Complete Silence von lunnaris1989 ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Sie saß auf dem Polster, ihr Blick glitt über den schwarzhaarigen Besucher hinweg. Deutlich spürte sie seine Anspannung und fragte sich, was er wohl mit dem Gesuchten zu tun hatte. Schließlich blieb sie an seinen dunklen Augen hängen und fuhr fort: „Er kam eine Zeit lang recht regelmäßig hierher. Ich weiß allerdings nicht, warum. Die rote Dame redet nicht mit uns über die Kunden, die vorrangig mit ihr verkehren und gestattet kaum Nachfragen. Mir ist nur aufgefallen, dass seine Besuche in den letzten Monaten nur noch sporadisch waren. Die Chance ihn zu treffen, ist im Moment also eher gering.“ Sein Blick spiegelte erst seine Hoffnung, dann seine Niedergeschlagenheit wider. „Vermutlich werde ich ihn nie finden.“, murmelte er in sich hinein und setzte sich schließlich doch auf den Sessel neben dem Tisch. Sein Kopf lag in seinen Händen, die Ellbogen auf seine Knie gestützt. So verweilte er eine zeitlang, ohne etwas zu sagen. Hitomi wusste nicht, was sie zu ihm sagen wollte – dabei spürte sie, dass sie ihm eigentlich gerne helfen möchte. Sie war gerade dabei aufzustehen und zu ihm zu gehen, da vernahm sie aus dem unteren Stock Tumult. Verwirrt lief sie zur Tür, auch ihr Besucher hob alarmiert den Kopf. Doch bevor sie die Tür auch nur ansatzweise öffnen konnte, wurde sie von außen aufgestoßen. „Hitomi! Schnell, wir müssen uns verstecken!“, rief ihre blonde Freundin, die hereingestürmt kam. „Warum? Mina, was ist da unten los?“ Ihre grünen Augen irrten von ihrer Freundin zum Besucher, der rasch aufgestanden war und sich nun ebenfalls neben ihr befand. „Ich weiß es nicht, aber unten stehen Soldaten im Empfangsbereich und verhören unsere Kunden. Sie suchen… nach jemandem.“ Ihr Blick hielt inne, als sie den neuen Besucher genauer musterte. „Und ich glaube ich weiß, wen.“ Hitomi stockte. Verwirrt sah sie in seine Richtung und musste mit Entsetzen feststellen, wie er in seinen Stiefel griff und einen Dolch hervorzog. „Ich würde Euch raten, nicht zu schreien.“ Seine Augen bohrten sich in ihre, sie hörte, wie Mina nach Luft schnappte und an ihrer Hand zog. „Was hast du vor?“, zischte sie ihn an und zerrte Mina schützend hinter sich. Nicht einen Sekunde glaubte sie daran, dass der Dolch ihr galt. „Wenn sie euch beide mit mir sehen, werden sie nicht zögern, euch mitzunehmen. Ich kann gut auf mich aufpassen, aber ihr?“ Sein Blick huschte immer wieder zur Tür, er lauschte auf den Lärm, der mittlerweile herauf drang und immer lauter wurde. „Du brauchst deinen Dolch nicht.“, erwiderte sie und zog Mina in eine Zimmerecke, in der ein dunkler Schrank stand, den der Schwarzhaarige zuvor nicht bemerkt hatte. Er beobachtete, wie sie die Tür des Schranks öffnete und am Boden entlangfuhr, bevor sie einen versteckten Mechanismus betätigte. Erstaunt hob er die Augenbrauen, als sich die Rückseite des Schranks nach links in die Wand verschob und ein schmaler Gang zwischen Schrank und der Außenmauer des Gebäudes zum Vorschein kam. "Hier, Mina, geh rein und nach unten in den Keller. Du auch.", sagte sie dann an ihren Besucher gewandt und sah Richtung Tür, die Rufe kamen immer näher. Bevor er etwas sagen konnte, hatte sie ihn schon am Handgelenk gepackt und in den Schrank gezerrt, nachdem Mina hindurch gegangen war. "Was ist mit Euch?", fragte er verwirrt, seine Hand bewegte sich auf ihre zu, doch sie schüttelte den Kopf. "Ich lenke sie ab. Vorhin habe ich Ritter Allen Shezar gehört. Er... wird mir nichts tun." Ihr schiefes Lächeln und der kalte Glanz in ihren Augen, erschraken den Mann. Er unterdrückte das plötzlich aufwallende Gefühl in ihm, als ihm unangenehme Szenen durch den Kopf spukten. Für sowas hatte er jetzt wirklich keine Zeit! Hitomi sah ihm noch einmal tief in die Augen, bevor sie die Schranktür schloss. Warum tat sie das? Warum half sie ihm? Sie verstand sich selbst nicht, denn sie war ihm nichts schuldig - und doch hatte sie das drängende Gefühl, ihn schützen zu müssen. Ihr Instinkt hatte sie bis jetzt noch nie getäuscht. Sie hatte sich kaum in Richtung Tür begeben, um in die Rolle der verängstigten Frau zu schlüpfen, als diese schon gewaltsam aufgerissen wurde. Fünf Männer stürzten herein, ließen kurz ihre Blicke durch den Raum gleiten, ehe sie sich um Hitomi aufreihten. Diese mimte einen Schock und erstarrte scheinbar, als ein ihr wohlbekannter Mann in den Raum trat. Seine langen, blonden Haare zu einem Zopf zusammengebunden, musterte er sie aus kalten, kobaltblauen Augen. "Hattest du heute Besuch, Täubchen?", fragte er mit einem verzerrten Schmunzeln im Gesicht. Sie starrte ihn an, wechselte aus Schock zu Verwirrung und sprach: "Ritter Allen, was verschafft mir heute die Ehre? Und warum dieses Aufgebot an Männern?", sie sah sich um und deutete auf die Soldaten, ehe sie wieder ihr schiefes Lächeln aufsetzte, "werdet ihr nicht mehr allein mit mir fertig?" Mit diesen Worten näherte sie sich ihm mit wiegenden Hüften und ließ ihre Hand auf seiner Brust verweilen, die durch seine blaue Uniform geschützt war. Er lächelte sie an, nahm ihre andere Hand und zog sie eng an sich. "Mit dir vergnüge ich mich später, Täubchen. Jetzt sag mir erst, ob du Besuch hattest." Seine Finger glitten an ihrer Wange entlang, sie schmiegte sich hinein. Sie musste dieses Spiel spielen, sonst war ihr Besuch verloren, auch wenn es ihr zuwider war. Ihr fiel ein, dass sie nicht einmal seinen Namen wusste... Unterdessen beobachtete der schwarzhaarige Mann das Geschehen durch das Schlüsselloch des Schranks. Entgegen seines besseren Wissens war er - natürlich - nicht hinter Mina hergegangen, sondern war im Schrank verharrt. Er musste wissen, wer ihn erkannt und verfolgt hatte. Außerdem, gestand er sich schließlich widerwillig ein, war es gegen seine Natur, eine Frau in Bedrängnis im Stich zu lassen. Auch wenn man es ihm vielleicht durch seine harte Maske nicht ansah, war er auf seine Mitmenschen bedacht. Im Moment konnte er es sich noch nicht eingestehen, dass diese honigblonde Dame es ihm besonders schwer machte, ihr einfach den Rücken zuzukehren. Doch die Szene, die er nun zu sehen bekam, schmeckte ihm überhaupt nicht. Hitomi schmiegte sich an Allens Körper und beachtete die umstehenden Soldaten nicht, die sie mit versteinerten Masken beobachteten. "Ich hatte heute Abend schon Besuch, aber du weißt, dass ich dir keinen Namen nennen darf.", gurrte sie und biss ihm sanft ins Ohrläppchen. Allen lachte kurz dunkel, eher sie unsanft beiseiteschob und ihr einen Klaps auf den Hintern erteilte. "Täubchen, ich habe gerade keine Zeit für deine Aufmerksamkeiten." Er schritt mit zusammengekniffenen Augen durch den Raum. "Wir suchen einen schwarzhaarigen Mann, der den Abaharaki angehört. Er ist gesehen worden, als er dieses Gebäude betrat. Hast du ihn empfangen?" Abwartend blieb er in etwas Entfernung vor ihr stehen. Sie spielte mit ihren Haaren und sah ihn schelmisch an. "Glaubst du, ich vergnüge mich mit einem Neuzugang?", lachte sie leise und ging mit forschenden Blicken in Richtung seiner Männer vorbei zu den roten Samtpolstern. Hitomi ließ sich theatralisch in die Kissen fallen und seufzte laut. "Du weißt doch von allen am besten, wen und wie ich es will.", sie senkte die Lider und strich mit ihrer Hand an ihrem Bein hinauf. Der Beobachter im Schrank musste sich in diesem Moment gewaltig zusammenreißen, um seine Position nicht zu verraten. "Neuzugänge sind langweilig. Aber nein, ich habe heute keinen Mann gesehen, der auf deine Beschreibung zutrifft". Sie log wie gedruckt und hoffte nur, dass Mina und die anderen Mädchen sie nicht bereits verraten hatten. Allen bedachte sie mit einem langen, berechnenden Blick, ehe er seine Männer mit einem Wink zur Tür hinausschickte. Als sich die Tür hinter ihnen schloss und Hitomi mit einem Augenaufschlag in seine Richtung sah, überlegte er kurz, ob er sich nicht doch einen Moment mit ihr vergnügen könnte. Schnellen Schrittes ging er auf sie und packte ihr Kinn. "Du weißt, dass ich mit dir alles machen könnte, wonach es mich verlangt, Täubchen. Ich empfehle dir also dringlich, mit offenen Karten zu spielen. Wenn du diesen Mann siehst, meldest du mir das unverzüglich - haben wir uns verstanden?" Er drückte ihr einen harten Kuss auf die Lippen und stieß sie zurück in die Kissen. "Natürlich, Ritter Allen...", hauchte sie und kuschelte sich verführerisch ins weiche Polster. "Kommst du mich heute noch besuchen?", fragte sie dann und hasste ihren flehenden Unterton dabei, während sie ihn ansah und sich dabei auf die Unterlippe biss. Er schmunzelte, wandte sich ab und ging zur Tür. "Denk an das, was ich dir gesagt habe." Mit diesen Worten ging er wieder hinaus und schloss die Tür. Sie wartete noch ein wenig ab, bevor sie es wagte, tief Luft zu holen und sich zu entspannen. "Das war knapp", murmelte sie und schloss die Augen. Plötzlich hörte sie das Knarren der Schranktür und zuckte zusammen. "Es geht doch nichts über die Waffen der Frau." Seine dunkle Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. "Warum bist du noch nicht verschwunden? Bist du lebensmüde?", zischte sie und sah in seine Richtung. Es wunderte sie allerdings nicht, dass er sich nicht aus dem Staub gemacht hatte. Rasch trat er an sie heran und nahm ihre linke Hand in seine großen Hände. Seine schwarzen Haare fielen über seine rotbraunen Augen und einen kurzen Moment stockte ihr der Atem, als sie seinen Blick traf. "Danke. Ich bin Euch etwas schuldig." flüsterte er und sah sie an. Sie glaubte, dass er ihr ein wenig näher kam, doch dann stand er abrupt auf und ging wieder in Richtung Schrank. "Der Gang führt in den Keller, von da aus führt ein Weg aus diesem Viertel hinaus in den Hafen.", wisperte sie und sah ihm aufgewühlt dabei zu, als er ohne ein weiteres Wort in dem Gang verschwand. Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals und ihre Wangen waren heiß. Was zum Henker machte er mit ihr? Und warum fühlte sie sich so...? Er schlich den dunklen Gang entlang und verdrängte jeden Gedanken an diese Frau aus seinem Kopf. Erst einmal musste er hier raus ohne sich noch weiter zu verraten. Sie wusste bereits jetzt zu viel - doch so wie es schien, konnte er ihr erst einmal vertrauen. Sonst hätte sie ihm doch niemals zur Flucht verholfen? Er folgte der Linksbiegung und blieb dann schließlich vor einer Tür stehen. Angespannt lauschte er, doch es waren keinerlei Geräusche von der anderen Seite zu hören. Leise öffnete er die Tür und spähte in den vor ihm liegenden Raum. Hier waren Weinfässer und andere Gegenstände und Kisten gelagert, doch dies war nicht von Interesse. Zu seiner Rechten entdeckte er eine weitere Tür, auf die er zielstrebig zuging. als er sie öffnete, wartete ein weiterer, dunkler Gang auf ihn. Schnell schlüpfte er hinein und schloss die Holztür. Nach einer halben Ewigkeit stieg der Gang leicht an, endete in einer nach oben führenden Treppe und einer Luke, die hoffentlich nach draußen führte. Nachdem er die paar wenigen Stufen nach oben gegangen war, öffnete er die Luke einen Spalt und horchte. Kein einziger Laut drang an seine Ohren, also stieß er die Luke komplett auf. Er stieg hinaus und landete in einem weiteren Raum. Leise stöhnte er auf - er hatte keine Ahnung, wo er jetzt war. Scheinbar ein weiterer Lagerraum, allerdings irgendwo anders. War dies schon der Hafen? Auf leisen Sohlen bewegte er sich durch den Raum und lauschte dem gedämpften Lärm, der durch die einzige Tür hereindrang. Wenn er hier wieder raus wollte, musste er so oder so hindurch. Also schloss er kurz die Augen, bereitete sich darauf vor, schnell nach seinem Dolch zu greifen und öffnete sie. Hitomi war wieder nach unten gegangen, als der Tumult langsam nachließ. In der Bar fand sie eine aufgelöste Mina, eine verärgerte rote Dame und den Rest der Mädchen, die sich verwirrt um die rote Dame drängten. "Was war das?", "Warum waren die Soldaten hier?", "Sie haben unsere Kunden verscheucht!" Sie vernahm die Fragen und Rufe nur am Rande, als sie sich neben Mina niederließ. Diese sah sie stirnrunzelnd an. "Willst du mir verraten, warum du dich dieser Gefahr ausgesetzt hast, um ihn zu decken?", fragte sie schließlich ernst. "Ehrlich gesagt, kann ich es dir nicht sagen." Ihre grünen Augen fixierten den Whiskey, der an der Wand der Bar stand. Schließlich stand sie auf, ging um den Tresen herum, und schenkte zwei kleine Gläser ein. Sie schob Mina eins herüber und trank ihr eigenes auf einen Zug aus. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle und sie hoffte, er möge auch endlich die Gedanken an ihren merkwürdigen Besuch aus ihrem Kopf brennen. Mina lächelte leicht. "Da hat es aber jemand eilig, zu vergessen.", meinte sie, als sie ebenfalls einen kleinen Schluck nahm. "Mädchen! hört mir zu!", rief da die rote Dame und funkelte in Hitomis Richtung. Diese zuckte unwillkürlich zusammen und stellte die Whiskey-Flasche zur Seite. "Diese Soldaten suchen einen Mann, der scheinbar den Widerstandskämpfern angehört. Sie nennen sich "Abaharaki". Falls ihr den Mann seht - schwarze kurze Haare, rotbraune Augen, groß gewachsen - gebt mir sofort Bescheid. Ich dulde solchen Besuch nicht in diesem Haus." Mit diesen Worten bedachte sie Hitomi mit einem intensiven Blick und rauschte in ihr Büro davon. Ob sie etwas mitbekommen hatte? Die honigblonde Frau beschlich ein mulmiges Gefühl, wenn sie an diese Möglichkeit dachte. Der Rest der Nacht verlief relativ ereignislos, nach der Visite der Soldaten trauten sich nur noch wenige Männer in ihr Haus und Hitomi hatte nichts mehr zu tun, außer dem Whiskey zu frönen und über den attraktiven Mann nachzudenken. Mina kam wieder an ihre Seite um ihr das Glas abzunehmen und selbst zu leeren. "Er war schon eine Augenweide, dein kleiner Freund.", wisperte sie und sah Hitomi mit ihren blauen Augen an. "Den hätte ich zur Abwechslung gerne in mein Bett gelassen. Er hatte wirklich überhaupt kein Interesse an dir?" "Nein, überhaupt nicht.", erwiderte Hitomi gereizt. "Ist da wohl jemand gekränkt?" Minas leises Lachen ärgerte Hitomi umso mehr. "So ein Schwachsinn." Mit diesen Worten erhob sie sich von der Bar und packte ihren Mantel, der über der Stuhllehne hing. "Ich gehe jetzt. Heute ist sowieso nichts mehr los, so wie es aussieht. Bis später!" Sie verabschiedete sich vom Rest der Mädchen und verließ das Gebäude im Morgengrauen. Der feuchte Nebel hing noch in den Gassen und die Luft war klamm, als sie ihren Heimweg antrat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)