Die Karten legt das Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 11: Der schmale Grat der Freundschaft --------------------------------------------- Ich fühlte mich aufgewühlt und hätte meine Gefühle nicht wirklich beschreiben können. Ich spürte die Wut in mir, welche Brian hinterlassen hatte und die Schuldgefühle, da Madeline viel zu viel mitbekommen hatte. Ich wartete auf Paul. Ich hoffte, dass er nicht wütend werden würde, wenn ich ihm von Brian und Madeline erzählte. Doch ich brauchte gerade jemanden zum Reden. Ob dies der passende Zeitpunkt war, um es ihm zu sagen, dass konnte ich selber nicht beantworten. Es war bereits kurz vor zehn und immer noch lief ich angespannt zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her. Kurz schlich ich hinauf und wollte sehen, ob Madeline noch am Schlafen war. Friedlich lag sie in meinem Bett und ich sah, dass ihr Stofftier vom Bett gefallen war. Leise hob ich es auf und legte es wieder neben meiner Kleinen auf das Bett. Liebevoll deckte ich sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, eher ich mich leise aus meinem eigenen Schlafzimmer schlich. Es beruhigte mich zu wissen, dass Madeline nicht wach war oder Albträume hatte. Tief ein und ausatmend versuchte ich rational zu denken. Doch ich schaffte es nicht. Brian hatte Madeline Angst gemacht. Langsam ging ich hinunter und mein Blick fiel auf das bunt eingepackte Geschenk von Brian. Immer noch stand das Paket ungeöffnet im Flur und zornig stopfte ich es unter den Wandschrank der Treppe. Ich konnte den Anblick dieses Päckchens einfach nicht ertragen. Wieso machte mein Ex-Mann das? Wieso konnte er uns nicht einfach in Ruhe lassen? Wie die ganzen Jahre zuvor auch. Verstand er nicht, dass er Madeline damit Angst gemacht hatte? Sie kannte ihn nicht und er sagte ihr so einen Schwachsinn! Wie grotesk das in den Augen von Madeline ausgesehen haben musste. Ich war schließlich auch nicht ruhig gewesen. Betrübt setzte ich mich auf die Treppe und starrte auf die Fliesen in unserem Eingangsbereich. In der Küche und im Wohnzimmer lag Parkettboden. Doch im Flur waren Fliesen einfach praktischer. Ich wusste nicht, wie lange ich dort saß. Als ich endlich ein Auto hörte, welches auf der Straße vor dem Haus anhielt, sprang ich erleichtert auf. Endlich war Paul da! Doch bei einem Blick auf mein Handy stellte ich fest, dass es erst kurz nach zehn Uhr abends war. Es kam mir wesentlich länger vor. Ich hoffte nun einfach, dass es gut war, dass ich in dieser Ausnahmesituation Paul angerufen hatte. Ich war schließlich immer noch aufgewühlt. Noch bevor er klingeln oder klopften konnte, öffnete ich die Haustür und Erleichterung durchflutete meinen Körper, als ich in seine dunkelbraunen Augen blickte. Verblüfft betrachtete er mich und stirnrunzelnd betrat er mein Haus. Er trug eine Jogginghose und nur ein T-Shirt. Vermutlich war er bereits bettfertig gewesen, als ich ihn anrief. Ich merkte, wie die Anspannung von meinem Gesicht abfiel und erleichtert stieß ich einen tiefen Seufzer auf. „Danke, dass du gekommen bist“, meinte ich und konnte nicht anders, als ihn zu umarmen. Ich brauchte und wollte diese Nähe. Ich spürte, wie klammernd meine Umarmung war und ich war erleichtert, als Paul mich fest an sich drückte. Sein Geruch beruhigte mich, so albern es vielleicht klang. „Hey? Alles gut“, wollte er besorgt wissen, „Was ist passiert bei dir?“ Unschlüssig sah ich ihn an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Wo fing ich an zu erklären? Das wusste ich in diesem Augenblick einfach nicht. Doch noch bevor ich beginnen konnte zu erklären meinte er: „Hat dein Freund oder Mann herausgefunden, dass du dich mit mir triffst?“ Überrascht sah ich in sein Gesicht und runzelte verwirrt die Stirn. Wie kam er darauf? „Wie bitte? Nein? Ich habe doch gesagt, dass ich Single bin“, meinte ich verwirrt und führte Paul in mein Wohnzimmer. Skeptisch betrachte er mich. Das war das was er dachte? Das? Er dachte, er wäre meine Affäre? Doch gerade, als ich darüber lachen wollte, hielt ich mich zurück. Es ist nicht abwegig, was er dachte. Nie hatte ich Zeit, noch nie war er hier und wir trafen uns immer in den Mittagspausen. Nun, wo er es sagte, passte es tatsächlich ganz gut. Es erklärte auch seine Frage, ob mir ein Mann nicht reichen würde. „Ich habe keinen Mann. Ich habe einen Ex-Mann und der bleibt sowas von Ex“, versuchte ich ihn zu beschwichtigen, doch wütend schüttelte er den Kopf. „Vergiss es, Richard“, fuhr er mich zorniger an als ich erwartet hätte, „Ich will wissen, was hier gespielt wird! Was ist dein verdammtes Problem, Mann! Immer diese Geheimniskrämerei und nie hast du Zeit. Jetzt klingst du auch noch total aufgelöst am Telefon. Ich will endlich, dass du mir reinen Wein einschenkst! Wieso stehe ich so spät abends hier in diesem Haus?“ Ich war überrascht, dass Paul so viel mehr mitbekommen hatte, als ich dachte. Auch, dass er sich so viele Gedanken gemacht hatte verwirrte mich. Ja, es war wirklich an der Zeit, ihm endlich die Wahrheit zu sagen. Angst keimte in mir auf. Ich wollte nicht, dass er wütend war. Ich wollte einfach nur mit ihm reden. Ich wollte über Brian meckern und über so vieles, was mich die letzten Woche so sehr beschäftigt hatte. Doch nun, als ich den zornigen Mann vor mir betrachtete, glaubte ich, dass dieser Zeitpunkt vielleicht nicht der Richtige war. Vermutlich, hatte ich jeden richtigen Zeitpunkt einfach verpasst und nun gab es kein Zurück mehr. Es gab einfach manche Augenblicke in denen es unglaublich schwer war, die Wahrheit zu sagen. Ernst durchatmend zwang ich mich zu sprechen und es war weitaus schwerer, als bei den anderen Männern gewesen, denn in denen habe ich nie einen Freund gesehen. Sie waren einfach nur interessant oder hätten interessant werden können. Paul war es bereits. „Ich habe ein Kind und mein Ex-Mann macht mir gerade das Leben einfach zur Hölle“, sagte ich leise. Ich schloss fast verzweifelt die Augen. Ich hoffte und betete fast, dass das Gespräch positiv verlaufen wird. Ich wollte heute nicht noch mehr erdulden müssen. Ich wusste nicht warum Paul so geladen war, vielleicht tat ihm wieder das Bein weh. Doch ich fragte nicht nach. Ich beobachtete das Mienenspiel. Ich sah, wie sich die dunklen und so warmen Augen Pauls weiteten, als schien ihm erst nach und nach bewusst zu werden, was ich gerade gesagt hatte. Die harten Züge um seinen Mundwinkel verschwanden langsam aus dem ebenmäßigen Gesicht. „Du hast was?“, fragte Paul sichtlich verwirrt und die Wut welche noch vor wenigen Augenblicken in seiner Stimme mitgeklungen hatte, war verpufft. Es war, als sei die Luft aus dem Raum verschwunden und nichts war mehr zu hören, außer unseren Atemzügen. Er schien mir nicht glauben zu wollen. Ich bemerkte, wie er sich in meinem Wohnzimmer umblickte. Einige Spielsachen lagen herum, denn immer wieder brachte Madeline ihre Stoffpferde hinunter ins Wohnzimmer. Auch eine Puppe und einige Puppenkleider lagen auf einen Sessel. Ich nahm an, dass sie einfach in meiner Nähe sein wollte, wenn ich hier unten beschäftig war. Ich bemerkte, wie seine Augen von den Spielsachen hinüber zu der Kommode wanderten. Bilder standen dort, doch aus der Distanz konnte man nicht genau erkennen, was auf den Fotos abgelichtet war. Weiter glitten seine Augen durch den Wohnbereich und blieben kurz am Tresen hängen. Madelines Lieblingsbecher mit Anna und Elsa stand dort und als sich seine Augen endlich wieder auf mich richteten sah ich einen überraschten Gesichtsausdruck. Doch ich war mir nicht sicher, ob es ein Ausdruck der Überraschung oder des Entsetzten war. Ich konnte es gerade nicht decodieren. „Ich habe eine Tochter. Ich habe keinen Freund. Ich hab nie wirklich Zeit, weil ich sie versorgen muss. Und ich habe derzeit einfach nur Stress mit ihrem anderen Vater. Der macht gerade alles nur noch komplizierter“, erklärte ich leise und ich hörte selbst, dass meine Stimme entschuldigend klang, fast schon ein wenig reuevoll. Vermutlich hätte es viele andere Augenblicke gegeben, in denen ich es ihm hätte sagen sollen. Denn jetzt nach dem Streit mit Brian waren meine Nerven immer noch angespannter als sonst. „Wieso hast du das nie gesagt. Oder willst du mir weiß machen, es gab keine Momente in denen du das hättest verraten können?“, entsetzt klang seine Stimme und als er einen Schritt von mir wegtrat sank mein Herz hinunter in die Hose. Ich konnte verstehen, warum er sauer war und doch wieder nicht. Natürlich gab es diese Augenblicke. Es waren viele gewesen, doch ich hatte nicht einen genutzt. Zu groß war die Angst auf Ablehnung zu stoßen. Ich konnte darauf einfach nicht antworten. Zu ehrlich wären meine Worte gewesen und diese Ehrlichkeit hätte mich zu angreifbar gemacht. Ich hatte gehofft, dass dieses Gespräch einfach anders verlaufen wird. Das er mir ruhig und besonnen zuhörte und mir Mut gab, im den Kampf mit Brian. Doch natürlich war dies zweitrangig in seinen Augen. Für ihn zählte gerade etwas gänzlich anderes. „Wieso hast du das nicht gesagt?“, forderte mich Paul erneut zornig auf. Das Gefühl ungerecht behandelt zu werden stieg in mir auf. Ja, es war sicherlich ein falscher Augenblick gewesen, Paul damit zu konfrontieren, doch ich wollte mich nicht von ihm unterbuttern lassen. Weder von ihm noch von Brian. Es war schließlich meine Entscheidung, wann ich den Menschen in meiner Umgebung sagte, dass ich ein Kind hatte. Es waren gerade mal knapp zwei Wochen in dem ich ihn kannte. Was waren schon zwei Wochen? Nichts! Und er kannte meinen Background nicht. Er wusste nicht, wie häufig ich schon auf Ablehnung wegen meiner Tochter gestoßen bin. Was Brian getan hatte und wie das Leben mir sonst so mitgespielt hatte. Meine Augen verengten sich zornig, als ich den so gut aussehenden Polizisten betrachtete. Glaubte er, ich habe es nicht ernst gemeint? Glaubte er, es sei nur Spaß gewesen mit ihm? Dann hätte ich ihn sicherlich nie gebeten, mich hier zu besuchen! Die Wut ließ meine Stimme erzittern, als ich begann zu sprechen: „Jedes verdammte Mal, wenn ich jemanden kennen gelernt hatte, hab ich wegen meine Tochter eine Abfuhr bekommen. Jedes Mal! Ich habe darauf einfach keinen Bock gehabt. Egal, wann ich sie erwähnt habe, immer waren es die selben Sprüche. Du hast keine Ahnung wie das ist Paul! Glaub nicht, dass ich mir darüber nie Gedanken gemacht hätte oder dass du einfach nur ein Spaß für mich bist. Du hast keine Ahnung wie das ist, wenn man so eine Verantwortung hat.“ Zornig sah er mich an und runzelte die Stirn. Er blickte weg, ich hoffte er ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen. Es tat mir leid. Ich wollte ihn nicht wütend machen. Noch wollte ich mich mit ihm streiten. Ich brauchte doch eigentlich nur jemanden der mir zuhörte und nicht über mich urteilte. Immer noch schwieg er und als er die Arme vor der Brust verschränkte, schloss ich verzweifelt die Augen. Waren meine Worte zu hart gewesen? Vielleicht, doch ich konnte sie gerade nicht anders wählen. Jedoch wollte ich keinen Streit mit diesem Menschen! Ich schloss fast verzweifelt meine Augen und atmete beruhigend durch. Vermutlich war es falsch gewesen. Falsch, dass ich es ihm nicht gesagt hatte und falsch, ihn hierher einzuladen. Nicht, wenn ich selbst so wütend war und die Wut immer wieder am überkochen war. „Es tut mir leid“, sagte ich aufrichtig zu dem Mann und seine dunklen Augen blickten in die Meinen. Langsam ging ich auf ihn zu und griff nach seiner Hand. Er zog sie nicht weg, sondern blickte mir einfach stumm in die grünen Augen. Vermutlich wartete er einfach auf meine Erklärung. „Man, Paul“, meinte ich leise und sagte nach einem Augenblick der Stille, „Ich habe es von Anfang an ehrlich gemeint. Ja, ich hätte sagen sollen, dass ich ein Kind habe, aber deswegen war das was… ich sagte … nicht gelogen.“ Paul blickte weg, sah aus dem Fenster in meinen Garten. Doch eigentlich konnte man diesen wegen der Dunkelheit gar nicht sehen. Ich wünschte, ich könnte seine Gedanken lesen, doch leider war mir dies nicht gegönnt. Nach einem Moment meinte er: „Du streitest dich nicht wegen des Hauses mit deinem Ex, oder?“ Ich hatte vollkommen vergessen, dass ich das zu Paul gesagt hatte. Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich wünschte, es wäre das Haus, weswegen wir uns stritten. „Dann hast du mich doch angelogen“, raunte er und sah mir weiterhin in die Augen. Er wirkte störrisch, ruhig. Etwas, was ich selten bei Menschen mitbekommen hatte. Ich konnte nicht deuten, was ich in ihnen sah. Zorn, Wut oder Enttäuschung? Ich war mir unschlüssig. Ich nickte leicht und nach einem Augenblick sagte ich: „Ja, gut… Dabei habe ich gelogen. Aber alles was… was uns anging war ehrlich. Ich schwöre es dir. Ich…“, ich war unschlüssig, was ich sagen wollte und was ich sagen sollte. Immer noch hielt ich seine Hand fest und drückte sie leicht. Ich wollte nicht noch mehr sagen, was man einfach falsch verstehen konnte. „Und du streitest dich gerade mit ihm?“, wollte Paul wissen und langsam entzog er mir seine Hand. Es war ein komisches und beklemmendes Gefühl. Ich hätte ihn nur zu gerne in den Arm genommen. Noch lieber wäre es mir in diesem Augenblick gewesen, er hätte mich umarmt und hätte mich gestützt an diesem schweren Abend. Kurz betrachtete ich unsere Hände und unschlüssig nickte ich. Ein Gefühl keimte in mir auf, dass ich mich erklären wollte, erklären musste. Ich wollte ihm sagen, warum er hier war und nicht mein bester Freund. Dass ich diesen einfach nur nicht erreicht hatte, sollte ich dabei besser nicht sagen. Es wäre nur menschlich gewesen, mir diese Worte im Mund herumzudrehen.   „Ich wollte mit dir sprechen, weil du… Du bist mir in den letzten Wochen wichtig geworden. Ich mag dich und ja ich bin verknallt in dich. Doch irgendwie bist du auch ein Freund. Du hast mir in den letzten zwei Wochen einfach unglaublich gut getan. Deswegen, habe ich dich gebeten zu kommen“, meinte ich ehrlich und trat einen Schritt auf ihn zu. Mit beiden Händen umschloss ich das, in meinen Augen, so gut aussehende Gesicht und fing seinen Blick ein. Immer noch blickte er mich mit einem mir nicht zu deutenden Gesichtsausdruck an, etwas was mich fast wahnsinnig machte. „Paul, wir reden hier von zwei Wochen, die wir uns kennen“, sagte ich eindringlich und fügte hinzu, „Ich habe einige Männer schon länger gekannt, ehe ich ihnen von meinem Kind erzählt hatte.“ Ich sah, wie er das Gesicht verzog und er griff nach meinen Händen. Er zog sie weg von seinem Gesicht und strich über meinen Handrücken und hielt sie tatsächlich fest in seinen Händen. Er stieß mich nicht einfach weg. „Wir haben uns aber fast jeden Tag gesehen Rick. Wir haben sogar miteinander geschlafen und so viel wie wir gesprochen haben, hättest du es irgendwann einfach sagen müssen“, meinte er ernst und doch war seine Stimme ruhiger, als noch vor wenigen Augenblicken. Ich glaubte, dass ich die richtigen Worte gewählt hatte. Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern. Egal, wie man es betrachtete jeder konnte Recht haben. Sowohl ich, als auch er. Zwei Wochen waren nicht viel, doch wenn man sich fast jeden Tag getroffen hat, ja dann waren auch zwei Wochen eine lange Zeit. „Du hast nicht unrecht“, versuchte ich den diplomatischen Weg zu gehen, „Trotzdem muss ich mich und auch meine Tochter schützen. Egal, wann ich es sagte, immer war es für die Menschen der falsche Zeitpunkt. Vielleicht gibt es dafür auch einfach keinen. Ich… ich fand es einfach toll, dass ich bei dir Rick war. Nicht der Singlevater. Sobald ich das nämlich sage, sehen fast alle nur noch das in mir. Und ich finde zwei Wochen nicht zu spät, auch wenn wir uns fast jeden Tag gesehen haben.“ Wir verstummten beide und ich strich mir erschöpft durch das Gesicht. Wieder schwiegen wir und wieder war es ein komisches und für meine Gefühl, ein unangenehmes Schweigen. Schwer atmete ich durch und fragte leise: „War es das jetzt? Hab ich es jetzt wirklich so kaputt gemacht?“ Es fühlte sich komisch an, anders als bei den Anderen. Vielleicht, weil ich mit den anderen Männern nie so viel Zeit verbracht hatte. Und nie hatte ich in einem dieser Männer mehr gesehen als jemanden für den ich kurz schwärmte. Paul war einfach auch ein Freund und von diesen hatte ich nicht mehr all zu viele. Unschlüssig zuckte Paul mit den Schultern und schien wie ich nicht zu wissen, was nun das Richtige war. Die Stille die zwischen uns herrschte war mir unangenehm und drückte auf mein Gemüt. Ich hätte einfach ins Bett gehen sollen. Hätte ich doch nur meinen besten Freund erreicht. Ich war enttäuscht und sauer. Sauer auf mich, dass ich Madeline so lange verheimlich hatte und sauer, dass Paul nicht verstand, warum ich es getan hatte. Doch am größten war die Wut auf Brian. Brian, der so vieles durcheinander brachte. Brian der einfach meinte, ich sei ein schlechter Vater und mich immer mehr aus der Fassung brachte. „Ich… Ich weiß es nicht Richard“, raunte Paul und ging leicht auf und ab. Auch er strich sich die braunen Haare aus dem Gesicht, als schien er unschlüssig, was er wollte und was nicht. Wahrscheinlich hatte ich ihn in eine doofe und sehr unangenehme Situation gebracht. Etwas, was ich eigentlich nicht wollte. Etwas unschlüssig ging er durch mein Wohnzimmer. Sein Blick glitt zu den Bildern und nach einem Augenblick fragte er: „Wie alt ist sie eigentlich? Und wie heißt sie?“ Ich folgte seinem Blick. Ich brauchte ihm nicht nachzugehen um zu wissen, welches er betrachtete. Ich wusste, wo welches stand. Es war ein Bild, welches Madeline als Baby zeigte. Ich hatte sie auf dem Arm und ihre Hand gehoben, als das Bild geschossen wurde. „Madeline. Sie wird in drei Wochen vier“, meinte ich leise und konnte es gerade selbst nicht glauben, dass sie schon so lange bei mir war. Vier Jahre, waren eine echt sehr lange Zeit. „Und dein Ex?“, wollte Paul wissen und ich spürte, wie mein Gesicht erstarrte. Langsam ging der athletische Mann wieder auf mich zu und musterte meinen Gesichtsausdruck. Es waren die gleichen Fragen, die immer gestellt wurden. Doch anders, als bei den anderen Männern, konnte ich nicht einfach behaupten, dass er keine Rolle mehr spielte. Das er uns verlassen hatte und sich nicht wieder gemeldet hat. Paul wusste, dass Brian da war. Ich hatte es ihm gerade selbst gesagt. Deswegen war er schließlich hier. „Er ist abgehauen, als sie fünf Monate alt war. Sie kennt ihn nicht. Er will jetzt doch wieder Kontakt… Er stand gerade vor der Tür und hat einfach gesagt, er will sie mitnehmen. Das hat ihr gerade total Angst gemacht. Er war sogar schon bei Gericht…“, sagte ich Leise und hatte es endlich geschafft, das zu erzählen, was von Anfang an mein Ziel war. „Bin ich deswegen hier? Weil er dich gerade so provoziert hat“, wollte er wissen und ich nickte nur. Es schien, als besann er sich, denn ich merkte, wie er ruhig durchatmete und er fragte mich dann, wie viel Madeline davon mitbekommen hatte. Schwer durchatmend suchte ich nach den richtigen Worten. Wieso er plötzlich so ruhig war, wusste ich nicht. Vielleicht lag es an seinem Job und dem, was er gelernt hatte. Nach einem Augenblick begann ich zu sprechen: „Sie kam runter. Er hat sie einfach angesprochen und gesagt, dass sie bei ihm wohnen wird. Er klang wie ein Typ mit einem weißen Van. So einem, wo man jedem Kind sagt, mit dem sprichst du nicht. Sie war gerade so komisch… und ja… Es ist einfach zu viel gerade.“ Ich ließ mich auf die Couch nieder und als mein Blick zu dem Bild glitt, welches ich Madeline gezeigt hatte, wurde mir schlecht. Ich musste die Aufnahme umdrehen, denn ich ertrug es nicht. Ich wollte nicht an diese Zeiten erinnert werden. Immer noch schwieg Paul, etwas was er in manchen Augenblicken sehr gut konnte und etwas, das ich sehr an ihm schätzte. Er überließ mir das Tempo des Gesprächsverlaufes. Ich blickte langsam von dem Bild hinauf in sein bereits so vertrautes Gesicht. „Er hat keine Chance, aber es ist einfach so scheiße und bringt meinen Alltag völlig durcheinander“, meinte ich ehrlich und schaffte es nicht wegzublicken von diesem Mann, der mich die letzten Tage so sehr um den Verstand gebracht hatte. Paul setzte sich nicht, er stand weiterhin vor mir und betrachtete mich und ehrlich waren seine Worte als er sagte: „Ja, beneiden kann man dich sicher nicht. Das wird sich alles klären. Ist halt scheiße, wenn plötzlich ein Elternteil wieder auftaucht. Das passiert Frauen doch aber auch oft genug. Man wird dir das Kind schon nicht wegnehmen. Du kennst die Gesetze sicher besser, wie ich. Hast du dir Hilfe besorgt?“ Ich nickte nur und ich war wirklich froh, dass Ben den Fall übernahm. Mich selbst vertreten vor dem Familiengericht würde in einer Katastrophe enden. Ja, dass was Paul sagte stimmte. Brian hatte rechtlich kaum Aussicht auf Erfolg. Trotzdem tat es gut es einfach von jemand anderem zu hören. „Es nervt einfach“, sagte ich leise, aber sehr ehrlich zu Paul, „Ich weiß einfach nicht, wo mir der Kopf steht. Ich versuch es allen Recht zu machen und ich glaube langsam, dass ich es bald nicht mehr schaffe.“ Ja, mit all dem ganzen Stress der von Tag zu Tag immer mehr zu werden schien, hatte ich einfach das Gefühl, ich verlor mich selbst in all diesem Chaos. Ein Chaos, das ich selbst nicht angerichtet hatte und es doch beseitigen musste. Paul nickte leicht und nach einem Augenblick meinte er: „Ich kenne das Gefühl. Das habe ich auch lange genug versucht. Du musst die Reisleine ziehen, bevor es zu viel wird.“ Ich nickte nur und sah von meinen Füßen hinauf in Pauls Gesicht. Wieder erdete er mich. Wieder beruhigte er mich mit seiner besonnen und vernünftigen Art. Dankbar lächelte ich diesem Mann zu. Doch noch immer hing dieses Damoklesschwert über uns. „Was ist jetzt mit uns?“, wollte ich wissen und hatte doch Angst vor der Antwort. Das Schweigen was folgte, ließ mich unruhig werden und ich sah nicht weg. Als Paul wegblickte war es ein komisches und beklemmendes Gefühl, welches sich in meiner Magengegend ausbreitete. „Okay“, begann Paul leise und als er mich anblickte und seine Augen erneut zu den Bildern glitten, sprach er: „Man Richard, dass ist echt viel Verantwortung…So ein Kind.“ Ich hätte kotzen können, als er das sagte! Diese Sätze waren wie ein Trigger für mich. Es waren die selben Sätze wie immer. Und ich konnte ein genervtes Stöhnen nicht unterdrücken. Erneut loderte der Zorn in mir auf. Wieder war die Wut da. Plötzlich und so schnell, als sei sie schon die ganze Zeit an meiner Seite gewesen. Egal, wie ich es anging, ich machte es einfach falsch. Sonst würden diese beschissenen Sätze einfach nicht fallen! „Danke, dass du mir das sagst“, raunte ich sarkastisch und konnte die Wut nicht aus meiner Stimme entfernen. „Wäre ich nie darauf gekommen. Das ein Kind wirklich so etwas wie Verantwortung mit sich bringt.“ Es war falsch, sich von der Wut leiten zu lassen, doch es war einfach so, dass ich bei diesem Satz nicht anders reagieren konnte. Wenn ich diesen Satz hörte übernahmen andere das Richterpult in meinem Kopf. Es war einfach ein Trigger, den ich nicht verhindern konnte. Pikiert sah mich Paul an, als wäre ich ihm mit dieser Aussage auf den Schlips getreten und vermutlich war ich das auch. Doch es war mir egal. Es tat einfach weh, solche Worte, solche Sätze immer und immer wieder zu hören. „Weißt du Paul“, meinte ich noch bevor er etwas sagen konnte, „Das sind genau die Sprüche, die einfach nur zum Kotzen sind. ‚Oh das ist viel Verantwortung‘ als ob ich das nicht selber weiß! Oder so Sätze wie, ‚Oh, ich weiß nicht, ob ich immer mit deinem Ex konfrontiert werden möchte‘ als ob der hier ein und ausgehen könnte, wie es ihm beliebt! Oder sowas wie ‚Oh nein, also mit Kindern das kann ich nicht. Stell dir mal vor die will irgendwann Papa sagen‘. Als ob ich möchte, das meine Tochter zu einem anderen Mann Dad sagt. Ich hasse diese Sprüche einfach. Schön, wenn du sauer bist, weil ich es dir nicht vorher gesagt habe. Vielleicht siehst du das anders, wenn du alleine bist und immer nur zu hören bekommst, dass der einzige Grund warum man abends alleine auf der verfickten Couch sitzt, dein Kind sein soll. Ich habe einfach keinen Bock mehr, sowas zu hören. Wenn du also nichts anderes zu sagen hast, als die Standardsprüche… Dann weiß ich auch nicht.“ Ich wusste, ich hatte ihn verletzt. Ich wusste, ich war unfair und doch brach es einfach aus mir raus. Zu oft war ich verletzt worden. Zu oft hatte es wehgetan. Deswegen wollte und musste ich mich einfach selbst schützen. Das musste ich heute mehr denn je, vor allem nachdem was Brian mir und auch meiner Tochter heute angetan hatte. Ich wollte nicht wieder verletzt werden. Wobei, wenn ich ehrlich war, genau dies bereits geschehen war. So albern es vielleicht war, lieber stieß ich ihn von mir weg, als dass wieder jemand auf meinen Gefühlen herumtrat und in dieser nicht verheilen wollenden Wunde herumstocherte. „Ich habe keinen Plan, was die Standardsprüche sind“, fuhr mich Paul lauter an, als ich dachte. Unschlüssig stand er vor mir, als wisse er nicht, was er tun sollte. „Ich aber“, sagte ich ruhiger als ich eigentlich wollte, doch Madeline schlief oben, „Und ist es wirklich so schrecklich, wenn man jemanden kennen lernt, der ein Kind hat? Ej, ich bin bald 32! Ich bin nicht 18….“ Ich konnte meine Verzweiflung nicht aus meiner Stimme verbergen und langsam, mit schweren Herzen stand ich von der Couch auf. „Ja es ist außergewöhnlich! Du bist schwul! Und ja, bevor du es sagst, ich weiß selbst dass wir in Amerika leben. Ich muss mir einfach Gedanken machen, Richard“, raunte Paul leise und kratzte sich kurz an der Schläfe. „Ich habe darüber einfach noch nie nachgedacht. Du hättest es einfach früher sagen müssen. Ich mag dich wirklich, trotzdem gib mir bitte einfach etwas Zeit. Du musst auch erst einmal wieder runter kommen. Okay?“ Langsam ging er zur Haustür und nach einigen Augenblicken folgte ich ihm dorthin. Runterkommen? Ja, da hatte er vermutlich wirklich Recht und trotzdem tat es weh, wie er es sagte. Ich wollte diese blöde Floskel einfach nicht hören. „Und was wäre dann anders, wenn ich es früher gesagt hätte? Es sind nur zwei Wochen gewesen. Nicht zwei Jahre…“, raunte ich und als Paul weiter mit langsamen Schritten zur Tür ging, war es ein komisches Gefühl. Es schmerzte mehr, als bei Alex oder den anderen Männern. „Es ist nicht nur das“, meinte Paul leise und offen blickte er mir in die Augen. „Rick, Richard… Wir haben beide Ballast den wir herumtragen und ich weiß nicht, ob das nicht zu viel wird. Ich habe es wie du ehrlich gemeint wirklich. Gib mir einfach Zeit zum Nachdenken. Die brauche ich jetzt einfach.“ Skeptisch betrachtete ich Paul und als ich nachfragte, was er mit Ballast meinte, sagte er: „Nicht wichtig. Ich werde mich melden. Ich verspreche es dir. Komm du erstmal runter. Deine Nerven liegen blank und ich kann es sogar verstehen.“ Er griff nach meiner Hand und unschlüssig erwiderte ich den Händedruck. Ich folge ihm mit meinen Augen und sah, wie er in sein Auto stieg. Es war wie ein Messerstich tief in meine Brust, als Paul den Motor startete und einfach fort fuhr.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)