Beyond the waves von Bambusbesen (Gaara X Deidara) ================================================================================ Kapitel 21: Rückkehr -------------------- Grässliche Kopfschmerzen stießen Deidara in den Wachzustand. Gequält stöhnte er. Seine Glieder wogen so schwer wie Baumstämme. Auf der Brust schien ein Stein zu liegen. Ein flaues Gefühl rumorte in Deidaras Magen. Schwerfällig hob er die Augenlider. Grelles Licht stach wie Speere in seinen Kopf. Fest schloss der Blonde die Lider. Schneidend atmete er aus. Den neuen Versuch unternahm er behutsam. Allmählich gewöhnten sich die Augen an die Helligkeit. Deidara stemmte sich mühsam in eine sitzende Position. Der Untergrund war weich. Er lag auf einem Bett. Flink huschte sein Blick umher und erfasste seine Umgebung. Er war in einem schlichten Zimmer. Blaue Gardinen mit einem Wellenmuster versperrten die Sicht hinaus. Ihm gegenüber stand eine weiße Kommode. Darüber war ein Fernseher an die Wand montiert. In der Ecke neben der hölzernen Tür luden ein runder Tisch mit zwei Stühlen zum Verweilen. Die milchige Glastür ließ einen weiteren Raum vermuten. Der Ningyô hatte keine Ahnung, wie er hierher gekommen war. Angestrengt suchte er in seinen Erinnerungen. Dr. Orochimaru hatte ihn auf dem Rückweg zu Gaara abgefangen und sich für sein aufdringliches Verhalten entschuldigt. Deidara war ein Glas Champagner in die Hand gedrückt worden, als Wiedergutmachung. Eine ungefähr handgroße Muschelschale voll dieses perligen Getränkes vertrug sein Körper ohne Probleme, daher hatte er es angenommen. Ein paar Minuten vergingen mit einer oberflächlichen Unterhaltung über die anderen ausgestellten Kunstwerke. Dann war ihm speiübel geworden. Der Schwarzhaarige hatte einen kurzen Abstecher an die frische Abendluft vorgeschlagen. Ein Raum mit so vielen Menschen konnte schon mal zu Übelkeit führen. Auf dem Vorplatz der Galerie endete Deidaras Erinnerung. Er musste herausfinden, wo er war und was in der Zeit geschehen war, an die er sich nicht erinnerte. Und er brauchte ein Telefon oder Handy, um seinen Gefährten anzurufen. Entschlossen schob Deidara die Beine über die Bettkante. Kaum erhob er sich, schlotterten sie wie ein nasses Tuch im Sturm. Unweigerlich sackte er zurück auf die Matratze. Verwirrt starrte der Ningyô auf seine Schenkel. Dieses Gefühl im Unterleib. Es war ihm vertraut. Nur nach ausgiebigem Sex empfand er die Beanspruchung auf jene spezielle Art. Erinnerungsfetzen fluteten das Bewusstsein des Blonden. Die bleiche Fratze Orochimarus über ihm. Schlangenartige Augen, die auf ihn hinab starrten wie auf eine kostbare Beute. Dessen Erektion tief in ihm. Das lähmende Gefühl. Deidara würgte. Reflexartig beugte er sich vor und erbrach den Mageninhalt. Der bittere Geschmack von Galle setzte sich auf der Zunge fest. Zitternd verharrte der Ningyô. Das lange Haar rutschte über seine Schultern und schützte sein Gesicht wie ein Vorhang dünner Drahtalgen. Eng schlang er die Arme um sich. Abgehackt japste Deidara nach Luft. Jetzt ergab alles Sinn. Kunstsammler. Die Aufdringlichkeit. Der Blick eines Jägers auf der Pirsch, der sich des Sieges sicher war. Der Mistkerl begeisterte sich zuerst für den Künstler, an zweiter Stelle folgten die Gemälde. Er war die Beute, das Kunstobjekt, das der Mann zu seiner Sammlung hinzugefügt hatte. Orochimaru hatte sein Ziel erreicht. In hilflosem Zorn krallten sich Deidaras Hände in den Stoff der luftigen Jacke. Warum war er nicht nackt? Es bestand kein Grund, nach diesem Triumph dem reizlos gewordenen Objekt die Sachen wieder anzuziehen. Erneut stieg Übelkeit in Deidara auf. Aber sein Magen war leer. Nur ein trockenes Würgen verließ die Kehle des Blonden. Orochimaru war in seinem Körper gewesen. Der Gedanke war absolut scheußlich. Deidara schlug die Stirn gegen die Knie, wieder und wieder. Das konnte nicht wahr sein. Diese Bilder im Kopf waren nur ein böser Traum. Die Empfindsamkeit tief im Inneren zertrampelte jeden Versuch, die Wahrheit zu verleugnen. Er fühlte sich schmutzig. Deidara musste fliehen. Weg vom Land und ins Meer. Dort war er sicher vor dem schmierigen Monster. Verbissen drückte er sich erneut vom Bett hoch. Seine Beine zitterten unverändert, aber sie hielten sein Gewicht. Klapprig arbeitete er sich zur Holztür und den Flur entlang. Möbel und Wände dienten als Stütze. Niemand begegnete ihm. Deidara zog das Messer aus der Jackentasche. Glatt schmiegte sich das kalte Metall in die Handfläche. Der Glanz der Klinge gab ihm eine Vision von Schutz. Der Gang führte ihn zu einem quadratischen Treppenhaus. Den Fahrstuhl ignorierte er. Allein der Gedanke daran, in einem winzigen Raum ohne Fluchtmöglichkeit eingepfercht zu sein, löste eine Welle der Angst in ihm aus. Schleppend überwand er die Stufen hinab bis zum Fuß der Treppe. Er erreichte den Eingangsbereich. Hinter einem Tresen saß eine alte Frau. Die grauen Haare waren zu einem strengen Zopf gebunden. Sie bemerkte ihn und stand auf. Besorgt musterten die kleinen Augen ihn. „Geht es Ihnen besser?“, fragte sie freundlich. „Was?“ Deidara war verwirrt. „Wissen sie nicht mehr? Ihr Begleiter hat Sie hergebracht und ein Zimmer gemietet. Sie haben zu viel getrunken. Er ist Stunden bei Ihnen geblieben, um auf Sie aufzupassen. So ein höflicher Mann.“ Sie seufzte angetan. „Er hat mich gebeten, ab und an nach Ihnen zu sehen.“ Deidara klappte der Unterkiefer runter. Diese Dreistigkeit war unerhört. Keine Reaktion war angemessen, seine Erschütterung auszudrücken. Den Mund schloss er wieder. „Ist alles in Ordnung? Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“ „Nein!“ Die alte Frau zuckte unter dem scharfen Tonfall zusammen. Deidara hob das Messer auf Brusthöhe. Mit einem erschrockenen Quietschen schlug sie sich die Hände vor den Mund. Angsterfüllt starrte sie ihn an. Langsam schob sich der Ningyô weiter, ließ die Frau nicht aus den Augen. An der Eingangstür angelangt, zog er diese einen Spalt breit auf. Er spähte hinaus. Nächtliche Stille und angenehme Dunkelheit begrüßten ihn. Einen letzten Blick warf er zu der Alten, dann zwängte er sich durch die Tür und schlug sie hinter sich zu. Hastig stolperte Deidara durch die Straßen, nah an den Hauswänden entlang. Immer wieder war er gezwungen, sich am Mauerwerk abzustützen. Mehrfach suchte er zu spät Halt und fiel auf die Knie. Jeder Aufprall hallte donnernd in seinem Kopf. Der Blonde befürchtete, dass er aufplatzte wie eine Melone. Ein flüchtiger Wind trieb den Geruch von Salzwasser zu ihm. Das Meer. Er wandte sich um und folgte der Sicherheit versprechenden Spur. Ein paar Straßen weiter öffneten sich die Häuserschluchten. Deidara taumelte auf einen betonierten Platz. Leises Plätschern von kleinen Wellen umtanzte seine Ohren. Boote und Schiffe waren an den Anlegestellen vertäut. Ein Hafen. Der Ningyô zwang sich, zu rennen. Nur wenige Meter trennten ihn von der vertrauten Heimat. Die Arme riss er nach vorn. Mit letzter Kraft sprang er vom Pier. Deidara durchbrach die Wasseroberfläche. Er hatte den Eindruck, ein Hai packe ihn im Nacken und schleuderte ihn herum. Aus seiner Kehle löste sich ein Schrei. Das Messer entglitt Deidaras Fingern. Die Transformation setzte ein. Hose und Schuhe zerrissen unter der Wandlung. Bevor die Nähte nachgaben, bereitete der Druck ihm weitere Schmerzen. Benommen trieb Deidara im Hafenbecken. Das rasende Pochen im Kopf und der Schwanzflosse ebbte nur langsam ab. Wie heilende Salbe umhüllte ihn das kühle Wasser. Hier war er sicher. Allmählich wurde sein Geist wieder klar. Der Ningyô schlüpfte aus der Jacke und dem Shirt. Mit kraftlosen Bewegungen brachte er sich ins offene Meer. Schnell kam er nicht voran. Deidara war unendlich erschöpft. Sein Körper schmerzte. Aber der Gedanke an diesen schrecklichen Mann trieb ihn an. In seinem Kopf existierte nur ein Impuls. Weit weg von allem, so weit weg wie möglich. Deidara streifte durch das Riff. Auf dem Weg nirgendwohin hatte er es entdeckt. Gemächlich schwamm er durch die Felsformation. Hier wuchsen Korallen, die er nie zuvor gesehen hatte. Rosafarbene Geflechte, die den Büschen an Land ähnelten. Doch sie trugen keine Blätter und erschienen in einer gedrungenen Gestalt. Kleine Fische verbargen sich zwischen den Korallen, auf der Hut vor möglichen Fressfeinden. Für ihn waren diese winzigen Tierchen höchstens ein Appetithappen. Die Erkundung unbekannter Gebiete lenkte Deidara ab, von der Vernissage, von den Albträumen, von der Hilflosigkeit, der Wut und der Angst. Selbst das Meer, seine Heimat, konnte ihm nicht länger dasselbe Selbstvertrauen geben wie früher. Aus der Felsspalte nahe Aka hatte der Ningyô die versteckten Waffen geholt. An dem neuen Gürtel aus Seetang hing neben den kleineren Knochenmessern die große Säge eines Sägefisches. Die Schuppen der gefangenen Fische wurden zur Grundlage der Panzerung, die mittlerweile seinen Oberkörper verdeckte. Die Waffen und der Panzer gaben ihm ein Gefühl von Schutz und Kontrolle. Deidara hielt sich nie lange an einem Ort auf. Logisch betrachtet war es unmöglich, dass Orochimaru ihn im Meer fand. Und trotzdem ergriff ihn unbeherrschbare Nervosität, wenn er sich mehrere Tage in demselben Gebiet aufhielt. Ein Schwarm roter Fische kreuzte Deidaras Weg. Rasch schwammen sie zwischen den Felsformationen hindurch und verschwanden in kleinen Höhlen. Die Farbe erinnerte ihn unweigerlich an die Haare seines Gefährten. Deidara war sich sicher, dass Gaara sich um ihn sorgte. Ohne ein Wort war er verschwunden. Der Rotschopf suchte ihn gewiss. Aber ins Meer konnte er dem Ningyô nicht folgen. Die Reichweite der Sauerstoffflaschen schränkte ihn extrem ein. Ein Mensch war nicht für das Leben unter Wasser geschaffen. Immer wieder flackerte der Wunsch in seinem Geist, zu Gaara zurückzukehren, ihn in die Arme zu nehmen. Doch die Angst scheuchte ihn erbarmungslos weiter. Wie würde der Rotschopf reagieren, wenn er von Orochimarus Jagd erfuhr? Deidara war zur Beute geworden, unfähig, sich gegen einen Menschen zu wehren. Er fühlte sich beschmutzt. Unwürdig, weiterhin Gaaras Gefährte zu sein. Es kam ihm wie Betrug vor. Welche Falle hatte er nur übersehen? Deidara hätte sich Orochimaru nie freiwillig hingegeben. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er sich, dass in dem Champagner etwas verborgen war. Auch unter Ningyô existierten gefährliche Substanzen, mitunter höchst originelle. Sasori war ein Meister dieser Kreationen gewesen. Warum sollten die Menschen nicht ebenfalls über ein ausgefeiltes Repertoire an solchen Giften verfügen. Hätte er das Glas doch nur nicht angenommen. Das Wissen um die Vergiftung half nur geringfügig, die Angst zu verdrängen. Frustriert peitschte Deidaras Flosse durch das Wasser, trieb ihn schneller voran. Er ertrug den Gedanken nicht, willenlose Beute zu sein. Deidara war ein fähiger Kämpfer. Von seinem Lehrmeister Sasori hatte er eine Reihe teilweise hinterhältiger Kampftechniken gelernt. Ohne diese Tricks wäre sein Leben schon mehrfach von den Jägern der Ningyôdörfer beendet worden. Er hätte in der Lage sein müssen, dem Mistkerl den Schwanz abzuschneiden. Deidara war sich sicher, dass Orochimaru nicht zum ersten Mal einen Künstler geschändet hatte. Dafür war die Vorgehensweise sogenannten Arztes zu durchdacht. Zuerst das Gift im Getränk. Er spielte den besorgten Begleiter, der ein Hotelzimmer anmietete. Vor den Hotelbesitzern behauptete der Mann, er kümmere sich nur um einen Bekannten. Die Vorbereitung war gewissenhaft, um keine Verletzungen zu hinterlassen. Nach dem einseitigen Sex entfernte er jede Spur und legte seiner Beute die Kleider wieder an. Die Substanz löschte die Erinnerungen. Es blieben nur ein paar Fetzen zurück, die sich schwer einordnen ließen. Anfangs hatte Deidara befürchtet, Orochimaru habe sein Geheimnis herausgefunden. In diesem Fall wäre er aber garantiert nicht allein in einem Hotelzimmer aufgewacht. Der Mann hatte keine Ahnung vom wahren Wesen des Blonden. Ein kümmerlicher Trost zwischen den Bruchstücken seines Selbst. Der Ningyô verließ die Felsformation mit den buschförmigen Korallen und deren bunten Bewohnern. Gedankenverloren streifte er mit den Fingern den sandigen Boden. „Deidara-chan!“, rief eine vertraute Stimme. Kaum drehte Deidara sich um, prallte der silberne Ningyô stürmisch gegen ihn. Kräftige Arme pressten ihn an den anderen Körper. Erinnerungsfetzen blitzten auf, wie Orochimaru ihn hinab drückte. Grauen stieg in ihm auf. Blind schlug der Blonde seine harten Nägel in alles, was er erreichte. Mit einem empörten Schmerzenslaut zog Hidan sich zurück. Ein paar heftige Flossenschläge brachten Abstand zwischen ihn und den Ningyô. Sein Herz gab den hektischen Takt nur widerwillig auf. Es gab keinen Grund zur Panik. Das waren Hidan und Kakuzu. Der braune Ningyô näherte sich langsam und blieb in angemessener Entfernung. „Was soll denn die Scheiße?“ Hidan betrachtete missmutig seine zerkratzten Arme. Den Kopf bog er nach hinten, um die tiefen Kratzer am Rücken zu sehen, gab dann aber auf. Aus den Wunden sickerte Blut. In kleinen Wölkchen schwebte es um Hidan. „Erschreck mich nicht so, hm.“ Deidaras Stimme bebte. Kakuzus Augenbraue hob sich. „Seit wann bist du so schreckhaft?“ Die grünen Augen musterten den Schuppenpanzer. „Und was soll der Panzer?“ Deidara hatte sich aus dem Ningyôterritorium um Okinawa entfernt, um allein zu sein. Warum begegnete er ausgerechnet hier, so weit weg von ihrem Gebiet, Mitgliedern von Akatsuki? Der silberne Ningyô hob den Arm zum Mund und leckte über die Schnitte. „Alter, das tut echt weh.“ Deidara ignorierte Hidans Maulerei. Sein Blick lag misstrauisch auf Kakuzu, der näher schwamm. In zwei Schwanzflossen Entfernung verharrte er. „Wir suchen dich seit Wochen. Was ist los?“ Fest presste Deidara die Zähne aufeinander. Er wollte seine Schwäche und Machtlosigkeit nicht preisgeben. „Ich erkunde die Welt, hm.“ Kakuzus Lider verengten sich. „Den Mist glaub ich dir nicht. Wir wissen, dass du mit Gaara unterwegs warst und dann verschwunden bist.“ Woher wussten sie das? Seine Augen spiegelten den Gedanken offenbar, denn Kakuzu gab ihm die passende Antwort. „Du hast die Treffen mit Konan verpasst. Sie und Yahiko waren bei Gaara.“ Hidan schwamm wieder heran, dieses Mal vorsichtiger. „Also, was ist passiert? Oder muss ichs aus dir rausprügeln, Deidara-chan?“ Reflexartig schlossen sich Deidaras Finger um den Griff der Säge. „Versuchs doch, hm!“ Kakuzu packte Hidans Schulter. „Keine Prügelei.“ Hidan verdrehte die Augen und murrte genervt. Grüne Iriden fixierten Deidara. Seine Muskeln spannten sich. Keiner von Akatsuki würde ein Wort aus ihm herauskriegen. Damit musste er allein fertig werden. Wie lange sie sich anstarrten, konnte der Blonde nicht sagen. Letztendlich seufzte Kakuzu. „Dann schweig halt, mir doch egal.“ Deidara erlaubte sich, aufzuatmen. Langsam löste er seine Hand von der Knochensäge. „Mach von mir aus, was du willst. Aber hör mit dieser sinnlosen Flucht auf. Die führt zu nichts.“ Deidara ließ sein Versteck zwischen den Felsen am Rande der Bucht hinter sich und schwamm dem Strand entgegen. Die Finger der linken Hand umschlossen krampfhaft die Muschelhälfte, die an der Kette um seinen Hals hing. Seit Stunden saß Gaara auf einer Decke im Sand, umgeben von Büchern. Ab und an hob er den Kopf und sah aufs Meer hinaus. Der Ningyô erkannte, dass Gaara auf seine Rückkehr hoffte. Der Blonde war sich nicht sicher, wie lange er sich zurückgezogen hatte. Definitiv waren Wochen vergangen. Kakuzu behielt Recht. Er war geflüchtet, vor allem. Das war ihm erst klar geworden, nachdem der Ältere ihm die Beobachtung entgegen geschmettert hatte. Die Angst saß tief. Aber eine sachte Stimme in ihm wurde zunehmend eindringlicher. Er vermisste die Zeit mit seinem Gefährten. Dessen vertrauten Duft. Die Unterhaltungen. Das gemeinsame Schwimmen und Kochen. Das Schimmern in den jadefarbenen Augen, wenn Gaara ein neues Bild bewunderte. Doch was würde geschehen, erfuhr der Rotschopf die Wahrheit? Er wollte ihn nicht verlieren. Gaara sah in Deidaras Richtung, erst geistesabwesend, dann weiteten sich seine Augen. Das Buch ließ er fallen. Im nächsten Moment sprang er auf. „Deidara!“ Das Shirt und die knielange Hose ignorierend, eilte Gaara ihm entgegen. Deidaras Ohren zuckten. Die gleichmäßigen Flossenschläge erstarben. Unweigerlich erinnerte ihn die unbedachte Bewegung an Hidans plötzliche Umarmung. Sein Herz machte einen hektischen Satz. Das Meer reichte Gaara bis zur Hüfte. Er war fast bei ihm und streckte die Arme nach ihm aus. Mit einem kräftigen Rudern der Flosse wich Deidara zur Seite aus. Wasser spritzte. Für einen Moment tauchte er komplett unter, dann reckte er den Kopf wieder in die Luft. „Nicht näher“, brachte er hastig hervor. Seine Finger gruben sich zitternd in den Sand. Das Bedürfnis, zu den Waffen zu greifen, flutete ihn. Das vor ihm war sein Gefährte. Er war doch der Letzte, der ihm schaden würde. Und trotzdem war das Gefühl überwältigend. Verwirrt hielt Gaara inne. „Deidara, ich bin so froh! Ich hab dich vermisst.“ Das Lächeln auf Gaaras Lippen wühlte ihn auf. Ob der Rotschopf immer noch erfreut über seinen Anblick war, wenn er wusste, was passiert war? Angst verbiss sich in ihm wie ein Schwarm hungriger Flohkrebse. Dem Ningyô gelang es nicht, die eigene Sehnsucht nach dem Gefährten zu zeigen, wie dieser es verdiente. „Ich... hab dich auch ...vermisst, hm“, brachte Deidara hervor. Die perlenartigen Augen blieben auf ihn gerichtet. Der Blonde senkte den Blick. So genau gemustert zu werden, war ihm unangenehm. Er hatte das Gefühl, Gaara könne in ihn sehen und den Schlick von Ängsten durchbohren. „Deidara, setzen wir uns an den Strand?“ Den Ningyô beruhigte es, dass Gaara nicht sofort fragte, was passiert war. Sein Gefährte war nicht einfältig. Ihm war unzweifelhaft längst klar, dass er nicht grundlos verschwunden war. Langsam neigte Deidara den Kopf. Neben Gaara schwomm er zum Ufer. Den Abstand zu ihm behielt er bei. Die letzten Meter schob der Blonde sich den Sand hinauf und setzte sich. Gaara ließ sich unweit von ihm nieder. Bedächtig hob er die Hand, Deidaras Gesicht entgegen. Automatisch löste die Geste seinen Abwehrinstinkt aus. Er schlug sie weg. Nur einen Herzschlag später bereute Deidara. Er wollte Gaara nicht weh tun. „Entschuldige, ich wollte das nicht, hm“, brachte er hastig hervor. Tief atmete er durch. „Bitte fass mich erst mal nicht an.“ Er hoffte, dass Gaara den Wunsch respektierte. Die Hand zog sein Gefährte zurück. Er antwortete nicht gleich. Dafür sah er den Blonden mit diesem grübelnden Blick an, den er aus den Jahren ihrer Annäherung kannte. Gaara versuchte herauszufinden, was dahinter steckte. Aber er nickte. „Okay.“ Die Arme legte Gaara auf den Knien ab. „Ich hab mir große Sorgen gemacht. Du warst wochenlang verschwunden... was hat Orochimaru getan?“ Bei der Nennung des Namens sprangen die Erinnerungen an wie der Fernseher, nachdem man den Einschaltknopf betätigt hatte. Deidaras Muskeln verkrampften sich. Die Finger gruben sich in den warmen Sand. Hart hämmerte sein Herz gegen die Rippen. Stur sah Deidara zu den Wellen, die den Strand hinauf rollten, bis sie zu Schaumkronen aufsprangen und versickerten. Er schluckte. Das war der Moment, vor dem er sich fürchtete. Aber wenn er wieder ins Meer flüchtete, verlor er seinen Gefährten endgültig. Aktuell bestand noch Hoffnung, oder? Er wollte mit Gaara zusammen sein. „Er hat mir... ein Glas Champagner angeboten. Irgendwas... muss da drin gewesen sein. Ich kann mich an die... Stunden danach kaum erinnern, hm.“ Die Worte gaben sich alle Mühe, in Deidaras Kehle stecken zu bleiben. Aber er hatte es geschafft, sie hörbar zu formen. Gaara atmete scharf ein. „KO-Tropfen.“ Unwissend zuckte Deidara mit den Schultern. Er kannte sich mit den Giften der Menschen nicht aus. „Die eine Journalistin, die dich interviewt hat, meinte, du bist mit Orochimaru ins Foyer gegangen. Jetzt ergibt das Sinn. Das Zeug macht einen willenlos und hinterher fehlen oft Erinnerungen.“ Deidara biss sich auf die Unterlippe. „Passt“, murmelte er rau. „An was kannst du dich erinnern?“ Gaaras Stimme war sanft. Doch die Erwähnung reichte aus, um sofort wieder die Bilder vor Augen zu haben. Zerfetzte Ansammlungen, die ihm seine Machtlosigkeit aufzwangen und seine Schwäche vorführten. Deidara wandte sein Gesicht vollständig von Gaara ab. Sein Körper war so angespannt, dass die Haarspitzen zitterten. Ein dicker Kloß steckte im Hals. Der Ningyô brachte nicht ein weiteres Wort über die Lippen. „Er hat dich vergewaltigt.“ Es dauerte ein paar Momente, bis ihm klar wurde, dass Gaara keine Frage gestellt hatte. Doch den Begriff kannte er nicht. Inzwischen verstand er fast alles und trotzdem tauchte gelegentlich ein Ausdruck auf, den er nicht zuordnen konnte. „Was?“, fragte Deidara brüchig. „Er hat dich zum Sex gezwungen, gegen deinen Willen.“ Der Blonde blinzelte. Sein Kopf ruckte herum. Da war kein Ekel oder Wut in Gaaras Gesichtszügen. Nur Trauer schimmerte in den jadefarbenen Augen. „Woher... weißt du, hm?“, fragte er konfus. Der Rotschopf hielt seinen Blick gefangen. „Dein Verhalten ist eindeutig. Du hast Angst vor Berührung. Er hat dir KO-Tropfen untergemischt. Das macht man, um das Opfer willenlos zu machen. Als Arzt verdient er genug. Er muss nicht klauen. Und sonst benutzt man KO-Tropfen dazu, jemanden zu vergewaltigen.“ Deidara ertrug den Blickkontakt nicht mehr und senkte den Kopf. Er wollte nicht das armselige Opfer sein. Hilflose Wut gärte in ihm, aber er fand keinen Kanal, sie auszuleben. Orochimaru zu suchen und umzubringen, war eine verlockende Idee. Gleichzeitig schwärte lähmende Angst tief in ihm. Alles könnte sich wiederholen. „Es tut mir so leid, Deidara. Ich hätte das mit meiner Schwester anders regeln müssen. Hätte sie die Bilder diesem Arschloch nicht gezeigt, hätte er dir das nicht angetan.“ Gaaras Stimme bebte. Zögerlich sah der Blonde auf. Tränen rollten über die Wangen seines Gefährten. Er weinte seinetwegen? Dabei hatte er doch überhaupt keinen Grund dazu. „Warum... weinst du, hm?“ Gaara schniefte. „Dir ist so was schlimmes passiert... weil ich nicht aufgepasst habe.“ Da war nicht ein Funke Abscheu. Vielmehr gab Gaara sich die Schuld an dem Geschehenen. Zurückhaltend hob Deidara die Hand. Für mehrere Herzschläge schwebten die Finger nahe vor Gaaras Gesicht. Dann überwand er sich und wischte die Tränen fort. Hoffnung keimte in ihm, dass ihre Beziehung nicht verloren war. „Du... liebst mich noch, hm?“, fragte der Ningyô leise. Der Rhythmus seines Herzens stolperte beklommen. Er hatte Angst vor der Antwort. „Natürlich liebe ich dich und ich werde dich auch weiterhin lieben.“ Obwohl Gaaras Stimme schlingerte, hörte Deidara die Entschlossenheit hinter den Worten. Erleichterung schwappte wie eine große Welle durch seinen Körper. „Wirklich, hm?“ Er brauchte die Bestätigung. „Ja.“ Keine Unsicherheit war an Gaaras Bekräftigung zu erkennen. Ein vorsichtiges Lächeln stahl sich auf Deidaras Lippen. Ein kurzes Beben erfasste ihn, dieses Mal nicht vor Angst, sondern vor Glück. „Darf ich... deine Hand nehmen?“, fragte Gaara. Deidara sah hinab auf die rechte Hand. Sie war halb im Sand vergraben. Er konnte es zumindest versuchen. Auf die Berührung war er vorbereitet und sie war harmlos. Langsam befreite er sie von den feinen Sandkörnern. Sanft nahm Gaara sie. Zärtlich umschlossen die Finger seine Hand. Im ersten Moment kämpfte sich der Fluchtinstinkt ins Bewusstsein, aber Deidara rang ihn mit allem nieder, was ihm zur Verfügung stand. Er wollte Gaara kein weiteres Mal schlagen. Sein Gefährte zeigte so viel Verständnis für ihn und liebte ihn immer noch. Es war das Mindeste, dass er die Stärke aufbrachte, erneut Berührungen zuzulassen. Der Ningyô betrachtete die Bücher auf der Decke in wenigen Metern Entfernung. „Was macht dein Studium, hm?“ Deidara brauchte eine Ablenkung. Es wurde Zeit, dass er die grässlichen Erinnerungen wieder wegsperrte. Gaaras Aufmerksamkeit ließ sich von seinen Worten leiten. „Die Prüfungen stehen bald an. Ich lerne gerade dafür. Und nach den Prüfungen kann ich ein Praktikum in dem Institut für Meeresbiologie machen.“ Die Prüfungszeit war nah. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass eine Menge Zeit vergangen war. Die Vernissage hatte am Anfang des Semesters stattgefunden. Deidara erinnerte sich daran, wie gern Gaara ein Praktikum in diesem Institut absolvieren wollte. Daher freute er sich für ihn, dass er endlich den ersehnten Platz bekommen hatte. „Das ist schön, hm.“ Die Freude hielt nicht an. „Entschuldige, dass ich so lange weg war, hm.“ Die Ablenkung verwischte wie ein Bild, gemalt in wasserdurchtränkten Sand. „Schon gut“, hauchte Gaara. Ein neuer Gedanke schoss Deidara durch den Kopf. Nervös rieb er die Fingerkuppen gegeneinander. „Wie geht es jetzt weiter, hm?“ Leicht drückte Gaara seine Hand, achtete darauf, die dünnen Häute zwischen den Fingern nicht zu quetschen. „Wir machen es wie früher. Wir bleiben unter uns. Du musst dich nicht mehr unter Menschen begeben.“ Das klang herrlich. Deidara sah zum Horizont. Meer und Himmel trafen sich, verschmolzen miteinander. Man konnte unmöglich genau erkennen, wo das Wasser aufhörte und die Himmelskugel anfing. Zwei wurden zu einem, obwohl sie so unterschiedliche Welten vertraten. Es war wie mit ihm und Gaara. Sie kamen aus ungleichen Lebensräumen und führten trotzdem eine Beziehung. Aber durfte Deidara weiterhin bei seinem Gefährten wohnen? Wegen der seltsamen Regeln der Menschen musste er doch die Gemälde verkaufen, damit er im Haus von Gaaras Familie willkommen war. „Was ist mit Temari, hm?“ „Mach dir um meine Schwester keine Sorgen.“ Nach einer kurzen Pause sprach Gaara weiter. „Aber da gibt es etwas, was ich dir gestehen muss.“ Er klang zögerlich. Fragend sah Deidara den Rotschopf an. „Die Sorgen um dich haben mich fertig gemacht. Ich hab ihr aus Versehen gesagt, was du bist.“ Azurblaue Augen weiteten sich erschüttert. Temari wusste von Seinesgleichen? „Sie hat versprochen, niemanden etwas zu erzählen“, versicherte Gaara unverzüglich. „Dafür hab ich ihr aber zusichern müssen, dass wir sie nicht mehr anlügen.“ Ein Seufzen huschte über die Lippen seines Liebsten. Misstrauisch zogen sich Deidaras Augenbrauen zusammen. „Du traust deiner Schwester, hm?“ Sein Gefährte nickte. „Was machen wir, wenn sie doch etwas erzählt, hm?“ Würden andere Menschen Temari Glauben schenken? Dann waren alle Ningyô in Gefahr, seinetwegen. „Das kann ja wohl nicht wahr sein.“ Ein Schock durchzuckte Deidara. Gaara und er fuhren herum. Sofort griff er nach der Säge, bereit, sich zu verteidigen. Er war restlos mit sich selbst und Gaara beschäftigt gewesen, dass er gar nicht wie sonst auf ihre Umgebung geachtet hatte. Temari stand hinter ihnen und stemmte sauer die Hände in die Hüften. „Ich suche stundenlang die Insel ab nach einer Spur von Deidara, damit du für deine Prüfung lernen kannst. Und da sitzt du hier und turtelst mit deinem Freund. Wann wolltest du mich anrufen, um mir zu sagen, dass ich aufhören kann, zu suchen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)