Hera als: Merle

“Sie dachte noch an Unkes Maske, als sie einschlief, und im Halbschlaf fragte sie sich, ob nicht jedermann bisweilen eine Maske trug.
Eine Maske der Freude, eine Maske der Trauer, eine Maske der Gleichgültigkeit.
Eine Maske aus Ihr-seht-mich-nicht.”

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Es gibt Bücher, die berühren dich auf eine Art und Weise, die dich dein ganzes Leben lang begleitet. Ich muss 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein, als ich die Die fließende Königin von Kai Meyer zum ersten Mal las. Das Buch, zusammen mit seinen beiden Fortsetzungsromanen, hat mich gefesselt, fasziniert, zum Lachen und zum Weinen gebracht wie es damals kein anderes Buch vermochte. Viele Jahre später vergesse ich zwar Details der Handlung, aber niemals das Gefühl, diese Bücher zu lesen. Sie brachten mir bei, Magie in der Welt zu sehen, Gottheiten und Autoritäten mit einer gesunden Portion Skepsis zu betrachten und sich niemals darauf zu verlassen, dass dein Lieblingscharakter den Roman überlebt. Und zusammen mit anderen Büchern meiner Generation, wie Herr der Diebe von Cornelia Funke, zementierten sie meinen Wunsch, Venedig einmal mit eigenen Augen zu sehen. Meine Eltern sind zwar rein objektiv betrachtet die besten Eltern der Welt, doch egal, wie sehr mein jüngerer Bruder und ich sie damals auch anbettelten: sie fuhren mit uns an die tollsten Urlaubsorte, aber leider weder ins Disneyland (auch ein inniger Wunsch unsererseits) noch nach Venedig. Ins Disneyland bin ich dann selbst gefahren, als ich dreiundzwanzig war. Für Venedig musste ich erst dreißig werden.
Seit ich fünfzehn war, also ziemlich genau die Hälfte meines Lebens schon, zählt Cosplay zu einem meiner wichtigsten Hobbies. In all den Jahren habe ich weit über hundert Kostüme angefertigt und unglaublich viel dazu gelernt, aber eins ist gleich geblieben: Cosplay ist und bleibt eine Methode, um Liebe zu etwas auszudrücken: zu Serien, Filmen, Spielen und natürlich zu Büchern. Als also klar war, dass wir letztes Jahr nach Venedig fahren würden, stand auch fest, dass wir dafür Kostüme nähen mussten. Meine bessere Hälfte hat auf dem Arbeitsweg die Wochen vor dem Urlaub die Hörbücher gehört, um sich einzustimmen, und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion (weil wir wir sind und Zeitdruck unsere Produktivität über 9000 steigert) entstanden dann die Kostüme für Merle und Serafin.
Ich war zugegeben bereits vorher fest entschlossen, Venedig zu lieben – und dennoch absolut sprachlos angesichts der speziellen Schönheit und Eigenheit dieser Stadt. Fünf Tage lang sind wir um fünf Uhr früh aufgestanden, um morgens in Ruhe Fotos machen zu können – auch an den touristisch beliebten Plätzen. Dadurch kamen wir einerseits in den Genuss, Orte wie den Markusplatz fast menschenleer zu sehen. Andererseits hatten wir auch Zeit, uns in den Gassen zu verlaufen und Venedig in uns aufzunehmen, ehe wir uns dann nachmittags dem klassischen Touristenprogramm widmeten.
Allerdings merkt man, wie sehr sich die Stadt verändert hat – besonders, wenn man Schauplätze nach den Beschreibungen eines nunmehr fast zwanzig Jahren alten Buches sucht. Die Blumenkübel auf dem Markusplatz, hinter denen sich Serafin versteckt, sind großen, sicherlich praktischen, aber wenig ästhetischen Mülleimern gewichen, und die Katzen, die früher Venedig so scharenweise bevölkerten, dass sie zum inoffiziellen Markenzeichen der Stadt wurden, sind spärlich geworden. Die zwei, drei Katzen, denen wir in den Gassen begegnet sind, waren sehr scheu. Erst in der zauberhaften Buchhandlung Aqua Alta haben wir ein Kätzchen gefunden, dass nichts dagegen hatte, sich mit meiner Freundin ablichten zu lassen. In den letzten Wochen zu sehen was der Klimawandel der Stadt antut macht mich sehr traurig und betroffen – besonders, weil man so viel dagegen könnte und müsste (und das nicht nur für Venedig). Dennoch bin ich unendlich dankbar und froh, diese magische Stadt gesehen und erlebt zu haben – sowohl zwischen als auch fernab von den Seiten eines Buches.