Menschen, die auf Gras wandeln I+II+III von masamume ================================================================================ Kapitel 33: Kapitel 33 ---------------------- Kapitel 33 Die Sonne war in diesem Moment im Begriff, aufzugehen. Die Nacht war lang und ungewiss gewesen. Sie hatten kaum geschlafen. Die beiden Soldaten, der Wüstenführer und der Pharao waren in ihrem eigenen Zelt mehr oder weniger wie Gefangene. Zwar ohne Fesseln, aber dennoch bewacht. Und ihr Priester war die ganze Nacht nicht zurückgekehrt. Die Banditen hatten sich ihre eigenen Unterschlupfe selbst erbaut, wobei nur ihr Anführer ein eigenes Zelt besaß, in welchem er die ganze Nacht mit Seth verblieben war. Und seine Gefährten quälte vor allem die Frage, wie es nun weitergehen würde. Würde Seth es schaffen, sie frei zu handeln? Würde er das Leben seines Pharaos retten können? Fatil wusste, wenn dieser Lustsklave wirklich eine Intrige plante, dann würde er sie jetzt in die Tat umsetzen. Wenn er ihnen wirklich etwas vorspielte, so waren diese dreckigen Kerle seine Komplizen. Weshalb sonst konnte er Kontakte zu solch unwürdigen Ausgestoßenen pflegen, wenn nicht zu seinem eigenen Vorteil? Fatil überlegte die ganze Nacht an einem Plan, wie er seinen Pharao hier unbeschadet herausbekommen könnte. Vielleicht ein Ablenkungsmanöver oder er bot dem Anführer eine Unsumme an oder ... hach, in solch eine schwere Situation waren sie niemals zuvor geraten. Er dachte von der einen in die andere Richtung und rätselte darüber, auf welcher Seite dieser verschwiegene Sklave nun stand. Intrige oder nicht? Allein das würde letztlich über die Zukunft des Pharaos und des ganzen Reiches entscheiden. Doch am nächsten Morgen schien alles ganz ruhig zu sein. Es wurde ein Feuer entzündet und natürlich bedienten sich die Banditen ausreichend an den mitgeführten Vorräten des Pharaos. Solange ihr Anführer ihnen nicht so genau auf die Finger schaute, durften sie alles tun, was ihnen nicht verboten war. Sie plünderten die Satteltaschen und tranken schon den wenigen Wein am frühen Morgen, was somit natürlich heiteres Lachen in ihren Reihen auslöste. Die Eigentümer der Waren konnten nicht viel mehr tun als ihnen dabei zuzusehen und innerlich den Kopf zu schütteln. Bei aufkeimendem Tageslicht wirkten diese Gestalten noch viel mehr wie der Abschaum des Reiches. Sie waren schmutzig mit fauligen Zähnen und einem ranzigen Geruch. Durch die Tore einer Stadt würden sie sicher nicht eingelassen werden. Kein Wunder, dass sie in der Wüste bleiben mussten. Doch bevor sie die Idee eines filzhaarigen Mitstreiters weiter verfolgen und eines der königlichen Pferde schlachten konnten, fuhr ihnen ihr Anführer dazwischen. „Was macht ihr für einen Lärm?“ Er trat aus seinem Zelt und war wohl aufmerksam geworden durch das laute Johlen seiner Männer und das ahnend ängstliche Rufen des Tieres im Angesicht der gezückten Klingen. Doch wie schon am Abend zuvor brauchte es nur einen Satz, um seine Mannen zum Einhalten zu gebieten. Alsgleich wurde es leiser und sie ließen ihre Schwerter sinken vor seiner Erscheinung. Und nun im aufkeimenden Morgenlicht sah er noch mal ganz anders aus als seine Gefolgsleute. Im Gegensatz zu ihnen war er nicht ungepflegt, sogar sein Haar glänzte ohne eine Fettschicht. Seine fast weiße Haut setzte sich von seinem schwarzen Gewand ab und seine dunklen Augen saßen wie Kohle in seinem weichen Antlitz. Solch eine Schönheit sollte nicht Räuber sein. „Frühstück, Boss!“ rief einer der Männer. „Aber wir lassen dir das beste Stück!“ „Lasst das Pferd in Ruhe“ antwortete er fast seufzend. Die ewigen Ausbrüche schien er schon lange gewohnt zu sein und ging mit Geduld damit um. „Aber wir wollen doch ...!“ „Ihr könnt es schlachten, wenn es an der Zeit ist. Wir haben Vorräte und das Tier ist noch nicht schwach genug. Also seid nicht dumm und esst Brot.“ Ein enttäuschtes Gemurmel brummte durch die morgendlich kühle Luft, aber sie ließen vom dem Pferd ab, setzten sich ans Lagerfeuer und wärmten ihre ungewaschenen Hände daran. Der Anführer ging dafür durch die Reihen seiner Männer hindurch direkt auf die fessellosen Gefangenen zu und setzte für den Pharao sogar ein Lächeln auf. Ein sanftes Lächeln, so rein und schön, dass es einem Räubergesicht nicht ähnlich sah. „Pharao“ sprach er mit ruhiger, gedämpfter Stimme. „Bitte entschuldigt das schroffe Benehmen dieser Meute. Ich will sie nicht entschuldigen, aber sie hatten es auch niemals leicht. Ich hoffe, Ihr hattet nicht zu viele Unannehmlichkeiten in der vergangenen Nacht?“ „Nein, ging schon“ antwortete er ebenso ruhig. Vielleicht war er nicht anders als seine Leute davon überrascht, wie gepflegt sich dieser Banditenführer auszudrücken wusste. Seine edle Erscheinung und sein gebildetes Sprechen schien jemandem, der ziehende Wandersleute in der Wüste überfiel, so gar nicht ähnlich. „Ich würde mich freuen, wenn Ihr mit uns gemeinsam in meinem Zelt das Morgenbrot teilt“ erwiderte er weiter mit einer hellen Freundlichkeit. „Dann seid Ihr auch nicht gezwungen, dem gefräßigen Schmatzen meiner Männer zu lauschen.“ Dass sie dort die Vorräte des Königs schmatzten, dafür entschuldigte er sich trotz allem nicht. Er schien einigermaßen wohlwollend, jedoch nahm er sich, was er wollte. Man durfte trotz seines wohlerzogenen Benehmens nicht außer Acht lassen, dass er ein Schurke war, welcher sein Brot dadurch auf den Tisch bekam, dass er die Gesetze brach, welche der Pharao selbst erlassen hatte. „Was ist mit Seth?“ fragte der König aber eher besorgt zurück. Er fragte sich schon die ganze Nacht, was mit ihm geschehen war. Ob es ihm gut ging oder ob er verletzt war. Immerhin war er schon wieder am Knöchel verletzt und nur notdürftig versorgt worden. „Sorgt Euch nicht“ lächelte er sanft. „Als ich ihn eben noch sah, befand er sich in einem angeregten Gespräch mit meinem Heiler. Bitte.“ Er wies mit offener Hand in Richtung seiner eigenen Unterkunft und bat ihn höflich, vorauszugehen. Selbst wenn es ein Befehl gewesen wäre, hätten sie keine andere Wahl gehabt als seiner Weisung zu folgen. Sobald sie auch nur die Hand gegen ihn erhoben hätten, wären sie ein gefundenes Fressen für seine Meute jetzt noch relativ friedlich fressender Ausgestoßener. Es war ohnehin ein Wunder, dass selbst so hervorragende Soldaten wie Penu und Faari wenig bis nichts tun konnten. Sie waren immerhin in der Leibgarde des Pharao und selbst einer Überzahl an Gegnern gewachsen. Selbst wenn sie nicht danach aussahen, so waren diese Banditen doch wohl bessere Kämpfer als man es ihnen zutrauen würde. Sie waren laut, respektlos, stinkend und ohne Manieren. Aber sie hielten die Elite des Pharaos in Drangsal und das konnte bei Weitem nicht jeder ohne weiteres tun. Als sie den kurzen Weg zu dem Räuberzelt geschafft hatten, sahen sie schon beim Eintreten Seth dort sitzen. Ganz unverletzt mit einem sauberen Verband um seinen Knöchel. Er hatte die letzte Nacht wohl ohne Probleme überstanden. Auch wenn es in diesem Zelt nicht gerade so komfortabel war wie im Zelt des Pharaos, so ließ es sich hier doch besser ruhen als unter freiem Himmel. Es lagen vier Matten hierin, wovon zwei an den Ecken und zwei andere gemeinsam in einer anderen waren. In der vierten Ecke war etwas Gepäck verstaut, wo wohl auch Vorräte angelegt waren. Ansonsten gab es hier nur ein paar Decken und Öllampen. Rustikal, aber für Räuber absolut annehmbar. Etwas überrascht waren die Gäste jedoch beim Eintreten, als sie neben Seth nicht nur den alten Heiler mit dem weißen, gestutzten Bart sitzen sahen, sondern auch eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Sie war ganz schwarz und wohl aus südlicheren Teilen eines fremden Landes. Ihr drahtiges Haar zu einem dicken Zopf gebändigt, ihre breite Nase von einem goldenen Ring geziert und ihre vollen Lippen ein wenig mit heller Salbe bestrichen. Doch ihr Gewand war nicht so farbenfroh, wie man es von den Südländern kannte, sondern so schlicht schwarz wie alle hier. Ungewöhnlich war aber nicht, dass sie scheinbar keine ägyptischen Wurzeln hatte, sondern dass sie eine Frau war. Räuberbanden führten selten Frauen mit sich. „Mein Pharao! Ihr seid wohlauf?“ Seth wollte aufstehen, wurde aber von dem schwarzen Mädchen am Arm gehalten und wieder zurückgezogen. „Du sollst noch warten“ belehrte sie ihn streng mit heller Stimme. Wahrscheinlich hatte er Weisung wegen seines Knöchels. „Ja“ lächelte Atemu aber erleichtert zurück. Ihn gesund zu sehen, war ein Glück im Unglück. „Und dein Knöchel?“ „Sieht schlimmer aus als es ist, Majestät“ lächelte er zurück. Auf die Außenstehenden musste es wirken als wollten sie sich am liebsten in die Arme fallen, so erleichtert schienen sie, einander zu sehen. Wenn man bedachte, wie sie gestern Abend beide am Boden gelegen hatten und sich gegenseitig schützen wollten, wie sie sich auch später kaum loslassen mochten. Und nun hielten sie an sich, um ihre Erleichterung nicht allzu sehr herauszukehren. „Bitte, nehmt Platz, Pharao.“ Der alte Mann hatte seine dünne Stimme erhoben und wies auf einen freien Platz neben sich auf der Decke. „Danke.“ Natürlich kam Atemu da herein und setzte sich neben ihn. So saß er zwar leider von Seth getrennt, aber sehen konnte er ihn dennoch. „Ihr auch, Männer. Kommt und setzt euch“ sprach auch das dunkle Mädchen, während sie aus einer Tasche am Rande Brot herausfischte. Auch die anderen drei nahmen Platz. Fatil direkt neben seinem König und Penu und Faari zu seiner linken Seite, womit Faari als erster das Brot von dem Mädchen gereicht bekam und der Kreis fast geschlossen war. Der schöne Räuberhauptmann setzte sich neben sie und neben Seth und ließ sich ebenfalls ein Brot reichen, welches er dann in etwas weißliche Flüssigkeit tunkte. Für Milch war sie zu hell, aber vielleicht hatte er es mit Wasser verdünnt. Der Rest bekam Wasser zu trinken. Immerhin besser als nichts. „Emenas, du bist unhöflich“ wies der alte ihn zurecht, womit der dann etwas verwirrt aufblickte und ihn mit seinen dunklen Augen ansah. „Stell uns vor.“ „Ja, natürlich. Entschuldige“ lächelte er dann, legte aber nicht sein Frühstück aus der Hand. „Pharao, dies sind mein Heiler Ahmose und seine Tochter Mudiwa.“ „Deine Tochter?“ schaute der Pharao ihn freundlich an. „Entschuldige, wenn ich das frage, aber ...“ „Nein, ich weiß Eure Frage schon“ stellte der Alte dazwischen. „Ich habe sie gefunden, als sie ein Kleinkind war. Trotzdem ist sie meine Tochter im Herzen.“ „Es freut mich sehr, Amohse“ nickte der Pharao freundlich und sah dann auch gegenüber das schwarze Mädchen an. „Mudiwa. Dein Name bedeutet ‚Sie wird geliebt’ in südischer Sprache, oder?“ „Ja, Ihr habt Recht“ lächelte sie zurück und zeigte ihre strahlend weißen Zähne, auf welchem ihr vorderer von einem Goldstück beklebt war. „Ich wollte Euch immer schon mal sehen, aber jetzt bin ich überrascht, wie klein Ihr seid.“ „Mudiwa!“ lachte der Alte belustigt. „So etwas sagt man doch nicht.“ „Warum denn nicht? Es ist doch wahr! Das war nicht unhöflich, oder Pharao?“ „Nein, warum denn?“ musste auch er ein wenig lachen. „Du hast ja Recht. Besonders groß bin ich wirklich nicht.“ „Könnt Ihr denn kämpfen?“ löcherte sie ihn. „Man sagt, Ihr wäret gut im Umgang mit Wurfmessern.“ „Nein, das kann ich nicht so gut. Das ist ein Gerücht“ gab er offen zu. „Ich bin kein besonders guter Kämpfer. Ich kann mich wehren, wenn mich jemand angreift, aber ein richtiger Kämpfer bin ich nicht. Aber ich bin ein guter Reiter.“ „Dann könnt Ihr ja wenigstens wegreiten, wenn Euch jemand angreift.“ „Ja, das ist wahr“ nickte er, während ein paar Leute ziemlich ihr Lachen unterdrücken mussten. Der alte Amohse schluckte leise und auch Emenas hielt sein Grinsen mit größter Anstrengung zurück. Seth hingegen sah den Pharao nur an und schien dem Gespräch wenig zu lauschen, während die anderen drei eher beobachtend zusahen. Der Pharao ging mit so jungen Menschen immer gütig um, auch wenn der Ton hier nicht unbedingt einem König angemessen war. Jetzt jedoch deshalb ein Aufsehen zu machen, würde ihre Lage wohl nur verschlechtern. „Mudiwa, sei höflich“ bat Emenas dann lieb, aber bestimmt. „Tu Seth den Gefallen und behandle seinen Pharao gut.“ „Ich bin ja schon ruhig“ murrte sie und versenkte ihre Nase im Wasserkelch. Bevor sie wieder irgendwas peinliches sagte, nahm sie lieber ihr Morgenbrot zu sich. „Nun, Ihr fragt Euch sicher, wie es jetzt mit Euch weitergehen wird“ nahm Emenas langsam das Gespräch wieder auf, ohne den Pharao direkt anzusehen. „Bitte habt keine Sorge. Wir werden Euch nicht gefangen nehmen und auch nicht zerteilt in den Palast zurücksenden.“ „Stattdessen?“ ergriff Fatil eigenwillig das Wort. „Was willst du jetzt mit uns machen? Wie viel Geld willst du für unsere Freilassung bekommen?“ „Wenn du mich so direkt fragst, wären drei Säcke Silber für den Anfang nicht schlecht“ antwortete er ihm ganz direkt und sah ihn dabei ruhig an. „Über die genaue Menge habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, aber wenn du unbedingt bezahlen willst, darfst du mir gern ein Angebot machen.“ Fatil blickte ihn einen ganzen Moment prüfend an, bevor er zu Seth schwenkte. „Was wird hier gespielt? Hast du das eingefädelt?“ „Seth hat mir erzählt, dass du ihm scheinbar nicht traust“ antwortete Emenas für ihn, bevor Seth es selbst vermochte. „Wahrscheinlich traust du mir noch weniger, deshalb spreche ich auch nur mit dem Pharao.“ Er sah diesen direkt an und reichte ihm eine kleine Kanne, die neben ihm stand. „Wein?“ „Nein, danke“ lehnte er freundlich ab. „Ich trinke außer Wasser und Milch nichts am Morgen.“ „Sehr lobenswert“ meinte er leise und stellte das Kännchen zurück. „Mudiwa, sei doch so gut und melke unsere Ziege für den Pharao.“ „Bitte nur keine Mühen“ bat der sofort. „So war das nicht gemeint.“ „Wollt Ihr etwa, dass die Burschen dort draußen die Ziege leer trinken, bevor wir es tun? Nein, Milch haben sie sich nicht verdient“ meinte das Mädchen und erhob sich, nahm ihr Brot und aß es beim Rausgehen langsam vor sich hin. „Aber ist das nicht gefährlich?“ fragte der Pharao mit ernster Sorge. „Ein Mädchen mitzunehmen bei so vielen Männern?“ „Wenn sie Mudiwa anrühren, bekommen sie es mit mir zu tun. Und das wissen auch alle“ sprach Emenas sanft, aber ernst. „Außerdem sind meine Männer nicht so schlimm wie ihr denkt. Sie sind ungehobelt und manierlos, aber es hat immer einen Grund, weshalb Menschen so sind. Was glaubt Ihr, warum sie Räuber geworden sind, Pharao?“ „Ich weiß es nicht“ antwortete er ebenso ernst. „Wenn ich es wüsste, könnte ich verhindern, dass es mehr Menschen in solche Lagen verschlägt.“ „Nehmen wir beispielsweise Rantep. Den Mann ohne Haare und Zähne“ erklärte er und nahm noch einen Schluck von seiner weißlichen Flüssigkeit. „Er war früher ein Bauer. Seine Familie besaß Vieh und ein paar Felder. Eines Tages wanderten Soldaten über sein Land. Sie kamen von einer Schlacht und wollten zurück in den Palast. Sie töteten seinen Sohn sofort und seine Tochter und seine Frau, nachdem sie sie die ganze Nacht gebraucht hatten. Ihn selbst ließen sie halb tot zurück, wahrscheinlich glaubten sie selbst, er sei tot. Seitdem hat er dem Pharao Rache geschworen. Er hasst Euch für das, was Eure Soldaten ihm angetan haben.“ „Schrecklich“ flüsterte er bedrückt. „Aber ich kann versprechen, dass solche Dinge nicht mit meinem Segen geschehen.“ „Oder ein anderer meiner Männer. Habib“ fuhr er einfach weiter fort. „Seine Ernte hat nach einem schlechten Sommer wenig eingebracht. Er konnte seine Familie nicht ernähren und wand sich an den örtlichen Tempel und bat um Hilfe. Vom Palast wurde versprochen, dass bei schlechter Ernte der Tempel helfen will. Doch man schickte ihn fort. Sein einziger Sohn verhungerte und seine Frau starb durch den Hunger geschwächt an einer schweren Krankheit. Auch er schwor Rache am Pharao, der ihm falsche Versprechen machte.“ „Davon habe ich nie etwas erfahren“ bedauerte er. „Hätte ich es gewusst, hätte ich umgehend mit dem Hohepriester der Region über diese Zuwiderhandlung gesprochen. Ich erinnere mich an diesen Sommer vor vier Jahren. Dass es Tempel gab, welche meine Anweisungen nicht befolgten, habe ich nicht gewusst.“ „Ihm hilft es aber jetzt nichts. Oder Jalil“ erzählte er weiter. „Er hatte ein Mädchen, welches er heiraten wollte. Jedoch fehlte ihm eine kleine Summe Geld hierfür. Er wand sich an den Palast, wo er um Hilfe bat. Mit seiner Geliebten wurde er von einem höfischen Adligen empfangen und kehrte ohne Frau zurück nach Hause. An seiner statt hat er sie geheiratet und ihn ausgelacht für seine Armut. Aus Trauer wählte sie den Freitod und er die Gesetzlosigkeit. Er schwor Rache an allen Adligen.“ „Auch wenn du es mir nicht glaubst, ich heiße so etwas nicht gut“ sprach der Pharao ehrlich. „Ich weiß, dass es Adlige gibt, welche ihre gesellschaftliche Stellung ausnutzen. Aber dies wird von mir nicht toleriert und wenn ich davon höre, bemühe ich mich persönlich, die Dinge richtig zu stellen. Aber auch ich kann nicht überall sein. Was deinen Männern passiert ist, ist traurig. Aber mehr als dagegen anzugehen, kann ich nicht tun. Ich bin nicht allmächtig.“ „Ihr seid der Pharao. Ihr seid Ägypten. Ihr seid allmächtig“ sagte der schöne Emenas ihm ins Gesicht. „Das ist es, woran alle glauben. Alle Männer, welche Ihr draußen seht, haben an Euch persönlich Rache geschworen. Auch ich habe das getan und ich verstehe ihren Groll.“ „Also willst du mich töten“ schlussfolgerte er aus diesen Worten. „Sagst du mir denn auch, wofür du persönlich mich töten willst?“ „Im Gegensatz zu meinen Männern will ich Euch nicht töten. Ich will Euch demütigen und qualvoll ohne Würde verenden lassen“ antwortete er und war bei diesen Worten ruhiger als es ihnen angemessen war. „Aber ich nehme Abstand von diesem Gedanken und werde dafür Sorge tragen, dass Ihr unverletzt in den Palast zurückkehrt.“ „Woher diese Meinungsänderung? Du hast mich in der Hand.“ „Es ist wegen Seth.“ Er blickte den Pharao mit seinen dunklen Augen an und sprach ohne Hast weiter. „Er hat mir einst das Leben gerettet, wobei er fast sein eigenes ließ. Ich stehe tief in seiner Schuld und bewundere Männer wie ihn. Wenn er mich bittet, meiner Rache abzuschwören und seinen Pharao in den Palast zu geleiten, so will ich dies für ihn tun. Er sagte mir, dass Ihr ein gutes Herz habt, voller Güte und Liebreiz. Ihm liegt viel an Eurem Wohl, da er euch zutiefst verehrt. Meine Dankbarkeit zu ihm ist größer als meine Rachsucht.“ >Dankbarkeit< schoss es Atemu durch den Kopf. Er sah Emenas an, seinen schönen Körper, seine reine Haut, seine klaren Augen, sein volles Haar. Er schien gebildet und sprach wortgewandt. Und dazu das Wort Dankbarkeit. Aus seinen Erfahrungen hatte Atemu dieses Wort schon so häufig gehört und das meistens aus dem Munde von Sklaven. Die Dankbarkeit war ihr einziges Zahlungsmittel. Sie hatten nichts mehr als ihre Dankbarkeit. Und innerlich fügte er seine Puzzlestücke zusammen. Weshalb Emenas so eine Schönheit war, weshalb er so gebildet war und auch, woher er Seth wohl kennen mochte. Atemu hatte gehört, wie er zu ihm sagte ‚Der Junge, dem sie den Namen genommen haben’ - woher konnte er so etwas wissen, wenn er ihn nicht damals schon kennen gelernt hatte? Das war die einzig sinnvolle Schlussfolgerung. Auch weshalb Emenas solchen Hass auf Adlige in sich trug. Bevor er Räuber wurde, musste er ein Lustsklave gewesen sein. Nur mit dem Unterschied, dass Seth sich dem Wohle der Menschen verschrieb und Emenas für sich die andere Seite, das Verbrechen, gewählt hatte. „Also seid unbesorgt“ sprach der schöne Bandit beruhigend. „Wenn ich es sage, werden meine Männer Euch nicht anrühren. Wir werden Euch unversehrt in Euren Palast zurückbringen.“ „Dafür danke ich dir und deinen Männern“ nickte der Pharao und deutete sogar eine kleine Verbeugung an. „Aber sag mir“ bat er, als er sich wieder erhob, „kann ich etwas tun, um deinen Schmerz und den deiner Gefährten zu lindern? Wenn ich etwas bewirken kann, was Euch hilft, so will ich dafür Sorge tragen, dass es geschieht. Ich könnte euch Amnestie geben und ein wenig Land, damit ihr in ein geregeltes Leben zurückkehren könnt.“ „Weder ich noch meine Männer werden Euch jemals um etwas bitten“ antwortete er tonlos. Ob ihn dieses Angebot nun ehrte oder doch eher verärgerte, war nicht zu erkennen. Sicher war, dass er es nicht annehmen würde. „Esst Euer Brot. Sonst müsst ihr hungrig aufbrechen.“ „Ich habe genug gespeist. Danke“ lehnte er ab und schob das Brot von sich weg, welches ihm der alte Amohse hinhielt. Der Appetit war ihm nicht nur vergangen, sondern er hatte tatsächlich kaum welchen. Die Lust am Essen war ihm lange abhanden gekommen. „Bitte, Ihr müsst etwas essen“ bat Seth und sah ihn tief besorgt an. „Ihr seid noch schwach und dürft nicht krank werden. Wir haben noch ein paar Tagesreisen vor uns.“ „Du brauchst dich nicht um mich Sorgen, mein Seth“ lächelte er tapfer. „Außerdem habe ich dir noch nicht dafür gedankt, dass du mich gestern gerettet hast. Ohne dich, hätte das Schwert meinen Kopf zerteilt. Für deinen Mut danke ich dir.“ „Ich habe es Euch geschworen, Majestät“ erwiderte er mit treuen Augen, welche so blau leuchteten, wie wohl draußen der Morgenhimmel langsam vom Antlitz des Sonnengottes erleuchtet wurde. „Niemals werde ich zulassen, dass Euch ein Leid geschieht. Ich werde alles tun, um Euch sicher im Palast zu wissen.“ „Und danach?“ fragte Emenas dazwischen und sah Seth zugewandt an. „Was willst du tun, wenn wir ihn zurückgebracht haben?“ „Ich ... ich weiß es noch nicht genau.“ Da schien er noch etwas unsicher zu sein. Dass er danach nicht bleiben würde, hatte er schon angedeutet und Atemu sah sich nicht in der Lage, ihn an etwas zu hindern. Was danach kommen würde, wusste er nicht. Aber Seth jeden Tag zu sehen, ihm nahe zu sein, ohne ihn berühren zu können, ohne ihm jemals das zu sagen, was er ihm sagen wollte ... es war eine grauenvolle Qual. Noch grauenvoller als wenn Seth aus freien Stücken sagte, dass er ihm fernbleiben wollte, selbst wenn das schmerzte. Wenn ihn jemand demütigen und langsam quälen wollte bis er den Tod fand, so musste er ihm Seth an die Seite geben. Der Schmerz seines Herzens übertraf alle Folter, die menschliche Wesen sich ausdenken konnten. Einen verbotenen Traum der Götter zu begehren, bedeutete Verdammnis bis zum süßen Tod. „Du sagtest, du weiß nicht, wohin du dann gehen willst. Dass du niemanden hast, der auf dich wartet“ sprach Emenas weiter und lächelte Seth zugetan an. „Vielleicht kann ich dir helfen, einen Ort zu finden, an dem du willkommen bist. So wie du bist.“ „Emenas“ flüsterte Seth leise. „Nicht.“ „Du weißt nicht, was ich meine.“ Er rückte ihm ein Stück näher, stellte seinen Kelch auf dem Boden ab und griff zärtlich an Seths Kinn, um ihm intensiv in die Augen zu sehen. Seth ließ sich das auch gefallen, auch wenn er das im Augenblick wohl erst nicht zu deuten wusste. „Vielleicht ist dir dies ein Anstoß ... Seth.“ Als Atemu sah wie Emenas Lippen auf Seths trafen, blieb sein Herz stehen, brach und fiel in den kalten, sandigen Boden. Er tat das, was er selbst sich schon seit vielen Jahren wünschte. Er durfte Seth küssen, ungestraft. Sie hatten eine gemeinsame Vergangenheit, sie waren sich ebenbürtig. Beide waren wunderschön und so verletzt. Zwei Seiten und doch eins. Emenas würde zu Seth passen. Äußerlich und vielleicht auch innerlich. Er würde ihn nicht demütigen, weil er selbst wusste, wie tief der Schmerz saß. Atemu konnte ihn nicht haben, niemals. Er durfte ihn selbst niemals küssen, egal wie sehr er es sich wünschte. Das wurde nur umso klarer, wenn er sah wie Emenas seine Arme um ihn legte, ihn näher an sich zog und seine Zunge ein leises, schmatzendes Geräusch durch die Morgenluft schickte. Wie gern wäre er an seiner Stelle. Wie gern würde er ihm alles sagen. Ihn berühren. Ihn küssen. Ihm ebenbürtig sein. Ihn so behandeln, dass er ihn nicht verletzte. In diesem Moment erkannte er, er konnte ihn nicht haben. Er hatte es immer gewusst, aber die Hoffnung ließ sich kaum ersticken. In diesem Moment tat sie ihre letzten Atemzüge, bevor sie ersterben würde. Der Pharao war allmächtig. Seine Liebe jedoch war hilflos in Fesseln gelegt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)