Yu-Gi-Oh! The Last Asylum von -Aska- ================================================================================ Kapitel 93: Turn 88 - Goodbye For Now ------------------------------------- Turn 88 – Goodbye For Now     „Dein Koffer packt sich nicht von alleine“, schnarrte Zanthe im Hintergrund. Entgegen der eindeutigen Aufforderung sah Anya jedoch aus dem großen Panoramafester ihres Hotelzimmers, betrachtete gedankenverloren den Wolkenkratzer gegenüber, der einmal mehr auf dem holografischen Display Werbung von Claire Rosenburg zeigte. Wie war sie hier überhaupt gelandet, fragte sich Anya?   Vor etwas über einem Jahr begann meine Reise ins Verderben. Der Immaterielle Another versuchte das Tor Eden zu öffnen, um seinem Volk die Flucht von der Erde zu ermöglichen, die schon bald einer Bedrohung namens 'wahrer Feind' ausgesetzt sein würde. Doch er scheiterte, das Tor wurde zusammen mit dem ihm beherbergenden Turm von Neo Babylon zerstört und alles änderte sich für mich und meine Freunde, die Teil von Anothers Plan waren, zum Guten.   Anya legte die Hand auf das Glas, wechselte ihren Fokus auf die eigene Reflexion in der Scheibe.   Zumindest hätte es so sein sollen. Aber vor ein paar Monaten wurde ich vom Diener des Sammlers, Kyon, zu diesem geführt. Er, der mir schon in der Vergangenheit geholfen hatte, Another zu entkommen, war letztendlich derjenige, der bei all dem irgendwie seine Finger im Spiel hatte. Ob alles von Anfang an von ihm arrangiert worden war oder ob er lediglich die Gunst der Stunde genutzt hatte, das habe ich nie wirklich herausgefunden. Er stellte mir ein Ultimatum. Vom Tag dieser Begegnung an würde ich in 100 Tagen sterben, sofern ich nicht bestimmte Gegenstände für ihn sammeln würde. Die Hüterartefakte. Damals sagte er mir nicht, was er damit beabsichtigte.   „Wie lange willst du noch Löcher in die Luft starren?“, maulte Zanthe hinter ihr, der längst mit dem Packen fertig war und ungeduldig wartend auf dem Bett in der Mitte saß. „Wenn wir wegen dir den Flug verpassen, werde ich dich eigenhändig erwürgen. Ich will nur noch raus aus dieser Stadt.“ Genervt drehte sich Anya zu ihm um. „Halt die Klappe, Flohpelz!“   Kurz darauf musste ich auch noch erfahren, dass Nick mir all die Jahre etwas vorgelogen hatte. Er war gar kein Idiot, sondern tatsächlich ein Meisterhacker und Genie. Also ein ziemlich kluger Idiot. Glaub ich zumindest. Aber hey, er ist jetzt nützlicher als jemals zuvor, also beklage ich mich nicht – auch wenn ich sein schlechtes Gewissen noch eine Weile ausreizen werde. Wenig später begegnete ich dann Zanthe, dem ersten Hüter und Eigenbrödler, der lieber in einer engen Höhle hauste, statt unter die Leute zu gehen. Ich konnte ihn besiegen und gewann [Angel Wing Dragon] … und nicht ganz freiwillig seine Freundschaft. Aber er ist ganz okay, glaube ich. Seitdem begleitet er mich. Kurz nach unserer Rückkehr wurde Nick von Kali angegriffen, die einen ziemlichen Groll gegen mich hegt, warum auch immer. Die dämliche Kuh arbeitet mit Zachariah, meinen Bruder, zusammen und hat mir sogar die Duel Disk meines Vaters gestohlen. Anya stöhnte laut auf und löste sich endlich vom Fenster, schlenderte zu ihrem Bett in der Ecke, auf dem ihr offener, chaotischer Koffer lag.   In dem Zeitraum bin ich auch zum ersten Mal dem Zwerg begegnet, Logan. Er hat mir mehr als einmal aus der Patsche geholfen, zum Beispiel indem er das andernfalls tödlich endende Duell mit Zach unterbrach oder mir sein D-Pad lieh. Er ist etwas wortkarg, aber ebenfalls jemand, den ich einigermaßen ertrage. Anders als eine andere Person, die einige Tage später ihre Hochzeit feierte. Oder eher feiern wollte, doch 'leider' kam etwas dazwischen. Zwei Dämonenjäger namens Harris und Edna, die die ganze Party gecrasht haben. Das war eine Schlacht. Alle waren gekommen um diesen besonderen Tag meiner Erzfeindin Redfield zu feiern. Die Schnöselgeschwister Henry und Melinda, meine beste Freundin Abby … nur 'unsere' Dämonenjäger Matt und Alastair nicht. Matt ist übrigens der mit dem schwarzen Haar da drüben, der irgendwie alles, was er anpackt, gründlich versemmelt. Vielleicht ganz gut so, dass er mit Abwesenheit geglänzt hat.   „Was guckst du mich so an?“, fragte der Dämonenjäger im schwarzen Hemd verwirrt, als Anya ihn die ganze Zeit beim Packen anstarrte. Die grinste schelmisch. „Nichts.“   Nachdem Marc, Redfields Verlobter, in einem Wutausbruch diesen Harris durch die Wand gejagt hatte, mussten die beiden Kackbratzen notgedrungen fliehen. Weil alle glaubten, die wären wegen mir da gewesen, habe ich meinen Freunden letztlich von meinem kleinen Sammler-Problem erzählt. Tja und kurz darauf saß ich dann in einem Zug nach San Augustino, wo Matt und Alastair sich zur Ruhe gesetzt hatten. Ausgerechnet in so einem schäbigen Waisenhaus. Ich hab gleich gemerkt, dass die am liebsten gar nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, so abweisend wie sie waren. Aber sie haben mir geholfen, den zweiten Hüter zu beschwören, Drazen. Keiner hätte ahnen können, dass der nach seinem Duell mit Matt den Löffel abgibt, weil er nur durch das Hüterartefakt [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] über Jahrhunderte hinweg kaum gealtert ist. Und als wäre das nicht schon genug gewesen, ist dann noch ein Wesen aufgetaucht, das sich selbst als Undying bezeichnet: Stoltz. Gekommen um all jene, die die Hüterartefakte an sich reißen, zu bestrafen, hatten ich, Zanthe und Matt selbst zusammen keine Chance gegen ihn und mussten fliehen.   „Fertig“, meinte Anya schließlich, nachdem sie die restlichen ihrer Klamotten in den Koffer gestopft und diesen mit roher Gewalt gerade so zum Schließen gebracht hatte. Zanthe sprang vom Bett auf. „Können wir jetzt endlich auschecken?“   Nachdem -wir- aus Hotel Bruchbude ausgecheckt hatten, wohlgemerkt mit Matt im Gepäck, gings wieder zurück nach Livington. Nick hatte irgendwas angestellt und sich am Arm verletzt und war seitdem auch irgendwie sehr komisch drauf, aber mein eigentliches Problem war Logan. Ich kann nicht mal mehr genau sagen, was mich geritten hat, aber nach einem Freundschaftsduell gegen ihn hab ich ihm alles über mich erzählt. Mit dem Resultat, dass er mich für eine Lügnerin hielt und im Streit abgehauen ist. Wenig später hat sich dann so ein dubioser Typ namens Aiden Reid bei mir gemeldet und wollte mich unter dem Banner seiner Firma beim Legacy Cup anmelden, einem Turnier, in dem der Sieger die Chance erhielt, die amtierende Weltmeisterin Claire Rosenburg auf ein Duell herauszufordern. Nick aber wollte das nicht, sagte mir, dass man Aiden nicht vertrauen könne. Als ich das Treffen mit Nick und Aiden etwas 'aufgebracht' verließ, traf ich auf einen weiteren Undying namens Ricther, der mich ebenfalls töten wollte, wenn ich die Jagd nach den Hüterartefakten nicht abbrach. Aber was sollte ich sonst tun!? Am Ende konnte ich ihn mit Levriers Hilfe in die Flucht treiben, doch das sollte nicht das letzte Mal sein, dass ich ihm begegne. Außerdem musste ich am Legacy Cup teilnehmen, denn ausgerechnet Claire Rosenburg war eine der Hüterinnen und galt ansonsten als unerreichbar.   Inzwischen saßen Anya, Matt und Zanthe auf der Rückbank eines Taxis. Sie waren auf dem Weg zu Valeries Hotel, da diese denselben Flug zurück in die Heimat nehmen würde wie sie. Anya stöhnte. Sie musste sich noch bei ihrer Erzfeindin bedanken, wohl oder übel.   Aber nicht nur bei ihr, auch bei Melinda und Henry. Wären sie nicht gewesen, hätte ich wohl nie am Legacy Cup teilnehmen können. In einem fingiertem Duell während eines Presse-Events haben sie mir Zutritt verschafft. Dass sie dabei mit Nick zusammengearbeitet haben, erfuhr ich erst danach und ebenso, dass beide sich während des Duells zurückgehalten haben. Aber dieses eine Mal war es okay. Nicht okay war dagegen, dass irgendeine Kuh während dieses Abends mein Deck gestohlen hat und damit auch meine beiden Hüterkarten. Ich habe zwar versucht, zusammen mit Melinda und Kameraaufnahmen herauszufinden, wer dieses Miststück war, doch außer das Material Nick zuzusenden, konnten wir nicht viel tun. Ausgerechnet dann griff mich auch noch die dritte der Undying, Zed, an und das nicht etwa in einem Duell, sondern in meinem eigenen Verstand. Hätte sich Levrier nicht eingemischt und sie kurzerhand in meinem Elysion ihres Platzes verwiesen, wäre ich wohl ungewollt eine Brücke heruntergesprungen und ertrunken.   Als Valerie dazu stieg, begann Matt zu strahlen, wie Anya aus den Augenwinkeln bemerkte. Obwohl sie zu viert kaum Platz auf der Rückbank hatten, bestand der asiatische Taxifahrer mit allem Nachdruck, dass -niemand- den Beifahrerplatz benutzte. Anya konnte sich beim besten Willen nicht erklären warum. „Alles okay?“, fragte die Schwarzhaarige von der anderen Seite des Wagens. „Du siehst abwesend aus. Sind deine Wunden noch nicht verheilt?“ „Mir geht’s gut“, murrte Anya.   Typisch Redfield. Obwohl es ihr selber wohl kaum gut geht, sorgt sie sich mehr um andere als sich selbst. Deswegen hat sie mich auch extra einen Tag vor Beginn des Turniers auf ein Stadtfest mitgenommen, nur um mich aufzuheitern. Dort bin ich auch das erste Mal Othello Nikounaussprechlich begegnet, dem Rollstuhl-Kiddo, das inzwischen als Pionier der Pendelbeschwörung gilt. Damit hatte er Marc an diesem Abend ziemlich fertig gemacht. Ich hatte mich mit dem Gedanken abgefunden, mir an irgendeinem Stand Karten zu kaufen, um ein neues Deck zu bauen, als mir plötzlich Logan über den Weg lief. Alles war … irgendwie wieder okay zwischen uns, er hat mir sogar sein Deck für das Turnier geliehen. Der blöde Flohpelz spottet immer, dass er mein Ritter in glänzender Rüstung wäre und wenn ich ehrlich bin, irgendwie war er das auch. Was ihm aber niemand extra aufs Brot zu schmieren hat!   Während die anderen sich unterhielten, fiel Anya ganz erschrocken ein, dass sie Logan sein D-Pad und das Deck ja noch zurückgeben musste. Irgendwann. Sofort sank sie betrübt in ihren Sitz zurück. „Shit …“   Die Vorrunden des Turniers fanden im Ephemeria Bridge Stadium statt. Unter offenem Himmel wurden auf unzähligen Duellfeldern acht Runden ausgetragen, bei denen wir nach Punkten bewertet wurden. Bei mir lief es nicht schlecht, aber ein einziger, verdammter Punkt hatte mich von den Endrunden getrennt. Zumindest bis zu dem Augenblick, als einer der Turnierteilnehmer freiwillig aufgab und ich nachrutschte. Darüber freuen konnte ich mich aber nur sehr kurz, denn wie sich herausstellte, war mein dämlicher Bruder ebenfalls mit dabei. Und der sollte im Achtelfinale auch noch mein erster Gegner werden. Um ein Haar hätte er mich vor einem Millionenpublikum mit seiner verfluchten Zauberkarte [Noble Arms – Excaliburn II] abgeschlachtet, aber Levrier, den er ebenfalls arg durch die Mangel genommen hatte, konnte ihn angemessen für seine Dreistigkeit bestrafen.   Anya grinste, als sie aus dem Fenster die Stadt an sich vorbeifliegen sah. Nebenbei hörte sie zu, wie Zanthe und Matt über die übrigen Hüter diskutierten. „… noch knapp einen Monat und gerade mal drei Artefakte“, meinte der Werwolf, „und von den übrigen vier Hütern wissen wir nur um die Identität eines einzigen mit Gewissheit, und nicht einmal dessen Aufenthaltsort.“ „Erfolgreich war das nicht“, gab Matt ihm Recht. „Aber …“ Doch die Blonde, die wusste, dass sie lieber zuhören sollte, driftete trotzdem im Gedanken ab.   Matt war während ihres Achtelfinalspiels extra nach Greenville gereist, um den dort lebenden Hüter, Mr. Carrington, zu besuchen. Dort wurde er von diesem seltsamen Lee Anderson-Typen, sozusagen dem Diener der Familie, angegriffen. Es stellte sich heraus, dass Mr. Carrington längst gestorben und seine Kräfte auf jemand anderes übergegangen waren. Matt vermutete inzwischen, dass dieser jemand Harris war, Ednas Partner, aber wirklich sicher war er sich nicht. Aufs Maul bekommt der aber so oder so noch mal extra, so viel steht schon mal fest! Was Nick in der Zeit getrieben hat, keine Ahnung. Vermutlich für seine neue Firma gearbeitet, irgendeinen Pakt mit einem Programmierdämonen eingegangen, um für Erfolg zu sorgen, was weiß ich! Natürlich hat mir keiner zugetraut, im Viertelfinale den Ex-Weltmeister Jack Leonhard Jr. zu besiegen, der am Ende irgendwie enttäuschend schwach war. 'kay, vielleicht lag es an der wirklich guten Vorbereitung, die vielleicht auch ein bisschen Summers und dem Flohpelz zuzuschreiben ist, aber hey, das hätte ich auch ohne die geschafft, klar!? Da ich es inzwischen gewohnt war, aus dem Nichts angegriffen zu werden, hätte es mich ehrlich gesagt nicht überraschen dürfen, dass ich auf dem Rückweg ins Hotel beinahe von so einem merkwürdigen Samurai-Masken-Dämon gekillt worden wäre. Dass aber Ricther sich eingemischt und vor mich gestellt hat, damit hätte wohl keiner gerechnet. Ebenso, dass so ein merkwürdiger Blondschopf mit Rasterzöpfen ebenfalls mit von der Partie war und den Chef der Undying in feine Scheibchen schnippeln wollte. Das war das seltsamste Vierer-Duell meines Lebens, dem ich dank des Blondies knapp entkommen konnte. Der verschwand dann auch genauso schnell wieder, wie er gekommen war.   Das Taxi hielt schließlich vor dem Haupteingang des Flughafens an, dessen Front aus einer riesigen, weitflächigen Glasfassade bestand. Der ganze Bereich war überdacht, gestützt von schweren Säulen, die den Duel Monsters-Charakteren [Elemental HERO Neos] und [Dark Magician] nachempfunden waren. Überall waren Leute, viele mit D-Pads und Duel Disks an den Armen.   In dem ganzen Wirrwarr hatte ich meine 'Pitchest Black List' vergessen, auf der die Namen all jener standen, die einmal von mir ohne Fremdeinwirkung im Duell besiegt werden mussten. Das waren an die zwanzig Stück, ohne Scheiß! Eine der ersten war Melinda, mit der ich wegen der Turniersache sowieso noch ein Rematch auszutragen hatte. Dabei wollte ich auch gleich lernen, wie man Pendelmonster am besten besiegt, aber auch wenn ich gewonnen hatte, klappte das nicht so wirklich. Redfield war ihrerseits auf denselben Gedanken gekommen, besonders weil Othello es zu diesem Zeitpunkt ebenfalls weit im Turnier gebracht hatte. Wie passend, dass das erste Halbfinale dann aus der Begegnung zwischen uns beiden bestand, ihr und mir, Rivalen bis aufs Blut. Inzwischen hatte Nick mein Deck zurück organisiert, sodass ich wieder in alter Stärke auftreten konnte. Seltsame Dinge geschahen während des Duells, auf die ich nicht näher eingehen möchte, weil sie allein der Blödheit der Schwanenprinzessin zuzuschreiben waren. Oder sollte ich noch 'gefallenen' hinzufügen? Denn das Duell, das eigentlich mit ihrem Sieg hätte enden sollen, wurde im letzten Zug unterbrochen, da sie eine verbotene Karte gezogen hatte. Ohne ein Wort ihres Unschuldsbekenntnisses zu glauben, wurde sie vom Turniergremium disqualifiziert. Idioten! Wer war so dumm, auf so plumpe Weise zu betrügen? Ich bin bereits am nächsten Tag auf die Antwort gestoßen, wer ihr die Karte untergejubelt hatte: Butcher! Ausgerechnet Redfields Verlobter! Hatte Schiss bei dem Gedanken bekommen, Redfield würde sich gegen die unbesiegte Claire Rosenburg duellieren, die genau wusste, dass wir hinter ihr her waren und weil seine Worte nicht bei Redfield ankamen, hat er die beschissene Karte in ihr Deck gemogelt. Im Nachhinein hätte ich einfach die Klappe halten sollen, aber diese Dummheit, diese Ungerechtigkeit hat mich einfach angekotzt. Der Pfosten hat es auch nicht besser dadurch gemacht, indem er sich in aller Öffentlichkeit zu der Tat bekannt hatte – Redfields Ruf war bereits ruiniert und daran wird wohl so schnell niemand mehr etwas ändern können …   Als alle aus dem Taxi gestiegen waren, wurden sie sofort von zwei Reporterinnen samt Kameramännern angesprochen, die scheinbar gehofft hatten, Teilnehmern des Legacy Cups zu begegnen. Entgegen Anyas Vorstellungen, die beiden aufgetakelten Weiber zu verprügeln, riet Valerie ihr dazu, einfach ein paar Sätze in die Kamera zu sagen. Währenddessen bezahlte Matt den Taxifahrer. Halbherzig nuschelte die Blonde ein paar positive Worte über ihr Duell gegen Othello.   Yeah, letztendlich hatte das Rollstuhl-Kiddo sich gegen Kakyo Sangon durchsetzen können, der mich während der Vorrunden besiegt hatte. Ich meine, der Tag konnte doch nur beschissen laufen, wenn du aufstehst und unter deinem Bett eine Kackbratze mit Rotzbremse siehst, die dir anscheinend die ganze Zeit nachgestalkt ist. Das war dieser Typ, Lee, den Matt sich irgendwie eingetreten haben musste. Anscheinend hat seine Herrin ihn geschickt, um Infos mit uns zu teilen, die er aber nicht ausspucken wollte. Da wir keine Zeit für ihn hatten, mussten wir ihn geknebelt im Badezimmer zurücklassen, von wo er irgendwie entkommen ist. Mein Duell gegen Othello und damit der letzte Stein im Weg zu Claire Rosenburg war einfach wichtiger. Leider erwies sich der Knirps als knallharte Nummer mit tragischer Geschichte. Durch einen Unfall wurde sein Herz zerstört. Das Spenderherz wurde von seinem Körper abgestoßen, bei der Transplantation eines künstlichen fing er sich eine böse Infektion ein, die seitdem an ihm nagt. Ich kann selbst nicht mehr nachvollziehen warum, aber irgendwas in mir wollte das Duell aufgeben, um ihm seinen Traum zu verwirklichen, als Schlächter von Claire Rosenburg in die Geschichte einzugehen. Zum Glück konnte er mich aus diesem Sentimentalitätsalbtraum aufwecken, sodass wir das Duell ohne solchen Blödsinn beenden konnten. Tja, er hat mich geschlagen. Leider hatte er bei dem blonden Biest nicht so viel Glück. Die hat ihn zerlegt, nicht anders herum. Mein Plan, ihn als Stellvertreter für mich ins Rennen zu schicken und ihr Artefakt heimlich zu mopsen, ging damit nicht auf. Aber hey, dafür habe ich einen neuen Freund gewonnen. Immerhin etwas, schätz' ich.   Anya starrte so abwesend an den Reporterinnen vorbei, dass sie gar nicht bemerkte, wie die nun Valerie mit Fragen beharkten. Die wich erschrocken zurück und bat darum, nicht weiter befragt zu werden. Die Schnepfen ließen allerdings nicht locker. Da so viel Ehrgeiz selbst die Blase von Anyas sowieso viel zu vernachlässigter Gedankenwelt durchdrang und damit zu einem unerwünschten Störfaktor wurde, musste die Blonde gezwungenermaßen einschreiten. „Lasst sie in Ruhe!“, fauchte sie und stellte sich vor die Größere. „Ich bin hier der Star, verstanden? Wenn ihr Fragen habt, dann stellt sie gefälligst mir!“ „Danke“, hörte sie Valerie leise hinter sich murmeln. Matt und Zanthe stellten sich ebenfalls vor die Schwarzhaarige, wobei Letzterer freundlich meinte: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Miss Redfield gerade keinen Kopf für solche Interviews hat. Das, was ihr Verlobter getan hat, ist nicht so leicht zu verdauen. Geben Sie uns Ihre Visitenkarten. Sie wird sich melden, sobald sie darüber reden möchte.“ Zwar sahen die beiden Damen vom Fernsehen alles andere als überzeugt aus, nickten sich aber gegenseitig zu, um nicht selbst in einem schlechten Licht dazustehen. Zanthe bekam die gewünschten Karten und schmiss sie, als sie das Innere des riesigen Flughafens betreten hatten, in den nächstbesten Mülleimer.   Tja, mit Othellos Niederlage war mein Plan B vielleicht in Rauch aufgegangen, doch Plan A, Claire selbst zu stellen, hatte sich bereits im Vorfeld wieder, nun, auf den Plan gerufen. Als ich Othello die Handschuhe des Sammlers gegeben hatte, waren mir Claire und ihr Manager, Nigel McPherson, im Gang der Duellarena begegnet. Sie bot von sich aus an, in zwei Tagen ein Duell auszutragen. Jedem von uns war klar gewesen, dass das nur eine Falle war, um mich, die Bedrohung, auszuschalten. Zusammen mit Logan habe ich mich auf das angekündigte Riding Duel vorbereitet. Es war ein cooles Gefühl, auf einem Motorrad zu sitzen, während man sich duellierte. Auch wenn derjenige, der sich das ausgedacht hat, trotzdem nicht ganz knusper ist. Dann kam er auch schon, der Tag der Abrechnung. Claire war eiskalt und unantastbar, so schien es. Aber mehr war es auch nicht, wie ich letztlich durch Nick erfuhr. Nur Schein. Schall und Rauch. Claire war eine Betrügerin, die durch einen Pakt Unbesiegbarkeit erlangt hatte. Vor Wut hätte ich sie am liebsten kalt gemacht – Ich meine hey, die Riding Duel-Strecke wurde durch unser Duell schon genug demoliert, wen hätten da noch ein paar Körperteile gestört!? – aber Levrier musste sich ja wieder einmischen. Tch! Ich habe alles gegeben, aber selbst mit den neuen Karten aus dem Deck, das Mr. Palmer mir geschickt hat, konnte ich sie nicht besiegen. Irgendetwas hat mich kurz vor der Ziellinie, welche ich als Alternativmethode zum Sieg als Erste hätte überqueren müssen, gerammt und von der Strecke geschmissen. Dabei ging nicht nur Logans D-Wheel drauf, nein, auch sein guter Ruf. Denn wie sich herausstellte, wollte McPherson die Zerstörung der Strecke dazu nutzen, mich hinter Gitter zu bringen. Und dann hat dieser blöde Zwerg die Schuld dafür auf sich genommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Shit!   Als sie endlich am Schalter zum Check-In an der Reihe waren, suchte Anya mit ihrem Blick die Menschenmenge um sie herum ab. Kein bekanntes Gesicht darunter. Othello war bereits abgereist, das wusste sie. Aber was war mit Marc? Wo war der abgeblieben? Valerie hatte nicht darüber gesprochen.   Dieser Nigel McPherson, der in Wirklichkeit der Dämon war, mit dem Rosenburg ihren Pakt geschlossen hatte, stellte sich mir in den Weg, als ich das blonde Biest endgültig fertig machen wollte. Er lud mich zu sich nachhause ein, um die Sache ein für allemal fernab der Öffentlichkeit zu klären. Pech für ihn, denn am selben Abend erhielt ich eine Herausforderung von Kali. Statt selber zu erscheinen, hab ich Zanthe zu McPherson vorgeschickt, der mir letztlich das Artefakt gewinnen konnte. Denn der wahre Hüter war Nigel. Rosenburg war nur als Ablenkung gedacht. Sie konnte einen Teil der Kraft des Artefakts nutzen, war jedoch nicht seine rechtmäßige Besitzerin. Oder irgendwie so.   Parallel dazu waren Summers und Redfield zusammen unterwegs, als sie von Mystery Demon himself dazu aufgefordert wurden, den Sammler umzunieten. Dazu brauchten sie aber ein Schwert, das sich im Besitz der Undying befand. Summers, der Vollpfosten, hat sich von Redfield dazu breitschlagen lassen, die Gruselmumie zu beschwören, um durch das Portal ins Versteck der Undying zu gelangen. Das hat zwar geklappt, aber Zed hat sich ihm in den Weg gestellt. Ausgerechnet Redfield, die hohle Nuss, hat ihn in letzter Sekunde gerettet und die Undying dazu gebracht, das überdimensionale Brotmesser rauszurücken und beim Anschlag auf den Sammler zu helfen.   Ironischerweise war der gerade damit beschäftigt, sich gegen Ricther zur Wehr zu setzen, welcher eigenständig zum Entschluss gekommen war, mir zu helfen. Hat ja auch nur ein paar Wochen gedauert! Gerade als der Sammler erfolglos all seine Kräfte gegen den Blechhelm aufgewendet hat, haben Redfield, Summers und Zed den vermeintlich tödlichen Schlag ausgeführt. Nur hat das nicht gereicht. Als sich dann auch noch ein neuer Verbündeter des Sammlers, irgendsoein Typ namens David, einmischte und kurzerhand Stoltz und Ricther einfror, nahm alles eine beschissene Wendung. David verhalf dem Sammler zur Flucht und es gelang Redfield nicht, sie daran zu hindern.   „Alles in Ordnung?“ Anya sah Matt an, der neben ihr her lief. Vor ihnen unterhielten sich Valerie und Zanthe über irgendeinen Schauspieler. Sie befanden sich auf dem Weg zu ihrem Gate, oder besser gesagt zu dem Wartebereich davor. Es war bereits in Sichtweite. Groß mit raumhohen Fensterfronten zur Rechten, die Blick auf die Start- und Landebahnen gewährten. In drei Reihen standen dort Sitzbänke, von denen nur wenige Plätze besetzt waren. Und Matt starrte Anya abwartend an, die erst jetzt kratzbürstig erwiderte: „Natürlich. Was soll sein?“ „So gedankenverloren habe ich dich ja noch nie erlebt.“ Er zuckte mit den Schultern. Zanthe vor ihnen kicherte böse. „Sie vermisst ihren Lover.“ „Schnauze, Flohpelz!“, fuhr Anya den Werwolf an und trat nach ihm, selbstverständlich erfolglos. Tatsächlich hatte sie nicht einmal mehr Zeit gehabt, Logan noch einmal zu besuchen. Aber die scheiß Bullen hätten sie vermutlich eh nicht zu ihm gelassen, solange er in Untersuchungshaft saß. Auch Valerie drehte sich zu ihr um. „Das tut mir leid für dich, Anya.“ „Kch, er ist nicht mein Lover!“, keifte die knallrot zurück. Die hatten doch keine Ahnung!   Während alle ihren 'Spaß' hatten, musste ich mich mit Kali rumschlagen, die mal wieder ein riesiges Gewese um ihre Identität machte, ohne die aber zu lüften. Am Ende hab ich sie fertig gemacht, konnte aber nicht herausfinden, wer diese blöde Kuh ist, die mir dauernd das Leben schwer macht. Denn wer musste sich einmischen? 'türlich, mein dämlicher Bruder. Aber auch mit dem hab ich kurzen Prozess gemacht. Aber nein, zwei Duelle reichen ja nicht! Kaum war der Idiot vom Platz gefegt, tauchte die Weiße Hexe Gardenia auf, die anscheinend sowas wie die Mutti der Komplettgestörten ist. Sprich deren Mentorin. Und verdammt, die Alte hatte es in sich. Hat mich erstmal in den Weißen Raum transportiert, in dem die Zeit schneller verging und von dem es angeblich kein Entkommen gab. Das Miststück hat mich fertig gemacht. Shit, ich dachte, ich müsste sterben. Aber irgendwer … irgendwer hat mich gerettet. Plötzlich war ich wieder zurück, inmitten meiner Freunde und den Undying. Yeah, die waren auch da. Und nachdem die ersten Unklarheiten beseitigt waren, ging's ans Eingemachte … Anya schloss die Augen, erinnerte sich an den Moment, als Ricther ihr aufhalf.   Noch völlig verwirrt von der Tatsache, dass keiner unter den Anwesenden in den Weißen Raum der Hexe Gardenia eingedrungen war, blicke Anya an Ricther hinauf. Sie befanden sich inmitten des riesigen Ephemeria Bridge Stadions, über dem gerade die Sonne aufging. „Wer könnte infrage kommen?“, fragte Matt, der neben dem Hünen von Undying stand ebenjenen. „Dieser Sache werden wir uns später annehmen. Anya Bauer“, sprach jener an das Mädchen gewandt, das neben ihrer Freundin Valerie auf dem Hintern hockte, „steh auf.“ Zu ihrem Erstaunen reichte er ihr seine, in einem silbernen Handschuh steckende, Hand. Erst jetzt fiel ihr auf, wie zerkratzt seine gold-silberne Rüstung doch war. Als sie die Geste annahm, wurde sie regelrecht von seiner Kraft hochgerissen. Noch immer skeptisch fragte sie: „Frieden? Wirklich?“ Der Hüne nickte. Hinter ihr erklärte die schwarzhaarige Zed: „Es ist Zeit für uns zu erkennen, dass unser bisheriges Vorgehen ineffektiv war.“ „Der Sammler ist ein gemeinsamer Feind, den wir nicht länger ignorieren können“, setzte Ricther die Ansprache fort, „ich habe diverse Gründe zu glauben, dass es nicht ausreichen würde, dich zu töten.“ Anya funkelte ihn böse an. „Na dann, danke?“ Und Zanthe sprach aus, was ihr bereits im Kopf rumschwirrte. „Soviel zu unserer Zusammenarbeit mit euch. Aber was jetzt?“ „Wir werden uns um den Sammler kümmern.“ Anya spürte, wie Ricther sie hinter seinem federbesetzten Helm anstarrte. „Teil unserer Abmachung wird sein, dass ihr keine weiteren Schritte gegen die verbliebenen Hüter einleitet.“ Trotzig erwiderte das Mädchen: „Nur, wenn ihr dafür sorgt, dass ich nicht abkratzen muss!“ „Auch dessen nehmen wir uns an“, versprach Zed. „Doch dazu werden wir uns ein anderes Mal mit dir unterhalten.“   Anya wandte sich von ihren Freunden und Ricther ab, was sie zwangsweise in Stoltz' Richtung führte, der etwas abseits der anderen nahezu wortlos verharrte. Er grinste. Dämliche Mumie, ihn hasste sie von den dreien am meisten! Wenn bloß ihr verdammter Kopf nicht so dröhnen würde. War diese Zusammenarbeit wirklich das Beste? Vermutlich. Beim Sammler würde sie sich wohl nicht mehr blicken lassen dürfen, nach dem, was Redfield und Summers mit ihm angestellt hatten. Hoffentlich würde er erstmal für eine Weile außer Gefecht gesetzt sein. Aber wenn sich die Undying nun um alles kümmerten, was sollte sie dann in der Zwischenzeit tun?   Anya stieß einen genervten Seufzer aus, griff nach dem roten D-Pad an ihrem Arm und zog das Extradeck heraus. Vor Ricthers Augen durchsuchte sie es nach drei bestimmten Karten, die sie ihm finster dreinblickend reichte: [Angel Wing Dragon], [Gravity Impulse Titanium Guardian – Heavy T] und [Murciélago The Thunderblade Bull]. „Hier“, sagte sie, „die muss ich dann wohl zurückgeben, huh?“ Doch zu ihrer Überraschung schob Ricther sie postwendend in ihre Richtung zurück. „Die Artefakte sind an dich gebunden. Behalte sie fürs Erste. Sobald wir eine Möglichkeit gefunden haben, sie von dir zu lösen, wirst du sie uns aushändigen.“ „'kay“, brummte Anya und steckte die drei Monster wieder in ihr D-Pad zurück. „Danke, schätz' ich?“ Da mischte sich Valerie ein, die sich aus ihrer Hocke erhob. Sie öffnete bereits den Mund, doch sagte nichts.   Erst im Nachhinein erfuhr Anya, dass sie das Katana, Ragnarok, ansprechen wollte, mit dem sie den Sammler beinahe getötet hätte. Doch jenes ließ sie bewusst unter den Tisch fallen, mit der Erklärung, so ein Schwert könnte noch einmal nützlich werden. Da die Undying sich seit diesem Treffen nicht mehr gemeldet hatten, schienen sie auch dies zu dulden, denn vergessen hatten sie es ganz sicher nicht! „Vergiss eins nicht“, sagte Ricther unvermittelt, „der Sammler braucht dich. Die Artefakte, die an dich gebunden sind, machen es unwahrscheinlich, dass er sich nach einem Ersatz umsehen wird. Doch überschätze deine Stellung nicht. Du wirst ihn zweifelsohne wiedersehen.“ Anya nickte missmutig. „Soll er doch kommen.“ „Ich vertraue darauf, dass du dich richtig verhalten wirst.“ Was auch immer das bedeutete. Während Anya über seine Worte nachdachte, meldete sich der Flohpelz wieder zu Wort. „Eins beschäftigt mich schon die ganze Zeit. Die Hüter bewachen Teile eines Schlüssels, der zum Narthex führt. Aber ist das wirklich ihre einzige Aufgabe?“ Anstatt ihm aber zu antworten, gab Ricther nur einen nachdenklichen Laut von sich. Was dann folgte, war ein Abschied auf Zeit, denn auch die Undying mussten sich von den Kämpfen erholen. Und die vier Freunde blieben mehr oder weniger zurück, ratlos, was für eine Zukunft sie erwartete.   Erst als sie von Zanthe angestupst wurde, öffnete Anya wieder die Augen. Einer der Passagiere hatte sich von den Stühlen erhoben. Zwar stand er mit dem Rücken zu ihr gewandt, doch das war genug. Sie kannte nur einen Mann mit schwarzem, nach hinten gekämmtem Haar einer solch mickrigen Größenordnung. Hätte sie Handgepäck dabei, wäre dieses jetzt auf den Boden gefallen. Unter Zanthes Gekicher stürmte Anya voran, ließ ihre Freunde hinter sich und steuerte den Mann an, der sich nun umdrehte und sie mit seinem stets undurchschaubaren, scharfen Blick erwartete. Doch als sie ihm um den Hals fiel, gab Logan schließlich einen überrumpelten Laut von sich. Gefolgt von: „Immer langsam.“ „Was zur Hölle!“, wurde er gleich darauf von Anya angefahren, die ihn sofort wieder losließ. „Solltest du nicht im Knast sitzen!?“ „Is' das 'ne Art, demjenigen, der dir den Hals gerettet hat, danke zu sagen?“, fragte der Kerl mit den buschigen Koteletten grimmig. Doch der Anblick von Anyas strahlenden, blauen Augen, die ihren galligen Worten jegliche Boshaftigkeit nahmen, ließen ihn erweichen. „Auch schön, dich zu sehen.“ Anya verschränkte leicht errötet die Arme voreinander. „Biste ausgebrochen?“ „Nein.“ „Auf Kaution?“ Logan schüttelte den Kopf. „Nicht ganz. Die haben mich gehen lassen.“ „W-was?“ „Muss noch ein paar Tage in der Stadt bleiben, aber bin nicht mehr der Hauptverdächtige.“   Inzwischen hatten Zanthe, Matt und Valerie zu den beiden aufgeschlossen. Obwohl gerade Ersterer sich unbedingt dazugesellen wollte, mahnte der Dämonenjäger ihn mit einem Kopfschütteln, dies lieber bleiben zu lassen. „Fein“, maulte der jung gebliebene Werwolf mit dem gelben Kopftuch und schlurfte an Anya und Logan vorbei, aber nicht, ohne seiner Freundin vorher verschwörerisch zuzuzwinkern. Während er sich in die weiter vorne liegende Ecke der Fensterfront verzog, gingen auch Matt und Valerie an den beiden vorbei. Sie jedoch begaben sich mit den Rücken zur Wiedervereinigung gekehrt zur letzten Sitzreihe, wo sie außer unmittelbarer Hörreichweite waren.   „'kay“, stammelte Anya verwirrt, „wer dann?“ Als sie aber näher darüber nachdachte, wurde ihr schlagartig ganz mulmig zumute. Denn wenn der Schwindel aufgeflogen war und jemand -sie- gesehen hatte, dann-! Anscheinend sah man ihr die aufkeimende Panik an. Logan winkte ab. „Nicht du. Hab noch nie so etwas Merkwürdiges erlebt.“ „Huh?“ „So'n Typ hat sich gestellt und behauptet, mich erpresst zu haben, ein Geständnis abzulegen.“ Sein Blick verfinsterte sich mit jedem Wort mehr. „Du weißt nicht zufällig, wer das sein könnte?“ Völlig verdattert schüttelte Anya den Kopf. „Schwarze Haare, etwa dein Alter, Sommersprossen im Gesicht, ziemlich blass. Die haben mir das Video von seinem Geständnis gezeigt.“ Um die stumme Aussage noch einmal zu wiederholen, zuckte Anya mit den Schultern. „Ich kenne niemanden, der so aussieht. Ehrlich! Aber ist doch gut, dann-!“ „Wieso sollte ein völlig Unbeteiligter plötzlich für mich in die Bresche springen?“   Anya sah ihn an. Seine Augen funkelten. Anstatt zufrieden zu sein, nicht vor Gericht zu müssen, schien er tatsächlich eine Verschwörung zu wittern. Und wenn das Mädchen so darüber nachdachte, musste da schon wieder irgendetwas im Busch sein. „Vielleicht hat ja Nick-“   Unwahrscheinlich. Nick Harper verabscheut Logan Carter. Zwar wird er sicherlich über einschlägige Medien von den Schäden innerhalb der Stadt erfahren haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt so schnell einen Sündenbock auftreiben könnte?   Zwar gab Anya es Levrier gegenüber ungern zu, aber -wenn- Nick so etwas gelang, war das ziemlich beunruhigend. Aber ihr unsichtbares, autonomes Gewissen hatte nicht ganz Unrecht. Freiwillig würde Nick keinen Finger für Logan krumm machen. Vielleicht war es auch nicht ihr Freund, der das Ganze inszenierte, sondern … nein, der Sammler war außer Gefecht gesetzt. Und im Moment sicher auch nicht gut auf sie und ihren Freundeskreis zu sprechen. Es sei denn … Nachdenklich fragte sie: „Wann hat der Typ sich denn gestellt?“ „Gestern früh.“ Das war bereits nachdem Redfield zur Möchtegern-Assassine geworden war. Also fiel der Sammler sehr wahrscheinlich flach. „Sag mal, Kleine“, fing der kräftig gebaute Mechaniker schließlich an, „deine kleine Story von damals. Die ist doch nur das, oder? Daran ist nichts Wahres?“ „Yeah.“ Anya bemühte sich tunlichst, ihm dabei nicht in die Augen zu sehen.   Was sie nicht ahnte war, dass Zanthe natürlich jedes Wort mitbekam, auch wenn er fast zehn Meter weit entfernt gegen die Wandschräge lehnte, in der das Fensterglas eingesetzt war. „Das stinkt doch zum Himmel“, murrte er. Sein Freund mit den blonden Rasterzöpfen, der neben ihm verharrte, sah ihn ahnungslos an. Vor seinem Gesicht befand sich das leuchtende Zackensymbol, welches ihn tarnte und aussah wie ein stilisierter Schmetterling. „Erinnerst du dich, als ich dir gesagt habe, bei deinem neuen Job wäre es zu Komplikationen gekommen? Und was vorgestern in der Stadt passiert ist? Die beiden Sachen hängen unmittelbar miteinander zusammen.“ „Die Gefängnisgeschichte?“ Dem Größeren klappte die Kinnlade hinunter. Und zeigte ungeniert auf den knapp 165 Zentimeter großen Mann. „Moment, -der- da war das!?“ Zanthe nickte und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. „Ist schwierig zu erklären. Kurz gesagt: Jemand anderes hat ein Geständnis abgelegt, welches aber definitiv falsch ist.“ „Ein Unschuldiger ist demnach involviert?“ Sofort verdunkelte sich Exas Miene. „Aber daran hat Logan keine Schuld, der ist genauso aufgewühlt. Glaube ich jedenfalls. Er … riecht nämlich nicht nach jemandem, der unruhig ist.“ Leise fügte er hinzu: „Und da ist die Tatsache, dass er irgendwie ohne Flugticket an den Kontrollen vorbei gekommen ist, noch die kleinste Unstimmigkeit.“   Aus den Augenwinkeln betrachtete der Werwolf seinen Freund, der sich seinerseits auf den Zwerg fixiert hatte. Zanthe wusste, dass es definitiv nicht Nigel war, der ihnen da unter die Arme greifen wollte. Sein Anliegen war es, Claire zu schützen und durch seine Illusionen war ihm dies auch gelungen. Er würde bestimmt nicht rückwirkend einen Unschuldigen in die Sache hineinziehen. Und wenn weder Nick, noch er und höchstwahrscheinlich auch nicht der Sammler infrage kamen, wer dann? Die Undying würden wohl kaum Energie in solch triviale Angelegenheiten stecken.   Auch Zanthes Blick richtete sich wieder auf Logan, der zusammen mit Anya herumrätselte. „Er wird in ein paar Tagen nach Livington zurückkehren.“ Exa schnalzte mit der Zunge. „Da ich ihn sowieso fragen wollte, ob das Jobangebot noch steht, kann ich ihn gerne für dich im Auge behalten. Ob er nun ja sagt oder nicht.“ Ein vergnügtes Grinsen erhellte die Züge des Werwolfs. Wahnsinn, wie gut sie sich in manchen Dingen verstanden! „Oh!“ Zanthe stieß sich von der Wand ab. „Das hätte ich fast vergessen. Wo bleibt …“   Als er aber Anya plötzlich wutentbrannt schreien hörte, erledigte sich die Frage von selbst. Denn jene drehte sich auf einen Fingerzeig von Logan um, nur um zu sehen, wie zwei Personen sich langsam näherten. Claire Rosenburg, die ihre Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille verbarg, wurde von ihrem Manager Nigel McPherson flankiert. „Was will die denn hier!?“, fauchte Anya außer sich. „Anscheinend wurden Sie noch nicht informiert, Miss Bauer.“ Der bärtige Rotschopf seufzte. „Miss Rosenburg wird Sie auf ihrem Flug nach Livington begleiten.“ In dem Moment verformte sich Anyas Gesicht zu einer verzerrten Fratze, die von ihrem offenen Mund hin bis zu den geweiteten Augen in jeder Geisterbahn das Fürchten gelehrt hätte. Nur war die Horrorvorstellung allein dem ein Meter sechzig großen Mädchen vorbehalten. „W-was?“ In dem Moment eilte Zanthe zu den beiden und lachte nervös. „Ach ja, da war ja noch was. Ich habe versprochen, Claire mitzunehmen. Was sie jetzt braucht-“ „Was du jetzt brauchst ist ein gutes Bestattungsunternehmen!“, keifte Anya und schlug mit der Faust nach dem Werwolf, welcher jene mühelos mit seiner Hand abfing. „Hör doch zu!“ Verärgert riss er sie zur Seite weg, sodass die Furie über das Parkett stolperte. „Das ist meine Sache.“ Anya, die sich schnell fing, stand, von allen verlassen, in der Mitte der Halle. „Nie im Leben nehme ich dieses Miststück mit! Was soll der Scheiß!?“ „Sie braucht jemanden, der sich um sie kümmert.“ „Dann kümmere dich um sie. Auf der Straße! Mein Haus betritt-“ Spöttisch winkte ihr Freund ab. „Ach, das ist bereits mit deiner Mutter geklärt. Du ahnst gar nicht, wie sehr sie sich darauf freut, die Duel Queen als Gast zu haben.“ Anya zerbrach. Wer gute Ohren hatte, konnte die einzelnen Scherben klimpern hören. Das hieß, wenn das Trommelfell noch intakt war, so laut schrie sie: „Willst du mich verkohlen!? Mum würde niemals gegen meinen Willen irgendeinen Penner einladen!“ „Pass bloß auf“, mahnte der schwarzhaarige Italiener sie verspielt, „sonst überrede ich deine Mutter noch dazu, -dich- ein paar Tage auf der Straße nächtigen zu lassen. Und jetzt komm.“   Ehe sich Anya versah, hatte Zanthe einen großen Schritt auf sie zu gemacht, am Arm gepackt und etwas abseits der anderen Drei mitgeschleift. „Lass los!“ „Anya“, sprach er ernst, „ich weiß, du verachtest sie wegen dieser Betrugssache. Aber sie hatte damals wirklich gute Gründe, warum sie den Pakt eingegangen ist.“ Uneinsichtig wie der jüngste Bauer-Spross jedoch war, kam es nur gallig zurück: „Als ob mich das auch nur ansatzweise juckt!“ „Und du hast noch nie Fehler gemacht?“ Zanthe baute sich vor ihr auf und verschränkte die Arme, starrte seine Freundin eindringlich an. „Vergebung gehört dazu, wenn man ein besserer Mensch werden will. Und das willst du doch, oder?“ Wodurch Anya glatt ein hysterisches Lachen entfuhr. Anstatt aber ebenfalls schwarzen Humor an den Tag zu legen, packte Zanthe sie an den Schultern. „Ich weiß, es ist viel verlangt. Und ich verspreche dir, dass ich mich um sie kümmern werde. Aber sie braucht jetzt jemanden, der ihr die Welt gewissermaßen erklärt, denn sie war für viele Jahre nur eine Maschine, die Anweisungen ausgeführt hat.“ „Kch!“ Demonstrativ blickte Anya zur Seite. „Wenn du willst, erkläre ich dir nachher alles im Flugzeug. Sieh' es als Chance an. Bitte.“ In dem Moment legte das Mädchen seinen Arm unter die von Zanthe und schob beide in einer Bewegung von sich weg, wirbelte herum. „Fein … aber denke nicht, dass ich auf gut Freund mit ihr machen werde! Ich verabscheue sie nicht, ich hasse sie.“ „Tust du nicht“, nuschelte der Kopftuchträger mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann wandte er sich Nigel zu, zeigte ihm einen Daumen in die Höhe, woraufhin jener nickte und sich der amtierenden Weltmeisterin zuwandte, ein paar letzte Worte mit ihr wechselte.   „Du lieber Himmel. Gut, dass keine scharfen Gegenstände in der Nähe sind“, flüsterte Matt indes Valerie von der letzten Sitzreihe aus zu. Er hatte den Arm um die Sitzlehne gelegt und verfolgte das Schauspiel neugierig, wohingegen die Schwarzhaarige sich von allem bewusst distanzierte. „Vielleicht …“ Als Matt sie jedoch fragend von der Seite ansah, schüttelte Valerie den Kopf. „Ach nichts.“ Was auch immer sie sagen wollte, es hatte bestimmt etwas mit Duel Monsters zu tun, dessen war sich Matt sicher. „Hey, es kommen auch wieder bessere Zeiten.“ „Ist dir etwas aufgefallen? Hier sind keine Fotografen oder Fans. Kein Mensch beachtet sie, obwohl sie trotz allem irgendwie aus der Menge heraussticht.“ Matt zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich schirmt Nigel sie mit seinen Illusionen davon ab.“ „Ich beneide sie.“ „Musst du nicht.“ „Das war gelogen.“ „Ich weiß.“ Matt zwinkerte ihr von der Seite zu und Valerie reagierte mit einem schwachen Lächeln. Parallel dazu erklang eine Durchsage, die ihren Flug und das entsprechende Boarding betraf. Die Leute um sie herum erhoben sich langsam, zogen Richtung Gate davon. Schließlich sagte die Schwarzhaarige: „Danke. Hmm. Mal sehen, was ich mache, wenn ich wieder in Livington bin. Weißt du, was du jetzt tun wirst?“ Die Miene des jungen Mannes trübte sich. „Ich denke, dass ich noch eine Weile in Anyas Nähe bleibe, bis wir wissen, was nun aus dem Sammler geworden ist. Danach geht’s dann zurück nach San Augustino.“ „Wenn du nichts dagegen hast, könntest du mir ein wenig mehr über Dämonen erzählen? Nur, wenn du Zeit hast.“ Etwas verdutzt erwiderte Matt: „Okay, klar, gerne. Also, uhm, eigentlich ungern, denn damit solltest du dich nicht belasten. Aber ich, uh, schulde dir was.“ Jetzt strahlte sie wenigstens. „Danke.“ „Na, was tuschelt ihr beiden da!?“ Ehe Valerie sich versah, ließ sich Anya mit verschränkten Armen neben ihr fallen. Sie schmollte. Es war seltsam.   Zanthe hatte sich seinerseits wieder zu Logan gesellt. Ihm war nicht entgangen, wie intensiv der Claire betrachtete, die ihrerseits in ihrem weißen Anzug vollkommen deplatziert wirkte, keine Regung zeigte. Nigel hatte ja erklärt, dass er den Pakt erst langsam lockern musste, um sie nicht zu überfordern. „Du bist wohl auch nicht begeistert, was?“ „Muss nicht mit ihr leben.“ Der Zwerg zuckte mit den Schultern und drehte sich um. „Geh' mich dann schon mal verabschieden. In Kürze startet euer Flugzeug.“ Als Logan Richtung Team VAM in Neubesetzung schlurfte, grinste Zanthe Claire breit an. „Der nimmt's etwas sportlicher, gegen dich verloren zu haben.“ „Bedaure, aber da liegt eine Verwechslung vor“, mischte sich Nigel ein. „Miss Rosenburg hat schon viele Gegner besiegt, aber dieser Mann dort war keiner von ihnen.“ In dem Moment wurde Zanthe hellhörig. „Aber er hat doch seine Karriere wegen ihr beendet?“ Zur Verdeutlichung schüttelte der Mann mit der Narbe über dem rechten Auge den Kopf. „Ich erinnere mich an jeden ihrer Gegner. Mr. Carter mag vielleicht Profiduellant gewesen sein, aber zu einer Begegnung mit Miss Rosenburg kam es definitiv nicht.“ Sprachlos drehte sich Zanthe um und beobachtete Logan, wie er die Sitzreihe umrundete und sich Anya vornahm, die sofort aufsprang. Inzwischen waren die Gruppenmitglieder die einzig noch verbliebenen Passagiere in der Wartezone.   „Musst wohl jetzt gehen, was?“, fragte Anya unterschwellig geknickt. Dann aber gab sie einen überraschten Laut von sich. „Ah. Warte, ich hab noch was für dich.“ Sie griff an ihren Gürtel, an dem zwei Deckboxen hingen. „Hier.“ Eine davon, eine schwarze, reichte sie ihm. Nickend nahm Logan sein Deck entgegen. „Danke. Hat mir echt geholfen. Würde dir ja auch dein D-Pad wiedergeben, aber das ist in meiner Tasche und die ist schon im Flugzeug.“ „Macht nichts. Gut zu wissen, dass das Deck dir was genützt hat.“ Neben ihnen flüsterte Matt Valerie ins Ohr. „Hat sie gerade wirklich 'danke' gesagt?“ „Sei still“, erwiderte die vergnügt und stieß sanft ihren Ellbogen in seine Seite. Anya nahm davon keine Notiz. „Komm bald nach, 'kay?“ „Werd' ich.“ Was dann folgte, war die unbeholfenste Umarmung, die ihr Freundeskreis je gesehen hatte. Als müsse sie erst seine Proportionen abmessen, schwenkte Anya mit ihren ausgebreiteten Armen hin und her, ehe sie ihn zögerlich in jene einschloss. Matt hätte schwören können, Logan einen stillen Seufzer ausstoßen zu hören, ehe er die Geste erwiderte.   Nachdem sich schließlich alle von Nigel und Logan verabschiedet hatten, zogen sie mitsamt ihrer neuen Freundin Schrägstrich Feindin Richtung ihres Gates. Keiner von ihnen bemerkte dabei, dass eine einzelne Person sie aus der Ferne beobachtete. Gekleidet in einen weißen Mantel, waren deren Augen von einer großen Sonnenbrille bedeckt, das Haar dagegen von einer weißen Baseballmütze, die Hände von weißen, dünnen Lederhandschuhen. Ihr Haupt war leicht gesenkt. Die Hand des Mannes fuhr in seine Manteltasche, verharrte aber, als Anya sich noch einmal umdrehte. Sie betrachtete den Fremden einen Augenblick, winkte dann aber lediglich Logan noch einmal zum Abschied, welcher gerade an ihm vorbei zog, kurz darauf gefolgt von Nigel. Im Anschluss drehte die Blonde sich, provoziert von einer Stichelei Zanthes, wieder um.   Kurz darauf hatten die Freunde ihre Plätze im Flugzeug gefunden. Anya hatte sofort einen Fensterplatz für sich beansprucht. Neben ihr nahm Valerie Platz, die beiden Jungs dagegen saßen vor ihnen. Claire ihrerseits dagegen hätte eigentlich einen Platz in der ersten Klasse gehabt, doch Zanthe bot dem Mann zu seiner Linken in der Mittelreihe an, mit ihr zu tauschen. Was dieser auch gerne tat, sodass sie, durch den Gang getrennt, neben ihm bleiben konnte. „Ich kann sie doch nicht unbeaufsichtigt lassen“, rechtfertigte sich der Kopftuchträger auf Anyas böses Knurren hin. Selbst Valerie konnte sich in dem Fall ein trockenes Hüsteln nicht verkneifen. „Sie ist kein kleines Kind.“ „Nein, sie ist ein Clairebot“, murmelte Matt scherzhaft und sah bewusst aus der Fensterluke. „Was sagst du dazu, Roboburg?“, richtete Anya ihre Worte provokativ an die Weltmeisterin, welche jedoch stur geradeaus starrte. Doch sie antwortete tatsächlich: „Ich bin ein Mensch.“ Was sich jedoch mehr wie eine sachliche Feststellung, denn irgendeiner Form von Verteidigung anhörte. Natürlich rief das sofort denjenigen auf den Plan, der sich für die junge Frau verantwortlich fühlte. „Lass sie ihn Ruhe, Anya.“ Auf Zanthes grimmige Mahnung hin ließ jene sich tiefer in den Sitz fallen. „Tch.“   Während noch ein paar Nachzügler das Flugzeug betraten, meinte Livingtons Terrormaschine schließlich nachdenklich. „Irgendwas war eben komisch.“ „Hmm?“ Matt drehte sich zu ihr um. „Dieser Typ da. Er … irgendwie kam er mir bekannt vor.“ Ihre schwarzhaarige Sitznachbarin wunderte sich: „Wen meinst du?“ „Den Kerl eben, der uns beobachtet hat.“ Anya murrte unzufrieden. „Der in Weiß.“ Zanthe reckte den Kopf nach oben und sah sich um. „Jetzt wo du's sagst, der ist nicht eingestiegen.“ Der Dämonenjäger wollte wissen: „Was stört dich denn an dem?“ „Ich weiß es nicht. Es fühlte sich an, als wären wir uns schon mal begegnet. Wenn ich's nicht besser wüsste, dann …“ Als seine Freundin zögerte, erwiderte Zanthe gutmütig. „Sag's einfach.“ „… war das eben mein Dad. Und, wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass Dad mich aus Gardenias Weißem Raum gerettet hat. Aber das ist unmöglich, Dad verfügt über keine besonderen Kräfte.“ Anya wurde schlagartig bewusst, wie merkwürdig das alles für ihre Freunde klingen musste, besonders, da sie ihnen diese Gedanken bisher nicht mitgeteilt hatte. Verdammt, hätte sie doch nur einen Moment gewartet und sich den Kerl näher angesehen! „Jetzt ist es zu spät, ihn darauf anzusprechen, wir heben in ein paar Minuten ab“, meinte Valerie nachdenklich. „Außerdem, meinst du nicht, dein Vater würde mit dir über diese Sachen anschließend reden wollen?“ Die Blonde aber senkte ihr Haupt. „Ich hab noch nie kapiert, was in Dads Kopf vor sich geht.“ „Vergiss den Kerl. Freu' dich lieber auf Zuhause“, versuchte Matt sie aufzuheitern.   ~-~-~   Keiner von ihnen konnte jedoch damit rechnen, dass der Mann, der in der Zwischenzeit den Flughafen verließ, keinesfalls Anyas Vater war. Als der Mann durch die Schiebetür den Flughafen verließ, steuerte er vor sich hin summend auf das nächstbeste Taxi am Straßenrand zu, welche unterhalb der Überdachung des Eingangsbereiches parkten. Nachdem er eingestiegen war, meinte er zu der Fahrerin, einer dunkelhaarigen, gut gebräunten Frau vor sich: „Irgendwohin.“ „Irgendwohin?“, fragte sie belustigt, drehte sich zu ihm um. Rehbraune Augen, goldene Ohrringe, ein einladendes Lächeln. Das leicht gelockte, nach hinten gekämmte, kinnlange Haar stand ihr gut zu Gesicht. „Irgendwohin wird teuer, mein Lieber.“ „Macht nichts“, grinste Anyas Bruder hinter der Trennwand zwischen Fahrer und Fahrgast schelmisch zurück, als seine Sonnenbrille die Nase entlang rutschte. „Von einer Schönheit wie dir würde ich mich überall hin kutschieren lassen.“ Seine schleimige Anmache kam jedoch nur bedingt an, denn das Lächeln schwand. „Ernsthaft? Gibt es immer noch Leute, die so reden? Hilfe …“ Lachend nahm der Mann die Sonnenbrille ab, präsentierte strahlend blaue Augen. Zachariah gab einen gespielten Seufzer von sich. „Leider ist mir nichts Besseres eingefallen. Was hört die Damenwelt von heute denn gerne?“ „Von dir? Gar nichts.“ Damit drehte die junge Frau sich um. „Also, wohin?“ Der Blonde überlegte einen Moment. Aus der Ferne konnte man die Triebwerke eines Flugzeugs hören, das gerade abhob. „Ich habe eine Idee“, meinte er da schließlich, „ich denke, ich möchte zum Friedhof. Hat diese Stadt einen?“ Etwas irritiert antwortete die Taxifahrerin: „Natürlich?“ „Dann bring mich dahin.“   Während sie den Motor startete, griff Zachariah erneut in seine Manteltasche und zog vorsichtig eine kurze Fernbedienung aus ihr hervor, legte sie auf den freien Sitz neben sich. Dabei sah er bewusst geradeaus, bemerkte, wie die braunen Augen ihn über den Rückspiegel beobachten. Er grinste. Sie sah weg. Parallel dazu gewann das Flugzeug über Ephemeria City an Höhe. Zachariah lächelte und griff wieder neben sich nach der Fernbedienung. Lange genug hatte er sich dazu breitschlagen lassen, sie nicht zu verwenden. Aber damit war jetzt Schluss. „Dann kann die wilde Fahrt ja beginnen“, summte er, dessen Daumen den roten Knopf der Fernbedienung fest nach unten drückte. Und es war ihm ein Genuss zu wissen, dass Nick Harper oder wer auch immer seine 'Freundin' nicht hatte retten können. Denn auch wenn so eine kleine Bombe im D-Pad über Hacking gestoppt werden konnte, sah die Sache über einen manuellen Auslöser ganz anders aus. Nun war Kali endlich frei. Lächelnd warf Zach einen Blick aus den Augenwinkeln auf die Fernbedienung, die er mit einem Klapps seiner Hand nach unten hinter den Sitz der Fahrerin beförderte. „Was war das?“, fragte die Taxifahrerin erschrocken, als sie einen lauten Knall hörte.   Eine Explosion erschütterte das noch aufsteigende Flugzeug in seiner Mitte. Eine Tragfläche brach infolge dessen ab. Keiner hörte die Schreie im Inneren. Die Maschine stürzte quer Richtung Stadt, zielgenau auf ein Hochhaus zu. Es schepperte. Der obere Teil des Gebäudes stürzte zur Seite ein, fiel nach unten, direkt auf die um jene Tageszeit sehr belebte Hauptstraße.   ~-~-~   Der Knall hallte noch in ihrem Kopf weiter. Die Flammen des abstürzenden Flugzeugs tänzelten vor ihren Augen. -Sie- hörte die Schreie. „Was ist los?“ Es dauerte einen Moment, ehe sie zusammenzuckte und sich ihrer Umgebung wieder gewahr wurde.   Die Sechzehnjährige stand mitten auf einem türkisfarbenen Duellfeld. Durch rechteckigen Brillengläsern sah sie ihren Gegner an, einen großen, brünetten jungen Mann in dunkelblauem Anzug: Henry Ford. „Alles in Ordnung mit dir?“, fragte der skeptisch. Sprachlos sah das Mädchen auf ihr rotes D-Pad, auf dem die Monsterkarte [Spiritual Beast Apellio] lag, welcher in Form eines knallroten Löwenjungtiers mit hell flackernder Mähne auch vor ihr verharrte.   Spiritual Beast Apelio [ATK/1800 DEF/200 (4)]   Die kreisrunde Tribüne, die die Duellarena umgab, war abseits ein paar Jugendlicher und zwei Lehrern nahezu unbesetzt, doch allesamt zeigten sie sich genauso verwirrt aufgrund der plötzlichen Apathie des Mädchens. „Sag nicht“, murmelte ein Afroamerikaner mit riesigem Afro in der ersten Reihe verheißungsvoll, „ausgerechnet jetzt!?“ Velvet nickte ihm stumm, beinahe hilflos zu. Diese Vision, sie war so real wie noch nie gewesen. Sie hatte die Hitze der Explosion gespürt, die Angst der Passagiere. Selbst jetzt dröhnten ihre Ohren noch vom Knall. „Wenn wir das Duell abbrechen, wissen Sie, was auf Sie zukommt, Miss Thorne“, sagte Henry von der anderen Seite des Spielfelds streng. Sie nickte und schluckte dabei. „I-ich fühle mich nicht imstande, das Duell fortzusetzen“, würgte das Mädchen im weiß-violetten Sommerkleid schließlich mühsam hervor.   Während die Lehrer sich nacheinander überrascht von ihren Plätzen erhoben, eilte der junge Afroamerikaner, der sich kurzerhand über die Tribüne schwang, seiner Freundin zu Hilfe, welche sich nicht länger auf den Beinen halten konnte und in die Knie zusammensackte. Als er sie erreichte, bückte er sich zu Velvet hinab und berührte sie sanft an beiden Schultern. „Geht es?“ „Es war … schrecklich …“ „Was hast du gesehen?“ Velvet schluchzte: „Da ist eine Bombe in einem Flugzeug explodiert und es ist abgestürzt.“ Nebenbei näherten sich hinter ihr drei weitere Schüler ihres Jahrgangs. Ein braungebrannter, dunkelblonder Bursche, dessen Haar ziemlich wild gestylt war. Neben ihm ein etwas pummeliges, blasses Mädchen mit gelockter, schwarzer Mähne und hinter den beiden ein großer, hellblonder Kerl mit Kurzhaarschnitt. „Weißt du, ob es schon passiert ist?“, fragte der Afroamerikaner beunruhigt. Das Mädchen schüttelte aufgelöst den Kopf. „Gerade eben, vor vielleicht zehn Minuten“, antwortete der gebräunte Bursche hinter ihnen matt und zeigte ein Smartphone vor, das die News anzeigte, „ist direkt über Ephemeria City passiert.“ Auch Henry seinerseits weitete die Augen. „Ephemeria!?“ Velvet ihrerseits kniff die Augen fest zusammen, aus denen Tränen aufstiegen. Waren es früher alle paar Monate mal eine Vision gewesen, wurde sie jetzt regelmäßig mit solchen Bildern gequält. Was war bloß mit der Welt los!? Und wieso tauchte regelmäßig die Zweitplatzierte des Legacy Cups, diese Anya Bauer, in ihnen auf!?     [TO BE CONTINUED IN SEASON 3]   _______     An dieser Stelle vielen Dank an alle, die hier fleißig mitlesen. Ich werde noch vier Specials im Laufe der kommenden Wochen und Monate veröffentlichen, ehe es (hoffentlich) Mitte 2018 dann mit Staffel 3 weitergeht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)