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So langsam platzt mir der Kragen Comic-Manifest, DManga, GraNo-Lobby, Graphic Novel, Simon Schwartz, Ulli Lust, Vorurteile

Autor:  roterKater

Ulli Lust ist eine der renommiertesten deutschsprachigen Comic-Autorinnen, die hauptsächlich die typischen Graphic-Novel-Themen bearbeitet - Reportage-Comics, autobiographische Comics, Literaturadaptionen. Sie hat für ihre Arbeiten zahlreiche internationale Preise gewonnen. Ihr Hauptwerk Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens wurde in mehrere Sprachen übersetzt und soll jetzt als Film adaptiert werden.

Simon Schwartz ist einer der renommiertesten deutschprachigen Comic-Autoren, der hauptsächlich die typischen Graphic-Novel-Themen bearbeitet - historische, biografische und weltgeschichtliche Stoffe. Er hat für seine Arbeiten zahlreiche nationale Preise gewonnen. Sein Hauptwerk Packeis wird bestimmt bald in irgendwelche Sprachen übersetzt und wurde einmal beinahe als Hörspiel adaptiert.

Was haben diese zwei Menschen gemeinsam? Beide publizierten genannte Werke im Berliner Avant-Verlag, einem der Hauptakteure der Graphic-Novel-Lobby. Beide gehören auch zu den ErstunterzeichnerInnen des Comic-Manifestes, das ja, wie ich schon herausgearbeitet hatte, bewusst oder unbewusst ziemlich deutlich an Manga vorbei konzipiert war. Beide werden widerstandslos im Feuilleton gefeiert. Beide publizieren nicht nur Comics, sondern unterrichten sie auch an diversen Kunsthochschulen. Und beide haben dieses Jahr Interviews im Online-Magazin Comicgate veröffentlicht, in denen sie sich auf ebenso uniformierte wie abfällige Art zu deutschsprachigen Manga-ZeichnerInnen geäußert haben.

Simon Schwartz beantwortet in besagtem Interview die Frage nach dem Vormarsch weiblicher Autorinnen auf dem deutschen Comicsektor mit folgender Dichotomie: Da gibt es auf der einen Seite die guten, tollen Autorinnen. Das sind Leute, die mit ihm im selben Verlag publizieren und/oder mit ihm bei Anke Feuchtenberger in der HAW in Hamburg studiert haben. Erinnert sich noch jemand an die Betonung des Comic-Manifestes auf die Kunsthochschulen als einzig nennenswerten Quell deutscher Nachwuchs-ComiczeichnerInnen? Bingo. Und dann gibt es da eben diese Manga-Mädchen. Im O-Ton heißt es da:

Comics sind eher ein Jungs-Medium. Wir haben alle Batman oder Asterix gelesen. Und das haben die Mädchen nicht unbedingt. Somit fangen sie quasi bei Null an und somit etwas frischer und unbelasteter von Klischees und Stereotypen. Allerdings gibt's auch wieder einen Wechsel. Ich unterrichte ja auch. Da merke ich, dass jetzt viele Mädchen aus dieser Mangaecke kommen. Das ist eine Generation die nochmal um eins jünger ist als ich. Da merke ich dann, wie sehr sie Mega-Scheuklappen haben. Jetzt wiederum kippt es und die Jungs machen die interessanteren Comics, denn in ihrer Kindheit gab es keine Comics, sondern nur Mangas für Mädchen, die sie nicht interessiert haben. [...] diese Sorte Mangas war dominierend, während bei meiner Generation Asterix oder so dominiert hat. Bei diesen Mangazeichnern erinnert mich das an Ikonenmalerei. Es muss immer alles exakt gleich aussehen. In den Handlungen finden sich viele Stereotypen. Weil die Mangas, die sie früher gelesen haben ... das waren die Mädchen, die früher Wendy gelesen haben. Oder die Gartenlaube. Die richtig innovativen Meister haben sie nicht unbedingt gelesen. Was auch hängengeblieben ist: Was zählt, ist eher die Optik und weniger die Handlung. [...] Das meiste, was in Deutschland an Mangas veröffentlicht wird, ist wie eine Daily Soap.


An diesen paar Sätzen ist so viel falsch, da weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht mit dem Hinweis, dass die meisten und bestverkauften in Deutschland publizierten Manga immer noch shounen manga (also für Jungs) sind, was beweist, dass Schwartz nicht einmal rudimentärste Grundkenntnisse über die deutsche Mangaszene hat, über die er sich Urteile erlaubt. Dass sich hier Frauen und Mädchen ein von Männern besetztes Gebiet zurückerobert haben und mit ihren eigenen Wertungen aufladen, dass die großteils weibliche Manga-Szene und noch größerenteils weibliche Mangaka-Szene eben nicht auf ein fast auschließliches Angebot an "Mangas für Mädchen" zurückführbar sind, hat Schwartz' Betonschädel noch nicht durchdrungen. Dass Schwartz seine Vorurteile gegen Manga gleich auch noch mit chauvinistischen Vorstellungen bündelt - männliche Comiczeichner sind innovativer, weil sie keine Mangas lesen - ist hierbei ja nur die Spitze des Packeisberges.

Die Gleichsetzung von Manga mit Daily Soaps ist zum einen natürlich totaler Blödsinn, zum anderen aber - und das ist viel schlimmer - ein knallharter normativer Abwertungs- und Diskreditierungsversuch einer ganzen Erzählform, die in Deutschland immer noch rund 70% des Comic-Marktes ausmacht. Hier wird wirklich aufs Übelste mit Dreck geworfen, und wenn mir noch mal jemand vorwerfen will, dass ich hier mit meinen Artikeln aufmache, erfundene Gräben zwischen den einzelnen Comicbereichen aufzuziehen (was einer der Mitinitiatoren des Comic-Manifestes letztens getan hat) - Tschuldigung, die Gräben waren schon da, und wenigstens hab ich nicht den Stacheldraht gespannt.

Bevor wir uns dem Rest widmen, schauen wir uns erst einmal an, was Ulli Lust gestern dazu meinte:

Diese gibt sich, nachdem sie uns ausführlich veranschaulicht, dass die Idee hinter der Graphic-Novel-Marketing-Kampagne ja total anarchistisch und kein Stück elitär ist (hauptsächlich, weil sie es so sagt), zuerst etwas diplomatischer: "Mangas finde ich gut", heißt es da. Aber gleich im nächsten Satz: "Ich warte noch auf die richtig geilen deutschen Mangas." - Liebe Ulli! Ich habe einen ganzen Schrank davon! Alles deutschsprachige Eigenproduktionen. Du kannst gerne mal vorbeikommen und sie dir angucken. Wir wohnen ja quasi in benachbarten Kiezen. Ansonsten: Nur weil man etwas nicht sieht oder nicht sehen will, heißt das nicht, dass es nicht existiert.

Aber auch bei Ulli Lust geht es nicht nur um Uninformiertheit. Leider. Damit könnte ich irgendwie noch leben. Wenn man von etwas keine Ahnung hat, sollte man sich dazu vielleicht nicht unbedingt öffentlich äußern. Aber der Interviewer hatte dummerweise danach gefragt. Das zu tun, war anscheinend ungefähr so schlau wie sich bei Marusha nach Empfehlungen zur Bundestagswahl zu erkundigen, aber egal. Das eigentliche Problem ist, dass sie ein paar Zeilen später ähnlich diskreditierende Vorurteile predigt wie Schwartz:

Nicht die großen Augen sind das Problem, sondern das extreme Nachmachen. Wenn einfach nur das nachgezeichnet wird, das woanders bereits erfolgreich wird, dann kann dabei nichts Gutes, oder zumindest nichts Neues herumkommen. Wenn sie dann deutsche Mädchen in einer japanischen Uniform zeichnen und ihnen japanische Namen geben, dann wirkt das so wie das Nachgehechel eines kleinen Kindes, das gut nachahmen kann. Interessant wäre aber die Weiterentwicklung. Wenn daraus eigene Geschichten entstehen, die vielleicht auch auf eigenen Erfahrungen basieren. Oder auf Beobachtungen, die in unserer Realität spielen. Die großen Augen sind dabei überhaupt kein Problem. Diese Ästhetik kann man ja trotzdem mögen. Es geht nur darum: wie platt oder wie vielschichtig ist die Geschichte?


Lust argumentiert hier auf einem Standpunkt von geschätzt 2005. Die Entwicklung, die sie vermisst, hat längst stattgefunden. Wenn man sich mal ernsthaft anschaut, war gegenwärtig an Manga-Eigenproduktionen publiziert wird, ob bei Verlagen oder als Doujinshi, findet man besagte Klischees nur noch sehr selten, und oft auch nur bei nach sehr jungen Nachwuchs-ZeichnerInnen. Im Manga-Sektor wird eben sehr viel jünger angefangen zu publizieren, in der Regel im Schulalter, und das meint nicht die Kunsthochschulen, die das Manifest zu hochhebt.

Schwerwiegender ist allerdings das Vorurteil, dass sowohl bei Schwartz wie auch bei Lust auftaucht, dass Manga-ZeichnerInnen bevorzugt ab- und nachzeichnen würden. Schwartz bläst das sogar zu "Mega-Scheuklappen" auf. Man würde ja nur den japanischen Vorbildern nachhecheln und wäre zu kreativer Eigenleistung nicht fähig, weil am Ende alles gleich aussieht. BULLSHIT!

Die meisten (semi-)professionellen deutschsprachigen Mangaka haben ihren eigenen Stil über Jahr intensiv entwickelt, von denen keiner exakt wie ein bestimmtes japanisches Vorbild aussieht. Die meisten von ihnen kann ich problemlos an ihrem Stil erkennen. Natürlich setzt das voraus, dass man sich einen Blick dafür erarbeitet, die Nuancen erkennen zu können. Und das wiederum setzt voraus, dass man sich damit beschäftigt hat. Was offensichtlich weder Lust noch Schwartz getan haben.

Sicherlich arbeiten sich hiesige Mangaka an japanischen Vorbildern ab und versuchen von den Meistern zu lernen. Das liegt aber nicht daran, dass sie unfähig und unwillens zu kreativer Eigenleistung sind, sondern dass Manga eine zeichentechnisch und erzählerisch hochkomplexe und anspruchsvolle Erzählform ist, bei der das technische Handwerk sehr viel wichtiger ist als bei anderen Comicformen. Perspektive, Dynamik, Strichführung, Anatomie, Figurendesign, Expressivität - als das ist bei Manga von zentraler Bedeutung und bedarf zur Perfektionierung jahrelange intensive Übung. Man muss das nicht mögen, man muss auch nicht unbedingt einen Blick dafür entwickeln - aber man sollte es verdammt noch mal respektieren können, wenn man schon meint, sich Urteile darüber erlauben zu müssen!

Dass viele junge Mangaka recht vehement auf ihre Stile bestehen, was ja die Erfahrungen sind, auf die sich sowohl Lust als auch Schwartz in ihrer Tätigkeit als Comic-Dozenten beziehen, hängt auch damit zusammen, dass Manga als Stilform an den Kunsthochschulen nur selten akzeptiert und mit fast identischen Vorurteilen bedacht wird, wie Lust und Schwartz sie hier aufzeigen. Wir alle kennen die Geschichten von Nachwuchs-Mangaka, die an Kunsthochschulen abgelehnt wurden, weil sie Manga machen - nicht weil sie schlechte Manga machen, sondern einfach weil sie Manga machen. Da kommen dann oft ganz ähnliche Sprüche. Besonders der Vorwurf des Abzeichnens gegenüber Manga scheint an den deutschen Kunstakademien irgendwie zum guten Ton zu gehören. Und aus Unverstandenheit wird dann eben leicht Trotz.

Das Problem an unseren beiden Ansichtsexemplaren hier ist ja auch, dass der eine sich intensiv mit Rassismus, die andere intensiv mit Sexismus beschäftigt hat und beide daher eigentlich wissen sollten, wie normative, generalisierende Vorurteile wirken und was sie anrichten können. Und trotzdem sehen sie sich dazu genötigt, eine gesamte Comicströmung schlecht zu reden, über die sie offensichtlich bei Weitem nicht genug wissen, um sich ein qualitatives Urteil darüber erlauben zu können.

Fazit: Seufz ...

P.S. Die Rosa_Maus hat das sich als Betroffene und (Ex-)Ulli-Lust-Fan dem Thema heute früh auch schon auf Facebook gewidmet. Die Diskussion darunter ist auch sehr lesenswert. [edit:] Ist leider nur mit Darfschein von Herr Zuckerberg UND Frau Schober einsehbar.


Disclaimer: Ich habe sowohl Packeis wie auch Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens tatsächlich gelesen. Aber meine Meinung dazu tut hier nichts zur Sache.

Das Comic-Manifest - eine vertane Chance Comic-Manifest, DManga, Graphic Novel, Krakel-Comic-Mafia, Literaturfestival, Nachwuchsförderung

Autor:  roterKater

UPDATE 3: Bela Sobottke, der unter anderem für Gringo Comics und die Neuauflage der U-Comix zeichnet, war einer der Mitunterzeichner des Comic-Manifestes. Im Gringo-Blog fasst der die Stimmung im Manifest-Gremium anschaulich zusammen und bestätigt unglücklicherweise alle meine spekulativen Überlegungen zu dem Thema:

  • "Bei allen Beteiligten – bis auf Bert und mich – herrschte eine stillschweigende Übereinkunft, welche Comics “gut”, bzw. förderungswürdig sind, und welche nicht. Es gab hier allgemein einen akademisch-künstlerischen Zugang zu Comics, während mein eigener Zugang eher aus dem Bauch heraus kommt und handwerklich geprägt ist (vielleicht, weil ich nie eine altehrwürdige Kunsthochschule von innen gesehen habe: die wollten mich damals nicht haben). Auch meine kritische Meinung zu Kulturförderung wurde freundlich zur Kenntnis genommen, aber nicht aufgegriffen. Als Filmfan ist die für mich abschreckende Referenz die deutsche Filmförderung, die zu unserem monothematischen und in weiten Teilen kreuzlangweiligen bundesrepublikanischen Gremienkino geführt hat. Wer entscheidet, welche Comics förderungswürdig sind? Auf diese Einwände wurde nicht weiter eingegangen."

Bela steht dem Manifest letztendlich wohlwollend gegenüber. Besser irgendwelche Förderung als gar keine. Aber es zeigt eben auch recht deutlich: Es gibt eine Comic-Lobby, die ein elitäres Angrenzungsbetreben innerhalb der deutschen Comic-Szene durchsetzen will und derzeit daran arbeitet, den kulturellen Diskurs über Comics in Deutschland zu dominieren und die Schnittstelle zu möglichen Fördertöpfen zu besetzen. Das ist Realität. Jetzt müssen wir uns entscheiden, wie wir damit umgehen wollen.

Die ganze Debatte um das Comic-Manifest ist übrigens auf Comicgate noch einmal übersichtlich zusammengefasst.

UPDATE 2: Wenig überraschend findet Comicgate-Kollege Marc-Oliver Frisch mal wieder die passendsten Worte zum Thema:

  • "Comic-Manifest" – das klingt schön romantisch, nach Aufbruch, nach Bambule im Untergrund von Leuten, die die Schnauze voll haben, sich unterbuttern zu lassen. In Wahrheit geht es bei dem Berliner Begehren aber um schnöde Fleischtöpfe, Planstellen und die Deutungshoheit einer sehr speziellen Lobby über den Comic-Begriff.

UPDATE 1: Der Jähling hat die Problematik auch mal aus nicht-Manga-Perspektive sehr gut zusammengefasst.


Gestern wurde im Rahmen des Berliner Literaturfestivals, das seit Kurzem auch über einen Graphic Novel Day (am kommenden Sonntag) verfügt, ein Comic-Manifest verlesen, das sich für eine stärkere Akzeptanz und Förderung der Comic-Kultur in Deutschland ausspricht. Das Manifest kann im Wortlaut und samt ErstunterzeichnerInnen hier nachgelesen werden.

Das Manifest fordert im Kern zwei Punkte: Erstens, finanzielle Förderprogramme und Stipendien für Comic-Schaffende, und zweitens, die Schaffung einer deutschen Comic-Professur in den Wissenschaften, um Comic-Forschung als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu etablieren.

Für den ersten Punkt habe ich mich auch selbst schon auf einigen Veranstaltungen ausgesprochen. Staatliche Förderprogramme und Subventionen halten ganze Kulturbereiche wie Theater und Orchestermusik über Wasser. Die deutsche Filmbranche erhält jährlich finanzielle Unterstützungen aus Steuergeldern in achtstelliger Höhe, um damit dann Til-Schweiger-Filme, den zwölftausendsten "wichtigen" Film über deutsche Geschichte oder selbstgenügsam-intellektelles Programmkino-Geschwurbel zu drehen, das in der Verwertung oft nur einen Bruchteil dessen einspielt, was es gekostet hat. Daran schließt sich natürlich die Frage an: Wenn wir uns so viel Kulturförderung in den anderen Künsten leisten können und wollen, warum dann nicht auch im Comic? Oder, wie es das Manifest formuliert:

  • Während Film, Theater, Musik und andere Künste — zu Recht — öffentlich gefördert werden, konnten die Zeichner, Szenaristen und Verlagsmitarbeiter ihre beachtlichen Erfolge nur durch Selbstausbeutung erreichen. Es liegt auf der Hand, dass sie mit größeren Ressourcen ihre Potenziale wesentlich stärker entfalten könnten.

Wenn man für die Comic-Förderung nur einen Prozent der gegenwärtigen Filmförderungsbeträge veranschlagen würde - also etwa 1 Million Euro jährlich (plus, wir sind ja hier in Deutschland, 25% für Verwaltungsinfrastruktur), könnte man damit 100 Comic-Projekte im Jahr mit jeweils 10.000 Euro fördern und ihren AutorInnen mit zusätzlichen Verlagseinnahmen durchaus überlebensfähige Arbeitsbedingungen schaffen. Momentan ist eine längerfristige Karriere als Comic-Schaffender nur durch finanzielle Absicherung außerhalb der Comic-Branche möglich. Demzufolge ist es nur der hochgradigen finanziellen Unvernunft aller Beteiligten verschuldet, dass überhaupt Menschen längerfristig Comics in Deutschland schaffen. Sehr viele hoffnungsvolle Talente können und wollen sich diese Unvernunft aber nicht leisten. Speziell in der extrem arbeitsintensiven und aufwendigen Manga-Produktion leidet die Szene seit Jahren darunter, dass zahlreiche junge Talente dem Comic-Schaffen früher oder später den Rücken kehren müssen oder wollen, wenn der Ernst des Lebens sie einholt. Judith Park ist hier nur das bekannteste Beispiel.

Die Manga-Szene ist seit Jahren eine intensive Brutstätte für junge Comic-Talente. Dieses Jahr scheint die Szene geradezu überzusprudeln mit neuen selbstverlegten Doujinshi-Projekten, wie sich in meinen letzten Beiträgen schon andeutete. All diese jungen Leute, teil noch nicht einmal 20 Jahre alt, bringen ein unglaubliches Maß an Talent und Potential in die deutsche Comicszene, das nach der gegenwärtigen Lage aber unmöglich in der professionellen Verlagsszene aufgefangen werden kann, weil dafür einfach die finanziellen Mittel fehlen, auch bei Großverlagen wie Carlsen und Egmont. Nur ein Bruchteil darf also überhaupt professionell veröffentlichen, und niemand von ihnen kommt derzeit allein mit Manga finanziell über die Runden. Manga Zeichnen ist also bestenfalls Nebenberuf, im Regelfall Hobby, und damit nur für die verrücktesten Selbstausbeuter eine dauerhafte Beschäftigung. Bei vielen ist daher mit Mitte 20 Schluss mit Manga Zeichnen. Was aus diesen Talenten mal hätte werden können - wir werden es nie erfahren.

Ein finanzielles Förderprogramm, wie es das Manifest vorschlägt, wäre als auch für die Manga-Szene ein extrem wirkungsvolles Instrument, um Taltenten längerfristig zur Entfaltung zu verhelfen. Nur - und hier liegt der große Haken an dem Manifest - es ist offensichtlich nicht für Manga-Schaffende gemacht und gedacht. Schauen wir uns doch einmal näher an, was das Manifest und dessen InitiatorInnen und "Comic" verstehen und für fördernswert erachten:

  • Der zeitgenössische Comic ist formal innovativ und inhaltlich anspruchsvoll. Sein Spektrum reicht vom Comicstrip zur Graphic Novel. Eindringliche Geschichten zu gesellschaftlich relevanten Themen prägen heute sein Bild in den Medien.

Die Formulierung "formal innovativ und inhaltlich anspruchsvoll" steht dem Kunstverständnis von Manga diametral entgegen. Bei Manga liegt das Anspruchsvolle oft in erster Linie im Formalen, im Berherrschen eines höchst komplexen Handwerks an Zeichentechniken, die Kenntnisse von Anatomie, perspektivischem Zeichnen, Kontrast, Dynamik, Design, Linienführung und Strichsicherheit verlangen, wie sie im Bereich der sogenannten Graphic Novels meist nicht im Ansatz gefordert werden (von vereinzelten KünstlerInnen aber natürlich auch dort gelegentlich gebracht werden). Handwerk ist ein Aspekt, der im intellektuellen Diskurs über Comic grundsätzlich vernachlässigt wird*.

Das ist nicht weiter verwunderlich. Die feuilletonistische Berichterstattung über Comic ist stark literaturkritisch geprägt. Viele der dort aktiven AutorInnen sind im Verständnis visueller Erzählpraktiken weit weniger geschult als in Textanalyse. Von daher setzt sich Comic-Kritik in den Nachrichtenmedien sehr viel stärker mit Inhalten als mit den visuellen Aspekten von Comic-Kunst auseinander. Der zweifelhafte Versuch, Comics über den Kampfbegriff "Graphic Novel" als Literaturform (und damit, wörtlich, Buchstabenkunst) zu etablieren, ist da nur zwangsläufig. Manga stand durch seine visuelle Ausdruckskraft und Dynamik dem Film schon immer deutlich näher als der Prosa, und solange wir nicht beginnen, von literarischen Filmen, literarischen Theaterstücken und literarischen Sinfonien zu fabulieren, macht das Attribut auch wenig Sinn in Verwendung mit der Erzählform Comic - außer, und hier sind wir beim Kern des Problems, um bestimmte Erscheinungsformen des Comics (Graphic Novels) von anderen Erscheinungsformen, die sich weder in Eigen- noch in Fremdwahrnehmung darunter verstehen lassen (unter anderem Manga), abzugrenzen.

Und das ist genau das, was im gesamten Graphic-Novel-Novel diskurs von Anfang an intendiert wurde und durch dieses Manifest erneut reproduziert wird. Wenn das Manifest gleich zur Einleitung behauptet: "Deutsche Comics werden im Feuilleton gefeiert", ist das in diesem Kontext blanker Hohn, denn die Feuilletons haben die deutsche Manga-Szene bisher bestenfalls mit Ignoranz bedacht, schlimmstenfalls mit arrogantem (und uninformiertem) Naserümpfen, wenn man um eine Erwähnung nicht umhin kam - falls sich noch jemand an die letztjährige Resonanz auf Daniela Winklers Max-und-Moritz-Publikumspreis erinnert (hier von mir zusammengefasst).

Zwar betont auch das Comic-Manifest im Wortlaut eine Verschiedenheit und keine Anteiligkeit von Comic gegenüber Literatur ("Wir fordern daher, dass der Comic dieselbe Anerkennung erfährt wie die Literatur und bildende Kunst und entsprechend gefördert wird.") Dann wird dieses Manifest aber ausgerechnet im Rahmen des Literaturfestivals verlesen, nicht im Rahmen eines Comic-Festivals, die es ja durchaus auch gibt. Im einseitigen Manifest fällt der Begriff Graphic Novel gleich zweimal. Comicstrips und Comicalben werden der Vollständigkeit halber immerhin einmal erwähnt. Manga wird kompltt ausgespart - übrigens nicht nur im Wortlaut, sondern auch in den beiden Comic-relevanten Rahmenpunkten des Literaturfestivals, dem breits erwähnten Graphic Novel Day sowie der heute eröffnenden Austellung Comics aus Berlin. Bilder einer Stadt. Gerade letzteres ist besonders bitter, denkt man an Werke wie Sketchbook Berlin von Marie Sann und Guido Neukamm oder die zahlreichen anderen Manga-Schaffenden, die in Berlin leben und arbeiten, sowie die Selbstbeschreibung der Ausstellungskuratoren, die ja angeblich gerade die Vielfalt der Berliner Comic-Szene abbilden wollten.

Die Tendenz setzt sich auch in der Liste der ErstunterzeichnerInnen des Manifestes fort, die natürlich keinerlei Manga-Schaffende führt, dafür aber zahlreiche Vertreter der Graphic-Novel-Bewegung aus dem Umfeld von Verlagen wie Reprodukt und Avant oder der Hamburger Professorin und Comic-Zeichnerin Anke Feuchtenberger - alles in allem (fast) ausschließlich Vertreter einer Intellektualisierung des deutschsprachigen Comics, die sich "Anspruch" als Selbstbezeichnung führt und damit selten Comic-Handwerk meint.

Besonders letzterer Name ist interessant, weil es ja auch noch die zweite Forderung im Manifest gibt - die nach einem deutschen Forschungsstuhl für Comic. Die bisherige deutsche Comicforschung rekrutiert sich ja aus einem Sammelsurium von Vertretern unterschiedlichster Disziplinen, von denen keine "Comic" im Titel trägt. Einerseits ist es auch hier richtig und wichtig, die Comic-Forschung zu stärken, andererseits ist es wieder problematisch, wie das Manifest Hochschulen im Verhältnis zu Comic-Schaffenden denkt. So heißt es da: "Die Zahl hervorragender Nachwuchszeichner, die meist an den staatlichen Kunsthochschulen ausgebildet worden sind, wächst stetig". Auch hier ist offensichtlich, dass damit keine Manga-ZeichnerInnen gemeint sind. Die meisten von ihnen sind Autodidakten, die sich ihr Handwerk bereits im Teenager-Alter angearbeitet haben, als lange vor einer Hochschulausbildung. Immer wieder hört man Geschichten von Manga-ZeichnerInnen, die besonders an den staatlichen Kunstakademien rigoros abgelehnt wurden, teils mit absurd uninformierten Behauptungen wie "Manga ist ja keine Kunst, da wird ja bloß abgezeichnet". Mir fallen keine heimischen Manga-Schaffenden ein, die ihr Handwerk auf einer  Kunsthochschule gelernt haben. Am nähesten kommt dem meist noch eine Ausbildung im Graphic Design. Hier meint "hervorragende Nachwuchszeichner" also auch eher Absolventen von Frau Feuchtenberger als den vitalen deutschen Doujinshi-Nachwuchs, in dem man wohl nicht viel Hervorragendes erkennen kann oder eher will.

All diese Punkte veranschaulichen, dass Manga als fördernswerte Comic-Form an keiner Stelle des Manifests mitgedacht oder überhaupt in Betracht gezogen wurde. Dass keine Manga-Schaffenden auf der Unterzeichner-Liste zu finden sind, dürfte hauptsächlich darin liegen, dass niemand gefragt wurde, genauso wie niemand gefragt wurde, ob er/sie sich an der Ausstellung zu "Comics aus Berlin" beteiligen mag. Manga erscheint im öffentlichen Diskurs über Comic-Schaffende in Deutschland weiter als nicht beachtenswert oder relevant.

Dabei macht Manga laut Angaben des Comic-Reports etwa 70% des deutschen Comic-Marktes aus und wurde kürzlich bei Buchreport als Hauptverantwortlicher für den erneuten 10-prozentigen Anwachs des deutschen Comic-Marktes im ersten Halbjahr 2013 ausgemacht. Glauben die Verantwortlichen des Comic-Manifestes, dass deswegen keine Förderung für deutsche Mangaka notwendig ist, weil der Markt da anscheinend schon genug abwirft? Das wäre eine fatale Fehleinschätzung. Denn der Manga-Markt in Deutschland ist hauptsächlich durch Lizenzprodukte bestimmt. Heimische ZeichnerInnen haben es extrem schwer, sich dagegen zu behaupten, und könnten jede Unterstützung (selbst ideelle - das wäre ja schon mal was!) dringend gebrauchen.

Natürlich wünsche ich den Manifest-InitiatorInnen viel Erfolg mit ihren im Kern berechtigten Forderungen nach öffentlicher und staatlicher Anerkennung von Comic-Schaffen in Deutschland. Aber ich mache mir wenig Hoffnung, dass selbst bei erfolgreicher Umsetzung der Vorschläge irgendetwas davon bis zur Manga-Szene durchsickert. Ziel der Comic-Förderung nach dieser Ideologie ist weniger ein Aufbau eines Talent-Pools für deutsche Comic-Kunst quer durch alle ihre Ausdrucksformen, damit sie irgendwann international und kommerziell mit anderen Comic-Nationen mithalten kann, sondern ein Subventionsprogramm für Comic-Schaffende, die von einem durchweg intellektualisierten, elitären Auserwähltengremium als würdig für das Attribut "anspruchsvoll" erachtet wird. Also in etwa das, was die deutsche Filmförderung schon heute tut.  Dass dieses Auserwähltengremium sich um den Terminus Graphic Novel bereits formiert hat, beweist das Manifest in seiner jetzigen Form mehr als deutlich. Das Manifest bildet so eher das ideologische Selbstbildnis der Graphic-Novel-Front, statt stellvertretend für die wirklich gesamte deutsche Comic-Szene zu stehen. Manga ist ja bei weitem auch nicht das einzige, was hier ausgeklammert wurde. Das ist lediglich der Punkt, mit dem ich mich am besten auskenne. Daher habe ich mich darauf konzentriert, um die Probleme des Manifestes deutlich zu machen.

Die InitiatorInnen und ErstunterzeichnerInnen des Comic-Manifestes sollten sich demnach fragen, ob es vertretbar ist, gegen strukturelle Ungleichheiten in der kulturellen Wahrnehmung und Verteilung finanzieller Mittel anzugehen, indem sie neue strukturelle Ungleichheiten mit denselben Auswirkungen aktiv mitverantworten.

Dass es ja durchaus auch deutsche Comic-Talente gibt, die über die Manga-Szene zum Comic-Schaffen kamen und sich mittlerweile auch bis in die Graphic-Novel-Ecke durchgearbeitet haben - man denke an Carolin Walch oder Olivia Vieweg - sollte eigentlich verdeutlichen, dass eine Förderung des Manga-Nachwuchses auch dem Bereich Graphic Novel zugute kommt. Also, auch im Dienste der reinen Selbsterhaltung: Nieder mit den Scheuklappen, liebe Graphic-Novelisten!

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* Inhalt ist übrigens ein Aspekt, wo Manga in der Fremdwahrnehmung weiterhin stark unterschätzt wird, weil die oft subversiven Tendenzen sich auf den ersten Blick für ungeübte Augen nicht erschließen. So hat wohl keine kulturelle Strömung in Deutschland jemals derart radikal mit heteronormativen Wertvorstellungen aufgeräumt, ohne dass jemand etwas davon mitbekommen hat, wie die stark weiblich geprägte deutsche Manga-Szene, in der auch Homosexualität ohne nötige diskursive Verhandlung weitestgehend akzeptiert und sogar befürwortet wird. Aber das nur nebenbei.