Complete Silence von lunnaris1989 ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Nachdem er durch die Holztür gegangen war, war er in einem Nebenraum einer Schenke gelandet. Nicht unbedingt das Schlechteste - er hoffte nur, dass er nicht wieder irgendwelchen Soldaten über den Weg lief. Allerdings blieb er auf seinem Weg durch die Schenke nach draußen unerkannt, was nicht zuletzt an der fortgeschrittenen Nacht und den mittlerweile sehr angetrunkenen Männern lag, die hier zu Gast waren. Er verließ den Hafen in Richtung Händlerviertel und klopfte nach ein paar Gehminuten an einer unscheinbaren Haustür, die sich nach wenigen Momenten langsam einen Spalt öffnete. "Ja? Wer ist da?", fragte eine weibliche Stimme vorsichtig, ehe sie den Mann vor der Tür erkannte. Ihr Gesicht wechselte von Vorsicht zu überschwänglicher Freude. "Van! Endlich!", rief sie erleichtert aus und sprang ihm in die Arme. Jetzt erst kamen ihre großen Katzenohren und ihr Schwanz in Sichtweite. "Merle, los, lass mich rein bevor du mich umbringst.", lachte der Mann und versuchte sie von sich zu schieben, bevor er sich durch die Tür ins Haus quetschte. "Aaaah, da ist ja unser Verschollener endlich." "Dryden! Ihr tut ja alle gerade so, als wäre ich wochenlang weg gewesen...", murmelte Van und begab sich zu Dryden ins Kaminzimmer, aus dem er seine Stimme vernommen hatte. "Und? War dein Unterfangen erfolgreich?", Dryden lächelte und stützte seinen Kopf auf seinen Händen ab, die er auf den Tisch abgestützt hatte. Van sah ihn an und schüttelte halbherzig den Kopf. "Leider nicht mit dem gewünschten Erfolg. Er wurde dort zwar gesichtet, hat sich aber in letzter Zeit auch eher rar gemacht. Ich werde noch wahnsinnig!" Seine Hand knallte auf den Tisch, Merle war in der Zwischenzeit hinter ihm erschienen und zuckte zusammen. "Hier hast du etwas warmes zu Trinken, draußen war es doch sicherlich kalt.", flüsterte sie vorsichtig und stellte eine Tasse mit dampfendem Tee vor ihm ab. Van fuhr sich durch die schwarzen Haare und sah sie entschuldigend an. "Es tut mir leid Merle. Ich wollte nicht laut werden." Seine Hand drückte ihre Schulter kurz dankend, als er den Tee nahm und einen Schluck trank. "Vielen Dank." Sie lächelte ihn an und ihr wurde warm ums Herz. Van war für sie war ein Bruder, den sie nie hatte. Mittlerweile hatte sie aufgehört zu zählen, wie oft sie sich nächtelang um ihn sorgen musste ob er wieder zu ihr zurückkommen würde. Sie wusste, dass er seine Suche nicht aufgeben würde, bis er seinen Bruder finden würde. Merle hoffte nur, dass er nicht enttäuscht sein würde. "Er weiß, wie er sich verdeckt halten kann.", murmelte Dryden zwischenzeitlich und verharrte in seiner Position. Seine braunen Augen glitten in Vans Richtung, bevor er fortfuhr. "Was man von dir nicht behaupten kann, wie ich gehört habe. Wenn du das nächste Mal eigenhändig Nachforschungen anstellen solltest, sorg wenigstens dafür, dass man dich nicht meilenweit gegen den Wind erkennen kann." Sein mahnender Unterton ging Van auf die Nerven. "Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, Dryden." Er schloss die Augen um seinen aufkeimenden Zorn zu zügeln. Er war Dryden dankbar, dass er Merle und ihn selbst aufgenommen hatte. Aber manchmal vergaß er seinen Platz. "Das weiß ich. Aber vergiss nicht, dass du auch Merle gegenüber verantwortlich bist." Mit diesem Satz stand Dryden auf und verabschiedete sich in sein Schlafzimmer. Merle sah unwohl zu Van auf. Ihr behagte es nicht, dass Dryden so tat, als wäre sie Van eine Last. Denn das wollte sie nicht sein - im Gegenteil. Sie war es, die Van die nötigen Informationen bezüglich der Aufenthaltsorte seines Bruders besorgte. Aber in letzter Zeit war es schwierig geworden, ihre Männer erfolgsbringend in Pallas einzusetzen. Die Soldaten rund um den Ritter des Himmels Allen Shezar waren umsichtiger und vorsichtiger geworden. Als Van laut aufsetzte, wurde sie aus ihren düsteren Gedanken gerissen. "Was ist mit dir, Van?", fragte sie und schlang ihre Arme um ihn. "Ich bin mir sicher, dass wir deinen Bruder finden werden. Irgendwann wird er zu uns zurückkommen." Sie war es gewohnt, dass Van ihre Umarmungen nicht erwiderte und er nicht dieselben Gefühle hatte, wie sie. Trotzdem wollte sie für ihn da sein und ihm so gut es ging helfen. Schließlich war er die einzige Familie, die sie noch hatte. Als sie seine Hände auf ihren Schulter spürte, zuckte sie erschrocken zusammen. "Danke Merle. Es tut mir Leid, dass ich dich jedes Mal in Gefahr bringe, wenn ich dich nach draußen schicke. Du weißt, dass du es nicht tun musst?" Seine mahagonifarbenen Augen fesselten die ihren und unweigerlich bekam sie weiche Knie. Sie legte die Ohren an und senkte den Blick. "Ich möchte dir nicht zur Last fallen - deshalb helfe ich dir gerne. Ohne dich wäre ich überhaupt nicht mehr hier." Sie drückte ihn noch einmal so fest sie es wagte und löste sich schließlich von ihm. Dabei rümpfte sie leicht die Nase. "Du stinkst übrigens fürchterlich nach Parfüm."   Hitomi schloss ihre Wohnung auf und ging hinein. Es war kalt, das Feuer schon lange ausgegangen, als sie bei der roten Dame war. Schlotternd legte sie ihren klammen Mantel zur Seite und machte sich daran, wieder ein Feuer zu entfachen. Zitternd suchte sie sich ein paar warme Decken und ließ sich vor ihrer Feuerstelle nieder. Sie hing wieder einmal ihren Gedanken nach. Wer war dieser schwarzhaarige Mann. Wer waren die Abaharaki? Allen hatte ihr noch nichts davon erzählt, dabei verriet er ihr so allerhand, wenn er seine Stunden bei ihr verbrachte. Müde verzog sie ihr Gesicht. Wie sie ihn doch hasste. Als die Flammen hoch genug waren, warf sie noch ein paar Scheite Holz ins Feuer und tapste barfuß zu ihrem Bett, auf das sie sich mit einem leichten Seufzen fallen ließ. Als sie die Augen schloss, verfiel sie in einen unruhigen Schlaf. ~ Flammen wüteten durch das große Gebäude, in dem sie stand. Sie konnte die Hitze im Gesicht spüren und sah sich erschrocken um. Wo war sie? Was war geschehen? Sie hörte Schreie nicht weit entfernt von ihr. "MUTTER! VATER!!" Sie wich den hochzüngelnden Flammen aus und rannte in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Plötzlich trat sie in eine schmierige Flüssigkeit und verlor ihr Gleichgewicht. Im Fallen sah sie die rote Blutlache vor sich und die leeren Augen einer Frau mit langen, schwarzen Haaren.~ Schweißgebadet riss es sie aus dem Schlaf und sie zitterte am ganzen Körper, als sie sich langsam aufrichtete und sich wild durch die Haare fuhr. "Was zum...", flüsterte sie und blieb wie erstarrt in ihrem Bett sitzen. Was hatte sie gesehen? Was sollte dieser Traum? Nach ein paar Minuten hatte sie sich soweit erholt, dass sie aufstehen konnte. Sie lief in ihr Bad ans Waschbecken und trank ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn. Als sie aufsah, starrte sie sich im Spiegel an - und erstarrte. Seine blaue Uniform warf er achtlos in die Ecke, als er endlich an seinem Haus angelangt war. Es war mittlerweile schon später Morgen, die Suche nach dem Abaharaki-Anhänger blieb erfolglos. Verärgert ließ er sich in einem Sessel nieder und sinnierte vor sich hin. Wenn dieser Abschaum weiter in Pallas gesichtet wird, würde es ernsthafte Schwierigkeiten geben. Asturias König hatte die Festnahme aller Verräter angeordnet und die sofortige Hinrichtung. Sie stifteten Unruhe gegen die verbündeten Zaibacher - das konnte Asturia nicht zulassen. Nicht, nachdem Zaibach auch schon fast alle anderen Länder unterjocht hatte. Noch war Asturia nur "Verbündeter". Aber Allen spürte, wie sie ganz langsam unterwandert wurden. Nicht, dass es ihn sonderlich gestört hätte. Er empfand tiefsten Respekt gegenüber dem Oberbefehlshaber der Zaibacher Armeen. Er lächelte. Als er herausfand, wer dieser Oberbefehlshaber war, musste er aufgrund der Umstände fast lachen. Wie gern würde er direkt für diesen genialen Mann agieren - aber da musste er sich noch ein wenig gedulden. Lange dürfte es nicht mehr dauern. Als er langsame Schritte im Gang vernahm, hob er den Kopf. "Allen? Bist du wieder da?" Die weibliche Stimme klang müde und brüchig. Seufzend erhob er sich und trat aus dem Zimmer in den Gang hinaus. "Serena... bitte schlaf noch ein wenig, solange du kannst.", ermahnte er sie. Ihre hellblauen Augen waren vor Müdigkeit und Trauer glanzlos und matt. "Allen, die roten Augen... sie verfolgen mich... ich kann nicht mehr ruhen. Sie lassen mich nicht mehr gehen...", schluchzte sie und warf sich in seine Arme. Allen überkam erneut das schlechte Gewissen. Um seinen Weg nach Zaibach zu ebnen, hatte er seine Schwester in die Obhut des Oberbefehlshabers gegeben. Seine über alles geliebte Schwester. Noch wurde er in die Pläne der Zaibacher nicht eingeweiht, er wusste nicht, was Serena dort widerfuhr. Ihnen waren nur die kurzen Aufenthalte zusammen vergönnt, die sie Zuhause verbringen durfte. Er sah, wie sie von Mal zu Mal blasser und weniger anwesend wurde. Als würden sie ihr langsam ihr Leben abzapfen. Aber alles hatte nun mal seinen Preis und Serena hatte bereitwillig zugestimmt, als er ihr seinen Plan unterbreitet hatte. Doch manchmal... manchmal, wie in diesem Moment, kamen leise Zweifel auf, ob seine Entscheidung wirklich gut durchgedacht gewesen war.   Sie sah Blut. In ihrem Gesicht, ihrem Haar, ihren Händen. Überall. Ihr Atem wurde flach und schnell, sie fuhr sich entsetzt durch ihr kreideweises Gesicht, doch das Blut wurde immer mehr und sie verschmierte es überall. Hitomi schluchzte und konnte den Blick nicht vom Spiegel abwenden, sie schmeckte das Blut in ihrem Mund und würgte. Sie bekam keine Luft mehr und sank langsam zu Boden, während ihr dunkles Blut aus dem Mund rann. Ihre Hand zuckte am Boden, als sie langsam in schwarze Leere sank und ihre Augen ein weiteres Mal in die Ferne blickten. ~Wieder spürte sie sengende Hitze auf ihrer Haut. Der leere Blick der Frau traf sie bis ins Mark. Schnell rappelte sie sich auf und eilte weiter den Gang entlang, sie musste dorthin - dorthin, woher die Schreie kamen. Sie wusste, sie musste schnell sein, sonst wäre alles zu spät. Aber was - was war zu spät? Ihr Instinkt trieb sie vorwärts, immer mehr Flammen kamen ihr in den Weg, versengten ihre Haut und ihr Haar. Der Schmerz machte sie blind, als sie in eine große Halle kam und einen Jungen entdeckte, der kaum das Teenager-Alter erreicht hatte. Er war die Quelle der verzweifelten Schreie, denn auch jetzt schrie er nach seinen Eltern. Sie wischte sich Ruß und Schweiß aus den Augen, als sie auf ihn zu rannte um ihn zu schützen, doch plötzlich hielt sie inne. Dort stand er. Jünger noch, aber unverwechselbar. Silberne Haare, rostrote Augen. Ein schwarzer Umhang. Als sie sah, was er da in der Hand hielt, schlug sie sich die Hände vor den Mund und stieß einen spitzen Schrei aus.~ Wieder erwachte sie ruckartig und schweißnass - diesmal auf dem Boden in ihrem Badezimmer. Das Blut! Sie schreckte hoch und wäre beinah wieder umgefallen, so pochte ihr Kopf und ihr Magen rebellierte. Hitomi sah an sich herunter, doch da war kein Blut mehr. Auch als sie in den Spiegel blickte, war nichts mehr zu sehen. Sie sackte gegen die Wand ihres Badezimmers und holte ein paar Mal tief Luft. Was geschah mit ihr? Und warum sah sie auf einmal den silberhaarigen Mann? Hatte er wirklich einen abgetrennten Kopf in seiner Hand gehalten und gelacht? Tränen traten ihr in die Augen und sie schüttelte den Kopf. Der kleine Junge... seine schwarzen Haare kamen ihr bekannt vor. Aber das konnte nicht sein. War das ihre Besucher in jüngeren Jahren gewesen? Schließlich wollte er wissen, wo dieser silberhaarige Mann war. Nach ein paar weiteren Minuten des Grübelns beschloss sie, erst einmal eine Dusche zu nehmen. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und brachten sie nicht vorwärts. Sie musste diesen schwarzhaarigen Mann noch einmal treffen, irgendwie. Doch sie hatte keinen Anhaltspunkt, wo sie ihn finden konnte.   Van lag in seinem Bett - doch an Schlaf war kaum zu denken. Viel zu sehr war sein Kopf damit beschäftigt, den vergangenen Tag und vor allem die Geschehnisse der Nacht zu verarbeiten. Seine Glieder waren bleischwer und er schloss schließlich seine rotbraunen Augen. Einen Arm legte er über die Stirn, in einem Versuch, das leichte Pochen hinter seinen Schläfen zu unterdrücken. Sie hatte ihn also wirklich gesehen. Folken. Seinen Bruder. Den Verräter. "Folken...", wisperte er leise. Eine stille, unterdrückte Wut keimte in ihm auf. Seine Hand ballte sich zu einer Faust und zerdrückte die Bettdecke darin. Van knirschte mit den Zähnen. Wenn er ihn nur in die Finger bekommen könnte, doch er war ihm immer einen Schritt voraus und einfach unnahbar. Kaum dachte er, er hatte ihn, war er schon wieder weg und hatte sämtliche Spuren verwischt. Es war zum verrückt werden. Seine Gedanken glitten weiter zu der grünäugigen Frau, die er heute zum ersten Mal getroffen hatte. Hitomi war ihr Name. Stumm formte er die Silben mit seinen vollen Lippen. Er erinnerte sich an ihre zarte, aber wohlgeformte Figur und die glatten, honigblonden Haare. Wie sie sich in ihren Polstern rekelte, als sie ihn neckisch ansah. Frustriert wälzte er sich im Bett auf die Seite und versuchte sie wieder aus seinem Kopf zu verscheuchen. Wahrscheinlich musste er sie noch einmal aufsuchen. Der Gedanke daran beunruhigte ihn. Vor allem wusste er selbst nicht genau, wie sie ihm eigentlich weiterhelfen konnte und dass er beim Besuch dieses Hauses erkannt worden war, half ihm nicht wirklich weiter. Dafür kannte Van nun den Geheimgang. Ein kurzes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Kurz erlaubte er sich, ein letztes Mal an sie zu denken, bevor er in einen tiefen Schlaf mit seltsamen Träumen glitt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)