Freunde mit gewissen Vorzügen von Maginisha ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Yoji war verzweifelt. Und müde. Vor allem aber verzweifelt. Seit fast zwei Wochen versuchte er jetzt an Aya heranzukommen und war noch keinen Schritt weiter. Er hatte es zunächst auf die klassische Art versucht, hatte einen ruhigen Moment abgewartet und war zu ihm gegangen. Aya war gerade dabei gewesen, Ordnung im Gewächshaus zu schaffen. Er hatte Pflanzen von A nach B geräumt, die Bestände notiert, Bestelllisten ausgefüllt. Also hatte Yoji sich neben ihn gestellt und gefragt: „Möchtest du darüber reden?“ Aya hatte ihn angesehen, als wüsste er nicht, wovon Yoji spräche. „Freitagnacht?“, hatte Yoji ein wenig nachgeholfen, aber Aya hatte sich einfach umgedreht und weiter gearbeitet. Solche Versuche hatte er noch einige unternommen. Wenn er hätte schätzen müssen, hätte er auf ungefähr 28 getippt. Keiner von ihnen hatte irgendein Wort aus Aya herausbekommen, dass keine Beleidigung oder eine Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen, gewesen wäre. Nach und nach war er immer schweigsamer und schweigsamer geworden, seine Blicke Yoji gegenüber kälter und kälter. Inzwischen ignorierte er ihn komplett und wich ihm aus, so gut das in dem kleinen Blumenladen möglich war. Es brachte Yoji um den Verstand und um seinen Nachtschlaf. Auf einem geraden Weg würde er also nicht an seine Informationen kommen. Jetzt würde er es mit List und Tücke versuchen. Aya arbeitete gerade an einem Blumengesteck. Ein wundervolles Arrangement aus gelben und weißen Kamelien, das Yoji einmal mehr anerkennen ließ, dass Aya zwar nicht unbedingt der freundlichste Verkäufer sein mochte, seine Arbeiten aber mit Abstand die kunstvollsten waren. Oft genug verlangten Kunden Arrangements, die er ausgeführt hatte. Vor allem die besser betuchten Kunden. Aya beendete seine Arbeit und ging zum Schaufenster, um einen Platz dafür zu suchen. Yoji sah das Gesteck noch einmal an. Aya hätte es auch einfach auf dem Tisch stehen lassen können, da es vermutlich innerhalb kürzester Zeit einen Käufer fand. Yoji bemerkte plötzlich das kleine Messer, das auf dem Arbeitstisch lag. Es war Ayas persönliches Lieblingsmesser. Kurz, scharf, mit einem hellgrünen Griff. Der Rest von ihnen arbeitete eher mit einer Schere, aber Aya hantierte grundsätzlich mit diesem Messer. Ohne lange zu überlegen, griff Yoji danach und steckte es ein. Wer Wellen in einem Teich erzeugen wollte, musste eben einen Stein werfen. Aya kehrte zurück, nahm das Gesteck und drapierte es im Schaufenster. Yojis Blick glitt zur Uhr. Bald würde die Schule aus sein, dann würde zunächst ein abgehetzter Omi im Laden erscheinen und kurz darauf eine schnatternde Horde Schulmädchen hier einfallen. Wenn er Glück hatte, konnte er Ayas Reaktion noch abwarten, bevor das geschah. Aya kam wieder, um ein neues Gesteck zu beginnen. Seine Hand griff zu der Stelle, wo gerade noch das Messer gelegen hatte, und verharrte in der Luft über der leeren Arbeitsfläche. Ein winziges Stirnrunzeln entging Yoji ebenso wenig wie der suchende Blick, der über den Tisch glitt. Der beherbergte zwar etliche Utensilien, aber das Messer wäre, hätte es dort gelegen, sofort zu sehen gewesen. Yoji stellte sich vor, wie es hinter Ayas Stirn arbeitete. Nicht etwa, dass sich das auf seinem Gesicht irgendwie widergespiegelt hätte, denn das war die gleiche, ausdruckslose Maske wie immer. Aber Yoji wollte, dass dort drinnen irgendetwas passierte. Er wollte, dass Aya ihn endlich wieder wahrnahm, dass er ihn meinetwegen gegen die Wand schleuderte, ihn am Kragen packte, und ihn fragte, ob er eigentlich noch ganz bei Trost war, sich an Ayas Allerheiligsten zu vergreifen. Oder zumindest an etwas, was dem nahe kam. Was er stattdessen bekam, war ein Blick. Ein eiskalter, abschätzender Blick. 'Komm schon, frag mich. FRAG MICH!', dachte Yoji und musste sich auf die Zunge beißen, um nicht zu grinsen. Das Messer war weg und außer ihm und Aya war niemand im Laden, weil Ken noch einige Bestellungen auslieferte und Omi eben erst Schulschluss gehabt hatte. Wenn also das Messer nicht auf einmal Beine oder Flügel bekommen hatte, gab es nur eine logische Erklärung. Aya musste das ebenfalls wissen. Jeden Moment würde er...irgendetwas machen. Ayas Mund bewegte sich. Er öffnete ihn, nur wenige Millimeter, holte Luft und...kniff die Lippen zusammen, drehte sich um und ging zum Regal, wo Omi und Ken ihre Sachen hatten. Er griff nach Kens Schere, legte sie betont langsam auf den Tisch und griff dann nach einem Kenzan. Ohne Yoji weiter zu beachten, begann er ein neues Gesteck. Eine orange Lilie. Yoji schnaubte. Na wenn er meinte. Sollte er nur kommen. Yoji konnte dieses Spiel gerne noch weiter spielen. In der nächsten Zeit machte Yoji es sich zur Aufgabe, Ayas Arbeit zu sabotieren, wo es nur ging. Er ließ Werkzeuge und Materialien verschwinden, gab Bestellungen nicht weiter, verräumte Blumen, die Aya sich bereitgestellt hatte, wieder im Lager, wenn der gerade nicht hinsah. Einmal ging er sogar so weit, den Schlüssel zum Laden zu verstecken, sodass Aya erst zu Omis Schule fahren musste, um den Ersatzschlüssel zu holen, statt Yoji zu fragen, ob er ihn gesehen hatte. Da Aya ihn und Ken danach allerdings mit der aufgebrachten Kundschaft alleine ließ, strich Yoji diese Idee schnell wieder von seiner Wie-errege-ich-Ayas-Aufmerksamkeit-Liste. Der Erfolg nach zwei weiteren Wochen waren jedoch nur eine saftige Strafpredigt von Omi und eine Drohung von Ken, dass er ihn demnächst durch die Wand prügeln würde, wenn er nicht mit dem Unsinn aufhörte. Reaktion von Aya: Null. Es war zum Haare raufen, wenn das nicht ein unverzeihliches Vergehen an Yojis unwiderstehlichem Äußeren gewesen wäre. Er musste einen neuen Plan entwickeln. Wenn Aya nicht mit ihm sprechen wollte, so würde er seine Informationen eben direkt an der Quelle holen. Das bedeutete allerdings, dass er sich in ungleich gefährlicheres Territorium als den gemeinsamen Arbeitsplatz im Blumenladen vorwagen musste. Er musste in Ayas Zimmer einbrechen und diesen Umschlag bekommen. Vielleicht konnten ihm die Unterlagen, die Aya vor ihm versteckt hatte, einen Hinweis darauf geben, was hier los war. Unabdingbar für ein Überleben dieses Unterfangens war allerdings, dass Aya ihn dabei nicht erwischte. Letzteres wiederum stellte insofern ein Problem dar, dass Aya im Grunde nie aus dem Haus ging. Er lieferte keine Bestellungen aus; das erledigten Ken und Omi. Ebenso die Einkäufe. Und natürlich ging er nie aus. Es gab zwar Zeiten, in denen er in dem schall- und blickdichten Kellerraum trainierte, aber das geschah normalerweise zu Zeiten, in denen Yoji das Gebäude schon verlassen hatte. Nach Ladenschluss länger zu bleiben, um das Glück zu haben, diesen Zeitraum zu erwischen, wäre zu auffällig gewesen. Zudem traute er Aya durchaus zu, sein Training an einem solchen Abend ausfallen zu lassen. Was er also brauchte, war etwas, das Aya für mindestens eine halbe Stunde beschäftigte, während Yoji noch anwesend war. Außerdem musste es etwas sein, bei dem er möglichst nicht bemerkte, wo Yoji hinging, denn sonst, so war sich Yoji sicher, würde er als Trainingsattrappe für die nächste Schwert-Übung herhalten müssen. Die Gelegenheit, auf die Yoji gewartet hatte, ergab sich zwei Tage später. Ein Stammkunde hatte noch am späten Nachmittag angerufen und einen dringenden, aufwendigen Auftrag erteilt. Er hatte einen Aufpreis von 25 Prozent geboten, wenn er das Gesteck noch heute abholen konnte. Natürlich war es Aya zugefallen, diesen Auftrag zu bearbeiten. Während Yoji, Ken und Omi die Laufkundschaft und die kreischenden Mädchen abfertigten, war Aya in einer Art Trance versunken, aus der er erst wieder auftauchte, mit der besten Arbeit, die Yoji je gesehen hatte. Das Gesteck war einfach...perfekt. Es gab keinen Zweifel, dass der Kunde mehr als zufrieden sein würde, der Preis mehr als angemessen war und dass dieses Gesteck seinen Platz an Omis Ehrenwand finden würde, wo er zu Werbezwecken besonders gut gelungene Arbeiten ausstellte. Und gleichzeitig war das die perfekte Gelegenheit, um Aya endlich dranzukriegen. Yojis Magen zog sich zusammen, wenn er daran dachte, was er zu tun vorhatte, aber er sagte sich, dass der Zweck die Mittel heiligte. Also riss er sich zusammen und als Aya sich die Hände säuberte, trat Yoji mit einem schnellen Schritt zu dem Gesteck, holte tief Luft und warf es auf den Boden. Die weiße Porzellanschale, die die Grundlage gebildet hatte, zerbarst mit einem lauten Klirren, das alle im Laden zusammenschrecken ließ. Aya fuhr herum, sein Blick raste zu der zerstörten Arbeit und dann ohne Halt weiter zu Yoji. Hass. Der reine Hass loderte Yoji entgegen und ließ ihn unwillkürlich schlucken. Vielleicht war er jetzt doch einen Schritt zu weit gegangen. Ayas Faust schloss sich um das kleine, grüne Messer. „Oh, Yoji, was hast du getan?“ Omi schob sich zwischen Aya und Yoji und rettete ihn damit vermutlich vor einem unrühmlichen und sehr blutigen Tod auf dem Boden des Blumenladens. „Ich bin wohl mit meiner Schürze daran hängen geblieben“, stammelte Yoji, als wäre er ebenso entsetzt wie die anderen. „Ich...es tut mir leid, Aya. Du wirst wohl noch einmal von vorne beginnen müssen.“ „Das schafft er nie“, meinte Ken mit einem Blick auf die Uhr. „Der Kunde wird jeden Augenblick hier sein. Wir müssen uns etwas einfallen lassen. Vielleicht, wenn wir alle zusammen...“ „Der Kunde hat aber Ayas Arbeit bestellt“, erinnerte Yoji die beiden jüngeren Team-Mitglieder, die gerade in hektische Betriebsamkeit ausbrechen wollten. „Wir werden den Kunden verlieren, wenn er nicht erhält, was er bestellt hat.“ Aya musterte ihn mit einem kalten Blick. Der Hass war verschwunden, die Maske wieder zurück an ihrem angestammten Platz. Einzig die Tatsache, dass er jetzt das Handtuch, mit dem er sich die Hände abgetrocknet hatte, zusammengeknüllt auf den Tisch legte, statt es wie sonst akkurat aufzuhängen, ließ eine leichte Aufgewühltheit vermuten. Ohne ein weiteres Wort ging Aya zum hinteren Ausgang des Ladens. Yoji hörte die Tür des Kühlraums klappen, dann kam Aya mit einem weiteren Gesteck in den Händen zurück. Es war lange nicht so perfekt wie das, was Yoji ruiniert hatte, aber mit einer liebevollen Sorgfalt zubereitet, die Yoji staunen ließ. Astern und Prunkwinden in ausgewählten Violetttönen in einer dunklen Tonschale. Weit weniger kostspielig als das, was der Kunde bestellt hatte, aber auf eine anrührende Weise einzigartig. „Gebt dem Kunden die hier zusammen mit meiner Entschuldigung“, sagte Aya. Er nahm seine Schürze ab verließ den Laden in Richtung Wohnung. Yoji starrte ihm hinterher. Omi sah mit einem bedrückten Gesicht auf die Blumen. „Ich glaube, die waren für seine Schwester gedacht“, sagte er leise. Yoji unterdrückte mit Mühe ein Aufstöhnen. Es hatte es verbockt, und zwar gründlich. Yoji trug sein schlechtes Gewissen eine ganze Woche lang mit sich herum. Er erledigte seine Arbeit gründlich, erschien pünktlich am Arbeitsplatz, ging am Wochenende nicht einmal aus, obwohl ihn die Wände seiner Wohnung an den Abenden fast zu erdrücken schienen. Ja, er war kurz davor, den Plan aufzugeben. Bis er eines Abends kurz vor Feierabend, als er bereits dabei war, die großen Blumenkübel in den Laden zu räumen, Ayas Stimme aus dem Gewächshaus hörte. Es waren wenige Worte, kurz und knapp. Nicht viel mehr als Ja und Nein, aber der gepresste Ton ließ Yoji aufhorchen. Er ließ den Kübel mitten im Weg stehen und schlich sich zur Tür, hinter der Aya telefonierte. Als er dort ankam, hatte der bereits aufgelegt. Yoji spähte durch die Tür und sah etwas Unerwartetes. Aya hatte sich mit beiden Händen auf den Pflanztisch gestützt, das Handy vor ihm inmitten der wenigen Krumen von Blumenerde, die noch nicht weggewischt worden waren. Das allein war schon etwas, das Aya normalerweise nie getan hätte. Was aber wirklich ungewöhnlich war, war Ayas Haltung. Er sah...traurig aus. Nein, eher verzweifelt. Yoji konnte zwar sein Gesicht nicht sehen, aber die Hände, die sich in die Kante der Tischplatte krallten, den verkrampften Rücken, der Kopf zwischen die Schultern gezogen, so als könne er so einem unbekannten Unglück entgehen. Yoji legte die Hand an die Tür. Er war hin- und hergerissen. Sollte er jetzt zu Aya gehen? War er in der Position dazu? Oder riskierte er damit ernsthafte Verletzungen? Die Ladenglocke holte ihn aus seinen Überlegungen. „Hey, Yoji, was soll das? Was macht der Topf hier mitten im Weg?“ Ken war eben von einer Lieferung wiedergekommen und sichtlich verärgert über das Hindernis in seinem Weg, an dem er mit den Transportkisten nicht vorbeikam. Yoji verbot sich einen letzten Blick ins Gewächshaus und verließ seinen Horchposten so schnell wie möglich. Wenn Aya entdeckte, dass er gelauscht hatte, konnte die Sache mit den Verletzungen immer noch zur Wahrheit werden. „Ich habe mir einen Fingernagel abgebrochen und war auf der Suche nach einem Pflaster“, antwortete Yoji leichthin und zerrte den schweren Kübel ein Stück weit zur Seite, sodass Ken daran vorbeigehen konnte. „War ja klar, dass das nicht lange anhalten würde“, murmelte Ken und ging in Richtung des Gewächshauses. Aya öffnete gerade die Tür und ließ Ken vorbei. Dabei huschte sein Blick kurz in Yojis Richtung, der sich möglichst unbeteiligt zeigte. Er gab vor, seinen Fingernagel zu untersuchen und schnitt eine versteckte Grimasse, als er Ayas Missfallen an seinem unbedeutenden Problem sah. Zumindest bildete er sich ein, dass der kalte Blick eine Spur Unmut enthielt. Yoji seufzte innerlich. Jetzt war er also wieder der oberflächliche, unzuverlässige Playboy. Nun gut, damit konnte er leben. Es war die perfekte Tarnung, um endlich hinter Ayas Geheimnis zu kommen. Jetzt brauchte er nur noch eine neue Idee. Eine wirklich gute und vor allem wasserdichte Idee. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)