Das Portal von Rentalkid ================================================================================ Beute ----- Kapitel 2 – Beute Vor den Augen des Jungen brach das finstere Abstraktum über ihm, welches ihn zuvor an diesen Ort gebracht hatte, in sich zusammen und verschwand vollkommen. Peter war von dem Sturz noch viel zu benommen, um seine Situation gänzlich wahrnehmen zu können. Dem unangenehmen Gefühl nach zu urteilen, musste er mehrere Meter tief gefallen sein. Der Aufprall hatte ihn ihn fast betäubt. Schmerzende Stiche schossen ihm durch den Körper, sodass Peter Schwierigkeiten hatte, sich zu orientieren. Als der junge Franzose alle seine Sinne wieder beieinander hatte, untersuchte er seinen Körper instinktiv nach Verletzungen. Er schätzte – des Schmerzes wegen-, dass zumindest ein paar Rippen arg in Mitleidenschaft gezogen worden wären. Doch die Entwarnung folgte auf dem Fuße: ein seichter Teich und dessen relativ weiches Naturell hatten ihn vor dem Schlimmsten bewahrt. Seine Kleidung war für derartige Bruchlandungen zwar alles andere als zweckmäßig, doch war der Junge mit dem kurzen, pechschwarzen Haar trotzdem froh darüber, an diesem Tag auf eine robuste Jeans und ein einfaches, weißes T-Shirt vertraut zu haben. Durchnässt war er sowieso schon, doch hier – wo immer das auch sein mochte – ließ ihn ein schneidend kalter Wind am ganzen Leibe erzittern. Vorsichtig versuchte Peter, sich aufzurichten. Sein Hemd war völlig verdreckt vom nassen Schlamm, der seinen Sturz abgefangen hatte und nun an seinem Rücken klebte. Soweit es Peter möglich war, dies zu beurteilen, herrschte immer noch dieselbe Tageszeit vor, wie in der Heimat. Weit könnte ihn das Portal also nicht gebracht haben. Womöglich war er ja noch immer in Frankreich, in irgendeinem dichten Wald, aus dem es nun so schnell ihm nur möglich zu entkommen galt. Genaueres würde der Zwerg Neil ihm sicher mit auf den Weg geben. Aber wo steckte er? Von dem kleinen, alten Mann war weit und breit keine Spur, wenngleich Peter mehrmals seinen Blick in der Umgebung kreisen ließ, um auszuschließen, ihn nicht übersehen zu haben. Er wurde zunehmend unruhiger; was auch immer er gerade erlebt hatte, war rational kaum zu erklären. Er hatte sein Schicksal in die Hände eines völlig Fremden gelegt, nur weil dieser ihm eine verlockende Versprechung gemacht hatte. Bis in den Abgrund, wusste der umtriebige Kerl ihn zu treiben ... Während Peter darüber sinnierte, wurde ihm langsam bewusst, wie leichtsinnig sein Verhalten war. Als hätte man einem Kind Süßigkeiten angeboten, dachte der Junge selbstkritisch. Der Winzling vom Hafen war rückblickend betrachtet auch alles andere als vertrauenswürdig gewesen. Merkwürdig, ohne Zweifel, aber ganz sicher nicht die Art von Person, der man blindlings sein Schicksal anvertrauen sollte. „Verdammt nochmal Neil, wo steckst du?“ Was Peter aber vor allem interessierte, nachdem er sich allmählich damit abzufinden schien, an diesem unwirklichen Ort auf sich allein gestellt zu sein, war, wo er sich eigentlich befand. Die Sonne war längst auf ihrem Weg hinter den Horizont und schien nur noch vereinzelt durch das Geäst. Nicht mehr lange, und totale Dunkelheit würde Einzug halten. Ein Gedanke, der Peter nur noch stärker beunruhigte. Er müsste schnell die Initiative ergreifen, zumindest aus diesem Wald entkommen. Der Junge hatte die Hände in die Hüften gelegt und wandte sich aufrecht stehend abwechselnd in alle Himmelsrichtungen. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er Mutter Natur stumm um Hilfe bat. Welcher Weg führte wohl am Ehesten hier heraus? „Hm?“ Gerade als er daran war, die Hoffnung auf ein Zeichen aufzugeben, blendete ihn ein greller Lichtstrahl, der kurz darauf wieder verschwand. Das musste einfach eine Taschenlampe gewesen sein! Ein künstliches Licht war es auf jeden Fall, so grell wie es erschien. Mehrere mögliche Szenarien spielten sich wie Kurzfilme in Peters Kopf ab. Am Ende kam er zu dem Schluss, dass er definitiv nicht allein war, und im Idealfall Neil schon auf der Suche nach seinem verlorenen Versuchskaninchen war. Peter beschloss, sich vorsichtig der Quelle des Lichtes zu nähern. Die Bäume dienten ihm dabei als Schutz. Schleichend und leicht gebückt bewegte der Franzose sich fort, sehr darum bemüht, keinen Laut von sich zu geben. Dann sah er erneut das Licht aufblitzen und wieder verschwinden, diesmal nur wenige Meter vor ihm. Ihm wurde klar, dass es sich doch nicht um eine Lampe handelte, denn aus so kurzer Distanz hätte er den Träger sonst längst ausgemacht. Besorgt suchte Peter seine Umgebung nach der Quelle ab, doch zunächst vergebens. Urplötzlich ertönte ein Donnern aus der Ferne, das ihn völlig überraschte. Der Schreck riss ihn glatt von den Beinen. Jetzt sah Peter auch das Licht wieder und noch einige Dutzend weitere, die wie aufgescheuchte Vögel das Weite suchten. Wieder hallte ein Donnerschlag durch den Wald, doch der Himmel blieb Finster, kein Blitz erleuchtete ihn. Überhaupt mochte Peter nicht recht glauben, dass es sich um ein aufziehendes Unwetter handelte. Das Gewitter klang eher nach unsagbar lauten Trommelschlägen. Der Junge fand sich also erneut im Dreck des feuchten Unterholzes wieder, und auch sonst verhieß seine Situation wenig Gutes. Beim nächsten Knall konnte Peter die Richtung ausmachen, aus der er kam, während das Echo sich wie eine Flutwelle durch das Dickicht drückte. Was immer das auch war: es kam näher! Nervös richtete sich Peter wieder auf, noch schmutziger als zuvor. Er versteckte sich hinter dem Baum, aus dem kurz zuvor die Schar seltsamer Lichter emporgestiegen war. Lange Zeit blieb es völlig ruhig, dann erschütterte ein erneuter Trommelschlag den Boden unter Peters Füßen. Eine Druckwelle, die er mit bloßem Auge wahrnehmen konnte, schoss an ihm vorbei. Der tiefe Basston oszillierte in wellenartigen Intervallen und erzeugte dabei eine Art Blase, die sich wie eine Kuppel in alle Himmelsrichtungen ausbreitete. „Was ist das?“ Der grünlich-gelbe Film den der enorme Schall zu erzeugen schien, brach nicht an den Bäumen, die hier dicht gedrängt beieinander standen, an Peter jedoch schon. Wie von einer Windböe getroffen flatterte seine nasse Kleidung wild umher und die Blase zerplatzte. Auch wenn er nicht die leiseste Ahnung hatte, was hier eigentlich vor sich ging, war ihm sofort klar, dass er entdeckt worden war. Aber wer würde an diesem Ort nach ihm suchen? Er wagte es schließlich, einen Blick in die Richtung zu riskieren, aus der die ohrenbetäubenden Geräusche gekommen waren. Etwas bewegte sich in der Ferne. Mittlerweile war es jedoch noch finsterer geworden, sodass es Peter schwer fiel, Details zu erkennen. Als hörte man seinen Gedanken zu, erhellte nur kurze Zeit später ein kleines Feuer die Umgebung, nicht mehr als geschätzte fünfzig Meter von ihm entfernt. Ein weiteres leuchtete direkt daneben auf. Fackeln, kein Zweifel, aber deren Träger wurden noch immer vom hohen Gebüsch verdeckt. Nur das laute Rascheln konnte der Junge von seinem Versteck hören. Allein die Neugierde hielt ihn noch an Ort und Stelle, und sie sollte schließlich befriedigt werden. Der Reihe nach enthüllte das dichte Gestrüpp mehrere Gestalten, die auf merkwürdig deformierten Pferden angeritten kamen. Peter kam aus dem Staunen nicht mehr heraus und versuchte so viele Eindrücke wie möglich zu gewinnen. Diese Pferde sahen bei näherer Betrachtung den Tieren nicht mal ähnlich, für die Peter sie zunächst gehalten hatte. Einzig die Kopfform erinnerte ein wenig an die schönen Vierbeiner. Diese Wesen jedoch waren nicht mal im Entferntesten von vergleichbarer Anmut. Sie kamen auch nicht auf allen Vieren daher, soweit Peter das auf diese Distanz beurteilen konnte. Ihr moosgrüner, fetter Körper wurde lediglich von zwei schmalen Stelzen getragen, die wiederum aus reptilienartigen Klauen emporstiegen. Die Augen der Kreatur in Peters Blickfeld funkelten im Licht des Feuers grellrot. Als der Reiter die Zügel anzog, brüllte das Wesen vor Schmerz auf wie ein Bär, in tiefsten Tönen und in einer Angst einflößender Lautstärke. Wie es schien, waren die Zügel mit einem großen Ring, der durch die Schnauze des Viehs gestochen war, verbunden. Nur mit brutaler Gewalt schienen die eher schmächtigen Gestalten auf deren Rücken die Monster zähmen zu können. Von dem erschreckenden Anblick fasziniert, beachtete Peter die Reiter zunächst gar nicht, obschon sie sehr bald ebenso einen bleibenden Eindruck hinterlassen sollten. Das Schnauben einer der Kreaturen, die er gerade noch aus sicherer Distanz gemustert hatte, riss ihn aus seiner Gedankenverlorenheit. Direkt neben ihn hatte sich einer der Fremden unbemerkt in Position gebracht. Erschrocken schnellte Peter in dessen Richtung, um nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt in das abartige Grinsen eines der missratenen Pferdewesen blicken zu müssen. „Shh!“ Der Reiter zog leicht an den Zügeln und rupfte der Kreatur grob an der purpurnen Mähne. „I'es Jumo nj devio'ti Pes ... nj tai! Muhahaha!.“ Nur das selbstherrliche Lachen konnte Peter wirklich verstehen, die Sprache, die der Fremde gebrauchte, war dem Schüler gänzlich unbekannt. Sie schien erheblich von der korrekten Aussprache abhängig zu sein, ging man davon aus, wie sehr sich einzelne Wörter ähnelten. Doch Peter bemühte sich nicht weiter darüber nachzudenken, wo er vielleicht gelandet war, ein einziger Blick auf die Gestalt reichte aus, um jeden ihm bekannten Ort auf der Erde ausschließen zu können. Blaue Haut, rote Augen, spitze, gut fünfzehn Zentimeter lange Ohren ... Was sonst noch unter der schwarzen Lederrüstung des Fabelwesens verborgen war, wollte sich der Neunzehnjährige gar nicht ausmalen. „Was. Zur Hölle. Wird hier gespielt?“ fragte er stockend. „Pff, mijud' Jumo! Ahh ... rij'ti nj ...“ Der Reiter stieg eilig von seinem Ross und näherte sich Peter mit einem breiten Grinsen auf seinem verzerrten Gesicht. Er wirkte nicht viel ansehnlicher auf den Franzosen, als das Drachenpferd von dem er herabgestiegen war. Sein langes, pechschwarzes Haar umspielte zwar geschickt die kantige Gesichtsform des Mannes, konnte aber seine überlange Nase und sein spitzes Kinn nicht verbergen. Auch das Gold und die glänzenden Edelsteine, die er in Form von Halsketten und Ringen mit sich herumschleppte, änderten am Gesamtbild nicht viel. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen, blieb Peter wie angewurzelt stehen als die grinsende Gestalt mit der linken Hand nach seinem Hals griff und ihn gegen einen Baum presste. Der Junge rang nach Luft. „Hey! Lass mich los!“ Verzweifelt versuchte Peter sich loszueisen. Er war kräftig, überdurchschnittlich kräftig sogar, aber das war das Wesen auch, sodass alles Ringen in seiner Lage letztendlich zwecklos war. Mit seiner rechten Hand fingerte der Blaue in einer Tasche herum, die von seinem schweren Ledergürtel hing; mit Zeigefinger und Daumen zog er eine Art winzigen Blutegel heraus, und verschloss sie gleich wieder. Erneut setzte sich Peter vehement zur Wehr, erneut waren seine Anstrengungen vergebens. Angst stieg in ihm auf, als er überlegte, wozu dieser Wurm wohl gut sein mochte. Dem Klammergriff des Spitzohrs war einfach nicht zu entkommen. Jedes Mal, wenn Peter versuchte, sich zu befreien, griff sein Unterdrücker nur noch kräftiger zu, und bohrte seine spitzen Fingernägel in den Hals des Jungen. Vorsichtig führte die Gestalt den kleinen Wurm an das Ohr des Menschen heran, der vor Angst am ganzen Leib zitterte, und den Wurm nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen verlor, bis dieser sich schließlich seinen Weg durch den Gehörgang des Jungen tief in seinen Kopf hinein bahnte. Der Schmerz war überwältigend und lähmte seinen ganzen Körper. „SANG!“ Aus der Ferne ertönte eine Frauenstimme, die dem Mann aus der Fassung brachte. Er ließ von Peter ab, allerdings war es auch längst nicht mehr nötig den erschlafften Körper im Zaum zu halten. Der Junge fiel wie ein nasser Sack zu Boden, nahm seine Umgebung aber noch war. Sang, wie die Figur von der anderen, ebenfalls völlig unbekannten Stimme gerufen wurde, wandte sich wieder seinem Reittier zu, antwortete aber noch leise aus der Distanz. „Ej ej! Mjo nemdjia ...“ Er kümmerte sich nicht mehr um den Jungen am Boden, der jedoch nach und nach wieder Herr seiner Sinne wurde. Im ersten Moment hatte Peter geglaubt, er müsse sterben, doch die Schmerzen ließen stetig nach, bis er schließlich auch wieder Arme und Beine bewegen konnte. Das war die Gelegenheit! Peter ergriff die Gunst der Stunde und schlug dem Fremden mit voller Kraft auf den Kiefer. Die Wucht riss den Kerl glatt von den Füßen. Das Tier hinter ihm stieß voller Aufregung einen lauten Schrei aus. Glücklicherweise, so dachte der Franzose, wandte sich die Wut der Bestie nicht gegen ihn, vielmehr schien das unterdrückte Biest die Situation ausnutzen zu wollen, um mit seinem brutalen Herrn offene Rechnungen zu begleichen. Peter verfolgte fortan ein einziges Ziel: Fliehen! Und so rannte der Junge so schnell ihm nur irgend möglich in die Tiefen des Waldes zurück. „Oh ... Bleib stehen du Hurensohn!“ Völlig überrascht blickte der Junge noch einmal zurück, der Unbekannte schien nun in seiner Sprache – in völlig Akzent freiem Französisch – zu reden. Hatte das vielleicht mit diesem Wurm zu tun? Die Aufregung verwehrte Peter weiter darüber nachzudenken, er nahm erneut die Beine in die Hand und lief; er lief um sein Leben. „Nicht zu fassen.“ Zwei weibliche Reiterinnen hatten sich ihrem Artgenossen, der damit beschäftigt war, sein eigenwilliges Reittier wieder unter Kontrolle zu kriegen, auf wenige Schritte genähert. „Und wieder beweist du eindrucksvoll, dass ein Elf bei der Jagd einfach nichts verloren hat!“ Beide Frauen verspotteten den unbeholfenen Mann mit höhnischem Gelächter. „Ach ja?“ trotzte der schlaksige Kerl. „Was Ortoroz dazu wohl sagen würde?“ Mit einem hasserfülltem Blick wandte sich der Dunkelelf an die beiden Frauen, die ihrerseits nur Verachtung für ihn übrig hatten. „Ja, das sieht dir ähnlich. Du würdest deine Leute ohne zu zögern anschwärzen, nur um die eigene Haut zu retten, huh!?“ warf ihm eine der blauhäutigen Damen vor. „Wenn du nicht die nächsten paar Wochen die Ställe putzen willst, dann sattle endlich dein Guri und fang den Menschen wieder ein!“ drohte die andere. Sang sprang wie befohlen auf und versetzte dem Tier einen harten Tritt in den Bauch, woraufhin es jaulend die Verfolgung aufnahm. Ein weiteres Guri näherte sich. Auch auf ihm thronte eine Frau. Alle drei Dunkelelfen stachen Sang in Sachen Optik um Längen aus. Ihre Gesichter waren genauso wohl proportioniert wie ihre Körper, zudem erschienen sie viel gepflegter, als der Tölpel, der gerade wütend das Weite suchte. Die eben erst erschienene Elfe saß gut einen halben Meter höher als ihre Artgenossen, auf einem schwer gepanzerten, riesigen Exemplar eines Guris, das sie völlig unter ihrer Kontrolle hatte. Ihre Rüstung bestand nicht zu großen Teilen aus schwarzem Leder, wie die der anderen Elfen, sondern aus glänzend silbernen Stahl. Ihr langes, gelocktes Haar hatte fast den selben, nur noch helleren Farbton und umschlang so voll und wallend ihren Rücken, dass es fast wie ein Umhang wirkte. Edler Schmuck verzierte die erfahrene Frau, die mit entschlossenem Blick daher kam. „Lady Uriah, ich wusste ja nicht, dass sie auch ...“ Zaghaft und um den korrekten Tonfall bemüht, wandte sich eine der niederen Dunkelelfen an ihre Anführerin. „Schon gut, das war auch nicht eingeplant. Mein Gefühl hat mich hergeführt. An diesem da könnte Lord Gardif wirklich interessiert sein“, erklärte sie. „Hm? Könnte er ...“ Wieder unterbrach Uriah ihre treue Dienerin. Sie wusste sowieso schon vorher, worauf die Frage abzielen würde. „Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.“ Sie starrte in die Ferne, so verheißungsvoll, dass es ihr die beiden anderen Elfen sehr bald gleichtaten. „Braja, Leiria, folgt Sang! Allein wird er es schwer haben, und falls ihm etwas zustößt, müssten wir das ausbaden“, ermahnte sie ihre Untergebenen. „Ich werde in Inverness auf euch warten.“ „Ja.“ - „Jawohl!“ Mit lauten Schreien und harten Tritten animierten die Jägerinnen ihre Guris und folgten ihren ungeliebten Kameraden Sang, der seinen Fehler nun doch nicht ganz allein wiedergutmachen musste. Uriah wartete noch, bis die beiden außer Sichtweite waren und wandte sich schließlich von der Szenerie ab. Tief im Dunkel der jungen Nacht bahnte sich Peter Dirand panisch seinen Weg durch die fremde Wildnis. Er wusste, dass er verfolgt wurde und versuchte nun ein geeignetes Versteck zu finden, um zumindest so lange unterzutauchen, bis die mysteriösen Jäger die Suche nach ihm aufgegeben hätten. Doch sein spezieller Freund war ihm dichter auf den Fersen, als es dem Jungen lieb war. Eine schnelle Entscheidung musste gefällt werden. Peter änderte abrupt seine Richtung und sprang hinter einen massiven, schon vor langer Zeit entwurzelten Baumstamm. Er legte sich flach auf den Boden und versuchte schnell wieder zu Atem zu kommen um möglichst keinen Laut von sich zu geben. Von nun an musste er sich auf sein Gehör verlassen. Aus der Ferne vernahm er den schnellen Hufschlag des seltsamen Untiers, auf dem die Spitzohren daherkamen. Peters Anspannung stieg mit jedem Meter, den es sich näherte; doch zu seiner Erleichterung zogen Reiter und Gefährt tatsächlich an ihm vorbei. Die Geräusche verstummten schließlich in einiger Entfernung. Erst jetzt bemerkte Peter, dass er blutete. Der winzige Wurm, den dieser Elf in sein Ohr hat kriechen lassen, hatte definitiv Spuren hinterlassen. Der Gedanke, dieses Ding säße jetzt in seinem Kopf fest, widerte ihn an. Auch die Schmerzen, die Sangs brutaler Würgegriff hinterlassen hatte, nahm er jetzt deutlich wahr. Offensichtlich verzog sich die Panik, die er lange genug verspürt hatte und machte Raum für Erleichterung, die der Gefühlswelt des Jungen zumindest für einen Augenblick wohltat, da sich Peter zu diesem Zeitpunkt in Sicherheit wog. Doch täuschte er sich ... Wäre er aufmerksamer gewesen, hätte er womöglich früher bemerkt, wie sich der Dunkelelf anschlich. Doch erst als Sang schon schnaubend mit einen massiven Ast in der Hand ausholte, realisierte der gebeutelte Franzose, was die Stunde geschlagen hatte. Schützend riss Peter die Arme vor das Gesicht, doch der Elf schlug unbeeindruckt zu. Den Aufprall nahm er gar nicht richtig wahr, da ihm der heftige Schlag sofort das Bewusstsein raubte ___________________________________________________________ Das Dröhnen im Kopf des Jungen wollte einfach nicht aufhören, ihn zu plagen. Er hatte das Gefühl, auf offenem Meer zu treiben – stets ging es auf und ab. Dieser Geruch ... es war eine Mischung aus frischer Luft und penetrantem Stall-Odor. Sein Gesicht schmerzte von dem Schlag, an den sich Peter nur in Bruchstücken erinnern konnte. Zumindest lag er auf weichem Untergrund. Schleppend erlangte Peter sein Bewusstsein wieder und öffnete schwerfällig die Augen. „Er ist aufgewacht!“ Leiria sprach mit ihrer Freundin, die einige Meter weit entfernt vor ihr her ritt. Auf dem Rücken des Guris saß aber nicht nur Braja, auch Peter war darauf festgebunden; die Hände gefesselt. Was er als weich empfand, war die lange Mähne der Dunkelelfe, auf der sein Kopf bettete. An den Rücken der schlanken Person gepresst, hatte er ohne Bewusstsein vor sich hin geträumt. Berührungsängste kannten die Dunkelelfen nicht, zumindest das hatte er in der kurzen Zeit schon über diese fremdartigen Wesen lernen können. Peter richtete sich auf. Theoretisch hätte er gar abspringen und erneut fliehen können, nur wäre das in seinem Zustand ein überaus heikles Unterfangen gewesen, eingekreist von drei Elfen und deren hungrigem Getier. „Hast du von deiner Heimat geträumt?“ Wollte die Dunkelelfe wissen, der er enger verbunden, als ihm lieb war. „Die meisten tun das.“ Braja schwenkte den Kopf in seine Richtung und betrachtete den Jungen aus den Augenwinkeln. In seinem benommen Zustand dachte er über allerhand Belanglosigkeiten nach. Etwa, dass die Frau bis auf ihr schwarzes Bustier und ihr knappes Beinkleid, das dieser Bezeichnung gar nicht gerecht wurde, quasi nackt war. Oder ihre kunstvoll arrangierte, faszinierende Frisur. Drei Zöpfe sprossen aus ihrem tiefschwarzen Haar. Ein sehr breiter zentral, den sie über ihre rechte Schulter geworfen hatte, auf der Peter zuvor so angenehm weich gebettet lag und im Land der Träume weilte, und zwei weitere an den Seiten, schmaler und akkurat geflochten. Der Junge blickte symbolisch in den Nachthimmel, nachdem er die junge Frau vor ihm ausreichend gemustert hatte. „Du willst mir also nicht antworten“, erkannte Braja richtig. „Was sind das bloß für Manieren?“ Die andere Dunkelelfe ritt eilig an das Guri Brajas' heran und verpasste Peter einen harten Schlag mit einem der Pfeile aus ihrem Köcher. Rasend vor Wut schenkte der Junge nun ihr seine gesamte Aufmerksamkeit. „Antworte, wenn du etwas gefragt wirst!“ Leiria war etwas zierlicher als Braja und mindestens genauso ansehnlich. Ihr Haar war jedoch kürzer, und sie trug es schlicht offen. Die Haarfarbe teilte sie mit der gesamten Bande, der Peter natürlich nur im entferntesten Sinne angehörte, und diese Ähnlichkeit – ob der viel gravierenderen Unterschiede – als solche gar nicht wahrnahm. „Also, versuchen wir es noch einmal. Vielleicht mit etwas Leichterem!? Wie ist dein Name, Mensch?“ Noch zögerte er, aber sein Trotz schwand zügig, immerhin war der Junge klar im Nachteil, gefesselt unter Fremden. „Peter“, antwortete er zähneknirschend. „Hm ... Nicht das erste Mal, dass ich diesen Namen höre.“ Gelangweilt führte Peter die Konversation fort. Das Schwanken des Guris machte die Reise mit seinen Kopfschmerzen zu einer echten Tortur. „Ist ein Allerweltsname.“ Braja lachte. „Ha ha ha, kommt immer darauf an, von welcher Welt man spricht!“ Die Unwissenheit Peters amüsierte die kleine Gruppe dieser seltsamen Fabelwesen. Für den Menschen gab es einfach keine logische Erklärung für die jüngsten Ereignisse und Eindrücke, die er gewann. Die drei Dunkelelfen waren sich dessen durchaus bewusst. Ihre Motive waren obendrein ein ebenso großes Rätsel. Warum hatten sie es überhaupt auf ihn abgesehen? Wohin zum Teufel verschleppten sie ihn nun? Seine größte Wut richtete sich allerdings gegen sich selbst. Einfältig folgte er den Anweisungen des zwielichtigen Zwerges am Hafen; begab sich völlig freiwillig in diese Situation, auch wenn er nicht wirklich hätte erahnen können, was ihn schlussendlich erwarten würde. Er hoffte Sie zu finden, doch diese Hoffnung schwand mit jeder Sekunde, die verstrich. Die Karawane blieb abrupt stehen. Sang näherte sich dem Guri auf dem Peter gefesselt war mit seinem fast schon typischen, verrückten Grinsen auf den Lippen. „Wir haben noch einen weiten Weg vor uns“, erklärte er. „Du hast allerdings Glück, Mensch, denn davon wirst du kaum etwas mitbekommen.“ Braja hatte den Blick auf Sang gerichtet, der schon dabei war, seinen Holzprügel vom Waffengürtel zu lösen. Verunsichert blickte Peter die Reiterin an. „Könnt ihr mir nicht einfach die Augen verbinden?“ Ein weinerliches Kichern folgte diesem verzweifelt-mutigen Versuch dem Unausweichlichen zu entgehen. Doch der bösartige Dunkelelf hatte die Hiebwaffe schon über seinen eckigen Kopf gehoben, fest dazu entschlossen, größtmöglichen Schaden anzurichten. „Den hier wirst du so schnell nicht vergessen, Abschaum!“ „Beeil dich lieber, bevor du noch zusammenbrichst.“ Das Sang ihn mit einem kräftigen Schlag gegen die Schläfe einmal mehr bewusstlos schlagen würde, konnte Peter sowieso nicht mehr verhindern, also verschaffte er sich seinerseits die Genugtuung und verschmähte den schmächtigen Bläuling. Tobend vor Wut holte Sang noch ein zweites Mal aus, drauf und dran seinen wehrlosen Gefangenen zu töten, doch stoppte seine Kameradin Leiria ihn gerade noch rechtzeitig. Unbemerkt ritt sie an Sangs Guri heran und hielt ihm nun einen scharfen Dolch an die Kehle. „Übertreib es nicht Sang!“ drohte die junge Frau ihrem Gefährten. „Wir liefern sie lebend! Du kennst das Prozedere.“ Unbeeindruckt senkte er seine Waffe wieder. „Ja, das kenn' ich, und sei dir sicher, hübsche Leiria,“ Die letzten Worte brachte er der Frau voller Verachtung und mit einer gehörigen Portion offenkundigen Neids entgegen, „ich werde persönlich dafür Sorgen, das es bei dem da durchgezogen wird!“ Sang ritt eilig von dannen und überließ den beiden Frauen den regungslosen Körper des Menschen. Auch wenn er ein verrückter, leicht zu beeindruckender Mitläufer war, so waren es doch genau diese niederen Charakterzüge, die ihn so gefährlich machten. „Das schwarze Schaf der Familie“, flüsterte Leiria ihrer Partnerin zu. „Können wir ihn nicht irgendwie loswerden, Bra?“ „Lady Uriah setzt die Jäger zusammen und sie vertraut ihm.“ „Vertraut seinem Vater, wolltest du sagen!?“ Die Elfe grinste bestätigend in Leirias Richtung. Die Chemie zwischen den beiden stimmte. „Nyaaaah ...“ Leiria beendete mit einem lauten Gähnen die verspannte Stimmung, die mit dem Thema „Sang“ aufkam. „Ich vermisse die guten alten Zeiten, in denen wir noch gemeinsam mit Lady Uriah auf die Jagd gingen.“ „Ich vermisse die Jagd an sich“, steigerte Braja die geteilte Unzufriedenheit noch. „Ein einzelner Mensch, ohne Waffen; wo bleibt denn da der Spaß? Und es war die ganzen letzten zwei Jahre über nicht anders. Menschenjagd klingt eben doch spannender, als sie tatsächlich ist.“ „Richtig. Seltsam, oder? Vielleicht ist an der Legende ja doch nichts dran.“ Wieder in Bewegung philosophierten die beiden Dunkelelfen noch eine Weile über bessere Zeiten und ihren neuen Gefangenen, der sich erneut unfreiwillig seinen Träumen widmen musste. Das Land, durch das die Reiterinnen zogen, wurde mit andauernder Reise immer trister. Nichts erinnerte nach einer Stunde mehr an den überwucherten Wald und dessen Vielfalt an Pflanzen und Getier, deren Heimat er darstellte. Ziemlich genau diese eine Stunde benötigten die zwei Frauen auf ihren zweibeinigen Drachenpferden bis zum Erreichen ihres vorübergehenden Ziels. Dabei ritten sie durchweg im Galopp durch die Einöde. Vor den Dunkelelfen eröffnete sich der trostlose Anblick einer kleinen Grenzfestung, die im Grunde nicht mehr als ein massiver, geschlossener Wall aus Gestein war. Zwei Wachtürme ragten über die rund fünf Meter hohe Mauer hinaus, alles in ein und demselben kalten Blauton gehalten. Die Guris bahnten sich ihren Weg durch das tiefe, schlammige Geläuf vor dem Haupttor; während sie sich näherten ertönte ein tiefes Horn, worauf das massive Burgtor sich schwerfällig ins Innere des Außenpostens öffnete. Auch in der Festung herrschte weit und breit nur Ödnis vor. Die vor langer Zeit gepflasterten Wege waren zum größten Teil von Dreck und Moos bedeckt. Diese kleine Burg hatte seine besten Zeiten lange hinter sich und diente auch längst nicht mehr der Verteidigung – wenn sie es je getan hat. Leiria stieg von ihrem zweibeinigen Gefährt ab und führte es kraftvoll an den Zügeln zu einem Anbindebalken. Das launische Tier machte keinerlei Anstalten; es hatte Respekt vor der Jägerin, die anschließend ihrer Partnerin half, den Menschenjungen von seinen Fesseln zu befreien. Sie werkelte mit stetig sinkender Laune an den rostigen Ketten herum, die Peter die Haut aufschürften. „Ich hasse diesen Ort ...“ Braja stieg elegant von ihrem Guri hinab und versuchte ihre Freundin mit einem Lächeln aufzumuntern. „Wir sind sicher schon bald wieder auf dem Weg nach Vyers [Wei-jers]. Sobald sich entschieden hat, was aus dem da wird.“ Ein lautes Brüllen war aus einiger Entfernung zu vernehmen, gefolgt von einem gelangweilten, tiefen Stöhnen. Leiria blickte in Richtung Wachturm. „Sollen die dummen Gamms hier ruhig verrotten, in ihrem eigenen Dreck.“ Die junge Dunkelelfe war immer noch aufgebracht. „Einmal in Rage töten sie alles, was ihnen in die Quere kommt. Glaub' mir, ich ...“ „Deswegen sind sie auch so nützlich für Gardif. Eine bessere Verteidigung als eine Horde nach Blut dürstender Gamdscha gibt es wohl nicht. Außerdem muss sich so keine Dunkelelfe die Hände schmutzig machen“, erläuterte eine weise Stimme aus einiger Entfernung. „Oh, ich kenne ein paar Exemplare, die sich hier gerne die Zeit um die Ohren schlagen könnten.“ Natürlich hatte Leiria einen ganz besonderen Artgenossen im Sinn. Lady Uriah erschien wie aus dem Nichts und wusste ihre Untergebenen erneut zu überraschen. Ehrfürchtig verbeugten sich die beiden und widmeten sich dann wieder dem Jungen. „Ihr habt ihn also doch noch geschnappt; alles andere hätte mich auch stark verwundert.“ „Hat Sang denn nichts erzählt?“ Uriah lächelte. „Er war nicht sehr gesprächig. Ist sofort weiter gezogen. Das werden wir übrigens auch tun, und zwar mit ihm im Gepäck.“ Braja blickte ihre Anführerin eindringlich an. „Ihr Gefühl hat sie also nicht getäuscht“, flüsterte sie vor sich hin. „Dürfen wir denn Näheres erfahren?“ Es war Leiria, die jene gewagte Frage stellte. „Ich weiß nichts Näheres. Es wird sich erst noch zeigen müssen, was es mit dem Neuen auf sich hat.“ Ihr ernster Blick verriet, dass ihr Stolz angeknackst war. Keine der drei Dunkelelfen ging weiter auf das Thema ein. Uriah gab eine letzte Anweisung, bevor sie sich zurückzog. „Ihr beide werdet den Menschen auf direktem Wege nach Vyers bringen, je schneller, desto besser. Was mich angeht: ich werde schon sehr bald nachkommen.“ Uriahs Tonfall ließ keine Fragen offen, die drei kannten sich gut genug, um zu wissen, wo die Grenzen zwischen Pflicht und Freundschaft zu ziehen waren. Leiria blickte zu ihren älteren Artgenossinnen auf, die beide auf eine gemeinsame Vergangenheit zurückblickten. Wie es zwischen Braja und ihrer Anführerin aussah, wusste die junge Frau nicht genau einzuschätzen. Respekt und Achtung hatten sie aber definitiv voreinander. Uriah verschwand in einer dunklen Seitengasse Inverness' und ließ ihre Untergebenen allein. „Ich sagte doch, dass wir hier schon bald wieder verschwunden wären.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)