A Trip to Hell von mystique (Die Leiden des Seto Kaiba ∼ KaibaxWheeler ∼) ================================================================================ Kapitel 12: Tag 7: Loslassen ---------------------------- Vorwort(e): So, hier ist es Ich habe sämtliche Zeit mobilisiert, um dieses Kapitel als Dank an alle Leser und Kommentarschreiber bis Weihnachten fertig zu bekommen. Ich bedanke mich bei allen, es freut mich, dass diese Geschichte immer so gut bei euch angekommen ist, denn gerade sie liegt mir besonders am Herzen = ) Natürlich hört es mit A Trip to Hell nicht auf. Ich werde eine neue Geschichte starten und das erste Kapitel vor Silvester hochladen. Der Titel steht noch nicht fest, doch diese Geschichte wird etwas düsterer – aber bitte befürchtet jetzt keinen Charakter Death oder irgendeine Misshandlung der Hauptfiguren. Es geht vielmehr darum, was etwa zehn Jahre später – nachdem alles, was in der Serie passierte, vorbei ist – aus ihnen geworden ist. Mehr verrate ich an dieser Stelle noch nicht ^ ^ Wer gerne informiert werden möchte, wenn ich das erste Kapitel hochlade darf mir gerne Bescheid geben, dann melde ich mich, sobald es online ist. Ich danke jetzt schon! *wink* Allen besten Dank an: Favole, Luftmolekuel, bebi, MaiRaike, Blanche7, BlackPanther1987, Aniko, Yamis-Lady, Haru_sama, Miss_Jam, Dragon1, blacki, Schokopudding, Lalue, ray-rei-chan, Venu Tag 7: Loslassen Es war eine Sache, mit Kopfschmerzen neben jemand anderem aufzuwachen und sich im ersten Moment nicht erinnern zu können, wie es dazu gekommen war. Es war eine völlig andere Sache, wenn die Kopfschmerzen in den letzten Tagen zu einem ständigen Begleiter geworden waren, wenn man sich einfach nicht an die Umstände, die zu dieser Konstellation geführt hatten, erinnern wollte und wenn die Person neben einem Wheeler war. Und es war eine absolut unwiderruflich andere und – zugegeben – nicht zu rechtfertigende Sache, wenn man diese Person – Wheeler – am Abend zuvor geküsst hatte. Erneut. Freiwillig. Nachdem es den Abend davor genauso gewesen war und man sich eigentlich dagegen hätte wappnen müssen. „Verfall nicht ins Grübeln, Kaiba. Du bekommst Falten auf der Stirn.“ Etwas Tröstendes hatte das ganze: Wheeler verlangte keine Romantik und äußerte im Gegenzug auch keine freundlichen Worte. Das machte alles etwas erträglicher. Der Umstand, dass sein Körper sich unter der Decke gegen meinen presste und ich seinen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte, tat dagegen nicht viel zur Besserung des ganzen bei. Auch nicht sein Lächeln, das mit jeder verstreichenden Sekunde an Spott zu gewinnen schien. Ich ließ mich zurücksinken und blickte an das Holz über mir. Wieder lagen wir in meinem Teil des Etagenbettes. Wieder nahm Wheeler viel zu viel Platz ein und brachte mich der Wand neben mir näher, als ich ihr je hatte sein wollen. „Wheeler, du bist zu breit. Entweder du rollst dich am Fußende zusammen, wie ein braver Hund, oder du verlässt sofort das Bett. Ab besten gleich das Zimmer.“ Meine Worte bewirkten das genaue Gegenteil. Wheeler kam mir noch näher. „Ich will nicht behaupten, ich wäre jetzt gegen deine Worte immun, Kaiba, aber sie sind doch verglichen mit sonst weniger wirkungsvoll.“ Ich verdrehte die Augen. Jetzt musste ich mir also auch noch eine neue Methode einfallen lassen, Wheeler auf seinen Platz zu verweisen. Ich drehte den Kopf und betrachtete ihn genervt. „Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, mich daran zu erinnern, Wheeler. Heb dir das für später auf.“ „Wie viel später? Ich dachte du bist so ein Frühmorgenmensch.“ „Wie spät ist es?“ Er zuckte die Achseln. „Was weiß ich. Früh genug, aber wir müssen ja ohnehin bald los.“ Damit erinnerte er mich trotz meiner weniger angenehmen jetzigen Lage an etwas weitaus Schöneres. Heute war der letzte Tag. Heute würde ich diesen Abklatsch einer Herberge und diese Stadt, die ich im späteren Verlauf meines Lebens wahrscheinlich nur unter Gewaltandrohung betreten würde, hinter mir lassen. „Sag mal, Kaiba-“ „Nicht jetzt, Wheeler“, unterbrach ich ihn schroff. „Zerstör jetzt nicht den einzigen positiven Gedankengang, zu dem ich seit mehreren Tagen in der Lage bin.“ „Drama-Queen“, murmelte er. „Als ob es so schlimm gewesen wäre.“ Ich fixierte ihn stechend. „Diese Aussage muss ich jetzt nicht wirklich kommentieren oder?“ „Bevor ich mir wieder einen langen Vortrag darüber anhören muss, wie inkompetent meine Freunde und ich sind: Nein.“ „Gut.“ Ich konzentrierte mich auf den Funken Helligkeit am Ende des langen, von dunklen Ereignissen gesäumten Tunnels. „Aber wenn du ehrlich bist, hatte alles doch auch sein Gutes. Immerhin hast du die Phase des Leugnens hinter dir gelassen.“ „Nur um in eine Phase der Resignation und des Unglaubens überzutreten. Wenn ich ehrlich bin, Wheeler, so würde ich das nicht als gut bezeichnen. Vielmehr als beängstigend.“ „Fragst du vielleicht auch mal wie es mir geht?!“ Er wartete nicht auf meine Antwort, da er sie kannte und sich – starrsinnig wie er war – nicht darum kümmerte. „Immer geht es darum, wie es dir geht, was dir angetan wurde und wie unfair das Leben doch zu dir ist. Aber keinen einzigen Moment –“ „Wenn du jetzt einen Vortrag über mein Weltbild mit mir als Zentrum halten willst, nur um dann zu dem Schluss zu kommen, ich sei egoistisch - mit einer deutlichen Tendenz zum Narzissmus - dann schlage ich vor, den Atem zu sparen, und die wenigen Gehirnzellen, die an dieser Aufgabe der komplexen Satzbildung wohlmöglich durchzubrennen drohen, nicht in ihr ohnehin viel zu verfrühtes Ableben zu schicken. Denn diese ‚Diagnose’ ist für mich nichts Neues. Es wäre erschreckend, wenn es mir selbst noch nicht aufgefallen wäre, aber zu dieser Erkenntnis kommt dein Hundehirn ja nicht, Wheeler. Du bist der Ansicht, du müsstest es mir erst zeigen, weil Leute wie ich ja nicht zu derartigen Selbsterkenntnissen in der Lage sind – das wäre ja vollkommen unlogisch, nicht wahr? Anstatt mal darüber nachzudenken, dass Menschen mit einem IQ wie meinem zwangsläufig erkennen müssen, wie sie sind und natürlich schlau genug sind, ihre Selbstverliebtheit zu erkennen. Aber bitte, fahre ruhig fort. Sag mir, dass ich selbstfixiert bin, dass ich meine Worte für so wichtig erachte, dass ich selbst Spezialisten oftmals kein Gehör schenke. Ich warne dich aber vor: Solltest du in meinen Zügen keine Überraschung, kein Entsetzen oder Fassungslosigkeit erkennen, dann bedeutet das nur, dass deine Schlussfolgerung absolut zweitrangiger Qualität ist. Und sollte sich auf meinem Gesicht Irritation zeigen, dann nicht, weil ich mich darüber ärgere, dass du etwas erkannt hast, auf das ich alleine nie gekommen wäre, sondern weil ich es als absolut nervig naiv empfinde, dass du tatsächlich glaubst, mich besser zu kennen als ich mich.“ Wheeler stieß einen lang angehaltenen Atem aus. „Puh, das waren jetzt viele Worte auf einmal. Hast du das heimlich geübt oder wartest du schon seit Monaten darauf, mir diese Rede irgendwann mal um die Ohren hauen zu können?“ Er neigte den Kopf, dann hellten sich seine Züge auf und er berührte mit dem Zeigefinder einen Punkt auf meiner Stirn zwischen meinen Augenbrauen. „Da ist die Irritation, die du angekündigt hast, nur glaube ich, dass sie jetzt eine andere Ursache hat, oder Kaiba?“ Ich starrte ihn nur an. „Okay, du hast mich erwischt. Ich hätte irgendwie nicht erwartet, dass du weißt, wie selbstfixiert du bist. Ich meine in allen Filmen ist es doch auch immer so. Psychopaten erkennen oft nicht, wie krank sie eigentlich sind, obwohl es ihnen klar sein sollte, weil es so offensichtlich ist.“ „Setzt du mich jetzt mit einem Psychopaten gleich?“ „Na ja, ganz so abgedreht wie Marik oder Dartz bist du nicht, aber hast du dich schon mal Lachen gehört? Ich meine damit dein Triumphlachen. Da läuft es einem schon kalt den Rücken runter.“ Unweigerlich musste ich schmunzeln. „Das werde ich mir merken.“ Wheeler grinste. „Ach so, das muntert dich auf? Heißt das, ich muss dir nur sagen, wie furchteinflößend du auf andere wirkst, wenn du dir deines Sieges gewiss bist, um dein Wohlwollen zu erhalten.“ „Das könnte eine Möglichkeit sein, Wheeler.“ „Tja, schade nur, dass mir dein Wohlwollen sonst wo vorbei geht, Kaiba.“ „Nichts anderes habe ich erwartet.“ Einer seiner Arme hatte einen Weg um meine Schulter gefunden und zog mich nun zu Wheeler. Unsere Gesichter trennten nur wenige Zentimeter. Zu meinem Bedauern jedoch bemerkte ich, dass diese Konstellation langsam an Unbehaglichkeit verlor und zunehmend vertrauter wurde. „Können wir nicht die ganzen Machtkämpfe auf Dialogebene für einen Moment vergessen und uns einfach küssen?“ Und genau darin bestand das Problem, was mich am meisten beschäftigte. Ich wandte mich von ihm ab. „Wie kannst du das so einfach hinnehmen, Wheeler? Im Gegensatz zu mir scheint es dir keine Probleme bereitet zu haben, zu akzeptieren dass du dich zu deinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlst und dann auch noch ausgerechnet zu mir.“ „Na ja, ich hätte jetzt nicht von mir aus gesagt, ich sei schwul“, gab er zu und schien zu überlegen. „Das würde ich allerdings immer noch nicht sagen. Ich habe Tristan, Duke oder Yugi nie auf den Hintern gestarrt, Téa und Mai dagegen schon.“ Danke, soviel wollte ich nie wissen. „Eigentlich habe ich auch dir nie auf den Hintern gestarrt – bevor du jetzt auf falsche Gedanken kommst, Kaiba.“ Das wäre tatsächlich mein nächster Gedankengang gewesen. „Bis vor zwei Tagen hätte ich nie auf ... na ja diese Art von dir gedacht.“ „Welche Art?“ „Na ... diese. Du weißt schon.“ „Nein, Wheeler. Drücke dich in ganzen, nachvollziehbaren Sätzen aus.“ „Na die Weise, bei der man jemandem länger als nötig hinterher sieht, bei der man Gedanken bekommt, die weitaus ... intimer sind.“ „Intime Gedanken?“, echote ich und zog die Augenbrauen zusammen. „Das heißt, dir geht es doch noch um Sex.“ „Eben nicht, das ist ja das seltsame. Nicht nur, schätze ich mal. Und ich hoffe, du weißt, wie weiblich dein letzter Satz gerade klang, Kaiba“, fügte er glucksend hinzu. Ich verkrampfte mich und wenige Momente später fand Wheeler sich auf dem Rücken liegend unter mir wieder. Ich presste ihn auf die Matratze und starrte ihn finster an. „Was uns zu einem weiteren Punkt in diesem ... Chaos bringt, Wheeler. So wie ich das verstehe, gibt es in homosexuellen ...“ Beziehungen, spukte mir im Hinterkopf herum, doch ich weigerte mich, das Wort auszusprechen. Es war ein Tabu-Wort, das ich gemeinsam mit Wheeler nicht einmal im selben Land haben wollte. „Es gibt jedenfalls einen Mann und eine Frau.“ Wheeler starrte aus großen, fragenden Augen zu mir hoch. Ratlose Hundeaugen. „Wo hast du das denn her?“, fragte er schließlich und in seiner Stimme lag eine derartige Fassungslosigkeit, dass ich einen Moment in meiner Gewissheit schwankte. Bis ich mich daran erinnerte, dass es Wheeler war, der unter mir lag. „Allgemeinwissen“, gab ich darum zurück und hoffte, dass Wheeler nicht näher darauf einging, wie lächerlich diese Antwort war. Er tat mir diesen Gefallen. „Einen Mann und eine Frau?!“, wiederholte er, als könnte er dieser Aussage nur mit Mühe als Aussage akzeptieren. „Kaiba, was genau verstehst du an homosexuell nicht? Es bedeutet nicht Mann und Frau, sondern nur eines von beiden. Doppelt.“ „Tatsächlich?“, wiederholte ich sarkastisch. „Wie konnte ich mich nur so irren, du hast ja recht.“ Meine Hände, die ihn an den Schultern nach unten drückten, verkrampften sich in seinem Shirt. „Hältst du mich für dumm, Wheeler?“ „Du redest von Mann und Frau in einer homosexuellen Beziehung, Kaiba.“ Da war das Wort, dessen Denken ich mir untersagt hatte und Wheeler hatte keine Hemmungen, es auszusprechen! „Entschuldige, dass mich diese Behauptung an deinem Verständnis zweifeln lässt.“ „Dann lass es mich erklären, Wheeler: Es heißt, dass bei Homosexuellen innerhalb einer“ – immer musste es an dem Wort scheitern! – „Konstellation einer der beiden den weiblichen und der andere den männlichen Part übernimmt.“ Wheeler sah mich an, als hätte ich ihm soeben verkündet, der Weihnachtsmann habe ein Verhältnis mit Buddah. Dann kratzte er sich am Hinterkopf und pfiff leise. „Wow, das ist ja mal eine Theorie. Wo liegt denn dann noch der Sinn darin, schwul zu sein?“ „Wie meinst du das?“ Er hob die Hand und hielt mir dem Zeigefinger einer Mahnung gleich vor mein Gesicht. „Gut Kaiba, lass es mich dir aus der Sicht es gewöhnlichen Oberschülers erklären, der kürzlich herausgefunden hat, dass es ihm gefällt, den Typen zu küssen, den er für das größte Arschloch dieser Nation gehalten hat. Ich habe nicht viel Erfahrung mit Schwulsein, da ich es ja offenbar erst seit zwei Tagen bin. Vielleicht bin ich auch gar nicht schwul und stehe nur irgendwie auf dich, aber dir geht es ja genauso, deshalb kann ich es dir sagen. Wenn ich jetzt also überlege, wie es dazu gekommen ist, dass ich ausgerechnet dich und nicht Téa – oh Téa, bitte verzeih mir, dass ich als platonischer Freund diesen Gedanken auch nur zugelassen habe – küssen möchte - wenn ich also einfach mal davon ausgehe, ich wäre doch schwul und müsste bestimmen, wie es dazu gekommen ist, dann-“ „Komm zum Punkt, Wheeler.“ „Hey, ich habe dich vorhin auch nicht unterbrochen. Also der einzige, für mich logische Grund, schwul zu werden, wäre, weil ich genug habe von dem kitschigen Gefühls-Schrägstrich-Romantik-Teil, der mit einem Mädchen verbunden ist. Ich gebe zu, es gibt auch Mädchen, die das nicht verlangen – Mai zum Beispiel – aber irgendwie wird doch meistens erwartet, dass der Mann in der Beziehung etwas für die Frau tut.“ Ich hob die Augebrauen. „Mit anderen Worten läge für dich der Reiz im Schwulwerden darin, faul sein zu dürfen?“, fasste ich seine Worte nüchtern zusammen. Typisch Wheeler. „Irgendwie ja. Aber auch, weil ich dich beleidigen kann und weiß, dass es dir nicht nahe geht. Weil ich weiß, dass du kontern kannst, wodurch unter genauer Betrachtung eine gewisse ... Spannung entsteht, die es bei Mädchen nicht gibt. Es ist dieser Nervenkitzel. Das würde es für mich reizvoll machen.“ „Deine Argumentation ist lückenhaft. Stell dir vor, du hast es mit einer Person wie Muto“ – großer Fehler, jetzt würde ich diese Vorstellung nie wieder loswerden – „zu tun. Ich bezweifle, dass er in der Lage wäre, zu kontern.“ Wheeler seufzte. „Gut, Herr Mir-kommt-es-aufs-Detail-an, dann fasse ich es so zusammen: Der einzige Grund für mich, schwul zu sein wärst –“ Er stockte und seine Augen weiteten sich. Sekunden verstrichen, in denen er nichts sagte, dann, ohne Vorwarnung, entwich ihm das Wort, das ihm und mir zu einer erschreckenden Erkenntnis verhalf: „Du.“ In diesem Moment bemerkten wir beide, dass wir tiefer in der Sache steckten, als jeder von uns befürchtet hatte. oOo Langsam ließ ich die Tasse mit Kaffe sinken und richtete meinen Blick auf Taylor. Er hatte mich die vergangenen zehn Minuten keinen Moment aus den Augen gelassen. „Sag es oder unterlasse dieses aufdringliche Starren.“ Er öffnete den Mund. „Aber sei dir darüber im Klaren, dass jede Minute meiner Zeit einen umgerechneten Wert von fünfhunderttausend Yen hat.“ Wahrscheinlich wollte er den Mund schließen, doch bei meinen Worten schien ihn diese Fähigkeit verlassen zu haben. Stattdessen sprang Gardner für ihn ein. „Was Tristan sagen wollte“, sie warf dem noch immer Unzurechnungsfähigen einen strafenden Blick zu, „war, dass wir von dir verlangen, Joey anstän-“ Das Klirren meiner Tasse ließ sie verstummen. Ich hatte sie härter als notwendig abgestellt. Wieder einmal. Sämtliche Augen richteten sich auf mich, doch nachdem klar wurde, dass ich eine Auseinandersetzung mit Gardner hatte, schwand die Aufmerksamkeit meiner Mitschüler. Das war längst nichts Neues mehr. Nach einer durchgemachten Nacht in einer Karaokebar und einigen Flaschen Alkohol (Aoyagi-sensei und Kaidou-sensei hatten irgendwann beide Augen zugedrückt) war diese Konstellation der Beachtung nicht würdig. Die verkaterten Überbleibsel dieser Stufe, die nun an den Tischen des Frühstücksraumes saßen – wenn sie es denn überhaupt soweit gebracht hatten und das Frühstück nicht einfach ausfallen ließen – würden nicht einmal durch die Verwandlung von Wasser in Wein ansatzweise wacher werden. „Wage es nicht, diesen Satz zu Ende zu bringen“, wies ich Gardner scharf zurecht. Überrascht schwieg sie und auch Taylor, der sich mittlerweile wieder gefasst hatte, brachte angesichts meiner Reaktion kein Wort heraus. Wheeler, der mit ihnen am Tisch saß – ich hätte es auch keinesfalls geduldet, wenn er bloße Anstalten gemacht hätte, sich zu mir zu setzen – rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. Ich richtete meinen Blick auf ihn. „Du hast ihnen nicht gesagt, dass wir beide -“ Mein Ausdruck verfinsterte sich bei dem alleinigen Gedanken daran. Ich senkte die Stimme, auch wenn bei der derzeitigen Situation im Frühstücksraum – die eine Hälfte war übermüdet und verkatert, die andere Hälfte übermüdet und heiser – niemand diesem Gespräch Beachtung schenkte und somit keine Gefahr bestand, dass irgendwer meine Worte mitbekam. „Du bist nicht so übermütig gewesen, auch nur zu behaupten, wir –“ „Krieg dich wieder ein, Kaiba“, gab Wheeler nicht minder gereizt zurück. Seit dem Gespräch in unserem Zimmer, in dem wir gleichzeitige zu einer erschreckenden Erkenntnis gekommen waren, reagierten wir stärker aufeinander als ohnehin schon. „Das ist nicht auf meinem Mist gewachsen.“ „Ach.“ Ich sah Muto an. „Ist das so?“ „Er hat Recht, Kaiba.“ Na so was, dieses Mal war es nicht Gardner, die Recht hatte? Ich schob meinen Stuhl zurück und stand auf. Vor dem Tisch von Wheeler blieb ich stehen. „Wenn dem so ist, Muto, dann lass mich dir etwas sagen.“ Ich beugte mich zu ihm herunter. „Verwechsele das mit keiner Beziehung, unterliege nicht der trügerischen Annahme, ich würde dadurch auch nur in irgendeiner Weise mit euch sympathisieren und vor allen Dingen: Mischt euch nicht ein.“ Muto erwiderte meinen Blick unberührt, dann erschien ein ernster Glanz in seinen Augen. „Solange du dir deiner Lage bewusst bist, Kaiba.“ Ich hob die Augenbraunen. „Verwechsele das nicht mit einem Spiel.“ Meine Mundwinkel zuckten, während ich mich aufrichtete. „Muto, du solltest mich besser kennen. Ich spiele nicht.“ Niemand sagte etwas. Da wurde mir mein Fehler bewusst. Ich spiele nicht. Damit hatte ich ihnen zu verstehen gegeben, dass es mir ernst war. Mit wachsendem Entsetzen suchte ich Wheelers Blick. Er wirkte nicht minder verstört als ich mich fühlte. Im selben Moment wussten wir, was der andere dachte: Wir müssen reden. „Was ist los mit dir?“, fuhr ich Wheeler an. „Mit mir? Mit mir?!“ Wie es mich nervte, wenn Menschen sich unnötigerweise wiederholten, bloß um ihren angeblichen Unglauben zum Ausdruck zu bringen. Als ob es nicht auch anders ginge. „Was ist los mit dir?! Was redest du da? ‚Ich spiele nicht’ – was soll das denn heißen? Wie äußerst großzügig von dir Kaiba, das noch klar zu stellen, denn sonst wäre ich ja nicht mehr als dein kleines Spielzeug gewesen.“ „Das ist nicht das Thema“, zischte ich und sah mich vorsorglich nach anderen Anwesenden um, da Wheeler sich wieder einmal nicht unter Kontrolle hatte. Doch wir waren alleine auf dem Flur. „Es geht darum, dass deine lästigen Möchtegernfreunde sich in Dinge einmischen, die sie absolut nichts angehen!“ Wheeler schnaubte. „Das tun Freunde nun mal. Und hättest du dich auch nur einen Bruchteil deines ach-so-verplanten Lebens mit der entfernten Bedeutung von Freundschaft beschäftigt, dann würdest du dich jetzt nicht so darüber aufregen!“ „Jetzt fang nicht so an wie Muto, das ist das absolut Letzte, was –“ „Mach Yugi nicht schlecht, Kaiba, immerhin geht es ihm um uns beide!“ „Jetzt verteidigst du ihn also?“ „Das tut man unter Freunden.“ Er verschränkte die Arme. Ich verengte die Augen. „Dann läuft es also immer wieder darauf hinaus, was Freunde tun, obwohl sie besser daran täten, es nicht zu tun?“ Ich ließ ihm keine Zeit, darauf zu reagieren. „Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist, dass deine Freunde sich einmischen. Und ja, es ist ohne Zweifel eine Einmischung, Wheeler.“ „Selbst wenn? Ignorier es doch einfach – so, wie du alles ignorieren kannst.“ „Oh, ich würde es ignorieren, wenn sie nicht lästigerweise annehmen würden, sie dürften Forderungen an mich stellen. Ich kann mich nicht erinnern, in eure Sekte eingeheiratet zu haben.“ „Jetzt spiel dich mal nicht so auf. Sekte? Ich bitte dich, geht’s noch? Nur weil du schlecht gelaunt bist, musst du das nicht an meinen Freunden auslassen!“ „Es an dir auszulassen reicht ja offenbar nicht. Außerdem soll ich dich ja anständig behandeln, da muss ich es doch an jemand anderem auslassen oder nicht?“ „Verdammt Kaiba, dann lass es doch an mir aus, das stört mich nicht!“ „Stimmt, denn du kannst ja kontern oder? Was ja wiederum der einzige Grund für dich ist –“ „Wehe, wenn du jetzt darauf rumreitest“, knurrte er. Ich lächelte hämisch. „Ich habe noch gar nicht damit angefangen, Wheeler.“ Er ballte die Fäuste. „Bilde dir bloß nichts drauf ein, Mistkerl, denn es trifft auf dich genauso zu!“ „Ach tatsächlich? Woher willst du das wissen?“ Wheeler konnte es nicht wissen, denn im Gegensatz zu ihm hatte ich es nie ausgesprochen. „Sehr schön“, fuhr er mich an, „dann leugne es auch noch. Ich dachte wir wären uns einig gewesen, dass –“ „Einig?“, echote ich höhnisch. „Worüber denn? Wir sind uns über gar nichts einig, Wheeler, und genau das ist der Grund für all dies. Wir werden uns nie -“ „Jetzt reichts.“ Ich verstummte. Er hatte mich schon wieder unterbrochen! „Du regst mich auf, Kaiba, kannst du nicht einmal unkompliziert sein? Musst du immer alles schwieriger machen, als es ohnehin schon ist? Sei doch froh, dass meine Freunde es wissen und dass sie kein Problem damit haben. Kein Problem mehr damit haben. Wenn ich bedenke, wie ich mit Tristan ... Ach, vergiss es! Weißt du, wie es sonst aussehen würde? Sonst müssten wir nämlich darüber diskutieren, ob es dir recht wäre, sie darüber in Kenntnis zu setzen und wir würden ewig darüber diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu kommen – so wie jetzt.“ Er hatte begonnen, aufgebracht vor mir auf und ab zu gehen und ausfallende Gesten zu machen. „Und letztendlich würde mir der Kragen platzen, ich würde dich an deinem Kragen packen“, unvermittelt griff er nach dem Kragen meines Hemdes, „und dich zu ihnen schleifen.“ Mit einem Ruck zog er mich zu sich. Ich keuchte. „Wheeler, bist du von allen guten Geistern verlassen?!“ „Kaiba und ich haben was miteinander.“ „Was?“ „Was?!“, gab er wütend zurück und musterte mich aufgebracht. „Genau das würde ich zu ihnen sagen, denn eine Beziehung kann man es ja wohl kaum nennen.“ Wieder dieses Wort. Dieses schreckliche, einengende Wort. „Denkst du ich sehe nicht, wie du jedes Mal bei dem Wort blasser wirst, als du ohnehin schon bist? Und weißt du was? Es ist mir scheißegal. Ich mache das alles hier nicht, weil ich eine Beziehung will oder vorhabe, dich eines Tages in Las Vegas zu heiraten.“ Er verdrehte die Augen. „Ich mach das, weil sich das hier“, er drückte mir für einen Moment die Lippen auf den Mund und ich vergaß, was ich ihm an den Kopf hatte werfen wollen, „gut anfühlt und ich es wieder machen will.“ Er küsste mich erneut und auch wenn ich ihn eigentlich darauf aufmerksam machen wollte, dass wir auf dem Flur der Jugendherberge standen und das jeden Moment jemand um die Ecke kommen könnte ... Er löste sich von mir. „Ich weiß, dass es kompliziert ist, weil du du bist und es nicht unbedingt als normal gilt, was wir tun, aber das ist mir genauso egal! Allerdings kann ich echt nicht gebrauchen, dass du es unnötig komplizierter machst, als es ist. Ich weiß, dass es mit uns beiden nie einfach sein wird, aber du musst mir nicht noch neben den Steinen, die du mir ohnehin gerne in den Weg legst, immer wieder ein Bein stellen, damit ich mir die Nase auf den Steinen blutig schlage.“ Er sah mich aus seinen nervigen Hundeaugen unpassend ernst an. „Das kann ich nicht gebrauchen, Kaiba.“ „Du fällst mir in den Rücken, Wheeler“, sagte ich leise und er horchte auf. „Was?“ Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich sagte, du fällst mir in den Rücken. Es ist eine ernste Situation und trotzdem greifst du zu so hinterhältigen Mitteln, wie“, ich deutete wahllos in seine Richtung, „dem da.“ Wie jämmerlich. Kaiba, du lässt nach. Wheeler begann zu grinsen. „Ach, du meinst das.“ Und damit küsste er mich wieder. Idiotischer – „Joey, Kaiba!“ „Verdammt, ich bin blind!“ „Tristan, sei still!“ „Echt mal, müsst ihr das hier tun?!“ Ich unterdrückte ein frustriertes Aufstöhnen, da die Gefahr zu groß war, dass es misinterpretiert würde, während Wheelers Zunge irgendwo in meinem Hals steckte. Zum Teufel mit ihm und seinen Freunden. oOo Das Packen war ein reines Desaster. Mit Wheeler ein Zimmer zu teilen kam in etwa einem Orkan mit der Windstärke von über 200 Kilometer pro Stunde gleich. In unserem Zimmer meine Kleidungsstücke wieder zu finden erwies sich als unmögliches Unterfangen. Wie sich herausstellte, lag in meinem Schrank lediglich das noch immer feuchte Oberteil von dem Strandnachmittag, doch abgesehen davon hatte alles seinen vorgesehenen Platz verlassen. Das war auf Wheeler zurück zu führen. Wie er es jedoch geschafft hatte, meinen Koffer nicht irgendwo in die hinterste Ecke unter dem Hochbett, sondern unter einen Kleiderhaufen auf einen der Schränke zu bringen, war mir mehr als schleierhaft. Ich fragte ihn gar nicht erst danach. Nachdem ich alle gefundenen Kleidungsstücke und Utensilien in dem Koffer verstaut hatte – in dem Wissen, dass die Hälfte meines Besitzes mit großer Sicherheit letztendlich in Wheelers Tasche gelandet war, so, wie er sie ohne nachzusehen einfach vollgestopft hatte – war noch immer nicht alles getan. Immerhin hatte Wheeler in diesem Zimmer gewütet. Erst jetzt fiel mir auf, wie viel Müll in dem Raum herumlag. Diverse leere Verpackungen von irgendwelchen Lebensmitteln, Plastikflaschen und dazwischen immer wieder Socken von Wheeler. Grauenhaft. Ich setzte mich auf das Bett. „Deine Aufgabe, Wheeler“, sagte ich schlicht und verschränkte die Arme. Er schnaubte. „Natürlich, schieb es ruhig auf mich ab.“ Ich griff nach einer der Verpackungen, die auf meinem Bett gelandet war und betrachtete sie abschätzig. „Du willst mir doch wohl nicht allen Ernstes unterstellen, ich würde Pringles essen? Was ist das? Der Packung nach könnte da auch ein Knochen dring gewesen sein.“ „Mach dich ruhig darüber lustig. Immerhin esse ich in meiner Freizeit keine Fischeier.“ Ich hob die Augenbrauen. „Ich nehme an, du meinst Kaviar und hast du etwa von mir gehört, ich würde es gerne essen?“ „Typen wie du essen doch dieses feine Zeug.“ Ich ließ die Verpackung achtlos zu Boden fallen und schlug die Beine übereinander. „Nur weil es als Delikatesse gilt, muss man es nicht essen.“ Wheeler stand direkt vor mir und blickte mit in die Hüften gestemmten Armen auf mich herab. „Das heißt, du bist nicht der Typ, der abends mit einem teuren Glas Rotwein auf seiner Terrasse sitzt, klischeehaft den Sonnenuntergang betrachtet und sich über seinen Reichtum freut?“ „Nein Wheeler, denn ich heiße nicht Pegasus. Ich bin der Typ, der spät nachts in der eigenen Firma sitzt, revolutionäre Software entwickelt, dabei Kaffee trinkt und sich über seinen Reichtum freut.“ Er strich sich überlegend über sein Kinn. „Da ist was Wahres dran.“ „Wenn wir das jetzt geklärt haben, kannst du deine Arbeit fortsetzen. Der Raum säubert sich nicht von selbst.“ „Tze, im Herumkommandieren warst du schon immer ganz groß, was?“ „Du hast ja keine Ahnung, Wheeler.“ Ich lächelte gefährlich. „Oh bitte.“ Er verdrehte die Augen und wandte sich ab. Dann begann er, den Müll vom Boden zu sammeln. Ich registrierte nicht, dass ich Wheeler anstarrte, bis ich seinem amüsieren Blick begegnete. Erst da wurde mir bewusst, wohin ich gestarrt hatte. „Erwischt, Kaiba“, spottete er und wackelte provokativ mit dem Hintern. „Auch du hast Anwandlungen.“ Ich schloss die Augen und presste mir eine Hand an die Schläfe, konzentrierte mich darauf, dass alles bald vorbei war. Wie sehr sich einige Stunden in die Länge ziehen konnten. Nachdem Wheeler das Zimmer halbwegs anständig aufgeräumt hatte und auf mein Geheiß hin den Hausmeister über den kaputten Vorhang in Kenntnis gesetzt hatte, versammelte sich unsere Gruppe im Gemeinschaftsraum. Aoyagi-sensei, die in den vergangenen Tagen niemals die Nerven verloren hatte, Höhen und Tiefen dieser Höllenfahrt mitgemacht und gemeistert hatte, lächelte in die Runde. Ich respektierte sie von Mal zu Mal mehr. „Ich hoffe, ihr habt den gestrigen Abend gut überstanden.“ Sie zwinkerte. „Ich möchte an dieser Stelle nur noch sagen, dass mir diese Fahrt mit euch sehr viel Spaß gemacht hat. Auch wenn es Situationen gab, die ... kompliziert waren und sicherlich nicht jeden erfreut haben“, dabei richtete sich ihr Blick mit Nachsicht auf mich, „so bin ich doch sicher, dass jeder von euch besondere Erinnerungen an diese Fahrt mitnehmen wird.“ Besondere Erinnerungen? Auf ihre eigene Art ganz bestimmt. Und nicht nur Erinnerungen. „In einer halben Stunde fahren wir los, das heißt, Kaidou-sensei und ich werden gleich eure Zimmer ansehen, um sicher zu gehen, dass ihr sie in angemessenem Zustand zurücklasst. Also dann.“ Sie erhob sich und damit war die Besprechung beendet. Als sie zehn Minuten später Wheelers und mein Zimmer inspizierte lächelte sie mich offen an. „Diese Tage mit Joey-kun waren doch nicht so schlimm, oder?“, fragte sie freundlich. Ihr eine ehrliche Antwort zu geben, wäre wohl nicht ganz fair gewesen, doch ganz lügen konnte ich auch nicht. „Es war zu ertragen.“ Wheeler neben mir gab einen abfälligen Laut von sich. „Frag mich mal.“ „Sei still, Wheeler.“ „Wer hat denn angefangen?“ Wir starrten uns an, doch niemand von uns sagte noch etwas. Erst als Aoyagi-sensei zu lachen begann, unterbrachen wir den Blickkontakt. Sie wirkte verzückt. „Es scheint ja schon viel besser zwischen euch zu laufen, das freut mich ungemein. Seto-kun, Joey-kun, ich glaube diese gemeinsamen Tage haben euch gut getan.“ Sie nickte Kaidou-sensei zu und sie verließen den Raum. Mir war mit einem mal furchtbar schwindelig und hätte Wheeler nicht geistesgegenwärtig reagiert und mich gepackt, währe ich in mich zusammen gesackt. Das war nicht die Möglichkeit. Gut getan. Gut getan?! Diese Tage hatten alles, bloß nicht gut getan. „Kleiner Moment der Schwäche, Kaiba?“, bemerkte Wheeler belustigt. „Halt den Mund, Wheeler. Und wage es nicht, jetzt los zu lassen“, fügte ich eine Spur schärfer hinzu, da ich meinem Kreislauf in diesem Moment noch nicht ganz vertraute. Mir war egal, dass Wheeler diesen Moment der Nachlässigkeit mitbekam, er hatte schon so viel mitbekommen, dass es auf diese Kleinigkeit jetzt gerade auch nicht mehr ankam. „Aoyagi-sensei ist eine gerissene Frau“, bemerkte Wheeler schließlich. „Wer weiß, vielleicht ist sie sogar noch schlauer als du.“ Ich konnte ihm nicht einmal widersprechen. Ich warf einen letzten Blick zurück auf die Jugendherberge. Die negativen Erinnerungen überwogen, tatsächlich konnte ich mich an keinen schönen Moment erinnern. Ich verdrängte plötzlichen Nachhall nasser Küsse spätabends. Mein Blick wanderte unweigerlich zu dem Teich mit der Brücke. ‚Ich glaube diese gemeinsamen Tage haben euch gut getan.’ Mit Aoyagi-senseis Worten im Ohr wandte ich mich ab und ließ den Ort zurück, der für mich in den letzten Tagen die Hölle auf Erden gewesen war. Im Bus sicherte ich mir meinen Sitzplatz und zu meinem Bedauern saßen Muto und sein Anhang wieder hinter mir. Es gab Dinge, die änderten sich wohl nie. Als der Motor des Busses anging und das Gefährt die Einfahrt zur Herberge hinab fuhr, war mir, als würde ein Gewicht von meiner Brust genommen werden. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, freier atmen zu können. Ein Blick zu Wheeler zeigte mir, dass er mich mit einem schadenfrohen Lächeln beobachtete. Er hatte meine Erleichterung gespürt und machte sich darüber lustig. Dieses Mal war es mir egal. oOo Leider entkam ich Ôsaka nicht genauso schnell. Aoyagi-sensei ließ uns eine letzte Stunde Freigang in der Stadt, um Verpflegung für die Fahrt zu kaufen und die letzten Fotos machen zu können. Am liebsten wäre ich im Bus geblieben und hätte gearbeitet, doch wir wurden dazu genötigt, nach draußen zu gehen. Kein böses Starren half. So musste ich mit Kappe und Sonnenbrille erneut durch Ôsaka, doch freundlicherweise hatte sich Wheeler dazu bereit erklärt, mich zu eskortieren. Ich war immer noch in Gefahr, erkannt zu werden, doch Aoyagi-sensei hatte sich durch diesen Umstand nicht dazu überreden lassen, mir die Erlaubnis zu geben, im Bus zu bleiben. Ich sollte mir doch ein Souvenir von der Stadt kaufen. Das einzige angebrachte Souvenir für jemanden wie mich wäre eine Wohnung an einem Ort, der mir gefiel oder ein Auto aus dem jeweiligen Land, doch in Japan reizten mich die Wagen nicht und ich würde den Teufel tun und eine Wohnung in Ôsaka kaufen! Wheeler bereitete es offensichtliche Freude, mich mehr und mehr zu reizen. Als wir eine Shoppingmall betraten fühlte ich mich angesichts der vielen Menschen unwohl, doch in Begleitung mit Wheeler würde niemand mich erwarten. Seto Kaiba vermutete man momentan in Begleitung einer Frau. Wheeler lud sich Unmengen von Süßkram auf die Arme, bei dessen Anblick mir schon der Magen wehtat. Wheelers Esskultur war eine Klasse für sich, die jeden mit einem letzten Rest Verstand – abgesehen von Wheeler selbst – alarmierte. Bei den Zeitungen blieb ich stehen. Auf der Titelseite blickte ich in mein eigenes Gesicht. Zum Glück hatte ich von Wheeler eine neue Kappe verlangt und er hatte mir eine von seinen gegeben. So ungern ich auch etwas von Wheeler trug, aber die Kappe von dem Aquarium würde nie wieder in die Nähe meines Kopfes kommen. Außerdem kannte sie nun ganz Japan. Ich griff nach der Zeitung und hielt sie Wheeler entgegen. Er trat einen Schritt zurück. „Glaub nicht, dass ich dir die bezahle.“ Ich machte einen Schritt auf ihn zu, baute mich bedrohlich vor ihm auf. „Es ist das mindeste, was du nach dem, was ich durch dich und deine Freunde in den letzten Tagen durchgemacht habe, für mich tun kannst, Wheeler.“ „No way. Ich bin so schon knapp bei Kasse.“ „Auf diese Zeitung kommt es dann ja nicht mehr an“, gab ich kalt zurück. So leicht ließ ich Wheeler nicht davonkommen „Findest du das nicht ziemlich dreist?“ „Nein. Es ist angebracht.“ Er knurrte. „Arsch“, murmelte er und riss mir die Zeitung aus der Hand. Sieg für mich. Wheeler wusste, wann es aussichtslos war. „Dafür bist du mir was schuldig, Kaiba.“ „In deine Träumen, Wheeler.“ Nun machte er einen Schritt auf mich zu. „Oh, ich weiß da schon etwas.“ Er lächelte auf eine offensichtlich Art, sodass mir bewusst wurde, worauf er hinaus wollte. Diese miese, kleine – „Wheeler, denkt nicht einmal daran.“ Wir standen in einem verlassenen Gang des Geschäfts – um diese Uhrzeit war hier noch nicht so viel los, aber trotzdem gab es Wheeler nicht das Recht -! „Hast du keine Beherrschung, Köter?!“ Sicher gab es hier Kameras. Ich würde auf keinen Fall zulassen, dass Wheeler und ich gemeinsam auf einem Video - „Sehr geehrte Kunden, hier eine Durchsage. Der kleine Joey-kun möchte bitte zur Information kommen, sein großer Bruder wartet dort auf ihn. Ich wiederhole: Der Kleine Joey-kun wird dringend gebeten, zu seinem Bruder an die Information zu kommen. Vielen Dank.“ „Tristan“, knurrte Wheeler. „Den bringe ich noch um.“ Nie war ich Taylor dankbarer gewesen. Wheeler wirbelte zu mir herum und grinste wieder. „Der Gesichtsausdruck steht dir, Kaiba. Es macht so einen Spaß, dich zu verarschen – jetzt habe ich ja endlich ein Mittel dafür.“ Ich verspannte mich und starrte Wheeler finster an. „Dafür kaufst du mir noch einen Kaffee“, sagte ich leise und duldete keinen Widerspruch. Wheeler tat zur Abwechslung, wie geheißen – etwas, dass er gerne öfter tun sollte – und ließ es sich nicht nehmen, Taylor an der Information mit einem Schwitzkasten für die Durchsage zu danken. Taylor rechtfertigte diese Handlung damit, dass Wheeler heute nur an mir kleben würde und mit einer abwinkenden Handbewegung gab ich ihm zu verstehen, dass er Wheeler gerne haben konnte. Als ob ich wert auf seine Anwesenheit legen würde. Zu meiner Zufriedenheit war die Tür des Busses geöffnet als ich als einer der ersten zurückkehrte, darum konnte ich mich auf meinem Platz setzen und die Zeitung lesen. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. Auf der ersten Seite des Gesellschaftsteils prangte der Schnappschuss von mir im Schloss von Ôsaka. Zum Glück hatte ich es nicht bis auf die Titelseite geschafft – politische Entscheidungen hatten in dieser Zeitung glücklicherweise noch Vorrang. Mit zunehmend finsterer Miene las ich den zu dem Bild gehörenden Artikel, der mit Spekulationen und falschen Fakten um sich warf. Ich beschloss, den Redakteur, der für den Artikel zuständig war, sobald ich wieder zurück war, zu verklagen. Auch, wenn er nicht der einzige war, der Unwahrheiten verbreitete – mir graute es bereits vor den Klatschblättern, die noch Haarsträubender sein mussten – aber mit dieser Zeitung würde ich beginnen. Dann würde ich nach und nach jede weitere zur Rechenschaft ziehen. Seufzend ließ ich die Zeitung sinken und lehnte mich auf meinem Platz zurück, schloss die Augen. Was redete ich mir ein? Eine Anklage würde nichts ändern. Im Gegenteil, denn sie würde alles verschlimmern. Die einzige Möglichkeit, die auf Skandale erpichte Bevölkerung dazu zu bringen von mir abzulassen, war sie zu langweilen. Sie musste der Geschichte überdrüssig werden und das funktionierte nur mit beharrendem Schweigen, standhafter Verleugnung und Geduld. Viel Geduld. Die ich nach dieser Fahrt nicht besaß. Wheeler hatte sich restlos aufgebraucht. Aber ich musste geduldig sein. Heute Abend würde ich wieder aus der Fensterfront meines Büros blicken können, ohne mir jeden Moment Gedanken über eine viel zu stressige Fahrt machen zu müssen. Diese läge dann nämlich hinter mir. Ich schloss meine Augen und lehnte mich auf meinem Platz zurück. Nicht mehr lange. oOo Ich verlor den Halt. Ich fiel. Und Wheeler war nicht da. Das war kein Traum. Das war real! oOo Das durfte nicht wahr sein. „Krass.“ „Hast du es gefilmt?“ Das konnte einfach nicht wahr sein! „Klar hab ich es gefilmt. Sieh es dir an, es ist nur etwas wackelig, weil ich fast vom Sitz gefallen wäre.“ Was hatte ich verbrochen? „Wow, auf Video sieht das ja noch krasser aus!“ Ich fuhr zu den Redenden herum. „Könntet ihr die Freundlichkeit besitzen und dieses Gespräch nicht unmittelbar neben mir führen?!“ Ich funkelte sie kalt an. „K-klar doch!“ „Wir sind schon weg!“ Ich drehte mich wieder um und richtete meinen Blick auf das Elend vor mir. Wenn ich mich schlecht gefühlt hatte, als eine Meute Reporter mich verfolgt hatte, dann war dies kein Vergleich zu dem, was ich jetzt empfand. Jemand trat neben mich. „Wage es jetzt nicht, auch nur irgendetwas zu sagen, Wheeler“, sagte ich und meine Stimme bebte unter der Flut an zurückgehaltenen Empfindungen. Ich wusste sie nicht einmal alle beim Namen zu nennen. „Deine Möchtegernversuche in Eloquenz sind das letzte, was ich jetzt hören will.“ „Geht es dir gut?“, fragte Wheeler schließlich. Ich musterte ihn aus den Augenwinkeln, doch er hatte den Blick geradeaus gerichtet. „Wieso fragst du?“ Das war untypisch für ihn und es machte die Frage verdächtig. Noch immer sah Wheeler mich nicht an. „Ich habe gesehen, wie du dir bei der Bremsung den Kopf angeschlagen hast. Ich wollte nur sichergehen, dass dein Verstand davon nicht abbekommen hat, sonst hättest du wohlmöglich noch das Busunternehmen verklagt.“ Immer noch kein Blickkontakt. „Aber da du bereits so gekonnt wieder mit Fremdworten um dich werfen kannst, geht es dir offenbar gut.“ „Glaub mir, Wheeler, ich werde das Busunternehmen verklagen.“ Ich folgte seinen Blick. „Wenn sie Glück haben, wird es sie nicht ruinieren.“ Aber sie würden kein Glück haben. Ich hatte hervorragende Anwälte. „Eine Reifenpanne ist kein Beweis für Fahrlässigkeit.“ Wheeler irritierte mich. Noch mehr als ohnehin schon. Ich wusste lediglich noch nicht zu benennen, was genau mich mehr irritierte als sonst. „Falsch. Eine Reifenpanne wie diese belegt Fahrlässigkeit im höchsten Maße. Mit den richtigen Augenzeugen und einem gelungenen Schlussplädoyer kann es sogar als versuchter Mord zur Rechenschaft gezogen werden.“ Und da war die Geste, die alles Sinn ergeben ließ. Ein kurzes Aufflackern in Wheelers ungewohnt starrer Mimik. Seine Augen lagen für einen kurzen Moment auf mir, dann war sein Blick wieder starr geradeaus auf den in Schieflage geratenen Bus vor uns gerichtet. Mit einem befremdlichen Gefühl von plötzlicher Erkenntnis war da die simple Feststellung, zu der ich bis dahin nicht in der Lage gewesen war: Wheeler war besorgt. Um mich. Ich starrte auf den Jungen vor mir, der in den letzten Tage Unverschämtheiten gewagt hatte, die ich in ähnlichem Ausmaß zuvor nie hatte ertragen müssen. Der mich in Situationen gebracht hatte, mit denen ich vorher noch nie konfrontiert worden war. Der mir Erinnerungen beschert hatte, die zu leugnen sie nie verblassen lassen würden. Es gar nicht konnten. Und dieser Idiot, dieser penetrante nervige Köter, dieser infantile Abklatsch von einem Mann versuchte mir auf seine eigene Art zu zeigen – oder vielmehr nicht zu zeigen – dass er sich Sorgen machte. In diesem Moment war er mir beinahe sympathisch. „Was glotzt du mich so an Kaiba?“ Beinahe. „Das tue ich nicht. Ich habe kaum in deine Richtung geblickt, Wheeler.“ Ich drehte den Kopf, um mich nach unseren Mitschülern umzusehen, doch außer uns war niemand mehr da. Die Lehrkräfte waren gemeinsam mit dem Busfahrer auf der anderen Seite des Busses, um den Reifenschaden zu begutachten und einen Hilfsdienst zu beordern und die Schüler waren in der Raststätte verschwunden, um sich ein Mittagessen zu kaufen und ihren Angehörigen bescheid zu geben, dass sich ihre Ankunft verspäten würde. Beim Drehen meines Kopfes schoss ein stechender Schmerz durch meinen Nacken und direkt in meine Schläfen. Ich zuckte, als eine Hand sich für einen Moment auf meinen Hinterkopf legte. „Ist nur eine Beule“, diagnostizierte Wheeler fachmännisch. „Nichts Schlimmeres.“ Gegen meinen Willen hoben sich meine Mundwinkel. „Na wenn du das sagst.“ „Genau.“ Er zwinkerte mir tatsächlich zu. Verschwunden war die angespannte Starre. Sollte jemand zu verstehen versuchen, was in seinem Kopf vorging. Ich würde jedenfalls nicht den überflüssigen Versuch wagen, es zu tun. Ich konnte auch ohne Verständnis gut genug mit Wheeler umgehen. „Aber du solltest sie zur Sicherheit untersuchen lassen.“ „Und das weißt du, weil ...?“, harkte ich gelangweilt nach. „Du schwankst.“ Wheelers Hand war an meinem Arm, bevor mein Verstand sich ohne Vorwarnung von der Vertikalen in die Horizontale begeben konnte. „Wie –“, wollte ich fragen, verschluckte mich jedoch beinahe an meinen eigenen Worten. „Du bist blass, Kaiba. So ein Kopfstoß kann einen schon etwas benebeln. Glaub mir, ich spreche aus Erfahrung.“ „Hochinteressant“, murmelte ich, darauf konzentriert, zu verstehen, was auf einmal mit mir los war. „Du hast doch alle Mittel der Welt, warum rufst du dir kein Taxi und fährst in ein Krankenhaus?“ „Wegen einer Beule?“, fragte ich uns sah Wheeler so spöttisch an, wie es in meiner Lage möglich war. „Wegen einer Beule.“ „Nein danke.“ „Ach, dann kann es ja so schlimm nicht sein.“ Er ließ mich los. Ich knurrte, packte ihn bei der Schulter, um nicht den Halt zu verlieren und hasste mich im gleichen Moment für diese Schwäche. Mein Blickfeld schwanke merklich. Es war das gleiche Gefühl, als würde man fallen. Es war schrecklich. Wheeler schlang einen Arm um meine Hüfte und zog mich an sich. Ich wollte protestieren, doch er kam mir zuvor: „Ich will doch nicht, dass du fällst.“ Und diese Worte waren es, die mich den Kopf heben und Wheeler sprachlos ansehen ließen. Diese Worte – das genaue Gegenteil von denen, die ich in den vergangenen Nächten wieder und wieder in meinen Träumen gehört hatte – lösten etwas in mir aus, von dem ich bis zu diesem Moment nicht gewusst hatte, dass ich es besaß. Ich konnte es noch nicht einmal benennen. Jedenfalls überkam mich für einen kurzen Moment lang das starke, erschreckender Verlangen danach, Wheeler zu packen, gegen den Bus zu pressen und – „Kaiba? Kaiba, werd mir jetzt nicht ohnmächtig. He, Kaiba!“ „Sei still Wheeler.“ „Ich dachte schon, du kippst mir jetzt ...“ Ich hörte ihm längst nicht mehr zu. „Guten Flug Kaiba!“ „Ich will doch nicht, dass du fällst.“ Ich steckte tiefer drin als angenommen. Und nach sieben grauenvollen Tagen mit Wheeler konnte ich mich selbst nicht einmal mehr anständig genug belügen, um mir weis zu machen, dass es mich außergewöhnlich störte. oOo Wheeler hatte tatsächlich ein Taxi organisiert. Er hatte Aoyagi-sensei davon überzeugt, dass ich zur Untersuchung meines Kopfes in ein Krankenhaus sollte und sie hatte ihn darum gebeten, mich vorsorglich zu begleiten und sie über das Ergebnis der Untersuchung zu informieren. Der Fahrer lud meinen Koffer und meinen Laptop in den Kofferraum und Aoyagi-sensei versicherte mir, wie sehr ihr alles leid täte. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Wheeler hatte sie angelogen. Längst hatte sich meine anfängliche Benommenheit gelegt. Ich schwankte auch nicht mehr, wenn ich mich schneller bewegte. Es ging mir gut, abgesehen von dem pochenden Schmerz in meinem Hinterkopf, doch es war keinesfalls Grund genug, ein Krankenhaus aufzusuchen. „Stell nichts an“, wies Gardner Wheeler zurecht und Taylor klopfte dem Köter auf die Schulter. „Wir wollen dich lebend wiedersehen“, fügte er nickend hinzu. Ich verzog den Mund. Was dachte die? Dass ich Wheeler bei lebendigem Leibe verspeisen würde? „Keine Sorge, Leute, ich weiß mit Kaiba umzugehen.“ Wheeler zwinkerte ihnen zu. Dieser unverschämte – „Seto-kun, du bist schon wieder so blass.“ Aoyagi-sensei hatte mir eine Hand auf den Rücken gelegt. „Setz dich lieber schon in das Taxi.“ Ohne ein weiteres Wort stieg ich ein und zog die Tür hinter mir zu. Ich konnte es kaum erwarten, loszufahren und all dies hinter mir zu lassen. Ungeduldig klopfte ich mit den Fingern auf die Armlehne an der Tür und nahm mir vor, Wheeler für jede zusätzliche Sekunde, die er weiter trödelte, büßen zu lassen. Schließlich kam die Verabschiedung von seinen Freunden endlich zu einem Ende und mit einem selten dummen Grinsen auf den Lippen setzte er sich neben mich. Ich sah ihn kalt an. „Es ist unmöglich, dümmer auszusehen als du es gerade tust.“ Das Lächeln verblasste. „Jetzt meckere noch herum, Kaiba. Mir hast du es zu verdanken, dass du so schnell zurück nach Hause kommst.“ „Und wer bezahlt die Fahrt?“ Wheeler erschränkte die Arme und lehnte sich zurück, während der Wagen anfuhr. „Du natürlich. Wer von uns beiden hat denn die Kohle?“ Die nächsten zehn Minuten verbrachten wir schweigend, bis der Taxifahrer etwas für die Verhältnisse eines japanischen Taxifahrers vollkommen untypisches tat: Er fluchte. In dem Moment wusste ich, dass wir ein Problem hatten. „Was ist los?“ Er sah mich durch den Rückspiegel entschuldigend an. „Es tut mir sehr leid, Herr Kaiba“ – er wusste, wer ich war und bekam einen Sonderzuschlag dafür, dass er niemandem davon erzählen würde – „aber offensichtlich gab es einen weiteren Unfall. Wir müssen einen Umweg nehmen, aber dieser Umweg ist stark befahren und wenn ich den Mittagsverkehr mit einbeziehe –“ Mir war mittlerweile eiskalt. „Was wollen Sie mir damit jetzt sagen?!“, unterbrach ich den Mann schroff. „Drücken Sie sich deutlich aus.“ „Wir brauche mindestens drei Stunden länger – wenn wir Glück haben. Wenn Sie mich fragen, ist es einfacher, wenn Sie fliegen.“ Drei Stunden länger?! Das war viel zu lange. „Dann fahren Sie uns zum nächsten Flughafen.“ „Der nächste Flughafen ist in Ôsaka.“ Nein. Ich musste aschfahl geworden sein, denn Wheeler hatte sich vorgebeugt. „Wage es nicht, dich jetzt zu übergeben, Kaiba“, murmelte er mir zu und ich funkelte ihn wütend an. Er seufzte. „Dann fahren Sie uns zum Flughafen.“ Der Fahrer nickte und machte Anstalten, zu wenden. Als Wheeler sich sicher war, dass der Mann viel zu sehr auf die Straße konzentriert war, um auf uns zu achten, griff er nach meinem Arm und zog mich zurück. „Jetzt beruhige dich. Wir fahren zum Flughafen und fliegen nach Domino. Ehe du dich versiehst, bist du raus aus Ôsaka. Sag mir jetzt nicht, der große Kaiba hat Angst vor einer Stadt?“ „Natürlich nicht, Wheeler“, gab ich unbewegt zurück. „Mach dich nicht lächerlich.“ „Was macht dein Kopf, oh unerschütterlicher Kaiba?“ „Er schmerzt, Wheeler. Und du trägst nicht unbedingt zur Besserung der Schmerzen bei.“ „Hatte ich gesagt, dass ich das wollte?“ Die Fahrt verlief die nächste Stunde über ereignislos, dann passierten wir ein Schild, dass uns in Ôsaka willkommen hieß. Ôsaka hatte mich wieder. In gewissem Sinne würde es mich wohl nie wieder loslassen. „Du bist für deine Verhältnisse ungewöhnlich anhänglich, Kaiba.“ Ich hatte meinen Griff um Wheelers Arm unbemerkt gefestigt. Ein gestresster Nerv begann auf meiner Stirn zu zucken, während ich keine Anstalten machte, mich von ihm zu lösen. „Sei still Wheeler.“ Er schmunzelte. „Du mich auch, Kaiba.“ Offen gestanden war ich beinahe froh darüber, dass er – wie immer – nicht auf mich hörte. Und während das Taxi die Stadtgrenze von Ôsaka passierte, sich durch den immer dichter werdenden Mittagsverkehr drängelte und stetig auf den Flughafen zuhielt, war das beklemmende Gefühl, dass mich begleitete, seit ich zum ersten Mal vor einer Woche den Fuß in diese Stadt gesetzt hatte, nicht annähernd so unangenehm wie sieben Tage zuvor. Unnachgiebigkeit und ein starkes Durchhaltevermögen kamen offenbar meinem Toleranzbereich zugute. Persistenz trug ebenfalls einen nicht geringen Teil dazu bei. Die Persistenz saß neben mir. „Was gibt’s da zu grinsen, Kaiba?“ Gegen meinen Willen hatte ich beinahe gelächelt. Eine Woche – und ich hatte alle sieben Tage dazu gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. (Wie uncharakteristisch langsam.) Ôsaka und Wheeler hatten viel gemeinsam. Beide hatten mich terrorisiert, mich überwältigt und hielten mich nun umklammert. Und selbst wenn ich es noch so gewollt hätte – nach sieben langen, nervenaufreibenden und in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Tagen konnte ich gar nicht mehr loslassen. Weder das eine, noch den anderen. Ich hab’s dir doch gesagt, Seto, konnte ich Mokuba bereits triumphierend sagen hören. Diese Klassenfahrt wird besonders. Ich hatte ihm widersprochen und wenn es nicht nach ihm gegangen wäre, säße ich jetzt nicht in diesem Taxi neben Wheeler. An Wheeler. Mir graute jetzt schon vor dem Moment, in dem Mokuba davon erfuhr. Quietschend hielt das Taxi vor dem östlichen Flughafeneingang. Ich zerrte Wheeler aus dem Wagen, nachdem ich gezahlt hatte. „Beeilung, Köter.“ Er knurrte und folgte mir widerstrebend. Ich drängelte mich durch die Menschen vor mir, störte mich nicht daran, wenn ich jemanden anrempelte. In einigen Fernsehern, die von der Decke hingen, liefen Nachrichten. Ich hörte Wheelers Stimme nur entfernt („Sieh mal, du bist schon wieder im Fernsehen!“ ) und beachtete die Blicke nicht, die sich bei seinen viel zu laut gesprochenen Worten auf mich richteten. Ich kaufte zwei Flugtickets und wies Wheeler an, sein Gepäck gemeinsam mit meinem aufzugeben. Als wir sieben Minuten und mindestens einen in Eile zurückgelegte Kilometer später außer Atem das Terminal erreichten, konnten wir zusehen, wie das Flugzeug mit unserem Gepäck die Rollbahn verließ und in den Himmel stieg. Etwas in meinem Gesicht musste bei Wheeler tatsächlich so etwas wie Mitleid ausgelöst haben, denn er legte eine Hand auf meine Schulter und sagte: „Morgen ist auch noch ein Tag.“ Ôsaka ließ mich nicht los. Es hielt mich umklammert. oOo Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht – und wahrscheinlich war das auch gut für meine Nerven - dass ich die folgende Nacht mit Wheeler in einem engen, billigen Hotelzimmer verbringen würde, da unser Budget eine Zugfahrt nach Domino nicht mehr zuließ, sondern lediglich den Preis einer drittklassigen Unterkunft. (Meine Brieftasche hatte aus irgendeinem Grund einen Weg in den in erster Klasse nach Domino geflogenen Koffer gefunden – ich wollte Wetten, dass es Wheelers Schuld war!) Wheeler würde diese, durch das Hotelzimmer gegebene, Gelegenheit zu seinem Vorteil nutzen und im Nachhinein würde ich nicht einmal mehr zu sagen wissen, welche Farbe die Bettwäsche hatte, da mir weitaus anderes durch den Kopf gegangen war – wenn ich denn einige Momente lang in der Lage gewesen war, rational zu denken. Zum jetzigen Zeitpunkt wusste ich auch nicht, dass ich bei meiner Ankunft in der Villa auf zehn besorgte Anrufe meiner Lehrerin würde reagieren müssen, die vergeblich auf eine Rückmeldung von Wheeler und mir gewartet hatte. Ich wusste ebenso wenige, dass im Terminal des Ôsaka Flughafens ein Foto von Wheeler und mir geschossen worden war, welches die Spekulationen um mein Sexualleben in ungeahnte Höhen treiben und die Verkaufszahlen und Popularität meiner Produkte durch das exponentiell zugenommene Interesse überwältigend ansteigen lassen würde. Noch viel weniger wusste ich, dass Wheeler mich von dem heutigen Tag an alljährlich mit einer Grußkarte aus Ôsaka beglücken würde um die Erinnerungen aufzufrischen und um einen Grund zu haben, auf ganz spezielle Art und Weise mit mir zu feiern. oOo Ich konnte nur von Glück sagen, dass Wheeler es in dem Moment, in dem das Flugzeug unserem Blick entschwand, genauso wenig wusste. ... Trost lag oft in kleinen Dingen. oOo „Du wirst doch jetzt nicht heulen, Kaiba?“ „Ruhe, Wheeler.“ „Starr dem Flieger ruhig hinterher, aber er wird nicht umdrehen.“ „Man weiß nie. Ich bin Seto Kaiba.“ „Na wenn du ihm das laut genug hinterher rufst, überlegt er es sich bestimmt anders.“ „Verdammt Wheeler, ich bin Seto Kaiba.“ „Und ich bin Joey Wheeler, nett dich kennen zu lernen. Können wir jetzt was essen? Ich habe Hunger.“ „ ... Wenn es sein muss. Du bezahlst.“ „Geiziger reicher Pinkel!“ oOo In sehr kleinen Dingen. ~*~*~ I don't wanna wait or leave it up to fate 'cause I just wanna watch you all night Screaming Kaiba, I hate ya! Don't you wake me up, I don't want this dream to ... Kaiba, I hate ya! Don't you wake me up, I don't want this dream to ... End ~*~*~ (Can't Stop, Gotta Date With Hate by Lostprophets + Selbst eingefügte Textzeile ^ ^) Nachwort(e): Es ist immer wieder ein seltsames Gefühl, eine Geschichte zu beenden. Gerade bei dieser hier ist es gleichzeitig schön und traurig. Muss ich mir eben etwas anderes suchen *gg* Wo wir gerade bei „alten Zeiten“ sind: Zur Feier des fünfjährigen Jubiläums habe ich eine kleine Side Story bei A Dog’s Life hochgeladen und morgen werde ich noch einen Weihnachts-One Shot von Yu-Gi-Oh! online stellen (um welches Pairing es sich handelt, ist dabei nicht schwer ^ ^). Danke fürs Lesen *verbeug* Ihr habt eine kleine Autorin sehr glücklich gemacht! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)