Parasitäre Lebensform von Elster (Schuldig & Aya) ================================================================================ Kapitel 11: Niedlich?! ---------------------- Einkaufen gehen? Aya sah mit völlig unbewegten Zügen zur bunt dekorierten, leuchtenden Decke eines riesigen Einkaufzentrums auf, die in Glas und Stahl manifestiert, sein ganzes Blickfeld ausfüllte. Sein persönlicher Alptraum. Zuerst hatte er ja zugeben müssen, dass es vernünftig und notwendig war, einzukaufen. Und er hatte auch nicht wirklich ein Problem damit. Bis ihm aufgegangen war, dass in Schuldigs Welt das Wort "Einkaufen" etwas anderes bedeutete als in seiner. In Ayas Vorstellung war es in einen Laden gehen und kaufen, was man brauchte. Wie bei Missionen: Rein. Mission erfüllen. Raus. Alles so schnell es geht. Unauffällig. Nervenschonend. - Wörter, die Schuldig nicht kannte. Bei Schuldig, schwante ihm langsam, hieß es in mindestens dreißig verschiedene Läden zu gehen und nach einem Aya schleierhaften Prinzip Sachen in die engere Auswahl zu ziehen, um sie dann nach Stunden vielleicht zu kaufen. Schuldig hatte dieses manische Funkeln in den Augen. Es sprang Aya förmlich an. Auf eine vage und, wie Aya fand, ziemlich abartige Art und Weise, erinnerte es ihn an seine Schwester, die ihn früher auch ab und an zum "Einkaufen" mitgenommen hatte. Er erinnerte sich mit Grauen an seine Shopping-Odysseen. Natürlich hatte es damals nicht an Aya gelegen. Auch nicht daran, dass er Tüten tragen oder stundenlang ewig weit hatte laufen müssen. Laufen und Tragen und Zeit mit Aya verbringen, war okay. Das hatte ihn überhaupt nicht gestört. Was er so an Einkaufszentren hasste, waren eher die Dinge, die er auch sonst schon verabscheute, die aber speziell in modernen Einkaufzentren in gebündelter Form aufzutreten pflegten. Riesige Menschenmassen, Lärm, überfüllte, enge Räume und Unruhe. Eine ganz eigene, wie ihm immer vorkam, extra kultivierte Form der Unruhe. Von der an seelische Grausamkeit grenzenden, schrillen Herbstdeko wollte er mal ganz schweigen. Und von der Kaufhausmusik. Musik sollte in seinen Augen entweder angenehm sein oder interessant, aber nicht so ein nerviges Gesäusel und schon gar nicht in dieser unterschwelligen Lautstärke Marke "unterbewusste, psychologische Beeinflussung". Aya war ja schon mit den Nerven fertig gewesen, als er endlich einen Parkplatz gefunden hatte. Er hatte ernste Zweifel, ob sie das Auto in der Tiefgarage jemals wiederfinden würden. Er spürte wie Schuldig ihn am Arm packte und weiter durch die Massen schleifte, war aber viel zu sehr in seine Gedanken versunken, um sich groß darüber aufzuregen. Außerdem musste er da jetzt sowieso durch. Er konnte schließlich nicht ewig in dem versifften Hemd rumlaufen. Es war stickig warm und die Menschen drängelten sich nur so aneinander vorbei. Es schien so, als wäre halb Tokyo auf die Idee gekommen, dass es doch toll wäre, die letzten Tage des Sommerschlussverkaufs noch mal zu nutzen und an einem Freitag Nachmittag zusammengequetscht wie die Sardinen mit anderen Idioten mit derselben hirnrissigen Idee bummeln zu gehen. Aya war sich der bestechenden Normalität dieses Gedankengangs durchaus bewusst, weigerte sich aber, das anzuerkennen, angesichts des Armageddons, das sich hier vor diesen seinen Augen abspielte. "Weißt du woran das liegt?" "Was?" Aya sah Schuldig an, der ihn immer noch am Arm durch die Menge lotste. "Na das hier." Schuldig deutete mit weit ausholender Geste auf ihr Umfeld, riss dabei einer Frau ihre Tüten aus der Hand, kümmerte sich aber offensichtlich nicht um die bösen Blicke. Aya sagte gar nichts, fragte sich nur, was der jetzt schon wieder wollte und wie er in diesem Chaos so eine gute Laune haben konnte. Schuldig grinste. "Sieh dir diese Hunderte von Menschen an. Hörst du den Lärm? Etwa die Hälfte von ihnen spricht. Aber alle denken. Na ja, fast alle." Er warf einen bezeichnenden Blick auf eine Verkäuferin hinter dem Tresen eines Juweliergeschäfts. "Also stell dir erst vor, wie laut das ist." Aya zog eine Augenbraue hoch. "Aha. Heißt das, wir können gehen?" Schuldigs Grinsen wurde breiter. "Nö, das heißt, man gewöhnt sich dran. Man lässt sich drauf ein, macht sich ein bisschen locker... Ob du's glaubst oder nicht, man kann sogar Spaß dabei haben. Aber keine Angst, mit dir schaffen wir das auch noch. Schocktherapie, denk ich." Aya erwiderte nichts, spürte aber eine gewisse Unruhe in sich aufkommen. Musste der Fluchtreflex sein. Dumm nur, dass er im Moment keine Chance hatte, zu entkommen, weil Schuldig seinen Arm noch immer umklammert hielt und er auch gar nicht schnell genug hätte wegrennen können, ohne mindestens zwanzig Leute umzurempeln. Schuldig redete inzwischen weiter, schien sich an Ayas nur peripherem Interesse an dem Gespräch nicht zu stören. "Wegen vorhin: Du hast gedacht, dass etwas, was eigentlich ganz normal erscheint, sich als blanker Wahnsinn entpuppt. Das liegt daran, dass die Welt nicht normal ist." Aya sah Schuldig an, als wäre der nicht mehr ganz dicht und fragte sich, ob er vielleicht von ihm unbemerkt irgendwas genommen hatte. Schuldig war inzwischen im ersten Laden seiner Wahl angelangt und drehte sich nur noch mal mit beinahe entschuldigendem Gesichtsausdruck zu Aya um. "Ähm... Kaufrausch. Tut mir leid." Mit diesen Worten war dann alles gesagt und Schuldig stürzte sich, Aya im Schlepptau, in den Kampf. Ein erbarmungsloser Kampf, den er bis auf Blut führen würde. Das Objekt der Begierde: eine leere Umkleidekabine. Die Konkurrenz: zwei Männer, die allein einkaufen gingen. Keine Gefahr. Drei Männer, die von ihren Frauen in die Richtung gelotst wurden. Da hieß es, schnell sein und die Nerven bewahren. Man durfte nicht rennen. Der Trick war, so schnell wie möglich zu laufen, ohne zu rennen. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass man niemals, unter gar keinen Umständen, zeigen durfte, dass hier Krieg herrschte. Man rannte nicht, niemals, nach einer Umkleidekabine. Man näherte sich ihr ruhig. Unauffällig. Es musste absolut natürlich wirken. Selbstverständlich hätte Schuldig seine Gegenspieler auch manipulieren können. Aber erstens war das auf die Dauer viel zu anstrengend und zweitens machte es so viel mehr Spaß. Mit einer brillanten, über Jahre des exzessiven Shoppings perfektionierten, bewährten und überhaupt unübertrefflichen Hochgeschwindigkeitsschlendertaktik und einem eleganten Ausweichmanöver um das Hindernis schlechthin, einen zwischen den engen Reihen der Kleidungsständer stehenden Kinderwagen, kam er, Schuldig, der selbsternannte Meister des Kaufhausslaloms, als erster an der Kabine an und schubste Aya hinein. Die Euphorie angesichts dieses ohne Übertreibung grandiosen Sieges nahm ihm fast den Atem, das Adrenalin jagte nur so durch seine Venen und überhaupt war das besser als kiffen. Weder Ayas finsterer Blick konnte daran viel ändern, noch seine abfälligen Gedanken. Schuldig gab es ja zu, dass er das alles vielleicht ein bisschen sehr ernst nahm und sich vielleicht auch nicht so besonders gut unter Kontrolle hatte und sich möglicherweise auch etwas seltsam aufführte, aber eigentlich war ihm das scheißegal. Was er Aya auch gleich sagte und hinzufügte, dass er ihm jetzt Sachen zum Anprobieren bringen würde, dann hätten sie wenigstens für Aya schon mal alles, denn der hätte ja keine Ahnung, worauf es beim Einkaufen wirklich ankäme und würde wahrscheinlich einen Nervenzusammenbruch kriegen, bevor er auch nur das erste Teil ausgesucht hätte. Danach würde dann Schuldig für sich was suchen, das könne etwas länger dauern, aber man hätte ja Zeit und Geld und Aya müsse ihm da auch nicht helfen. Mit einem finalen "Keine Sorge, ich mach das schon." verschwand Schuldig dann fürs erste in den Untiefen der Herrenbekleidung. Nachdem er sich von dem Schock erholt hatte, war Ayas erster Reflex, die Kabine sofort wieder zu verlassen, aber als er einen Blick nach draußen warf, wo Schuldig zwischen all den Leuten schon nicht mehr zu sehen war, beschloss er zu warten und stand erst mal etwas perplex in der Kabine. Was war denn das gewesen? Er war sich nicht so richtig sicher, was er von einem ohne Punkt und Komma redenden Schuldig, der mit einem irren Glitzern in den grünen Augen kindisch begeistert das Kaufhaus unsicher machte, halten sollte. Er konnte nicht sagen, dass es ihn besonders erstaunte. Es nervte auch nicht mehr als Schuldig ihn sonst nervte. Er machte sich auch keine Sorgen um Schuldig, dann schon eher um die anderen Kunden. Es war einfach so unglaublich absurd, was hier geschah, dass er keine Worte fand. Und irgendwie, er traute es sich ja kaum, es laut zu denken, fand er das Ganze amüsant. Auf jeden Fall schaffte er es nicht, sich weiter über den Sommerschlussverkauf zu ärgern oder wütend auf Schuldig zu sein. Eigentlich war er erstaunlich selten wütend auf Schuldig. Nicht mal heute auf der Autobahn war er wirklich wütend auf ihn gewesen. Vielmehr auf sich selbst, weil er mit einem verfluchten Kuss nicht klarkam. Weil Schuldig recht hatte und seine Klappe nicht halten konnte. Aber irgendwie war das doch etwas anderes. Und er hasste Schuldig nicht, hatte es in dem Moment bemerkt, als er es aussprach. Er fand nicht mal mehr eine schlechte Eigenschaft an Schuldig, die Hass rechtfertigte. Er fand zwar auch keine überwältigend gute, konnte aber nicht leugnen, dass er Schuldig mochte oder dieser ihm zumindest nicht egal war. Nicht dass Aya diese Tatsache irgendwie verunsicherte - Es machte ihn schlicht und ergreifend völlig fertig. Schuldig, das war ja wohl klar, war so ziemlich der letzte Mensch, zu dem man irgendeine emotionale Bindung aufbauen sollte. Und das war so weil... Also, das war eben einfach so. Punkt. Schuldig war verantwortungslos, notorisch kriminell, launisch, gefährlich, verwirrend, impulsiv, unberechenbar und zynisch. Was der Deutsche auch sagte, es klang fast immer auf die eine oder andere Weise herablassend, verspottend oder zumindest, als würde er sein Gegenüber nicht ganz ernst nehmen. Obwohl. Bei ein oder zwei Gelegenheiten, hatte er ernsthaft geklungen. Nachdem sie vor Kaikes Leuten geflohen waren. Da hatte Aya fast den Eindruck gehabt, er wäre besorgt. Und dann... ja, dann noch kurz vor dem Angriff. Als Schuldig ihn gefragt hatte, ob er nicht bleiben sollte. Aya hatte es als eine von Schuldigs stichelnden Bemerkungen abgetan, aber eigentlich konnte man sich bei Schuldig nie sicher sein, wie ernst er etwas meinte, was er sagte. Noch so eine schlechte Eigenschaft. Und natürlich die bei Weitem schlimmste Eigenschaft von allen, die einen mehr als jede andere davon überzeugen sollte, dass die Gegenwart von Schuldig nur schädlich sein konnte: Er konnte Gedanken lesen. Wie bitteschön sollte man dagegen ankommen? Er beschloss, darüber weiter nachzudenken, wenn Schuldig mal nicht in unmittelbarer Nähe war. Musste er jetzt also nur noch irgendwas finden, womit er sich ablenken konnte. ... Der Spiegel an der Wand hatte einen Kratzer. Er reichte seinem Spiegelbild genau vom rechten Auge zur Fingerspitze der linken Hand. Wie interessant. Und der orangerote Vorhang hatte ein Brandloch von einer Zigarette. Hm... orangerot und Zigarette hatte schon wieder fast zu viel mit Schuldig zu tun. Dann lieber noch ein bisschen über den zerkratzten Spiegel nachdenken. Spiegel, Spiegel... Fiel ihm dazu irgendwas ein? Nicht wirklich. Nichts, womit er sich beschäftigen wollte. "Womit willst du dich nicht beschäftigen?", schreckte ihn Schuldigs neugierige Stimme auf. "Geht dich nichts an." "Ja und?" Wie, ja und? Erwartete Schuldig irgendwie eine Fortsetzung dieses Gespräches, wenn man denn so ausgesprochen vermessen sein wollte, es als solches zu bezeichnen? Warum fragte er überhaupt ständig so was? Konnte er ihn nicht einfach in Ruhe lassen? "Ich versuch doch nur, mich mit dir zu unterhalten. Als ob ich was dafür könnte, dass du nur über Sachen nachdenkst, über die du nicht reden willst." Na war das ein Wunder, wenn er darüber nicht mal nachdenken wollte? Aber bitte. Aya zuckte mit den Schultern. "Der Spiegel hat einen Kratzer." "Und darüber hast du nachgedacht, ja?" Schuldig grinste. Aya wandte seine Aufmerksamkeit lieber dem Berg Klamotten zu, den Schuldig angeschleppt hatte. Wollte der den ganzen Laden leer kaufen? Schuldig verdrehte die Augen, hatte aber seine etwas überdrehte gute Laune offensichtlich noch nicht verloren. "Du musst ja nicht alles kaufen. Also dann. Ich geh dann schon mal für mich gucken." Und weg war er wieder. Mit einem äußerst skeptischen Blick betrachtete Aya die Sachen. Na gut. Die waren gar nicht mal so schlecht... Entgegen allen Erwartungen. Könnte man tragen. Es dauerte nicht lange, bis er sich entschieden hatte und die Umkleidekabine verließ. Wieder etwas genervt schob er sich durch die Menge, fand tatsächlich noch irgendwo Socken und Unterwäsche und musste auch nur eine knappe viertel Stunde anstehen, bis er endlich bezahlen konnte. Fein. War ja ganz gut gelaufen. Aya musste zugeben, dass das ohne Schuldig viel länger gedauert hätte. Fragte sich nur, wo der jetzt steckte. Und ob er überhaupt noch in diesem Laden war. Ein paar Minuten blieb Aya noch stehen und sah sich suchend um, dann gab er es auf. Hatte ja doch keinen Sinn. Erstens kam er sich blöd vor, wenn er hier mit seinen Tüten rumstand und den wogenden Massen den Weg versperrte, zweitens hatte er seit heute Morgen nichts mehr gegessen und hatte dementsprechend Hunger und drittens würde Schuldig ihn schon finden, denn zu irgendwas musste Telepathie ja gut sein. Außerdem wollte er nicht wirklich Schuldig beim Einkaufen beobachten. Es gab Dinge, die musste man sich nun echt nicht antun. Was er dazu heute schon gesehen hatte, reichte. Dieser Überlegung folgend verließ er den Laden und machte sich auf die Suche nach einem Restaurant. ~*~ Schuldig tauchte erst Stunden später wieder auf, als es schon zu dämmern begann und unter dem Glasdach die Lampen angingen. Er hatte eine Menge zu schleppen, obwohl er sich, wie er fand, noch sehr zurückgehalten hatte. Außerdem hatte es ganz schön gedauert, bis er Aya gefunden hatte. Dass der sich irgendwo reingesetzt hatte, statt hinter Schuldig herzurennen, war ja klar, damit hatte Schuldig ja gerechnet. Aber warum ausgerechnet am hintersten Tisch im Restaurant, wo man ihn garantiert nicht sah, wenn man nur so reinguckte? War doch mal wieder typisch. Er wäre schon fast vorbeigerannt, als er im letzten Moment die Präsenz gespürt hatte. Aber was soll's. Schuldig setzte sich grinsend an den Tisch, ließ seine diversen Tüten neben sich fallen. Aya sah von seinem Essen auf. "Warum hast du dir nicht gleich nen Koffer gekauft?" "Warum versteckst du dich hier?" "Ist nicht meine Schuld. Es war kein anderer Tisch frei." Schuldig zeigte auf den Teller. Isst du das noch?" "Ja. Gerade eben, in diesem Augenblick." Er blickte Schuldig misstrauisch an. "Ich habe eine Ewigkeit darauf gewartet. Glaub bloß nicht, dass ich dir was abgebe." Schuldig sah ihn fast verzweifelt an. "Ran, ich verhungere! Bitte! Ich habe seit heute morgen nichts mehr gegessen." "Ich weiß. Ich auch nicht. Und hör auf, mich so zu nennen." "Wie? Ran?" Es klang ehrlich erstaunt. "Wie soll ich dich denn nennen?" Aya brummte irgendwas Unverständliches vor sich hin. "Ist dir eigentlich klar, dass es praktisch keine Themen gibt, über die du sprechen willst?" Aya schob ihm mit einem Ruck den Teller vor die Nase. "Hier. Und jetzt hör auf, mich zu nerven." "Glaubst du, du kannst mich einfach so mit Essen ablenken?", fragte Schuldig gespielt vorwurfsvoll, fing dann aber schnell an zu essen. Nicht, dass Aya es sich noch anders überlegte. ~Du kannst auf diese Weise höchstens Zeit gewinnen.~ "Könntest du damit aufhören? Ja du hast recht. Ich will nicht mit dir reden. Schon gar nicht über mich. Wenn du irgendwas von mir wissen willst, kann ich sowieso nicht verhindern, dass du es in meinen Gedanken liest. Aber hör auf, mich ständig zuzulabern." Schuldig unterbrach sein Essen und sah Aya ernst an. "Dir ist es also egal, wenn ich deine Gedanken lese, solange ich dich nicht damit konfrontiere und du dich nicht damit auseinandersetzen musst?" Aya nickte. "Ah. Na gut." Der ungewohnt ernste Ausdruck verschwand aus Schuldigs Gesicht, so schnell er gekommen war und wurde vom Grinsen ersetzt. "Pech für dich, dass ich nicht deine Gedanken lesen, sondern lieber mit dir reden will." Er aß seelenruhig weiter. "Warum?" Aya hatte sich zurückgelehnt, die Arme vor dem Körper verschränkt und fixierte ihn aus zu Schlitzen verengten Augen. ~Ist dir eigentlich klar, wie verkorkst du bist? Ich finde, du kannst unmöglich so bleiben.~ "Ach, du willst mir nur helfen? Warum nur hab ich das nicht gleich bemerkt? Aber mal abgesehen davon, dass ich dir nicht glaube. Was geht's dich an?" ~Zuerst bin ich mit einer Frage dran. Hasst du mich wirklich?~ "Das ist kein Spiel." ~Ach nein?~ "Nein. Aber wenn du's unbedingt wissen willst, ich hasse dich nicht." ~Warum?~ "Zuerst meine Frage. Deine Spielregeln." ~Ich hab keine Ahnung warum, aber ich fürchte, ich mag dich.~ Aya zog erstaunt die Augenbrauen hoch. "Gib mir mein Essen zurück!" Schuldig grinste wieder. ~Soll das ein Versuch sein, mich abzulenken?~ "Nein, das soll ein Versuch sein, mich abzulenken." Schuldig zuckte mit den Schultern und schob ihm wieder den Teller rüber. ~Bitte, ist eh kaum noch was da. Aber zurück zu meiner letzten Frage. Warum hasst du mich nicht?~ "Warum fragst du mich so was?" ~Ich sag doch, ich will dir nur helfen. Ich könnte's ja auch so rausfinden, aber dadurch weißt du es dann noch lange nicht.~ "Da. Genau deshalb. Du kannst nichts dafür. Du bist einfach so. Und jetzt sag mir, warum du nicht sprechen willst." "Ist dir aufgefallen, ja? Das ist eigentlich nur, weil es die Leute an den Nebentischen so schön irritiert, wenn du Selbstgespräche führst." "Siehst du, das meine ich. Du kannst nichts dafür. Du bist ein Idiot." Sie wurden von einem Kellner unterbrochen, der herumging und die Kerzen auf den Tischen anzündete. "Ui, Kerzenlicht, wie romantisch." "Hast du was am Kopf?" "Nein, du bist nur gerade so offen und freundlich, da muss ich doch sehen, wie weit ich gehen kann." "Das sollten wir auslassen." Aya legte das Geld hin, schnappte sich seine Sachen und stand auf. Schuldig folgte ihm. "Einlassen wäre besser." "Worauf?" "Mit mir." "Ich schlage vor, wir laden unsere Sachen im Hotel ab und gehen dann wegen dem Feuerzeug zu wem-auch-immer. Oder ist es dafür schon zu spät?" "Deine Themenwechsel waren auch schon mal eleganter. Aber nein, sie wird um die Zeit rum erst wach." ~*~ Ihr Hotelzimmer stellte sich als riesige Suite heraus. Schuldig meinte nur, dass Yashimoto als Yakuza unfähig wäre und nur halb so schlau, wie er aussähe und keinen Geschmack hätte, aber immerhin könne man ihm keinen Geiz vorwerfen. Außerdem ließe er sich leicht manipulieren. Aya war das ziemlich egal. Er wollte endlich wissen, was auf dem Datenträger noch an verwertbaren Informationen war, damit sie mit dem Planen anfangen könnten. Zwischen sieben und acht Uhr fuhren sie dann los. Ihr Ziel war ein größeres Wohngebiet etwas weiter außerhalb der Stadt. An einem der zahlreichen Klingelschilder stand in krakeliger, lateinischer Schrift 'BANG Inc.', das Gebäude war ziemlich marode und das Treppenhaus dreckig. Schuldig hatte einfach irgendwo geklingelt und jetzt standen sie vor einer Tür im neunten Stock. Aya hob die Hand zur Klingel, als Schuldig grinsend den Kopf schüttelte und meinte, Klingeln hätte sowieso keinen Sinn und den Bewohner telepathisch rief. Als sich die Tür nach einigen Minuten öffnete, wusste Aya auch wieso, denn aus der winzigen Wohnung warfen sich ihnen nur so die Bässe in Trommelfell zerfetzender Lautstärke entgegen. In der Tür stand eine in viel zu große, dunkle Klamotten gekleidete Gestalt, die sie mit einer knappen Geste hereinbat. Schuldigs Aussage zufolge handelte es sich um eine Frau, was aber zumindest auf den ersten Blick nicht offensichtlich war. Kurzes, rabenschwarzes Haar fiel zerzaust in ein blasses Gesicht, das zur Hälfte von einer Schutzbrille verdeckt wurde. Das Alter war schwer zu schätzen, aber angesichts der Kleidung und der Musik handelte es sich wahrscheinlich um einen Teenager. Sie durchquerten die Wohnung, die hauptsächlich in schwarz gehalten und gut schallisoliert war. Überall verteilt lagen ausgebaute Teile von Elektrogeräten, Kisten voll Gerümpel und Gefäße mit Gefahrenaufschriften herum. In einer abgelegeneren Ecke stapelten sich leere Fastfoodverpackungen und Plastikflaschen. Am Herz dieser Behausung, dem Computer angekommen, wurde als erstes die Musik auf Gesprächslautstärke heruntergedreht, dann wandte sich die Gestalt an Schuldig. "Was willst du hier? Crawford hat mich schon gewarnt, dass du kommen würdest, aber er wollte mir nicht sagen, warum." Schuldig grinste. "Dann hat er's bestimmt nicht gewusst. Wann war er denn da?" "Vor zehn, zwölf Tagen. Hat mich irgendwelchen technischen Schnickschnack bauen lassen. Langweiliges Zeug, aber er hat gut bezahlt. Er meinte, ich soll dich grüßen und du solltest in nächster Zeit nicht wegfliegen." "Komiker. Wie geht's ihm? Macht er immer noch die Hochfinanzen unsicher?" "Nicht doch. Alles völlig legal." "Als ob das einen Unterschied macht." "Wer ist er?" Sie deutete mit einem Nicken auf Aya, während sie die Schutzbrille abnahm. Schuldigs Grinsen bekam etwas triumphierendes. "Sagt dir der Name Abyssinian was?" Sie maß Aya kurz mit einem abschätzenden Blick. "Erzähl das deiner Großmutter." "Du glaubst mir nicht?" "Erstens sieht der Typ nicht aus wie ein Killer und zweitens würde er ganz sicher nicht mit dir hier auftauchen, wenn er es wäre." "Ich bin es auch nicht mehr.", mischte Aya sich jetzt ungeduldig ein. "Schuldig, könntest du mal den Smalltalk abwürgen und zum Punkt kommen?" Schuldig ignorierte diese Aufforderung völlig und sein Grinsen nahm nie gekannte Ausmaße an. "Siehst du. Er ist es." Die junge Frau sah Aya jetzt wieder an, in ihrem Gesicht war immer noch Unglaube und eine gewisse Enttäuschung zu erkennen. "Hm. Ich hab ihn mir irgendwie größer vorgestellt. Und gefährlicher... aber er ist irgendwie nur niedlich... - Na egal. Freut mich, Sie kennen zu lernen." Sie zeigte ein sympathisches Lächeln und gab Aya die Hand. Der stand mit versteinerter Miene da und erdolchte die Hand mit Blicken. Niedlich?! Was sollte er denn davon halten? Und überhaupt: Er war gefährlich! Er war sich nicht sicher, ob er sie würgen oder ihr die Hand reichen sollte. Immerhin wurde man nicht tagtäglich in einem Atemzug begrüßt und beleidigt, aber bei Schuldigs Bekanntschaften sollte es ihn ja eigentlich nicht erstaunen. "Also, was willst du nun?", wandte sie sich wieder an den grenzdebil grinsenden Schuldig, als klar wurde, dass Aya die Hand wohl eher abbeißen würde, als sie zu schütteln. Schuldig musste einen Moment suchen, bis er das Feuerzeug in irgendeiner Tasche fand. "Da ist wahrscheinlich ein Datenträger drin. Du sollst gucken, ob da was drauf ist." Sie schnappte sich das Ding und sah es sich an. "Dürfte kein Problem sein. Hast du eine Ahnung, wie's aufgeht?" Schuldig schüttelte den Kopf. "Na dann muss ich mir das erst mal genauer ansehen. Macht es euch solange gemütlich." Sie trat energisch auf eine verschüttete Couch zu und fegte kurzerhand alles was darauf lag auf den Boden. Aya und Schuldig setzten sich hin, während sie sich an einen Arbeitstisch mit Lampe und Lupe setzte und anfing, das Feuerzeug mit allerlei winzigen Haken und Drähten zu bearbeiten. "Was wollt ihr mit den Daten?" "Kaike erpressen." Sie hielt einen Moment in ihrer Arbeit inne. "Mein Ex arbeitet für den. Könntet ihr den umbringen?" "Ich fürchte, wir werden keine Zeit für so was haben." Sie zuckte mit den Schultern. "Tja. Dann müsst ihr mich eben bezahlen. Ich glaub, ich hab's." Es klickte leise und der Kopf des Feuerzeugs ließ sich lösen. Sie ging damit zum Computer und schloss den Rest an. "Och, das ist viel zu leicht. USB-Anschluss." "Sah es irgendwie beschädigt aus? Es hat nämlich ne Weile im Wasser gelegen." "Nein, ich glaub nicht. Scheint wasserdicht gewesen zu sein, aber mal sehen." Sie rief die Dateien auf dem Bildschirm auf. "Scheint alles in Ordnung zu sein." Sie tippte ein bisschen auf der Tastatur herum, lachte dann auf. "Die sind ja nicht mal verschlüsselt. Das wär's dann. Brauchst du sonst noch was?" "Wie kontaktiert man ihn am besten?" "Keine Ahnung. Ich würd ihm nen Brief schicken. Zeit und Ort der Übergabe, geforderte Summe, Foto vom Datenträger und vielleicht noch nen kleinen Ausdruck, um ihn zu überzeugen." "Sag mal, willst du nicht vielleicht mitmachen?" "Auf gar keinen Fall. Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich druck euch das jetzt aus und dann könnt ihr gehen. Oder wollt ihr noch was kaufen?" "Was hast du denn da?" "Nicht viel. Sprengsätze laufen schlecht, seit ich im Vorstrafenregister bin. Ich mach jetzt mehr auf Elektronik und Hacken, aber für mein persönliches Vergnügen bastle ich noch ab und zu was. Steht alles da hinten rum." Sie deutete auf eine Tür. Schuldig sah Aya fragend an. "Brauchen wir Sprengsätze?" Aya überlegte kurz und nickte dann. "Könnte helfen." ~*~ "Also, was hast du wegen Kaike vor?" Sie waren zurück im Hotel. Schuldig lümmelte auf einer hoteltypischen neutralsandfarbenen Couch, Aya saß ihm gegenüber in einem farblich zur Couch passenden Sessel. Während der Fahrt hatte Schuldig sich die ganze Zeit über mit Fragen, die die Erpressung betrafen, zurückgehalten, weil er stattdessen Aya davon überzeugen wollte, mit ihm auszugehen. Er hatte für sich beschlossen, dass es eine gute Idee wäre, wenigstens einmal mit Aya zu schlafen. Allerdings fehlte diesem die richtige Begeisterung, zumindest ließ sich das aus dem völligen Ignorieren sämtlicher verbalen Annäherungsversuche schließen. Er wurde nicht mal mehr wütend, sondern dachte über seine Rosen nach, ob Kaikes Leute sie wohl zerstört hätten, warum ausgerechnet die teuren englischen so verdammt anfällig für Blattkrankheiten sein mussten und welche Düngung optimal sei. Schuldig fand das irgendwie deprimierend. Bei der Frage nach Kaike stieg Ayas Kooperationsbereitschaft allerdings schlagartig an. "Na ja, ich hab noch mal drüber nachgedacht und eigentlich wäre es möglich, dass die Übergabe reibungslos abläuft." "Und deswegen haben wir jetzt Sprengsätze gekauft?" Na toll! Jetzt sprach Aya also wieder mit ihm. Musste er sich so was echt gefallen lassen? "Die sind für Plan B, wenn es doch nicht glatt geht." "Könntest du da etwas präziser werden?" Schuldig kam der Gedanke, dass Aya vielleicht wirklich einfach nicht auf ihn stand. Vielleicht stand er ja gar nicht auf Männer. Andererseits... Müsste er dann nicht wenigstens auf Frauen stehen? Nein, er war sich sicher, dass Aya auf Männer stand und jemand, der ihm widerstehen konnte, musste sowieso erst noch geboren werden. So. Wie hatte er nur einen Moment daran zweifeln können? Aya war anscheinend auf die Dauer nicht gut für sein Selbstbewusstsein. "Wir brauchen einen wirklich guten Übergabeort. Hast du irgendeine Idee?" Hä? Was? Übergabeort? Musste er jetzt über so was unwichtiges nachdenken? Aber na gut. "Weiß nicht. Eine Stelle, die gut zu überblicken ist, wo wir aber möglichst schnell verschwinden können?" "Also keine Idee. Zwei Stunden außerhalb von Tokyo gibt es eine Brücke, da ist nicht besonders viel Verkehr..." Ach, Aya hatte also schon einen Vorschlag und riss ihn nur so zum Spaß aus seinen Gedanken. "Warum nicht?", murmelte er missmutig. "Hm." Aya war etwas verwundert, dass Schuldig nun auf einmal so mürrisch klang, nachdem er ihn die ganze Autofahrt über mit eindeutig zweideutigen Sprüchen zuschütten durfte und sich dabei wahrscheinlich großartig amüsiert hatte. Aber er würde sich davon jetzt nicht ablenken lassen. Sein Blick fiel auf die Karaffe mit Wasser, die neben ihm auf einem edel anmutenden Beistelltischchen stand. "Du würdest die Übergabe machen. Kaike weiß, dass du nicht leicht reinzulegen bist. Vielleicht versucht er gar keine Tricks." Nicht leicht reinzulegen?! Schuldig sah empört auf. Was sollte das denn heißen? So an sich klang es ja nach einem Kompliment. Aber eigentlich war er gar nicht reinzulegen. ... Na ja, vielleicht doch. Wenn er gerade unkonzentriert war. Oder leichtsinnig. Oder sonst irgendwelche Fehler machte... Egal, er würde das jetzt einfach als Kompliment nehmen. "Und wenn doch?" "Dann merkst du es schnell genug. Ich werde mich mit deiner Hilfe in die Wachmannschaft einschleusen, die er mitnehmen wird. Wenn es nicht so läuft, wie es soll, zünde ich die Sprengsätze zur Ablenkung, schnappe mir das Geld und hoffe, dass alles gut geht." Moment, was hatte Aya jetzt noch gleich gesagt? Er hat Plan B erklärt, oder? Warum musste er Schuldig auch ablenken, indem er so aufreizende Sachen tat, wie atmen oder ein Glas Wasser trinken. Halt, Moment, irgendwas an dem Gedankengang war komisch, aber Schuldig kam im Augenblick beim besten Willen nicht darauf, was. "Klingt nach einem ausgeklügelten Plan.", versuchte er möglichst neutral zu antworten. Das konnte bei ihm so ziemlich alles bedeuten. Aya war sich demzufolge auch nicht ganz sicher, wie er diesen Satz deuten sollte. Er zuckte nur mit den Schultern und stellte das Glas ab. Schuldig war wild entschlossen, sich jetzt wieder auf den Plan zu konzentrieren. "Und wenn alles gut geht? Was dann?" "Wir machen einen Treffpunkt aus." So, genug konzentriert. Es müsste doch rauszufinden sein, ob der andere wirklich so uninteressiert war, wie er vorgab. Wie schaffte Aya es nur, in seiner Gegenwart immer nur über so dämliches Zeug nachzudenken? Er gab sich Mühe, besonders fies zu grinsen. "Warum sollte ich da hin kommen?", fragte er provozierend. Aya schien leider wenig beeindruckt. "Jeder Plan hat eine Schwäche." Schuldig stutzte. "Du vertraust mir.", stellte er überrascht fest. Er war wirklich erstaunt. Und irgendwie auch vage erfreut. Aya vertraute ihm, wie schön. Aber brachte ihn das irgendwie weiter? Nein. Vielleicht sollte er mal ausprobieren, ob man Aya mit Taten besser aus der Reserve locken könnte. In einer unbewussten Geste verschränkte Aya die Arme vor dem Körper, rutschte kaum merklich tiefer in seinen Sessel. "Als ob mir was anderes übrig bliebe...", verteidigte er sich. Warum ging Aya auf eine simple Feststellung hin so in die Defensive? Das war ja mal interessant. Da musste Schuldig doch gleich mal nachbohren. "Das ändert nichts an der Tatsache. Du hast keinen Grund dazu. Du bist doch sonst immer so vernünftig." Er war aufgestanden, beugte sich nun über den Sessel, in dem Aya saß, die Arme an der Rückenlehne abgestützt. Es war erst wenige Tage her, dass sie in einer ganz ähnlichen Situation gewesen waren. Doch Ayas Reaktion war die gleiche. Er blieb ruhig sitzen und sah Schuldig durchdringend an. "Ach, bin ich das? Wenn ich vernünftig wäre, hätte ich Weiß niemals verlassen. Ich hätte mir kein Haus in diesem blöden Nest gekauft und dir die Tür in dem Augenblick vor der Nase zugeschlagen, in dem ich dich erkannt habe. Und mal davon abgesehen, ist es kein Zeichen von gesundem Menschenverstand, mehr als zwei Monate in dieser Bibliothek zu arbeiten." Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Wenn Schuldig schon nicht wusste, was er von dem Gesagten halten sollte, haute ihn das Lächeln völlig um. Er beugte sich weiter zu ihm herunter, sein Blick auf diese undeutbaren Augen gerichtet. Ihre Lippen berührten sich, sanft zuerst, dann leidenschaftlicher, als Schuldigs Zunge seinen Weg zwischen Ayas Lippen fand, dessen Mundhöhle erkundete. Er hätte schwören können, das Aya kurz davor gestanden hatte, den Kuss zu erwidern, als... "Was soll das?" Aya schob ihn weg, hielt ihn mit ausgestreckten Armen auf Abstand. Schuldig grinste. "Ich dacht nur, einen Tag, der so schön angefangen hat, müsste man auch gebührend ausklingen lassen." Im nächsten Moment hätte er sich für diesen dämlichen Spruch ohrfeigen können. Erst denken dann sprechen. Himmel, wann würde er das endlich mal schnallen? Aya sprang wütend auf und stieß Schuldig weg. Was tat er denn? Das war doch absehbar gewesen. Er hatte es ja förmlich provoziert. Und dann hätte er den Kuss auch noch beinah erwidert. Ja, war er denn von allen guten Geistern verlassen? Schuldig saß heute zum zweiten Mal auf dem Fußboden. Irgendwie kam ihm das doch verdammt bekannt vor. Er schaffte es allerdings diesmal, Ayas Gedankengang wenigstens halbwegs mitzuverfolgen. An der entscheidenden Stelle meldete er sich dann zu Wort. "Ha! Also doch! Wenn es dir gefallen hat, dann sag mir bitte mal, warum ich jetzt hier sitze." Aya sah ihn völlig entgeistert an. "Ich habe nicht vor, mit dir zu schlafen.", informierte er Schuldig sachlich. Hä? Hatte er da was verpasst? Plante man so was neuerdings wie Zahnarztbesuche? War Aya denn bescheuert? "Was soll das heißen? Hast du ein Problem damit, dass du auf Männer stehst oder-" "Nein. Ich hab ein Problem damit, dass ich auf dich stehe.", fiel Aya ihm ins Wort. Schuldig hatte ein wenig Schwierigkeiten, diese Aussage in einen Kontext zu bringen, also gewann er erst mal Zeit, indem er vom Boden aufstand. Gut. Jetzt war ihm immer noch nicht klarer, was in Ayas Kopf vorging und dessen im Moment ziemlich wirre Gedanken halfen ihm da auch nicht wirklich. Also rettete er sich in die universalste aller Fragen. "Hä?" Aya fuhr sich genervt mit der Hand über die Augen und seufzte, blieb aber weiterhin an eine Wand gelehnt stehen, möglichst weit von Schuldig entfernt. "Also gut, fangen wir einfach an. Was willst du von mir?" "Ist das nicht offensichtlich?" Wieder seufzte Aya. "Okay, ich werde die Frage präzisieren. Willst du mich nur fertig machen oder meinst du es ernst?" Schuldig sah ihn fragend und ratlos an. Wie jetzt? Fertig machen? Hä? Was ernst meinen? Redeten sie eigentlich über das gleiche? War es nicht eben noch um Sex gegangen? Und wann genau hatten sie das Thema gewechselt? Aya unterdrückte nur mit Mühe ein erneutes Seufzen. Man sollte doch wirklich meinen, es wäre einfach, sich einem Telepathen verständlich zu machen, aber dem war offensichtlich nicht so. Gut, vielleicht lag das auch an ihm. Wenn er nicht mal sich selbst gegenüber ehrlich war, wie sollte Schuldig ihn da verstehen? "Empfindest du irgendwas für mich? Ich nämlich schon und das ist schlimm genug, auch ohne dass du mit mir spielst." Da! Er hatte es ausgesprochen. War er denn wahnsinnig? Schuldig stand andächtig schweigend da. Das kam jetzt irgendwie überraschend. Aya konnte es wirklich verdammt gut verbergen, wenn er jemanden mochte. Auch vor sich selbst. Wie sollte Schuldig denn damit klar kommen? Obwohl... Moment mal! War das nicht genau das, was er sich gewünscht hatte? Er wollte doch, dass Aya ihn mochte... liebte. Was auch immer. Er hörte Schritte im Zimmer, die sich verdächtig der Tür näherten. Als er aufblickte sah er Aya an eben dieser stehen. Ja, was war denn nun los? Warum wollte der denn gehen? Schuldig hatte doch noch gar nicht auf seine Fragen geantwortet. Er holte Aya ein, kurz bevor er die Tür erreicht hatte und stellte sich ihm in den Weg. "Wo willst du hin?" Aya verschränke wieder die Arme, wich aber seinem Blick aus. "Unter diesen Umständen: Mich betrinken, denke ich. Was dagegen?" Schuldig wurde jetzt erst klar, wie verzweifelt Aya war. Das war doch wohl ganz klar emotionale Erpressung! "Ja, ich hab was dagegen! Du kannst doch jetzt nicht einfach gehen! Ich meine, erst denkst du ständig darüber nach, wie sehr du mich hasst und wie du mich am besten loswirst, dann denkst du überhaupt nicht mehr über mich nach oder nur noch ganz selten und dann plötzlich so was. Und das alles, nachdem du mir das Leben gerettet hast. Wenn es so weiter geht, dreh ich durch. Du weißt schon, dieser ganze Mist mit den Baumpatenschaften und so..." Aya starrte Schuldig etwas verwirrt an, was an den leicht gehobenen Augenbrauen zu erkennen war. Schuldig starrte ebenso verwirrt zurück. Was hatte er da eigentlich gesagt? Er konnte sich nicht so gut erinnern, hatte ganz sicher nicht weiter darüber nachgedacht und sehr sinnvoll schien es nach Ayas Gesichtsausdruck zu schließen auch nicht gewesen zu sein. "Was erzählst du da eigentlich?" Aya versuchte an Schuldig vorbei zur Tür zu kommen. Obwohl es seiner Meinung nach ziemlich sinnlos war, versuchte Schuldig es zu erklären. "Es ist eine Kettenreaktion. Ganz furchtbar. Du verstehst das nicht, du bist einer von den Good Guys, aber ich mag es nun mal, böse zu sein. Mir gefällt das Image. Und da kann ich philanthropische Anfälle und den ganzen anderen sentimentalen Mist wirklich nicht gebrauchen." Aya hatte innegehalten. "Okay. Wovon redest du, warum erzählst du mir das und was hat es mit mir zu tun?" Nein! Das wollte er doch alles gar nicht wissen. Oder doch? Wollte er nicht nur so schnell wie möglich aus diesem Zimmer? Was sollte Schuldig ihm schon zu sagen versuchen? Der wollte bestimmt nur Zeit gewinnen, um ihn doch noch umzustimmen. Genau das war's. Leider würde er Erfolg damit haben, also sollte Aya jetzt wirklich verschwinden. Blieb nur das Problem, dass Schuldig immer noch im Weg stand und scheinbar nicht vorhatte, auch nur ein Stück nachzugeben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)