Crescent Moon 2 von abgemeldet
(Zeit der Stille)
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Kapitel 1: Ein neuer Anfang
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Über die Stadt Tokio hatte sich das schwarze Tuch der Nacht gelegt. Einige
Wolken verdeckten den Halbmond, der immer wieder zwischen den Hochhäusern der
japanischen Großstadt hervor lugte, als wolle er die Nachtschwärmer, die an
diesem warmen Sommertabend noch durch die Straßen zogen, grüßen.
Auch in der Bar Moonshine war es rappelvoll. Jeder Tisch war besetzt, und man
musste Glück haben, um noch einen freien Stuhl zu erwischen. Das kleine Lokal
war immer auf Wochen ausgebucht und nicht nur alleine wegen der Cocktails, die
hier serviert wurden. Es lag zum Teil auch an dem großen, jungen Mann, der ein
paar Abende in der Woche in Begleitung von Live-Musik sang und besonders die
Herzen der Mädchen höher schlagen ließ.
Zwischen den Tischen drängten sich immer wieder Bedienungen durch: Ein
Mädchen, das fast schon eine junge Frau war, und ein Junge. Mit hoch gehobenen
Armen balancierten sie ihr Tablett über den Stühlen und Köpfen der Gästen
hinweg. Sie waren ohne Pause im Einsatz, rannten immer wieder vor zur Theke,
holten das Bestellte ab und brachten es an die Tische. Sie verrichteten ihre
Arbeit schweigend, obwohl besonders der Junge häufig die bewundernden Blicke
der weiblichen Gäste erregte. Einige versuchten ihn in ein Gespräch zu
verwickeln, wenn sie bezahlten oder wieder eine Bestellung aufgaben, er aber
blieb reserviert und wortkarg und sagte nur das nötigste.
Dabei huschte sein Blick immer wieder verstohlen hinüber zu dem Mädchen, dass
ihm meist den Rücken zu drehte und ihn selbst keines Blickes würdigte.
Dann senkte er verbissen den Kopf und versuchte, sich auf seine Aufgaben zu
konzentrieren. Er verfluchte sie innerlich, dass sie ihm derart noch im Kopf
herumschwebte, obwohl es doch seit Monaten vorbei war. Aber ihre ständige
Nähe, und die Tatsache, dass sie mit ihm praktisch zusammen wohnte, verbesserte
diesen Zustand nicht gerade. Er brachte zwar so oft wie möglich genügend
Abstand zwischen sie beide, allerdings trafen sie häufig aufeinander.
Als schließlich die letzten Gäste die Bar einige Stunden später verließen,
stieg Nozomu erschöpft und verschwitzt von der kleinen Bühne in einer Ecke der
Bar und ging hinüber zur Theke, um sich von Katsura Shion ein Glas Wasser geben
zu lassen. "Der Laden läuft wirklich gut", stellte er fest, während Katsura
ihm das Getränk gab. "Ja, und wenn diese zwei Streithähne nicht wären, würde
hier eine vollendete Harmonie herrschen", scherzte Katsura und stützte sich auf
der Theke ab. "Ob es geht oder nicht, Mitsuru ist seit Monaten schlecht
gelaunt." "Ja, leider", stimmte Nozomu zu und musterte seinen Freund verstohlen.
Wie es zu Ende gegangen war zwischen Mahiru und Mitsuru, konnte er nicht mehr
genau sagen. Es war etwa vier Monate her; an einem regnerischen Nachmittag im
März. Beide hatten ausgehen wollen, jedoch nur Mahiru war alleine
zurückgekommen. Sie hatte geweint und war aufgebracht gewesen. Weder Katsura,
noch Nozomu und Misoka, der zu Besuch gewesen war, hatten etwas bei ihr
herausbringen können. Die Antwort gab Mitsuru am nächsten Tag, als er mit
einem Schwung seiner alten, schlechten Laune aufgetaucht war und ebenso zornig
wie gereizt reagiert hatte, als Nozomu ihn gefragt hatte, wo er die Nacht über
sich aufgehalten hatte.
In den nächsten Tagen hatten sie bruchstückhaft erfahren, dass sich Mahiru und
Mitsuru an diesem Abend über irgendeine Sache gestritten hatten und
schließlich sich Mahiru in einem Zornesanfall von Mitsuru getrennt hatte. Mehr
hatten sie nicht erzählt, und so herrschte seit Monaten eine Eiseskälte
zwischen ihnen, die sich nicht auflösen wollte. "Es wäre besser, wenn einer
von ihnen die Bar verlässt, damit sich die Gemüter wieder beruhigen", sagte
Katsura, und riss Nozomu aus seinen Gedanken. Ein wenig verwirrt schaute er sie
an. "Was sagst du da? Einer soll die Bar verlassen? Aber das ist doch
unmöglich. Mahirus Tante hat geheiratet und ist längst aus Tokyo fortgezogen,
nach Kawasaki, und ich glaube kaum, das Mahiru dort wohnen will. Und andersherum
bleibt für Mitsuru nur der Mondpalast in Kyoto als Möglichkeit, und du weißt
genau, dass er diesen Ort nicht mag, Katsura. Dein Vorschlag ist also ohne Hand
und Fuß." "Es ist aber die einzige Lösung", beharrte Katsura, und nahm Nozomu
das Wasserglas aus den Händen. "Oder ein guter Freund redet mal mit den
beiden!" Nozomu lächelte milde über diesen zweiten Rat. Katsura, die sich
immer monatlich von einer Frau zu einem Mann, und anders herum, verwandelte,
dachte wohl nicht daran, dasse er hätte eine Katastrophe herbei geführt
hätte, hätte er sich auch nur im entferntesten in diese Sache eingemischt.
Wenn Misoka hier gewesen wäre, wäre die Sache eine andere gewesen. Er war der
einzige, vor dem Mitsuru Respekt hatte, und dem er auch zu hörte. Nur war der
Kleine, wie Nozomu ihn häufig bei sich nannte, vor einem Jahr nach Kyoto in den
Mondpalast übergesiedelt wie auch Meister Oboro, um dem Kaiser Shirogane direkt
zu dienen. Er ließ sich nur noch selten in der Bar blicken. 'Eventuell', dachte
Nozomu, 'sollte ich mal mit Misoka Kontakt aufnehmen.' Mit einem Kopfnicken
verabschiedete sich Nozomu von Katsura und sagte ihr Gute Nacht. Dann verließ
er den Gastraum der Bar und begab sich in die Privaträume. Morgen, morgen
würde er mit Misoka sprechen.
Kapitel 2: Morgen
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Der nächste Morgen kündigte einen heißen Tag bereits an. Schon gegen acht Uhr
war die Temperatur auf fast 25 Grad geklettert, und wollte nicht aufhören zu
steigen. Trotzdem hatte Mahiru keine Lust, auch nur einen Fuß aus dem Bett zu
heben. Die Läden ließen kein Lichstrahl herein, und noch war es in ihrem
Zimmer angenehm kühl. Sie hörte bereits die anderen unten, in der Bar,
herumräumen und miteinander reden. Wie lange sollte es noch so gehen, fragte
sie sich seit Monaten. Wenn sie jetzt aufstehen und ebenfalls hinunter gehen
würde, würden sie wieder halb verletzte, halb zornige Blicke von Mitsuru
treffen - wie seit Monaten - und sie würde sich wieder einmal schuldig fühlen,
obwohl sie gerade dazu keinen Grund hatte. Sie hatte schon überlegt, aus der
Bar auszuziehen und sich einen Job zu suchen, eine Ausbildung zu beginnen oder
sogar zu studieren. Doch irgendwie hatte sie Angst davor, die sichere Umgebung
dieses Gebäudes mit seinen ihr liebgewonnenen Bewohnern zu verlassen, das ihr
seit etwa 2 Jahren ein Zuhause bot. Vielleicht hätte sie damals tatsächlich zu
ihrer Tante zurückgehen sollen, wie sie zuerst vorgehabt hatte. Sie hatte
gezögert, und als sie erfuhr, dass der Freund ihrer Tante nun doch um deren
Hand angehalten hatte und mit ihr fortan in Kawasaki leben wollte, hatte sie das
Glück ihrer Tante nicht stören wollen. Und vor allem jetzt, wo bald ihre
kleine Cousine oder ihr kleiner Cousin auf die Welt kommen sollte... nein, es
war nicht möglich, das sie zu ihr ging.
Ihre einzige Möglichkeit war also, noch eine Weile in der Moonshine-Bar zu
bleiben und ihre Lage zu überdenken, bis sie wusste, was sie wollte. Leise
seufzend entschloss sich Mahiru schließlich, aufzustehen. Es war nicht ihre
Art, lange auszuschlafen, und sicherlich wären Katsura und Nozomu hoch
gekommen, um nach ihr zu sehen. Die Läden ließ sie geschlossen, während sie
eine hellblaue, ärmellose Bluse überzog und einen dazu passenden, weißen
Rock, und sich die Haare kämmte. Sie waren ein wenig länger geworden, sie
reichten ihr nun fast über die Schulter, sodass sie sie bequem zusammen machen
konnte. Als Mahiru fertig war, schlüpfte sie in ihre Hausschuhe und ging auf
den Flur. Niemand hielt sich in den Privaträumen der Bar auf, die sie, Katsura,
Nozomu und Mitsuru bewohnten, dass hörte sie an den gereizten Stimmen, die
unten im Gastraum miteinander stritten. Was war nur heute wieder los, dachte
Mahriu leicht genervt und lief hinüber ins Bad, dass gegenüber von ihrem
Zimmer lag. Siet 4 Monaten war Mitsuru so unausstehlich wie früher. Seit dem
Zeitpunkt, zu dem sie gesagt hatte, es wäre genug. Seine Wut ließ er
allerdings nicht alleine an ihr aus. Auch Katsura und Nozomu hatten darunter zu
leiden, und der einzige, der mit ihm überhaupt einigermaßen zurecht kam, war
Misoka, der sich selten in der Bar blicken ließ, seit er neben seiner Tante
sich um die Belange des Kaisers Shirogane in Kyoto im Mondpalast kümmerte. Auch
Meister Oboro war dem Ruf des Mondpalastes gefolgt - und Akira einem ganz
anderen. Er hatte auf eine Reise gehen wollen, um zu sich selbst zu finden, so
hatte er gesagt, und Nozomu hatte daraus gedeutet, dass der kleine Wolf
allmählich erwachsen wurde. Ab und zu erhielt die Moonshine-Bar sogar eine
Postkarte oder einen Brief von Akira, in denen er immer erfreut berichtete, wo
er gerade und wie gut es ihm ging. Schön für ihn, dachte Mahiru dann jedes
Mal, und hätte doch am liebsten den immer zu kindischen, lustigen Jungen um
sich gehabt. Er verstand es, aufzuheitern alleine durch seine fröhliche Art. Es
war aber nun halt nichts mehr wie früher, gestand sich Mahiru ein, als sie ihre
Zähne putzte und nachdenklich ihr Gesicht im Spiegel des Badezimmerschrankes
betrachtete. Wir alle sind älter geworden, und gehen nun mehr oder weniger
unsere eigenen Wege. Misoka, Akira... sogar Katsura und Nozomu, obwohl sie noch
immer in der Moonshine-Bar sind wie ich und Mitsuru. Ich habe das Gefühl, nur
ich und Mitsuru haben nichts dazu gelernt...
Der Streit von unten aus dem Gastraum verlagerte sich in das Treppenhaus bis in
das Obergeschoss. Mahriu hörte es, als das Türenzuschlagen sie ihr nährte.
Mit der Wucht, mit der die Türen zugeworfen wurden, konnte es nur Mitsuru sein.
Mahiru überlegte, ob sie länger im Bad bleiben sollte, bis er vorbei war, oder
herausgehen und sich ihm stellen. Eine direkte Konfrontation hatte es zwischen
ihnen seit Monaten nicht gegeben, seit ihrem Trennungsstreit, und doch hatte sie
Angst davor, ihm in die Augen zu blicken. Aber die Entscheidung wurde ihr aus
der Hand genommen. Bevor sie die Zahnbürste zurück ins Glas stellen konnte,
wurde die Badezimmmertür mit einem Ruck aufgerissen. Mitsuru stand im
Türrahmen, und starrte sie mit wilden, zornigen Augen an. Mahiru musterte ihn
wortlos, raffte sich dann zusammen und wollte sich an ihm schweigend vorbei
drücken. Mitsuru allerdings fing sie ab und fasste sie am Oberarm. "Wir müssen
reden", knurrte er. Mahiru riss sich los und stolperte auf den Flur. "Wenn du in
dieser Stimmung bist, dann nicht!", sagte sie ernst und strich sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wollte unnahbar, abweisend wirken - in
Mitsurus Gegenwart jedoch fiel ihr das zunehmend schwer. "Die...", begann
Mitsuru von neuem, Mahiru schnitt ihm das Wort ab: "Egal, was du sagst, ich
höre nicht auf dich! Du hast mit Nozomu und Katsura Streit angefangen, und bist
noch böse auf sie. Ich habe keine Lust, dass du deine Wut weiter an mir
auslässt. Wir können miteinander sprechen, wenn du ruhig bist." Mit diesen
Worten drehte sie sich um und ging die Treppe hinunter, die am Ende des Flures
lag und zur Bar führte. Sie merkte die Blicke im Rücken, mit denen Mitsuru ihr
folgte, und biss sich auf die Lippen. Wie gerne hätte sie seine Angebot
angenommen, um alles einmal klarzustellen. Ihre Beweggründe, warum sie es getan
hatte... In irgendeiner Weise hing sie noch immer an ihm, aber ob es
Freundschaft oder Liebe war, konnte sie sich selbst nicht beantworten. Sein
Fehler, den er begangen hatte, war einfach zu... schrecklich gewesen.
Als sie unten ankam, nachdenklich und traurig, und die Tür zum Gastraum
öffnete, vergaß sie aber ganz schnell, was sich eben zugetragen hatte. Denn
dort erwartete sie eine Überraschung.
Kapitel 3: Besuch
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Besuch
Eine schöne Frau, mit langem schwarzem Haar und einem fuchsgleichen Gesicht,
saß an einem der Tische, die normalerweise den Gästen der Bar vorbehalten
waren. Nozomu hatte gegenüber ihr Platz genommen, und war so mit dem Rücken zu
Mahiru gedreht. Hinter ihm stand Katsura. Sie hatte die Hände auf seine
Stuhllehne gelegt, und beobachtete die Frau genauso aufmerksam wie er. Mahiru
war wie erstarrt. Ein tiefer Schock grub sich ihr in die Glieder, obwohl sie
gerade vor dieser Frau nichts zu befürchten hatte. Diese Frau hatte vor 2
Jahren akzeptiert, dass es ein Menschenmädchen war, welches ihre Rasse rettete.
Und dennoch konnte Mahiru nicht vergessen, was damals geschehen war. Masumi, wie
sie hieß, war für eine Zahl nicht weniger Verwicklungen verantwortlich: Sie
hatte Mahiru für gewisse Zeit im Mondpalast gefangen gehalten, dem Kaiser
Shirogane verschwiegen, dass seine Mutter gestorben war, und sie hatte Mitsuru
umbringen lassen wollen. Eine kurze Versöhnung war erfolgt, bevor sie die
letzte Träne des Mondes fanden. Dann hatte sie ein letztes Mal ein
schrecklicher Zorn auf die Menschen übermannt, der dazu führte, dass aus
Masumi und Shirogane ein Wesen wurde, das bereit war alles zu zerstören.
Mahiru, Misoka, Nozomu, Mitsuru und Akira hatte in es letzter Sekunde geschafft,
eine Katastrophe zu verhindern.
Heute war Masumis Blick, die die Tante von Misoka war, versöhnlich, geradezu
milde. Als sie den Kopf hob, und Mahiru erblickte, lächelte sie. Was sehr
ungewöhnlich an ihr war, dass sie "normale" Kleidung trug. Normal bevorzugte
Masumi den traditionellen Kimono, wie ihn adlige Japanerinnen im Mittelalter
getragen hatten. Heute aber war sie in eine Art blaues Kostüm gekleidet, dass
gut zu ihrem Haar passte. Sie sah aus wie eine sterbliche Frau, und nicht wie
die Fuchsdämonin, die Mahiru ansonsten kannte.
"Ah, die Nachfolgerin der Prinzessin. Wir haben uns lange nicht getroffen,
Mahriu", sagte sie. "Masumi", erwiderte Mahiru grüßend, und machte noch immer
keine Anstalten, den Raum zu betreten. Nun drehten sich auch Katsura und Nozomu
zu ihr um.
"Komm doch herein", bat Nozomu, und zeigte auf den Stuhl zwischen sich und
Masumi. "Warum sind Sie hier?", erkundigte sich Mahiru zögernd, als sie es
wagte, Nozomus Aufforderung zu folgen.
"In einer Angelegenheit des Mondpalastes.", erklärte Masumi. "Ist alles in
Ordnung mit den Tränen des Mondes?" "Ja. Sie sind sicher im Schrein. Es geht um
etwas anderes." "Kaiser Shirogane?", fragte Mahiru. Sie begriff, dass Masumi,
die eigentlich die Menschenwelt verachtete, nie freiwillig Kyoto, den ihr
anvertrauten Shirogane und den Mondpalast verlassen hätte. Dazu waren schon
triftige Gründe nötig. Wenn es ein Problem gab, hätten sie Misoka oder
Meister Oboro schicken können - stattdessen befand sich nun Masumi in der
Moonshine-Bar. "Er erfreut sich bester Gesundheit, nein", schüttelte Masumi den
Kopf und wechselte einen schnellen Blick mit Nozomu und Katsura. Mahiru wurde
unruhig. Die zwei wussten schon, weshalb Masumi hier war. Sie erkannte es an
ihren angespannten Mienen. "Ihr könnt mir ruhig sagen, was passiert ist. Ich
denke, ich werde mit solchen Dingen fertig", sagte Mahiru bestimmt, und ließ
ihre Augen von Masumi, zu Nozomu und Katsura und wieder zurück gleiten.
In diesem Moment schraken alle vier auf, weil Mitsuru die Treppe herunter
gepoltert kam. In seiner schlechten Laune achtete er nicht besonders darauf, wie
laut er war, und trug zu der gespannten Stimmung bei, die sich gerade aufbaute.
Er stutzte genauso wie Mahiru, als er Masumi abrupt wahrnahm. Nur hatte er noch
mehr Grund dazu, ihr gegenüber misstrauisch zu sein: Nachdem sie ihn mit einer
der Tränen des Mondes wieder belebt hatten, hatte Masumi befohlen, ihn zu
fangen und zu töten, damit sie die Energie der Träne zurück erhielten. Sie
war erloschen, als sie Mitsuru das Leben zurückgab.
"Was will die hier?", fauchte er, und durch vorherige Wut angestachelt,
vergrößerte sich sein Zorn. "Mitsuru, sei nicht so unhöflich. Masumi hatte
uns eine wichtige Mitteilung zu machen", berichtete Nozomu ruhig, und bedachte
Mitsuru mit warnenden Blicken. "Was hat uns die schon zu sagen?", zischte
Mitsuru, und Mahiru bemerkte angespannt, wie sich etwas an Mitsuru veränderte.
Noch waren es nur seine Augen, die zu tiefen Löchern zu werden schienen, aber
in seinem wilden Wesen... es war nur eine Frage der Zeit, bis er zu dem wurde,
was er in Wirklichkeit war: Einem Tengu, einem Berggeist. Sie sprang auf, und
lief zu ihm, fasste ihm Arm und lächelte Masumi Verständnis suchend zu.
"Verzeihen Sie bitte, wir gehen kurz hinaus." Dann zog sie ihn wortlos mit sich,
und er folgte widerwillig, ließ es aber geschehen.
Draußen, im warmen Schein der Vormittagssonne, die bereits auf ihre nackte Haut
brannte, lehnte sich Mahiru schwer atmend gegen die Hauswand der Bar und zwang
Mitsuru dabei, bei ihr stehen zu bleiben. "Wie kannst du nur?", seufzte sie halb
verzweifelt, halb aufgebracht, und musterte ihn fragend. "Ich?" Es war einmal
dieser Blick, der besagte, alle anderen seien Schuld, nur er, Mitsuru, nicht. Er
hatte tatsächlich wieder zu seinem alten Ego gefunden. Zum tausendsten Mal
fragte sich Mahiru, ob es ihre Schuld war. Hatte sie die Macht, ein Lebewesen
derart zu beeinflussen in seinen Eigenschaften?
"Sie... hast du vergessen, was sie mir antun wollte?" "Nein, natürlich nicht!
Aber vor zwei Jahren... du hattest es danach gelassen gesehen... wie so bist du
plötzlich wieder so böse auf sie? Sie will uns, Nozomu, Katsura, dir und mir,
etwas Wichtiges mitteilen. Wenn es nicht so bedeutungsvoll wäre, hätte sie
Misoka oder Meister Oboro geschickt... aber so.... das sie persönlich kommt...
überleg doch mal, Mitsuru!" "Ich? Vielleicht besser du", murmelte er, und in
dem Augenblick, als Mahiru darauf etwas entgegnen wollte, kam Masumi aus dem
Hauseingang, neben den sich Mahiru gegen die Wand gelehnt hatte.
"Hier seit ihr", sagte sie. "Du bist unerwünscht, verschwinde lieber!", knurrte
Mitsuru, jedoch Masumi ließ sich davon nicht beirren. Sie bedachte Mitsuru
alleine mit einem mitleidigen Blick, bis sie zu Mahiru sprach: "Wenn du
hingehst, wird dir Nozomu alles erzählen. Ich will, dass du es weißt,
Prinzessin. Der Kaiser Shirogane wünscht es ebenso. Und auch von dir, Tengu."
Sie deutete eine Verbeugung an, dann ging sie los und schritt die Straße
hinunter, bis sie hinter einer Hausecke verschwand. "Sie manipuliert, wo sie
kann!" Die auffälligen Zeichnungen, die darauf hinwiesen, dass Mitsuru zum
Berggeist wurde, wurden in der Geschwindigkeit weniger, in der Masum sein
Blickfeld verließ.
"Ich versteh dich nicht, Mitsuru!", sagte Mahiru sehr leise.
"Ich denke, unsere Rasse wird nie zur Ruhe finden", witzelte Nozomu, um die
getrübte Stimmung ein wenig aufzulockern, aber es gelang ihm nicht recht.
Mitsuru taxierte ihm aus einer Ecke des Gastraumes mit finsteren Blicken,
Katsura hatte sich auf den Stuhl gesetzt, wo zuvor Masumi gesessen hatte, und
schwieg. Mahiru stand neben Nozomu und nickte. Zwar waren die Neuigkeiten, die
ihnen Masumi mitgeteilt hatte, noch nichts weltbewegendes, allerdings hatten sie
etwas beunruhigendes, unheil verheißendes an sich. Es war eine Kleinigkeit,
unbedeutend winzig, und doch... sie hatte einen fahlen Beigeschmack.
Nozomu hatte keines der Details ausgelassen, die ihm Masumi berichtet hatte, als
er es Mitsuru und Mahiru erzählte. Katsura hatte ihn um manche Sachen ergänzt.
Die Reaktionen hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können: Mitsuru hatte
es ohne jede erkennbare Regung vernommen, Mahiru dagegen war bleich geworden und
hatte sogleich Vermutungen angestellt, was es bedeuten könnte.
"Masumi hat gesagt, noch sollen wir uns keine Sorgen machen", hatte Nozomu
beruhigend zu ihr gesagt, und hinzugefügt: "Sie will Kontakt mit Akira
aufnehmen, das er zurück nach Tokyo kehrt." "Warum können sie diesmal keine
anderen nehmen? Warum wieder ihr? Ich dachte, ihr habt eure Aufgabe erfüllt,
vor zwei Jahren..." "Wir sind sozusagen das Katastropheneinsatzkommando. Ich
denke, kaum andere der Lunar-Rasse kennen sich so gut aus in der Menschenwelt
wie wir. Warum sollten sie auf uns verzichten? Außerdem ist es eine große
Ehre, für das Kaiserhaus eingesetzt werden zu dürfen...." "Nein, nein." Mahiru
schüttelte den Kopf, und ließ sich die ganze Geschichte noch einmal durch den
Kopf gehen: Im Schrein, wo die Tränen aufbewahrten wurden, befanden sich
weitere wertvolle, und vor allem mächtige magische Artefakte der Lunar-Rasse.
Vor einigen Tagen hatte Shirogane festgestellt, der regelmäßig zu seinen Ahnen
durch die Tränen des Mondes betete, dass eines dieser Artefakte fehlte. Es war
wohl das am wenigsten kostbare und auffälligste Ding aus dieser schon heiligen
Sammlung, was hätte weg sein können. Und doch gehörte es zum Kronschatz, der
bereits so alt war, dass niemand mehr genau die Fähigkeiten der einzelnen
Kronschatzobjekte nennen konnte. Was, wenn es eine besonders mächtige Reliquie
war?
Die Suche begann, aber sie blieb erfolglos. Man kam zu dem Schluss, dass die
Reliquie gestohlen worden sein musste, was theoretisch unmöglich war, da der
Schrein besonders gut geschützt wurde durch starke Barrierezauber und
Bannsprüche. Es musste ein überirdisch mächtiges Geschöpf gewesen sein, dass
dazu fähig war, in den Schrein einzudringen um ein Artefakt zu entwenden.
Seltsamerweise nur hatte es alle Tränen zurückgelassen, wo gerade sie es
waren, die die wahre Kraft der Lunar-Rasse darstellten.
Darüber besorgt hatte sich Masumi geäußert, und erklärt, Misoka und Meister
Oboro seien direkt beteiligt an der Aufklärung.
Sie hatten bereits einiges entdeckt in alten Schriften über das geraubte
Artefakt. Es war ein armlanges Schwert, dessen einst silberfarbene Klinge von
Rost zerfressen und Heft und Griff zur Hälfte abgebrochen waren. Etwas, was man
wohl als letztes gestohlen hätte, wäre man bei normalem Verstand. Und doch war
es fort.
In den Texten hatte außerdem gestanden, hatte Masumi berichtet, dass es ein
Alter von über 800 Jahren zählte. Bis zur 5. Dynastie der Kaiserfamilie hätte
man es als Herrschersymbol im Mondpalast, wie eine Krone oder ein Zepter,
benutzt. Ein Zeichen der äußeren Macht.
"Und was ist nun unsere Aufgabe?", fragte Mahiru nach einer Weile. "Wir warten,
bis Akira da ist, und machen uns dann auf die Suche. Misoka und Meister Oboro
werden weiterhin im Palast bleiben und nach weiteren Schriftstücken über die
Waffe suchen." "Vielleicht kann uns die Gruppe Morgenstern helfen", meinte
Mahiru nachdenklich, und Katsura legte dabei den Kopf schief. "Du meinst Hokuto
Kodokui, Mutsura Hayashi und Keiko Himura?" "Ja", nickte Mahiru. "Sind sie
überhaupt noch in Tokyo?" "Ich habe zwar, nachdem ich die Schule verlassen
habe, nichts mehr von Keiko gehört, aber ich denke schon." "Also mir, ehrlich
gesagt, ist das alles zu suspekt", sagte Mitsuru auf einmal aus seiner Ecke.
Mahiru zuckte bei seinen Worten zusammen, und auch Katsura und Nozomu drehten
sich zu ihm hin. "Wir sollen schon wieder unser Leben riskieren, für nichts und
wieder nichts und wegen eines dummen Schwertes, das weg ist. Wahrscheinlich
haben sie nicht richtig aufgepasst und es nur verlegt!", fuhr Mitsuru fort. "Wer
sagt, wir sollen unser Leben aufs Spiel setzen? Masumi hat lediglich darum
gebeten, dass wir uns ein wenig bei den Menschen umhören, Mitsuru!", warf
Nozomu leicht gereizt ein. "Du dramatisierst die Sache viel zu sehr!" "Und ihr
alle, seit einfach nur blind", entgegnete Mitsuru mit zusammengekniffenen Augen,
stieß sich von der Wand, gegen die er sich gelehnt hatte, und fügte hinzu:
"Mich könnt ihr vergessen!" Dann verließ er den Raum.
So wieder mal ein Kapitel zu Ende^^ Ist diesmal länger geworden, als geplant.
Vielen Dank an alle, die bis hierher gelesen haben :)).
Kapitel 4: Zeichen am Himmel
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Zeichen am Himmel
Ein weit gestrecktes Tal, mit grünen, saftigen Hängen, einem glitzernden See,
in dem sich Himmel und Wolken spiegelten und einem kleinen Wäldchen tat sich
vor Akira auf. Es herrschte eine friedliche, was gespenstische Ruhe, kein Vogel
zwitscherte, nichts war zu hören.
Das Tal erinnerte Akira an seine Kindheit. Er war aufgewachsen in einem kleinen
Dorf in Hokkaido, und die Landschaft dort war fast identisch mit dieser gewesen.
Viele Jahre waren seit dem vergangen. Noch in frühster Jugend war er nach Tokio
gezogen, um dem Ruf seiner Art, der Lunar-Rasse, zu folgen. Er hatte seine
Familie zurückgelassen, die ihn seit dem Tod seiner Eltern aufgezogen hatte.
In der Moonshine-Bar hatte er sein Zuhause gefunden, bis vor zwei Jahren.
Nachdem sie alle Tränen aufgespürt und somit ihren Auftrag erfüllt hatten,
hatte Akira etwas verändern wollen. Eine Reise dazu erschien ihm am besten, und
wenige Monate später war er aufgebrochen. Seine Freunde, Nozomu, Misoka, Mahiru
und Mitsuru, hatte er seit dieser Zeit nicht wieder getroffen. Und dennoch zog
es ihn noch nicht zurück nach Tokio. Er wollte seine Reise verlängern, bis es
ihm genug erschien. Und wenn er nun dieses Tal sah, so ruhig und unberührt...
sollte er diesem wirklich das hektische Großstadtleben vorziehen? Ein
zufriedenes Lächeln trat auf sein Gesicht, als er das letzte Stück Hang
herunterrutschte, dass ihn von einer mit Blumen übersäten Wiesen trennte.
Am Abend, als die Sonne den Himmel rot und orange färbte, und sich durch ihr
Licht die Spitzen der Berge, die das Tal umgaben, umso deutlicher abhoben, hatte
Akira am Ufer des Sees ein Feuer angezündet. Einige Stunden zuvor hatte er
einige Fische gefangen, die erst nun über den tanzenden Flammen briet. Obwohl
von Natur aus eher gesellig veranlagt, störte es ihn nicht, lange Abende
alleine zu verbringen. Sicherlich hatte er in den vergangen Monaten öfters bei
Menschen übernachtet, die ihm ein Lager für die Nacht anboten. Sie dachten von
dem jungen Mann, er sei ein junger Rucksacktourist, der sich die "Hörner
abstoßen" wollte. Und so waren sie freundlich, und wollten ihn nicht im Freien
schlafen lassen. Das hatte oft zu unterhaltsamen Abenden geführt, die Akira mit
völlig Fremden verbrachte. Im Gegensatz dazu standen die einsamen Nächte in
der Natur, die er auch zu schätzen gelernt hatte.
Seine Blicke verloren sich im brennenden Feuer. Es erhellte die Umgebung, die
sich nach dem Untergang der Sonne langsam wie verdunkelte. Kleine Funken flogen
in den Himmel, und die Dämmerung gewann immer mehr an Oberhand.
Irgendwo schrie ein Nachtvogel, vielleicht eine Eule oder ein Uhu, der sich im
nahe gelegnen Wäldchen verbarg.
Er überlegte, wohin sich seine Reise als nächstes wenden sollte: Nach Norden
oder Westen? Den Süden Japans kannte er nun in- und auswendig, und in den Osten
zog es ihn nicht.
Die ersten Sterne erschienen: Kleine, goldene Punkte auf einem nun immer mehr
sich schwärzendem Tuch, zwischen ihnen eine silberne Sichel, die sich gegen die
letzten Strahlen der Sonne wehrte, die die Berge allmählich verschluckten.
Und doch würde der Patron der Lunar-Rasse, wie jede Nacht bis auf eine im
Monat, gegen die Herrscherin des Tages gewinnen. Bald, wenn er sich voll und
satt am Himmel zeigte, würde erneut auch die Lunar-Rasse stark sein.
Allerdings ahnte Akira nicht, dass diesem Himmel, der sich heute über ihn
wölbte, eine besondere Aufgabe zu teil wurde. In sich und in seine Gedanken
versunken, verlor sich Akira im Feuer. Hin und wieder spielte seine Erinnerung
einen Streich, wenn sie ihm ein ganzes bestimmtes Gesicht offenbarte. Es war die
Miene eines hübschen Mädchens namens Keiko Himura. Sie hatte sich vor über
zwei Jahren für einen anderen entschieden, und ihr allerletzter Blick, den sie
ihm zugeworfen hatte, hatte sich wie ein Brandmal in seinem Kopf festgesetzt.
Sie war einer der Gründe, warum sich Akira für diese Reise entschieden hatte.
Zuerst waren es nur wenige. Für einen Menschen wären sie nicht auffällig
gewesen, sondern ein schönes Schauspiel. Sie waren kaum zu erkennen zwischen
den anderen Sternen, die sich immer mehr über das Firmament aussäten, je
später es wurde. Dann aber begannen sie, mit jeder Minute zahlreicher zu werden
- sie durchbrachen kleine, vorbeiziehende Nachtwolken, versteckten Sterne hinter
sich wie unter einem Teppich, und tanzten in enger werdenden Kreisen um den
Mond. Wie bei einem Fackelzug zogen sie zum Mond hin, der zum Mittelpunkt ihrer
tanzähnlichen Bewegungen geworden war.
Nach weiteren Augenblicken erstarrten sie in ihrer kreisförmigen Wanderungen,
so abrupt, wie sie angefangen hatten, und verharrten als kleine, zitternde
Feuerbälle um den Mond. Jetzt wurde Akira auf sie aufmerksam. Es war, als
wären die Funken seines Feuers in den Himmel aufgestiegen und vollführten dort
jetzt ihren ureigenen Tanz.
Sie sahen aus wie Sternschnuppen, aber Akira, dem früh das uralte Wissen seines
Volkes gelehrt worden war, erkannte in ihnen etwas anderes. Ein Symbol - ein
Zeichen. Es war der Ruf der Lunar-Rasse. Er war an ihn gerichtet.
An der Formation, wie sich die "Sternschnuppen" anrichteten, wurde ihm erzählt,
was die Botschaft dieses Rufes war. Wortlos formten Akiras Lippen die Worte,
welche ihm am Nachthimmel berichtet wurden: "Akira Yamabuki, komm zurück nach
Tokio. Der Mondpalast braucht dich." Immer von vorne tanzten die Feuerbälle
diese Nachricht, bis sie sich anscheinend gewiss waren, dass Akira sie
verstanden hatten. Nach einer Weile wurde ihr wildes Glühen weniger, sie
verglimmten langsam. Als Funkenregen stürzten sie vom Firmament und
verglühten, bis sie den Erdboden erreichten. Einer von ihnen traf nicht weit
entfernt von Akira auf. Er beobachtete ihn erstarrt, und musste es erst einmal
verdauen. Selbst hier, in völliger, menschenleerer Einöde, war er an sein Erbe
gebunden.
Kapitel 5: Lange Tage (Teil 1)
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Lange Tage (Teil 1)
Seit Masumis Besuch waren zwei Wochen vergangen. 12 Tage dieser zwei Wochen war
Mitsuru verschwunden. Keine Nachricht, kein Lebenszeichen hatte er von sich
gegeben. Doch weder Nozomu, noch Katsura oder Mahiru machten sich Sorgen: Er war
derart in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen, dass dieses Verschwinden
schon typisch für ihn war.
Der Tagesablauf verlief sogar wesentlich ruhiger und entspannter. Man spürte
nicht mehr die hektische Gereiztheit, die seit etwa 4 Monaten den Alltag
bestimmte. Es war nicht mehr die Angst da, schon morgens angefaucht zu werden
wegen Nichtigkeiten - und Mahiru fühlte sich zum ersten Mal wieder wohl in der
Bar. Zwar gab es abends, wo die Bar an Gästen fast überlief, Probleme mit der
Bedienung, aber diese hatten sich schnell gelöst, als Nozomu nur noch einen
Abend in der Woche sang und dafür seinen weiblichen Gäste erfreute, wenn er
sie direkt ansprach und fragte, was er ihnen für Getränke bringen durfte.
An einem dieser Abende bediente Mahiru wie eh und je. Sie schlüpfte zwischen
Stühlen hin und her, nahm Bestellungen auf, eilte zur Theke, wo Katsura die
Cocktails mixte und alles andere managte, während eine Gastband die Gäste
unterhielt. Es war eine neue Gruppe aus Tokio, die Katsura in einer Annonce
gefunden hatte. Nachdem sie vollends, wegen Mitsurus Ausfall, den Thekendienst
übernehmen musste, hatte sie sie für zwei Abende in der Woche geordert.
Sie nannten sich "Broken Stones", und sie bestand aus vier Bandmitgliedern: Dem
Sänger Tai Ozora, Kenshin Tanaka, der das Schlagzeug spielte, Joanna Kingsley,
einer Keyboard spielenden Engländerin und ihrem Bruder Alan, der für die
E-Gitarre zuständig war. Die beiden letzten Bandmitglieder waren Kinder eines
englischen Diplomaten, und nachdem sie die internationale Schule in Tokio
abgeschlossen hatten, hatten sie sich der Musik verschrieben.
Später waren die jungen Japaner Tai Ozora, 23 Jahre alt, und Kenshin Tanaka, 22
Jahre, dazu gekommen: Die Band "Broken Stones" war gegründet. Nachdem sie
Katsura vorgespielt hatten, hatte sie ihnen die Stelle in der Moonshine-Bar
zugesichert. Sie wollte der jungen, aufstrebenden Gruppe behilflich sein, die
nach ihrer Meinung große Talente waren.
Mahiru war sich noch nicht sicher, was sie von den "Broken Stones" halten
sollte. Tai war ein eher ruhiger, zurückhaltender Typ, der aber voll aus sich
herausging, wenn er auf der Bühne stand. Aus dem japanischen Jurastudenten
wurde dann so etwas wie ein kleiner Rockstar, der besonders bei schneller,
rhythmischer Hardrockmusik aufblühte und gar nicht genug von ihr bekommen
konnte.
Kenshin war der nette Junge von neben an, immer für Scherze gut und doch auf
seine Art ernst.
Joanna war eine typische Engländerin, mit hellem Haar und wasserblauen Augen,
klein und zierlich gebaut. Sie war so ganz anders als ihr Bruder Alan. Er war
dunkelhaarig, mit lustigen, braunen Augen. Im Gegensatz zu Joanna war er
extrovertiert, und nutzte wie Nozomu jede Chance bei den Frauen, die ihm
reihenweise zu Füßen lagen.
Und vor allem war er unkompliziert. Er verhielt sich immer so, wie man
erwartete.
"Was darf ich Ihnen bringen?", fragte Mahiru, und schrieb sich einen Rotwein
auf. Der Nachbar der jungen Frau, die die Bestellung aufgegeben hatte, wollte
einen Cocktail. "Ich bringen es Ihnen gleich", sagte Mahiru freundlich
lächelnd, und lief dann zur Theke zurück. Dort war Katsura beschäftigt, alle
möglichen Cocktails anzusetzen, für die die Moonshine-Bar berühmt war. Nozomu
durchstreifte irgendwo im hinteren Teil die Bar, flirtete mit der einen oder
anderen Dame, und strahlte mal wieder sein gewinnendes Lächeln aus.
"Er ist ganz in seinem Element", grinste Katsura, und deutete in einer kurzen
Pause auf Nozomu. "Wir hätten ihn schon früher für die Bedienung einsetzen
sollen, anstatt ihn nur singen oder hinter der Theke zu lassen." "Nein, ich
denke, die vorherige Reglung war schon ganz gut; was meinst du, wie viele
Frauenherzen er schon gebrochen hat?", scherzte Mahiru. "Alleine der Frauenwelt
zu liebe sollten wir ihn, sobald Mitsuru wieder da ist, in seine alten Dienste
zurück befördern." "Mitsuru? Mahiru... ich denke...", begann Katsura
nachdenklich, allerdings rief in diesem Moment einer der Gäste Mahiru, sodass
sie ihr ein entschuldigendes Lächeln schenkte und sich von der Theke abstieß.
"Später, Katsura, später."
Im Gastraum stank es nach kaltem Zigarettenrauch. Obwohl es lange nach
Mitternacht war, riss Mahiru weit die Fenster auf. Im Juli war es besonders
mild, sodass fast noch zwanzig Grad draußen herrschten. Zufrieden, aber
erschöpft, machte Katsura Kassensturz für diesen Abend und entdeckte, dass
ihre Finanzen nichts zu Wünschen übrig ließen. Der Laden lief perfekt. Tai,
Kenshin, Joanna und Alan waren gerade dabei, ihre Musikinstrumente abzubauen.
Wie jeden Dienstag und Freitag würde Katsura ihnen noch ein kaltes Bier
spendieren, zum Ausklang des Abends. Obwohl es erst dreimal vorgekommen war, war
es rasch zu einer Gewohnheit geworden. Mahiru war sich nicht sicher, ob sie
heute Nacht daran teilnehmen sollte. Sie war zu müde, als dass sie sich noch
einmal eine halbe Stunde hin setzen können. Mit einem Kopfnicken verabschiedete
sie sich deshalb: "Gute Nacht." Bevor sie jedoch die Treppe hinauf in die
Privaträume gehen konnte, war bereits Nozomu an ihrer Seite und zog sie mit an
den Tisch, wo die "Broken Stones" und Katsura bereits Platz genommen hatten.
"Du kannst nach so einem fabelhaften Abend doch nicht einfach verschwinden!",
sagte Nozomu und drückte sie auf einen der freien Stühle. "Nozomu", begann
sie, während er vor ihr ein Glas abstellte und Wein eingoss. "Ich will..."
"Keine Widerrede! Jetzt stoßen wir an, Mahiru!", unterbrach Nozomu sie, und hob
sein eigenes Glas in die Höhe. Die Band und Katsura taten es ihm gleich, und
zögernd folgte Mahiru seinem Beispiel. Na gut, sagte sie zu sich selbst, nur
dieses eine Glas. Sie trank einen zügigen Schluck, und hätte sich beinahe
daran verschluckt. Mahiru war Alkohol nicht gewöhnt, genau wie eigentlich
Nozomu und Katsura: Ihr Getränk war nur augenscheinlich Wein; tatsächlich
handelte es sich um Johannisbeersaft, der aussah wie Wein. Und mir, dachte
Mahiru grimmig, haben sie richtigen Wein eingeschenkt. Obwohl sie mittlerweile
zwei Jahren zusammen lebten, war ihr Verständnis für Menschen in gewissen
Bereichen noch immer begrenzt: Für sie tranken Menschen nun mal Alkohol, und es
gab keine Ausnahme dabei. Waren das beste Beispiel dafür nicht Tai, Kenshin,
Joanna und Alan? Sie freuten sich über jeden Drink, den Katsura ihnen
hinstellte.
"Auf eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit." "Du hast Recht. Wenn es weiter
so gut in der Bar läuft, wird es nicht lange dauern, und wir haben unseren
Plattenvertrag!", erklärte Tai siegessicher, und hob sein Glas erneut in die
Höhe. "Und dann geben wir an, dass die Moonshine-Bar der Ort ist, wo die
"Broken Stones" berühmt geworden sind! Was werdet ihr dann für einen Zulauf
haben! Und schließlich geben wir hier immer ab und zu Konzerte..." "Ist das
nicht ein wenig zu sehr in die Zukunft gegriffen?", meinte Katsura
zurückhaltend, aber Alan legte lachend seinen Arm um ihre Schultern, und
erwiderte: "Gar nicht! Heute hat uns gerade einer gefragt, ob wir eine CD
haben!" "Ja sicher." Diese zweifelnde Äußerung kam von Mahiru. Sie mochte
Alans offene Art, jeden gleich wie einen Freund zu behandeln, nicht. Auch
Katsura schien die direkte Berührung unangenehm; sie entwand sich Alan mit
einem entschuldigenden Lächeln. "Wir werden sehen, was die Zukunft bringt."
"Das wird aber eine erfolgreiche Zukunft sein!", warf Alan ein, und stieß mit
seiner Schwester Joanna und Kenshin, den alle nur Ken nannten, laut lachend an.
Mahiru wurde die lustige Gesellschaft zu bunt. Sie trank ihren Wein, so schnell
sie konnte, und verabschiedete sich dann von Katsura, Nozomu und den Broken
Stones.
Als sie ihr Zimmer erreichte, in die völlige Dunkelheit eintauchte und die Tür
hinter sich schloss, atmete sie erleichtert auf. Sie verharrte einige Minuten,
bis sie den Lichtschalter betätigte und hinüber zur ihrem Bett ging, um den
Schlafanzug unter der Bettdecke hervorzuziehen. Im Moment war ihr einfach alles
zu viel. Fast wünschte sie sich, ebenso wie Akira für eine lange Zeit auf eine
Reise zu gehen und dem hektischen Alltag zu entkommen. Seit Mitsurus Fortgang
waren ihre Überlegungen, welche ihre Zukunft betrafen, wieder in den
Hintergrund gerückt. In dieser Situation durfte - und konnte - sie die Bar
nicht alleine in Katsuras und Nozomus Händen lassen. Die beiden hätte nie eine
Hilfskraft eingestellt, die notwendigerweise dauerhaft bei ihnen hätte wohnen
müssen, und vielleicht dann ihr Geheimnis erriet. Mahiru war und blieb der
einzige Mensch, dem sie genug Vertrauen entgegen brachten, einen Teil der
Geheimnisse der Lunar-Rasse zu wissen. Und dazu hinkam noch Masumis Besuch...
der neue Auftrag wegen des gestohlenen Artefakts... und...
Mahiru ließ sich auf ihr Bett fallen und seufzte unglücklich. Wenn es so
weiter ging, wäre sie noch für einige Jahre an die Bar und ihre Bewohner
gefesselt, obwohl sie sie eigentlich alle sehr gern hatte.
Ihre erste richtige Entscheidung war gewesen, bei ihrer Tante auszuziehen, und
nach einer solchen Entscheidung sehnte sie sich erneut.
Sie hörte, wie unten in der Bar Nozomu und Tai ein Lied zusammen sangen, laut
und durchdringend. Obwohl Nozomu keinen Alkohol getrunken hatte, führte er sich
auf, als sei er betrunken. Diese Band hatte keinen guten Einfluss auf ihn.
Mahiru war ein wenig besorgt, aber sie redete sich zu, dass Nozomu ja erwachsen
war und wusste, was gut oder schlecht war. Er war sicher verantwortungsbewusst
genug, nichts Dummes anzustellen. Sie vergrub ihr Gesicht im Kissen und tastete
blind nach dem Lichtschalter über ihrem Bett. Als sie das Licht ausmachte,
umgab sie völlige Dunkelheit, und durch das geöffnete Fenster drang das graue,
kalte Licht des zunehmenden Mondes. Vor einigen Tagen hatte Masumi ihnen eine
Nachricht geschickt, dass sie Akira erreicht hatten und er auf dem Weg zurück
nach Tokio war.
Mahiru freute sich auf dieses Wiedersehen. Er hatte viele Monate lang nichts von
sich hören lassen, und durch seine Fröhlichkeit würde vielleicht ein wenig
Abwechslung in der Bar entstehen. ,Das ist, was ich unbedingt brauche', dachte
sie, während sie kurz vor dem Einschlafen war. Akira würde wie eine Welle
ihren Kummer über Mitsuru, sein Verhalten, und über die aufgeschobene
Entscheidung über ihre Zukunft fortschwemmen.
Kapitel 6: Lange Tage (Teil 2)
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Lange Tage (Teil 2)
Als Mahiru am nächsten Morgen die Treppe zum Gastraum hinunterging, waren keine
Spuren der nächtlichen Party mehr zu sehen, außer die sich unter Katsuras
Augen zeigten. Über Nacht hatte sie sich in Shion verwandelt, sie war von Frau
zu Mann geworden. Bei den Gästen hieß ihre männliche Identität Shion und war
der Zwillingsbruder von Katsura. Shion sah Katsura in soweit ähnlich, dass er
wie sie blonde, lange Haare hatte, die er immer im Zopf trug, und natürlich die
Augenfarbe, die von einem satten Grün war.
Unter seinen Augen waren tiefe, dunkle Ringe, und er schlurfte mehr durch die
Bar als das er ging. Mahiru musste ein Kichern unterdrücken, trat hinter die
Theke und band sich eine Schürze um. "Hat es noch solange gedauert?", fragte
sie lächelnd, als sie einen Spüllappen nahm und begann, die ersten Tische
abzuwischen.
"Irgendwann in den frühen Morgenstunden sind sie gegangen... Ich und Nozomu
haben sie kaum raus bekommen. Am Ende hätten sie hier noch übernachtet... Wenn
sie nicht so gute Musik machen würden, hätte ich glaub ich..." Shion musste
den Satz nicht beenden, den Mahiru wusste, was er sagen wollte. Sie quittierte
es mit einem Lächeln.
Wenig später kam Nozomu die Treppe herunter. Er sah wesentlich erholter aus als
Shion, was vermutlich daran lag, dass die Nacht seine eigentliche Tageszeit
darstellte, weil er ein Vampir war.
Gut gelaunt wie eh und je nahm er einen zweiten Spüllappen und arbeitete sich
von der anderen Seite der Bar hindurch indem er die Tische wischte, bis er und
Mahiru sich in der Mitte trafen. "Warum bist du gestern so schnell hoch? Es
wurde noch richtig lustig..." "So was ist einfach nicht mein Ding", erklärte
Mahiru. "Und es tut mir auch leid, das sagen zu müssen, aber ich mag diese vier
Leute nicht so ganz." "Wieso? Sie sind so nett wenn man sie näher kennt..."
"... und nicht meine Sache!", wiederholte Mahiru und ergänzte somit Nozomus
Satz. Sie knüllte ihren Spüllappen zusammen und streckte sich. Heute würde
eine Zahl von Aufgaben auf sie warten; unter anderem Einkaufen. Dazu würde sie
gleich eine Freundin aus ihrer Schulzeit, Midori Kazue (*sorry, weiß nicht mehr
wie sie richtig heißt T___T*), abholen.
Mit einem Gähnen zog sich Mahiru die Schürze aus und legte sie auf einem der
Tische ab. "Ich mache jetzt Frühstück. Wer will was?"
Während Mahiru für Shion und Nozomu Eier briet, ging Nozomu hinaus zum
Briefkasten. Es war ein schöner, sonniger Julitag, und ein azurblauer Himmel
wölbte sich über Tokio. Da die Bar in einem eher ruhigeren Teil der
japanischen Großstadt lag, hörte man kaum den Autoverkehr, der zu dieser Zeit
rege auf den breiten Straßen herrschte. Das hohe, aus weißen Steinen erbaute
Gebäude mit einem Flachdach, in dem sich die Moonshine-Bar befand, lag in einer
Straße die umgeben war von Mauern. Diese Mauern begrenzten einzelne
Grundstücke und über sie hinweg wuchsen grüne, breite Büsche und hohe
Bäume.
Als Nozomu den Briefkasten öffnete, entdeckte er dort einen einzelnen Brief,
der aus einem dicken, pergamentartigen Papier bestand. Verwundert zog er ihn
hinaus und drehte ihn in der Hand. Aber bis auf die Briefmarke stand nichts
darauf; nicht die Adresse der Bar oder irgendein Absender. Einige Sekunden lang
starrte Nozomu regungslos auf den Brief, bis er sich entschloss, zurück in die
Bar zu gehen und ihn Shion zu zeigen.
Dabei bemerkte er nicht den schwarzen Schatten, der auf einer der Mauern entlang
balancierte, und ihn mit übergroßem Interesse beobachtete.
"Schau dir das an, Shion!", sagte Nozomu, und drückte ihm den Brief in die
Hand. Shion gehörte zur Rasse der Alptraumdämonen, aber in der Art, wie er den
Brief anschaute, dachte man, er habe selbst grad einen Alptraum gehabt.
"Wo hast du den her?", fragte er halb entgeistert, und Nozomun antwortete: "Er
lag im Briefkasten. Wieso?" "Er kommt aus Kyoto, vom Mondpalast." Bei diesen
Worten musterte Nozomu Shion erstaunt, aber als er etwas sagen wollte, hob Shion
die Hand und gebot ihm zu Schweigen. "Er muss von größter Wichtigkeit sein!
Weil unter anderen Umständen hätten sie uns einen Abgesandten geschickt...
also persönlich die Nachricht überbracht... Doch dieser Brief zeugt davon,
dass sie dazu keine Zeit dazu hatten..." "Woher willst du wissen, dass er vom
Mondpalast ist?" Nun mischte sich Mahiru ein. Mit einer Hand stützte sie sich
auf dem Tisch auf, an dem Nozomu und Shion standen, und blickte Shion fragend
an. "Es steht nichts darauf, dass er aus Kyoto kommt oder sonst etwas.
Vermutlich ist es nur Werbung, die jemand eingeworfen hat und sie nicht gleich
als Werbung zu erkennen geben wollte... Darf ich mal sehen?" Ohne eine Antwort
abzuwarten zog sie Shion den Brief aus der Hand und öffnete ihn ohne Skrupel.
Heraus fiel ein einziges Blatt mit einer hohen, steilen Handschrift, die sich
über die Hälfte dieses Blattes zog.
Das Blatt segelte leise raschelnd zu Boden, und als sich Mahiru danach beugte,
um es aufzuheben, bewegte es sich wie von einem sanften Windstoß getrieben fort
von ihrer Hand. Sie versuchte noch zweimal, nach dem Blatt zu greifen, bis Shion
sie leise lachend zur Seite schob und selbst danach fasste. "Du wirst dieses
Blatt nicht kriegen, Mahiru!", sagte er, und hob es auf. "Dieser Brief ist aus
dem Mondpalast, und der Zauber, der auf ihm liegt, erlaubt es nur einem
Angehörigen unserer Rasse, dieses Papier zu berühren. Das eben war der Beweis
dafür." Beleidigt verschränkte Mahiru die Arme. "Nach all der Zeit vertraut
ihr mir noch immer nicht?" "Es liegt nicht daran, dass du es bist, sondern dass
du ein Mensch bist.", erklärte Shion.
"Dürfte ich dann wenigstens den Inhalt des Briefes erfahren? Denn es ist schon
sehr untypisch, dass die Lunar-Rasse einen Brief schreibt, denke ich, oder? Wenn
sie uns irgendeine Botschaft senden wollten, hätten sie Misoka oder Meister
Oboro oder Masumi geschickt..." "Lass ihn erst Shion lesen. Er soll entscheiden,
ob wir beide es hören dürfen, Mahiru.", warf Nozomu.
Shion begann den Brief zu lesen. Er verzog dabei keine Miene, und gab so keine
Zeichen darauf, was für ein Inhalt der Brief besaß.
Erst nach Minuten senkte Shion den Brief ab und runzelte die Stirn. "Das ist
sehr ungewöhnlich!", bemerkte er, und seine Augen huschten noch einmal über
einige Zeilen, um auch richtig deren Inhalt zu erfassen. "Was denn?", erkundigte
sich Nozomu interessiert. "Das Schreiben stammt tatsächlich aus Kyoto. Aber es
haben weder Meister Oboro, noch Misoka oder Masumi aufgesetzt... nicht einmal
ein niederer Diener oder dergleichen. Dieser Brief ist von Kaiser Shirogane
direkt an uns gerichtet. Er betrifft uns alle, soviel ich verstehe, auch dich,
Mahiru. Denn Shirogane nennt dich bei deinem offiziellen Titel: Nachfolgerin der
Prinzessin." "Dann kannst du ja auch sagen, was drin steht!", verlangte Mahiru.
"Ich lese ihn vor, das ist besser.", sagte Shion und begann, den Brief
vorzulesen:
An Katsura Shion, Vorsteher der Außenstelle in Tokio und Alptraumdämon,
an Nozomu Moegi, Vampir und Untergebener von Katsura Shion,
an Mitsuru Suou, Tengu und Untergebener von Katsura Shion,
an Mahiru Shirashi, Nachfolgerin der Prinzessin und Mensch
Wie die Dame Masumi berichtete, wurde vor einiger Zeit ein magisches Artefakt
aus dem Kronschatz geraubt, der sich in dem Schrein befindet, wo die Tränen des
Mondes aufbewahrt werden. Man maß dieser Reliquie keine große Bedeutung zu,
nur deswegen, weil sie Teil des Kronschatzes ist und einst als Machtsymbol für
meine Familie verwendet wurde.
Euch wurde die Aufgabe zugeteilt, das Artefakt zu suchen, sobald der Werwolf
Akira Yamabuki wieder nach Tokio zurückgekehrt ist. Wie wir erfahren haben,
wird Akira in zwei oder drei Tagen eintreffen. Zwischenzeitlich haben auch
Meister Oboro, mein Onkel, und sein Gehilfe Misoka einiges über dieses Artefakt
herausfinden können.
Wie die Dame Masumi euch erzählte, handelt es sich um ein Schwert, dass nur
noch im historischen Sinne wertvoll ist, wie wir zuerst dachten. Seltsam war
nur, dass der Dieb, dessen Identität wir bis heute nicht kennen, erstens in den
Schrein ohne Probleme gelangen konnte, der der best geschützte Ort im Palast
ist, und zweitens ohne Spuren zu hinterlassen wieder hinauskam und sich nur an
diesem Artefakt, und nicht an den Tränen des Mondes, die unsere wahre Stärke
darstellen, vergriff.
Dahinter vermutete Meister Oboro, dass diesem Schwert eine größere Bedeutung
zukommt als zuerst angenommen.
Die Nachforschungen ergaben jedenfalls, dass dieses Schwert in der 1. - 5.
Dynastie meiner Familie "Zeitenklinge" genannt wurde und anscheinend einen
mächtigen Zauber in sich trug, dessen Natur uns noch unbekannt ist. Bis zur 5.
Dynastie wurde "Zeitenklinge" als äußerliches Machtsymbol meiner Familie
genutzt, wie es in alten Quellen steht. Warum sie dann abrupt nach der 5.
Dynastie verschwand, und ihr Name nicht mehr auftauchte, ist ungewiss. Misoka
fand nur einen einzigen Vers, der darauf hindeutet:
,In alten Zeiten verklang
ihre Stimme,
als Mächtige sie zerbarsten.
Gebrochen und blind
sucht sie ihren
Weg.
Beraubt ihrer Stärke
sie einst einhüllte
wie ein schützendes
Schild. Sie verkündet Unheil
des Kaisers Geschlecht,
erstarkt sie neu und ihrer Rache
geführt durch des Bastards Hand,
wird gerichtet gegen das Reich.
So bewegt man sie, sich selbst
zu dienen.'
Es ist undeutlich, welche Kräfte ihr zugeschrieben werden, sicher ist aber,
dass man anscheinend diesen Zauber, der auf ihr lag, brach. Warum und weshalb,
wie schon erwähnt, konnten weder Meister Oboro noch Misoka herausfinden.
Aber alleine dieser Vers reicht, um uns wissen zu lassen, dass diese Waffe nicht
ganz so harmlos ist. Sie muss gefunden werden. Diese Pflicht obliegt Euch.
Sobald Akira zurück ist, beginnt eure Aufgabe.
Ihre Majestät, Kaiser Shirogane
Nozomu seufzte schwer, nachdem Shion geendet hatte. Er hatte Schwierigkeiten
erwartet - aber das auf eine Sache wie bei den Tränen des Mondes herauslief,
hatte er nicht gedacht.
Er nahm Shion den Brief ab und las ihn selbst noch einmal durch, während Mahiru
versteinert am Tisch stand und bleich war wie der Mond im Gesicht.
"Es ist, als würde es von vorne anfangen!", murmelte sie, und blickte Shion ein
wenig schockiert an. "Oder etwa nicht?" "Wir werden tun, was unser Kaiser
verlangt", erklärte Shion, "und was du tust, bleibt dir überlassen. Als Mensch
muss du ihm nicht gehorchen, aber vielleicht als fühlst du dich als
Nachfolgerin der Prinzessin uns verpflichtet."
"Wo denkst du hin! Natürlich helfe ich euch... ungeachtet dessen, ob ich
Prinzessin oder sonst etwas bin!", beschwerte sich Mahiru, jedoch sah man ihr
die Anspannung deutlich an.
Allerdings hatte die Sache ein Gutes für Mahiru: Akira würde nach Tokio
zurückkommen. Sie rechnete nach, wie lang sie ihn nicht gesehen hatte -
bestimmt über ein Jahr und länger. Und das er nun in 2 bis 3 Tagen hier
eintreffen sollte...
"Was tun wir ohne Misoka? Meinst du, Shion, er ist so unabkömmlich in Kyoto? Er
wäre uns sicher eine große Hilfe!", sagte Nozomu nachdenklich. "Zur Not kommen
wir auch ohne ihn zurecht. Wenn doch nicht, lassen wir einfach nach ihm
schicken.", bemerkte Shion. "Gut."
"Ich würde vorschlagen, wir frühstücken jetzt erst einmal, bevor weitere
Entscheidungen getroffen werden!", schlug Mahiru währenddessen vor. "Ja, ich
denke, dass ist eine gute Idee."
PS: Für eventuelle Fehler, was Aussehen, Namen, Beschreibungen usw. angeht:
Sorry! Leider kann ich nicht immer ganz genau nach dem Original gehen. Ich
versuche in Zukunft, solche Fehler zu umgehen! Falls jemanden etwas auffällt,
kann er mir gerne bescheid sagen.^^
Kapitel 7: Ein Tag in der Stadt (Teil 1)
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Ein Tag in der Stadt (Teil 1)
Drei Tage waren vergangen, seit der Brief aus Kyoto in der Moonshine-Bar
angekommen war.
Sie, Nozomu und Shion erwarteten nun fieberhaft die Ankunft von Akira. Jeden
Morgen sahen sie hinauf auf die Straße, und hofften den kurz geschnittenen
Schopf des Werwolfes zu sehen und seine Piercings, die sein ganzer Stolz waren.
Shirogane hatte geschrieben, er würde in zwei bis drei Tagen in Tokio
eintreffen. Daraus wurden vier Tage, schließlich eine ganze Woche. Auch was
Mitsuru betraf, wurden die drei allmählich unruhig. Er sollte an diesem Auftrag
genauso teilnehmen wie sie selbst und Akira, und bis jetzt hatte er kein
Lebenszeichen von sich gegeben. Als er fast 3 Wochen fort war, begann sich
Mahiru ernsthaft Sorgen zu machen. Obwohl sie es nicht zugab, war es nicht
alleine Akira, auf den sie wartete.
Dieses Wochenende entschloss sich Shion, die Bar geschlossen zu lassen. "Wenn
einer der beiden hier Samstag oder Sonntag auftaucht, möchte ich mit jedem in
Ruhe sprechen.", murmelte Shion vor sich hin. Den Broken Stones sagte er
telefonisch ab, und erzählte danach, Joanna, die auch gleichzeitig Managerin
der Band war, habe sich furchtbar aufgeregt. "Sie sagt, sie brauchen das Geld,
das sie bei uns verdienen. Sie könnten es sich nicht leisten, auch nur einen
Auftritt ausfallen zu lassen.", berichtete er mit gerunzelter Stirn.
"Sie gehen mir auf die Nerven!", stieß Mahiru hervor. "Dieser Alan, dieser Tai,
dieser Ken und diese Joanna - von mir aus können sie bleiben, wo der Pfeffer
wächst." Mit diesen Worten knallte sie die Haustür zu, in deren Rahmen sie
gestanden hatte und stapfte die Straße hinauf, in der die Bar lag. Sie würde
sich heute mit Midori Kazue, ihrer alten Schulfreundin, wieder einmal zum
Shoppen treffen.
Midori hatte mittlerweile eine Ausbildung zur Rechtsanwaltgehilfin begonnen. Sie
war genauso alt wie Mahiru, nämlich 19, und ließ sich oft in der Bar blicken,
wenn sie Zeit hatte.
Gut gelaunt wie eh und je unterfasste sie Mahiru, als sie sich in der City von
Tokio trafen, und klatschte gut gelaunt über die neusten Gerüchte. Wie fast
alle Frauen, die Nozomu begegneten, war sie von ihm sofort begeistert gewesen
und fragte Mahiru regelmäßig über ihn aus.
Midori hatte langes, schwarzes Haar und trug heute ein graues Top und einen
grünen Rock. Mahiru wich Midoris Erkundigungen über Nozomu mit einem Lächeln
aus und zog ihre Freundin an zahlreichen Geschäften vorbei, bis sie den Laden
fand, den sie gesucht hatte. In der Zeitung hatte ein großer Artikel über ihn
gestanden wegen seiner Neueröffnung, und nun wollte Mahiru ihn sich ansehen.
Es war eine kleine Boutique mit einem Mischmasch aus traditioneller Kleidung und
modernen Sachen, die zwischen riesigen, glitzernden Wolkenkratzern eingeklemmt
war.
Im Inneren der Boutique drängten sich zahlreiche Menschen, und es war so heiß,
dass man kaum atmen konnte.
Mahiru schlüpfte zusammen mit Midori ein einer kleinen, dicken Frau vorbei bis
in den hinteren Teil des Geschäftes, wo sich die Röcke befanden. Ein Schild,
das von der Decke hing, verkündete dies.
Auch dort waren bereits viele Mädchen in Mahirus und Midoris Alter, und obwohl
Mahiru solch ein Gewühl eigentlich nicht mochte, stürzte sie sich hinein als
sie einen hellroten Rock entdeckte, der ihr ausnehmend gut gefiel. Eine andere
junge Frau griff ebenfalls nach dem Kleidungsstück, ein kurzes Gerangel
entstand bis Mahiru triumphierend den Rock in den Händen hielt und die Frau mit
sauertöpfischer Miene abzog. Midori begutachtete ihn fachmännisch. "Er könnte
dir passen!", sagte sie, und zog am weichen Stoff des Rockes. "Zumindest die
Jungs werden dir hinterherlaufen!" "Das will ich gar nicht!", wehrte Mahiru, die
rot wurde, ab, und suchte über zahllose Köpfe hinweg die Umkleidekabinen. Als
sie aber feststellen musste, dass sich vor den drei einzigen Kabinen in der
Boutique lange Schlangen gebildet hatten, verspürte sie nicht die Lust, sich
dort anzustellen. Noch einmal musterte sie den Rock kritisch, bis sie seufzend
ihn zurück an die Stange hängte, und die andere Frau, die ihn ebenfalls
gewollt und in der Nähe bei einigen Shirts nach weiteren Sachen gesucht hatte,
ihn nun sekundenschnell zu fassen bekam.
"Warum hast du das getan, Mahiru?", fragte Midori leicht entrüstet, und machte
Anstalten der Frau nachzulaufen, die jetzt stolz lächelnd sich einen Weg
Richtung der Kabinen bahnte. "Ich habe keine Geduld, mich da jetzt anzustellen.
Komm, lass uns gehen!", erklärte Mahiru bestimmt und wollte Midori mit sich aus
der Boutique ziehen. Midori jedoch entriss ihr ihren Arm und stemmte die Hände
in die Hüften. "Du wolltest unbedingt in diesen Laden, Mahiru. Wir sind kaum
fünf Minuten hier drin, und du lässt zu, dass diese doofe Kuh die einfach das
Ding da weg schnappt? Du bist immer in den falschen Situationen ohne Ehrgeiz!"
"Es hat doch eh keinen Sinn... wir hätte sehr lange warten müssen und..." "Das
ist doch kein Grund!", unterbrach Midori sie, drehte sich auf dem Absatz um und
lief der Frau nach, die Mahirus Rock ergattert hatte.
Mahiru seufzte erneut, und eilte Midori nach. Sie hielt sie noch einmal fest,
und zwang sie, sich zu ihr umzuwenden. "Was macht das für einen Sinn, Midori?
Komm, wir gehen raus. Es ist heiß hier, hätte Lust auf ein Eis oder irgendwas
anderes zu essen. Du willst doch nicht blöd hier rum stehen während ich den
Rock anziehe? Außerdem hat diese Frau ihn mittlerweile, und ich habe kein
Recht, ihn ihr abzunehmen. Okay?"
"Ich versteh dich nicht, Mahiru!", brummelte Midori und gab sich schließlich
geschlagen. Gemeinsam verließen die Mädchen die Boutique und ließen sich von
dem Strom Menschen mitreißen, der sich in der Fußgängerzone der City von
Tokio gebildet hatte.
Bald kamen Midori und Mahiru auf einen offenen Platz, eingegrenzt von zahllosen
silbernen Hochhäusern, in deren Fassaden sich das makellose Blau des
Augusthimmels wieder spiegelte.
Auf dem Platz spendeten Bäume mit riesigen, breiten Kronen Schatten. Unter
ihnen hatten viele Cafes und Eisgeschäfte ihre Tische und Stühle aufgebaut,
sodass sich die Leute dort von der Hitze der sengenden Sommersonne im Schatten
erholen konnten. Schon seit Jahren hatte es keinen so heißen Sommer mehr in
Japan gegeben, und man war froh um jeden kühlen Wind, der zwischen den engen
Gassen und breiten Autostraßen der Stadt entlang strich.
Plätze im Schatten waren ebenfalls begehrt, und so hatten Mahiru und Midori
Mühe, einen freien Tisch bei einem der Eiscafes zu finden. Erst nach einer
halben Stunde entdeckte Midori einen Tisch für vier Personen unter einem der
Ginkos, wie die Bäume hießen, die hier mitten in der Stadt wuchsen, und riss
Mahiru im Laufschritt mit sich, damit sie den Tisch vor einem älteren Ehepaar,
dass ebenso zielstrebig darauf zu ging, bekamen.
Heftig schnaufend ließ sich Midori auf einen der Stühle fallen und grinste
triumphierend dem Ehepaar entgegen, dass mit beleidigtem Gesichtausdruck abzog.
Mahiru war die ganze Sache peinlich und sie zögerte, sich zu setzen. Sie fand
es unhöflich, älteren Leuten einen Sitzplatz wegzunehmen, und wollte Midori
dazu bewegen, wieder aufzustehen und dem Ehepaar den Tisch zu überlassen.
Midori schüttelte aber eigensinnig den Kopf. "Hör zu: Ich hole jetzt ein Eis
für uns und passt drauf auf, dass niemand den Platz fortnimmt. Ich bin gleich
wieder zurück, okay?"
Bevor Mahiru noch etwas erwidern konnte, war Midori schon wieder aufgestanden
und eilte hinüber zum Eiscafe. Sie kannte die Sorten, die Mahiru immer nahm,
weil es stets dieselben waren: Zitrone und Schokolade mit Sahne.
Verlegen musterte Mahiru die graue Tischplatte, als Midori nach zehn Minuten
nicht zurück war. Das Cafe war genauso überfüllt wie der gesamte Platz und
die Tische unter den Bäumen, und sie musste deshalb lange anstehen.
Mahiru war es unangenehm, hier alleine zu sitzen, und nichts zu tun. Es sah so
aus, als benötige sie den Tisch für nichts, und sie war sich sicher, dass
gleich jemand kommen und sie darauf ansprechen würde.
Es würde tatsächlich jemand kommen, der sie ansprechen würde. Aber nicht auf
die Tatsache, dass sie völlig einsam mitten in City einen der begehrten Tische
im Schatten blockierte, ohne erkennbaren Zweck. Sondern wegen etwas ganz
anderem.
Während sich in Tokio und Kyoto neues Übel für die Lunar-Rasse herauf
beschwor, und sich Akira noch irgendwo in Japan herumtrieb, hielt sich Mitsuru
immer noch in der Hauptstadt Japans auf. Er war in den Untergrund gegangen, um
Abstand von der Bar und seinen Freunden zu gewinnen. Seit mehr als drei Wochen
verbrachte er die Nächte auf einer Baustelle, und zog tagsüber außerhalb der
Stadt übers Land oder machte einfach nur lange Spaziergänge quer durch Tokio.
Ihn erfüllte eine tiefe Unruhe, die ihn dazu trieb, ständig umherzuwandern und
seine Umgebung aufs Genauste zu beobachten. Diese Unruhe schien sich über
seinen ganzen Körper auszubreiten und schärfte seine Sinne aufs äußerste.
Nie hatte er besser gehört, gesehen oder gerochen als jetzt, nie war seine
Umgebung ihm mehr ins Bewusstsein gerückt. Er nahm alles um sich sehr intensiv
wahr, er vernahm die leisesten Geräusche, roch jede Kleinigkeit auf seinen
Wanderungen und sah jedes Ding, mochte es auch nur ein Staubkorn sein. Mit ihm
hatte eine Veränderung stattgefunden. Und solange diese anhielt und nicht
abgeschlossen war, war er nicht bereit, zurückzukehren zur Moonshine-Bar.
In den letzten Nächten, in denen der Mond besonders hell und klar ohne eine
einzige Wolke am Firmament gestanden hatte, war diese Veränderung besonders
stark gewesen. Die Dunkelheit war für ihn nicht mehr wichtig gewesen, da er nun
alles erblickte wie im Licht der Sonne.
Selbst als er auf einem Wolkenkratzer mitten in der Nacht gesessen hatte, der
fast 150m hoch war, hatte er unten auf dem Boden eine Mutter mit ihrem Kind so
gesehen, als wären sie direkt vor seiner Nase vorbeigelaufen.
Mitsuru war klar, dass seine Kräfte wuchsen mit dieser Entwicklung, die sein
Körper durchmachte. Es beunruhigte ihn jedoch, weil er nicht die Gründe dafür
kannte - und es machte im Angst, vielleicht eines Tages nicht mehr zu wissen,
wer er war.
Kapitel 8: Ein Tag in der Stadt (Teil 2)
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Ein Tag in der Stadt (Teil 2)
Es war Nachmittag. Die Hitze hatte ganz Tokio in ihren Besitz genommen.
Ventilatoren, die in der Bar ständig liefen, brachten keine Linderung. Selbst
die Klimaanlage vermochte nichts gegen die quälende Schwüle auszurichten, in
der man jegliche Lust verlor, irgendetwas zu tun.
Auch Nozomu erging es so. Gemeinsam mit Shion saß er in der Sofaecke in den
Privaträumen der Bar und schaute eine Sendung im Fernsehen, die ihn überhaupt
nicht interessierte. Hauptsache nur Ablenkung finden von der erdrückenden
Hitze.
"Die Meteorologen sagen, es ist der heißeste Sommer in Japan seit Jahren",
meinte Shion beiläufig und wedelte sich mit einem Fächer kühle Luft zu.
"Und was hilft es uns? Bevor es nicht September wird, bleiben diese
Temperaturen!"
Beide versanken in Schweigen. Die Hitze war nicht das einzige Problem. Seit
Tagen hatten sie nichts von Mitsuru, noch von Akira gehört. Shion hatte mehrere
Nachrichten an den Palast in Kyoto geschickt, um zu erfahren, ob sie näheres
über den Aufenthaltsort von Akira wussten.
Sie hatten keine Antwort erhalten. Mahiru hatte sich am Morgen besorgt darüber
geäußert, aber Shion hatte den Zuversichtlichen gespielt und gemeint, Akira
würde bestimmt irgendwo nur aufgehalten - warum sollte er sonst nicht
auftauchen?
Nozomu ließ seinen Kopf auf die Lehne des Sofas sinken. "Ich hasse das!",
murmelte er mit geschlossenen Augen. Shion griff nach dem Eistee, den er gemacht
hatte. Innerhalb weniger Minuten waren die Eiswürfel geschmolzen, die er
zusätzlich hinein getan hatte, und waren jetzt nur noch winzige, durchsichtige
Klumpen.
Er trank einen Schluck und stellte das Glas zurück auf den Wohnzimmertisch. "Es
hat keinen Sinn, Nozomu.", sagte er. Nozomu brummte. "Was denn?" Er hatte es
gerade geschafft, seine Gedanken soweit abschweifen zu lassen, dass sie sich
nicht mehr alleine um die Probleme mit Mitsuru und Akira, dem neuen Auftrag und
der Umgebungstemperatur drehten. "Ich denke, wir müssen die Erlaubnis des
Kaisers ersuchen, selbst nach Akira zu suchen. Und ich glaube auch, es wäre das
Beste, wenn wir dem Mondpalast mitteilen, dass Mitsuru seit Wochen abwesend ist
und wir deshalb den Auftrag nicht beginnen können, selbst wenn Akira noch
eintreffen sollte."
"Dieser Auftrag, Shion... Er liegt mir schwer im Magen. So wie sich das
angehört aus der Botschaft des Kaisers, ist diese "Zeitenklinge" nicht ganz so
harmlos wie am Anfang gedacht. Und auch diese Verse... ,Beraubt ihrer Stärke
sie einst einhüllte wie ein schützendes Schild...'. Diesem Schwert müssen
mächtige Zauber in gewohnt haben in früheren Zeiten, die jetzt zwar erloschen
sind... dennoch aber wird erweckt können, oder nicht? Wir wissen nichts über
den Dieb dieses Artefakts, noch..." "Sei ruhig, Nozomu. Hörst du es nicht?",
unterbrach Shion ihn plötzlich.
Er war aufgefahren. Seine Augen wanderten durch den Raum, er strahlte höchste
Wachsamkeit aus. Verwundert musterte Nozomu ihn und machte keine Anstalten, sich
aufzusetzen. "Was denn? Da war nichts!" "Doch, ein Geräusch. Unten, in der
Bar!", beharrte Shion und stand auf. Er schlich in Richtung der Tür, die auf
den Flur führte von dem man aus über die Treppe in den Gastraum und in die Bar
gelangte.
"Vielleicht ist irgendwas runter gefallen oder so...", erklärte Nozomu müde.
Shion war aber schon aus dem Wohnzimmer gegangen und stand am oberen Ende der
Treppe. Er starrte die Treppe hinab zur Tür, durch die man zum Gastraum kam,
und die nur einen Spalt angelehnt war. Da waren sie wieder, diese Geräusche.
Schritte. Leises, jedoch hektisches Atmen.
Shion schloss einen Einbrecher aus. Am hellen Tag? Nein, das konnte nicht sein.
Mit einer Hand, die an der Wand entlang strich, schlich Shion die Treppe
hinunter. Nozomu war ihm aus dem Wohnzimmer gefolgt und hielt sich nun
seinerseits oben an der Treppe auf und beobachtete Shion mit interessierten
Blicken. Shion wollte den Überraschungsmoment nutzen.
Mit einem gewaltigen Ruck riss er die Tür auf und sprang in den Gastraum,
versteifte sich gleichzeitig in seiner Bewegung und erstarrte wie eine Eisfigur.
Ein junger Mann stand mitten zwischen Tischen und Stühlen. Sein Haar war
schulterlang, über einer Schulter trug er lässig einen Reiserucksack. Sein
T-Shirt, das er trug, war zwar verknittert aber sauber. Sein Blick war etwas
müde, und wirkte ganz wie so jemand, der gerade eine lange Reise hinter sich
gebracht hatte. "Was ist los, Shion?", rief Nozomu von oben, und als er keine
Antwort erhielt, eilte er die Treppe hinunter. Ihm erging es ganz genau wie
Shion. Im Türrahmen blieb er stehen, unfähig jeglicher Bewegung, und konnte es
nicht fassen. Ein Gedankenstrom wirbelte in seinem Kopf, als er ihn erblickte,
verglich in mit alten Bildern, die in seiner Erinnerung gespeichert waren,
verwarf sie wieder, weil sie ganz und gar nicht auf das Bild passten, dass sich
ihm jetzt bot.
Die Piercings auf Akiras Gesicht waren verschwunden. Er wirkte älter, reifer.
Erst als er begann zu lächeln, nachdem er sie als Shion und Nozomu registriert
hatte, war da wieder das alte Gesicht des ständig fröhlichen und gut gelaunten
Akiras - nur hatte es etwas von seiner Kindlichkeit verloren.
"Da bin ich... Es hat zwar länger gedauert, als gedacht... aber ihr wisst ja...
diese menschlichen Verkehrsmittel... manchmal sind sie einfach...", versuchte
Akira grinsend zu erklären, doch ihm versagte die Stimme. "Verdammt noch mal!",
schrie Nozomu und löste sich als erster aus seiner Erstarrung. Er rannte auf
Akira zu, packte ihn an den Schultern und betrachtete ihn eingehend, bevor er
ihn umarmte. "Verdammt noch mal, du bist wieder da!", fluchte er erneut aus
lauter Freude, und erst Minuten später begriff auch Shion, dass so eben Akira
in der Moonshine-Bar in Tokio wieder angekommen war.
Ein bisschen kurzes Kapitel, muss mir aber erst mal Gedanken machen, wie es
weitergeht... :) Natürlich werden Mitsuru und Akira jetzt viiieeel häufiger
vorkommen, versprochen! Denn der Akira ist ja jetzt zurück XD Vielen Dank an
alle, die bis hierher es geschafft haben, zu lesen!!!
Viele Grüße, Akuma-san ;)
PS: Sorry für eventuelle Rechtschreiberfehler, Satzstellungsfehler etc... heute
musste das schreiben schnell gehen! :)
Kapitel 9: Ein Tag in der Stadt (Teil 3)
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Ein Tag in der Stadt (Teil 3)
Vielen Dank erst Mal an meine lieben Kommi-Schreiber!!! Jedes einzelne Kommentar
freut mich umso mehr!!!
Ich denke, dass musste ich mal loswerden. ;))
Und sorry, das es länger mit dem neuen Kapitel gedauert hat. Ich habe grad sehr
viel zu tun, und das wird sich auch in den nächsten Wochen nicht ändern...
versuche trotzdem regelmäßig weiter Kapitel hochzuladen.
Viele Grüße, Akuma-san :))
„Das ich dich hier in der Stadt treffe…“ Die Stimme klang gut gelaunt und
überrascht. Und Mahiru nur allzu vertraut. Innerlich seufzte sie, und drehte
sich auf ihrem Stuhl um. Alan stand ihr gegenüber, fröhlich lachend, die eine
Hand lässig in der Hose versenkt. Trotz der großen Hitze trug er ein
langärmliges, aber dünnes Shirt und Jeans. Eine Sonnenbrille saß auf seinem
Kopf in deren Gläsern sich die Sonne widerspiegelte.
Von Alans Bandmitgliedern war nirgends etwas zu sehen.
Mahiru betete, dass Midori hoffentlich sofort käme. Sie hatte keine Lust, sich
mit diesem Typen zu unterhalten – doch bevor sie etwas sagen konnte, hatte
sich Alan bereits an den Tisch gesetzt und grinste sie freudestrahlend an.
„Bist du heut ganz allein in der City?“, fragte er und musterte sie
aufmerksam. „Nein, eine Freundin ist hier. Und es wollte vielleicht auch ein
paar andere Freunde dazu gekommen. Wir halten für sie die Plätze an diesem
Tisch frei, von denen du gerade einen besetzt.“ Mahiru log, um Alan
loszuwerden. Aber es misslang ihr.
„Ach ja? Dann steh ich halt auf, wenn sie da sind.“, runzelte Alan die Stirn
und tat so, als sei mache ihm diese Tatsache wirklich Sorgen.
Obwohl Alan sehr Nozomu in seinem Charakter glich, konnte Mahiru nicht sagen,
warum gerade er ihr dermaßen auf die Nerven ging. Seine pure Anwesenheit
reichte aus, sie auf die Palme zu bringen, wes wegen sie versuchte, wenn die
Band abends in der Bar spielte, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.
„Ich…“, begann sie gerade, als sie sah, wie sich Midori aus einer
Menschenmenge heraus drängelte, beide Hände voller Eis. Sie wirkte ein wenig
abgekämpft, und ließ sich dann mit einem Schnaufen auf ihren Stuhl fallen.
„Das war wie eine Schlacht! Die Leute heutzutage… die nehmen überhaupt
keine Rücksicht aufeinander! Weißt du, der eine…“ Midori stockte, als sie
registrierte, dass Mahiru nicht mehr alleine am Tisch saß.
„Hi.“ Alan winkte grinsend. „Wir kennen uns noch nicht, oder?“
„Äh…“ „Midori, dass ist Alan Kingsley. Er ist ein Mitglied der Broken
Stones. Die Band die bei uns in der Bar spielt, weißt du? Und er wollte gerade
wieder gehen.“, erklärte Mahiru mit Nachdruck und fixierte Alan mit festen
Blicken. „Ach… die Broken Stones? Du hast nicht viel über sie erzählt,
Mahiru“, sagte Midori. „Das hat auch seine Gründe, Midori.“
Leicht gereizt aß sie ein wenig Eis und starrte finster vor sich hin. Sie hatte
keine Lust, noch ein Wort mit Alan zu wechseln – sie hatte sich auf zwei
Abende ohne ihn gefreut.
Ein weiteres Seufzen entglitt ihr. Diesmal war es zu hören. Aber weder Midori
noch Alan nahmen es wahr.
‚Wenn endlich Akira und Mitsuru zurückkämen’, dachte sie und versuchte
sich auf diese Weise, von Alan abzulenken. ‚Ich mache mir ernsthaft Sorgen.
Der Kaiser sprach davon, dass Akira eigentlich hätte vor Tagen hätte
auftauchen sollen… und er hat nicht einmal eine Nachricht geschickt, warum
sich seine Ankunft verzögert. Das gleiche ist es mit Mitsuru. Seit er in sein
altes Verhalten zurückgefallen ist, kann man überhaupt nicht mehr mit ihm
reden. Und außerdem… das er auch nichts von sich hören lässt… er ist so
ein Idiot.’
Mahiru spürte ein flaues Gefühl im Magen. Um beide – Akira und Mitsuru –
machte sie sich gleichermaßen Sorgen, vielleicht um Mitsuru sogar ein wenig
mehr. Sein Groll gegen Menschen hatte er nie ganz abgelegt und war ihnen
gegenüber noch misstrauisch. Sie war eine der wenigen Ausnahmen, denen er
vertraute.
Außerdem waren da noch unausgesprochene Worte zwischen ihnen…
„Hey, Mahiru! Hallo! Was hältst du von Alans Vorschlag?“ Midori schrie fast
über den Tisch hinweg. Sie war mit ihrem Eis bereits fertig, und tippte
ungeduldig mit ihren Fingern auf der Tischfläche herum. „Hm?“ Mahiru
blickte ein wenig verwirrt auf. Sie hatte gar nichts mehr von ihrer Umgebung
bemerkt.
„Alan hat vorgeschlagen, mit uns ins Kino zu gehen. Da läuft in einer Stunde
oder so ein Film an, den wir uns beide sowieso angucken wollten. Und Alan hat
gemeint, er würde uns gerne begleiten.“, wiederholte Midori ungeduldig.
„Mit Alan?“ „Ja, mit Alan! Jetzt komm, du lahme Ente!“ Mahiru entdeckte,
dass sie ihr Eis erst zur Hälfte gegessen hatte und ließ sich Midoris
Vorschlag durch den Kopf gehen. Mit Alan ins Kino gehen. Länger Zeit mit ihm
verbringen als gewollt. Bevor sie einen Einwand dagegen bringen konnte, hatte
war Midori aufgestanden und hatte ihre Hand gepackt. „Wenn wir rechtzeitig da
sein wollen, müssen wir jetzt los. Es bleibt keine Zeit, dein Eis zu essen.“
„Aber…“ „Ist okay. Los jetzt.“ „Ich wollte es aber fertig essen!“
„Ich kauf dir beim Kino noch eins, ja?“, lächelte Alan und stand ebenfalls
auf.
Gezwungenermaßen erhob sich nun auch Mahiru. Alles in ihr widerstrebte, Midori
und Alan zu begleiten. Anscheinend verstanden sich ja beide gut – warum
sollten sie nicht zusammen gehen? „Midori, ich habe jetzt keine Lust ins Kino,
ja? Ich geh besser zur Bar zurück… Es ist so heiß und dann noch in ein
stickiges Kino, nein. Gehen ruhig ihr beide zusammen.“ „Ach komm Mahiru, sei
kein Spielverderber!“, jammerte Midori und ließ die Hand ihrer Freundin los.
„Ich gehe zurück in die Bar!“, wiederholte Mahiru. „Viel Spaß im Kino
ihr zwei.“ Mahiru neigte den Kopf kurz in Alans und Midoris Richtung, und
ließ sich dann von einer Menschenmenge mitreißen.
Während Mahiru eine Straßenbahn zurück zur Moonshine-Bar nahm, hatten es sich
Shion, Akira und Nozomu im Wohnzimmer der Bar gemütlich gemacht und tranken
Eiskaffee. Akira hatte ihnen erzählt, warum er erst später eingetroffen war
als geplant. Den Reisebus, den er zurück nach Tokio genommen hatte, hatte sich
im japanischen Bergland total verfahren und dann war zusätzlich etwas am Motor
des Busses kaputt gegangen.
Tagelang hatte die gesamte Reisegruppe des Busses in einem kleinen Dorf mitten
in den Gebirgen Japans verharren müssen, bis der Schaden repariert war, der
Busfahrer wieder den richtigen Weg fand und letztendlich alle sicher in Tokio
landeten.
„In Zukunft verlass ich mich auf meine eigenen Kräfte und nicht auf
menschliche Verkehrsmittel!“, sagte Akira wohl schon zum hundertsten Mal, was
Nozomu ein Lächeln entlockte. „Hauptsache ist, du bist wieder da, Akira.“
„Ja, vermutlich. Wo sind eigentlich Mahiru und Mitsuru?“ Es waren 1 ½
Stunden seit Akiras Ankunft vergangen. Es wunderte ihn, dass bisher weder Mahiru
noch Mitsuru aufgetaucht waren, um ihn zu begrüßen.
„Mahiru ist in der Stadt. Sie wird bald zurück sein… und das mit
Mitsuru…. Das ist so eine Sache Akira.“ „Welche Sache?“ Akira horchte
auf. Sein Blick wurde ernst. „Ist ihm etwas passiert?“ „Nein, nein, keine
Angst!“, versuchte Nozomu ihn zu beruhigen. „Sagen wir mal… er ist
rückfällig geworden. Du weißt es ja nicht, aber… Mahiru hat sich vor
einiger Zeit von Mitsuru getrennt. Seit diesem Zeitpunkt ist er mehr und mehr in
seine alten Verhaltensweisen zurückgefallen… bis sozusagen der Punkt da war,
wo es ihm gereicht hat. Nach Masumis Besuch, bei dem sie uns den Auftrag
mitgeteilt hat, den wir für den Mondpalast erfüllen sollen, ist er praktisch
explodiert. Er wollte uns nicht dabei helfen oder hatte irgendwelche anderen
Gründe… auf jeden Fall ist er danach verschwunden. Seit dem ist Mahiru
ständig schlecht gelaunt und manchmal sogar richtig gereizt was gar nicht zu
ihr passt.“
„Sie sind auseinander gegangen, sagst du, Nozomu? Sie und Mitsuru? Ich
dachte…“, murmelte Akira betroffen. „Das dachten wir auch“, lächelte
Nozomu traurig. „Aber es war ihre Entscheidung, und warum es passiert ist,
kann ich dir beim besten Willen nicht sagen.“ „In erster Linie ist nun
jedoch wichtig, Akira, das Mitsuru zurückkommt. Er ist maßgeblich und auf
Befehl des Kaisers Shirogane an diesem Auftrag beteiligt, genauso wie du, ich
und Nozomu und Mahiru. Der Kaiser wird verärgert sein, wenn er von Mitsurus
Abwesenheit erfährt.“ „Und warum habt ihr dann bisher nichts dagegen
getan?“ Akira sprang auf. „Mitsuru treibt sich irgendwo herum und ihr sitzt
hier, seelenruhig…“ Beinahe wäre der Wohnzimmertisch umgefallen und mit ihm
die gefüllten Gläser mit dem Eiskaffee. In letzter Sekunde hielt Nozomu ihn
fest und atmete erleichtert auf.
Anscheinend hatte sich Akira nicht verändert. Der alte Tatendrang funkelte aus
seinen Augen, und ein abenteuerlustiges Grinsen trat in sein Gesicht. „Sobald
Mahiru zurück ist, werden wir zuerst ihn suchen und dann den Auftrag des
Mondpalastes erfüllen.“, sagte er, und streckte unternehmungslustig die Faust
in die Höhe. Die vorherige Betroffenheit, die ihn erfasst hatte, als Nozomu
über das erzählte, was geschehen war, war wie fortgewischt.
Keiner der drei, weder Shion, noch Akira oder Nozomu bemerkte, wie sich leise
die Wohnzimmertür öffnete. Akira war so aufgeregt, dass seine Wolfsohren aus
seinem Kopf wuchsen und erregt hin und her wackelten.
Mahiru hatte Stimme im Wohnzimmer gehört und war ihnen gefolgt. Ein Gefühl
hatte sie gewarnt, als sie die Wohnzimmertür aufmachte, und ihm folgend hatte
sie die Tür nur einen Spalt weit aufgezogen.
Ihr Herz drohte stehen zu bleiben, als sie die Gestalt sah, die mit wehenden
Ohren auf dem Sofa im Wohnzimmer wild auf und absprang, irgendwo dazwischen
Shion und Nozomu, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnten.
Unbewusst stieß Mahiru die Tür weiter auf, bis sie so aufschwang dass sie
gegen die Wand knallte. Wie eine Eisfigur stand Mahiru mitten im Türrahmen, der
Schlag hatte die drei anderen aufgeschreckt.
„Akira“, flüsterte Mahiru fassungslos, und als er seinen Namen vernahm,
hörte er augenblicklich auf zu springen. Seine Ohren gingen aufmerksam in die
Höhe, fast wie bei einem Hund, und richteten sich in ihre Richtung.
„Mahiru!“, schrie Akira begeistert, sprang über die Lehne des Sofas hinweg
und rannte wild auf sie zu, nahm die völlig entgeisterte Mahiru in die Arme und
wirbelte sie herum. „Ha, altes Haus, lang nicht gesehen!“, schrie er und
tanzte mir ihr quer durchs Wohnzimmer. Mahiru ließ es geschehen. Sie war in
diesem Moment einfach zu glücklich. Akira, monatelang fort, war wieder
aufgetaucht.
Fröhliche Menschenstimmen. Das Lachen von Kindern. Vorbeifahrende Autos.
Belebte Straßen. Menschenströme, soweit das Auge reicht. Früher, vor
Jahrtausenden, war die Lunar-Rasse ebenso zahlreich gewesen.
Erfüllt von Macht, hätten sie die Stärke gehabt, die menschliche Art zu
unterdrücken oder sogar auszurotten. Nun war es andersherum. Die Menschen
zerstörten sich selbst, ihren eigenen Lebensraum. Und damit die
Existenzgrundlage der Lunar-Rasse. Diese war ihnen hilflos ausgeliefert.
Mitsuru vermisste Nozomu, Akira, Misoka und Katsura Shion sehr. Sie waren seine
Freunde, und auch wenn er es noch immer nicht wirklich zugab, so etwas wie eine
Familie für ihn. Das Geschöpf aber, das ihm am meisten fehlte, war Mahiru. Er
hatte sich die letzten Nächte an ihr Fenster gestohlen, wenn alles schlief in
der Moonshine-Bar, und in ihr Zimmer geblickt. Mahiru hatte die Angewohnheit
entwickelt, nie die Läden herunterzumachen oder die Vorhänge zu ziehen. Als
Mitsuru sie deswegen einmal gefragt hatte, hatte sie gesagt: „Ich möchte den
Mond sehen. Er hat mir ja so was wie Glück gebracht, nicht? Ohne ihn hätte ich
nie dich oder die anderen getroffen. Und wenn meine Fenster zu sind, wie kann
ich ihn dann am Himmel sehen, Mitsuru?“
Ihre ruhig schlafende Gestalt hatte ein Gefühl des Verlassenseins in Mitsuru
ausgelöst. Und doch konnte er nicht zurück. Jetzt noch nicht, zu diesem
Zeitpunkt. Es war zu früh. Eine innere Stimme warnte ihn davor, zur Bar zurück
zu kehren. Einer anderen Eingebung folgend, gehorchte er ihr.
’Solange bist du allein, bis du dir selbst erlaubst, deine Einsamkeit zu
beenden’, dachte er. ‚Solange DAS nicht vorbei ist.’
Mitsuru starrte an sich herunter. Sein Körper war der alte. Und doch, etwas
hatte sich an ihm verändert.
Kapitel 10: Nach Kyoto?!
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Nach Kyoto?!
Vor Beginn… Sorry für das lange Warten auf das Kapitel. Aber ich hatte
einfach zu wenig Zeit und ehrlich gesagt haben mir ein wenig die Ideen gefehlt^^
Ach ja: Nicht zu vergessen ein ganz liebes Dankeschön an meine lieben
Kommi-Schreiber!^^ Besonders White_Cat, Nezuinu und KatzutakaMuraki
Doch jetzt genug geschwallt. Hier ist das zehnte Kapitel:
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Es war die erste Nacht, in der Mahiru wirklich gut schlafen konnte. Kein
einziges Mal wachte sie auf durch Alpträume oder ähnliches, und wurde erst aus
dem Schlaf gerissen als Akira am Morgen in ihr Zimmer stürmte und ihr die
Bettdecke weg zog.
Er schrie so laut wie ein ganzes Orchester, tanzte um ihr Bett herum und
versuchte sie dazu zu bewegen, schnell aufzustehen.
„Ich habe das Frühstück gemacht! Deine Eier werden sonst kalt, Mahiru!“
„Ach Akira, noch ein paar Minuten!“, murmelte Mahiru verschlafen und tastete
mit geschlossenen Augen nach der Bettdecke. Sie zog die Beine an und drehte
Akira den Rücken zu. Dieser gab nicht so schnell auf, sprang um das Bett herum
und kniete direkt vor ihrem Gesicht. „Shion und Nozomu sagen, es gibt etwas zu
besprechen, Mahiru. Beim Frühstück. Deshalb soll ich dich aufwecken.“
„Besprechung? Ich dachte die hätten wir gestern Abend abgeschlossen!“
Mahiru erlaubte sich, ein wenig ihre Lider zu öffnen und durch diese Schlitze
Akira zu betrachten.
Ein angenehm kühler Windzug bewegte seine Haarsträhnen und blies Mahiru ins
Gesicht.
Mahiru hatte über Nacht das Fenster offen stehen lassen, und an diesem Morgen
schien ein wenig Wind in den Straßen Tokios die Hitze des Tages noch davon
abzuhalten, Einzug in der japanischen Stadt zu nehmen. „Kommst du jetzt?“
Akira legte den Kopf schief, stützte sich mit seinen Armen auf der Bettkante ab
und bettete in seine Hände seinen Kopf. „Ja, warte bitte ein paar Minuten.
Ich muss mich erst anziehen, okay?“ Seufzend richtete sich Mahiru auf, schwang
die Beine übers Bett und stand auf. Akira hüpfte schon wieder durch ihr
Zimmer, mit dem ihr alt bekannten Enthusiasmus, und verschwand durch ihre
Zimmertür.
Nachdem sie sich angezogen hatte, ging Mahiru in das Esszimmer der Privaträume
der Bar. Der Frühstückstisch war bereits, wie Akira angekündigt hatte,
gedeckt und Shion und Nozomu saßen an ihm. Beide lasen Zeitung.
Als Mahiru herein kam, schauten sie kurz auf und sagten ihr guten Morgen. Aus
der Küche drang ein Scheppern. Ohne zu fragen woher es kam, gab Shion Mahiru
die Antwort: „Akira. Er will zum Frühstück noch Eier kochen. Brötchen hat
er bereits gebacken, wie du siehst. Hat er das nicht gesagt?“ „Doch.
Eben.“ Mahiru konnte nicht anders, sie musste lächeln. Sie setzte sich neben
Nozomu und griff nach den Brötchen die auf dem Tisch in einem Korb standen.
Nozomu legte die Zeitung beiseite. Er streckte sich kurz, gähnte und zuckte
zusammen, als es laut in der Küche krachte. Akira schien in seinem Element zu
sein; begleitet von Gepolter hörte man ihn pfeifen.
„Er ist ganz der Alte, nicht wahr?“, grinste Mahiru und suchte nach einem
Lächeln in Nozomus Miene. Er verzog, um sie zufrieden zu stellen, halb die
Mundwinkel und verlor so nicht die Ernsthaftigkeit, die er zuvor aufgesetzt
hatte.
„Masumi wird hier ein weiteres Mal auftauchen, Mahiru.“, sagte er
unvermittelt. „Masumi?“ „Es wurde uns heute Morgen angekündigt, ja. Aber
das ist jetzt egal. Ich muss dir etwas anderes sagen.“ Er griff nach seiner
Kaffeetasse und trank ein Schluck des heißen, braunen Getränks. „Wir werden
für die nächsten Wochen die Bar schließen und Mitsuru suchen. Soweit wir
wissen, ist er noch in Tokio.Haben wir ihn, werden du, ich, Akira und er nach
Kyoto aufbrechen. Shion wird hier bleiben, und auf Masumi warten.“
„Bitte?“ Mahiru hielt in ihren Kaubewegung inne. Sie starrte Nozomu
fassungslos an, und ließ ihre Hand mitsamt de Brötchen sinken. „Kyoto?“
„Es ist eben am besten, das Verbrechen vor Ort zu untersuchen. Wir werden
Kaiser bitten, uns in den Schrein der Mondtränen zu lassen. Außerdem hat das
einen angenehmen Nebeneffekt: Wir sehen Misoka wieder. Und natürlich Meister
Oboro.“
Mahiru runzelte die Stirn über diese Idee. Sie war seit etwa 2 Jahren nicht
mehr im Mondpalast gewesen, und verknüpfte hauptsächlich mit diesem Ort
schlechte Erinnerungen – vor allem wegen ihrer, wenn auch nur kurz
andauernden, Gefangenschaft. Außerdem würde es Shirogane bestimmt nicht gut
heißen, wenn sie plötzlich zu viert auftauchen würden – sie, Mitsuru, Akira
und Nozomu. Sie vermutete, das Nozomu eine Vereinigung der fünf Freunde
anstrebte, zu denen natürlich Misoka zählte.
„Der Kaiser wird zornig sein, wenn wir zum Mondpalast gehen. Schließlich ist
unser Auftrag, dieses seltsame Schwert zu finden und die Diebe. Wir sollten
nichts Eigenständiges versuchen. Findest du nicht auch, Shion?“ Hilfe suchend
wand sich Mahiru sich an Shion, den Alptraumdämon, den sie eigentlich als eine
vernünftige, erwachsene Person kannte.
„Genau genommen war es meine Idee, Mahiru“, erklärte Shion und wechselte
einen schnellen, amüsierten Blick mit Nozomu. „Soviel ich weiß, wollte
Masumi uns noch einige Informationen persönlich überbringen, die Meister Oboro
und Misoka herausgefunden haben. Das soll sie ruhig tun. In der Zwischenzeit
könnt ihr aber nach Kyoto gehen, die zwei besuchen und vielleicht direkt
Einblick in die Schriftensammlung des Mondpalastes nehmen, und den Ort
überprüfen, von dem das Artefakt ‚Zeitenklinge’ entwendet wurde. Ich halte
das für einen vernünftigen Vorschlag, weil wir so nicht sicher sein können,
ob Masumi uns tatsächlich alles sagt, was sie über den Raub weiß und über
Zeitenklinge.“
„Shion, das klingt so, als misstraust du ihr.“, stellte Mahiru fest und
zupfte ein wenig an ihrem Brötchen herum. „Sie ist schließlich eine der
höchsten Beamten des Mondpalastes, und Shirogane treu ergeben. Und sie hat
Frieden mit uns, speziell mit mir, geschlossen.“ „Man kann nie wissen“,
erwiderte Shion geheimnisvoll und versteckte sich hinter dem Politikteil seiner
Zeitung.
„Letztendlich ist es so, Mahiru“, begann Nozomu neben ihr, „Shion hat ein
paar Ungereimtheiten festgestellt, als er selbst Nachforschungen zur
Zeitenklinge angestellt hat. Wir sind zwar noch nicht sicher, ob sie als richtig
einzuschätzen sind. Sind sie es jedoch, hat Masumi uns einiges vorenthalten.
Genau so der Brief von Shirogane. Glauben wir zumindest. Die zweite Möglichkeit
ist, sie haben schlichtweg diese Informationen übersehen.“
„Welcher Art sind diese Informationen, Nozomu?“ „Sobald wir Mitsuru haben
und unterwegs nach Kyoto sind, wirst du alles erfahren.“ „Das ist unfair!“
„Akira weiß auch noch nichts. Also, keine Sorge. Dir entgeht nichts.“
In diesem Moment balancierte Akira in einer Hand ein voll beladenes Tablett in
das Esszimmer, und in der anderen Hand eine Kamera.
Nozomu seufzte, weil er befürchtete, das jede Sekunde das Tablett Akira aus der
Hand fallen würde und dann die Bescherung perfekt wäre, oder das die Kamera
ihm entgleiten könnte und auf dem Boden kaputt gehen würde.
Er schaffte es allerdings, das Tablett sicher abzustellen, und sich dann neben
Shion niederzulassen. „Ihr wollt sicher Fotos von meiner kleinen Reise sehen,
nicht wahr?“, grinste er, und hob bedeutungsvoll die Kamera hoch. „Später
gehe ich in die Stadt und lasse sie entwickeln.“ „Ich denke nicht, dass wir
dafür Zeit haben, Akira.“ „Zeit? Was ist schon Zeit?“ „Etwas, dass wir
nicht haben, Akira“, brummte Nozomu als Antwort.
‚Du bist also zurück’, dachte Mitsuru, als er durch das Fenster des
Gebäudes sah, in dem sich die Moonshine-Bar befand. Er beobachtete, wie Nozomu,
Mahiru, Shion und Akira am Frühstückstisch saßen, lachten, miteinander
redeten und einfach nur glücklich wirkten. Es versetzte ihn einen Stich, nicht
selbst zu diesem Kreis zu gehören.
Der Baumstamm in seinem Rücken wurde unbequem. Er hatte fast die halbe Nacht an
Mahirus Fenster verharrt, durch den Schlitz des geöffneten Fensters ihren
Atemgeräuschen gelauscht und über ihren Schlaf gewacht. Stimmen, die ihn
neuerdings in seinen Träumen quälten, hatten ihn dazu aufgefordert, sie keine
Sekunde lang alleine zu lassen, sich ihr aber auch nicht zu zeigen. Sie gehörte
einer heilen Welt an, der er auch einmal angehörig gewesen war, jetzt jedoch
nicht mehr.
Es tat ihm weh, sie lachen zu sehen, und das Wissen, dass sie ein wenig ihrer
Fröhlichkeit zurück gewonnen hatte.
In diesem Moment entschloss er sich, sie wieder zu sehen. Noch einmal mit ihr zu
sprechen. In der nächsten Nacht, die sicher kam. Es musste etwas zwischen ihnen
geklärt werden – er selbst musste erklären, sie musste verstehen. Er würde
ihr alles erzählen, die Rufe, die ihn verfolgten, Wesen, die seinem Schatten
nach liefen, und die Stimme von einer Existenz, die mächtig war… stark und
kraftvoll.
Etwas in seinem Kopf drohte ihm. Ein Gefühl der Gefahr und Trauer,
unterdrückten Schmerzes. Leise flüsternd, wie der Wind in den Baumwipfeln,
durchdrang dieses Etwas seine Gedanken, seine Wahrnehmung. Es tastete sich
behutsam vorwärts, vorsichtig, um ihn nicht zu reizen.
„Die Prinzessin… ihre Linie… ist Gefahr für die Lunar-Rasse… Ist sie
der Dieb vom Schatze des Mondpalastes? Täuschte sie euch alle? Gehe nicht zu
nahe heran, Abunai….“
Kapitel 11: Nachts in Tokio (Teil 1)
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Nachts in Tokio (Teil 1)
„Entschuldigung, aber Ihre Auftritte sind für mindestens vier Wochen
abgesagt.“ Shion hatte Joanna Kingsley und ihre Band für dieses Gespräch in
die Bar eingeladen, um ihnen so schonend wie möglich beizubringen, dass die Bar
vorerst geschlossen blieb.
Joanna, temperamentvoll wie immer, hatte keine Sekunde gezögert, ihrer Wut
freien Lauf zu lassen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte die Tasse
Tee, die Shion ihr gemacht hatte, gegen die nächst beste Wand geworfen.
„Das können Sie doch nicht tun! Wir sind auf Auftritte angewiesen… Und
besonders auf die in Ihrer Bar! Wir sind den Gästen der Moonshine-Bar langsam
ein Begriff und… wo ist Katsura? Ich möchte das mit ihr besprechen! Sie hat
uns schließlich geordert!“, verlangte Joanna hitzig. „Meine Schwester ist
gerade nicht im Haus, Verzeihung. Übrigens werden wir die Bar wegen privater
Gründe schließen. Sie wird ja wieder geöffnet, nur der Zeitraum ist nicht
absehbar“, antwortete Shion ruhig und beherrscht.
‚Mein Gott, die ist hartnäckig’, dachte Mahiru. Sie hatte die Diskussion
durch einen Türspalt verfolgt und nun genug davon. Joanna war einfach ein zu
anstrengender Mensch, selbst wenn man sich nicht direkt mit ihr unterhielt,
genau wie ihr Bruder Alan. Das musste wohl in der Familie liegen.
Sie überlegte, dass es besser wäre, in ihr Zimmer zu gehen und weiter zu
packen. Seit Nozomu die Pläne am Morgen eröffnet hatte, die ihnen vor ihnen
lagen, hatte eine allgemeine Aufregung sie, Akira und die anderen ergriffen.
Nozomu war mit dem Wohnwagen, einem alten Auto von zehn Jahren, in die Werkstatt
gefahren und ließ ihn durchchecken. Akira suchte in der Innenstadt von Tokio
nach Hinweisen auf Mitsuru. Je früher sie ihn fanden, umso besser. Dann stand
dem Aufbruch nichts mehr im Wege. Außer vielleicht dieser aufdringlichen
Musikband, die nicht aufgeben konnte. Mahiru hörte schon wieder Joannas Stimme,
wie sie auf Shion einredete. Alan mischte sich jetzt auch ein. Mahiru verschloss
sich die Ohren und schlich von der Tür weg, die die Treppe zu den Privaträumen
und die Bar trennte.
In ihrem Zimmer zog sie aus ihrem Schrank einen Koffer, und wühlte sich durch
ihre Kleidungsstücke. Pullis konnte sie wohl getrost Zuhause lassen. Lange
Hosen auch… oder doch zwei, drei mitnehmen…?
Die Stunden vergingen. Der Mittag wechselte in den Nachmittag über, und dieser
wieder in den Abend.
Kurz, bevor das Abendbrot fertig war, tauchte Akira wieder auf. Nur wenige
Minuten später traf ebenfalls Nozomu ein, mit einem weißen, geputzten
Wohnwagen, der die technische Überprüfung der Mechaniker problemlos hinter
sich gebracht hatte.
Mahiru hatte zur Hälfte alles zusammengepackt und mit Hilfe Shions in den
Gastraum der Bar getragen. Gerade, als sie eine Kühltasche abstellte, kam ihr
Akira entgegen.
„Hi.“ Er streckte sich und beobachtete interessiert, wie Mahiru die Tasche
auf einem Stuhl abstellte. „Shion hat erwähnt, dass es Ärger mit dieser Band
gab?“ „Ein wenig, ja. Die Leaderin ist total ausgeflippt… haben irgendwas
davon erzählt, dass es sie es sich nicht leisten könnten, so einen langen
Ausfall zu haben… und so weiter.“, bestätigte Mahiru müde. „Wenn wir
Glück haben, kommen sie nicht wieder, selbst wenn die Moonshine-Bar wieder auf
hat.“ „Hey, so kenn ich dich gar nicht. Normal willst du doch immer mit
allen Leuten Frieden!“, lächelte Akira. „Mit diesem Alan Kingsley und
seiner Schwester Joanna bestimmt nicht! Übrigens, hast du was von Mitsuru
gehört?“ Obwohl es Mahiru eigentlich nicht zeigen wollte, bemerkte Akira
schnell, dass sie besorgt klang wegen ihm. Bisher hatte er sie nicht gewagt
danach zu fragen, wie es sein konnte, dass beide getrennte Wege gingen. Er hatte
eigentlich gedacht, so etwas wie zwischen Mitsuru und Mahiru hielt für die
Ewigkeit.
Sie als Mensch und er als Dämon hatten ein Band zwischen beiden Rassen
geflochten. War es wirklich zerstört worden? Die Reaktion, die Mahiru nun
zeigte, bewies das Gegenteil. Sie hing förmlich an seinen Lippen und wartete
auf eine zufrieden stellende Antwort. Ihre Augen, so dachte Akira, glänzten
sogar ein wenig. Mahiru war hübsch geworden in den letzten zwei Jahren. Das
Haar zu zwei Zöpfen geflochten, die fast über ihre Schultern baumelten und
wiesengrüne Augen ließen sie erwachsen wirken. Mitsuru war schon schön dumm,
sie erst gehen und dann so lange alleine zu lassen.
„Ein paar Leute meinen, einen ‚düster aussehenden jungen Mann mit dunklen
Haaren und finsterer Miene’ getroffen zu haben.“, rückte Akira nach einigem
Zögern heraus. „Und zwar hier in Tokio, wie vermutet.“ „Das kann
tatsächlich nur Mitsuru sein! Wer sieht so aus wie die Nacht wenn er schlecht
gelaunt ist? Nur er!“ Mahiru lächelte glücklich. „Das müssen sofort Shion
und Nozomu erfahren! Wir werden gleich auf die Suche gehen! Und zwar zu viert!
Wie hört sich das an?“
„Sorry, bei mir wird das nicht funktionieren, Mahiru.“ Ein wenig wehmütig
legte Akira den Kopf schief und musterte sie. „Ich habe was zu erledigen, was
sich nicht aufschieben lässt.“ „Was denn? Du bist doch erst wenige Tage
hier… und die meisten Leute…“ „Eine Person wartet auf mich. Ich habe sie
angerufen und…“ Akira stockte. Er versenkte die Hände in den Hosentaschen
und schaute verlegen zur Seite. „… sie hat vorgeschlagen, dass wir uns heute
Abend in einem Cafe in der City treffen.“ „Wen kennst du, den du bei einer
so wichtige Sache wie Mitsuru zu finden vorziehst?“, fragte Mahiru
argwöhnisch.
„Das werdet ihr alle früh genug erfahren. Ich bitte dich jetzt nur, mich bei
Nozomu und Shion zu entschuldigen. Ihr drei werdet den Querschläger schon
finden“, bat Akira eindringlich.
„Querschläger? Wer ist hier der Querschläger? Akira…“ „Hey, es ist
schon gut!“ Akira setzte sein unwiderstehliches Lausbubengrinsen auf und
verhinderte so, dass Mahiru ihren Satz beendete und ihn zurückhielt. „Ich bin
so früh ich kann wieder da. Es wird unsere Mission in keiner Weise behindern,
ja?“
Er tippte sie freundschaftlich mit dem Finger auf die Stirn, drehte sich um,
sprang über einige Gepäckkisten hinweg die ihm im Weg standen und verschwand
durch die Eingangstür der Bar. Mahiru blieb völlig verdattert zurück.
Selbst in der Nacht kam Tokio nicht zur Ruhe. Zahllose Autos bahnten sich ihren
Weg über die dicht befahrenen Straßen, erhellten die Lücken zwischen den
Wolkenkratzern fast taghell und machten so die Straßenlaternen, die in
regelmäßigen Abständen auf den Bürgersteigen standen, geradezu nutzlos.
Die nächtlichen Temperaturen verlangten, trotz der täglichen Hitze, eine
dünne Jacke. Besonders heute, wo es ausnahmsweise nicht so heiß gewesen war,
fror man ein wenig wenn man in kurzen Sachen das Haus verließ.
Mahiru lief zwischen Nozomu und Katsura. Shion hatte sich überraschenderweise
in der Dämmerung in sein weibliches Ich verwandelt, und trug dem entsprechend
auf wieder seinen Frauennamen.
Sie streiften bereits seit mehreren Stunden durch die Stadt. Sie hatten Leute
befragt nach Mitsuru, sich in dunklen Ecken umgesehen, wo er sich vielleicht
aufhalten konnte, und hatten sich kurzzeitig getrennt. Nun spürte Mahiru erste
Müdigkeit in sich aufsteigen, und eine sanfte Benommenheit, die sich auf ihre
Gedanken legte.
Bunte Reklameschilder, riesige Bildschirme und Leuchttafeln tanzten über ihren
Köpfen hinweg und versuchten, die Aufmerksamkeit der Menschen zu entfachen, die
unter ihnen durch liefen. Sie waren an den hohen Außenfassaden der Hochhäuser
befestigt und zeigten neue Produkte, ab und zu Nachrichten, berühmte Stars und
andere Prominente. Für jeden, der neu nach Tokio kam, waren sie wohl etwas
Besonderes. Andere dagegen, die bereits lange in der Stadt wohnten, gewöhnten
sich an das Lichtspektakel und nahmen es gelassen hin. Sie kannten geheime
Plätze, wo man nicht von irgendwelchen wild blinkenden Werbesendungen und
exotischen Stars betröpfelt wurde, und diese Plätze waren weitgehend dem
alten, japanischen Brauchtum gewidmet: Kleine Fischmärkte, Keramikgeschäfte
und andere traditionelle Läden und Einrichtungen.
Mahiru wurde leicht zwischen Katsura und Nozomu hin und her geschaukelt. Beide
boten von rechts und links einen undurchdringlichen Schutz, und so fühlte sich
Mahiru sicher.
Es wurde gewarnt davor, als junge Frau die Gassen Tokios in der Nacht zu
durchqueren, wo fragwürdige Gestalten und Wesen mit finsteren Plänen ihr
Unwesen trieben.
Sie war selten aus mit Midori abends, und sah dem entsprechend selten Tokio in
der Nacht. Zudem half sie häufig in der Bar aus, was es zusätzlich erschwerte,
nach acht in die Innenstadt zu gelangen.
„Dieser unverantwortliche Kerl wird sich heute nicht mehr blicken lassen!“,
murmelte Mahiru und versuchte ihre hörbare Schläfrigkeit in ihrer Stimme zu
übertönen. „Wenn er nicht von uns gefunden werden will, dann tut er es auch
nicht.“
„Hey, warum so negativ? Vorhin hat das ganz anders geklungen!“, versuchte
Nozomu sie aufzumuntern und schubste sie vorsichtig an. „Jetzt bin ich ein
wenig müde und genervt, weil es bereits auf ein Uhr zugeht.“, antwortete sie.
„Schlechte Laune?“, lächelte Katsura neben ihr. Mahiru versenkte ihre
Hände in den Taschen.
Sie schaute nach oben, in den sternenklaren, schwarzen Nachthimmel, und seufzte.
Mitsuru verbarg sich irgendwo zwischen diesen Hochhäusern, nach Akiras
Informationen, und hielt sich von ihnen fern. Seine alte Sturheit und sein
Verlangen nach Einsamkeit waren zurückgekehrt, und sie bedauerte, diese
Entwicklung nicht aufgehalten zu haben.
Sie erinnerte sich an das Gespräch, den Grund für ihre Trennung. Er hatte
ungeheuerliches von ihr verlangt in ihren Augen. Seine wütenden Wortfetzen
klangen Mahiru noch in den Ohren: „Ich weiß nicht, was du dir denkst. Keiner
braucht dich mehr in der Rolle als Nachfolgerin der Prinzessin. Du bist in ihren
Augen jetzt nur ein Mensch – deine Aufgabe ist erfüllt. Warum willst du es
dann nicht tun?“ Er hat es geschrieen, fast gebrüllt, und ebenso laut und
zornig hatte sie ihre Antwort gegeben: „Weil ich ihnen vertraue und sie mir,
und sie mir auch wichtig sind!“
Mahiru schüttelte den Kopf. Alte Erinnerungen taten weh. Wie ein zackiger Dorn
hatte sich diese tief in ihren Körper vergraben, und wollte sie nicht los
lassen.
„Es ist spät, Katsura“, wiederholte Mahiru, und starrte auf den Boden.
„Gewiss, ja. Ich denke, sie hat Recht, Nozomu. Lass uns zurückgehen.“
Es ging auf halb zwei zu, als Nozomu die Tür zur Bar aufschloss und den
Gastraum erhellte. Er warf seine dünne Jacke auf einer der Tische, und streckte
sich. „Ich geh gleich ins Bett“, verkündete er, und lief hinüber zur Tür
zu den Privaträumen.
Katsura zog ihre Jacke bedeutend langsamer aus, und ging dabei hinter die Theke
der Bar. „Noch was zu trinken? Zum Einschlafen?“, fragte sie, und war dabei,
sich ein blutroten Wein einzuschenken.
„Nein danke, ich glaube, ich tue es Nozomu gleich. Ich war vorhin schon
irgendwie nicht mehr so ganz klar im Kopf, Katsura.“ Die Alptraumdämonin
nickte mitfühlend und freundlich. „Zum Glück bist du noch jung. Aber geh
wirklich ins Bett. Es ist das Beste, wenn du es so willst.“ „Bis morgen
dann.“
‚Die ganze Packerei fordert wohl ihren Tribut’, dachte Mahiru, als sie ein
wenig die Treppe hinauf schwankte.
Als sie die letzte Stufe hinter sich hatte, stützte sie sich an der Wand oben
ihm Flur ab und legte eine Hand auf ihre Stirn. ‚Verdammter Idiot.’
Um zu ihrem Zimmer zu kommen, musste Mahiru auch an der Tür von Akiras Zimmer
vorbei. Da sie wusste, dass er besonders laut schnarchte, sodass man es durch
das dünne Holz seiner Raumtür hören konnte, lauschte sie kurz. Allerdings war
es völlig ruhig hinter der Tür, und so schloss sie daraus, dass er noch nicht
zurück war.
Höchst ungewöhnlich für ihn, überlegte sie. Trotzdem schritt sie weiter zu
ihrem Zimmer, öffnete die Tür und machte das Licht an. Alles war so wie immer:
Das Bett ordentlich gemacht, der Schreibtisch aufgeräumt, auf der Fensterbank
der kleine Christusdorn, den Nozomu ihr zum achtzehnten Geburtstag geschenkt
hatte.
Das Fenster war einen Spalt geöffnet, damit kühle Nachtluft eindrang, und die
Jalousie war geschlossen, damit am Morgen nicht zu früh das Sonnenlicht
eindrang.
Mahiru kniete vor ihrem Bett und tastete unter der Bettdecke nach ihrem Pyjama.
Sie hatte keine Lust, sich noch großartiges ins Bad zu begeben und entschied,
die Zähne am Morgen besonders gründlich zu putzen.
Nach wenigen Minuten war sie in ihren Schlafanzug geschlüpft, hatte ihre
Anziehsachen einfach auf dem Boden liegen lassen und vergrub sich nun tief in
ihrer dünnen Bettdecke. Mit geschlossenen Augen fühlte sie über sich den
Lichtschalter, und löschte in der gleichen Sekunde die Lampen in ihrem Zimmer.
Dunkelheit umgab sie, aber sie fühlte sie als eine Art Schutz, der sich
vorsichtig einhüllte. Ihr Atem wurde ruhiger, ihre aufgewirbelten Gedanken
gerieten in einen sanft strömenden Fluss. Ruhe.
Wo konnte sie sicherer sein als hier, in diesem Haus? Eine Festung, die sie
sicher umgab und niemals schutzlos zurücklassen würde.
Im Halbschlaf hörte Mahiru nicht, wie das Schloss des Fensters leise knackte.
Wie von unsichtbarer Hand geleitet schob sich der Griff des Fensters nach unten,
sodass es nicht mehr geklappt war sondern aufschwang.
Die Jalousien klimperten, als sie über den oberen Fensterrand hinweg geschoben
wurden. Das einfallende Licht einer Straßenlaterne wurde gestört durch eine
Gestalt, die sich in den Fensterrahmen setzte. Diese Gestalt schob sich leise
mit einem Fuß in das Zimmer hinein, kam auf und verharrte einige Sekunden
horchend.
Mahiru warf sich unruhig in ihrem Bett herum.
Das Bett von Mahiru war nur etwa einen Meter entfernt von dem Fenster. Das Wesen
hatte keinen weiten Weg, an Mahirus Seite zu gelangen, und die Schlafende zu
beobachten. Das einflutende Licht der Straßenlaterne, das nun nicht mehr
gestört wurde, erhellte das Zimmer soweit, dass das Wesen die ungenauen Umrisse
von Mahiru erkennen konnte unter der Decke.
Sie kniete neben dem Bett, und berührte sanfte Mahirus Wange. Fast zärtlich
fuhr sie zu Mahirus Hals, und mit dem Finger der anderen Hand tippte sie Mahiru
auf die Stirn. Mahiru grunzte kurz im Schlaf und drehte sich weg von dem
kitzelenden Etwas.
Die Gestalt gab nicht so leicht auf. Sie beugte sich über Mahiru, fasste ihre
Schultern und drehte Mahiru auf den Rücken. Dann senkte sie sich, bis ihre
Lippen auf denen von Mahiru lagen.
In diesem Moment schreckte Mahiru auf. In einer blitzschnellen, instinktiven
Reaktion ballte sie ihre Hand zur Faust und versuchte den Kopf über ihr zu
schlagen. Das einzige, was sie spürte, war die Kraft eines Körpers, die sie
zurück auf ihre Matratze drückte und eisern festhielt. Ihr Hieb ging ins
Leere, und Mahiru fühlte unwillkürlich Panik in sich aufsteigen.
Sie schrie. Laut, durchdringend, schrill. Das Resultat war, dass dieser Fremde
ihr die Hand auf den Mund presste und so ihr das Atem unmöglich machte. „Sei
still, Mahiru“, zischte der Kopf über ihr, und riss sie aus ihren
Angstzuständen. Eine Stimme, ihr allzu bekannt.
Eine Haarsträhne kitzelte Mahiru in ihrer Nase, sie strich sie allerdings nicht
weg. Sie ließ ihre Hände ruhig an ihren Seiten ruhen, während die Gestalt
über ihr in ihrem Geist langsam Umrisse annahm. Sie fühlte, wie sich die Hand
auf ihrem Mund allmählich weg schob. „Bist du jetzt ruhig?“, fragte die
Stimme sie. Wortlos nickte Mahiru und ahnte, dass er es bemerken würde. Trotz
des wenigen Lichtes, dank seiner Dämonenaugen.
Mit einer Hand stützte er sich nahe an ihrem Kopf auf, die andere hatte er auf
ihre Schulter gelegt. „Mahiru.“
Entgegen der aufkeimenden Wärme in ihr, die sie dazu drängte, ihn zu umarmen,
an sich zu ziehen, nie wieder loszulassen, drang ein eiskaltes Gefühl des
Zornes und der Trauer. Es war stärker als die Wärme, drängte sie in ihre
Ursprünge zurück und umklammerte Mahirus wild pochendes Herz, dass es wie in
Fesseln war und sich nicht befreien konnte. Sie gab dem Verlangen nicht nach,
Mitsuru zu begrüßen, und wusste nicht, warum.
Kapitel 12: Nachts in Tokio (Teil 2)
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Nachts in Tokio (Teil 2)
Sorry, das solang nix kam, aber ich war die ganze Zeit weg. Zudem blieb mir
nicht viel Zeit, ein langes Kapitel zu schreiben… und in Zukunft werden die
Kapitel auch weiterhin unregelmäßig kommen weil die Schule wieder anfängt.
Ich schreib immer dann, wenn ich Zeit dazu find.
Viele Grüße, Akuma san
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„Du wirst diese Stadt bald wieder verlassen?“, murmelte Keiko in ihre Tasse
Kaffee hinein. Die Tasse, ein riesiges, blaues Ding, verbarg fast völlig ihr
Gesicht und hin und wieder blinzelten nur ihre Augen über den Tassenrand
hinweg. Akira hatte seinen Blick irgendwo in der weißen Unendlichkeit der Decke
des Cafes verloren und zermaterte sich sein Gehirn um Dinge, die er zu Keiko
hätte sagen können.
Mehrere Stunden saßen sie hier nun, in einem ruhigen, abgelegenen Straßencafe
mitten in Tokio. Man konnte es zwischen den zahllosen, eng zusammen gebauten
Häusern kaum entdecken.
Keiko hatte diesen Treffpunkt vorgeschlagen, und Akira hatte zu spät begriffen,
wie wenig Vorteile es bot.
Die Stühle und Tische waren teilweise durch große, buschige Pflanzen getrennt
und es herrschte ein dämmriges Licht, dass unwillkürliche eine vertraute
Atmosphäre heraufbeschwor. Etwas, dass Akira eigentlich hatte vermeiden wollen.
„In den nächsten Tagen werden wir aufbrechen.“, gab er schließlich ein
wenig unruhig zur Antwort, und entschloss sich, seine Grübelei endlich
aufzugeben und ihr so natürlich wie möglich zu begegnen. Fast musste er sich
dazu zwingen, sie anzusehen.
„Das Ziel?“ „Das ist nicht wichtig. Es ist eine Angelegenheit, die die
Lunar-Rasse betrifft, nicht weiter erwähnenswert.“ „Und warum muss dann
eure gesamte Truppe losziehen und die Bar schließen? Sogar Shigorashi wollt ihr
mitnehmen…“, erwiderte Keiko skeptisch.
„Woher weißt du das so genau?“ „Das ist nicht wichtig, Akira. Nicht
erwähnenswert…“, lächelte Keiko, und Akira verstand, dass sie ihm nichts
verraten würde, solange er es nicht von seiner Seite tat.
„Warum wolltest du mich wirklich treffen? Wollt ihr uns vielleicht wieder
Ärger machen?“ Akira legte die Finger einander und blickte forschend in ihr
Gesicht.
An Keiko hatte sich die letzten Jahre so gut wie nichts geändert. Ihr Haar war
vielleicht ein wenig kürzer, ihre Kleidung hatte sich seit ihrer Schulzeit
verändert, aber ihre Art war dieselbe geblieben.
„Wir haben uns davon abgeschworen, Akira. An dem Tag, wo wir erkannten, dass
das, was wir gemacht haben falsch ist… nichts desto trotz würden wir es
begrüßen, mehr über die Aktivitäten deines Volkes zu erfahren. Schließlich
sind wir ein paar der wenigen Menschen, die eure Existenz kennen, und man
könnte uns ja wohl als Vermittler zwischen den Rassen bezeichnen. Oder nicht?
Zumindest dich und deine Freunde und uns.“
Akira schüttelte entschlossen den Kopf. Am Anfang, als er Keiko nach zwei
Jahren das erste Mal getroffen hatte, hatte sein Herz einen Purzelbaum
geschlagen. Aus diesem Gefühl der Freude und des Überschwangs war nun
nüchternes Realitätsbewusstsein geworden, dass ihm dazu riet, so schnell wie
möglich aus diesem Cafe zu entkommen und zurück zur Bar zu kehren. Er kannte
Keikos wahre Beweggründe nicht, ihn hier zu treffen – schließlich hatte sie
ihm sehr deutlich „Leb wohl!“ gesagt und sich für ihren Verlobten
entschieden. Eine der Gründe für seine Reise… Und nun hatte sie einen derart
intimen Treffpunkt ausgewählt?
Ein Blick auf die Uhr, und Akira hob entschlossen die Hand. Sofort eilte einer
der Kellner herbei und hörte sich an, dass der junge Herr bezahlen wolle.
Natürlich für die junge Dame mit.
Keiko schaute zuerst überrascht, und brachte keinen Einwand, bis der Kellner
mit zufriedenem Grinsen und Geldscheinen im Portmonaie sich verabschiedet hatte.
Akira stand auf, trank den letzten Rest aus seiner Kaffeetasse und wand sich zum
Gehen um. Keiko erhob sich gleichzeitig mit ihm, ging um den Tisch und packte
ihm am Ärmel. „Kannst du mir sagen, was das soll?“, fragte sie leicht
gereizt.
„Es tut mir Leid, Keiko, wir haben eine Aufgabe zu erfüllen. Und ich denke
nicht, dass deine Gruppe hineingezogen werden sollte. Diesmal betrifft es mein
Volk, und nicht unsere beiden Völker. Nur unseres, verstanden?“ Akira holte
tief Luft. Diese Worte hätte er von sich selbst nicht erwartet. Sie waren eine
direkte Abfuhr – und er bemerkte es an Keikos Reaktion. Sie ließ ihn los und
trat einen Schritt zurück.
Hatte ihn sein Kreuzzug durch Japan derart immun gegen sie gemacht? Akira
erinnerte sich an die ersten Nächte, wo ihr Gesicht stets fester Bestandteil in
seinen Träumen gewesen war… Und nun das? Stellte es eine Art Selbstschutz
dar? Nicht noch einmal hingezogen werden… nicht noch einmal leiden müssen.
Ein Zeichen für das Erwachsenwerden?
„Woher wollt ihr wissen, dass es nicht unsere beiden Völker betrifft? Die
Tränen des Mondes… obwohl sie euch gehörten, hat es letztendlich dazu
geführt, dass sie ein Monster erschufen, das eine ganze Insel zerstörte und
von Hass auf die Menschen zerfressen war… Da ging es uns beide an. Diese
Sache, was immer sie ist… du kannst nicht wissen, wie weit sie sich zieht.
Schließlich erfordert sie, dass ihr Tokio verlasst.“, sagte Keiko sehr leise.
„Es tut mir Leid…“, wiederholte Akira und wand den Kopf ab. „Ich kann
dir nur ein Versprechen geben: Sollte es derart ausufern… werden wir euch
Bescheid geben. Ist das ein Wort?“ „Und warum nicht gleich? So wird es doch
sowieso kommen, nicht wahr?“
„In erster Linie… nein, Keiko.“ Energisch schüttelte Akira den Kopf.
„Ich werde jetzt gehen. Die anderen warten sicher auf mich. Wir müssen noch
einige Dinge bis zu unserem Aufbruch erledigen… und sie können nicht warten.
Ich habe sie schon vor den Kopf geprellt, weil ich mich hier mit dir getroffen
habe. Besonders Mahiru. Verstehst du das?“
„Nein“, gab Keiko ehrlich zu, drückte sich an Akira vorbei und verließ das
Cafe.
Akira rannte ihr hinter her, aber auf der Straße hatte sie bereits ein Taxi
gerufen und war im Begriff, einzusteigen.
Er schaffte es gerade noch, an die Autortür zu gelangen und zu verhindern, das
Keiko sie zu zog. „Keiko…“
„Nein!“, wiederholte sie laut und schloss die Tür mit lautem Knall. Akira
sprang zurück und sah zu, wie das Taxi den Straßenrand verließ und sich in
die zahllose Lichterkette von anderen Autos auf der Hauptstraße einordnete.
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