Das Portal von Rentalkid ================================================================================ Scheideweg ---------- Kapitel 11 – Scheideweg Die letzten paar Stunden waren für Peter wohl die schönsten gewesen, die er bisher in Minewood verbrachte – mit Sicherheit waren es die angenehmsten. Erst war ihm das Kunststück geglückt, ein leibhaftiges Einhorn einzufangen, und nun konnte er die verdiente Anerkennung für diese Großtat auch noch in aller Bescheidenheit auskosten, da er zum Mittelpunkt des Interesses der gesamten Gruppe geworden war. Die ganze Zeit über versuchte irgendwer einfach nur ein bisschen mit Peter zu plaudern um dem Einhorn nahe zu sein und sich vielleicht sein Geheimnis abzuschauen, das natürlich gar nicht existierte. Zumindest er selbst war sich dessen sicher. In diesem Augenblick näherte sich ihm Reyne. Zur freudigen Überraschung des Jungen war die Dunkelelfe, die ihm zuvor so tatkräftig zur Seite gestanden war, ganz allein. Lily und Jin hielten von der Frau einen gehörigen Respekt-Abstand und schwirrten nun nicht mehr um den neuen Helden der Karawane herum. „Stört es dich, wenn ich ihn ein wenig beobachte?“, fragte sie fast schon verlegen. „Nein, überhaupt nicht.“ Peter war erfreut darüber, wie offenherzig sie daherkam. Die meisten anderen versuchten seine Person bei ihren Annäherungen stets höflich in den Vordergrund zu rücken, obwohl jedem klar war, dass das eigentliche Augenmerk auf dem schneeweißen Hengst lag. „Einhörner sind magische Wesen, weißt du das?“ fragte Reyne den Jungen und klärte ihn anschließend auf. „Es heißt, sie seien unsterblich, wenn sich das auch schwer beweisen lässt, da sie nicht unverwundbar sind. Jedoch altern sie nicht mehr, wenn sie erst ausgewachsen sind, wodurch es schier unmöglich sein dürfte, das Alter dieses Exemplares zu schätzen.“ Sie tätschelte dem Tier bei ihren Ausführungen eher unbeholfen den Hals. Es schien fast so, als hätte sie einen Schuss zu viel Respekt vor dem Pferd. „Und noch einige ganz außergewöhnliche Fähigkeiten werden den Einhörnern nachgesagt. Es heißt, ihre Tränen vermögen es Tote wieder zurück ins Leben zu holen, und ihr Blut verleiht demjenigen ewiges Leben, der es sich einverleibt. So sagt man ...“ Eine Weile lang schwiegen beide und bewunderten das sagenumwobene Wesen, das in diesem Augenblick so unscheinbar wirkte. „Pass gut auf ihn auf, Peter!“ wies Reyne den Jungen an, während sie mütterlich ihre Hand auf die seine legte. „Er wird dir treu ergeben ohne Furcht in jede Schlacht folgen, die es zu schlagen gilt. Nur ein hasserfülltes Herz vermag es, das Band wieder zu zerreißen, das euch nun zusammenhält. Denk immer daran!“ Mit einem Lächeln auf den Lippen verabschiedete sich die geheimnisvolle Frau wieder, was eine aufgebrachte, blasse Waldelfe auf den Plan rief. „Pff! Hast du gesehen, wie gierig sie das arme Ding angestarrt hat?“ „Ich weiß wirklich nicht, was du meinst“, wiegelte Peter, gelangweilt von Lilys Querelen, ab. „Ach Papperlapapp! Du lässt dich doch bloß von der hübschen Verpackung hinters Licht führen“, warf das Mädchen ihm vor und setzte das Kompliment für die Dunkelelfe dabei symbolisch in Anführungszeichen. „Aber ich durchschaue das blaue Biest! Ja, oh ja!“ „Nun mach mal halblang, ja!?“, empörte sich Peter an den Lästereien der Waldelfe. „Außerdem kenne ich sie mindestens so gut wie dich, oder irre ich mich? Sie macht auf jeden Fall einen freundlichen Eindruck. Vergiss nicht, dass sie mir geholfen hat, ihn einzufangen.“ Peter gab dem Einhornhengst einen sanften Klaps auf den Rücken. „Genau das mein ich doch, du Idiot!“ Idiot? Das beleidigte den Jungen ein wenig, wo er sich doch sicher war, dass man solch oberlehrerhaftes Geplänkel normalerweise mit Dummerchen oder schlimmstenfalls mit Trottel beendete. „Geht's auch 'was genauer?“ „Oh um Himmels Willen!“ Lily schlug die Hände vor ihrem Gesicht zusammen und setzte sich anschließend elegant vor ihren Gesprächspartner. Das alles fand natürlich in der Luft statt – wie es die Elfe bevorzugte. „Fandest du es nicht merkwürdig, wie sie für dich aus heiterem Himmel in die Bresche gesprungen ist? Sie wollte ihn selbst einfangen! Weil sie besessen ist!“ „Besessen?“, entfuhr es Peter so laut, dass er für einen Augenblick die Aufmerksamkeit einiger Ritter erweckte. Er zog verlegen den Kopf ein und beschloss, im Flüsterton weiter zu reden. „Was redest du da nur?“ „Du hast mich schon verstanden, Peter! Weißt du eigentlich, was unsere Primadonna vor ihrer Karriere als Verräterin an ihrem eigenen Volk so getrieben hat?“, fragte Lily provokativ. „Komm schon, das geht wirklich zu weit, findest du---“ „Sie war Jägerin!“, unterbrach sie ihn mitten im Satz. „Sie hat die meiste Zeit ihres Lebens damit verbracht, Menschen ausfindig zu machen und sie nach Vyers zu verschleppen.“ In der Tat löste diese Information in Peter Unbehagen aus. Mit Jägern hatte er es auf der Insel Caims zu tun bekommen, und seine Erinnerungen an diese Begegnung hätte er am liebsten verdrängt. Kaum vorzustellen, dass Reyne einst ähnlich mit Menschen umgesprungen sein soll. Dennoch zweifelte der Junge viel eher an den Intentionen der bedeutend jüngeren Waldelfe. Wollte sie ihn vor einer Enttäuschung bewahren, oder doch nur Zwietracht sähen? „Es ist nicht wichtig, was sie war, Lily, sondern was sie ist.“ „Bitte ...“ Doch es stimmte, was er sagte, und auch Lily wusste das. Trotz allem zog die junge Elfe eine enttäuschte Miene, da sich zum wiederholten Male alle Welt gegen sie zu verschwören schien. Für einen Moment glaubte Peter gar, sie würde sich nun für den Rest der Reise von ihm fern halten, stattdessen aber gab sie sich in dieser besonderen Argumentation schlicht und ergreifend geschlagen und wechselte nun das Thema. „Ihm fehlt noch ein Name“, sprach sie mit heiserer Stimme, die eine Nuance ihrer Traurigkeit offenbarte. „Huh?“ „Dem Einhorn, du Genie, du musst ihm noch einen Namen geben! Vorher wird er dir nicht nicht wirklich gehören.“ „Ach, ist das so?“ fragte Peter verblüfft. „Aber ja! Ein Pferd ohne Namen bringt dich vielleicht durch die Wüste, aber nicht durchs Leben.“ Der Franzose konnte sich ob dieser Weisheit? kaum mehr im Zaum halten. Er lachte Lily nicht aus, sondern gab der errötenden Elfe mit seinem Aufsehen erregenden Gelächter Recht. Was ihn so über die Maßen amüsierte, verschloss sich der Elfe jedoch. „Ha ha! Einen Namen also!? Hm ...“ Wie Peter feststellen musste, war die Namensfindung für ein Einhorn keineswegs so simpel wie er zunächst angenommen hatte. Wie sollte man denn ein Einhorn nennen? Welchen außergewöhnlichen Namen hätte ein so außergewöhnliches Wesen verdient? Was wäre passend, was angebracht? Lily bemerkte die innere Zerrissenheit Peters und versuchte ihm einen weiteren Ratschlag zu geben, einen, der, so hoffte sie, nicht wieder in gellendes Gelächter ausarten würde. „Nun ja, such dir etwas aus, das dir zusagt. Probier nicht herauszufinden, was dem Tier, oder den anderen gefallen würde, das macht dich nur verrückt.“ Ein Name, der ihm gefallen würde ... Leichter gesagt, als getan, dachte der Junge. Dann schwebte einen Moment lang der Spitzname seines besten Freundes vor seinem inneren Auge. Momo, zugegebener Maßen nicht sehr anspruchsvoll, was Peter zunächst auch zögern ließ. Sonderliche Ähnlichkeiten zwischen dem schneeweißen Hengst und seinem Kumpel gab es auch nicht, aber wenn er eine Sache auf der Erde mehr vermisste, als alles andere, dann seinen besten Freund. Auf diese Art könnte er die Sehnsucht nach der Heimat vielleicht ein wenig kompensieren und etwas heimisches mit auf die Reise nehmen, abgesehen von seiner zerschlissenen und schmutzigen Kleidung. Ja: Auch nach reiflicher Überlegung schien Peter dies eine sehr gute Idee, und so stand sein Entschluss letztlich fest. „Ich denke, ich habe mich entschieden“, verkündete er triumphal. „Und?“ fragte Lily ungeduldig. „Darf man es erfahren?“ „Momo!“ Peter fuhr dem Hengst durch die perlweiße Mähne, der die Streicheleinheiten schnaubend entgegennahm. Der Junge bemerkte in diesem Moment nicht, dass Lily wie versteinert in der Luft zu stehen schien und er an der perplexen Gestalt vorbeizog. Welche Erinnerungen oder Ängste es auch waren, die dieser Name in ihr hervorrief, es stahl ihrem zierlichen Elfengesicht auf einen Schlag jede Lebensfreude. ... ... ... ... ... ... Ballybofey. Sieben Jahre früher (Minewood-Zeit) An diesem Morgen erhellte das sonst so spärlich durch die Wipfel dringende Sonnenlicht den Elfenwald auf zauberhafte Weise. Tauwasser reflektierte die Strahlen auf den Gräsern und Blättern und hüllte die Stadt in den Bäumen in ein glitzerndes Meer aus winzigen Lichtern. Es war nur ein einziger flüchtiger Blick nötig, um einen jeden der geflügelten Bewohner dieses friedlichen Landes in frühlingshafte Hochstimmung zu versetzen. Und es war ihnen anzumerken! Ganz besonders gut gelaunt war eine junge Elfe, die sich in Höchstgeschwindigkeit zielstrebig durch die verworrenen Luftstraßen ihren Weg zu bahnen wusste und dabei stets die Zeit fand, noch das ein oder andere Kunststück zu vollführen. Hier und da schreckten einige ihrer älteren Artgenossen auf und wiesen sie mit empörten Belehrungen zurecht. „Dir wird noch ein Unglück geschehen, wenn du so weiter machst, kleines Fräulein!“ „Tschuldigung!“ Wirklich ernst nahm sie die Warnungen nicht. Sie war an diesem Frühjahrsmorgen einfach zu aufgeregt um die Dinge um sich herum überhaupt richtig wahrzunehmen. Ihr Ziel erreichte sie, als auch die letzten Baumhäuser und deren spitzohrige Bewohner weit hinter sich gelassen waren, und sich ein schmaler Waldweg unter ihr abzeichnete, der durch die offensichtlich rege Benutzung wie ein einziger, rotbrauner Acker inmitten der saftigen Graslandschaft wirkte. Auf ihm übte sich eine einzelne, winzige Gestalt im Schwertkampf. Es war ein junges Mädchen mit schulterlangem, goldenen Haar, die ihre schon weit fortgeschrittenen Künste durch schweißtreibende Übungen verbesserte. Sie bemerkte die Elfe zunächst gar nicht. „Noch niemand da, Eva?“ „Huh?“ Leicht irritiert suchte das junge Mädchen die nähere Umgebung nach ihrem Gast ab. „Lily, bist du das?“ „Ja-ha!“, antwortete sie und landete elegant auf einer der Extremitäten eines der vielen hölzernen Sparringspartner, die für das Training der Ritter einstecken mussten. „Noch niemand hier ...“ Eva legte den schwertförmigen Holzprügel in ein blechernes Behältnis am Rande des kleinen Übungsplatzes. „Ich wette, deine Mutter rastet aus, wenn sie dich so sieht!“ „Erzähl keinen Quatsch!“, fuhr das Mädchen die Elfe an, wirkte dabei aber wenig überzeugt. „Sie macht sich bloß Sorgen um mich. Meint, sie müsse mich beschützen. Aber eines Tages wird sie schon merken, wie gut ich bin und mich endlich ernst nehmen.“ „Und dann?“, hakte Lily nach. „Was meinst du?“, entgegnete Eva ihrer lebhaften Freundin, die kaum eine Sekunde ruhig sitzen konnte und ständig mit den winzigen, nackten Füßen wackelte. „Was macht ihr dann? Hier gibt's doch nichts zu bekämpfen“, wunderte sich die Waldelfe. „Es ist doch friedlich hier ... schön, oder nicht?“ Natürlich war es das, und so kam die junge Eva einen Moment lang ins Grübeln. „Hier vielleicht, aber die Dunkelelfen quälen die Menschen immer noch! Dagegen muss etwas unternommen werden, und meine Mutter wird auch etwas unternehmen!“ „Hm ...“ Lily blickte nachdenklich gen Himmel, der zum größten Teil vom frischen Laub und dem Geäst der riesigen Bäume verdeckt war. „Meinst du, meine Mama wird auch kämpfen?“ „Ich weiß nicht.“ Eva hatte sich jetzt mit dem Rücken an die Holzpuppe gelehnt und blickte aus den Augenwinkeln zu ihrer besten Freundin hinauf. „Vielleicht. Deine Mutter ist stark. Irgendwie anders, als die anderen Elfen.“ „Ja“, antwortete Lily und schwieg danach für ein paar Sekunden. „Ich hoffe, dass sie es nicht tut.“ Eva konnte diese Äußerung zu diesem Zeitpunkt einfach nicht verstehen, auch wenn sie sich selbst große Sorgen um ihre eigene Mutter machte, wann immer von Kampf oder sogar Krieg die Rede war. Das Mädchen fürchtete sich zwar davor, wusste aber auch, wie viel ihr daran lag, gegen die Dunkelelfen in die Schlacht zu ziehen. Deswegen verstand sie es auch nicht, dass sie von ihrer geliebten Mutter stets zurechtgewiesen wurde, wann immer sie Interesse für den Schwertkampf, Reiten oder das Rittersein bekundete. Das elfjährige Mädchen wollte nur Eines: In ihre Fußstapfen treten! „Da sind sie ja!“, rief Lily lauthals aus und wies mit ausgestrecktem Zeigefinger in Richtung einer kleinen Gruppe von Reitern, die sich im Schatten der riesigen Bäume bewegten. Als die verspielte Waldelfe ein ihr nur allzu bekanntes Gesicht in der Ferne ausmachte, hielt sie nichts mehr an Ort und Stelle, und sie schoss – so schnell sie nur konnte – den Rückkehrern entgegen. Eva tat es ihr gleich, wenn auch zu Fuß und nicht halb so enthusiastisch. „Mama!“, jubilierte Lily und warf sich der einzigen Elfe inmitten der Gruppe um den Hals. „Langsam, langsam mein Schatz!“, beruhigte die etwas stämmige, von zwei außergewöhnlich schönen Flügeln getragene Elfe, mit dem gelockten, schwarzen Haar ihre Tochter. „Du erwürgst mich noch!“ „Würde ich nie tun!“ Während die beiden Umarmungen, Küsse und Kosenamen austauschten, erreichte auch Eva die Karawane und schaute sich nach ihrer Mutter um, die sie zunächst nicht ausfindig machen konnte, was sie beunruhigte. „Onkel Lester“, wandte sie sich an den ältesten der Reiter, der in diesem Moment von seinem Pferd herabstieg, „wo ist denn Mama?“ Die großväterliche Figur tätschelte dem Mädchen liebevoll den Kopf. Mit seiner gewaltigen Pranke hätte er dem zierlichen Dreikäsehoch selbigen auch mühelos abreißen können. „Sie wird gleich hier sein, Eva.“ „Ach, und Kleines ...“ Lilys Mutter meldete sich zu Wort, ihre Tochter immer noch fest um sich geschlungen. „Sie hat dir etwas ganz besonderes mitgebracht!“ „Ehrlich?“ flüsterte das Mädchen erstaunt vor sich hin. Und kaum den Bruchteil einer Sekunde später erschien ihre Mutter inmitten des Getümmels. Zwischen dem halben Dutzend Rittern stach sie nicht nur ob ihrer gottgegebenen Schönheit, sondern dieses Mal vor allem auch wegen dem Blickfang, auf dem sie angeritten kam, heraus. Die bildhübsche Frau mit dem kastanienbraunen, vollen Haar, deren Körper in eine maßgefertigte, leichte Plattenrüstung gehüllt war, die bis ins kleinste Detail perfekt ausgearbeitet war und ihre Trägerin wie ein Gemälde erscheinen ließ, thronte doch tatsächlich auf einem leuchtend weißen Einhorn, einer Gottheit und den Tieren und, so dachte Eva völlig überwältigt von diesem Anblick, wohl auch unter Seinesgleichen. Noch bevor ihre Tochter irgendetwas sagen konnte, vergrub das schneeweiße Pferd die gehörnte Schnauze lieblich in ihren Händen. Voller Ehrfurcht begann das blonde Mädchen das Tier sanft zu streicheln und berührte dabei auch das glänzend silberne Horn. Es schien das Pferd überhaupt nicht zu stören. „Er mag dich, Eva“, versicherte die Reiterin ihrer Tochter mit einem Lächeln auf den samtenen Lippen. Das Einhorn ließ Eva einen Moment lang sogar vergessen, wie groß die Sehnsucht nach ihrer Mutter tatsächlich war, die sie eine viel zu lange Zeit nicht gesehen hatte. Ihre warme, sanfte Stimme frischte die Erinnerungen jedoch wieder auf. „M-Mama“, schluchzte das kleine Mädchen. Die Gefühle überwältigten sie in dieser Sekunde. „Da bist du ja endlich wieder!“ ... ... ... ... ... ... ___________________________________________________________ Als an diesem Tag in Caims der Morgen graute, lag eine ungleiche Schlacht in der trockenen Luft. Ein erneuter Kampf würde die Mauern der Festung Vyers erschüttern, wenn der weiße Ritter seinen Zorn gegen die armen Seelen richtete, die so dumm waren, sich ihm in den Weg zu stellen. Er würde keine Armee anführen. Sein Herz war der Antrieb, sein messerscharfer Verstand sein General und das Schwert seine Hundertschaften. Das Leid des Mädchens, das es verdiente, gerächt zu werden, könnte er mit dieser Tat nicht lindern, aber er würde alles tun, was in seiner Macht stand, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und ihnen ein blutgetränktes Bild vom Ausmaß der eigenen Schandtaten zu vermitteln. Heute würden keine Unschuldigen sterben! Die drei Männer, deren Blut als erstes den glänzenden Stahl des Bastardschwertes verdunkeln sollte, wussten gar nicht, wie ihnen geschah, als das weiße Ross die noch in Trümmern liegende Westflanke der Festung übersprang, und dessen Reiter ihnen mit brutaler Präzision die Leiber zerschnitt. Drei Hiebe reichten aus. Einer für jeden von ihnen. Die nächsten Toten, die nur noch darauf warteten, über ihr Ableben aufgeklärt zu werden, brachen aus einem Haus nicht weit von Pearce entfernt heraus, als sie die Schreie ihrer Artgenossen vernahmen. Einige wenige, übermütige Exemplare nahmen den Kampf gegen den weißen Ritter auf, der in voller Rüstung, das Gesicht unter seinem ausdruckslosen Helm vergraben, wie der Todesengel auf sie wirken musste. Sein Schwert durchbohrte auch noch den letzten Angreifer mit unmenschlicher Kraft. Der Schrei des Dunkelelfen alarmierte nun mehr und mehr Bewohner der befestigten Stadt. Pearce entschied, sich nicht mehr länger mit dem Fußvolk aufzuhalten und stürmte im Galopp ins Zentrum Vyers', wo er sich symbolisch vor den Toren des höchsten Turmes aufbaute, während sich dutzende Soldaten um ihn herum zu positionieren begannen und ihn schon bald eingekreist hatten. Dima wich nicht zurück und sein Herr war ebenso fest entschlossen, diese ungleiche Schlacht zu schlagen. Lange zögerten die Spitzohren. Sie waren eingeschüchtert vom imposanten Anblick des Fremden. Waren erstaunt, dass er auf einem so mystischen Wesen daherkam. Dem Signal eines ihrer Artgenossen folgend, stürmten die Kämpfer schließlich auf den Eindringling zu und versuchten mit aller Macht, ihn zu stürzen. Sie versuchten ihre Ängste mit lautem Gebrüll zu verjagen. Mit zunehmender Mühe wehrte Pearce ohne Gnade eine Welle des Angriffs nach der anderen ab. Er schlachtete die blauhäutigen Elfen dahin wie Vieh und bemerkte dabei gar nicht, wie ihn seine Feinde immer schwerer verletzten. Einmal in Rage versetzt, verjagte das Adrenalin jedwedes Schmerzempfinden des Mannes. In dieser besonderen Nacht fühlte Pearce die vollkommene Ekstase, weil er wusste, dass diese Monster den Tod verdient hatten. Eine rostige Lanze durchbohrte schließlich den Hals des Einhorns, das dieser fatalen Verletzung sofort erlag und zu Boden sackte. Erst, als sich Pearce auf seine eigenen Beine angewiesen sah, begann ihn der Schmerz zu überwältigen, doch er kämpfte weiter, immer weiter. Gerade, als die Dunkelelfen vor Ehrfurcht zurückzuweichen schienen und sich Pearce wieder Erwartens des Sieges sicher war, hinderte ihn eine unerklärliche Macht sein Schwert nur mehr in der Hand zu halten. Jede Selbstkontrolle und all seine noch verbliebenen Kräfte verließen den Krieger, der so aufopferungsvoll wie naiv den Kampf gegen eine ganze Stadt aufgenommen hatte. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, was mit ihm geschah. Niemand in Reihen der umstehenden Soldaten wollte ihm den finalen Schlag verpassen, obschon selbst der letzte Anfänger das in jener Lage hätte tun können, und sie alle, so stand es in ihren hasserfüllten Augen geschrieben, geradezu danach lechzten. Dann trat eine prachtvolle, weibliche Gestalt aus der Menge hervor, die Pearce sofort mit den Augen fixierte und ihm schlagartig klarmachte, welches Schicksal ihn ereilt hatte. Ihr silbernes Haar und die prächtige Rüstung verrieten sie auf den ersten Blick: Es war eine Magierin, die ihn nun vollends in der Hand hatte und der das alles nicht einmal eine einzige Schweißperle in das makellose Gesicht trieb. Sie schritt über die vielen leblosen Körper und die Pfützen aus dem Blut ihrer Artgenossen hinweg auf den weißen Ritter hinzu, dessen Mut ihr zumindest Respekt abverlangte. „Unglaublich ... diese Macht ...“ Uriah stand jetzt genau vor dem Mann, der, seither Uriah ihn paralysiert hatte, in unveränderter Pose wie angewurzelt vor dem Haupttor von Gardifs Turm weilte. Uriah entfernte vorsichtig den Helm von seinem Kopf, und es offenbarte sich ihr, sowie den mordlüsternen Dunkelelfen in ihrem Rücken das Gesicht eines Menschen, ganz wie sie es erwartet, wenngleich auch nicht gehofft hatten. Ob es der Magierin nun gefiel oder nicht: Ohne Zweifel passte das Gesicht zu der Entschlossenheit, der Wut und den Fähigkeiten, die der Ritter im Kampf unter Beweis gestellt hatte. „Sag mir, Mensch, wer bist du?“ „Lady Uriah, wen interessiert das? Wir reißen ihm die Eingeweide heraus!“ dröhnte es aus der Menge. „Noch nicht! Erst will ich Antworten!“, hielt sie ihre Untertanen im Zaum und richtete sich anschließend wieder an den Menschen. „Also?“ Kontrolle hatte er nur noch über seine Augen und sein Denkvermögen. Letzteres zwang ihn einen flüchtigen Blick auf Dima zu werfen, diesem erhabenen Wesen, das nun tot in einem See des eigenen Blutes lag. Der Anblick rührte den Mann zu Tränen. Tränen der Trauer und der Wut. „Mein Name ... ist Rache ...“, keuchte Pearce, der sich kaum noch bei Bewusstsein halten konnte. „Mein Name ist ... Vergeltung! Mein ... N-name is-t ...“ Die Welt um den weißen Ritter herum, wurde allmählich pechschwarz. ___________________________________________________________ Noch immer folgte die bunte Gemeinschaft der Hochstraße, die sie in den letzten Stunden über die facettenreiche und schlichtweg atemberaubende Landmasse Adessas getragen hat. Beinahe drei Tage lang konnte die Karawane ohne größere Schwierigkeiten nach Norden durchmarschieren. Für Peter verlief die Reise bisher sogar überraschend erfolgreich. Das zufriedene Grinsen auf seinem Gesicht konnten ihm selbst bevorstehende schlechte Nachrichten nicht vertreiben. Ein weiteres Mal wies Eva die Gruppe an, Halt zu machen. Dieses Mal nur mit einer Handbewegung. Den linken Zeigefinger legte sie bezeichnend über ihre Lippen. Schlagartig wurde es um Peter herum still. Sogar die beiden Elfen verschlug es auf den harten Boden der Tatsachen, da das Lichtspiel ihrer Flügel zu viel Aufmerksamkeit erregte. „Was ist da wohl los?“, flüsterte Peter in Lilys Richtung. „Shh!“ Sie wies ihn mit der selben Geste zurecht, die Eva an der Spitze des Zuges noch immer aufrecht erhielt. Wie es aussah, sollte er keinen Laut mehr von sich geben – weswegen auch immer. Peter sah, wie einige der Frauen und Männer – darunter Eva, Elmo und Reyne – vorsichtig und auf absolute Ruhe bedacht von ihren Pferden stiegen und sich gebückt bis zum Rande des Hügels vorwagten. Eine Minute später zogen sie sich wieder zurück; nicht mehr darauf erpicht den Geräuschpegel so niedrig wie nur irgend möglich zu halten. Peter vernahm die beginnenden Gespräche und beschloss, sich in den erhabenen Kreis der Redner und Zuhörer zu wagen. Zu seinem Erfreuen störte sich niemand daran. Der Franzose suchte sich einen freien Platz in der Nähe der blonden Anführerin und kam noch gerade rechtzeitig, um den Grund für die plötzliche Besorgnis der Leute zu erfahren. „Gamdscha. Ungefähr ein Dutzend.“ „Wohl eher mehr“, warf Elmo ein. „Wirklich großartige Neuigkeiten!“, Rios resignierte. „Und“, meldete sich Cecil, der Mann in der Mönchskutte zu Wort, dem Peter seit Verlassen des Lagers in Ballybofey zum ersten Mal so nahe gegenüberstand, „was gedenkst du nun zu tun, Eva?“ Auch wenn Cecil ganz eindeutig zu der kleinen Fraktion um Rios herum gehörte, mangelte es ihm, anders als seinem Freund, nicht an Höflichkeit und Manieren. Tonfall und Wortwahl des Mannes hinterließen einen positiven Eindruck bei Peter, wie auch sein gepflegtes äußeres Erscheinungsbild. Eva war um eine Antwort auf seine Frage sichtlich bemüht. Mit einer solchen Entdeckung hatte sie nicht gerechnet. Sie strich sich mit der Hand durch die Haarsträhnen, die ihre Narbe verdeckten. Er wusste es zwar nicht mit Sicherheit einzuschätzen, doch erschien Peter diese unscheinbare Bewegung wie ein erstes Zeichen von Nervosität und Hilflosigkeit. „Wir sollten warten, bis sie sich zurückziehen“, schlug die junge Frau schließlich vor. „Worauf sollen wir warten?“, entfuhr es Rios mit zorniger Stimme. „Die werden wahrscheinlich nie mehr verschwinden, schließlich gibt es hier ja alles, wonach es ihnen sinnt!“ „Es ist eine kleine Herde. Womöglich hat Rios recht, sie könnten hier noch eine lange Zeit verweilen.“ Lester schloss sich nur sehr ungern der Meinung des Querulanten an, wie er Rios vor kurzem noch so vortrefflich betitelt hatte. Eva gab letztlich nach und bat ihre Mitstreiter um Hilfe. Eine echte Premiere, dachte Peter. „Also ...“, seufzte sie. „Was schlagt ihr stattdessen vor?“ „Wir nehmen einen anderen Weg! Versteht sich doch von selbst!“ In der Tat war das die logische Konsequenz. Der eigentliche Weg wurde der Karawane von dutzenden Monstern versperrt, die in ganz Minewood für ihre blutrünstige, aggressive Natur bekannt und gefürchtet waren, demnach musste man ihnen wohl oder übel ausweichen. „Das sollten wir nicht tun“, drang es aus Elmos Kehle fast ängstlich hervor. „Dann doch lieber durch die Gamms hindurch.“ „Was? Hast du etwa Angst?“, verspottete Rios den stolzen Krieger, in dessen Gesicht man unschwer lesen konnte, was er daraufhin am liebsten mit dem älteren Mann gemacht hätte. „Du bist doch nicht etwa abergläubisch, oder? Kann mir nicht vorstellen, dass einer wie du an diese kindischen Spukgeschichten glaubt.“ „Spukgeschichten sind das also? Kindisch, ja?“ Elmo redete sich schnell in Rage. „Wie nennst du das denn?“ fragte er provokant und zeigte auf das Einhorn, dessen rechtmäßiger Herr mal wieder gehörig im Dunkeln tappte. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber vor sechs Jahren noch hätte ich die Existenz von Elfen und Einhörnern auch vehement abgestritten – aber sie existieren, verdammt noch mal! Wie kannst du also so selbstsicher bestreiten, dass die Legenden um die verlorene Stadt wahr wären, huh?“ „Geistergeschichten fallen auch hier in Minewood in die Kategorie Schwachsinn, du Feigling!“ Reyne musste ihren engsten Vertrauten zurückhalten. Auch Eva bemerkte, dass dieses Zwiegespräch kurz davor stand, zu eskalieren, und schritt ein. „Genug jetzt! Beruhigt euch wieder, alle beide!“ Die zierliche Person stand jetzt mit ausgebreiteten Armen zwischen den bulligen Kerlen. „Ob hinter den Legenden um Ballymena [ Bell-Me-Na ] nun Wahrheit steckt, oder nicht, es sieht ganz so aus, als hätten wir keine andere Wahl, als das herauszufinden, denn das wird unser Weg sein! Verstanden?“ Sogar Rios, der diesen internen Machtkampf mit dem grünhaarigen Heißsporn gewonnen zu haben glaubte, rang sich ein Jawohl ab. Die Entscheidung war also gefallen, was für Peter wenig Unterschied machte, da ihm jeder vor ihm liegende Quadratmeter dieser Welt noch völlig unbekannt war. Natürlich beunruhigten ihn die Andeutung Elmos, vor allem, da es dem sonst so selbstbewussten und risikofreudigen Mann große Sorgen zu bereiten schien, diesen bestimmten Weg einzuschlagen. „Ihr solltet euch das wirklich nicht entgehen lassen, Leute!“, rief Aarve der Gruppe zu, die auch während der hitzigen Diskussionen immer bemüht war, den Flüsterton beizubehalten. Umso schockierter waren sie alle, dass der hellblonde Neuling so gedankenlos herumschrie. „Was denkst du dir eigentlich?“ Eva stürmte auf den Mann zu und wollte ihn gerade die Leviten lesen, als sie ebenfalls sah, was er entdeckt hatte. „Oh Gott ...“ Durch Evas Entsetzen wurde der gesamte Zug hellhörig und schob sich neugierig bis an den Rand des Hügels vor. Sie alle teilten schon bald darauf die Gefühle ihrer Anführerin. Die Schweine ähnlichen Riesen waren in helle Aufregung versetzt. Grund dafür war eine Gruppe todesmutiger Dunkelelfen, die wohl eher unabsichtlich in diese lebensgefährliche Situation geraten waren. Jedem der Beobachter war klar, dass die vier Frauen und zwei Männer nicht die geringste Chance hatten, aus dieser Sache wieder heil heraus zu kommen. Keiner konnte wegsehen, als die Gamdscha ihre unerwarteten Gäste wie Vieh zusammenpferchten und schließlich über sie herfielen. Es dauerte keine Minute und die blauen Zweibeiner waren in einem blutigen Massaker völlig aufgerieben worden. Mit ihren riesigen Pranken erschlugen einige Gamms die Elfen mit einer grotesken Leichtigkeit, die ihre barbarische, abnorme Kraft offenbarte. Eine der Frauen wurde von zwei kleineren Abkömmlingen dieser grässlichen Wesen buchstäblich in zwei Hälften gerissen. Ihre panischen Schreie verwandelten sich in diesem Augenblick zu einem nassen Röcheln. Auch wenn Gamdscha Fleischfresser waren, hatten sie kein Interesse an den blutigen Überresten der Spitzohren. Einige jüngere Exemplare vollführten ein paar abstrakte Kunststücke mit den toten Körpern, spielten damit, bis sie letzten Endes von ihnen abließen und die Kadaver inmitten ihres Lagers der Natur überließen. Bis auf Lily und Jin hatte sich ausnahmslos jeder längst von der grausamen Szenerie abgewandt. Selbst Aarve, der zunächst große Genugtuung empfand, als er erahnte, was den verhassten Dunkelelfen widerfahren würde, dem das Schlachtfest nach kurzer Zeit aber ebenfalls schwer auf den Magen schlug. Die kleinen Elfen jedoch waren völlig starr vor Schreck. War Lily von Natur aus blass, dann in diesem Moment so kreidebleich wie ein Blatt Papier. Die Hände hielt sie vor dem Mund verschränkt. Endlich bemerkte Peter ihren Zustand und zog sie mit einem kräftigen Ruck zu sich herunter. Ihr zierlicher Körper zitterte wie Espenlaub. „Um Himmels Willen!“, schluchzte Maio, der seit Jahren in Elmos Präsenz kaum mehr ein Wort gesprochen hatte, es in diesem Moment aber nicht mehr zurückhalten konnte. „Waren das die Jäger, die uns auf den Fersen sein sollten?“ „Es waren Jäger“, antwortete Reyne. Sogar ihre Stimme bebte. Das Geschehene war auch für die standfeste Dunkelelfe nicht ohne weiteres zu verarbeiten. „Doch muss das nicht heißen, dass wir nicht mehr gejagt werden.“ „Lasst uns bitte schleunigst von hier verschwinden!“, brachte es der zweitjüngste Ritter der Gruppe, Tatum, auf den Punkt. „Ausgezeichnete Idee“, hallte es bestätigend aus der Gruppe zurück. Rios gab die Richtung vor. Während die Truppe ihre Pferde sattelte und sich bereit machte, in die entgegengesetzte Richtung aufzubrechen, um einen Weg in nordwestliche Gefilde einzuschlagen, den man vor rund einer Stunde passiert und guten Gewissens keine größere Beachtung geschenkt hatte, war Peter damit beschäftigt, einer Elfe den Schrecken auszutreiben. „Lily?“ „Was hat sie?“ Es war Jin, der sich dem Jungen angenähert hatte; seine Augen glänzten, doch hielt er seine Tränen zurück. „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen: eine Überdosis Gesichter des Todes.“ Er wollte eigentlich gar nicht witzig sein, somit misslang es dem Franzosen zumindest nicht. „Sie kommt einfach nicht zu sich.“ „Und was machen wir jetzt?“ „Peter! Beeilt euch!“ Eva rief in scharfem Ton nach den Spätzündern. Die gesamte Karawane war schon wieder in Bewegung. „Ich kann sie tragen“, schlug Jin vor. „Das schaffe ich!.“ „Nein ... Nein danke, nicht nötig.“ Peter bemerkte, dass Lilys Augen mittlerweile geschlossen waren, offensichtlich hatte sie das Bewusstsein verloren. „Ich werde sie mitnehmen.“ ... ... ... ... ... ... Ballybofey. Sieben Jahre früher (Minewood-Zeit) Lily und Eva waren den ganzen Tag nicht von dem Tier zu trennen gewesen. Sie waren gleichermaßen begeistert von dem Einhorn, dessen Ankunft längst eine ganze Schar von Elfen zur Taverne gelockt hatte. Jung und alt standen beeindruckt und tuschelnd vor den Stallungen und ergötzten sich am Anblick des weißen Pferdes mit dem prächtigen Horn auf der Stirn. Die beiden Mädchen und deren stolze Mütter genossen indes das verdiente Privileg, dem Einhorn viel näher sein zu dürfen, als die anderen. „Schau!“, wies Lily ihre beste Freundin an, als der Hengst ein kurzes Schnauben von sich gab. „Ich glaub er hat geniest.“ Die Elfe flüsterte ganz leise, so als ob sie befürchtete, das Tier zu erschrecken, würde sie zu laut sprechen. „Wie süß!“ Nicht weit von ihnen entfernt unterhielten sich die Mütter der verzauberten Mädchen. Sie wirkten dabei so sehr wie nie wie ältere Ausgaben ihrer Sprösslinge. „Da hast du ja was angerichtet, Lara!“ „Was meinst du?“, fragte Evas Mutter die Elfe neben ihr, die nur einen Kopf kleiner war als sie. „Nun ja, jetzt gibt es hier noch jemanden, den die zwei auf keinen Fall werden gehen lassen wollen.“ Es war scherzhaft gemeint, traf den Nagel aber auf den Kopf. Eine Reise vom Elfenwald nach Tapion war nicht nur strapaziös, sie war vor allem auch gefährlich. Hinzu kam, dass Lara und Daimia ihren Töchtern während ihrer Abwesenheit keine Nachrichten zukommen lassen konnten, mit denen sie ihren geliebten Töchtern die Angst um das Wohlergehen ihrer Mütter, die sie Tag für Tag begleitete, hätten nehmen können. „Mama, er ist klasse!“ feierte Lily die Bescherung gestenreich. „Er ist sooo groß und richtig zahm, man kann sogar sein Horn berühren!“ „Das mag es nicht!“, mischte sich Eva belehrend ein. „Und wie kommst du überhaupt darauf, dass es ein Er ist, hast du nachgeschaut?“ „Tja ... naja.“ Verlegen wandte sich die zerbrechliche kleine Gestalt den Erwachsenen zu. „Ha ha, es ist ein Junge, ja!“ Daimia war amüsiert über den frechen Mut ihrer Tochter. Im krassen Gegensatz dazu stand wiederum Evas übertriebene Scham. Die Charaktere ihrer Eltern hatten zweifelsohne abgefärbt. Daimia hatte keinerlei Probleme damit, sich im Verhalten ihrer Tochter wiederzuerkennen, schließlich erzog sie das Mädchen mit strenger Hand, so wie sie es einst selbst erfahren hatte. „Hat er denn schon einen Namen?“, fragte Eva ihre Mutter neugierig. „Nun ...“ Lara hielt einen Moment lang inne, das sie es ihrer Tochter natürlich gegönnt hätte, das Einhorn taufen zu dürfen, doch war diese Möglichkeit leider schon verwirkt. „Ja, den hat er.“ Das Mädchen ließ sich ihre Enttäuschung nicht anmerken. Ihrer Mutter gegenüber war sie stets bemüht, die Fassung zu bewahren, auch wenn es ihr in so jungen Jahren nicht immer gelang. „Verstehe. Und wie lautet der?“ Lara zog es in die unmittelbare Nähe ihrer Tochter. Sie legte ihre warmen Hände mütterlich auf die Schultern des Mädchens und musterte die traurigen, dunklen Augen des Pferdes, die immerwährende Melancholie ausstrahlten. Wurden diese Tiere den Ausdruck der Schwermut nicht los, war Lara seit jeher in ihr gefangen. Einzig das zarte Wesen, dessen hübscher, blonder Schopf an ihre Brust gelehnt war, ließ sie vergessen. „Momo.“ ... ... ... ... ... ... ___________________________________________________________ Der Rachefeldzug, auf den Pearce sich für ein fremdes Mädchen begeben hatte, und der von Beginn an zum Scheitern verurteilt war, endete letztlich in Gefangenschaft. Erst beraubten ihm die Dunkelelfen seines besten Freundes, schließlich auch seiner Rüstung und seiner Waffen. Was ihm jetzt noch blieb, war sein Leben, zumindest so lange er der Hexe noch von Nutzen sein konnte. „Warum nur kann ich deine Gedanken nicht lesen, mein stolzer Krieger?“ Uriah klang zwar besonnen und ausgeglichen, verspürte dem Mann gegenüber allerdings großen Zorn. Dabei maßgebend war wohl der Umstand, dass sie den ganzen Tag lang versucht hatte, Informationen aus ihm herauszuquetschen, bisher ohne jeden Erfolg. Es wollte sich der mächtigen Hohepriesterin nicht erschließen, wie ein Mensch in seinem Zustand eine so widerstandsfähige, mentale Barriere aufzubauen im Stande war. Da dieses Hindernis aber ohne jeden Zweifel, wurde Uriah erst recht neugierig. „Wie nur?“ Uriah erhob sich von der steinernen Bank, die ihr in diesem zur Folterkammer umfunktionierten Kellergewölbe als Sitzgelegenheit diente, und bewegte sich Schritt für Schritt auf Pearce geschundenen Leib zu. Jedes Mal, wenn sie einen Fuß vor den anderen setzte, fügte sie einer Frage, die ihr schon lange auf der Zunge brannte, ein weiteres Bruchstück hinzu. „Wie nur kann ich ... diese ... harte Schale ... DURCHBRECHEN?“ Das letzte Wort schrie sie heraus und ohrfeigte den Mann, der ihr völlig ausgeliefert war. Seine Arme und Beine waren gefesselt. Er hing an einer rostigen Stahlkette, die um seine Handgelenke befestigt war, von der Decke des Raumes, den nur noch spärliches Kerzenlicht erhellte, da die Nacht sich allmählich herabsenkte. „Du ...“ Pearce keuchte mit letzter Kraft einige Worte in Uriahs Richtung. „Du bist nicht die einzige ...“ Er sah das sich ausbreitende Entsetzen in ihren geheimnisvollen, silberfarbenen Augen und wusste sofort, dass sie ihn ganz genau verstanden hatte. Das Letzte, was Pearce in diesem Leben von sich gab, war ein kraftloses Lachen. Uriah brach ihm das Genick, ohne dabei auch nur einen Finger zu rühren. ___________________________________________________________ Es war kalt im dunklen Territorium. Viel kälter, als auf den Pfaden, die die Karawane bisher beschritten hatte. Den beiden Elfen und Peter schien das einmal mehr stärker aufs Gemüt zu schlagen, als dem Rest der Truppe. Lily und Jin waren um ihre leichte Bekleidung zudem nicht zu beneiden. Dieser Ort war in keiner Weise zu vergleichen mit dem schwül-warmen Paradies, das sie Heimat nannten. „Ich hoffe wir sind bald da!“, sprach Jin in Peters Richtung aus, der gleichwohl ebenso fror, es allerdings besser zu verstecken wusste. „War das jetzt eine Frage?“ Ratlos schaute er dem Elf in die großen, dunklen Augen. „Ich hab nämlich nicht die leiseste Ahnung, wo wir überhaupt sind.“ Das dunkle Territorium war passenderweise die ursprüngliche Heimat der Dunkelelfen, auch wenn man – so hatte es Eva den unwissenden Neulingen auf deren Drängen hin erklärt – dieses Gebiet erst nach dem großen Krieg auf diesen unheilvollen Namen umtaufte. Die Mühe, noch tiefer in die Geschichte Minewoods einzutauchen, machte sie sich allerdings nicht. Wahrscheinlich hätte das auch mehr Fragen aufgeworfen, als letzten Endes beantwortet. „Unser Ziel ist Ballymena, die Hauptstadt des früheren Königreiches.“ Viola hatte sich unbemerkt an Peter und die beiden Elfen, die sich stets in der Nähe des Jungen aufhielten, herangeschlichen. „Einst war sie ein Knotenpunkt des Lebens in Adessa, verband Norden und Süden, Licht- und Dunkelelfen. Was davon allerdings übriggeblieben ist, wird mit der belebten Metropole von damals wohl nicht mehr viel gemein haben, fürchte ich.“ „Heißt das, du weißt gar nicht, was uns erwartet?“, fragte Peter überrascht nach. Wieder einmal wusste die Unerfahrenheit des Franzosen die Kriegerin zu amüsieren. „Woher denn auch? Bisher hat sich noch kein Mensch in das zerstörte Königreich vorgewagt! Und soweit ich weiß ...“ Ihr Blick wanderte zu Lily herüber. „auch kein anderes Wesen.“ Die Nachrichten bedrückten den Jungen, und es beschlich ihn das dumpfe Gefühl, dass Viola genau darauf abzielte. Zum ersten Mal seit Stunden sprach das zusammengekauerte Mädchen im Schoß des Jungen wieder einen Satz, der klar und deutlich zu verstehen war und ihre Übelkeit kurzzeitig vergessen machte. Im Dunkel der Nacht wirkte die ohnehin eher blasshäutige Elfe nicht mehr so kränkelnd bleich, sprach aber so mut- und kraftlos, dass das Bild, welches sie abgab, noch immer in hohem Maße Mitleid erregend war. Welch grauenhafte Bilder das sonst so lebenslustige und freche junge Ding am Vorabend dieses Tages hatte mitansehen müssen, stand ihr noch immer ins kindliche Gesicht geschrieben. „Und?“ Lily setzte das Gespräch fort, an dem der Neunzehnjährige gerade Interesse zu verlieren schien. „Was glaubst du, wird uns dort erwarten?“ „Was immer die Zeit noch nicht wieder zu bereinigen imstande war, Kleines.“ Obwohl sich die Frau im engen Lederanzug ganz genau darüber im Klaren war, dass ihre Andeutungen beunruhigende Gedanken in der lebhaften Fantasie ihrer Zuhörer auslösen würden, lächelte sie wie eine Heilige. „Doch eine unschuldige, junge Elfe wie du es bist, muss sich darüber doch nicht den Kopf zerbrechen, oder? Wer oder was könnte denn so herzlos sein, einem so hilflosen und friedfertigen Wesen etwas anzutun?“ Mit ihrem unentwegt aufrecht erhaltenen Grinsen zog Viola wieder an der kleinen Dreiergruppe vorbei, deren Nerven sie soeben genüsslich strapaziert hatte, und gesellte sich zu Ihresgleichen. Lily und Peter teilten Beunruhigung und Wut gleichermaßen. Wo es dieses überhebliche Frauenzimmer auch hinziehen mochte, sie war dort besser aufgehoben, als in der Nähe der beiden. Peter hatte in sehr kurzer Zeit die Wandlungsfähigkeit dieser Dame zu Gesicht bekommen und war sich unsicher, wie viele Facetten noch unter ihrem trügerischen Lächeln verborgen lagen. In gewisser Hinsicht galt dies auch für die Elfe in seinen Armen, die nach den jüngsten Ereignissen ihre sonst so aufbrausende Art vermissen ließ. Sie war eben noch ein Kind und konnte diese unumstößliche Tatsache in ihrem augenblicklichen Zustand nicht mehr so gekonnt verbergen, wie es sonst tat. Zumindest war sie wieder bei Bewusstsein. Die Karawane stoppte in mehreren Wellen. „Sind wir da?“, fragte Lily schlaftrunken. „Ich weiß nicht.“ Auch Peter konnte mit dem plötzlichen Halt nichts anfangen. „Sind wir?“ Entschlossen, nicht wieder im Dunkeln tappen zu wollen, ließ der Franzose Momo zur Spitze des Zuges traben. Es wäre vermessen gewesen, zu behaupten, Peter hätte es innerhalb eines einzigen Tages geschafft, zu einem deutlich besseren Reiter heranzureifen – das Einhorn aber reagierte mit einer solchen Selbstverständlichkeit auf seine Befehle, dass es ihm leicht gemacht wurde, zu brillieren. „Wieso halten wir, Eva?“ „Es ist Nacht“, stellte sie emotionslos fest. „Die Stadt ist wahrscheinlich auch am Tage zu gefährlich, um sie zu durchqueren. In der Nacht kommt das aber überhaupt nicht in Frage. Nicht unter meiner Führung.“ Peter fühlte sich stark an das erste Gespräch mit der jungen Frau erinnert. Wie er vor einigen Tagen erfahren hatte, litt sie sehr unter den Folgen des fehlgeschlagenen Angriffs auf Gardif. Es hatte keines Psychologen bedurft, darauf zu kommen, dass sie sich schuldig fühlte – wahrscheinlich tat sie es noch immer. Es bedurfte demnach auch jetzt keines Experten, um festzustellen, dass etwas nicht stimmte. „Kannst du die Tore Ballymenas erkennen? Dort,“ Sie wies dem Jungen mit dem linken Zeigefinger die Richtung, „wo sich der Wald lichtet?“ Er bemühte sich – sehr sogar-, doch alles, was Peter in der Ferne erkennen konnte, war der Wald, den Eva erwähnt hatte und den Fuß einer Gebirgskette, die so düster wie die angebrochene Nacht den Horizont verdunkelte und von Nebelschwaden eingehüllt war. Die letzten paar Stunden folgten die Frauen und Männer einem Pfad, der sich zweifellos in dieser Region verlor und die Gruppe genau dorthin führen würde, wo Peter nur karge Gesteinsmassen auszumachen im Stande war. „Nicht wirklich, fürchte ich.“ „Du siehst doch aber das Felsmassiv, oder?“, versuchte die junge Frau es weiter. „Äh, ja ... Ist das etwa?“ „Ganz genau!“ Peter kniff ungläubig die Augen zusammen und bemühte sich das Gebiet in der Ferne nach Anzeichen von Zivilisation abzusuchen. Doch vergebens. „Natürlich ist die Stadt nicht mehr das, was sie einmal war. Ballymena war schließlich das Zentrum der Auseinandersetzungen.“ Eva brach ihre Ausführungen für kurze Zeit ab. „Allerdings kann ich dir nicht sagen, was uns dort erwarten wird. Ich war schließlich auch noch nie hier. Überhaupt trifft das auf jeden hier zu, bis auf Lester, musst du wissen. Alles was ich über die Dunkelelfen weiß, habe ich bei ihm aufgeschnappt. Falls du also Fragen hast, bist du bei Lester an der richtigen Adresse.“ „Verstehe.“ Peter zweifelte nicht an der Auffassungsgabe der hübschen Frau. Sie hätte die Geschichten des alten Kauzes, der sie nie aus den Augen ließ, vermutlich sogar besser erzählen können, als ihr Urheber, schien aber kein großes Interesse daran zu haben. Ein wenig kränkte den Franzosen das, der jedoch Verständnis für ihre Ungeduld zeigte. „Und was geschieht jetzt?“ „Wir machen Rast bis zum Morgengrauen!“, verkündete Eva lauthals, sodass der gesamte Zug hellhörig wurde. „Zudem halte ich es für angebracht, schichtweise Wache aufzustellen. Zum einen gehen wir so kein unnötiges Risiko ein, zum anderen erlaubt uns das ein zentrales Feuer aufrecht zu erhalten. Der Kälte wegen.“ Niemand machte Murren. An ihrer Order gab es schlichtweg nichts auszusetzen, auch wenn die junge Anführerin Rios zugetraut hätte, dass er ohne zu zögern auch in tiefster Nacht durch das unbekannte Gebiet geritten wäre. Für den Augenblick lief alles nach Plan. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)