern. "Dass ich mich wahrscheinlich hoffnungslos verheddert habe, ehe ich alle Fäden in der Hand halte. Aber du kannst mich ja zum Trost noch mal küssen..." ~*~ ~In dem Trakt da hinten sind die Aufenthalträume für die Wachmannschaft.~ Schuldig deutete auf einen Flügel des riesigen Anwesens. Gerade hatten sie den hohen, aber ansonsten nicht gesicherten Zaun um Kaikes Grundstück überquert. Sie waren hinter einem Haufen von Schiefersteinen in Deckung gegangen, von dem im Sommer wahrscheinlich ein kleiner Wasserfall in den davor angelegten Teich plätscherte. Jetzt war das Wasser ausgestellt und der Teich lag in dem grauen Tageslicht wie eine trübe Bleiplatte. ~Er hat ziemlich viel Security, weil er keine Kameras mag. Die paar an den Eingängen hat gerade ein unaufmerksamer Mitarbeiter mit einer Tasse Kaffe auf dem Schaltpult lahmgelegt...~ Schuldig erlaubte sich ein schadenfrohes Grinsen. Aya ließ seinen Blick schnell übers Gelände schweifen, suchte es automatisch nach möglichen Kamerastandorten und Wachleuten ab. Es war sehr groß, aber durch mehrere kleinere und größere Wasserflächen, Baumgruppen und Pavillons aufgelockert. Im Sommer musste der Garten großartig aussehen... ~Ehrlich, du hast viel zu lange in diesem Blumenladen gearbeitet.~ Aya schnaubte nur unwillig, dann huschte er zur nächsten Deckung, einem breiten rosenumrankten Torbogen. Schuldig folgte den fließenden Bewegungen mit bewunderndem Blick. Eigentlich schade, dass er Aya nicht mit dem Katana erleben würde, aber das lag wahrscheinlich immer noch in dessen Wohnung. Er sah sich noch einmal nach Wachen um und lief dann zu Aya, presste sich neben ihm in die welken Rosenblätter. Einige unerfreuliche Gedanken erreichten Schuldig. ~Kaike hat gerade den Brief bekommen.~, informierte er Aya. Die zweite, überarbeitete Version des Briefes wohlgemerkt. Wesentlich nüchterner und um etliche Floskeln ärmer. Aya war das ziemlich egal gewesen. /Gut./, erwiderte der Rotschopf lapidar und warf Schuldig einen kurzen Blick zu, bevor er mit einer knappen Kopfbewegung auf den Seiteneingang wies. /Ist der bewacht?/ Schuldig sah konzentriert in die Richtung und nickte dann. ~Eine Wache. Das ist gut.~ Dicht gefolgt von Aya rannte er zur Tür hinüber und klopfte dann. Einige Augenblicke blieb alles still, dann hörte man, wie aufgeschlossen wurde. Die Tür öffnete sich und der Wachmann steckte verwundert den Kopf hinaus. "Wer-", brachte er gerade noch heraus, bevor er ohne ersichtlichen Grund in sich zusammensank. Aya zuckte zusammen. /Hast du ihn umgebracht?/ ~Sei nicht albern, weißt du wie weh das tut? Jemanden über Telepathie zu töten ist ungefähr so praktisch, wie ihn durch die eigene Hand hindurch zu erschießen. Der hier wacht irgendwann wieder auf.~ /Wann?/, wollte Aya nur wissen. ~Was weiß ich... zehn, fünfzehn Stunden, er ist nicht mehr der Jüngste.~ Aya nickte und packte den Wachmann an den Schultern. /Leg irgendwas in den Türspalt und dann nimm die Füße./ Schuldig nahm dem Uniformierten kurzerhand den Schlüssel ab und ließ die Tür zufallen, dann schleppten sie ihn eilig zu einer großen, dichten Tanne mit auf den Boden reichenden Ästen und rollten ihn darunter, bis er nicht mehr zu sehen war. /Und wo krieg ich jetzt so eine Uniform her?/, fragte Aya währenddessen. Eigentlich hatte er sie dem Wachmann klauen wollen, aber der war klein und dick - abgesehen davon, dass er irgendwie komisch roch. ~Du bist ganz schön zimperlich.~ /Halt die Klappe, die hätte mir sowieso nicht gepasst. Außerdem könnte man mit diesem Aftershave Insekten vernichten./, verteidigte sich Aya. Schuldig grinste ihn an, zuckte dann aber die Schultern. ~Also noch ein kleiner Abstecher in die Umkleideräume.~ Er sah sich um und wartete noch einen Wachmann ab, der ein Stück entfernt über den Rasen ging und hinter dem Haus verschwand, dann rannte er wieder zur Tür, Aya dicht auf den Fersen. Drinnen musste er sich erst orientieren, schlug dann aber ziemlich zielsicher den richtigen Weg ein. Sie hatten wohl so etwas wie den Dienstboteneingang genommen und gingen jetzt an der Küche und einigen verschlossenen Türen mit der Aufschrift "Lagerräume" vorbei. Aus einem Raum, der mit "Kontrollzentrum" beschriftet war, drang Geschrei. Irgendwas von Idioten, Kaffeetassen, teurer Elektronik und Reparaturkosten... ~*~ "Mist, was ist denn jetzt los?" Omi tippte wie wild auf seinen Laptop ein, aber das Kamerabild kam nicht wieder. "Bombay? Stimmt irgendwas nicht?", meldete sich Ken über Funk. Das Headset knackte leise. "Ich bin rausgeflogen.", antwortete er. Sie hatten gestern den Auftrag bekommen, Kaike zu töten, ganz wie er vermutet hatte. Sie hatten es schnell geschafft, das interne Überwachungssystem anzuzapfen. Es waren ungewöhnlich wenige Kameras, sodass sie sich entschlossen hatten, vor Ort zu bleiben. Auch um bereit zu sein, sobald sich eine Gelegenheit ergab, an Kaike heranzukommen, wenn dieser sein Anwesen verließ. Omi selbst befand sich mit seiner Ausrüstung in einem Café vielleicht zwei Kilometer von Kaikes Anwesen entfernt, die anderen beiden beobachteten das Anwesen. "Woran könnte es liegen?", wollte Yohji wissen. Omi tippte weiter auf den Tasten herum, ohne dass das Bild wiederkam. "Hm. Entweder haben sie ein verdammt gutes System, um Hacker abzuwehren oder ihnen ist schlicht und einfach ihre Technik abgestürzt." Er musste einsehen, dass es nichts brachte und fuhr den Computer kurzerhand runter. "Es hat keinen Sinn, die Kameras waren sowieso nur am Eingang. Ich komm näher ran und nehme einen Beobachtungsposten am hinteren Teil des Gebäudes ein." Mit schnellen, routinierten Bewegungen packte Omi den PC in einen gepolsterten Rucksack und schnallte ihn sich um. "Bei euch irgendetwas zu sehen?" "Nichts. Aber es wimmelt nur so vor Sicherheitskräften.", meldete sich Yohji. "Bei mir auch nichts." Omi seufzte. Bei seiner Recherche gestern hatte er herausgefunden, dass die Anzahl der Sicherheitskräfte vor etwa einer Woche verdoppelt worden war. Gerüchten zufolge hatte es einen Überfall oder so etwas gegeben. Vielleicht hatte es etwas mit der Polizeiaktion gegen ihn zu tun, sehr viel wahrscheinlicher mit Schuldig, aber Omi hatte nichts genaueres darüber herausfinden können. Auf jeden Fall schien es Kaike erschreckt zu haben, sodass das Anwesen für einen direkten Angriff einfach zu gut gesichert war. ~*~ Die Umkleideräume fürs Personal waren schnell gefunden. Es waren mehrere, da hier offenbar alle Angestellten uniformiert waren. "Umkleide, Security" war leer, ein eher kleiner, fensterloser Raum, dessen einzige Möblierung aus grauen Spinden und einer Bank bestand. "Leih mir mal dein Messer." Schuldig reichte es Aya und der begann, einen Spind nach dem anderen damit aufzubrechen, bis er schließlich einen gefunden hatte, in dem eine passende Uniform hing. "Hm... Ich zieh mich um und du stehst solang schmiere.", meinte Aya, während er seine Jacke auszog. Schuldig lehnte sich gegen die Tür und grinste ihn an. "Okay." "Willst du dazu nicht auf den Gang gehen?" Das Grinsen wurde noch breiter. "Ich kann das auch so." Aya murmelte noch irgendwas von Spanner, entschloss sich dann aber, Schuldig zu ignorieren, weil eine Diskussion sowieso nichts gebracht hätte. Die blaugraue Uniform war doch ein bisschen zu groß, aber nicht so, dass es wirklich aufgefallen wäre. Nachdem er nirgendwo Schuhe gesehen hatte, zog er sich einfach wieder seine Stiefel an und sah dann zu Schuldig rüber. "Ehrlich, ich mag dieses Grinsen nicht. Das sieht aus, als wolltest du mich auffressen.", beschwerte er sich stirnrunzelnd. Schuldig blinzelte und warf ihm einen leicht verständnislosen Blick zu, bevor das Grinsen in etwas abgeschwächter Form wieder auf seinem Gesicht erschien. "Vernaschen, nicht auffressen. Aber ich fürchte, das muss warten. Kaike hält sich zur Zeit im Wohntrakt auf, in seinem Büro. Links den Gang runter und dann immer geradeaus. Bleib am Besten in der Nähe des Ausgangs. Bevor ich gehe, werd' ich den Sicherheitschef noch davon überzeugen, dass er dein Gesicht kennt." Er nahm eine zur Uniform passende Mütze aus einem der Spinde und setzte sie Aya auf. "Und lass die auf, damit du nicht so auffällst, ich kann nicht jedem hier einreden, dass er dich schon mal gesehen hat." "Man könnte meinen, du machst dir Sorgen.", sagte Aya spöttisch, während er sich die Mütze zurechtrückte. "Wie war das mit dem unbarmherzigen, rücksichtslosen Killer?" Schuldig sah ihn finster an und dachte über Baumpatenschaften und den Weltfrieden nach. "Hab ich dir schon gesagt, dass ich Plan B hasse?" "Neunundzwanzig Mal allein auf der Autofahrt hierher.", meinte Aya trocken und fischte nach einem Tannenzweig, der sich in Schuldigs Haaren verfangen hatte. "Aber wir treffen uns doch spätestens morgen Abend wieder. Vielleicht früher." "Du machst dir wohl gar keine Sorgen um mich?", fragte Schuldig vorwurfsvoll. /Dir darf einfach nichts passieren!/, dachte Aya, schüttelte aber nur trotzig den Kopf und ging zur Tür. "Unkraut vergeht nicht.", sagte er und verließ den Umkleideraum. ~*~ "Siberian, kannst du den Eingang sehen?" "Ja. Es sieht so aus, als würden die Securities das Gelände absuchen." "Bei mir auch. Seit ungefähr einer halben Stunde. Sie ziehen sich schon wieder zurück." "Wo bist du, Balinese?" "Westflügel, ich kann von hier aus die Garagen sehen. Gehen wir rein?" Omi zögerte. Die Wachleute wirkten alarmiert und außerdem waren es verdammt viele. "Habt ihr einen Hinweis, wo sich Kaike aufhält?" "Nein, er kann praktisch überall im Haus sein." Scheiße, so könnten sie nicht gezielt angreifen. "Wir warten.", entschied Omi. Er kletterte noch ein wenig höher in dem Baum, auf dem er saß und suchte eine einigermaßen bequeme Stellung auf dem Ast. Es dämmerte schon, vielleicht hätten sie im Dunklen eine Chance. Wieder knackte es in seinem Headset. "Und worauf warten wir?", fragte Yohjis Stimme zögernd. Omi seufzte. "Auf eine Gelegenheit..." Yohji antwortete nicht, aber Omi war sich ziemlich sicher, dass er mit der Antwort alles andere als zufrieden war. Wieder seufzte er. Dieser Hit verdiente den Namen eigentlich nicht. Sie waren kaum vorbereitet, hatten kaum Informationen über Kaikes Gewohnheiten und nichts, was Omi wirklich einen Plan nennen wollte. Er hätte sich mehr Zeit lassen müssen. Eine Woche, oder auch zwei, das war nicht zuviel, um solch eine Aktion vorzubereiten. Und wie viel Zeit hatte er gehabt? Kaum zwei Tage. Aber er machte sich Sorgen um Aya. Er hatte sich nicht wieder gemeldet. Ein sehr schlechtes Zeichen, wenn man bedachte, dass er es nicht nur mit Kaike sondern auch mit dem Schwarz-Telepathen zu tun hatte. Wie leichtsinnig konnte man sein, mit so einem zusammen zu arbeiten? Der war als Feind wesentlich zuverlässiger! Er unterbrach seine Gedanken und konzentrierte sich auf den Garten. Hatte er da gerade eine Bewegung gesehen? Angestrengt beobachtete er das Gelände, versuchte zwischen den diffusen Schatten einer kleinen Baumgruppe eine Gestalt auszumachen. Die dunkler werdenden Schatten der Bäume verschwammen langsam in der restlichen Umgebung, es war kaum etwas zu erkennen. Da! Ein Schatten löste sich aus den Bäumen und huschte auf den Zaun zu, kletterte mit geschickten Bewegungen hastig darüber und verschwand dann kurz aus Omis Blickfeld. Also doch keine Einbildung. Wer war das? Ein Eindringling? Der Grund, warum die Wachmänner das Gelände durchsucht hatten? Omi brauchte der Gestalt nicht zu folgen, denn sie kam direkt auf ihn zu. War er entdeckt worden? Schnell schob er sich noch näher an den Baumstamm. Die Gestalt überquerte einen Weg, mehr einen Trampelpfad, der von hier durch den Wald führte. Dort war es ein wenig heller als unter den Bäumen. Omi erkannte den Mann. Schuldig. Was machte der Schwarz hier? Offensichtlich war er allein, also wo war Aya? Schuldig stockte mitten in der Bewegung und sah zu dem Anwesen zurück. Omi folgte dem Blick, konnte aber nichts Auffälliges erkennen. Er sah wieder zurück zu dem Schwarz, erwartete halb, dass dieser ihn bemerkt hatte und das Ganze nur ein Ablenkungsmanöver gewesen war. Aber nein, er stand immer noch auf dem Weg und starrte hinüber. Er machte einige Schritte in die bereits eingeschlagene Richtung, dann wendete er abrupt und ging wieder zurück zum Zaun. Dort blieb er stehen und eine Weile lang passierte nichts. Omi runzelte die Stirn. Was machte Schuldig da? Hatte er ihn nicht bemerkt? Er hörte Schuldig irgendwas sagen. Vielleicht fluchte er, Omi konnte es nicht verstehen. Aber der Tritt, den Schuldig dem Zaun versetzte, bevor er sich wieder umwandte, überzeugte ihn davon, dass er richtig lag. Der Telepath ging jetzt zielstrebig auf eine bestimmte Stelle zu, die er auch das letzte Mal schon anvisiert hatte und zog Laub und Zweige von einem Strauch, der sich jetzt als Auto zu erkennen gab. Er stieg ein, startete den Motor - und tat nichts. Omi runzelte die Stirn. Was macht der hier?, fragte er sich einmal mehr. Der Motor ging wieder aus, Schuldig stieg aus, ein oranger Lichtpunkt leuchtete auf. Was zur Hölle? Wollte der jetzt fahren oder hier bleiben? Konnte der nicht endlich verschwinden und auf der Fahrt eine rauchen? Omi wartete angespannt, darauf gefasst, jeden Augenblick entdeckt zu werden. Aber entweder interessierte sich Schuldig nicht dafür, wer hier im Baum saß, oder er war aus irgendeinem Grund abgelenkt. Als er aufgeraucht hatte, zögerte er noch einen Moment, bevor er endlich ins Auto stieg und sich dann schließlich langsam, mit ausgeschalteten Scheinwerfern auf dem schmalen Weg zu entfernen. Der Pfad wurde offenbar nicht oft befahren, die Äste der Bäume schabten an beiden Seiten über den Lack des Wagens. Omi atmete auf, als er das Motorengeräusch endlich nicht mehr hören konnte. "Hier Bombay. Kommen!" "Was ist los?" "Schuldig hat das Anwesen gerade verlassen. Er fährt durch den Wald in Richtung Hauptstraße." Einen Moment herrschte Schweigen, dann: "War Abyssinian bei ihm?" "Nein, er war allein. Glaub mir, Balinese, ich hätte ihn erwähnt, wenn er da gewesen wäre.", antwortete Omi leicht gereizt. "Soll ich versuchen, ihm zu folgen?", schaltete sich Ken ein. "Ich kann ihn wahrscheinlich einholen." Omi biss sich auf die Unterlippe. Wer war wichtiger, Kaike oder Schuldig? "Bleib, Kaike ist das Ziel, er hat Priorität." ~*~ Schuldig verharrte im Schatten einiger Weiden und sah sich nach Wachleuten um. Inzwischen waren sie weg, aber noch vor zehn Minuten hatte es hier nur so von ihnen gewimmelt. Nicht zu sehen. Er rannte zum Zaun, kletterte schnell hoch und war mit einem Satz im Schatten der Bäume. Der Wald, der sich hier anschloss, war nicht sonderlich dicht, aber in dem Dämmerlicht, das inzwischen herrschte, dürfte er hier vom Haus aus nicht mehr zu sehen sein. Seine Anspannung löste sich ein wenig und er ging auf den Wagen zu, den sie vorhin hier versteckt hatten. Sie hatten fast fünfzehn Minuten gebraucht, um das Aoto abzudecken. Es war zwar unwahrscheinlich, dass auch der Wald kontrolliert wurde, aber man musste ja kein unnötiges Risiko eingehen. Warum hatten die Security das Gelände durchsucht? Er hatte vorhin nicht wirklich darüber nachdenken können, hatte vielmehr zu tun gehabt, sie sich vom Leibe zu halten, aber jetzt beunruhigte es ihn doch. Natürlich gab es harmlose Gründe. Der Erpresserbrief sah nicht gerade so aus, als sei er mit der Post gekommen, die Kameras waren ausgefallen. Alles gute Gründe für Kaike, um den Wachdienst zu alarmieren. Ein noch besserer Grund wäre allerdings ein einzelner Eindringling, den man schon erwischt hatte. Kaike würde wissen, dass Schuldig noch in der Nähe sein musste. Abrupt wandte Schuldig sich um und ging zurück zum Anwesen. Vorm Zaun blieb er stehen und suchte nach Ayas Gedanken. Es war schwierig, zwischen all den Wachleuten einen einzelnen Menschen zu finden. Himmel, wie viele hatte Kaike denn hier? Sicher mehr als früher. Damals, als Schuldig hier noch unbehelligt ein und aus gehen konnte, waren es nur fünfzehn, höchstens zwanzig gewesen. Dann hatte er ihn plötzlich gefunden. ~Ran, geht's dir gut?~ /Was- Schu? Bist du immer noch hier? Sie haben das Gelände durchsucht. Haben sie dich gefunden? Brauchst du Hilfe?/ Schuldig lächelte. ~Man könnte meinen, du machst dir Sorgen.~, imitierte er Ayas spöttischen Ton von vorhin. ~Aber nein, ich bin draußen. Hat nur etwas länger gedauert. Und du bist nicht entdeckt worden?~ /Was glaubst du? Ich bin Profi./ ~Friede! Ich hab nichts gesagt.~, beschwichtigte er grinsend. /Verzieh dich endlich! Ich muss mich konzentrieren. Wenn ich hier Löcher in die Luft starre, falle ich sicher auf./ ~Du hast ein Herz aus Stein.~ /Besser als ein Kopf aus Holz./ ~Willst du mich los werden?~ /Erfasst. Mach dich nützlich, wir sehen uns bei der Übergabe./ Aya ignorierte Schuldig und richtete seine Aufmerksamkeit auf seine Umgebung. "Elender Dickschädel!", murmelte Schuldig und versetzte dem Zaun einen Tritt. Auf dem Weg zum Auto konzentrierte er sich weiter auf Ayas Gedanken. Oh Gott ja, es war albern. Und genau genommen eine gefährliche Unaufmerksamkeit, sich selbst so abzulenken, aber vielleicht dachte der Rotschopf ja doch noch irgendwas Nettes über ihn oder - ach, egal. Er wollte sich einfach nicht von ihm trennen. Trotzdem befreite er jetzt den Wagen von der Tarnung. Plan B ist scheiße, dachte Schuldig trotzig, als er den Motor anließ. Aya fragte sich gerade, ob er schon weg wäre. Das war das Einzige, was er im Zusammenhang mit Schuldig dachte, dann konzentrierte er sich wieder auf seine Aufgabe. Schuldig schaltete den Motor ab und stieg wieder aus. Er kramte kurz nach einer Zigarette und zündete sie sich an. Aya hatte an ihn gedacht. Ganz von alleine. Okay, nicht unbedingt romantisch, aber das hatte er ja auch nicht wirklich erwartet. Oder? Na ja, gehofft, aber nicht erwartet. Aber Ran hatte an ihn gedacht! Das zählte doch. Oh Mann, kam nur ihm das so vor, oder war dieser Gedankengang tatsächlich so erbärmlich? Es wurde immer schlimmer. Er konnte sich nicht auf seinen Job konzentrieren, vernachlässigte den wichtigsten Menschen in seinem Leben - sich selbst - und nun auch noch diese grenzdebilen Gedankengänge. Aber andererseits war es toll. _Aya_ war toll. Er war anmutig, faszinierend, begehrenswert. Berauschend und entspannend, hinreißend, traumhaft, wundervoll. Umwerfend, unvergesslich, unwiderstehlich. Punkt. Wo wir gerade bei grenzdebilen Gedankengängen waren. Die Zigarette war auch noch nicht aufgeraucht. Schuldig spielte mit dem Gedanken, jetzt einfach wieder reinzugehen, sich Aya zu schnappen und die Erpressung Erpressung sein zu lassen. Wie standen die Chancen, dass Aya ihm das verzeihen und freiwillig mit ihm in ein Flugzeug steigen würde? Schlecht... ganz schlecht, wenn er genauer darüber nachdachte. Keine gute Idee. Schuldig warf seufzend die Kippe weg und stieg wieder ins Auto. ******************************* Und wie die Übergabe so läuft, wer sich in der folgenden Nacht so alles auf einer gewissen Brücke rumtreibt und ob Aya es vielleicht doch noch schafft, seinen unerschütterlichen Pessimismus zu überwinden, das erfahrt ihr im nächsten Teil. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)