Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 14: Detailwissen ------------------------ ♥ Mimi ♥ Aufgeregt lief sie im Zimmer ihres besten Freundes auf und ab, während er an seinem Schreibtisch saß und in die Matheaufgaben vertieft war. „Oh Gott Izzy, es war echt so schön gewesen! Wir waren essen und er hat sogar für mich bezahlt. Makoto ist eben ein Gentleman schlecht hin“, schwärmte sie verträumt und erinnerte sich an ihr atemberaubendes Date, dass sie am Samstagnachmittag hatten. Eigentlich wollte sie all das schon Sora detailreich berichten, doch nachdem sie ihre deutliche Abneigung Makoto gegenüber mal wieder gespürt hatte, entschied sie sich dazu, sich lieber Izzy anzuvertrauen, bevor sie noch innerlich explodierte. Sie war ganz hibbelig, konnte gar nicht mehr stillsitzen und gestikulierte wild mit ihren Armen, um Izzys uneingeschränkte Aufmerksamkeit zu erhalten. Doch die Ernüchterung machte sich schnell breit als er sich lieber seinem Mathebuch voll und ganz zuwandte, statt ihren farbenfrohen und detailreichen Erzählungen zu verfolgen. Erbost blieb sie mitten im Raum stehen und verschränkte wütend die Arme vor der Brust. „Hörst du mir überhaupt zu?“, fragte sie aufgebracht und ging auf ihn zu. „Mhm“, machte er nur und versuchte die nächste Matheaufgabe zu lösen, die sie eigentlich gemeinsam erledigen wollten. „Izzy…“, grummelte sie genervt und zog seinen Spitznamen quengelnd in die Länge. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie die einzige war, die ihn noch so nannte. Die meisten hatten sich angewöhnt, ihn bei seinem Rufnamen ‚Koushiro‘ anzusprechen, doch Mimi fand immer noch, dass Izzy einfach viel besser zu ihm passte. Für sie war er immer noch der kleine verängstigte Junge, der sich hilfesuchend nach seiner Mutter umschaute und mit keinem anderen Kind im Kindergarten spielen wollte, bis Mimi ihn angesprochen hatte und von ihm verlangte mit ihr in der Puppenküche zu spielen. Regelrecht genötigt, hatte sie ihn. Doch an diesem Tag wurden sie Freunde, die füreinander da waren und unzertrennlich wurden. „Du hörst mir gar nicht zu“, stellte sie beleidigt fest und stützte sich an seinem Schreibtisch ab, um ihm einen vorwurfsvollen Blick zu schenken. „Wir können doch mal fünf Minuten Pause machen.“ „Mhm…“ „Man Izzy!“, knurrte sie und schlug einfach sein Buch zu, damit er nicht mehr weiterarbeiten konnte. „Hey?! Was soll das denn?“, fragte er empört und riss die Augen weit auf. Allmählich schien er sie wieder wahrzunehmen. „Du hörst mir echt gar nicht zu. Ich versuche dir von meinem Leben zu berichten und du ignorierst mich einfach“, antwortete sie klagend. „T-Tut mir leid, i-ich…ähm…“, stotterte er unbeholfen und fuhr sich verlegen durch seine kurzen roten Haare. „Du solltest außer Bücher auch mal andere Menschen in dein Leben lassen und mit anderen Menschen meine ich Mädchen! Du kannst dich doch nicht immer dahinter verstecken“, erwiderte sie schnaubend, nahm das Buch, dass er gut im Blick hatte, an sich und setzte sich auf sein Bett. Erwartungsvoll sah sie ihn an und bettete das Buch auf ihrem Schoss. Fragend erwiderte Izzy ihren durchdringenden Blick und schien nicht zu wissen, auf was sie hinauswollte, geschweige denn, was sie ihm vor wenigen Minuten erzählt hatte. „Was guckst du mich denn so komisch an?“ Mimi seufzte und verdrehte die Augen. „Du bekommst auch echt nichts mit! Ich habe dir doch gerade von meinem Date mit Makoto erzählt“, erinnerte sie ihn und blickte ihn strahlend an. „Oh, ja…und?“, hakte er unsicher nach und huschte mit den Augen betrübt zu Boden. „Seid ihr etwa jetzt zusammen?“ Überrascht über diese Frage, winkte Mimi sofort ab und lachte herzlich. „So schnell geht das auch wieder nicht. Wir haben uns ja noch nicht mal richtig geküsst“, berichtete sie unverblümt, doch Izzy stierte angestrengt auf seinen Teppichboden. Irritiert runzelte Mimi die Stirn und konnte die Reaktion ihres Freundes nicht einschätzen. Freute er sich denn kein bisschen für sie? Hatte er etwa mit Sora gesprochen, die alles und jedem diesen Floh ins Ohr setzte, dass Makoto ein komischer Kerl war, nur, weil er Soras eigene Beziehung etwas durcheinanderbrachte? „Was ist denn los? Du bist so komisch“, stellte sie besorgt fest. „Gar nicht…“, erwiderte er sofort und drehte sich wieder zu seinem Schreibtisch hin. „Ich weiß nur nicht so wirklich was ich dazu sagen soll. Ich kenne Makoto ja nicht.“ „Ich wollte dir doch auch nur von meinem Date berichten. Sora mag ihn nicht! Bei ihr brauche ich da gar nicht anzukommen“, antwortete sie verzweifelt und kaute angestrengt auf ihrer Lippe herum. Irgendwie suchte sie die Bestätigung. Die Bestätigung, dass ihre Entscheidung richtig war. Sie hatte sich aus Trotz mit Makoto verabredet, weil sie sich von Tai vor dem Kopf gestoßen fühlte. Niemals hätte sie erwartet gehabt, dass das Date doch so gut laufen würde. Makoto und sie hatten die gleichen Interessen, die sich besonders in der Liebe zur Musik wiederspiegelten. Den halben Abend hatten sie sich über ihre Lieblingsbands und Musiker unterhalten, sodass Mimi gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit doch vorangeschritten war. Er hatte sie sogar nach Hause gebracht und sich ganz höflich von ihr verabschiedet, ohne zwangsläufig einen Schritt weiter zu gehen. Anscheinend hatte er durchaus gemerkt, dass sie sich bei einem Kuss nicht wohlgefühlt hätte, was auch an den letzten Wochen lag, die nicht spurlos an ihr vorübergezogen waren. Doch sie musste es endgültig hinter sich lassen. Gut, der Kuss mit Tai war zwar sehr sinnlich gewesen und hatte durchaus Lust auf mehr gemacht, allerdings war sie nicht mehr bereit, dieses seltsam gewordene Spiel weiter mitzuspielen. Vielleicht half Makoto ihr dabei, sich endgültig von der Illusion der Vergangenheit zu lösen. _ Nach einem äußerst stressigen Schultag hatte Mimi sich überreden lassen, nach dem Kochkurs sich nochmal mit Kaori zu treffen. Sie wollten ihr Projekt näher besprechen, auch wenn Mimi förmlich spürte, dass sie sowieso kein Mitspracherecht hatte. Kaori hatte bereits entschieden ein Krisenexperiment durchzuführen und ignorierte alle Vorschläge, die sie ihr unterbreitet hatte. Auch wenn Kaoris Thema sehr interessant klang, war es immer noch ihr gemeinsames Projekt, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Missmutig setzte sie einen Schritt vor den anderen, sah sich mit großen Augen um und konnte selbst nicht fassen, in welcher Wohngegend sie sich befand. Ein Massivhaus zierte das nächste und signalisierte ihr, dass sie sich in einer der nobelsten Wohngegenden Tokios befand. Irritiert blickte sie auf die Adresse, die Kaori ihr aufgeschrieben hatte und stellte mit Entsetzen fest, dass sie sich tatsächlich in der richtigen Straße befand. Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse und staunte nicht schlecht als sie die prunkhaften Gärten erblickte, die wohl alle von einem Gärtner bewirtschaftet wurden, da jede Hecke und jedes Blumenbeet sehr akkurat hergerichtet waren. Mit immer schwerfälligeren Schritten suchte sie nach der Hausnummer, die ihr Kaori auf den Zettel notiert hatte. Es dauerte nicht lang, bis sie auf ein großes Haus mit rötlichen Ziegel zusteuerte, dass sicher viermal so groß, wie ihre Wohnung war. Vollkommen baff drückte sie das schwere Metalltor auf und ging auf dem gepflasterten Pfad zur Haustür. Rings um sie herum entsprang ein wahrhaftiges Blumenmeer, das im Frühling in den schönsten Farben erblühte. „Wow“, brachte sie nur hervor als sie die sie massiven Steinstufen bedacht hochschritt und nicht genau wusste, wo sie überall hinschauen sollte. Der Garten erstreckte sich vor ihr in vollster Pracht und hatte verspielte Details in Form von edlen Porzellanfiguren, die die Beete und den Zaun zierten. Perplex drückte sie auf die Klingel, konnte aber einfach nicht den Blick von dem sonnendurchfluteten Blumenmeer wenden, dass in der rötlichen Abendsonne schimmerte. Erst als sich die Tür langsam öffnete, schnellte sie herum. „Hi“, ertönte Kaoris Stimme leise als ein schüchternes Lächeln ihre Lippen umspielte. Mimi erwiderte ihren knappen Gruß und war immer noch über die Landschaft, die sie umgab, erstaunt als Kaori sie hineinbat und zur Seite trat. Etwas von Ehrfurcht gepackt ging sie an ihr vorbei und fand sich in einem riesigen, schlicht gehaltenen Flur wieder. Die Wände waren Weiß gehalten und nur ein großes Bild zierte den Eingangsbereich, weshalb der Flur sehr steril auf Mimi wirkte. Sie zog ihre Schuhe aus und betrat den kalten Fliesenboden, der sie leicht frösteln ließ. Sie umklammerte ihre Schultasche und wagte einen kurzen Blick zu Kaori, die an ihr vorbeigeeilt war. „Hast du gut hergefunden?“, fragte sie höflich, aber legte eine angespannte Miene auf. „Ja, war eigentlich recht einfach zu finden“, antwortete Mimi steif und musterte ihre Klassenkameradin von oben bis unten. Es war ungewöhnlich sie nicht in der üblichen Schuluniform zu sehen, da sie eine lässige Jogginghose und ein weites Shirt trug. Ihre Haare hatte sie zu einem unordentlichen Dutt gebunden und sie rückte ihre Brille zurecht, da sie etwas nach unten gerutscht war. „Wie war der Kochkurs?“, hakte sie nach und versuchte die Stimmung etwas aufzulockern. Mimi lächelte vage und erinnerte sich daran, dass sie sogar etwas zu Essen mitgebracht hatte. „Ganz schön eigentlich. Ich habe uns sogar noch etwas mitgebracht, falls wir später Hunger bekommen sollten“, erwiderte sie und kramte aus ihrer Tasche eine Tupperschüssel hervor. „Wir haben uns heute an Ofengemüse versucht.“ Erwartungsvoll hielt Mimi ihr die Dose unter die Nase, die sie zaghaft entgegennahm. „Oh, das ist wirklich toll“, murmelte Kaori mit gedämpfter Stimme. „Ich habe nur ein paar Kekse und so besorgt, weil ich nicht die beste Köchin bin, aber jetzt werden wir ganz sicher nicht verhungern.“ Sie grinste unbeholfen und hob die Dose etwas in die Höhe. Mimi erwiderte ihren Blick und konnte die Unsicherheit aus ihren Augen lesen, da die beiden wohl genauso viele Gemeinsamkeiten hatten wie ein Rabe und ein Schreibtisch. Genau genommen gar keine. Sie war sich wirklich nicht sicher, wie dieses Projekt funktionieren sollte, wenn jedes Gespräch in einem einzigen Krampf endete. _ „Wow, dein Zimmer ist wirklich…“, vollkommen baff stand Mimi mitten im Raum und versuchte alle Eindrücke aufzunehmen, wenn das überhaupt möglich war. Es war mindestens doppelt so groß wie ihr eigenes und war in zarten Mint- und Rosatönen gehalten, während ein großes Himmelbett die Raummitte ausrichtete. Die großen lichtdurchfluteten Fenster hüllten den Raum in warmes Tageslicht, sodass ihr Arbeitsbereich großzügig erhellt wurde. „…der Wahnsinn“, beendete sie sprachlos ihren Satz und betrachtete die Wände, die einige Fotos zierten. Ganz anders als im kargen Flur hingen dort verschiedene Auszeichnungen und einige Bilder, die sich in einem kunstvoll verzierten Goldrahmen befanden. Auch auf dem Schreibtisch entdeckte Mimi ein Foto, das drei Personen zeigte. Eine junge Frau hielt zwei Mädchen engumschlugen fest und lächelte in die Kamera, während die beiden Kinder freudig ihre Puppen in Händen hielten. „Danke, wenn du magst, kannst du dich gerne setzen“, bot sie ihr zuvorkommend an und ließ sich auf ihrem Bett nieder. Mimi setzte sich daraufhin auf ihren Schreibtischstuhl, legte ihre Schultasche auf dem Boden ab und huschte immer noch mit den Augen hin und her. Neugierig betrachtete sie sich die ganzen Auszeichnungen, die die Wände schmückten, ohne auf Kaori zu achten. Überrascht weiteten sich ihre Augen als sie las, für was Kaori sie erhalten hatte. „Du spielst Violine?“, fragte sie verblüfft nach, da sie sie mit Musik gar nicht in Verbindung gebracht hätte. Sie sah auch keinen Violinenkoffer oder ähnliches in ihrem Zimmer stehen, was sie schon etwas irritierte. „Ähm, ja…also nein, ich spiele seit zwei Jahren nicht mehr“, antwortete sie unsicher und schien sich auf einmal selbst in ihrem eigenen Zimmer nicht mehr wohlzufühlen, da sich ihre komplette Körperhaltung anspannte. „Und warum nicht mehr? Anscheinend warst du echt gut“, stellte Mimi fest und verwies auf eine der Auszeichnungen, bei der Kaori wohl den ersten Platz belegt hatte. „Naja…ich…ähm…“, druckste sie herum und senkte betroffen den Kopf, sodass Mimi schon Angst hatte, etwas Falsches gesagt zu haben. Manchmal war sie einfach viel zu neugierig, ohne mögliche Konsequenzen zu beachten. Vielleicht konnte sie aus unerfindlichen Gründen nicht mehr spielen oder hatte aufgehört, weil sie sich einfach mehr auf die Schule konzentrieren wollte. Genau genommen ging es sie ja auch gar nichts an, obwohl sie es gerne gewusst hätte. Mimi seufzte resigniert und lenkte ein anderes Thema ein. „Und hast du schon eine Idee, wo wir das Krisenexperiment machen wollen? Also im Supermarkt Ware aus den Einkaufswägen zu nehmen, könnte sicher böse ausgehen“, meinte sie und konnte sich kaum vorstellen, dass dieses Experiment tatsächlich so stattgefunden hatte. „Ähm…also, vielleicht hätte ich da eine Idee“, erwiderte sie spitzfindig und Mimi hoffte wirklich, dass es eine Gute war. Im Moment konnte sie sich darunter nichts als Ärger vorstellen. „Kennst du die Kunsthochschule?“ „Die Kunsthochschule?“, hakte Mimi nach und runzelte die Stirn. Was hatte denn die Kunsthochschule mit ihrem Projekt zu tun? „Naja, ich kenne eine Dozentin des Musikfachbereichs und vielleicht könnten wir da einen kleinen Orchester-Flashmopp organisieren“, schlug sie strahlend vor. „Einen Orchester-Flashmopp? Aber die spielen da doch sicher ständig auf ihren Instrumenten? Wo ist da der Normbruch?“, hinterfragte Mimi skeptisch und überlegte kurz, ob Kaori es tatsächlich ernst meinte oder ihren Wissenstand testen wollte. „Naja an der Universität selbst ist es verboten auf dem Außengelände zu spielen. Das darf man nur in den vorgeschriebenen Räumlichkeiten und an besonderen festgelegten Anlässen.“ „Ach wirklich?“ „Ja, es ist in der Hausordnung festgelegt und ich schätze schon das es als Normbruch zählt, da die Studenten sich sowas ganz sicher nicht von alleine trauen würden. Gerade die Musikstudenten sind sehr diszipliniert was Regeln und das Einhalten von Noten angeht. Mit so etwas Spontanem rechnet sicher keiner“, untermauerte sie ihre Aussagen energisch. „Denkst du dann überhaupt, dass sie mitmachen werden?“ „Müssen sie ja gar nicht“, wiedersprach Kaori sofort. „Es geht ja darum die Reaktionen einzufangen. Von Ersetzen bis Fremdschämen ist alles erlaubt.“ „Okay, du kennst dich ja wirklich gut aus“, stellte Mimi nüchtern fest und fragte sich wirklich, ob sie überhaupt gleichgestellte Partner waren. Im Moment hatte sie das Gefühl, dass ihr die Zügel immer weiter aus der Hand glitten. Es war wie ein unsichtbarer Machtkampf, den sie untereinander ausfochten, statt miteinander an einem Strang zu ziehen. Und Mimi war bewusst, dass sie ihn schon längst verloren hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)