Nicht aus Stein von Vienne (Der Kardinal und das Mädchen) ================================================================================ Kapitel 2: Völlig erschöpft --------------------------- Kapitel II: Völlig erschöpft Der alte Pierre erstarrte beinahe, als er seinen jungen Herren mit dem Einäugigen in die Unterkunft kam. „Pierre, entfernt Euch. Sucht Euch angenehme Freuden und kommt erst, wenn ich nach Euch schicken lasse. Ich habe hier einiges an Geschäften zu erledigen. Ihr habt verstanden?“ Der Ton, den sein Herr anschlug, gefiel Pierre weniger. So ernst. So maskenhaft. So undurchdringlich und keine Widerworte duldend. So kam nur ein kurzes Nicken seinerseits und er nahm die Geldstücke entgegen, die ihm Armand in die Hand drückte. Noch ein kurzer Blick auf den Fremden und Pierre war mit einer Erleichterung verschwunden. „Ihr sprecht ihn sehr höflich an!“ „Warum sollte ich es auch nicht tun? Er erweist mir gute Dienste.“, antwortete Armand. Er legte seinen Umhang und seine Lederhandschuhe ab, und setzte sich auf den kleinen Schemel, der an einem ebenso kleinen Holztisch im Zimmer stand. „Der Bote ließ erkennen, dass ich einen Mord auszuüben habe?“ „Haltet den Mund. Ich bin es, der Fragen stellt und ich weiß, dass Ihr den Grund für Eure Anwesenheit kennt. Also sprecht nur, wenn ich es Euch abverlange. Habt ihr das verstanden?“ Rochefort blieb einige Sekunden sprachlos neben dem Bett seines neuen Herrn stehen. Sicher, als er ihn in der Gasse getroffen hatte, lag in seiner Stimme auch schon eine gewisse Kälte. Aber als er ihn gerade eben angeherrscht hatte, trieb es ihm eine Gänsehaut in den Nacken. „Ich ließ nach jemanden wie Euch schicken, um den Mord an meinem Vater auszuführen. Er wird mir lästig. Er mischt sich in Dinge ein, die ihn nichts angehen. Von denen er keine Ahnung hat. Zudem hält er mich an der kurzen Leine. Die erst länger wird, sobald er mich mit einer Schnepfe von Hure verheiratet hat. Er muss weg aus meinem Umfeld. Weg von dieser Welt. Meine Ziele sind zu hoch, als das er mich dabei beobachten sollte. Bringt Ihn um! Eine angemessene Bezahlung werdet Ihr erhalten.“ Rochefort nickte kurz. Ein Mord war für Ihn nichts neues, aber das er solch einen Auftrag von dem Sohn des Opfers persönlich bekam, war ihm neu. Anscheine machte er einen etwas verunsicherten Eindruck, denn Armand beobachtete ihn genau. „Was habt Ihr?“, fragte er leicht belustigt. Er lächelt? Rochefort musste zweimal hinsehen. „Geht es Euch nicht gut? Wenn Ihr ein Problem mit dem Mord haben solltet, werde ich mich nach einem anderen Mann umsehen müssen.“ „Nein, nein es ist alle in Ordnung. Erlaubt mir eine Frage.“ „Es sei Euch gewährt.“ „Warum wollt Ihr Euren Vater umbringen lassen?“ „Ich bin ihn leid. Und nein, es geht mir nicht darum, sein Erbe anzutreten. Wenn ich das wollte, dann bräuchte ich Euch nicht. Geld habe ich selbst zu Hauf. Nein, er ist mir einfach nur lästig geworden. Das ist alles. Und?“ Rochefort schaute seinen neuen Herrn irritiert an, was diesem nicht unbemerkt blieb. Und habe ich Euer Wort, dass Ihr den Mord ausführen werdet? Und vor allem, dass Ihr kein Wort über Euren Auftraggeber sagen werdet?“ In Armand Augen spiegelte sich dieses Mal seine ganze Kälte. „Selbstverständlich mein Herr.“, Rochefort deutete als Zeichen der Ergebenheit Armand gegenüber eine kurze Verbeugung an. Als er sich entfernen wollte, hielt ihn Armand nochmals zurück: „Ihr kennt meinen wahren Namen. Ich werde Ihn noch heute ablegen.“ Ein wahres Fragezeichen stellte sich auf Rocheforts Gesicht ein. „Meine Familie war nie sehr bedeutend in Adelskreisen. Also wird man mich nicht mit dem Mord an meinem Vater in Verbindung bringen, wenn ich den Namen des Schlosses annehme, auf dem ich geboren wurde: Richelieu. So werdet auch Ihr mich in der Zukunft nennen.“ „Wie Ihr wünscht mein Herr.“ „Wie Ihr in das Département Indre-et-Loire findet, werdet Ihr wohl selbst herausbekommen können.“ Es lag etwas in der Stimme, die keinen Widerspruch duldete. Und die Rochefort dazu brachte, in das genannte Département zu reiten, um seinen Plan möglichst schnell umzusetzen. Wenn er Glück hatte, und das Wetter nicht umschlug, dann noch vor dem morgigen Abend. Er verbeugte sich noch einmal zum Abschied vor seinem neuen Herrn Richelieu, doch dieser bekam es nicht mehr mit, so sehr war er schon wieder in seine Studien vertieft. Somit ging Rochefort leise und beinahe auf Zehenspitzen zur Tür, öffnete sie leise und verschwand im dunklen Flur der Unterkunft. Richelieu atmete laut auf. Wieder allein. Wieder konnte er sich seinen Studien widmen. Doch etwas lies in nicht zu Ruhe kommen. Es war der abartige Gestank, der von der Straße zu ihm hinauf zog. Es roch wieder nach dem ganzen Unrat der Stadt und das Geschrei der Huren tönte zudem auch noch durch das geschlossene Fenster zu ihm hinauf. Wie sollte er sich hier wieder seinen Plänen widmen? Hier konnte er unmöglich zur Ruhe kommen. Hastig packte er seine Studien zusammen und verließ ebenso hastig sein Quartier. ******************************************** Seit nahezu zwei Stunden schon trieb es Richelieu durch die Straßen von Paris. Noch immer hatte er keinen ruhigen Ort gefunden, wo er sich zurückziehen konnte, um in seinen Studien zu lernen. Er stand kurz vor einem Wutausbruch. Und ihm wurde immer mehr bewusst, warum er die Stadt so hasste. Alles war laut und es stank unerträglich. Wie sollte er hier nur zur Ruhe kommen? Wie in Gottes Namen? Völlig erschöpft von der Reise und der Suche nach einem ruhigen Platz, lehnte er sich an eine Hauswand, ohne darauf zu achten, dass neben ihm eine kleine Holztüre war. „Oh Herr, wieso macht Ihr es mir so schwer? Warum lasst Ihr mich in dieser Stadt so leiden? Ist das die Strafe für die vielen Frauen, die dank meines Vaters in meinem Bett landeten?“ „Wenn, dann wäre es eine wirklich böse Strafe.“ Erschrocken fuhr Richelieu herum. Und blickte in zwei haselnussbraune Augen, die in einem von braunen Locken umrahmten Gesicht wohnten. „Was habt Ihr? Ihr bekommt ja gar keinen Ton heraus.“ Die junge Frau grinste ihn an und stemmte frech ihre rechte Hand in die Hüften. „Ähm...ja, ich denke mal, dass Ihr da recht habt. Aber verzeiht, wisst Ihr nicht zufällig, wo ich einen ruhigen Ort für meine Studien finden kann?“ „Hier werdet Ihr ganz sicher keinen finden. Wenn Ihr einen ruhigen Ort haben wollt, müsstet Ihr schon zur Sacre Coeur oder zur Notre Dame. Und davon, mein Herr, seid Ihr meilenweit entfernt.“ Mit leichtem Entsetzen schaute er sie an und bemerkte noch nicht einmal den streunenden Hund, der an seinem Stulpenstiefel sein Bein hob. Während Richelieu von einem Fluch in den nächsten kam, fing die Frau nur noch an zu lachen. „Was ist daran so komisch, Madame?“, herrschte er sie an. „Erstens: Mademoiselle! Zweitens: Hütet Eure Zunge. Ihr seid hier nicht auf Eurem Schloss. Und drittens: Kommt herein. Ich werde Euch ein Paar Schuhe geben, die könnt ihr haben, bis Eure wieder trocken sind.“ Richelieu kam gar nicht mehr dazu Worte zu finden, denn schon zog ihn die Frau beim Arm und hinein in ihr Haus. „Was soll das? Wollt Ihr mich entführen oder was?“ „Spielt Euch nicht so auf. Ihr seid in der Stadt doch völlig alleine, oder?“ Woher wusste sie das? Konnte sie Gedanken lesen? Im Grunde war er nicht wirklich allein, aber Pierre war irgendwo in der Stadt unterwegs und Rochefort auf dem Weg zu seinem Vater. Er war völlig hilflos. Und er wusste noch nicht einmal, wie er wieder zurück finden sollte zu seiner Herberge. Vor allem da jetzt mit rasender Geschwindigkeit die Dunkelheit sich über Paris legte. Völlig in seinen eigenen Gedanken versunken, bemerkte er nicht, wie die Frau ihm die Stiefel auszog und ihm dafür ein paar Holzpantoffeln anzog. Auch bemerkte er nicht, wie sie ihm vorsichtig seine Studien aus dem Arm nahm und sie auf den Kaminvorsprung legte und ihm eine Schüssel mit warmer Suppe vorsetzte. Erst als sie sich ihm gegenüber setzte und ihn mit ihren großen braunen Augen anschaute, erwachte er aus seiner Trance. „Mögt Ihr keine Suppe?“ „Wie bitte?“ „Ob Ihr keine Suppe mögt?“, sie stand wieder auf und ging um den Tisch herum, und nahm die Schüssel in die Hand. „Nein, nein.“, er hielt sie am Handgelenk fest. „Nein, ich würde mich freuen, wenn ich sie essen dürfte.“ Und zum ersten Mal seit langer zeit, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, dass nicht durch seine Kälte glänzte, sondern durch seine Wärme. Die junge Frau stellte die Holzschüssel zurück auf den Tisch und nahm ihm gegenüber wieder Platz, um ihn zu beobachten. Was Richelieu nicht verborgen blieb. Doch erst einmal wollte er seine Suppe essen. Das erste richtige Essen seit seiner Abreise. *********************************************** „Wie heißt Ihr?“ Richelieu hatte seit einer halben Stunde keinen Ton gesagt, so selig war er mit sich und der Welt. Und das war wirklich selten. „Marie!“ „Marie?“ „Marie Valerie Dujacque.“ So war also der Name seiner kleinen Retterin. Wie alt mochte sie sein? Sicherlich um ein Jahrzehnt jünger als er. „Ihr seid recht verträumt, mein Herr.“ „Ich, ja, ein wenig. Aber ich habe mir gerade überlegt, wie alt Ihr wohl seid.“ „Solltet Ihr mich nicht vorher Euren Namen sagen, bevor Ihr euch dafür interessiert?“ Sie war unverschämt, keine Frage. Aber das machte sie auch gleichzeitig so sympathisch. Und sie wusste gleichzeitig, die Anstandsregeln zu wahren. „Mein Name ist..“, Richelieu geriet ins Stocken. Seinen wahren Namen nennen oder den jetztigen, der vielleicht sicherer sein würde? Er entschied sich für letzteres: „Richelieu.“ „Wie geheimnisvoll.“ Wieder grinste sie. „Darf ich jetzt Euer Alter erfragen, Mademoiselle?“ „Siebzehn.“ So jung? „Und Ihr wohnt alleine hier? Ist das nicht gefährlich für Euch. Ihr seid ja nicht einmal verheiratet.“ „Von den Kerlen habe ich die Nase voll. Wollen alle nur das eine. Mein Haus, mein Erspartes. Geht mir weg mit denen.“ Er wusste, dass er einen wunden Punkt bei ihr anscheinend getroffen hatte. Doch er war zu müde um weiter nachzubohren. Und auch Marie bemerkte seine Müdigkeit. „Wenn Ihr wollte, könnt Ihr heute hier übernachten. Ich habe noch ein kleines Gästezimmer.“ „Ähm...ja, das wäre nicht zu verachten. Es sei denn, Ihr würdet Euch...“ „Nein, nein, ich habe eine gute Menschen- und vor allem Männerkenntnis. Und Ihr seid mir sympathisch.“ ‚Ihr mir auch, Marie.’, dachte er bei sich. Wieder im Gedanken versunken, bemerkte er nicht, dass sie sein Nachtlager vorbereitete. Auch sie war völlig im Gedanken, während sie sein Bett vorbereitete. So lange hatte sie keine Gäste mehr. Und nun kam ein Edelmann, und das war er sicherlich, daher und, das musste sie zugeben, schlich sich in ihr Herz. Er war so höflich und freundlich. Woher er wohl kam? Aus der Stadt bestimmt nicht. Er schien die Städte nicht so sehr zu lieben. Aber wer tat das schon in einer Zeit, wo die Menschen sich mit Epidemien rumschlugen und ihren Unrat auf der Straße verstreuten. Was ihn wohl hierher trieb? Marie war so im Gedanken, dass sie nicht registrierte, dass sie längst mit dem Bettzeug fertig war. Sie erwachte erst wieder aus ihrer Grübelei, als sie lange und tiefe Atemzüge aus der Wohnstube hörte. Leise erhob sie sich von dem Gästebett und ging in das Nebenzimmer. Da saß ihr Gast. Da saß ihr männlicher Gast und schlief tief und fest. Sein Kopf lag auf seinen Armen und diese auf dem Tisch. Marie trat näher an ihn heran. Er hatte ihr nicht sein Alter verraten. Sie schätzte ihn auf neunundzwanzig, vielleicht auch ein bisschen älter. „Ich werde ihn morgen fragen. Er scheint mir völlig erschöpft zu sein.“ Sie holte die Decke aus dem Gästezimmer und legte sie ihm um die Schulter. Ein kurzer Seufzer von ihm brachte ihn aus der Ruhe und sie glaubte schon, ihn geweckt zu haben. Aber das war nicht der Fall. Sanft strich sie ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Dann löschte sie die letzte Kerze und begab sich selbst in ihre Schlafkammer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)