Absurd Symphony of everlasting Grief von abgemeldet (Kurzgeschichte) ================================================================================ Kapitel 2: Distopian Paradise ----------------------------- "Der Third Impact ist eingetreten." Mit sekündlich steigernder Nervosität sehe ich, wie ihr Gesicht von Schock über Unglauben und nach einem kurzen Blick um sich herum schließlich zu bitterem Verständnis wechselt. Sagen tut sie nichts. Nur ihre Augen richten sich wieder auf mich, mich stumm auffordernd, fortzufahren. Dieser Blick, der so anders ist als ihr sonstiger, auffordernder Blick, in dem ständige Ungeduld mitschwingt, bringt mein Inneres dazu, sich zusammenzuziehen. Ich weiche ihm aus. Keine Ungeduld, kein stetig ansteigender Zorn liegen darin. Nur ruhige Erwartung. Und er macht mich mehr als doppelt so nervös, als es der frühere Blick je vermocht hätte. Ich muss mich anstrengen, nicht meine Hände zu kneten, nicht die Schultern einzuziehen. Ich sehne mich wieder nach meinem Walkman. Ich darf... - Ich WILL nicht weglaufen. Ich hebe den Kopf, schaue ihr wieder in die Augen. Sie hat sich aufgesetzt. Offenbar geht es ihr langsam besser. Sofern das nach ein paar Stunden denn möglich ist... Ich spreche weiter. "Ich weiß selbst nicht, was passiert ist... Ich... Als ich in den Eva stieg, war bereits alles zerstört... Da war ein riesiger, schwarzroter Felsen.. und.. und Rei ist vor mir aufgetaucht, ganz in weiß und riesig groß... Dann... Ich weiß nicht mehr... Rei hat Flügel bekommen. Die Welt wurde rot und hat dann angefangen, grün zu leuchten, als irgendwas überall aufgeblinkt ist, und -" Asuka unterbricht mein wirres Gestottere mit einem sanften "Langsam. Eins nach dem Anderen." Hat sie wirklich sanft gesprochen? Oder hat sich das nur so angehört, weil sie völlig ausgelaugt ist? Wie um Himmels Willen soll ich ihr nur erklären, was passiert ist? Ich weiß es doch selbst nicht einmal! Leise, ganz leise flüstert eine Stimme in meinem Kopf: *Das, was du nicht erklären kannst, ist auch völlig egal. Und das weißt du genau. Wichtig ist der wesentliche Teil.* Ich versuche, nicht hinzuhören, meine Gedanken wieder auf das Geschehene zu richten. Und wieder bildet sich vor mir ein formloser Bilderstrudel, den ich nicht erfassen, noch weniger aber erklären kann... Resignierend schließe ich die Augen einen Moment lang. "Asuka... Alle sind tot. Wir sind die einzigen, die noch da sind." Ich bin beeindruckt von der Ruhe meiner eigenen Stimme... Gedanklich beende ich den Satz mit den Worten '... und ich bin Schuld daran', kann ihn aber nicht aussprechen. Wegen dem Blick, der mich fassungslos und ungläubig ansieht, rede ich mir ein. Ihre Lippen bewegen sich ein Stück. Schließlich kommt nach einer halben Ewigkeit, so scheint es mir, ein klägliches "Das kann nicht sein..." hervor. Ich setze mich neben sie, werfe ihr einen scheuen Blick zu. Sie scheint mich garnicht richtig wahrzunehmen. Leise höre ich sie murmeln... "Kaji... Nein, nicht Kaji... lebt bestimmt noch... Ja... Kaji hat es geschafft..." Wieder schließe ich die Augen, dieses Mal aus Verzweiflung. Hat sie auch das vergessen? Oder hat sie es nur vergessen wollen? Kaji war seit Wochen verschwunden gewesen, als das alles passierte... Und nach Misatos Verhalten zu urteilen glaube ich, dass er schon tot war lange, bevor es geschah... Aber vielleicht bin ich ja auch für seinen Tod verantwortlich. Ebenso sehr wie für den Misatos. Ich glaube, ich habe mich noch nie so sehr gehasst wie in diesem Moment... Ich muss ein sarkastisches Grinsen unterdrücken. Und ich dachte, ich sei es wert, zu leben... Asuka sagt irgendwas. Verwirrt schaue ich auf. Mein Blick kreuzt sich mit ihrem. Eine einsame Träne läuft ihre Wange hinunter. Ich will sie ihr wegwischen und hasse mich dafür noch mehr... Schließlich bin ich der Grund für diese Träne. Ich tue es nicht. Stattdessen frage ich leise: "Was hast du gesagt?" "Wieso wir?" Ich schlucke. Wahrheit oder Lüge... Kein Verschweigen mehr möglich... Nur noch diese zwei Alternativen. Weglaufen oder nicht. "Ich weiß nicht... Vielleicht wegen der EVAs." Ich warte auf den gerechten Blitz, der jeden Augenblick vom Himmel herabfahren muss, und mich für meine elende Feigheit bestraft. ============================================= Der ist doch verrückt! Das kann nicht sein! Wie können denn alle tot sein!? Irgendwer MUSS doch überlebt haben! Kaji.... Nein, nicht Kaji... Er lebt bestimmt noch, wurde nicht wie der Rest der Menschheit getötet... Ja.. Kaji hat es geschafft. Alles in mir schreit, nur ganz unterbewusst nehme ich wahr, wie ich selbst Teile meiner Gedanken vor mich hin murmle. Alle tot.. Nur noch Shinji und ich... Nur noch wir zwei, sonst nur Tod um uns herum. Nur wir zwei... Aber... Wieso ausgerechnet ich? Und wieso denn bitte dieser elende Idiot von einem Shinji!? Wieso nicht Kaji anstatt ihm? Und wieso zur Hölle ich!? Ich schaue auf zu diesem Schwachkopf und spreche die Frage aus. Meine Stimme klingt hart und herzlos. Wie kann sie auch anders klingen in einer solchen Situation!? Aber das kriegt dieser Spinner natürlich garnicht mit, weil er lieber mit leerem Blick in die Welt starrt und irgendeinen Quatsch denkt, wie immer... Er schaut auf und fragt mich, was ich gesagt habe. Natürlich. Er ist wieder sonstwo. Hat wieder diese alberne, ignorante Mauer aufgebaut, in die er sich bei jeder Gelegenheit verkriecht.Wäre ja auch zu viel verlangt, wenn dieser elende Schwachkopf von einem nichtswürdigen Volltrottel mir wenigstens zuhörte. Eine leise Stimme meldet sich in meinem Kopf. Ganz leise, und doch dröhnt mir der Schädel bei jedem einzelnen Wort... *Bist du denn anders?* Sei still! Eine einzelne Träne verlässt mein Auge. Ich hasse sie, wie sie - ein einziges physisches Symbol von Schwäche - langsam meine Wange herunterläuft. "Wieso wir?" Meine Stimme klingt überhauptnicht mehr kalt und herzlos. Nur noch klein und schwach. Die Antwort ist mir völlig egal geworden. Wieso klingt sie so schwach? Wieso sehe ich so schwach aus? Wieso BIN ich so schwach!? "Ich weiß nicht... Vielleicht wegen der EVAs." SEI STILL! ICH HASSE DICH! GEH WEG, SEI TOT, SEI KAJI, ICH HASSE DICH! Wieder diese leise Stimme. Wieder diese Puppe mit dem Strick um den Hals. Wieder diese Erinnerung. *Tust du nicht...* DOCH, TUE ICH! ER IST ABSCHAUM, ER IST MIESER, FEIGER ABSCHAUM! *Er ist wie du... Nur eine Spur ehrlicher. Er versucht wenigstens nicht, so zu tun, als sei er das Zentrum der Welt.* SEI STILL! DICH HASSE ICH AUCH! ICH HASSE EUCH ALLE! *Hör auf, deinen Selbsthass auf andere zu projizieren.* SEI STILL, SEI STILL, SEI STILL! Ich schlage die Hände an die Ohren, kann aber trotzdem das leise Schluchzen nicht daraus verdrängen, das mir entflieht. Ich bin so erbärmlich. Ich höre durch meine Hände hindurch Shinji irgendwas sagen, verstehe ihn aber nicht. Spüre seine Hand auf meiner Schulter. GEH WEG, LASS MICH ALLEIN! ICH BRAUCHE DICH NICHT, ICH BRAUCHE NIEMANDEN! Ich will ihn anschreien, ihn zusammenschlagen, bis nur noch ein blutiger Klumpen von ihm übrig ist. Und tue nichts davon. Lausche lieber meinem eigenen, erbärmlichen Gejammere und hasse mich für jede Sekunde, die vergeht, ein bisschen mehr. =========================================== Der erwartete Blitz bleibt aus. In meinem Paradies gibt es halt keine Gerechtigkeit. Nur einen faden Abklatsch in Form von alles zerfressenden Schuldgefühlen. Und die Gewissheit, dass sie nichts für mich, alles für Kaji empfindet. Die Gewissheit, dass ich mich selbst zu einem Leben mit einem Menschen verdammt habe, der mir nicht mehr Zuneigung entgegenbringt als mein Vater. Nur, dass es bei ihr nicht ein willkommenes Gegenstück zu meinem eigenen Hass ist... Im Gegenteil. Ein leises Klatschen reißt mich aus meiner grausamen Gedankenwelt. Asuka hat die Hände auf die Ohren gelegt, ihr Oberkörper wippt leicht vor und zurück. Sie... weint. Hektisch sehe ich mich nach einer Klippe um, die hoch genug ist, dass ich einen Sturz hinunter nicht überleben würde. Entdecke aber keine. Ich schließe die Augen, versuche, mir die Musik meines Walkmans vorzustellen... Vergebens. Das leise Schluchzen durchschneidet jeden Gedanken, vernichtet die Welt in meinem Kopf erbarmungslos. Ich öffne sie wieder, richte sie erneut auf Asuka... und kann sie nicht mehr abwenden. So qualvoll es auch ist, hinzusehen, schaffe ich es dennoch nicht, etwas Anderes zu betrachten. Oder mich wieder in die vertraute Dunkelheit geschlossener Lider zu retten. Ich bin der Grund dafür. Ich, Shinji Ikari. Niemand anders als ich trägt die Verantwortung. Meinetwegen ist diese Welt ein Chaos, meinetwegen sind alle Menschen tot, meinetwegen bist du unglücklich... Meinetwegen bist du überhaupt hier. *Nein, das stimmt nicht.* Diese leise Stimme wispert wieder in meinem Ohr. Doch, das stimmt. Ich bin der Schuldige. Niemand anders als ich. *Ja, das stimmt allerdings. Etwas Anderes stimmt nicht.* Was? Was stimmt nicht? *Es ist nicht so, dass sie deinetwegen hier ist.* ............Nein. *Du bist ihretwegen hier. Sie ist der Grund dafür, dass du dich nicht derselben Zerstörung hingegeben hast, die die ganze Welt erfasst hat.* ............Ja. Du hast recht. *Sie ist es, die du willst, die du verstehen willst, die du berühren willst, der du nahe sein willst... Der du helfen willst.* Ja. *Vielleicht bist du tatsächlich nicht würdig, mit ihr in einer Welt zu leben. Vielleicht bist du tatsächlich einfach nicht fähig, sie wenigstens ein paar Momente des Glücks erleben zu lassen in einer Welt, die dergleichen vergessen hat. Aber... Du sollst es wenigstens versuchen. Ihr Trost zu spenden, so gut du kannst, ihr Wärme zu spenden, so weit sie es zulässt, und, vielleicht irgendwann einmal, ihr die Wahrheit zu sagen.* Die schwache Andeutung eines Lächelns umspielt meine Lippen. ...........Ja. Ich bin Shinji Ikari, und ich trage die Verantwortung für alles hier. Aber ich will wenigstens versuchen, diese Hölle zu meinem Paradies zu machen. Mal sehen, was ich so wert bin. "Hör auf, zu weinen." Ich versuche, meiner Stimme einen sanften, vertrauensvollen Ton zu geben. Gehe einen Schritt auf sie zu. Und lege ihr die Hand auf die Schulter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)