Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 41: Kapitel 41 ---------------------- Kapitel 41 Und dann kam Seth in den Genuss einer ganz besonderen Ehre. Waren seine Gedanken doch eben noch dabei, sich die erzählte Geschichte über sein Leben zu merken, so wechselten sie sofortig den Platz in gar bezauberte Gefilde. Die fortgeschickte Sklavin kam zur Tür herein und trug an ihrem fülligen Busen ein Kind, welches auf den ersten Blick ungewöhnlich war, denn es hatte goldenes Haar auf dem Haupt. Eine so helle Farbe war für Ägypten ungewöhnlich und verriet in Einlang mit der fein verarbeiteten Seidenkleidung in lachsener Farbe, dass dies kein Kind aus dem Fußvolke war. „Ah, sie ist ja erwacht.“ Die Königin erhob sich, ging dem Kindermädchen entgegen und nahm das teure Bündel Mensch an sich, bevor sie sich umdrehte und zurück zu der kleinen Tischgesellschaft kam. Mittlerweile regte sich der schimmernde Goldschatz auf ihren Armen und quietschte aufgeregt, als kleine Hände hervorschossen und der Königin in die Nase kniffen, die das lachend über sich ergehen ließ. „Schau mal, wer da ist“ lächelte sie und setzte sich auf das eilig herbeigebrachte Kissen neben ihren Gemahl. Der blickte erst mal ganz entzückt über ihren Arm und auch Seth linste neugierig herüber. Es war ein kleines Mädchen mit hellbraunen Augen und einem strahlenden Lächeln, welches unten schon die ersten Zähnchen zeigte. Sie war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Nicht nur das Haar, sondern die ganze Ausstrahlung war ganz die des Pharaos. Sie war ohne Zweifel als des Königs Tochter zu benennen. „Da?“ Sie zeigte fragend auf den Mann vor ihr, der sie so liebevoll ansah. Sie blickte zu ihrer Mutter zurück und verlangte eine Antwort. „Das ist dein Vater“ erklärte sie der Kleinen geduldig. „Kannst du das sagen? Vater?“ „Aada“ plapperte sie nach und zeigte auf des Königs Nase. „Pia Aada seh.“ „Ja, Piatra sieht ihren Vater“ lobte sie ganz richtig und setzte die Kleine dann ihrem Vater auf den Schoß, der sie tief verliebt betrachtete und über den goldenen Kopf strich. Er hatte sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen. Als er zu seiner Reise aufbrach, war sie gerade ein paar Wochen alt. Nun war sie zu einem süßen Mädchen herangewachsen, welches mutig die ersten Worte lernte. Erinnern jedoch konnte sie sich an ihren Vater nicht mehr und musste ihn neu kennenlernen. Dafür erinnerte er sich an sie und bewunderte wie schön sie geworden war. Dafür schien er die Welt einen Augenblick um sich auszublenden. Selbst Seth trat für einen Moment in den Hintergrund seiner Gedanken, welche er kurzzeitig nur seinem kleinen Stolz schenkte. „Hallo, Piatra, mein Schatz“ lächelte er und streichelte ihre kleine Hand, die nach seinem Gewand griff. „Alles gut bei dir?“ „Aada“ wiederholte sie und blickte ihm tief in die Augen, bevor sie sich schüttelte und herzerwärmend kicherte. Sie war ein fröhliches Mädchen mit einem sonnigen Gemüt. Der Mutter und dem Vater zu gleichen Teilen verwandt. „Schön, wie fröhlich du bist“ lächelte er und küsste sie warmherzig auf die Stirn. Dann erst drehte er sich herum und blickte Seth mit leuchtenden, glückserfüllten Augen an. „Seth, ich möchte dir meine Tochter vorstellen. Prinzessin Piatra.“ „Pia“ sagte sie gleich und guckte Seth an. „Da? Pia seh?“ „Seth“ half der Pharao ihr zärtlich. „Das ist Seth.“ „Eeh“ grinste sie und zeigte sofort auf ihn. „Pia Eeh seh. Pia Aada seh. Dut.” „Jaaa, sehr gut“ lachte der Pharao und drückte sie an sich. „Ach, du bist so ein Schatz geworden. Abunami, ist sie nicht wunderschön?“ „Sie ist wirklich ein bildschönes Mädchen“ lächelte sie zurück. Sie war ja selbst bewegt davon, wie sehr ihr Gemahl sich über das Lachen ihrer Tochter freute. Es war bei Hofe nicht allzu häufig, dass sich der amtierende Pharao oder anders hohe Adlige um ihre Kinder kümmerten. Für gewöhnlich wurden diese von den Großeltern erzogen und sahen ihre eigenen Eltern nicht häufig. Jedenfalls nicht bevor sie nicht eine gewisse Reife erreicht hatten. Aber bei diesem Pharao war es anders. Er liebte seine Kinder von klein auf und selbst wenn die Prinzessin nicht seine Thronerbin war, so schien sie doch all seine Liebe zu besitzen. Er war auch als König ein stolzer und zärtlicher Vater. „Sie ist wirklich ein Augenstern“ pflichtete Seth bei und küsste die kleine Hand, welche frech nach seinem Gewand gelangt hatte und daran zog. „Ihr werdet sicher einst so schön werden wie Eure Mutter, Prinzessin.“ „Du bist ein Charmeur“ lachte die Königin erfreut. „Ich denke, Piatra hat eher Ähnlichkeit mit ihrem Vater ... aber wenn du mich schöner als ihn findest, Seth ... vielleicht wird das doch noch etwas mit uns beiden.“ „Majestät, ihr bringt mich in einen Gewissenskonflikt“ lächelte er scherzend zurück. „Genau. Spann mir meinen Liebhaber nicht aus“ lachte auch der gut gelaunte Pharao, der für einen Moment seine Alltagssorgen vergaß und sich im Kreise seiner eigenen Familie sichtlich wohl fühlte. „Was meinst du, Pia, mein Schatz?“ fragte er die Kleine und zwinkerte sie an. „Soll Seth bei Vater bleiben?“ „Pia Aada. Muma“ zeigte sie auf die Königin. „Muma seh.“ „Ja, Mutter siehst du. Du bist sehr schlau. Ach, Abunami. Wie gelehrig sie doch ist“ lobte er und kuschelte sie an sich, seufzte tief und genoss diesen kleinen Menschen. In ihr schlief sein Geist und würde noch auf Erden weilen, wenn er selbst gegangen war. Sie lebte die Fröhlichkeit, die er niemals so hatte leben dürfen. Und er schien erleichtert zu sehen, dass es seiner Tochter an nichts mangelte. Weder an Frohsinn noch an Liebe. Ephrab indessen hielt sich aus dieser Familienidylle fern. Ja, er beäugte sie aus seinen skeptischen Augen und konnte solch ein Verhalten wohl nicht nachvollziehen. Er war ein Mann von alter Tradition und durchaus der Meinung, dass sich das Königspaar um anderes als Kindererziehung zu kümmern hatte. Aber er war nicht in der Position, dem Pharao seine Meinung aufzudrängen. Nur weil er der Königin Bett teilte und bei Hofe anerkannt war, hatte er dennoch keinerlei Befugnis, in irgendetwas einzugreifen. Zumal die Königin keinerlei politische Macht ausübte. Und vielleicht, ja ganz vielleicht, besah er sich auch deshalb Seth so genau. Sollte dieser mysteriöse Jungpriester seinen Einfluss auf den Pharao verstärken, so könnte er durchaus politischen Einfluss erreichen. Denn er weckte des Königs Liebe und Liebe machte blind. Selbst den Mann auf dem Thron. Ja, er würde den Neuen sicher im Auge behalten. Und so wie Seth seinen forschenden Blicken entgegnete, wusste er auch, von wem er sich bei Hofe fernhalten sollte. Er hatte zwar den jungen Fatil als designierten Palastvorsteher vorerst auf seiner Seite, aber Intrigen waren bei Hofe keine Seltenheit. Zwar hatte der Pharao immer versucht, ihn zu beruhigen und die Gefahren zu verharmlosen, aber Seth wusste genau, dass der Palast eigene Gesetzte besaß, welche man kennenlernen musste, um nach ihnen leben zu können. Besonders für den Geliebten des Königs galt eine eigene Vorsicht. Und sein Gespür sagte ihm ... vor Ephrab sollte er sich besser in Acht nehmen. Nicht nur, dass der sich hier besser auskannte - er hatte sicher auch keine Vergangenheit zu verbergen. „Was starrt ihr euch so an?“ unterbrach die Königin den intensiven Blickkontakt der beiden Geliebten. „Ist etwas nicht in Ordnung? Ephrab?“ „Nein, alles in Ordnung, Abunami“ erwiderte er und setzte für sie sein freundliches Lächeln auf. „Seth, seid Ihr so gut und reicht mir den Brotkorb?“ „Natürlich. Gern, Ephrab“ antwortete er höflich und reichte ihm eben diesen. Auch wenn er spürte, dass sein forschender Blick eine unausgesprochene Warnung war. Das lief ja ganz toll. Kaum hatte Fatil von ihm abgelassen, kündigte sich schon der nächste Kritiker an. Das Leben bei Hofe würde sicher nicht so unbekümmert werden wie das im Wüstentempel. Doch wenn er seinen Pharao ansah, der eben jetzt aufmunternd zu ihm herüberblickte, dann wusste er, für wen er hier war. Für seinen geliebten Pharao würde er sich auch in der Unterwelt einrichten können. „Oh ja. Vielen Dank.“ Die Königin antwortete eben einem Diener, welcher sich zu ihr herabgekniet und höflich etwas zugeflüstert hatte. Er entfernte sich schnell wieder, während sie sich herumdrehte und ihren Gemahl anlächelte. „Sagt, Lieber, wolltet Ihr nicht auch den Prinzen zur Tafel bitten?“ „Natürlich möchte ich das“ antwortete er sofort. „Lass ihn eintreten.“ „Er wartet schon.“ Sie nickte auf einen Vorhang, der soeben von dem geschickten Diener geöffnet wurde. Es war durchaus normal, dass der Kronprinz um Erlaubnis bat, bevor er seinem Vater vor Augen trat, selbst wenn dieser ihn hatte rufen lassen. Für ihn als Thronfolger galt eine andere Etikette. Eine strengere. Doch mit dieser Erlaubnis durfte er eintreten und an der Tafel seines Vaters erscheinen. Er hielt sich an die höfischen Gesetzte und das obwohl er offensichtlich noch ein Kind war. Im Gegensatz zu seiner Schwester hatte er kaum erkennbare Ähnlichkeit mit seinem Vater. Sein ohrenlanges Haar war zwar nicht schwarz wie das seiner Mutter, aber in einem fast schwarzen Erdton. Seine Haut ein wenig heller gebräunt und seine dunklen Augen von einem kunstvollen Kohlestift verziert. Die kleine Federkrone aus glänzendem Gold auf seinem Haupt saß perfekt, um seinen Stand zu zeigen. Ebenso wie sein lachfarbenes Gewand, welches dem seines Vaters mehr ähnelte als er ihm selbst. Dies also war der Prinz Trimantep Ameramun. Der zukünftige Pharao. Aber beim Nähertreten konnte man doch eine kleine Gemeinsamkeit erkennen. Seine Augen waren zwar dunkel, aber sie hatten einen ungewöhnlichen Violettstich. Er hatte wenig vom Pharao geerbt, aber diese Augen waren ganz die seinen. Auf dass er die Welt hoffentlich ebenso sehe wie sein Vater es tat. Der erhob sich von seinem Sitzkissen und gab die fröhlich quietschende Prinzessin an ihre Mutter zurück. „Ich grüße Euch, Vater.“ Seine Stimme war jung und hell, als er vor ihm niederkniete und den Kopf senkte. Er bemühte sich sichtlich um Ruhe und doch sah man an seinen Haarspitzen ein leichtes Zittern. Er wollte es nicht zeigen, aber sicher war er nervös, dem Pharao vorzusprechen. Nervös, seinen eigenen Vater zu treffen. „Ich freue mich, Euch gesund und wohlauf zu sehen, mein Sohn.“ Er ging in die Hocke, um nicht ganz so einschüchternd vor ihm zu stehen. Er legte ihm sanft die Hand auf seine kleine Schulter, die schon in jungen Jahren solch eine unkindliche Last tragen mussten. „Lasst Euch ansehen.“ Der Kleine erhob sich und blickte den König mit zurückhaltenden Augen an. Auch schien er langsam in sich einzusinken vor Respekt, fast ängstlich. Aber der Blick wurde nicht feucht vor Angst, sondern seine Lippen zitterten, als sie ein Lächeln zeigen wollten, welches er sich selbst verbot. Er war der Kronprinz und wurde gelehrt, seine Gefühle nicht zu zeigen. Egal vor wem. „Ihr seid groß geworden“ lächelte der Pharao ihn beruhigend an und senkte seine Stimme zur Zärtlichkeit. „Ich habe viel daran gedacht, wie es Euch wohl geht. Aber Eure Mutter lobte Euch bereits in den höchsten Tönen. So gehe ich davon aus, dass es Euch gut ergangen ist, während meiner Abwesenheit.“ „Ich habe auch viel an Euch gedacht ... Vater.“ Seine Stimme bebte und seine Augen konnten die Tränen kaum noch halten. Diese Anspannung war weit zu viel für einen Prinzen, der vielleicht gerade seinen fünften Sommer erlebte und noch eher an seine Eltern dachte als an hohen Lehrstoff. Er brauchte die Liebe seines Vaters und nicht die Ermahnungen, seinem Ruhm zu folgen. „Mein Sohn, wollt Ihr Euch umarmen lassen?“ fragte er höflich und lächelte, als der Kleine seinen Kopf nicken und sich in die väterlichen Arme schließen ließ. Das sagte noch mehr als hundert Höflichkeiten und Seth beobachtete tief berührt wie die beiden wichtigsten Personen im Reiche sich lieber in die Arme schlossen und füreinander nicht Pharao und Prinz, sondern Vater und Sohn sein wollten. Ob Atemu zu seinem Vater eine ähnlich enge Beziehung hatte? Oder ob er nach alter Tradition von seinem Großvater erzogen ward? Seth hatte ihn nie danach gefragt, woher er seine gütige Weltanschauung hatte. Aus welcher Quelle er die Liebe in seinem Herzen schöpfte. Er war in einer harten, gezwungenen Umgebung groß geworden. Wie kam es, dass er nicht selbst hart und gezwungen war? Eigentlich wusste er kaum mehr vom Pharao als das, was er gelernt hatte. Aber hatte er ihn überhaupt wirklich kennengelernt? Zu sehen, dass er nicht nur ein verletzlicher und mitfühlender Mensch war, sondern auch ein liebevoller, stolzer Vater ... er wollte mehr sehen von Atemu. Von dem Mann, der hinter der Krone stand. Von dem Pharao, der sich gegen die Tradition seiner Ahnen und für die Zukunft seiner Kinder entschied. Er ließ sich von seinem Sohn nicht die Hände küssen, sondern küsste liebevoll seine Wangen. Er schien in ihm nicht den zukünftigen Pharao, sondern ein kleines Kind zu sehen. „Ihr seid groß geworden“ lobte er, als er nach ausgiebigem Drücken seinen Sohn liebevoll anlächelte. „War ich denn so lang weg?“ „Ihr wart lang fort“ antwortete er mit bebender Stimme. Und nun schien er erleichtert. Die Anspannung war aus seinem Gesicht gewichen und ganz offensichtlich konnte er nur Freude darüber zeigen, dass sein Vater endlich zurückgekehrt war. Alle Menschen lehrten ihn, Respekt für den Pharao zu empfinden. Der Pharao aber lehrte ihn, Liebe zu empfinden. „Vater ... ich habe so oft an Euch gedacht. Ihr habt mir so gefehlt.“ „Ihr habt mir auch sehr gefehlt.“ Er strich stolz über seinen Kopf und wischte eine kleine Träne fort, die dem jungen Prinzen herausgerutscht war. „Begrüßt auch Eure Mutter, ja?“ „Natürlich.“ Er wand sich herum, drehte der Königin sein Gesicht zu und deutete eine kleine Verbeugung an. „Guten Tag, Mutter. Vielen Dank, dass du mich heute Morgen hast ausschlafen lassen.“ „Ihr saht gestern Abend so müde aus, mein Schatz“ lächelte sie zurück und küsste seine Hand, die er ihr reichte. Aber danach trat er näher und ließ sich auch von ihr seine Wangen küssen. Es fiel ihm sicher nicht ganz leicht, schon in so jungen Jahren einen Unterschied zwischen Etikette und Gefühl zu machen. Davon abgesehen, dass ihm das kindliche Sprechen fehlte. Er wählte bereits Worte und Formulierungen, die denen eines Erwachsenen glichen. Sicher bekam er täglich viele Lehrstunden, die ihn auf den Stolz des Thrones vorbereiteten. Und Seth fragte sich ... was für ein Kind war Atemu gewesen? Durfte er jemals wirklich Kind sein? Oder wurde auch sein Tag von Höflichkeit und Regeln bestimmt? „Guten Tag, Ephrab“ grüßte der kleine Prinz und sah ihn direkt an. „Ich grüße Euch, mein Prinz.“ Er verneigte sich leicht und senkte den Blick. So wie es sich gehörte. Mehr Höflichkeiten tauschten sie jedoch nicht aus. Mit Sicherheit war er niemand, der sich mit Kindern gut verstand. Da wand sich der Prinz schon dem Fremden zu, der dort an der Seite seines Vaters saß und ihn mit warmen Augen anblickte. „Ich möchte Euch vorstellen, mein Sohn“ lächelte der Pharao, streckte seinen Arm nach ihm aus und zog ihn heran. Vertraut legte er ihm seine Hand um die Hüfte und stellte ihn an seine Seite. „Dies ist Seth Chuanch Amun Sanacht. Ich habe ihn von meiner Reise aus dem roten Tempel mitgebracht und er wird zukünftig hier bei uns im Tempel leben.“ „Ich grüße dich ... Chu ... Amun ...“ Er streckte ihm zwar höflich seine Hand hin, aber mit der Wiederholung seines langen Namens tat er sich doch noch etwas schwer. Er versuchte zwar, der Etikette zu folgen, aber er war eben noch ein Kind. Er bemühte sich, aber es war nicht ganz leicht, als Fünfjähriger in der Welt eines Erwachsenen zu bestehen. „Seth“ lächelte er und nahm dankbar die gereichte Hand an, welche er in einer Verneigung küsste. „Ihr dürft mich Seth nennen, mein Prinz.“ „Seth“ wiederholte er und wollte sich diesen Namen gewiss merken. „Sei willkommen, Priester Seth.“ „Ich danke Euch, mein Prinz. Es ist eine Ehre, Euch begegnen zu dürfen. Mögen die Götter Euch ewig wohlgesonnen sein.“ „Ich freue mich ebenfalls, dich kennen zu lernen ... Seth.“ Er befolgte brav seine Lehren, wie man jemanden neues begrüßte, aber sein Blick verriet, dass er gedanklich ganz woanders war. Er sah dem neuen Priester tief in die Augen, ja er ließ sogar ein wenig seinen Mund offen stehen. Er hatte anscheinend doch eine niedliche Seite. „Habt Ihr eine Frage, mein Prinz?“ fragte Seth mit einem beruhigenden Lächeln. „Nein. Danke“ antwortete er gleich. Er behielt seine Gedanken also vorerst für sich und zog auch beschämt seine Hand zurück. Vielleicht war er auch einfach schüchtern und wollte erst beobachten, bevor er sich ein weiteres Gespräch zutraute. „Kommt nur. Setzt Euch zu uns“ forderte sein Vater auf und wies ihm das Kissen zu, welches ein Diener schnell an die Stirnseite des kleinen Tisches legte, sodass der Prinz neben Vater und Mutter gleichermaßen sitzen konnte. Er setzte sich folgsam auf seinen Platz und wies den Kelch, den ein Diener ihm anreichen wollte, mit einer schlichten Handbewegung ab. Den Umgang mit Bediensteten also war er durch und durch gewöhnt. Was für ein konträres Kind. „Erzählt mir, mein Sohn“ sprach er liebevoll weiter und stützte seinen Kopf auf die Hände um ihn liebevoll zugewandt anzusehen. „Was habt Ihr so getrieben, während ich verreist war?“ „Ich habe gelernt“ antwortete er brav. „Wie Ihr es Euch gewünscht habt.“ „Eure Mutter hat mir erzählt, Ihr dürft im Tempel spielen?“ lächelte er ihn an. Es kam ihm nicht darauf an, zu hören, was und wie viel sein Sohn lernte. Viel eher interessierte er sich für seine persönliche Entwicklung. „Bereitet es Euch Freude, mit den Priesterschülern zu spielen?“ „Oh ja.“ In seinen Augen machte sich ein schüchternes Strahlen breit. „Ich habe ein Spiel gelernt, in dem man dem Gegner Steine abnimmt. Ich habe bereits einen ganzen Beutel voll erkämpft. Es sind sogar ein paar Edelsteine dazwischen.“ „Tatsächlich? Das Spiel kenne ich gar nicht“ schmunzelte er. „Ist das denn weit verbreitet?“ „Die anderen Kinder im Volk spielen es auch häufig. Allerdings nicht so gut. Viele können ja noch nicht zählen. Djiag sagte, das sei ein Vorteil, den ich nutzen sollte.“ „Stimmt, das Zählen hast du schon gelernt“ lächelte er. Das war etwas, was durchaus nicht gängig war. Schreiben, Lesen und Rechnen lehrte man nur Adlige und gehobene Priesterschüler, welche entweder ebenfalls adlig waren oder reiche Eltern besaßen. Und auch dort längst nicht alle. Bildung war ein Privileg. Natürlich hatte der Prinz eine hohe Bildung. Aber warum sollte er sie nicht einsetzen, um damit spielerisch Erfahrungen und erste Erfolge im Kampf zu sammeln? „Nur gegen Amphrit verliere ich ständig. Aber es wird der Tag kommen, an dem ich ihn besiege. Ganz sicher.“ „Wer ist denn Amphrit?“ fragte sein Vater interessiert. „Ist das ein Freund von dir?“ „Ja ... ein Freund ... im Tempel“ antwortete er und schlug schüchtern seinen Blick nieder. Es war ihm anscheinend peinlich, das zuzugeben. Vorstellbar, dass er als Prinz nicht viele Freunde hatte. Und weil es ihm scheinbar peinlich war, bohrte sein Vater auch nicht weiter nach. „Das freut mich. Freunde sind wichtig und etwas sehr schönes“ lächelte er den jungen Prinzen verträumt an. „Pflege deine Freunde, mein Sohn. Gute Freunde, werden dir das Leben sicher und angenehm machen. Sie stärken dein Herz und deinen Verstand.“ „Mutter sagte, Ihr hättet ebenfalls Freunde“ fragte er zurückhaltend und blickte schüchtern auf. „Ist das wahr?“ „Natürlich ist das wahr. Meine besten Freunde waren jetzt mit mir auf Reisen und haben mich beschützt. Wir hatten viel Spaß zusammen und haben viele Gefahren überwunden. Dank ihnen bin ich sicher zurückgekehrt.“ „Bitte erzählt mir davon.“ Er wurde ganz rot auf den Wangen, als er seinen Vater gespannt ansah. „Was habt Ihr Spannendes auf Eurer Reise erlebt? Mein Lehrer sagt, es ist gefährlich, durch die Wüste zu reisen. Man begegnet dabei vielen Gefahren.“ „Oh ja, das ist wahr. Kommt her, Sohn.“ Er breitete seine Arme aus und lud den Prinzen ein, sich zwischen seine Beine zu setzen. Aufgeregt krabbelte er zu ihm, lehnte sich an seine Brust und genoss die Nähe zu seinem Vater. Es war geradezu zu beobachten, wie der Pharao den befangenen Prinzen in ein Kind zurück verwandelte. Und sich selbst dabei in eine Rolle begab, die der eines Königs so gar nicht ähneln mochte. Aber das schien ihm gleich. „Eines nachts haben wir wie so oft mitten in der Wüste unser Lager aufgeschlagen“ erzählte er mit spannend gesenkter Stimme. „Diese Nacht war besonders kalt und schwarz und so lagen wir in unseren Zelten versteckt. Ich war todmüde und doch spürte ich im Halbschlaf wie etwas mein Bein entlang streifte.“ „Eine Schlange?“ riet er gespannt und sah sich mit großen Kinderaugen zu ihm um. „Das vermutete ich auch. Ich wollte mich ganz langsam umdrehen und nachsehen, aber da spürte ich, wie sich etwas Kaltes an meinen Arm entlang hangelte.“ Voller Spannung zog der kleine Prinz die Luft ein und wagte es nicht, dem Quietschen und Winken seiner kleinen Schwester zu antworten. Viel zu spannend war die nächtliche Wüstengeschichte über unbekannte Gefahren. „Bevor ich die Lampe hochstellen und nachsehen konnte, war schon Fatil an meinem Bett und wollte mich wecken. Er sagte, wir sind in großer Gefahr und müssen ganz leise das Lager verlassen. Es war sehr gefährlich und der Schein der Lampen brachte nicht viel Sicht.“ „Vater ...“ hauchte er und fieberte richtig mit seiner Erzählung. „Es war eine Riesenschlange?“ „Nein, keine Schlange“ flüsterte er mystisch zurück. „Ich bin aufgestanden und wisst Ihr, was ich da gesehen habe?“ „Nein ...“ „Unter meinem Laken saßen lauter schwarze Skorpione. Bestimmt zehn Tiere.“ „AH! Mitten im Lager?“ Er wand seine Hände umeinander und schien sich schrecklich zu ekeln. Skorpione waren kribbelig, hässlich und besaßen einen schmerzenden Stachel. Der Königin war ein unterdrücktes Lachen ins Gesicht geschrieben als sie der Gruselgeschichte lauschte. Ephrab hingegen beobachtete diese für ihn alberne Szene eher missmutig. Der König sollte doch wohl anderes zu tun haben, als dem Prinzen Geschichten zu erzählen. Und Seth wusste, dass diese Geschichte nicht mal wirklich ausgedacht war, sondern nur ausgeschmückt. Und die kleine Prinzessin? Die konnte mit einem Skorpion noch nichts anfangen und blubberte lieber vergnügt auf Mutters Arm vor sich hin. „Ja, mitten im Lager“ erzählte der Pharao dunkel weiter. „Die Skorpione liegen am Tage im Wüstensand versteckt und kommen erst in der Nacht hervor, um nach Wärme zu suchen. Nach der Wärme von menschlichen Körpern.“ „Menschliche Körper ...“ wiederholte er gespannt. „Waren sie giftig?“ „Oh ja. Sehr giftig. Es waren Weißspitzen-Skorpione. Sie sind sehr selten und haben das tödlichste Gift von allen. Sie töten einen Menschen mit ihrem Stich in wenigen Sekunden. Giftiger als der Biss einer Schlange.“ „Giftiger als von einer Schlange ...“ „Wir mussten da weg“ berichtete er gehetzt. „Aber wir mussten aufpassen. Einige lagen noch im Sand versteckt und wenn wir daraufgetreten wären, dann wäre es aus gewesen. Aber sie suchten nach Wärme und so liefen sie uns mit ihren spitzen, pulsierenden Stacheln gierig nach. Wir durften keine Panik haben, denn dann wären sie aggressiv geworden. Das durfte nicht passieren. Aber wir konnten ja kaum etwas sehen in der dunklen Nacht.“ „Wie seid Ihr da rausgekommen, Vater? Wurdet Ihr gestochen?“ „Ganz vorsichtig sind wir aus dem Zelt rausgekrochen und weißt du, was ich da gesehen habe? Das ganze Lager war voll von giftigen Skorpionen. Überall krabbelten sie. So viele, dass der Wüstenboden zu leben schien. Es gab kein Entkommen. Und ich glaube ...“ „Ja ...?“ „Sie sind mir gefolgt“ flüsterte er. „Sie sind an meinen Beinen hochgekrabbelt, meine Arme entlang und nun ... AH! DA IST EINER!“ „AAAAHHHHHH!“ Er sprang geschockt auf, als sein Vater ihm die Schulter kitzelte und ihn ganz furchtbar erschreckte. So eine gemeine Gruselgeschichte. Der Prinz wirbelte herum, sprang sicher zwei Meter vom Tisch fort und sah seinen Vater dann außer Atem mit ungläubigen Augen an. Da hatte er sich jetzt aber richtig erschreckt. „Reingefallen“ grinste der Pharao ihn triumphierend an. „VATER! IHR SEID GEMEIN!“ schimpfte der Kleine wütend. Aber er musste dann doch ein wenig Abstand von seinem Schrecken nehmen, als die Königin in Gelächter ausbrach und auch der König sich amüsierte. „Macht das nicht noch mal. Ich hab mich erschrocken“ schimpfte er und folgte den ausgebreiteten Armen, um zu ihm zurückzukommen und seine Entschuldigung zu akzeptieren. „Tut mir leid. Ihr seid noch immer so ein leichtes Opfer für Gruselgeschichten“ lachte er und drückte ihn an sich, als er zurück zwischen seine Beine kam und sich an ihn lehnte. „Ihr habt Euch gar nicht verändert, mein Sohn.“ „Also ist die Geschichte gar nicht wahr“ unterstellte er etwas pikiert. „Ihr habt mir Unsinn erzählt. Mal wieder.“ „Oh doch. Sie ist wahr. Na ja, zum Teil“ schmunzelte er. „Um ehrlich zu sein, lagen die Skorpione nicht in meinem Bett, aber unser Lager stand wirklich auf einem Skorpionnest. Wir mussten die Nacht woanders verbringen und erst am nächsten Morgen konnten wir unsere Sachen holen und weiter reisen.“ „Dann habt Ihr aber Glück gehabt“ lächelte der Kleine ihn erleichtert an. Er konnte seinem Vater nicht lang böse sein. „Gut, dass Ihr immer zu Seth betet. Eure Lieblingsgottheit hat Euch sicher beschützt.“ „Ja, der Seth hat mich beschützt“ lächelte er zurück. „Du heißt auch Seth.“ Jetzt traute der Prinz sich und wand sich an den fremden Priester, von dem er sich eben noch so schüchtern abgewandt hatte. „Sagst du mir deinen ganzen Namen noch mal? Bitte?“ „Seth Chuanch Amun Sanacht“ antwortete er mit sanfter Stimme und sprach auch besonders langsam, damit der Junge ihm folgen konnte. „Gefällt er Euch, Majestät?“ „Ja, er klingt sehr schön“ nickte er mit roten Wangen. „Was bedeutet er?“ „Seth, welcher unter dem Schutz des Amun zu seiner Ehre erblüht“ übersetzte er für den jungen Prinzen. „Amun ist auch unser Patron“ strahlte der Kleine aufgeregt und sah stolz seinen Vater an. „Nicht wahr, Vater? Amun ist der Schutzpatron der Pharaonen. Das hat Djiag mich im Tempel gelehrt.“ „Ja, das ist wahr, mein Sohn“ lächelte er zurück. „Dann ist Seth ja ein Glücksbringer. Euer Lieblingsgott und Euer Schutzpatron. Das hat Euch vor den Skorpionen gerettet.“ „Ja, wahrscheinlich.“ Wie gescheit er das doch verknüpfte. Sein Sohn war wirklich ein Junge, auf den man stolz sein konnte. „Wenn ich älter bin, Vater, nehmt Ihr mich dann auch auf eine Wüstenreise mit?“ „Warum? Damit Skorpione in dein Bett kriechen?“ lachte er ihn fröhlich an. „Nein“ erklärte er mit ernster Vorfreude. „Ich will mir auch einen Glückspriester suchen.“ „Einen Glückspriester“ wiederholte er und warf Seth einen verliebten Blick zu. „Hast du das gehört, mein Seth? Ab sofort bist du mein Glückspriester.“ „Wenn der Prinz es sagt“ nickte er zustimmend und wusste damit endlich, was er hier sein würde. „Dann will ich Euer Glückspriester sein. Das ist doch eine schöne Arbeit. Ich danke für die schnelle Beförderung.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)