Die Karten legt das Schicksal von Strichi ================================================================================ Kapitel 6: Schmerzvolle Worte ----------------------------- Ich rief nach dem Abendessen die Mutter von Taylor an. Ich wollte nicht, dass Madeline das Gefühl bekam, ich würde sie am Wochenende abschieben. Nach dem dritten Klingeln wurde abgenommen und eine tiefe männliche Stimme meldete sich am Telefon. „Guten Abend, Sir“, sagte ich und fuhr fort, „Meine Tochter Madeline ist mit ihrem Sohn Taylor befreundet. Und ich wollte fragen, ob sie am Wochenende mal zu Ihnen kommen darf?“ Die Stille am anderen Ende der Leitung verwirrte mich und noch einmal fragte ich verwirrt: „Hallo? Sir?“ Ich hörte, wie das Telefon weggehalten wurde und als ich die Worte des Mannes hörte riss ich erschrocken meine Augen auf. „Zoe, ist in Taylors Kindergarten eine Madeline oder habe ich deinen Stecher am Telefon!“, brüllte der Mann durch sein Haus. Ich spürte, wie ich rot und mir zugleich heiß und kalt wurde. Es war mir unangenehm und unsicher stand ich von der Couch auf und ging durch mein Wohnzimmer. Vorbei an einer Kommode auf der einige Bilder standen. Ich hörte im Hintergrund jemanden herantreten und Stimmengewirr. „Oh mein Gott John! Ich bitte dich!“, hörte ich die vertraute Stimme von Taylors Mutter. Ich wusste gar nicht, dass sie Eheproblem hatte. Immer, wenn man sie fragte, war alles in bester Ordnung. Ich wollte sicherlich nicht für Eheprobleme verantwortlich sein! „Mr. Prescot?“, fragte sie und nachdem ich ein unsicheres ja von mir gab, fragte sie, was ich wollte. „Ähm“, entfuhr es mir wenig intelligent und ich strich mir die Haare aus der Stirn, „Ich wollte eigentlich fragen, ob ich Madeline am Samstag von zwölf bis fünf oder sechs Uhr vorbeischicken kann? Aber wenn es nicht pas-.“ Sofort fiel sie mir ins Wort und meinte: „Nein, nein! Es ist alles gut… Ähm… warten Sie. Ich möchte nur vorher auf den Kalender schauen.“ Ich hörte wie sie ging und ihr Mann rief ihr etwas zu, was ich nicht verstand. Immer noch war es mir unangenehm und ich kratzte mich verlegen am Kopf. „Ähm… Mr. Prescot ich denke, dass wird klappen und tut mir leid. Mein Mann weiß sich manchmal nicht zu benehmen“, entschuldigte sie sich und ich hörte an ihrer Stimme deutlich, dass es ihr unangenehm war. Auch mir war es peinlich. Immer noch rauschte das Blut in meinen Ohren und nach einem Moment sagte ich: „Okay… Aber das klappt wirklich? Ich muss mich da ein wenig drauf verlassen können. Ich bin nämlich verabredet und kann dann nicht einfach verschwinden.“ Die Frage war mir unangenehm und dennoch musste ich sie jetzt einfach stellen. Ich wollte nicht, dass es am Samstag doch hieß, Madeline müsse zuhause bleiben. „Natürlich können Sie sich auf mich verlassen“, meinte Taylors Mutter und schien sich immer unwohler zu fühlen. Ich erlöste sie und sagte: „Das ist klasse. Die zwei spielen ja auch echt gerne zusammen…. Ja ich sag dann mal bis Samstag…“ Ich legte schnell auf und amtete durch, während ich das Telefon mit großen Augen anblickte. So ein unangenehmes Gespräch hatte ich privat seit langem nicht mehr geführt. Ich war mir sicher, dass es Taylors Mutter unangenehm werden würde, wenn wir uns morgen im Kindergarten über den Weg laufen sollten. Doch zum Glück, trafen wir uns so gut wie nie. Doch schon öfter hatte ich Madeline zu ihnen gebracht und Taylor hatte schon einige Male bei uns gespielt. Unschlüssig sah ich das Telefon an und nach einem Augenblick entschied ich mich bei Sarah und Phil anzurufen. Ich wollte Paul unbedingt treffen! Ich erkannte sofort, dass es Phil war, der das Gespräch annahm. „Hey, ich bin es Richard“, sagte ich schnell und erklärte, „Sag mal, eigentlich ist Madeline am Samstag bei einem Freund. Doch… Na ja so hundertprozentig ist das noch nicht sicher. Ich wollte mich sehr gerne am Nachmittag mit Paul treffen.“ Ich hörte es am anderen Ende der Leitung lachen und noch bevor ich weiter sprechen konnte meinte Phil: „Klar. Wir können sie nehmen… Ich bin froh, wenn du mal mit jemanden ausgehst, der vernünftig ist!“ Eine unglaubliche Wärme floss durch meinen Körper und ein sanftes und dankbares Lächeln zierte meine Lippen. Was ich nur ohne die Beiden tun würde? Freundlich bedankte ich mich. „Ihr seid echt die Besten“, meinte ich zum Abschied und als ich auflegte holte ich gleich mein Handy aus der Tasche. Ich war mir unschlüssig. Sollte ich anrufen oder sollte ich lieber schreiben? Ich blickte auf die Uhr, gleich war es Zeit für Madelines Lieblingsserie und ich steckte das Handy lieber zurück in die Tasche. Ich wollte in Ruhe mit Paul sprechen und das konnte ich nur, wenn mein Kind im Bett lag. Ich ging hinauf in ihr Zimmer und betrat das Reich meiner Tochter. An ihrer Tür hatte ich ihren Namen anbringen lassen und ein Bild von Anna und Elsa hing darunter. „Maddy, am Wochenende bist du bei Taylor zum Spielen. Ist das nicht toll?“, sagte ich ihr freundlich und ich sah, wie ihre Kinderaugen leuchteten. Fröhlich sprang sie zu mir und meinte glücklich: „Oh ja! Wie toll! Außer er will wieder Cars spielen!“ Ich konnte nicht anders und lachte leise, als ich meine Tochter betrachtete. Ich hockte mich vor sie und sah ihr in die grünen Augen, den Meinen so ähnlich. Spontan hatte ich eine Idee, als Madeline mich so offen anblickte. „Und wir beide gehen am Wochenende in den Zoo?“, fragte ich schmunzelnd und sofort nickte sie wieder. Ich bekam einen Kuss und während ich aufstand, wuschelte ich ihr durch die Haare. Heute war ich wieder ein toller Vater, das könnte morgen schon ganz anders aussehen. „Räum auf“, meinte ich und deutete auf ihre Puppensachen, welche verstreut im Zimmer lagen, „Sonst können wir deine Serie nicht schauen.“ Ich hörte, wie sie genervt und übertrieben stöhnte und dann die Spielsachen in ihre Kiste räumte. Schon jetzt schien ich nicht mehr so toll zu sein, wie noch vor wenigen Minuten. „Daddy“, meinte sie und legte ihre Puppe in den Kinderwagen, „Ich wünsche mir zum Geburtstag ganz viele Sachen von Einhörnern und eine neue Puppe. Glaubst du das kann ich haben?“ Ich war dankbar, dass ich einen so guten Job gelernt hatte. Ohne das Einkommen wären viele Wünsche meiner Tochter einfach nicht möglich. Es wäre gelogen, wenn ich sagte, dass ich als Anwalt wenig verdienen würde und nur dank des Jobs war es möglich, so zu leben, wie wir es taten. Ich nickte wage und sagte: „Ich schau mal. Na komm mit runter.“ Wir sahen uns gerade die Sendung an als sich Madeline zu mir drehte und mich fragte: „Papa, kannst du schöne Zöpfe mache?“ Unschlüssig sah ich sie an. Ich konnte so etwas nicht gut. Ich war froh, dass ich die Haare zusammenbinden konnte. Auch zwei geflochtene Zöpfe bekam ich gerade noch hin. Ich griff nach ihren Haare und grinste leicht, als ich begann die Haare zu flechten. „Nein“, meinte sie und schüttelte den Kopf, „Nicht so. So, dass der Zopf am Kopf anfängt.“ Fragend sah ich sie an. Wo sollte der Zopf anfangen? Alle Zöpfe begannen am Kopf. „Mäuschen“, meinte ich mit langsamer und verwirrter Stimme, „Haare fangen immer am Kopf an.“ Wieder schüttelte sie den Kopf und griff mit ihren Händen oben auf ihren Kopf. „Nein da“, meinte sie nur und ich verstand immer weniger, was sie eigentlich von mir wollte. Die Serie schien gerade vollkommen vergessen. „Jane hat auch immer Zöpfe da oben“, meinte Madeline und es schien, als frustriere es sie, dass ich sie einfach nicht verstand. „Warte mal“, meinte ich und stand kurz auf und holte mein Tablet zur Hand. Ich gab den Code ein und suchte im Internet nach Bildern von geflochtenen Zöpfen. Mit ihren kleinen Händen patschte Madeline auf dem Gerät herum und sagte dann: „Genauso. So wie Elsa!“ Mit großen Augen betrachtete ich das Bild. Die geflochtenen Strähnen begannen wirklich, wie Madeline gesagt hatte, oben auf dem Kopf. Ich hätte es auch nicht anders beschreiben können. Einzelne Strähnen waren vom Hinterkopf in den Zopf geflochten und es wirkte, als beginne der Zopf bereits oben mit der ersten Haarsträhne. „Ähhh“, meinte ich langgezogen und blickte von den Bildern hinein in das Gesicht meiner Tochter, „Dass kann ich nicht. Vielleicht kann Tante Sarah das.“ Ich war mir nicht sicher, ob Sarah je die Haare so getragen hatte. Schließlich achtete ich auf so etwas eigentlich nicht. „Dann muss sie dir das beibringen“, meinte Madeline und es klang irgendwie niedlich, wie ernst sie mit ihrer hohen Mädchenstimme sprach. Ich schmunzelte leicht und meinte: „Ich schau mal.“ Sie nickte und blickte mich immer noch ernst an. „Sowas musst du doch können“, beschwerte sie sich und leise lachend drückte ich sie an mich. Ich fand es nicht frech, wie sie mit mir sprach. Ich war dankbar, dass ich kein Kind hatte, welches zu schüchtern zum Sprechen war. Vielleicht konnte sie auch schon so gut sprechen, weil ich mich tatsächlich viel mit ihr unterhielt. Und lieber wies ich sie das ein oder andere Mal in die Schranken, als ihr alles aus der Nase ziehen zu müssen. „Dein Dad kann dafür andere Sachen ganz toll. Wie mit dir ganz tolle Höhlen bauen und total toll Fußball spielen“, stichelte ich und piekte ihr in den Bauch. Sie lachte leise und nickte zufrieden, während sie sich an meine Seite kuschelte. „Ja“, sagte sie zufrieden und sah den Fernseher wieder an. „Jetzt haben wir die Serie verpasst“, meinte sie frustriert und ich zuckte leicht mit den Schultern. Ich fand sie eh nicht toll. Ich sah sie mir nur an, um mit Madeline Zeit zu verbringen. „Können wir vielleicht noch was lesen?“, fragte Madeline und ich nickte leicht. Ich sollte ihr öfter etwas Vorlesen, dass wusste ich. Doch abends nach dem langen Tag war ich meistens zu erschöpft. „Kann ich machen. Aber vorher Zähne putzen“, sagte ich und stand von meiner bequemen Couch auf. Wir verschwanden im Badezimmer und ich half ihr, die Zähne zu putzen und las ihr eine Geschichte vor. Natürlich, mussten Hunde darin vorkommen. Es war später geworden als üblich, doch es war schön ihr beim Vorlesen zuzuschauen, wie sie langsam einschlief. Ich konnte mir vorstellen, dass sie abends mehr Theater machen würde, wenn sie morgens nicht so früh aus dem Bett raus müsste. Ich wünschte, dass sie immer so entspannt wäre. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn, schaltete ein Nachtlicht ein und verließ das Kinderzimmer. Ich zwang mich, die Wäsche aufzuhängen und erst, als ich danach erschöpft auf der Couch saß holte ich mein Handy wieder aus der Tasche. Endlich rief ich Paul an. Ich mochte es einfach, mit ihm zu sprechen. Es wirkte trotz der eigentlich so kurzen Zeit, erstaunlich vertraut. Konnte das so sein oder wollte ich nur, dass es so war? Doch eigentlich, wollte ich auch nicht zu viel darüber nachdenken. Ich wollte es einfach auf mich zukommen lassen. Ich musste so vieles in meinem Leben durchstrukturieren, dass ich es einfach genoss, dass dieser Mann so vollkommen spontan und plötzlich in mein Leben gestolpert war. Ob und was sich ergab, war mir tatsächlich egal. „Hallo“, drang seine tiefe Stimme aus dem Hörer und zauberte mir ein zufriedenes Grinsen auf die Lippen. Ich lehnte mich entspannt auf der Couch zurück und schloss die Augen, als ich fröhlich sagte: „Hey, ich hab am Samstag Zeit. Zwar nur von zwölf bis ungefähr halb sechs, aber wir können da was machen“, sagte ich freundlich. Ich hörte, dass Paul den Fernseher leiser stellte und als er sprach klang er erstaunlich gut gelaunt: „Das ist cool. Muss du danach noch weg?“ Ich stockte für wenige Augenblicke und log schnell: „Ja, bin mit Freunden verabredet.“ Ich wusste, dass es wieder ein Moment war, an dem ich ihm von Madeline hätte erzählen können. Einen Moment, den ich wieder bewusst nicht wahrgenommen hatte. „Okay, ja cool und hast du was geplant?“, wollte er wissen und ich glaubte zu hören, wie er sich ein Kissen zurecht rückte. Tatsächlich, hatte ich mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich wollte gerade fragen ob wir Rad fahren sollten, als ich mich erinnerte, dass er krankgeschrieben war. Ich wusste nicht, was genau er hatte, doch ich vermutete, dass er sein Bein gebrochen hatte. „Hm… weiß ich nicht. Ich meine, sagtest du nicht du warst verletzt? Sonst würde ich sagen, dass wir Fahrrad fahren könnten“, schlug ich dennoch vor, denn tatsächlich wollte mir auch nichts Besseres einfallen. „Hm“, vernahm ich von der anderen Seite und ich glaubte etwas wie Unbehagen in seiner Stimme zu vernehmen, „Ne lass mal. Besser nicht zurzeit. Wie wäre es, wenn wir einfach was zusammen kochen?“ Ich hasste kochen! Ich hasste es schon, dass ich es jeden Tag machen sollte und nun auch noch bei einem Date? „Ich weiß nicht“, sagte ich skeptisch klingend, „Ich bin jetzt nicht so toll im Kochen…“ Ich hörte Paul lachen und konnte mir gut vorstellen, wie sich seine Augen, wegen des Lachens zusammenzogen. „Dann schneidest du halt und ich mach den wichtigen Rest“, meinte er und die gute Laune von ihm war ansteckend. Sie ließ mich zustimmen, obwohl ich es nicht wollte. „Okay, ich such mir dann ein Rezept aus“, meinte er gut gelaunt und ich stimmte ihm einfach zu. „Ich esse alles, solange es keine Pilze sind“, sagte ich schmunzelnd. Ich konnte mit diesen Gummidingern nichts anfangen. Einfach nur widerlich. „Nicht schlimm“, hörte ich Paul sagen und er fügte hinzu, „Ich esse sie zwar, aber bin auch kein großer Fan davon. Ich mag dafür keine Gurken. Die schmecken nach nichts.“ Ich lachte leise und grinste leicht. Ja, ich konnte einen sehr billigen Humor haben, den sicherlich nicht viele Menschen lustig fanden. Doch mein Mund war schneller als mein Kopf, als ich frech sagte: „Ach die ein oder andere Gurke kann schon gut schmecken. Dafür muss Mannich nur Zeit nehmen, wenn du verstehst.“ Ich hörte am anderen Ende der Leitung Schweigen und erst nach einem Moment lachte Paul kurz und laut auf. „Oh“, sagte er gut gelaunt, „Das Niveau ist wieder am Abtauchen.“ Auch ich lachte leise und nahm es nicht persönlich. Wieso sollte ich auch? Ich scherzte weiter und meinte keck: „Du hast ja keine Ahnung, wie tief es noch sinken kann.“ Wieder hörte ich ihn amüsiert Kichern und er meinte: „Deiner Nachricht nach heute zu urteilen, vielleicht noch ein bisschen mehr?“ Er brachte mich damit nicht aus der Fassung. Ich konnte dazu stehen, was ich geschrieben hatte. Sein Hintern sah aber auch verboten gut aus. Ich grinste vor mich hin, weil ich genau das meinte. Ich mochte es, dass er meinen Humor mochte. Natürlich, dies war sicherlich nicht für jeden etwas und ich hatte auch sicherlich nicht immer Lust, solche Witze zu reißen. Doch gerade, war es einfach toll, so unbeschwert mit jemanden zu reden und nicht genau darauf zu achten, wie und was man sagte. „Dein Hintern sieht übrigens auch nicht schlecht aus. Vielleicht solltest du mal eine engere Hose anziehen, damit du ihn besser betonst, könntest du ja am Samstag anziehen“, raunte mir Paul ins Ohr. Ich merkte selbst, dass ich immer noch am Grinsen war. Fast schon wie ein Irrer musste ich vermutlich aussehen. „Vergiss es“, meinte ich und legte meine Beine auf das Sofa, „So eine Hose habe ich nicht. Die sind viel zu eng im Schritt. Die kneifen sicher. Mein Ex-Mann hatte die früher öfter an, weil sie modern waren oder sind.“ Ich erinnerte mich, wie ich einst nach Hause kam und ihn zum ersten Mal in einer Röhrenjeans gesehen hatte. Ich fand, dass er schrecklich aussah und ich sagte es ihm auch. Brian war beleidigt gewesen, obwohl er eigentlich immer meine ehrliche Meinung hören wollte. „Oh nee“, hörte ich Paul sagen und konnte mir vorstellen, wie er den Kopf schüttelte, „Ich finde sie auch nicht toll. Ich hatte auch mal eine, weil sie eben modern sind. Keine Röhre, aber ne enge… Ich finde das nicht so toll. Kannst dich kaum hinhocken. Sollen das mal die Hipster und die Schwulen tragen, die unbedingt jedem ihre Sexualität aufdrängen müssen.“ Ich schmunzelte vor mich hin und fragte nach einem Augenblick: „Wie war das eigentlich. Hattest du Probleme wegen deines Outings. Ich meine Polizei ist ja ähnlich wie Militär.“ Ich war nicht verwundert, dass nach meiner Frage ein Augenblick Stille herrschte. Vermutlich musste er sich darüber zunächst Gedanken machen. Vielleicht auch darüber, was er erzählen wollte. „Hm“, kam es nach einigen Augenblicken, „Natürlich, gab es den einen oder anderen Spruch. Trotzdem muss du dich im Ernstfall aufeinander verlassen können. Mit zweien gab es größere Probleme. Aber der eine ist weggezogen und der andere wurde versetzt, nachdem er auf einen unbewaffneten Mann geschossen hatte.“ Genervt verzog ich das Gesicht. Es war nichts Neues mehr, dass so etwas geschah. Leider, musste man dazu sagen. „Na ja“, sagte ich mit ernsterer Stimme als zuvor, „Aber wenn du sonst mit deinen Kollegen gut klar kommst, ist das ja wichtiger.“ Ich vernahm ein zustimmendes Grummeln. „Das ist aber schon sehr lange her“, meinte er und ich hörte an der Stimme deutlich, dass es ihn tatsächlich nicht zu belasten schien, „Und jetzt habe ich überhaupt keine Probleme mehr damit.“ Mich freute es für ihn und ungefragt, erzählte ich ihm, dass ich vermutlich zu den wenigen Menschen gehörte, die keine größeren Probleme während des Outings hatten. Nur meine Großeltern taten sich damals schwer, doch in ihrem Alter war das für mich immer verständlich gewesen. Auch mein Vater brauchte seine Zeit. Doch nach einigen Gesprächen war zwischen uns alles geklärt gewesen. Wir schweiften ab und ich erfuhr, dass der Mann auf dem Profilbild von Paul sein bester Freund war. Sie hatten sich während der Polizeiausbildung kennen gelernt. Sie waren häufiger campen gewesen und er hatte nie Probleme damit, dass Paul schwul ist. Auch sein bester Freund war, wie meiner, nicht schwul. „Er hat einen ähnlichen Humor wie du“, meinte Paul und ich lachte leise, während er das sagte. „Klingt doch gut“, sagte ich und streckte meine Glieder. Bei einem Blick auf die Uhr stellte ich fast schon erschrocken fest, dass es bereits nach halb elf war. „Bor, verdammt“, sagte ich erschrocken, „Ich muss auflegen. Sonst komme ich morgen gar nicht aus dem Bett! Hey, wir sehen uns ja morgen, dann können wir weiter reden!“ Ich erntete ein lautes und tiefes Lachen von ihm und schnell legten wir auf. Er wollte sich nun auch endlich fertig für das Bett machen und freue sich wie ich auf das morgige Treffen. Ich wünschte, dass gute Gefühl und die gute Laune hätte bis zum nächsten Tag angehalten. Doch als ich morgens um sechs meine Tochter weckte, wollte sie einfach nicht aufstehen. Im Gegensatz zu mir, schien ihre Nacht nicht sehr erholsam gewesen zu sein. „Nein, ich will heute nicht in den Kindergarten“, jammerte sie und zog ihre Decke über den Kopf. Ich war genervt und schaltete das Licht ein. Zwar war meine Nacht erholsam, doch eindeutig viel zu kurz gewesen. Ich stöhnte laut und genervt auf und schüttelte nur den Kopf, als ich Madeline betrachtete. Oder eher das Deckenknäul. Ich selbst war bereits frisch geduscht und angezogen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ging zu ihrer Kommode. „Steh endlich auf!“, forderte ich sie auf und kramte ein T-Shirt und einen Pullover heraus. Es regnete wieder und ich wollte nicht, dass sie krank wurde. „Ich will nicht“, meckerte sie und immer noch steckte ihr Kopf unter der Decke. „Madeline, wir haben nicht viel Zeit“, sagte ich genervt und ging zu ihrem Bett. Sie murmelte etwas, was ich nicht verstand und glaubte so etwas, wie „Keinen Bock“ zu hören. Ich zog ihr die Decke weg und wütend schrie sie mit ihrer hohen Stimme: „Lass das! Ich will nicht in den Kindergarten!“ Sie strampelt wild um sich und genervt hob ich sie aus dem Bett. „Du wirst in den Kindergarten gehen!“, sagte ich streng und zog ihr den Pyjama aus. Immer wieder meckerte sie und schmiss das Oberteil, welches ich rausgesucht hatte, auf den Boden. „Das sieht doof aus!“, schimpfte sie und wollte gerade wegrennen. Doch eisern hielt ich die am Handgelenk feste. Ich hatte keine Lust, auf so ein Theater! Natürlich meckerte sie, dass ich ihr wehtun würde, doch ich wusste, dass ich das nicht tat. Doch es war, als würde sie immer mehr beginnen, auf meinen Nerven herum zu trampeln und ich spürte, dass eben diese mich bald verlassen würden. „Du ziehst das an! Oder du wirst deine Serie heute nicht schauen“, meinte ich gereizt und griff nach dem Pullover. Schmollend sah sie mich an und als sie den Mund öffnete, sagte ich streng: „Ich meine es verdammt ernst, junge Dame!“ Wir starrten einander an. Es war erstaunlich, wie lange Kinder den Blickkontakt halten konnten. „Madeline Isabelle Prescot, du ziehst das jetzt an!“, rief ich lauter als beabsichtig. Und schmollend verzog sich ihr Mund. Widerwillig zog sie die Kleidung an, welche ich ihr rausgelegt hatte. Doch immer wieder sagte sie, dass sie nicht in den Kindergarten wolle! Ich atmete tief durch und versuchte dabei meine Nerven zu beruhigen. Ich war froh, dass ich bereits einen Kaffee getrunken hatte. Ich wusste, dass Kinder keine Maschinen waren und sicher nicht immer so funktionierten, wie man es sich wünschen würde. Doch das, was sie gerade machte, war schrecklich! „Du musst aber in den Kindergarten. Ich muss schließlich arbeiten“, sagte ich streng und reichte ihr nach langem hin und her eine Scheibe Toast. Böse funkelte sie mich aus ihren grünen Augen an und verzog das Gesicht zu einer mies gelaunten Schnute. Ich ignorierte es einfach und aß meinen Toast stillschweigend auf. Ich hasste es, wenn sie so war. Ich fand sie einfach anstrengend und in diesen Augenblicken wünschte ich mir ab und zu jemanden, der sie mir dann abnahm. Langsam aß sie den Toast und ich wusste, dass sie es machte, um mich zu ärgern. „Wenn du dich nicht beeilst, nehme ich dir das Brot gleich ab“, raunte ich genervt und packte mein Geschirr bereits in die Spülmaschine. Ich wusste, dass wir beide müde waren und ich konnte auch irgendwie verstehen, dass Madeline nicht immer in den Kindergarten wollte. Doch sie wusste es eigentlich besser! Ich freute mich jetzt schon auf meine Mittagspause! Auf meine Flucht aus dem Alltag mit Paul. Später, als gewöhnlich saß ich mit Madeline im Wagen und immer noch hatte sie schlechte Laune. „Ich will nicht in den Kindergarten“, wiederholte sie schlecht gelaunt und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Ich stöhnte genervt und fuhr sie gereizt an: „Ich hab keinen Bock, dass du das ständig sagst! Ich will auch nicht arbeiten, aber ich muss!“ Es war nicht nur Madeline, welche mich nervlich an den Rand des Wahnsinns trieb. Es war auch der Verkehr und das schlechte Wetter, welches meine Laune trübte. Ich schaltete den Scheibenwischer ein und hupte genervt das Auto vor mir an, welches vor einer grünen Ampel einfach abbremste. Ich hatte das Gefühl, dass heute nur Vollidioten auf der Straße waren! „Du liebst die Arbeit“, meckerte sie von hinten und sie wusste sicher nicht, dass sie Öl ins Feuer goss, „Und deswegen muss ich in den blöden Kindergarten. Du hast die Arbeit lieber, wie mich!“ Laut meckerte ich von vorne, dass sie nicht so einen Schwachsinn erzählen sollten. Meine Hände verkrampften sich um das Lenkrad. Wenn sie nur verstehen konnte, wie schwer es war alles zu managen. Doch das, was meine Tochter als nächstes sagte, zog mir fast den Boden unter den Füßen weg. „Doch. Ich will einen Hund, damit ich nicht mehr so einsam bin. Du bist nie da“, sagte sie und eine Kälte erfasste mich. Einsam, nie da… Es war das erste Mal, dass sie so etwas sagte und es war, wie ein Stich mitten in meine Brust. Denn ich wollte niemals, dass sie einsam war! Ich wollte nicht, dass sie meinte, ich sei nie da. Die Stimmung änderte sich und auch Madeline schien es zu merken. Ich schwieg und sagte nichts dazu, denn ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Immer wieder verkrampften sich meine Finger um das Lenkrad. Ich wollte nicht, dass sie das Gefühl hatte, abgeschoben zu werden. Ich wollte doch einfach nur alles richtig machen! Ich war erleichtert, als ich endlich am Kindergarten war. Immer noch war ein komisches Gefühl in meinem Inneren. Beschreiben konnte ich es nicht. Immer und immer wieder hallten mir ihre Worte durch den Kopf. Ich hatte die Fahrt über geschwiegen und als ich Madeline abschnallte blickten mich ihre grünen Augen erstaunlich vorsichtig an. „Dad?“, fragte sie und ich war überrascht, dass ich Unsicherheit in ihrer Stimme hörte, „Bist du böse auf mich?“ Ich schwieg, denn ich wusste es nicht. Ja, ihre Worte hatten mich verletzt und doch zeigte es auch, dass ich irgendetwas ändern musste. Aber ob ich sauer auf sie war, dass wusste ich selbst nicht. Mein Schweigen verunsicherte sie und dicke Tränen rannen ihr über die Wange. Liebevoll wischte ich sie weg und sagte: „Ich bin nicht sauer. Ich bin nur auch traurig, dass ich dich viel zu wenig sehe. Ich habe dich doch lieb.“ Es war die Wahrheit und ich hoffte, dass es kinderfreundlich genug war. Ich hatte den Gurt gelöst und traurig blickten mich die Augen meiner Tochter an. Ich nahm sie an die Hand und brachte sie hinein in die Tagesstätte. Immer noch schniefte sie leise. Ich wollte ihr nicht versprechen, dass ich früher kommen würde, denn ich wusste nicht, ob ich das Versprechen würde einhalten können. Ich hockte mich hinunter und blickte meiner Kleinen ins Gesicht. „Nicht mehr weinen, Mäuschen“, sagte ich ruhig und half ihr, ihren pinkfarbenen Anorak auszuziehen. Sie nickte nur stumm und drückte mich länger als gewöhnlich. „Ich lieb dich Daddy. Nicht sauer sein. Ich bin jetzt auch gerne hier. Nicht traurig sein.“ Ich war überrascht, wie feinfühlig meine Tochter war. Ich versuchte zu lächeln und versuchte es ehrlich aussehen zu lassen. „Ich bin nicht traurig. Hab einfach einen schönen Tag“, sagte ich und liebevoll küsste ich sie auf die Lippen. Unsicher nickte sie und als ich den Kindergarten verließ, plagte mich immer noch das schlechte Gewissen. Hosted by Animexx e.V. 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