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Ippo ni Yoko

Seto x Jou
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: One-Shot (abgeschlossen)

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Widmung: Herzlichen Dank an LumCheng für s Beta-Readen und für das Experiment! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 02 / 02 (Wunschfortsetzung)

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Widmung: Auf Wunsch von OnlyKnow3 hier eine indirekte Fortsetzung! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 03 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Weil ihr so überzeugend der Meinung seid, dass mit Kapitel 1 und 2 die Geschichte noch nicht abgeschlossen wäre, bis ... ja bis wohin eigentlich :D Sehen wir ja dann :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 04 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 05 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 06 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 07 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 08 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 09 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 10 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 11 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 12 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 13 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 14 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 15 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsyua / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 16 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload, weil ich heute einen sauguten Tag habe :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 17 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 40. Favo-Eintrag Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 18 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 19 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 20 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 21 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 22 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 24 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 25 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 27 / ??

PoV (Sicht): Isono (der leider keinen Vornamen hat O.o) / Roland

Warnings: ---

Kommentar: Dieses Kapitel ist der guten und lieben Onlyknow3 gewidmet, weil sie sich ein Kapitel aus Isono's / Roland's Sicht gewünscht hat :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 28 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 30 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 100. Kommi Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 31 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 50. Favo-Eintrag Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 32 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 34 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Missbrauch

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 35 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 36 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 37 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 38 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 39 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 40 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 41 / ??

PoV (Sicht): Muto Yugi

Warnings: ---

Kommentar: Dieses Kapitel ist der lieben solty004 gewidmet, weil sie sich ein Kapitel aus der Sicht eines Freundes gewünscht hat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 42 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 43 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 44 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 45 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 48 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 49 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 50 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 150. Kommi. Ein herzliches Dankeschön an Onlyknow3 für ihre Beratung bzgl Mokuba's Verhalten... prä-pubertierende Teens sind einfach nicht mein Steckenpferd und sie hat mich gut beraten. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 52 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 53 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 54 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum Geburtstag von Kaiba Seto (25.10.) :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 55 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 60. Favo-Eintrag :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 56 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 200. Kommentar, der von Nezumi_Li beigesteuert wurde - Danke :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 57 / ??

PoV (Sicht): Isono / Roland

Warnings: ---

Kommentar: Dieses Kapitel ist der guten und lieben Onlyknow3 gewidmet, weil sie sich ein weiteres Kapitel aus Isono's / Roland's Sicht gewünscht hat :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 58 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 59 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 61 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 62 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 250. Kommentar, der von Onlyknow3 beigesteuert wurde - Danke :3
Dieses Kapitel ist der lieben solty004 gewidmet, weil zu ihrem Inhaltswunsch gehörte, dass die Freunde Seto und Jou / Joey helfen ihre Beziehung weiterzuentwickeln. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 63 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 64 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 65 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: Missbrauch

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 66 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 68 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 69 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 71 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Missbrauch

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 72 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Fluff?

Kommentar: Dieses Kapitel ist der lieben Nezumi_Li gewidmet, weil sie sich ein klassisches, romantisches Date für die beiden gewünscht hat. Hoffe das Kapitel entspricht deinen Erwartungen und bereitet dir Freude beim Lesen :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 74 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 75 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 76 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Angst, Gewalt, Missbrauch

Kommentar: Danke an Onlyknow3 für die Idee für das Kapitel :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 77 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 78 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 79 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 80 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 81 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 82 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 83 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 84 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 85 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 86 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 87 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 88 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 89 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 90 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 91 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Danke an Onlyknow3, die mich zu dieser Situation inspiriert hat :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 92 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 95 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 96 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya Senior / Joseph Wheeler Senior

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 98 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 99 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 100 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 101 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Missbrauch, Drogen

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 102 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 103 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 104 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 106 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: Ryuji ist der Vorname von Otogi, der im Westen aus dem Anime nur als Duke Devlin bekannt ist. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 107 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 108 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Herzlichen Dank an Onlyknow3, die mich auf die Idee gebracht hat :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 109 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Danke Onlyknow3 für den Input :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 110 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 111 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Missbrauch, Suizid

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 112 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 113 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Danke an Onlyknow3, die mir immer mit Rat und Weisheit zur Seite steht :) selbst wenn ich 'ne Wand vor mir habe - Danke Onlyknow3 :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 114 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Ich muss mich ganz herzlich bei euch entschuldigen, dass jetzt eine Woche lang keine Updates kamen. Meine Erkältung hat mich letzte Woche einfach umgehauen. Jetzt geht es (hoffentlich weiterhin) bergauf und bei allen Stories kommen die Kapis wieder wie gewohnt zu ihren Uploadzeiten. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 115 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: Essstörung, Zwangsernährung

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 116 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 118 / ??

PoV (Sicht): Isono

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 119 / ??

PoV (Sicht): Reijirou Inukai

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Tara Chan (von ff.de), weil sie sich ein Kapitel aus Kais Sicht schon so lange wünscht :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 120 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmit Shijin, weil die Gespräche mit ihr immer so ungemein inspirierend sind :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 121 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: Da ich nie selbst einen Kampfsport betrieben habe, bitte ich um etwas Nachsicht, wenn die erste Trainingsstunde vielleicht total absurd wirken mag. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 122 / ??

PoV (Sicht): Isono

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 124 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 125 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: Missbrauch

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 126 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 127 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Sex (Blowjob / nur angedeutet)

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 128 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 130 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 131 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 132 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 133 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 134 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 135 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 136 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 137 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: sexueller Angriff

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 138 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Kapitel zum 300. Kommentar *hust*... ich glaub ich muss jetzt echt mal meine Bonus-Kapis angehen. :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 139 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokoba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 140 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 141 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 142 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Tara Chan von FF.de, da sie sich Keizos Sicht zu dem Ganzen gewünscht hat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 143 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 144 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 145 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 146 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 350. Kommi :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 147 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 148 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 149 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 150 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Bonus-Upload zum 400. Kommentar Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 151 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsyua / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 152 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsyua / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 153 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

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Kommentar: Bonus-Upload zum 450. Kommi :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 154 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 155 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Sorry Leute, dass ich zwei Wochen lang keine Kapis hochgeladen habe... dieses Jahr ist bei mir gesundheitlich einfach der Wurm drin und wenn man keinen Schlaf findet, dann läuft man irgendwann auf'm Zahnfleisch und kriegt einfach nichts mehr geschafft. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 156 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ein Bonus-Upload für den 500. Kommi :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 157 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Aria_Crown, die sich ein Kapitel aus der Sicht der engagierten Polizistin gewünscht hat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 158 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 159 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 160 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 161 / ??

PoV (Sicht): Isono / Roland

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 162 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Kikono-chan, weil sie mich daraufhin wieß, dass Honda / Tristan vielleicht auch jemand zum Reden brauchen könnte. Außerdem als Nachreiche für Dienstag, weil ich es vorgestern nicht geschafft habe irgendwas fertig zu kriegen.

Anmerkung: Ryuji ist Otogis Vorname, bei den meisten besser bekannt als Duke Devlin. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 163 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 164 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 165 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 166 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Shijin, weil sie mir beim Wiederreinfinden geholfen hat - Danke fein für deine Mühen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 167 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet -Pharao-Atemu-, weil sie mich zum i-Tüpfelchen inspiriert hat. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 168 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ich hoffe ihr seid alle gesund ins neue Jahr gekommen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 169 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 170 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ich hab mich dazu entschieden den Upload-Rhythmus für Ippo etwas zu ändern. Statt jeden zweiten Tag wird es ab nächster Woche jeden Montag, Mittwoch und Freitag ein Kapitel geben. Ich hoffe, dass ist für euch okay :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 171 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 172 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 173 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 174 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Sex (Heavy Petting)

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 175 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: Trigger (Missbrauch)

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 176 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 177 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 178 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Shijin, weil sie mir die Idee zu der PoV ins Ohr gesetzt hat :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 179 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 180 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya

Warnings: Heavy Petting

Kommentar: Vielen Dank an Onlyknow3 fürs Gegenlesen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 182 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: Heavy Petting

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 183 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 184 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 185 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 186 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 187 / ??

PoV (Sicht): Isono

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Aria_Crown Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 188 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 189 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Satra0107, die sich ein Kapitel wünschte, in dem Mokuba seinen großen Bruder bittet von früher zu erzählen. Ich hoffe, dass Kapitel ist so, wie du es dir vorgestellt hast :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 190 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Onlyknow3, da sie mir immer, wenn ich hänge, auf die Sprünge hilft und eine der besten guten Seelen auf der Welt ist :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 191 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 192 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 193 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Sorry ihr Lieben, aber ich bin einfach kein Sommertyp. Ich vertrag keine Hitze und keine kurzfristigen Wetterumschwünge, daher fehlt mir leider derzeit einfach die Energie zum Schreiben. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 194 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 195 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 197 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 198 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: Handjob (?)

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 199 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: Ryuji ist Otogis Vorname Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 200 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 201 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Ich hab mir die künstlerische Freiheit erlaubt Isono einen Vornamen zu verpassen :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 202 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: An dieser Stelle möchte ich noch mal daran erinnern, dass ich - als Autorin dieser FF - kein Psychologe, Psychiater oder sonstiger Therapeut bin und Kai absolut fiktiv ist. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 203 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 204 / ??

PoV (Sicht): Isono / Roland

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 205 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 206 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 207 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 208 / ??

PoV (Sicht): Oshita Megumi

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Shijin Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 209 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito / Roland

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 210 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 211 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito / Roland

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 213 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 214 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 215 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito / Roland

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 216 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 217 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsyua / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 218 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, dass das Kapitel einen Tag zu spät kommt, aber gestern hab ich es einfach nicht mehr geschafft :( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 219 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito / Roland

Warnings: ---

Kommentar: Ho... Ho... Ho... Merry Christmas euch Lieben. Habt ein besinnliches Fest und ruhige Feiertage :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 220 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Ich hoffe ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen. Mich hat's nach Weihnachten leider völlig zerlegt, weshalb die drei Kapis im alten Jahr leider nicht mehr geklappt haben. - Sorry dafür :-( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 221 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet -Pharao-Atemu- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 222 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 224 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 225 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 226 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 227 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 228 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 229 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 230 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 231 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 232 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet -Pharao-Atemu- :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 233 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 234 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 235 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet -Pharao-Atemu- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 236 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 237 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 238 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 239 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 240 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 241 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 242 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, dass das Kapitel erst heute kommt, aber das Home Offices meines Mannes treibt mich dezent in den Wahnsinn XD Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 243 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 244 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 245 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 246 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 247 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 248 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 249 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Crew Yamyla Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 250 / ??

PoV (Sicht): Jonouch Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 251 / ??

PoV (Sicht): Jonouch Katsuya Senior / Joey Wheeler Senior

Warnings: ---

Kommentar: Gewidmet Aria_Crown und ihrem Freund Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 252 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 253 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 254 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 255 / ??

PoV (Sicht): Oshita Keizo

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 256 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 257 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: Da mein PC am Sonntag spektakulär sein Leben ausgehaucht hat und mein neuer auf sich warten lässt, weiß ich nicht, ob diese oder nächste Woche neue Kapis kommen werden. Sorry :( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 258 / ??

PoV (Sicht): Mutou Yuugi / Yugi Muto

Warnings: ---

Kommentar: So, endlich komm ich wieder zum Schreiben. Neuer PC war relativ fix am Start, doch dann hat mein Kater eine Bauchspeicheldrüsenentzündung bekommen, die uns den gesamten August auf Trab gehalten hat. Doch jetzt geht es ihm wieder tutti *klopft auf Holz* Also kann ich mich endlich wieder auf andere Sachen konzentrieren. In diesem Sinne ... viel Vergnügen mit dem heutigen Kapitel :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 259 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Mokuba Kaiba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 260 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto / Set Kaiba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 261 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 262 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto / Seto Kaiba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 263 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, dass am letzten Samstag kein Kapitel kam, aber vor der Rollenspielrunde hatte ich einfach keine Zeit mehr zum Schreiben gefunden -.-'' Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 264 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto / Seto Kaiba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 265 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 266 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 267 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: Missbrauch

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 268 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 269 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, erst hatte ich zwei Wochen Migräne und jetzt bin ich erkältet. Irgendwie läufts gerade gar nicht bei mir ... :( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 270 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 271 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Hab es gestern nicht mehr geschafft das Kapitel hochzuladen, daher bekommt ihr es heute, zum 02. Advent :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 272 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 273 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ich wünsche euch allen ein frohes neues 2021 - auf das es besser wird, als 2020 :D Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 274 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 275 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito / Roland

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 276 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 277 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 278 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 279 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 280 / ??

PoV (Sicht): Nagasato Yuki

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 281 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 282 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 283 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Tayler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 284 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 285 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 286 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 287 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 288 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 289 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 290 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 291 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 292 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, ihr Lieben, dass im Mai kein Kapitel kam. Anfang Mai hab ich mir eine fette Erkältung eingeheimst, die gut 10 Tage gewütet hat und danach war ich immer noch so geplättet und von RL-Terminen in Beschlag genommen, dass sich ein Schreiben einfach nicht ergab.
Nachdem ich im April es ja endlich mal wieder geschafft habe alle zwei Uploads die Woche umzusetzen haben mich einige ENS und PNs erreicht, dass man gar nicht mit dem Lesen hinterher kommen würde. Daher werde ich im Juni auf einen einwöchigen Rhythmus runtergerhen. Über Feedback würd ich mich freuen, ob das besser, schlechter oder eigentlich egal ist, wie oft ich hochlade. Gerne auch via ENS oder PN. Nur wenn ihr mir eine Rückmeldung gebt kann ich abschätzen, ob ich für Juli zum zweiwöchtigen Upload zurückkehren oder beim einwöchigen Rhythmus bleiben soll.
Genug der Vorrede, hier das erste Juni-Kapitel - Viel Spaß dabei :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 293 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 294 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 295 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 296 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 297 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 298 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 299 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 300 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 301 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ich musste das Kapitel nachträglich an einigen Stellen massiv überarbeiten, da sich der ursprüngliche Text im Widerspruch mit bereits beschriebenen Gegebenenheiten in vorherigen Kapitel befand - sorry :-( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 302 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

Kommentar: Auch hier musste ich nachträglich an manchen Stellen den Text anpassen, damit der wieder in Harmonie mit früheren Kapitel steht - sorry :-( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 303 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ihr Lieben, sorry das im Oktober kein Kapitel kam. Mir ist aufgefallen, dass ich im vorletzten Kapitel massive Kontinuitätsfehler eingebaut hatte und hab lange rumprobiert, wie ich Kapitel 301 umschreibe, damit 302 weiterhin Sinn macht. Ich musste in Kapitel 301 einige Stellen massiv umschreiben und in Kapitel 302 kleinere Stellen anpassen. Daher hätte ich die Bitte, dass ihr in die beiden Kapitel nochmal kurz reinschaut und drüberlest, damit wir wieder alle den gleichen - korrekten - Stand der Dinge haben - Merci :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 304 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 305 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 306 / ??

PoV (Sicht): Isono Mokuba (Kaiba Mokuba)

Warnings: ---

Kommentar: Gestern hab ich es leider nicht mehr geschafft, daher kommt der Upload ausnahmsweise mal an einem Montag :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 307 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Scheinbar sind dieses Jahr die Adventssonntage irgendwie verflucht :-( Daher kommt das neue Kapitel auch diese Woche an einem Montag :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 308 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: yay... Fluch gebrochen :D Endlich wieder ein Sonntagsupdate geschafft :-) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 309 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: nay... da ist der Fluch wieder -.- sorry, ich hab es gestern einfach nicht mehr geschafft :-( Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 310 / ??

PoV (Sicht): Isono Mokuba / Mokuba Kaiba

Warnings: ---

Kommentar: Ho - Ho - Ho - Frohe Weihnachten! Ein fröhliches Chanukka-Fest! Entspannte Feiertage! Ich wollte euch mit diesem Bonus-Upload heute eine kleine Freude machen. Habt entspannende Feiertage ihre Lieben :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 311 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

Kommentar: Ein frohes, neues Jahr, ihr Lieben. Hoffen wir alle gemeinsam, dass 2022 besser wird, als die letzten beiden Jahren, in denen wir in Geiselhaft einer Pandemie verbracht haben. :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 313 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Es tut mir leid, dass seit Mitte Januar nichts gekommen ist. Ich musste leider meinen Kater einschläfern lassen, der mich 16 1/2 Jahre jeden Tag mit vielen Schmuseeinheiten und einem sonnigen Gemüt begleitet, motiviert und inspiriert hat. Danach ging einfach erstmal gar nichts mehr. Aber ich kämpf mich gerade wieder zurück in die Aktivität und den Alltag, auch wenn ich ihn immer noch jeden Tag schmerzlich vermisse. Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 314 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 315 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Wortwörtlich bedeutet Animosität eine feindseelige Einstellung einer Person gegen jemanden oder etwas. Im heutigen Sprachgebrauch ist es eher eine Abneigung, Antipathie, Aversion gegen jemanden oder etwas... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 316 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Isono Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, dass das Update erst jetzt am Dienstag kommt, aber mein Mann hat sich dezent den Nacken verrenkt und war am Wochenende... schwierig zu handhaben -.-' Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 317 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: Anal-Verkehr

Kommentar: Ich wünsche euch frohe Ostern :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 318 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Isono Mokuba

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 319 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 320 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 321 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 322 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Isono Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 323 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 324 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

Kommentar: Ich hoffe ihr seid alle gut in 2023 hinein gerutscht und wünsche euch Gesundheit und Erfolg für das neue Jahr :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 325 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

Kommentar: Danke, dass ihr mir nach dieser langen Pause die Treue gehalten habt und immer noch so reges Interesse an meiner Geschicht habt :3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 326 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: Analverkehr

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 327 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Isono Mokuba

Warnings: ---

Kommentar: --- Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 328 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 329 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Taylor

Warnings: ---

Kommentar: Sorry, ich hab es gestern nicht mehr geschafft, dass Kapitel fertig zu schreiben. Ich hab da so eine On-Off-Erkältung, die immer dann aufflammt, wenn ich mal keine Verpflichtungen oder sowas habe und mich entspannen könnte -.-' Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 330 / ??

PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 331 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 332 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba (Isono Mokuba)

Warnings: ---

Kommentar: *hmpf - grmpf - murmel - grummel* Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 333 / ??

PoV (Sicht): Isono Akito

Warnings: ---

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Vorwort zu diesem Kapitel:
Teil: 334 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Mokuba (Isono Mokuba)

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PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

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PoV (Sicht): Kaiba Mokuba / Isono Mokuba

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PoV (Sicht): Kaiba Seto

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PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

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PoV (Sicht): Kaiba Seto

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Kommentar: Evaluation ist eine Auswertung und / oder Neubewertung, meist in der Wirtschaft oder Wissenschaft Komplett anzeigen
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Teil: 340 / ??

PoV (Sicht): Isono (Kaiba) Mokuba

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PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

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Kommentar: Es tut mir leid, dass im Moment nur wenig von mir kommt. Ich bin kein Sommermensch und leide unter den Temperaturen, die meine Kreativität abschnürrt und mir mehr Migräne und Kopfschmerzen bescherrt, als mir lieb ist :( Komplett anzeigen
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Teil: 342 / ??

PoV (Sicht): Honda Hiroto / Tristan Tyler

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PoV (Sicht): Otogi Ryuji / Duke Devlin

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Teil: 344 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

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Teil: 345 / ??

PoV (Sicht): Kaiba Seto

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Teil: 346 / ??

PoV (Sicht): Jonouchi Katsuya / Joey Wheeler

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Einen Schritt zur Seite

Ich stehe vor euch und ihr blickt mich nur ungläubig an. Scheinbar hattet ihr das nicht von mir erwartet. Aber warum überrascht mich das. Ich weiß, wie ihr mich seht. Kenne eure Meinung über mich. Und doch - obwohl wir schon seit Jahren miteinander zu tun haben, bin ich mir sicher, dass ihr nur das seht, was ich vorgebe zu sein. Was mich nicht überrascht, schließlich bin ich darauf gut trainiert.
 

Immer wieder wurde mir eingebläut, wie wichtig es ist, niemanden an sich heran kommen zu lassen. Niemals eine Schwäche zu zeigen. Und vor allem, niemandem zu vertrauen. Aber ein Leben, so einsam und leer, was ist das wert? Wenn man niemanden hat, an den man sich wenden kann. Sich niemals fallen lassen können, weil der Aufschlag einen umbringen könnte.
 

Nur allzu gern würde ich alles riskieren. Doch ist der Preis nicht zu hoch? Mit meinen Schwächen könnte man zerstören, was ich mühselig aufgebaut habe. Mit dem was ich fühle, könnte man mir das nehmen, was mir mehr als alles andere bedeutet. Und wieder habe ich Angst. Angst davor, dass ich genau dieses Risiko eben eingegangen bin.
 

Ich spüre eure Blicke auf mir ruhen. Immer noch könnt ihr nicht glauben, was gerade geschehen ist. Doch ich kann es nicht mehr ändern. Ich kann nur noch versuchen, euren Blickwinkel zu ändern, so, dass ihr andere Schlüsse zieht. Das Offensichtliche zu etwas völlig Anderem verbiegen und verleugnen.
 

Doch ich kann nicht! Ebenso wie ihr, bin auch ich erstarrt. Blicke euch nur kalt an. Würde ich mir selbst gegenüber stehen, ich glaube, ich könnte dem Blick nicht stand halten. Wann habe ich mir so einen vernichtenden Blick angeeignet? Wann bin ich zu so einem Arschloch mutiert?
 

Auf diese Fragen hab ich keine Antwort. Vielleicht auch besser so. Wahrscheinlich würde mir die Antwort nicht gefallen.
 

Keiner von euch weiß, wie sehr ich unter der Isolation leide, die ich mir selbst geschaffen habe. Wie schwer es ist, niemanden an sich heran zu lassen. Ein Leben zu leben, was man so nicht wollte. Aber was soll ich machen? Mich ändern? Unmöglich! Das geht nicht! Auf keinen Fall! Wie sollte ich auch?
 

Einfach stur zurück schauen, bis es euch zu dumm wird. Wie lange kann sich so etwas wohl hinziehen? Eine Minute, zwei? Oder gar Stunden... Tage... Wochen? Und auf einmal fällt mir auf, wie wenig ich eigentlich über euch weiß. Woher auch? Immer wenn ihr mir einen Schritt näher kommt, weiche ich zurück. Auch wenn ich es mit Ignoranz zu verbergen versuche.
 

Alles in mir steht Kopf. Warum denke ich überhaupt über all das nach? Alles was ich tun müsste, wäre mich abwenden und gehen. Seit wann bin ich irgendwem eine Erklärung schuldig? Schon gar nicht euch. Niemandem von euch! Und doch hält mich irgendetwas hier fest. Hindert mich daran, mich einfach umzudrehen und wegzugehen. Warum?
 

Warum hab ich es überhaupt getan? Einfach einen Schritt zur Seite. Genau das hätte ich tun sollen. Das hattet ihr doch alle erwartet, nicht wahr? Einen Schritt zur Seite, einen spöttischen Kommentar und dann... einfach weggehen! So, wie ich es schon so oft getan habe! Mit der ewigen Gleichgültigkeit für meine Mitmenschen.
 

Doch ich konnte nicht. Nicht dieses eine Mal. Dieses eine Mal wollte ich nicht der Arsch sein. Nicht der sein, der sich über den Schaden anderer Leute abfällig äußert. Sie damit noch mehr in den Schlamm drückt, in dem sie liegen. Doch warum nicht? Was war dieses eine Mal anders, als die vielen Male davor?
 

Und dann... dann blicke ich dir ins Gesicht und sehe deinen dankbaren Blick. Deinen Blick, der so viel mehr als 'Danke' zu sagen scheint. Der mich einlädt. Einlädt einer von euch zu werden. Einer von euch? Was für eine komische Vorstellung. Undenkbar. Dafür habe ich keine Zeit. Wie für vieles andere auch nicht! Für so vieles, was ich auch begehre.
 

Begehren? Auch? Das klingt schon fast so, als würde ich dich begehren. Absurd. Ich habe alles und noch viel mehr. Mir fehlt es an nichts. Und dennoch. Diese Einladung ist verlockend. Sehr sogar. Sie könnte mir helfen aus meiner Isolation zu fliehen. Wenigstens für eine kleine Weile. Aber sofort verwerfe ich diesen Gedanken wieder. Verwerfe ihn, wie so oft.
 

Kann nicht. Ertrage die Nähe nicht. Nicht einmal die Nähe dessen, der mir alles bedeutet. Traurig, oder? Aber so ist es. Wie soll ich da erst eure Nähe und Freundlichkeit ertragen? Lieber belasse ich alles beim Alten. Die Sticheleien und kleinen Andeutungen entsprechen doch auch viel eher meinem Charakter.
 

Und so bin ich gefangen, in den Mauern, die ich selbst errichtete, um mich zu schützen. Vor Schmerz und Enttäuschung. Aber sie sind so dick geworden, dass andere Regungen auch nicht mehr zu mir durchkommen. Freundlichkeit und Wärme. Das alles ist mir in den letzten Jahren so fremd geworden. Habe ich es überhaupt jemals gekannt?
 

Noch eine Frage, auf deren Beantwortung ich verzichte. Wieder aus Angst. Angst, die Antwort könnte mir wehtun. Mich verletzen. Hinter meinen dicken, unüberwindlichen Mauern. Mich erkennen lassen, was mir im Leben am meisten fehlt. Was ich mir wünsche. Was ich mein nennen will. Und was ich am Dringendsten auf dieser Welt brauche.
 

Und all das geht mir ausgerechnet in diesem Moment durch den Kopf. Immer noch schaut ihr mich alle an. So tue ich das Einzige, was ich in solch einer Situation im Stande bin zu tun. Vorsichtig stemme ich dich von meiner Brust, so dass du wieder alleine stehen kannst. Dass ich mich von euch lösen kann. Lösen, bevor ich noch mehr gefangen werde, von all diesen Gedanken und Gefühlen.
 

Ohne ein Wort, drehe ich mich um und gehe fort. Fort, ohne dir zu sagen, dass du in Zukunft besser darauf achten sollst, wohin du läufst. Damit du nicht mehr Gefahr läufst, auszurutschen und hinzufallen. Denn ich bin nicht immer da um dich aufzufangen. Dich aufzufangen und dir Halt zu geben.
 

Wahrscheinlich werde ich bis zum nächsten Mal ein weiteres Stück meiner Menschlichkeit eingebüsst haben. Eingebüsst durch mein selbst erbautes Exil, das mich nun gefangen hält. Und dann? Dann werde ich einfach einen Schritt zur Seite gehen. So dass du an mir vorbei fällst. Vorbei, in den Dreck, durch den ich gerade gelaufen bin.
 

Und dann kommt mir eine Frage in den Sinn. Eine Frage, die ich mir so nie wirklich gestellt habe: Muss es denn wirklich so sein? Ich auf der einen Seite und ihr auf der anderen Seite? Und wieder... wieder einmal kenne ich keine Antwort darauf. Und ohne diese Antwort laufe ich weiter. Weiter in das Gefängnis hinein. Mein Gefängnis!
 

***** ***** ***** ***** *****
 

Owari
 

***** ***** ***** ***** *****
 

*Ippo ni Yoko - Einen Schritt zur Seite

Einen Schritt vorwärts

Als ich über meine Schnürsenkel stolpere sehe ich mich schon am Boden in der Schlammpfütze liegen. Über und über mit Dreck bedeckt, nass bis auf die Knochen, so dass ich gezwungen wäre nach Hause zu eilen, um mich zu waschen und umzuziehen. Das wäre das letzte gewesen, was ich heute will: Vorzeitig nach Hause müssen!
 

Ich hör die erschrockenen Rufe meiner Freunde, als ich längst im Fallen bin. Sehe dich, wie du dich - von den Rufen aufmerksam geworden - zu mir drehst. Sicherlich gehst du gleich einen Schritt zur Seite, damit ich meinen Fall ungehindert fortsetzen kann. Vielleicht hast du dann auch einen Grund mich anzublaffen, wenn durch meinen Fall Spritzer vom Schlamm auf deinem teuer wirkenden Mantel landen.
 

Und du bewegst dich tatsächlich! Doch nicht zur Seite, wie ich es angenommen hatte, sondern einen Schritt auf mich zu! Fängst mich mit einem Arm auf. Stoppst abrupt meinen Fall in den Schlamm. Hältst mich fest. Gibst mir Halt.
 

Die besorgen und aufgeregten Rufe meiner Freunde - verstummt! Sicherlich sind sie von deiner Reaktion genauso verblüfft, wie ich es bin. Ja, was erwartest du bitte? Wie hätten wir auch mit so einer Reaktion rechnen können? Von dir! Dem eiskalten, gefühlslosen, egozentrischen Kaiba Seto.
 

Denn sonst hast du für uns - im Allgemeinen - und mir - im Speziellen - auch nichts anderes übrig als Spott und Hohn. Nutzt jede Gelegenheit deine Überlegenheit zu demonstrieren. Zu zeigen, wie viel besser du bist, als jeder einzelne von uns... oder zumindest besser als ich es bin. Mir mit Namen wie 'Köter' und 'drittklassiger Duellant' ganz klar zeigst, wie tief ich unter dir stehe.
 

Also wen wundert's jetzt wirklich, dass wir von deiner demonstrierten Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft überrascht sind? Dich? Wieso? Schließlich ist es doch nur deinem Verhalten geschuldet, dass wir diesen Eindruck von dir haben. Das wir dich für einen emotional verkrüppelten, unnahbaren Arsch halten. Du gibst dich doch so. Jeden Tag! Aber warum eigentlich? Was hat dich so werden lassen?
 

Die Fragen bei Seite schiebend blicke ich zu dir auf und bin dir dennoch dankbar. Dankbar, dass du heute nicht der gewohnte Arsch bist, der einen Schritt zur Seite machst und dich dann, wenn ich im Schlamm am Boden liege, noch über mich lustig machst. Unsere Blicke treffen sich. Aber keine Schadenfreude ist in deinen Augen abzulesen. Keine Abwertung. Kein Spott! Da sind nur... Traurigkeit! Einsamkeit! Überraschung?
 

Bist du etwa gerade von deiner eigenen Aktion überrascht? Warum? Wenn wir eines wirklich mit Bestimmtheit wissen, dann das der großartige, mächtige Kaiba Seto niemals etwas tun würde, was er nicht wirklich selbst wollen würde. Also woher kommt deine Überraschung?
 

Aber was mich wirklich erschreckt ist die Einsamkeit, die ich bei dir sehe. Obwohl ich es nicht verstehe, denn du hältst uns doch auf Abstand. Gehen wir einen Schritt auf dich zu, weichst du diesen Schritt zurück. Mit deinem ganzen Sein scheinst du stets darum bemüht zu sein, uns von dir wegzustoßen. Wovor hast du nur solche Angst?
 

Und dann ist da noch die Traurigkeit! Aber woher kommt diese Traurigkeit? Auf was bezieht sie sich? Ich verstehe dich nicht. Wie kann jemand, der von sich selbst behauptet klar strukturiert und logisch zu sein nur so voller Widersprüche und Rätsel sein? Wie wird man nur so verworren?
 

Vielleicht würde es dir einfach gut tun, wenn du mal über deinen eigenen Schatten springst und etwas Zeit mit uns verbringen würdest. Etwas weniger Arbeit, etwas mehr Spaß. Ganz ohne das ganze Konkurrenzdenken, was dich sonst scheinbar antreibt. Einfach mit gleichaltrigen Dinge tun, die man in unserem Alter so tut. Burger essen bei Burger World, ein vergnüglichen Nachmittag in einem Freizeitpark, einfach so zum Spaß Duel Monsters spielen - ohne dass das Schicksal der ganzen Welt oder irgendein Titel dran hängt.
 

Für einen kurzen Moment glaub ich erkennen zu können, wie gern du der unausgesprochenen Einladung nachkommen magst. Doch irgendwas hindert dich dran! Du zögerst. Sehe ich da ein Begehren in dir? Was begehrt der große Kaiba Seto, was er sich nicht schon längst mit all seinem Geld sicherlich gekauft hat? Gibt es überhaupt etwas, was du nicht hast?
 

Ich frag mich wie du wohl bist, wenn du mit deinem kleinen Bruder alleine bist. Bist du dann auch so unnahbar? So von oben herab? Ein Arsch sondergleichen? Oder bist du dann fürsorglich? Liebevoll? Wie ein richtiger, großer Bruder? Schwer vorzustellen. Aber ich will es hoffen!
 

Ich halte kurz inne... seit wann mache ich mir eigentlich so viele Gedanken zu dir? Dir, der mich so gut wie nie wahrnimmt! Dir, der nicht ein gutes Haar an mir lässt, wenn er mich mal registriert! Dessen Highlight des Tages scheinbar ist mich so lange zu provozieren und zu triezen, bis ich auf 180 bin und explodiere. Mir seine Überlegenheit mit seiner Wortgewandtheit demonstriert und mir nur wieder einmal deutlich vor Augen führt, wie weit unter ihm ich eigentlich stehe.
 

Wenn ich ehrlich zu mir selbst wäre, müsste ich mir eingestehen, dass ich öfters über dich nachdenke. Dich und deine Art! Die Fragen, die ich habe, kommen nicht von ungefähr. Gerne würde ich mir die Antworten auf all diese Fragen holen. Doch wie? Dazu müsste ich dir näher kommen, doch das würdest du niemals zulassen! Niemals!
 

Und dann spüre ich, wie du mich von dir wegstemmst. Vorsichtig. Behutsam. Rücksichtsvoll. Lässt meine Schultern erst dann los, als du dir ganz sicher bist, dass ich stehe und nicht gleich wieder umfalle. Dann, fast zögerlich, löst du dich von mir. Drehst dich um. Gehst einfach fort. Nicht mal einen bissigen Kommentar lässt du zurück. Kein "Pass das nächste Mal besser auf!" oder "Zu dumm zum Laufen oder was?".
 

Was, wenn ich das nächste Mal strauchel und drohe hinzufallen? Wirst du mich dann wieder auffangen oder wirst du dann einen Schritt zur Seite gehen und mich fallen lassen? Ich hoffe, du wirst mich auffangen! Denn auch wenn ich das niemals offen zugeben würde, es fühlte sich verdammt gut an, von dir gehalten zu werden!
 

Es muss doch nicht so sein, dass du auf der einen Seite stehst. Alleine! Wir auf der anderen Seite. Du brauchst nur einmal stehen bleiben, wenn wir den nächsten Schritt auf dich zu wagen. Oder selbst den Schritt auf uns zu wagen. Du musst nicht einsam sein! Keine Angst haben! Lass uns dir helfen, deine Traurigkeit hinwegzufegen. Dann bist du vielleicht beim nächsten Mal nicht mehr von deiner eigenen Menschlichkeit überrascht!
 

Ungläubig blicke ich dir einfach nur hinterher!
 

***** ***** ***** ***** *****
 

Owari ka?
 

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Einen Schritt auf ihn zu

Es ist eigentlich jeden Tag das gleiche: Ich stehe auf. Badezimmer. Anziehen. Hausbüro. Ich schau meinen Terminplaner für den Tag durch, damit ich weiß was auf mich zukommt. Esszimmer. Frühstück mit Mokuba. Ich genieße diese kurze Zeit mit meinem kleinen Bruder. Ich genieße die Zweisamkeit mit ihm. Mir ist bewusst, dass das nicht selbstverständlich ist. Egal, ich schweife ab! Nach dem Frühstück bring ich Mokuba zur Schule und lass mich dann selbst absetzen.
 

Schule! Die meisten meiner Mitschüler könnten darauf verzichten. Sie sind genervt, gelangweilt und empfinden es als lästige Pflicht. Die wissen gar nicht, was für ein Privileg es ist zur Schule zu gehen. Keiner von ihnen ist je von einem Hauslehrer unterrichtet worden. Teilweise bis zu vierzehn Stunden am Tag. Jeden Tag. Keine Freizeit. Keine Wochenenden. Keine Ferien. Das hier ist Entspannung!
 

Ich gebe mich, wie die meisten von euch, genervt. Gebe mich nach außen so, als könnte ich mit meiner Zeit etwas besseres anfangen. Als wäre es lästig jeden Tag zur Schule zu kommen, hier bis nachmittags im Unterricht im Klassenverband zu sitzen und mich mit Themen langweilen zu lassen, die ich schon vor Jahren im Heimunterricht durchgenommen habe.
 

Aber die Wahrheit ist: Ich will hier sein! Montag bis Freitag! An einer staatlichen Schule. Mit dem ganzen Geld hätte ich auch auf eine Privatschule gehen können. Genauso wie ich Mokuba auf eine Privatschule hätte schicken können. Wollte ich aber nicht. Nach all den Jahren, die ich in Isolation alleine unterrichtet worden bin, wollte ich erfahren, wie es ist ein normaler Schüler an einer normalen Schule zu sein.
 

Ich beobachte meine Mitschüler. Ihre Sorglosigkeit. Ihre Probleme. Das was ihnen wichtig ist. Und beneide sie! Beneide sie darum, dass sie sie selbst sein dürfen. Dass sie keine andere Verantwortung tragen müssen, als die für sich selbst!
 

Sie haben keine Firmen zu leiten! Tragen keine Kämpfe aus!

Mit dem eigenen Vorstand, der zu alt und engstirnig für junge und moderne Konzepte ist. Der mich ständig irgendwie austricksen und mir die Firma wegnehmen will.

Der Geschäftswelt, die mich nicht für voll nimmt, weil ich in ihren Augen noch ein 'Kind' bin. Ein 'Kind', das mehr auf dem Kasten hat, als sie jemals haben werden! Was ihnen nicht passt. Aber sie kommen nicht an mir vorbei!

Mit dem Gericht, dass mir meine Mündigkeit nicht gewähren will. Das sich so auf mein Alter versteift, dass es gänzlich ignoriert, wer und was ich bin. Was ich schon geleistet habe. Doch mein Anwalt hat das durchgeboxt. Hat auch nur zwei Richterwechsel benötigt!

Dem Jugendamt, dass meine Vormundschaft über Mokuba nicht anerkennen will! Das droht ihn mir wegzunehmen. Die Angst, dass ich nach Hause komme und da ist kein Bruder mehr, begleitet mich tagtäglich. Noch kann ich das Jugendamt auf Abstand halten, aber nur ein Fehler... mir graut es bei dem Gedanken, dass ein Beamter zu uns nach Hause kommt und mir Mokuba wegnimmt.
 

Ich würde keinen der Kämpfe durchhalten, wenn ich mir mit der Schule keine Verschnaufpause erzwingen würde. Niemand kann etwas dagegen sagen, wenn jemand in meinem Alter die Oberschule besuchen möchte. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass ich ohne einen Oberschulabschluss keine Chance hätte auf eine Uni zu kommen. Nicht das ich studieren will oder müsste! Auch dieses Wissen wurde mir von meinem Hauslehrer und ihm... von Gozaberu eingeprügelt... wortwörtlich!
 

Doch auch wenn ich das hier alles freiwillig mache, zeigt es mir doch auch so oft, was ich nicht habe und nicht haben kann! Ich bin nicht wie die anderen hier. Schon am Anfang hab ich gemerkt, dass ich keinen Zugang zu meinen Mitschüler finde. Oft reagiere ich schneller, als es mir lieb ist. Auf diese mir typische Art und Weise - wie man mir mittlerweile nachsagt. Abfällig. Sarkastisch. Eiskalt. Sie alle denken, weil ich mich für etwas besseres halte, als sie es sind. Aber tatsächlich - und es fällt mir nicht leicht, das auch nur zu denken - weil ich Angst davor habe, was passieren könnte, wenn ich die anderen nicht auf Abstand halte.
 

Was, wenn ich versucht hätte, Freunde zu finden und niemanden gefunden hätte? Würde die Einsamkeit dann nicht noch mehr schmerzen? Denn dann wäre sie nicht mehr selbstgewählt sondern aufgezwungen!

Was, wenn ich einen Freund gefunden hätte, dem ich meine Gedanken und Gefühle anvertraue, und er mich verrät? Meine Gedanken und Gefühle an die Presse verkauft? Nur um ein bisschen Geld zu machen. Sich für eine kurze Weile ein besseres Leben zu erkaufen.

Durch die Presse beeinflusst könnte das Amt meine Vormundschaft endgültig ablehnt? Ohne Mokuba hätte ich keine Kraft für das Theater in der Firma. Sähe in all dem keinen Sinn mehr.
 

Nur Mokuba zuliebe hole ich alles aus mir raus. Er ist mir das Wichtigste. Ich habe ihm versprochen uns aus der Armut zu befreien. Dieses Versprechen hab ich gehalten. Zu welchem Preis? Das ist egal! Den hab ich alleine bezahlt. Damit mein Bruder alles hat, was er braucht und noch viel mehr darüber hinaus. Hab damit die Zeit, als uns niemand wollte, als wir auf die Mildtätigkeit Fremder angewiesen waren, weggewischt. Sicherlich kann er sich heute nicht mal mehr erinnern, dass es eine solche Zeit gab.
 

Wie kann ich da, durch meine selbstsüchtigen Träume und Wünsche, auch nur in Betracht ziehen, dass alles zu gefährden und zu riskieren? Also bleibe ich für mich! Halte jeden auf Abstand! Bekomme Bestnoten! Erreiche einen Erfolg nach dem anderen in meinem Geschäftsleben! Ich bin eine Erfolgsstory! Also was jammere ich hier über Einsamkeit und Isolation rum?
 

Längst sind alle gewohnt, mir aus dem Weg zu gehen. Kreuzt einer meinen Weg kriecht er umgehend wieder unter den Stein, unter dem er zuvor hervor gekrochen ist! Ab und zu gönn ich mir soziale Interaktion. Manchmal. Aber ohne Gefahr zu laufen, dass mir jemand zu nahe kommt. Einige wohlplatzierte Worte und die Reaktion von gewissen blonden Straßenköter sind abzusehen. Ein wenig Schlagabtausch. Nur kurz. Weil ich es für diesen Moment genieße nicht alleine in der Ecke zu stehen! Für einen kurzen Moment bin ich Teil von etwas. Nur bis der Schlagabtausch fertig ist. Dann steh ich wieder außerhalb.
 

Wie immer bin ich zur Mittagspause aufgestanden und in den Waschraum gegangen. Ich mach das nicht, weil ich so dringend meine Blase entleeren müsste. Es ist eher die Flucht vor den Blicken meiner Mitschüler, wenn sie zur Mittagspause aufbrechen und das Klassenzimmer verlassen, während ich sitzen bleibe. Für gewöhnlich kehr ich in das Klassenzimmer zurück, nachdem die Flut der Schüler die Gänge verlassen hat. Setze mich an meinen Laptop. Arbeite etwas für den Nachmittag vor. Nicht weil ich müsste! Ich täusche damit nur darüber hinweg, dass niemand mit mir die Pause verbringen möchte! So erwecke ich den Anschein beschäftigt zu sein.
 

Doch als ich heute aus dem Waschraum zurück kehre, ist etwas anders, als sonst! Mein Laptop liegt wie üblich auf dem Tisch. Doch auf ihm... auf ihm steht etwas! Etwas, was da nicht hingehört! Ich blicke in den Flur vor dem Klassenzimmer: Leer! Noch ein prüfender Blick in das Klassenzimmer: Leer! Außer mir ist keiner da.
 

Zögerlich trete ich an meinen Platz heran. Das ist definitiv eine Bentō Box auf meinem Laptop. Keine gekaufte oder aus einem Automaten gezogene Bentō Box. Es ist eine schlichte schwarze Bentō, die man selbst befüllt und auf der ein Faltkärtchen steht. In klaren, schnörkellosen Schriftzeichen steht da 'Guten Appetit, mein Drache!'.
 

Jetzt steh ich hier, wie vom Blitz getroffen und weiß nicht was ich tun soll!

Keinen Schritt zurück

Ich stehe im Türrahmen und sehe dich an deinem Schreibtisch sitzen. Noch hast du mich nicht bemerkt. Du scheinst tief in Gedanken versunken zu sein. Das ist nichts neues für mich. Was mich irritiert ist, dass du nicht an deinem Laptop arbeitest. Vor dir auf dem Tisch steht eine schwarz lackierte Bentō-Box. Komisch. Seit wann besitzen wir Bentō-Boxen? Du nimmst doch sonst nichts mit in die Schule und ich kauf mir in der Mensa mein Mittagsessen.
 

Langsam trete ich in dein Hausbüro. Schritt für Schritt nähere ich mich deinem Schreibtisch. Erst als ich direkt vor dem Schreibtisch stehe scheinst du mich zu bemerken. Du blickst zu mir auf und lächelst mich an. Ich bin der einzige, der diese Seite von dir zu sehen bekommt. Mir gegenüber bist du nicht der Geschäftsmann! Nicht der wiederholte Duell Monster-Meister! Nicht der Arsch, den du vorgibst zu sein, wenn du in der Schule bist!
 

Für mich bist du einfach mein großer Bruder. Der mir immer zuhört! Der mir selbst nach einem langen, anstrengenden Tag in der Firma noch bei den Hausaufgaben hilfst. Der sich morgens die Zeit nimmt mit mir zu frühstücken, auch wenn er selbst dabei kaum was isst. Der für mich alles stehen und liegen lassen würde, wenn ich ihn nur darum bitten würde.
 

Aber ich bin nicht blind! Ich sehe wie du leidest. Unter IHM! Obwohl ER schon lange nicht mehr da ist. Dennoch kannst du IHN nicht abschütteln. Nicht hinter dir lassen. Wirist von IHM verfolgt. Ich weiß nicht, ob es dir bewusst ist, wie sehr er dich noch kontrolliert. Dich beherrscht. Dein Verhalten beeinflusst. Mit all dem Mist, den er dir eingebläut hat.
 

Deshalb hältst du jeden auf Abstand. Lässt niemanden an dich ran. Nach außen magst du kontrolliert, selbstbewusst und emotionslos wirken. Doch ich bin dein Bruder. Ich weiß, dass das nur Fassade ist. Kenn dich mein Leben lang. Weiß wie du warst. Sehe wie du dich gibst. Das passt nicht zusammen.
 

Du willst mich beschützen. Das machen große Brüder nun mal. Und ich bin dafür dankbar. Aber manchmal sehe ich mehr, als dir bewusst ist. Mehr als ich dir sage. Denn ich weiß, wenn ich dir das erzählen würde, würdest du auch von mir Abstand nehmen. Aus Angst. Nicht aus Angst vor mir. Du hast Angst davor dich dem zu stellen, was ich real werden lassen kann, wenn ich es ausspreche. Also behalte ich es für mich.
 

Der Grat auf dem du balancierst ist schmal. Bring ich dich aus dem Gleichgewicht, dann stürzt du. Fällst in den bodenlosen Abgrund. Das möchte ich nicht. Ich würde dich gern auf die sichere Seite ziehen. Weg vom Abgrund. Dahin, wo du auch mal straucheln und fallen kannst ohne alles verlieren zu können. Auf der du aufgefangen wirst und man dir hilft wieder aufzustehen. Aber ich weiß auch, dass ich das nicht alleine schaffen kann.
 

Ich brauch dafür Hilfe! Menschen, die sich nicht von deinem Gehabe abschrecken lassen. Denen es nicht zu anstrengend ist, immer wieder einen Schritt auf dich zuzumachen. Die nicht aufgeben, wenn du vor ihnen zurück weichst oder sie von dir stößt. Echte, wahre Freunde, deren Loyalität ohne Zweifel und Makel ist. Bei denen du keine Angst haben musst, dass sie dich verraten und verkaufen.
 

Yugi kommt mir in den Sinn. Mit seinem hellen Lächeln und dem grenzenlos naiven Vertrauen in das Gute. Jonouchi-kun, der sich ohne Zögern vor seine Freunde stellen und bis zum bitteren Ende kämpfen würde. Honda-kun, der sich geduldig Probleme seiner Freunde anhört und immer einen guten Rat in petto hat.
 

Doch wie kann ich sie um Hilfe bitten ohne etwa offenbaren zu müssen? Wenn ich ihnen offenbare, wie und warum du bist, wie du bist, käme das einem Verrat gleich. Jedenfalls fühlt es sich für mich so an. Sicherlich könnte ich Yugi auch um Hilfe bitten ohne ihm die ganze Wahrheit zu offenbaren. Er würde sie mir nicht verwehren. Nicht Yugi. Aber Jou-kun und Honda-kun würden nicht aufhören zu bohren und irgendwann... da würde ich mich verplappern.
 

Aber ich kann auch nicht länger tatenlos neben dir stehen. Zuschauen, wie du in deiner Isolation zu Grunde gehst. Weil du glaubst, dass es anders nicht geht. Du irrst dich und dass möchte ich dir aufzeigen. Es muss nicht so sein, wie es ist. Es kann besser sein. Wenn du mir vertraust und ich dich führen darf.
 

Doch ich weiß auch, dass du Kontrolle nicht abgeben kannst. Du musst die Gewissheit haben, dass du jederzeit die Fäden in der Hand hältst. Sagst, wo es lang geht. Weißt, was dich erwartet. Ohne Kontrolle gerätst du in Panik. Klar, kannst du das nach außen vor anderen überspielen. Doch ich weiß, wie es in dir aussieht!
 

Ich weiß, dass das noch so ein Überbleibsel aus der Zeit ist, als ER noch hier war. ER, der dir jede Selbstbestimmung verweigert hat. Der dich mit Gewalt in die Richtung gezwungen hat, die ER vorgegeben hat. Ohne eine Chance dich ihm zu entziehen oder dich zur Wehr setzen zu können. Es war ihm egal, was du wolltest. Ihm war nur wichtig, dass du funktioniertest. Egal zu welchem Preis!
 

Genug ist genug. Ich werde nicht länger zulassen, dass du weiter unter IHM leidest. Dem, der längst fort ist. Der dir nicht mehr gefährlich werden kann. Dir nicht mehr weh tun kann. Niemals wieder. Ich werde dir helfen, deine Wunden endlich heilen zu lassen. Sanft und behutsam werde ich dich aus deiner Isolation führen. Vielleicht dauert es eine Weile, aber ich werde das schaffen.
 

Ich umarme dich. Langsam. Behutsam. Ich spüre, wie schwer es dir fällt Nähe zu ertragen. Selbst meine. Umarmungen sind eine Seltenheit. Wenn du sie zulässt, sind sie kurz. Als würdest du dich verbrennen, wenn du mich zu lange an dich drückst. Aber das ist in Ordnung. Solange du es dennoch ab und zu zulässt.
 

Als wir uns voneinander lösen fällt mein Blick wieder auf die Bentō-Box. Neben ihr steht ein Faltkärtchen auf dem in klaren Schriftzeichen "Guten Appetit, mein Drache!" steht. Ich muss kichern. Wer nennt Seto denn bitte 'Drache'? Und wer erhebt da Besitzansprüche an meinen Bruder?
 

Die Bentō selbst ist offen und ich kann sehen, dass sie reich gefüllt ist. Vor allem die Onigiri fallen mir auf. Irgendwer hat sich hier die Mühe gemacht sie rund zu formen und mit Nori einen Drachenkopf daraus zu gestalten. Zwei blauen, kleinen Früchte sind als Augen eingefügt worden. Das sieht ja aus wie der Blue Eyes White Dragon von der Lieblingskarte meines Bruders!
 

Wer hat sich da solche Mühe gemacht? Wer ließ sich nicht von deinem Auftreten abschrecken? Eigentlich konnte es nur jemand von den anderen sein! Yugi, Jou-kun oder Honda-kun. Wer sonst hätte diesen Schritt gewagt?
 

Ich nehme eines der beiden Onigiri und halte es dir hin. Du blickt mich zweifelnd an, nimmt das Reisbällchen aber schließlich doch in die Hand. Nach einem weiteren Moment beißt du ab und ich hab den Eindruck, dass es dir schmeckt. Dann bietest du mir das zweite an und ich greife zu. Obwohl Onigiri so eine einfache Sache sind schmeckt dieses echt gut. Etwas fruchtig. Süß. Gemeinsam leeren wir das Bentō Stück für Stück und sind überrascht davon, wie gut die Kleinigkeiten schmecken. Wer auch immer diese Bentō zusammengestellt hat, hat das nicht zum ersten Mal gemacht und wusste was er tat.
 

Als ich zu dir aufschaue siehst du irgendwie zufrieden aus. So hab ich dich schon lange nicht mehr gesehen. Und ich spüre, wie ich mich darüber freue, dass du dieses Mal keinen Schritt zurück gewichen bist. Dass du dieses Geschenk angenommen und akzeptiert hast.

Einen Schritt zur Erkenntnis

Ich stehe an deinem Pult und schaue auf dich hinunter. Du hast die Arme gekreuzt vor dir auf den Tisch gelegt und den Kopf darauf gebettet. Dein blondes Haar steht wirr ab. Friedlich schläfst du. Hier. In der Schule. Früher hätte ich dich jetzt unsanft geweckt und einen dummen Kommentar platziert, der dich in Rage versetzt hätte. Daraufhin hätte sich ein verbaler Schlagabtausch zwischen uns entwickelt. Am Ende wärst du wutentbrannt aufgesprungen und aus dem Klassenzimmer gestürmt. So war das schon immer zwischen uns.
 

Doch irgendwie kann ich das heute nicht. Nicht, nachdem ich dich gestern gesehen hab. Ich war auf dem Weg zu einem geschäftlichen Treffen in einem Café im Zentrum. Wie ich Termine außerhalb meiner Firma hasse! Vor allem, wenn meine zukünftige Business-Partner mit mir Essen gehen wollen. Zum Glück konnte ich sie davon überzeugen nur in ein Café zu gehen. Das meiste Zeug, was sie in den Edelrestaurants anbieten, verabscheue ich! Man wird es mir wohl kaum glauben, aber tatsächlich liebe ich traditionelle, japanische Küche! So wie diese Bentō-Boxen, die mir irgendwer in letzter Zeit immer wieder zur Mittagspause auf meinen Laptop stellt.
 

Noch immer hab ich nicht heraus gefunden, wer mir die Boxen dahin stellt. Klar, ich hätte mich auf die Lauer legen können und so einfach denjenigen auf frischer 'Tat' ertappen können. Aber dann hätte diese kleine Geste ihre Bedeutung verloren und mir das Gefühl gegeben, dass ich dem anderen einen Gefallen oder eine Gegenleistung schuldig bin. Vielleicht war der andere auch darauf aus. Möglich! Aber dann hätte er sich doch längst zu erkennen gegeben und etwas eingefordert, oder?
 

Auf dem Weg zum Café kam ich am Burger World vorbei und dort habt ihr beisammen gesessen und euch Burger und Pommes schmecken lassen. Ihr habt gelacht und hattet Spaß. Wild gestikulierend habt ihr euch unterhalten und für einen Moment keimte in mir wieder der Neid auf. Neid auf eure Unbeschwertheit und Sorglosigkeit.
 

Es nervt mich! Nervt mich, dass ich auf euch reagiere und solche Empfindungen sich mehren. Wenn ich nur wüsste, wieso das so ist! Dann könnte ich es abstellen oder ignorieren. Und warum reagiere ich nur auf euch so. Bei anderen aus unserer Klasse ist mir das alles so egal. Aber wenn ich jemand von euch sehe, dann wallen diese Gefühle in mir auf. Ich weiß einfach nicht, was an euch so anders ist!
 

Mit einem verächtlichen Schnaufen war ich weiter gegangen und in das gegenüberliegende Café eingetreten. Meine Business-Partner waren schon da und hatten sich einen Tisch an der großen Fensterfronst geben lassen. Na toll! Jetzt konnte ich während dem gesamten Geschäftstreffen euch Affen bei Burger World beobachten, allen voran dich, der immer wieder aufsprang und seine Freunde zum Lachen brachte. Und ich saß im Café, mit zwei Herren, mittleren Alters, die mich mit Businessplänen und Zukunftsträume von gestern langweilten.
 

Am Ende meines Meeting schlüpfte ich in meinen Mantel, während die beiden älteren Herren sich überschwänglich von mir verabschiedeten. Immer wieder verbeugten sie sich tief. Aber meine Aufmerksamkeit galt schon längst nicht mehr ihnen. Ich sah durch die Fensterfront, wie du aus dem Burger World heraus kamst. Hast noch einmal deinen Freunden mit einem breiten Grinsen im Gesicht gewunken und bist bis zur Ecke geschlendert. Dann sah ich nur noch wie du es plötzlich eilig hattest.
 

Als ich aus dem Café trat musste ich meinen Mantel enger um mich raffen. Ein eisiger Wind kam mir entgegen und ich frage mich, wie du bei den Temperaturen immer noch im T-Shirt durch die Gegend rennen kannst. Das du dir dabei nicht den Tod holst ist für mich ein Wunder. Obwohl... letztes Jahr im Winter hattest du auch nur diese dünne Freizeitjacke. Ich kann mich erinnern, wie Honda dich darauf angesprochen hat und du grinsend abgewunken hast. Dir wäre nie kalt. Du hättest Hitze in dir. Irgend so etwas hast du von dir gegeben. Allerdings nicht sehr glaubwürdig. Vor allem weil deine Zähne geklappert hatten, während du versucht hast locker bei deinen Freunden zu stehen.
 

Ich war dann nur zurück in die Firma gefahren. Hatte noch einige Arbeit, die ich erledigen musste. Einige Zahlen überprüfen. Langweilige Berichte lesen. Irgendwann, es war wohl gegen halb zwölf, bin ich dann aufgestanden. Draußen war es schon lange dunkel, aber in mir regte sich doch ein kleiner Hunger. Also hab ich meinen Rechner ausgemacht und habe die Firma verlassen. Isono hatte schon auf mich gewartet, doch ich winkte ab und gab ihm zu verstehen, dass ich noch schnell in das Conbini an der Ecke wollte.
 

Es war nur ein kleiner Laden, der keiner größeren Kette angehörte. Dennoch hielt er sich, wohl wegen seiner profitablen Lage als Eck-Laden ganz gut über Wasser. Dennoch suchte ich ihn eher selten und unregelmäßig auf. Eigentlich nur, wenn ich Lust auf etwas ganz bestimmtes hatte. Eine Süßigkeit, die es nur dort gab und mich an meine frühe Kindheit erinnerte.
 

Doch ich bin nicht rein. Ich war noch beim ersten Schaufenster stehen geblieben und hatte nicht glauben können, wen ich in diesem speziellen Conbini sah: Dich! Du warst nicht einkaufen, das war mir sofort klar. Denn du hast eine Schürze umgebunden gehabt und warst gerade dabei eine Sauerei auf dem Boden wegzuwischen. Scheinbar hatte irgendwer eine Flasche fallen gelassen, die beim Aufprall kaputt gegangen und ihren klebrigen Inhalt auf dem Boden verteilt hatte.
 

Du hast dort drinnen, mit der Schürze um Brust und Hüfte so anders gewirkt, als noch einige Stunden davor mit deinen Freunden bei Burger World. Du hattest keines deiner berühmten Lächeln auf dem Gesicht. Keinen flotten Spruch auf den Lippen. Du hast dich nicht ungeschickt dran gestellt und das bestehende Chaos noch vergrößert. Du hast deine Arbeit präzise, schnell und sauber erledigt. Eine Frau war auf dich zugekommen und als sie dich ansprach, schnellte dein typisches Grinsen auf dein Gesicht. Sie wollte wohl wissen, wo sie irgendwas fand und du hast es ihr gezeigt. Als sie sich abwandte, um zur Kasse zu gehen, wich dein Lächeln augenblicklich. Es war erschreckend, wie leicht es dir fiel dein Grinsen an- und abzustellen.
 

Ich hab bestimmt eine halbe Stunde an dem Schaufenster gestanden und dich bei deiner Arbeit beobachtet, bis der alte Mann von der Kasse zu dir kam und dir auf die Schulter klopfte. Du hast ihn angelächelt, deine Schürze abgenommen und weggebracht. Als du wieder in den Laden kamst gab der Mann dir eine Papiertüte, ihr habt euch verabschiedet und du bist gegangen. Kaum warst du aus dem Laden und hattest dich in die andere Richtung gewandt bist du wieder losgespurtet. Wieder so eilig, wie am Nachmittag!
 

Nachdenklich wandte ich mich von dem Conbini ab und ging zurück zu meinem Wagen, an dem immer noch Isono stand und auf mich wartete. Er öffnete unaufgefordert die Tür und ließ mich einsteigen. Es hatte mich ehrlich überrascht herauszufinden, dass dein Leben scheinbar doch nicht nur aus faulenzen bestand und du ganz offensichtlich nach der Schule arbeitest. Ob die Schule davon wusste? Immerhin waren die Schulregeln in diesem Punkt eindeutig formuliert. Egal! Ging mich nichts an.
 

Aber diese Erkenntnis erklärt, wieso du so oft müde wirkst und manchmal in der Schule eindöst. Nicht wirklich tief und fest. Eine leichte Berührung von Honda oder Yugi und du bist hellwach. Früher dachte ich, es liegt am Desinteresse an der Schule. Doch heute... sehe ich es anders. Wenn du jeden Tag so wie gestern fast sechs Stunden noch in irgendeinem Conbini schuftest, dann bleibt da nicht viel Zeit für Hausaufgaben, Lernen oder Schlafen.
 

Ich seufzte, setze mich hinter dich auf meinen Platz und erstarre. Keine Bentō-Box! Hat sich mein Gönner durch den Blonden abschrecken lassen? Und plötzlich dämmert mir da etwas und meine Augen weiten sich. Das kann unmöglich sein! Nein! Auf gar keinen Fall!

Einen Schritt entgegen

Letzte Schulstunde! Noch 45 Minuten und ich hab die Schule für heute hinter mir. Eigentlich bin ich gerne hier. Na ja, mehr oder weniger. Es gibt Sachen an der Schule, die ich super find, wie meine Freunde hier zu treffen oder einfach abgammeln zu können. Andere Sachen sind nicht so dufte, wie Unterricht und Lehrer. Ich komm schon seit einiger Zeit mit dem Stoff nicht mehr richtig hinterher. Dafür verpass ich zu viel, selbst wenn ich im Unterricht anwesend bin. Entweder bin ich gedanklich wo ganz anders oder ich penn ein, weil ich mal wieder eine viel zu kurze Nacht hinter mir habe.
 

Aber was soll ich machen? Mein Alter kriegt es ja nicht auf die Kette sich 'ne Arbeit zu suchen und zu halten. Zum Amt will er auch nicht. Irgendwas von Stolz und keine Almosen annehmen. Dennoch ist Monat für Monat Miete fällig. Strom. Nebenkosten. Essen wollen wir auch. Dazu stottere ich die Schulden meines Vaters ab. Der Alte kann die Finger nicht vom Mahjong lassen, nur das er darin nicht besonders gut ist! Und bevor irgendwelche obskuren Yakuza uns zu Hause besuchen geh ich eben malochen.
 

Für gewöhnlich arbeite ich von fünf bis elf Uhr abends in einem Conbini. Hab extra eines gesucht, dass so liegt, dass keiner meiner Freunde jemals da vorbei kommt. Der einzige Nachteil ist, dass das Conbini praktisch gleich um die Ecke des Kaiba Corp-Tower liegt. Aber der großartige Kaiba Seto würde ohnehin nie in einem Conbini einkaufen gehen. Er lässt höchstens einkaufen.

Nach dem Conbini spül ich an drei Abenden in einem Restaurant von Mitternacht bis zwei Uhr früh Geschirr. Wenn ich Glück hab brauchen sie auch am Wochenende eine Küchenhilfe. Dann arbeite ich meist schon ab Mittag bis Mitternacht oder länger. Bringt gut Kohle.

An den anderen beiden Tagen in der Woche trage ich ab fünf Uhr in der Früh Prospekte aus. Alles in allem ist es Monat für Monat knapp, aber es reicht. Solange nichts Unvorhergesehenes dazu kommt. Krank sein ist nicht drin! Wenn ich krank bin und daheim bleibe verdien ich kein Geld. Das fehlt dann am Ende. Also bleib ich nicht daheim, wenn es mich doch mal erwischt.
 

Gelangweilt blicke ich aus dem Fenster und erstarre. Ruckartig sitz ich aufrecht dar und sehe den Schneeflocken zu, wie sie langsam Richtung Boden tanzen. Innerlich stöhn ich auf. Klar, es war schon seit zwei, drei Wochen kühl. Aber Schnee im November? Das gab es ja noch nie! Eine Gänsehaut überzieht mich und ich fröstel jetzt schon. Meine ungefütterte Freizeitjacke hat mich bislang auch kaum warm halten können, jetzt schneit es und die Temperaturen sind unter den Gefrierpunkt gefallen. Super!
 

Als mich Yugi anstößt grins ich ihn einfach freudig an und deute auf den Schnee. An und für sich haben wir im Winter immer mega viel Spaß... wenn ich dabei nicht ständig das Bild von mir, erfroren im Schnee, im Kopf hätte. Aber es den anderen zu zeigen, dass ich das Wetter scheiße finde, kann ich auch nicht. Ich will nicht, dass sie mich mitleidig anschauen oder erfahren, dass ich mir mit drei Nebenjobs keine Scheiß-Winterjacke leisten kann. Und ich will nicht, dass sie sich irgendwie verpflichtet fühlen auf den ganzen Spaß zu verzichten, nur weil Klein-Katsuya friert. Dann lieber blau anlaufen!
 

Auch die anderen Schüler bemerken den Schnee und sind ganz aus dem Häuschen. Alle bis auf einer! Der, der hinter mir sitzt! Kaiba Seto. Von ihm kommt keine Regung. Unbeeindruckt sitzt er mit verschränkten Armen da, als könnte nichts ein Gefühl bei ihm auslösen. Aber wer glaubt ihm das schon? Ich nicht! Nicht mehr!
 

Ein Schmunzeln schleicht sich auf mein Gesicht. Als er mich vor einigen Wochen davor bewahrt hatte, in den Schlamm zu fallen wollte ich mich lediglich mit 'ner einmaligen Geste revanchieren. Nur wusste ich nicht mit was für einer Geste. Als ich dann mal wieder mit Mokuba in der Arkarde abgehangen hatte sind wir irgendwie auf das Thema gekommen, dass Kaiba nie etwas zu Essen mit in der Schule hat und es mich mal interessieren würde, welches Schicki-Micki-Restaurant er nach der Schule aufsucht.
 

Mokuba hatte inne gehalten und mich irgendwie komisch angeschaut. Erst nach 'nem weiteren Moment wandte er sich wieder dem Spielautomaten zu und erklärte mir beiläufig, dass sein großer Bruder eher weniger zum Essen käme.

Beim Frühstück war meist nur eine Tasse Kaffee drin, mehr - so Mokuba - vertrug Kaiba's Magen nicht am Morgen. Nachmittags, nach der Schule, hetzte er von einem Termin zum nächsten. Ob er da etwas essen würde, wusste der Kleine nicht, aber er bezweifelte es. Manchmal, wenn der CEO es früh aus der Firma nach Hause schaffte aßen sie gemeinsam zu Abend. Was aber eher eine Seltenheit darstellte. Es gab Tage, da kam der Brünette erst um Mitternacht nach Hause und begnügte sich dann nur mit einer Kleinigkeit.
 

Ich kann mich noch ganz genau an meine Verwunderung darüber erinnern. Jemand, der nach außen immer so unfehlbar zu sein vorgab, nahm sich keine Zeit, um ein Grundbedürfnis seines Körpers zu stillen... Aber in dem Moment kam mir die Idee ihm für den nächsten Tag eine Bentō-Box mitzumachen. Ich war zwar sicher, dass er sie verschmähen oder wegschmeißen würde, aber ich wollte mich einfach damit bedanken! Was er mit dem 'Dank' machen würde, war sein Ding.
 

Also war ich am nächsten Tag noch einmal unter einem Vorwand zurück ins Klassenzimmer und stellte zu meiner Zufriedenheit fest, dass Kaiba noch nicht wieder vom Klo zurück war. Ich zog die zweite Bentō-Box aus meinem Rucksack und stellte sie auf seinen Laptop. Als ich den Raum schon wieder verlassen wollte, kam mir in den Sinn, dass Kaiba vielleicht denken könnte, dass die Bentō nur aus Versehen bei ihm stand und eigentlich für jemand anderes war. Also zog ich aus meinem Rucksack ein Faltkärtchen, was ich am Vorabend aus dem Restaurant mitgenommen hatte, und schrieb 'Guten Appetit, mein Drache!' drauf, stellte es auf die Bentō und verschwand zu meinen Freunden in die Pause. Zu meiner Verwunderung fand ich die leere Bentō am nächsten Tag zu Beginn der Pause auf dem Laptop stehend vor. Also packte ich sie wieder ein.
 

Erst einige Tage später, als ich wieder mit Mokuba in der Arkade abhing, erfuhr ich von dem Kleinen, das 'irgendjemand' seinen Bruder mit einer Bentō-Box verunsichert hätte. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen. Verunsichert? Ich? Den CEO der Kaiba Corp? Ne, schon klar! Echt jetzt? Der Schwarzhaarige fuhr fort mir zu erzählen, wie sie dann gemeinsam den Inhalt verputzt hätten und dass er seinen Bruder schon lange nicht mehr so zufrieden und glücklich gesehen hatte. Es hatte ihnen beiden wirklich geschmeckt.
 

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie schmeichelte es mir und gab mir ein wohlig warmes Gefühl in meinem Inneren. Selbst jetzt noch! Wer hätte schon gedacht, dass Kaiba mit so etwas einfachem, wie einer selbst zusammengestellten Bentō-Box, zufrieden sein konnte. Von da an hab ich jeden Abend zwei Bentō-Boxen gemacht. Noch heute kann ich nicht sagen warum, aber das ich den Drachen in irgendeiner Weise glücklich gemacht habe, macht mich stolz und selbst irgendwie glücklich.
 

Eigentlich habe ich ja damit gerechnet, dass er sich auf die Lauer legen würde, um mich mal dabei zu ertappen, wie ich ihm eine Box hinstelle. Nicht um mir zu danken oder zuzugeben, dass es ihm schmeckte und er sich über die Geste freute. Das verbot ihm sein Stolz, das war mir klar. Sicherlich würde er irgendwas von sich gegeben, dass er es nicht nötig hatte von mir diese Kleinigkeit mitgebracht zu bekommen und ich mir nichts darauf einbilden sollte.
 

Aber nein. Ich hab mich in diesem Punkt ein weiteres Mal in ihm geirrt. Scheinbar genießt er die kleine Aufmerksamkeit und möchte den Zauber der Geste nicht durch Wissen kaputt machen. Kann ich gut nachvollziehen. Wir waren schon immer wie Hund und Katze. Oder wie Hund und Drache? Ich muss kichern, als ich das so bei mir denke. Irgendwie ist das schon in Ordnung wie es ist. Wirklich! Hauptsache ihm schmeckt's und gibt ihm für einen Moment ein Gefühl der Zufriedenheit!
 

Das Läuten der Schulglocke reist mich aus meinen Gedanken und ich erheb mich langsam. Beim Strecken knackt mein Nacken. Uh man, ich brauch mehr Bewegung. Langsam trab ich mit Yugi und Honda zum Schulausgang, wo unsere Spinte stehen und wir zum einen unsere Schuhe wechseln können und zum anderen unsere Jacken und Mäntel hängen. Als ich an meinen Spint heran trete stock ich kurz. Das ... ist doch mein Spint oder? Die Nummer ist richtig! Aber... aber der Inhalt... Da hängt ein nagelneuer Winterparka. Er ist in einem dunklen rot und auf dem Rücken ist eine hochwertige Stickerei des Red Eyes Black Dragon. Hat vielleicht irgendwer seine Jacke falsch abgehängt?
 

Da fällt mir ein Anhänger am Ärmel auf. Ein Kärtchen. 'Damit es mein Streuner warm hat!'. Streuner? Na ja, klar... ich bin viel unterwegs,... Aber... hey Moment mal: MEIN Streuner?

Einen Schritt hintenrum

Ich steh neben Jou-kun am Spielautomat und kann nicht anders. Ich muss grinsen! Breit! Wie können zwei - eigentlich aufgeweckte und intelligente - Menschen nur so blind sein? Bei etwas, was sooo offensichtlich scheint! Von außen ist es süß mit anzusehen, wie mein großer Bruder und Jou-kun umeinander herum tanzen und sich in der trügerischen Sicherheit der Anonymität wiegen. Na ja, wer die Augen verschließt, kann nichts sehen. Aber ich steh irgendwie außerhalb der ganzen Situation und ich kann sehr gut sehen. Also grins ich einfach nur breit.
 

Als mich der Blonde fragt, warum ich so grinse, winke ich ab. Diese Frage kann ich ihm unmöglich beantworten... Jedenfalls nicht, ohne preis zu geben, dass ich sie längst durchschaut habe!
 

Auf der einen Seite Jou-kun, der täglich meinem Bruder eine Bentō-Box mitbringt über die sich Seto wie ein kleines Kind freut. Wie ich darauf komme? Na ja, im Nachhinein betrachtet war es doch recht offensichtlich: Die erste Bentō-Box hat Seto bekommen, nachdem Jou-kun und ich dieses Gespräch über Seto's Essgewohnheiten hatten. Danach kam erstmal keine weitere Box, bis ich ihm erzählt habe, dass Seto diese Geste glücklich gemacht hat. Prompt fand Seto am nächsten Tag wieder eine Box. Ganz zu schweigen davon, dass es keinen gibt, der von meinem Bruder als Drache redet!
 

Auf der anderen Seite Seto, in dessen Hausbüro vor einigen Tagen noch die Jacke auf einer Kleiderpuppe gehangen hatte, die Jou-kun heute trägt. Er hatte sie ausgiebig gemustert und begutachtet. Es hatte mich schon überrascht einen dunkelroten Parka vorzufinden auf dessen Rücken der Red Eyes Black Dragon aufgestickt war. Natürlich hatte ich Seto gefragt, was das wäre und er wich aus, dass er überlege eine neue Merchandise-Kollektion anzugehen: Klamotten mit den beliebtesten Kartenmotiven.
 

Normalerweise, wenn Seto sich Prototypen anfertigen ließ, verwendete er als Motiv nur den Blue Eyes White Dragon, der ganz klar seine Lieblingskarte ist. Selbst wenn etwas nicht in Serienproduktion ging behielt Seto den Prototyp für sich. So hatte sich eine beachtliche Sammlung an Merchandise rund um diesen Drachen angesammelt, das ausschließlich Seto vorbehalten war. Also warum dann dieses Mal der Red Eyes Black Dragon? Jou-kun's absolute Lieblingskarte und der gesamte Stolz seines Decks. Zufall? Nein! Bestimmt nicht! Bei Seto gibt es keine Zufälle!
 

Als ich ein paar Tage später fragte, was mit der Jacke passiert wäre, winkte Seto ab. Er erklärte mir, dass es nichts mit der neuen Kollektion werden würde, da der Kostenfaktor einfach zu groß wäre. Jedenfalls für die Qualität, die ihm dafür vorschwebe. Das fand ich schon recht merkwürdig, vor allem weil ich Seto kenne. Besser, als er sich selbst kennt! Wenn er von etwas überzeugt war, dann setzte er es auch um!
 

Also bin ich Isono auf die Pelle gerückt. Isono ist meinem Bruder loyal ergeben und würde nie etwas tun, was zu dessen Nachteil wäre. Aber ich weiß so das ein oder andere, mit dem ich die rechte Hand meines Bruders jederzeit überzeugen kann mir auf Fragen zu antworten. So hat er mir erzählt, dass der Parka eine Einzelanfertigung gewesen war und er ihn gegen Schulende in einen speziellen Spint in Seto's Schule hängen sollte.
 

Und nun trug Jou-kun sie. Auf die Frage, wo er diese coole Jacke her hat, antwortet der Blonde mit einem nicht minder fettem Grinsen im Gesicht, sie sei vom Laster gefallen. So, so... vom Laster? Ein Unikat? Niemals! Aber ich lass ihn nicht auflaufen. Ich möchte ihn nicht in Verlegenheit bringen und lächel in mich hinein. Er wird schon irgendwann herausfinden, dass diese Jacke nirgends zum Kauf angeboten wird. Vielleicht fällt es ihm dann wie Schuppen von den Augen.
 

Während wir in der Spielhalle von Automat zu Automat wandern wechselt auch das Gesprächsthema häufiger, bis ich - ganz unauffällig natürlich - frage, was Jou-kun's Lieblingssüßigkeit ist. Es entsteht ein Schlagabtausch, in dem wir die Vorzüge verschiedener Riegel und Bonbons beleuchten, bis ich ganz beiläufig erwähne, dass mein Bruder auf einen ganz speziellen Erdnuss-Waffel-Schokoriegel mit Erdbeergelee-Füllung steht. Das kleine Detail, dass es diesen Riegel nur in einem bestimmten Conbini in ganz Domino City gibt, lass ich weg.
 

Ich möchte damit testen, ob Jou-kun sich wirklich die Mühe macht herauszufinden, wo es den Riegel gibt. Wenn ja, bestätigt mich das nur in meinem Glauben, dass er mehr für meinen Bruder empfindet, als er momentan offen zugeben würde. Wenn nein, nun... dann wäre es mir ein völliges Rätsel warum er täglich meinem Bruder eine Bentō mitbringt. Aber ich bin mir sicher, dass ich mich nicht täusche. Dazu kenn ich die beiden zu gut.
 

Das Seto mehr für Jou-kun empfindet, als ihm selbst klar ist, ist mehr als offensichtlich! Die Frage ist nur, wie kann ich ihm das klar machen, ohne ihn zu verschrecken? Wenn ich ihn verschrecke zieht er sich nur wieder hinter seiner Mauer zurück und kommt ewig nicht mehr vor. Wenn ich doch nur diese dämliche Mauer einfach einreissen könnte! Dann könnte er sich dahinter nicht mehr verstecken.
 

Und da hab ich eine Idee!

Einen Schritt unverhohlen auf ihn zu

Ich reibe mir die Nasenwurzel in der stummen Hoffnung, dass die Kopfschmerzen endlich nachlassen werden. Doch ich werde enttäuscht. Die Kopfschmerzen haben sich festgesetzt. Wenn ich Pech habe, werden sie das gesamte Wochenende bleiben und mir keine Ruhe gönnen. Wenigstens hab ich diese Woche hinter mich gebracht. Es ist Freitag kurz vor Mitternacht.
 

Wenn ich Glück habe, ist Mokuba noch wach. Wenn er am nächsten Tag keine Schule hat, bleibt er für gewöhnlich wach und wartet auf mich. So wundert es mich nicht, dass ich im Wohnzimmer noch Licht brennen sehe, als der Wagen vor der Eingangstür zum Stehen kommt! Scheinbar hat er wirklich auf mich gewartet.
 

Die Tür wird mir beim Entgegenkommen direkt geöffnet und Lärm dringt an meine Ohren. Stimmen. Ganz deutlich Mokuba. Aber er ist nicht alleine! Ich seufzte auf. Als er mich die Tage gefragt hatte, ob er sich über ein Wochenende mal Freunde einladen dürfte, hätte ich nicht gedacht, dass er das direkt umsetzen würde. Aber okay. Ich hab schließlich 'ja' gesagt. Also was soll ich mich jetzt drüber ärgern.
 

Um ihn und seine Freunde nicht zu stören wende ich mich in die entgegengesetzte Richtung zum Wohnzimmer und möchte in die Küche. Doch ich hab kaum zwei Schritte getan als ich die quietschende Stimme meines Bruders hinter mir höre, der meinen Namen ruft und meine Kopfschmerzen explodieren lässt.
 

Also wende ich mich wieder zu ihm und sehe ihn auf mich zulaufen. Ich geh in die Hocke und fang ihn auf. Er umarmt mich fest und scheint sehr glücklich zu sein. Ich lege meine Arme auch um ihn und drücke ihn an mich. Kurz. Mehr ertrage ich nicht. Immer wenn mir jemand körperlich zu nahe kommt - selbst wenn es Mokuba ist - habe ich das Gefühl nicht atmen zu können.
 

Doch Mokuba löst sich nicht von mir. Er drückt sich immer weiter an mich. In meinem Inneren regt sich ein Gefühl, was ich irgendwann mal tief in mir begraben habe. Doch jede Sekunde, die diese Umarmung anhält gelingt es diesem Gefühl höher zu kommen. Es darf nicht bis zur Oberfläche gelangen. Auf gar keinen Fall! Also schiebe ich meinen kleinen Bruder schließlich von mir. Er strahlt mich nur weiterhin an und ich kann ihm nicht böse sein.
 

Dann ruft jemand aus der Küche nach meinem kleinen Bruder und ich erkenne die Stimme augenblicklich. Sofort stehe ich aufrecht, wende mich langsam zur Küchenschwingtür und in ihr sehe ich den blonden Schopf von Jonouchi. Was.. tut der denn hier?
 

Mokuba packt meine Hand und zieht mich hinter sich her in die Küche. Dort... sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld! Was zum... Dann wiederholt Jonouchi seine Frage. Er sucht irgendetwas, was er zum Kochen braucht. Moment mal! Wieso kocht der Köter in meiner Küche?
 

Mokuba lässt meine Hand los und läuft zu ihm, zeigt auf einen Schrank und der Blonde scheint zu finden, was er sucht. Was geht hier eigentlich vor? Dann bekomm ich die Schwingtür in den Rücken gestoßen und stolpere einen Schritt vor. Vor meinem inneren Auge explodieren ganze Sterne vor Schmerz.
 

Mit großen, verwunderten Augen blickt mich Yugi an. Sofort entschuldigt er sich wiederholt. Ich winke ab. Aus dem Wohnzimmer höre ich immer noch aufgeregte Stimmen. Wenn mich nicht alles irrt sind das Honda, Otogi und Bakura. Innerlich stöhne ich auf. Mokuba hat wirklich den gesamten Kindergarten eingeladen... fassungslos stehe ich einfach nur da, während Jonouchi Yugi und Mokuba wieder aus der Küche scheucht.
 

Meine Kopfschmerzen haben mittlerweile einen Grad erreicht, der mir Übelkeit beschert. Oder ist das nur der leere Magen, der da rebelliert? So genau kann ich das gar nicht sagen. Aber solange der Schmerz in meinem Kopf wummert ist an Essen eh nicht zu denken. Dann wird mir schwindelig. Ich muss mich setzen. Ganz gleich wo, aber das ist nicht verhandelbar. Also lass ich mich am Frühstückstisch auf einen Stuhl nieder.
 

Wieder reib ich mir ganz unbewusst meine Nasenwurzel und hoffe erneut auf eine Linderung meiner Kopfschmerzen. Doch der Schmerz ist heute unnachgiebig und stur. Dann wird mir ein großes Glas Wasser vorgesetzt. Überrascht hebe ich meinen Blick und sehe, wie Jonouchi mich breit angrinst. Dann hält er mir zwei Kopfschmerztabletten hin.
 

Für einen Moment zögere ich. Innerlich tadel ich mich dafür, dass ich nicht sofort reagiere. Etwas ruppig nehm ich die beiden Tabletten von ihm und lege sie neben das Glas. Der Blonde wartet noch einen Moment und wendet sich dann wieder ab. Erst als ich mir sicher bin, dass seine Aufmerksamkeit etwas anderem gilt schluck ich die beiden Tabletten mit dem Wasser. Bleibt nur zu hoffen, dass der Schmerz zügig nachlässt.
 

Ich weiß nicht, wie lang ich einfach nur am Tisch gesessen und vor mich hin ins Nichts gestarrt habe. Aber als die Kopfschmerzen spürbar nachlassen - wenn auch nicht ganz verschwinden - blicke ich wieder auf und stell überrascht fest, dass das Chaos in der Küche komplett verschwunden ist. Alles, was sich zuvor an Geschirr aufgetürmt und an Lebensmittel irgendwo rumgestanden hatte, war weg. Sicherlich hatte der Blonde die Spülmaschine eingeräumt und angestellt. Aber ich konnte das gewohnte Brummen der Spülmaschine nicht hören.
 

Langsam stehe ich auf und geh zu ihm rüber. Ich sehe, wie er gerade das letzte Geschirr in den Schrank räumt, bevor mein Reiskocher piepst. Ich schalte das Gerät aus. Scheinbar hat der Blonde alles händisch weggespült. In der kurzen Zeit? Sanft werde ich von dem anderen weggeschoben, der sich sogleich um den Reis kümmert.
 

Verwundert schau ich ihm einfach zu, wie er den Reis aufbereitet und geschickt, sowie geübt weiterverarbeitet. Ohne große Mühe macht er eine Maki-Rolle nach der anderen, bevor er jede Rolle in sechs handliche Mundstücke schneidet und auf eine bereitstehenden Platte anrichtet. Dann formt er Onigiris. Einige pur, andere gefüllt. Schließlich formt Jonouchi noch ein paar Nigiri, die er mit unterschiedlichstem Fisch, Meeresfrüchten und Omelette belegte.
 

Wenn ich nicht schon längst einen Verdacht gehabt hätte, wer mir täglich eine Bentō-Box mitbringt, dann wäre es mir spätestens jetzt klar geworden. Dennoch bin ich über die Geschicklichkeit des anderen erstaunt. In der Schule stellt er sich immer so chaotisch und ungeschickt an. Daher hab ich das bislang nicht auf die Reihe bekomme die Bentō-Box mit ihm wirklich in Einklang zu bringen. Doch wenn ich ihm hier so zuschaue... erstaunlich!
 

Plötzlich wird mir bewusst, dass er aufgehört hat etwas zu machen und mich lächelnd anblickt. Erstarrt blicke ich zurück. Was... was jetzt? Soll ich etwas sagen? Oder mich einfach umdrehen und weggehen? Mir wird plötzlich ganz deutlich klar, dass ich von dieser Situation eindeutig überfordert bin. Aber wieso? Verdammt! Ich bin Kaiba Seto! So eine Unsicherheit passt absolut nicht zu meinem mühevoll errichteten Image!
 

Aber Jonouchi drückt mir nur schmale Brettchen und die Stäbchen in die Hand, bevor er sich abwendet und die letzten Feinheiten vorbereitet. Dann ruft er die anderen zum Essen und ich steh immer noch wie ein infantiler Trottel mit den Brettchen und den Stäbchen dar. Erst als Mokuba in die Küche gestürmt kommt besinne ich mich meiner selbst und bring die Brettchen zum Tisch. Mein kleiner Bruder lächelt mich breit an.
 

Gerade als ich mich abwenden möchte, um die Küche zu verlassen stellt sich mir der blonde Köter in den Weg. Versperrt mir in meiner eigenen Küche den Weg. Leitet mich zum Tisch zurück und drückt mich auf den Stuhl am Kopfende. Irgendwas läuft hier heute nicht wie es soll!
 

Doch scheinbar scheint das niemand außer mir zu bemerken. Neben mir sitzt Mokuba, der mich nur weiterhin merkwürdig intensiv anlächelt. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich irgendetwas nicht mitbekommen habe. Ich verschränke meine Arme und gebe vor, recht unwillig zu sein an diesem gemeinsamen Essen teilzunehmen. Alles andere erscheint mir einfach nicht richtig!
 

Als auch die anderen sitzen und Jonouchi die große Platte in die Tischmitte stellte wünschen sich alle einen Guten Appetit und beginnen mit den Stäbchen nach den einzelnen Teilen zu greifen. Teilweise werden regelrechte Stäbchen-Kämpfe um einzelne Leckerbissen ausgetragen, bevor ein dritter die Gunst der Stunde nutzt und sich das umkämpfte Stück krallt. Dabei wird gelacht, gemault, sich unterhalten und gegessen.
 

Ich sitze immer noch mit verschränkten Armen da, als der Köter, der immer noch nicht sitzt, wieder neben mir auftaucht und ein Brettchen vor mich abstellt. Auf dem tummeln sich einige Maki, Nigiri und Onigiri, garniert von drei Schälchen mit Soja-Sauce, eingelegtem Ingwer und Wasabi.
 

Plötzlich stock ich. Eines der Onigiri... hat der Blonde wieder so dekoriert, dass es unverkennbar ein Blue Eyes White Dragon darstellt. Gibt er sich etwa gerade bewusst zu erkennen?
 

Ich blicke auf, um zu sehen, ob die anderen zu mir schauen und nur darauf warten mich auslachen zu können! Doch nichts dergleichen scheint hier vorzugehen. Sie sind alle mit dem Kampf um das Essen und ihren eigenen Gesprächen beschäftigt. Dann blicke ich zu Jonouchi, der scheinbar für weiteren Nachschub sorgt. Als er merkt, dass ich zu ihm herüber blicke lächelt er mich nur an und nickt mir zu. Dann wendet er sich wieder den frischen Maki-Röllchen zu.
 

Wie... wie soll ich das jetzt verstehen... wie werten?

Einen Schritt in die Höhle des Drachens

Ich Trottel! Das geht mir schon seit Stunden durch den Kopf. ICH. TROTTEL! Wie konnte es mir nur passieren, dass ich mich verrate? Ich war so im Sushi-Modus, dass ich erst beim Abstellen des kleinen Brettchen realisiert habe, dass ich eines der Onigiri, wie sonst für die Bentō-Box, zu einem Weißen Drachen geformt hatte. Kurz hatte ich die Hoffnung, dass es dir nicht auffallen würde.
 

Doch es ist dir aufgefallen! Zuerst hast du in die Runde am Tisch geschaut. Als ob du erwarten würdest, das sie dich auslachen. Aber warum sollten die das tun? Sie wissen schließlich nichts von unserem Bentō-Ding, was wir da laufen haben. Dann hast du zu mir herüber geschaut und ich hab dich angelächelt und dir zugenickt. Warum sollte ich auch etwas leugnen, was jetzt so offensichtlich ist?
 

Für einen Moment hast du dann wieder auf dein Essen vor dich geschaut. Es kam mir so vor, als wärst du hin- und hergerissen. Nach einem Augenblick bist du dann aufgestanden und hast wortlos die Küche verlassen. Schade, ich hätte nur zu gern gesehen, was mir Mokuba schon so oft beschrieben hat: Sehen, wie es dir schmeckt und du in diesen Zustand der Zufriedenheit fällst. Aber es hätte mir von Anfang an klar sein müssen, dass du nicht über deinen Schatten springen und in einer so großen Tischrunde deine Maske abnehmen würdest. Nicht einmal für einen kleinen Moment.
 

Wenn mich Mokuba doch nur nicht darum gebeten hätte... Ich halte kurz inne. Konnte es sein, dass Mokuba wusste, dass ich dir die Bentō-Boxen mache? Nein! Wie hätte der Kleine das wissen... Na ja, wirklich subtil habe ich mich ja nicht dran gestellt, oder? Aber wenn der Kleine das gecheckt hat, dann doch auch du!? Also hätte diese Offenbarung meinerseits doch gar nicht so überraschend für dich gewesen sein dürfen, oder? Das viele Denken zu so später Stunde verwirrt mich, statt das es mir Klarheit bringt.
 

Tatsächlich ist es jetzt halb fünf in der Früh und wir sitzen immer noch im Wohnzimmer und zocken auf einer der zahlreichen Konsolen, die hier stehen. Mittendrin Mokuba. Dieser kleine Braten! Er hat das alles eingefädelt! Aber warum? Was bezweckte er damit? Ich mein, er hat doch selbst gesagt, dass dir die Bentō-Boxen schmecken und du damit ganz zufrieden bist. Weiß er nicht, dass du jetzt die Bentō-Box wahrscheinlich nicht mehr annehmen wirst? Andererseits kann der Kleine nichts dazu, dass ich ein Trottel bin, der im automatisierten Ablauf dieses spezielle Onigiri geformt hat.
 

Ich seufze nur laut und steh dann auf. Was ich jetzt dringend brauche ist Schlaf. Ich bin jetzt fast 24 Stunden auf den Beinen und denken geht einfach nicht mehr. Die anderen ziehen mich damit auf, dass ich die Segel streiche. Ich lach nur zurück und lass sie frotzeln.
 

Langsam steig ich die Treppe in den oberen Stock hinauf und bleib stehen. Mokuba hat uns vorhin die Zimmer gezeigt, in denen wir übernachten können. Nur... war ich da gedanklich mal wieder nicht bei der Sache und so weiß ich gerade nicht mehr genau, wo die liegen. Was wohnt ihr auch in so einem großen Kasten? Also wende ich mich dem rechten Gang zu und stolpere ihn entlang. Hier und da öffne ich 'ne Tür und späh hinein, aber in keinem der Zimmer kann ich meine Sachen finden. Nach etlichen Türen neigt sich der Gang dem Ende und ich bin mir sicher, dass die Zimmer nicht so weit von der Treppe lagen. Dennoch mach ich weiter und öffne Tür um Tür und späh hinein.
 

Bis ich definitiv die falsche Tür aufmache! Das erkenn ich daran, dass das Licht gedimmt brennt und im Bett jemand liegt. Ich muss auf dein Zimmer gestoßen sein. Ich murmel eine Entschuldigung und will die Tür schon wieder zu ziehen. Eigentlich erwarte ich einen giftigen, keifenden Kommentar. Doch alles was ich höre ist ein unruhiges Wälzen und ein... na ja ich will nicht sagen, dass du stöhnst, aber... ja doch! Also werfe ich doch noch einmal einen Blick zum Bett.
 

Man du bewegst dich im Schlaf ja 'ne ganze Menge. Wundert mich, dass du morgens nicht halb verhungert bist, wenn du aufstehst und zum Frühstück gehst. Vorsichtig setz ich einen Schritt in das Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Du zuckst im Bett ziemlich heftig zusammen und ich erkenne erst beim näher kommen, dass du einen Albtraum hast.
 

Irgendwie schockiert mich diese Erkenntnis! Du, der immer so kontrolliert wirkt, gequält von ein Albtraum? Das passt so gar nicht zu dir! Aber es zeigt mir wieder einmal mehr, dass du gar nicht so bist, wie du immer vorgibst zu sein. Das auch du deine Ängste und Dämonen hast, die dich ab und zu heimsuchen.
 

Ohne es zu merken hab ich das Zimmer durchquert und stehe an dem Fußende deines Bettes. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht wirklich, was ich tun soll. Dich wecken? Wenn dir schon das Essen in Gesellschaft so schwer fällt, wie wirst du dann erst reagieren, wenn du dich in so einem privaten Moment ertappt fühlst?
 

Doch die Entscheidung wird mir kurzer Hand abgenommen, als du aufschreckst. Völlig außer Atem. Du springst förmlich aus dem Bett, krallst dich an den Vorhang des Fensters und lehnst den Kopf gegen die Tapete der Wand. Dein Shirt und die lange Freizeithose kleben an dir. W... weinst du etwa? Uhm, was... was soll ich nur tun? Hast du mich überhaupt bemerkt? Bestimmt, warum würdest du sonst mit aller Kraft versuchen, gegen das Aufschluchzend anzukämpfen?
 

Vorsichtig nähere ich mich dir und lege dir eine Hand auf die Schulter. Du zuckst erschrocken zusammen, wirbelst herum und stößt mich gleichzeitig weg. Ich stolpere zwei, drei Schritte von dir weg, während du dich jetzt mit dem Rücken an die Wand presst und mich mit weitaufgerissenen Augen anstierst. Tatsächlich sehe ich noch letzte Träne über deine Wange laufen.
 

Dieses Bild, von dir, so verängstigt, mit Tränen auf dem Gesicht, das stellt meine ganze Weltsicht auf den Kopf. Mein Herz sticht kurz, bei diesem Anblick. Und auf einmal, will ich dich nur noch in den Arm nehmen und halten! Dir zeigen, dass dir niemand etwas tun wird. Keiner wird dich verletzen. Niemand da, vor dem du Angst haben musst!
 

Also wage ich es und mache einen Schritt auf dich zu. Du weichst zurück. Doch sehr weit kommst du nicht, denn du hast dich in die nahe Ecke manövriert. Mit zwei, drei kleinen Schritten überwinde ich, was uns trennt und ziehe dich langsam in meinen Arm. Du wehrst dich eher im Affekt, als das du wirklich auf mich reagierst.
 

Nach einigen halbherzigen und erfolglosen Versuchen mich wieder von dir zu stoßen erstirbt schließlich jede Gegenwehr. Deine Hände haben sich haltsuchend in mein Shirt gekrallt. Deine Stirn gegen meine Brust gelehnt. Dein ganzer Körper ist angespannt und noch immer ringst du mit dir selbst. Ich halte dich ganz locker, als würdest du zerspringen, wenn ich dich zu fest halte. Aber doch genug, damit du spürst, dass du nicht alleine bist.
 

Warum kannst du nicht locker lassen? Hier bin doch nur ich und mir würde nie jemand glauben, wenn ich das hier erzählen würde. Was ich ohnehin nicht tun würde! Dieser ganz private Moment geht niemanden etwas an. Niemand. Der bleibt hier. In diesem Raum. Zwischen uns beiden.
 

Dann scheint sich bei dir was zu lösen. Scheinbar hast du den Kampf gegen dich selbst verloren! Deine Schultern beben und ich spüre, wie mein Shirt durch deine Tränen feucht wird. Ich kann nicht anderes, als dir beruhigend durch das Haar zu streichen und dich im Nacken sanft zu kraulen. So vergehen die Minuten. Nur langsam versiegen deine Tränen und dein Griff in meinem Shirt lockert sich. Irgendwann richtest du dich auf und blickst mir mit deinen geröteten, blauen Augen in meine.
 

Du scheinst zu versuchen, deine Maske aufzusetzen, aber dir will es nicht gelingen. In deinen Augen spiegelt sich große Unsicherheit. Das ist ja ein enormes Spektrum an Empfindungen für den, der in der Presse immer als emotionslos verschrien wird. Sanft lege ich dir eine Hand auf die Wange und lächel dich ermutigend an. Für eine Sekunde legst du dich in die Berührung, bevor dir scheinbar bewusst wird, was du da tust. Du bist und bleibst halt doch Kaiba Seto, der nicht aus seiner Haut raus kann. Jedenfalls nicht so hoppla di hopp.
 

Dann durchschneidet ein lautes Magenknurren den Raum und deine Wangen röten sich verlegen. Ich muss nur sanft grinsen, bevor ich deine Hand nehme und dich langsam, aber bestimmt aus deinem Zimmer herausziehe und mit dir in die Küche gehen. Dort führ ich dich an die Küchentheke und schieb dich förmlich auf einen der Hocker. Dann geh ich zur Anrichte und hol das abgedeckte Brettchen vor. Ich deck es ab und stell es dir vor, reich dir noch ein Paar Stäbchen und bleib dir gegenüber stehen.
 

Überrascht blickst du auf das Brettchen, aber ein erneutes Magenknurren holt dich zurück. Du verzichtest auf die Stäbchen und isst, wie es 'das einfache Fußvolk' auch tut: Mit den Fingern! Der großartige CEO beim Fingerfood. Ein göttlicher Anblick. Als du in das Onigiri beißt, schließt du kurz die Augen und atmest tief ein. Und Mokuba hatte so recht: Es schmeckt dir und zaubert dir eine gewisse Zufriedenheit auf dein Gesicht.
 

Ich lächel dich einfach nur stolz und ebenfalls mehr als zufrieden an.

Einen Schritt zurück zum Status Quo?

Als ich langsam wach werde fällt mein Blick als erstes auf meinen Wecker. 09.45 leuchtet mir in blauer Schrift die Uhrzeit entgegen. Sofort sitz ich senkrecht im Bett! Was? Es ist viertel vor Zehn? Wieso? Mein Wecker steht auch samstags auf viertel vor sechs! Nicht viertel vor zehn! Dann rast ein Kopfschmerz durch mich hindurch und lässt mich nach vorne beugen. Scheinbar haben die Tabletten vom Abend aufgehört zu wirken. Verzweifelt massiere ich mir die Nasenwurzel, in der erneut Hoffnung, dass der Schmerz nachlässt.
 

Eine Bewegung hinter mir lässt mich erstarren. Langsam - wie in Zeitlupe - wende ich mich um und sehe den blonden Köter in meinem Bett. Langsam dreht er sich von der Seite auf den Rücken. Sein Arm nach wie vor über mein Kopfkissen gestreckt. Was...? Ich bekomm gleich Schnappatmung. Was geht denn hier vor? Warum liegt Jonouchi in meinem Bett und schläft, als wäre es das normalste der Welt? Die Decke halb von sich gestrampelt in T-Shirt und Boxershorts. Mit einer unverkennbaren... Morgen... latte.
 

Zu. Viele. Informationen. Mein Kopfschmerz holt mich aus meiner Schockstarre. Ich drehe mich weg und stehe vorsichtig auf. Das letzte, was ich in diesem Augenblick will ist, dass der blonde Köter wach wird und mich möglicherweise volltextet. Nicht mit diesen Kopfschmerzen. Nicht ohne das ich weiß, warum er da liegt, wo er gerade liegt.
 

Verwirrt schlurf ich in Richtung meines Badezimmers und... stolpere über eine achtlos auf dem Boden liegende Jeans. Gerade noch so kann ich einen Ausfallschritt machen und mich an der nahen Kommode abfangen. Verflucht! Wer... dann fällt mein Blick wieder auf den Blonden in Boxer in meinem Bett. Ne, schon okay... alles klar... Badezimmer!
 

Nachdem ich hinter mir die Tür geschlossen habe lehne ich mich kurz mit der Stirn gegen die kalte Fliese. Das tut irgendwie gut. Jedenfalls für den Moment. Dann entledige ich mich meiner Schlafkleidung und werfe sie in den Wäschekorb. Mein Medaillon häng ich an einen Haken neben der Dusche. Ich stell das Wasser auf angenehme 24°C und dreh es auf. Langsam rieselt es kühl, aber nicht unangenehm auf mich herab. Wieder lehne ich meine Stirn an die kalte Fliese. So möchte ich jetzt einfach nur ein paar Minuten stehen.
 

Also gut... gestern Abend. Ich bin nach Hause gefahren. Kopfschmerzen. Bin ins Haus und hab festgestellt, dass Mokuba den Kindergarten für das Wochenende eingeladen hat. Küche. Jonouchi, der Sushi macht. Gemeinsames Essen des Kindergarten an meinem Frühstückstisch. Ein Onigiri in Form eines weißen Drachens. Der ultimative Beweis dafür, dass Jonouchi mir täglich die Bentō-Box hinstellt. Idiot! Darüber wollte ich gar keine Gewissheit haben! Jetzt, wo er es zugegeben hat kann ich unmöglich eine weitere Box annehmen. Egal... weiter im Text.
 

Ich bin aus der Küche. In mein Schlafzimmer. Hab mich hingelegt. Hab von IHM... von Gozaberu geträumt. Bin aufgeschreckt. Völlig außer mir. Aufgewühlt. Hab versucht die Kontrolle zu behalten... und dann... dann war da Jonouchi!
 

Meine Augen weiten sich, als mir klar wird, dass der Blonde das miterlebt hat. Was... was hatte er in meinem Zimmer zu suchen gehabt? Er kam auf mich zu... und ich... seicht hämmer ich fassungslos meinen Kopf gegen die Fliese! Ich bin zurück geschreckt. Vor ihm! Nein, nicht wirklich vor Jonouchi. Vor der Nähe, die er mir bieten wollte. Die er ... mir geboten hat! Als er mich in seinen Arm zog!
 

Ich hab versucht mich zu wehren. Oder? Oder doch nicht? Die Berührung des Blonden war anders. Ich hatte nicht das Gefühl, sie würde mir die Brust zuschnüren. Sie hat sich eigentlich ganz gut... NEIN! Ich maßregel mich selbst. Einfach nur nein! Denk diesen Satz jetzt nicht fertig! Peinlich genug, dass du die Kontrolle verloren hast. Schon wieder! Dieses Mal auch noch jemand Zeuge war. Wie... wie konnte ich das nur zulassen?
 

Doch da ist noch mehr! Lautes Magenknurren. Eine Hand, die mich führte. Die Küche. Drachen-Onigiri. Dieser Geschmack, bei dem ich einfach nicht anders kann, als einfach glücklich und zufrieden zu sein. Der Geschmack, den ich mir zukünftig verweigern werde! Verweigern muss! Weil ich jetzt weiß, wem ich diesen Genuss zu verdanken hab. Wenn ich weiterhin die Boxen annehmen würde... dann würde ich zugeben... das sie mir schmecken und es mir gefällt, dass sich jemand um mich sorgt... es wäre einfach eine Schwäche! Schwächen sind absolut inakzeptabel. Dabei dröhnt das 'inakzeptabel' in einer tiefen, grollenden Stimme durch mein Bewusstsein. Wie ein Echo!
 

Nach dem Essen blickten mich seine honigbraunen Augen besorgt an. 'Du siehst müde aus' hallt es mir mit der Stimme des Blonden durch den Kopf. Das war noch untertrieben! Müde ist gar kein Ausdruck dafür, wie ich mich heute früh gefühlt habe. Aber nach einem Albtraum von Gozaberu kann ich nicht mehr schlafen. Will ich nicht mehr schlafen! Aus Angst, dass der Drecksack mir erneut in meinem Traum auflauert. Und es war so, als ob der Blonde diese Wahrheit in meinen Augen lesen konnte.
 

Wieder hatte er mich bei der Hand genommen und von der Küche in mein Zimmer gezogen. Dann hatte er seine Jeans ausgezogen und mich zum Bett geschoben. Verwirrt hatte ich ihn angeblickt, während er auf mein Bett gekrabbelt ist und mich hinterher ziehen wollte. 'Du brauchst Schlaf!' hallte mir erneut seine Stimme durch den Kopf. Ich hab mich gesträubt. Wollte nicht in das Bett. Mich nicht wieder hinlegen. Nicht wieder träumen.
 

Doch irgendwie hat der Köter es dann doch geschafft mich auf das Bett zu ziehen. Hatte mich wieder angeschaut und ganz sanft gelächelt. Nicht so aufdringlich und breit wie sonst. Hat seine Hand auf meine Wange gelegt. 'Ich pass auf dich auf!' hatte er mir zugeflüstert. In seinem Blick konnte ich sehen, dass er das ernst meinte. Ohne Hohn oder Spott. Ich wollte ihm glauben. Ließ mich von ihm in den Arm ziehen, während er sich nach hinten in meine Kissen fallen ließ.
 

Diese Nähe... war mir erstaunlicherweise gar nicht unangenehm. War beruhigend für mich, wie zuvor, als er mich nach dem Aufwachen getröstet hatte. Sie schnürte mir nicht die Luft zum Atmen ab. Im Gegenteil. Ich hab mich selten so frei und sicher gefühlt. Sanft hatte er seinen Arm um mich gelegt und mich sanft an sich gedrückt. Den Nacken gekrault.
 

Wieder schlag ich sachte meine Stirn an die Fliese vor mir. Wie konnte ich mich ihm gegenüber nur so... so verletzlich... so SCHWACH zeigen? Und wieder dröhnt diese bedrohliche, tiefe Stimme in meinem Hinterkopf. Ein Bild zieht aus meinem Inneren hoch. Gozaberu, der bedrohlich über mir steht und mich böse anfunkelt. Die Reitgerte in der Hand.
 

Ich schnappe nach Luft. Dräng das Bild zurück in die dunkel Tiefe, in der ich es eigentlich verschlossen habe. Langsam beginnt es mich zu frösteln. Ich steigere die Temperatur des Wassers und dusche endlich. Nach einigen Minuten stell ich das Wasser ab, trete aus der Kabine, putze mir schnell die Zähne, bevor ich mir den Bademantel überziehe und das Badezimmer verlasse.
 

Abrupt komm ich zum Stehen, als ich gegen den blonden Köter stoße. Er steht verschlafen dreinblickend vor mir. Reibt sich den Schlaf aus den Augen. Bloß jetzt nicht nach unten schauen! Nicht nach unten schauen! NICHT. NACH. UNTEN. SCHAUEN! Doch wie immer, wenn man sich so etwas mahnt, fällt der Blick auf seine Boxershorts und die deutliche Beule darin. Mit einem Augenrollen blick ich zur Decke. Atme langsam, aber tief ein. Nicht aus der Ruhe bringen lassen, Seto!
 

Der blonde Köter nuschelt irgendwas und drückt sich dann an mir vorbei ins Badezimmer. Erst jetzt merk ich, dass ich wie angewurzelt und versteinert stehen geblieben bin. Dann setzt bei mir wieder die Motorik ein und ich trete in das Nebenzimmer, meinem begehbaren Kleiderschrank. Kurz bleibe ich ratlos stehen. Eigentlich... zieh ich mich recht leger an, wenn ich ein Wochenende Zeit habe mit Mokuba zu Hause zu bleiben. Aber der Kindergarten turnt hier rum. Also doch eher das übliche? Ich könnte auch vor dem Trubel und vor dem Blonden ins Büro flüchten, dann wäre ein Anzug angebracht. Aber eigentlich hab ich dazu keine Lust. Keine Lust auf Büro und Arbeit!
 

Dann gleitet ein Arm in mein Blickfeld, der nach einem schwarzen Rollkragenpulli angelt und mir anhält. Wann ist Jonouchi in meinen begehbaren Schrank gekommen? Er grinst mich wieder an und hält mir auffordernd den Rolli hin. Ich nehme den Bügel entgegen und blicke ihn nur weiter fassungslos an, wie er scheinbar meinen Kleiderschrank studiert. Dann zupft er einfach irgendwo eine schwarze Stoffhose heraus und drückt mir auch diese in die Hand.
 

Noch ehe ich was sagen kann dreht er sich um und geht wieder in mein Schlafzimmer zurück. Erst jetzt fällt mir auf, dass er seine Hose wieder angezogen hat. Wenigstens etwas, geht es mir durch den Kopf, während ich mich auf die gepolstert Bank fallen lasse. Ich seufzte und schau auf die zwei Kleidungsstücke, die mir der Blonde heraus gesucht hat. Es ist eine Mischung aus leger und dem, was ich sonst trage, wenn ich mit dem Kindergarten zu tun habe
 

Ich zieh mir ein Pants an, schlüpfe dann in die schwarze Stoffhose, ziehe mir den dünnen Rollkragenpullover über, steck ihn sorgfältig in die Hose und fädel einen dünnen Ledergürtel durch die Laschen der Hose. Abschließend lege ich meine silbergrauen Armschienen an. Die halten die Ärmel da, wo sie hingehören und schützen vor allzu neugierigen Blicken. Dann schlüpf ich in meine Hausschuhe und stocke.
 

Vor mir baumelt mein Medaillon, in dem ich ein Bild meines kleinen Bruders immer bei mir habe. Wie...? Wo...? Jonouchi hält es mir hin. Ich hab es vorhin, bevor ich in die Duschkabine gestiegen bin an den Haken gehängt, damit es nicht nass wird. Ich muss so in Gedanken versunken gewesen sein, dass ich vergessen habe, es mir wieder umzuhängen. Das ist mir noch nie passiert!
 

Ich richte mich langsam auf und blicke zu dem Blonden, der es mir über den Kopf heben möchte. Ich hindere ihn daran und nehme ihm die Kette ab. Mit einer gewissen Trotzigkeit zieh ich mir den Anhänger selbst über den Kopf und lass den Blonden dann stehen.
 

Mit zielgerichteten Schritten will ich zu meiner Zimmertür. Doch der Köter rennt an mir vorbei, stellt sich vor die Tür und blickt mich fragend an. Ich bleib stehen. Weiche nicht zurück. Verschränke nur meine Arme vor meiner Brust. Schau ihn verständnislos an. Merkt er denn nicht, dass ich darum bemüht bin den Status Quo wieder aufzubauen?
 

Irgendetwas vibriert in mir. Will den Status Quo nicht zurück. Fand die Momente mit dem Blonden schön. Versteht dieser Teil von mir denn nicht, dass sich das nicht wiederholen darf? Das wir uns die Schwäche nicht leisten können, unsere eigenen Bedürfnisse und Wünsche nachzugeben. Wenn wir das tun, bringt uns das in Gefahr. Nicht nur mich, sondern auch Mokuba.
 

Dann lächelt mir der Blonde noch einmal sanft zu, bevor er zur Seite tritt und die Zimmertür öffnet. Verwirrt blick ich zu ihm. In seinem Blick liegt keine Resignation, sondern Verständnis. Verständnis? Was will er schon groß verstanden haben? Er hat doch keine Ahnung, wie sehr ich gerade mit mir selbst kämpfe und ringe! Mit mir ringe nicht einen Schritt auf ihn zuzugehen und ihn einfach zu küssen!

Keinen Schritt in die gewünschte Richtung

Langsam werde ich wach. Ein Schnarchen dringt an meine Ohren und irgendwie tut mir der Nacken weh. Als ich die Augen aufmache stell ich fest, dass ich gar nicht in meinem Bett liege, sondern auf der Couch im Wohnzimmer. Und ich bin nicht alleine! Um mich und quer über und unter mir liegen die anderen Jungs, die ich über das Wochenende zu uns eingeladen habe.
 

Irgendwie so halb über mir liegt Yugi, während ich irgendwie auf Bakura-kun hänge. Otogi- und Honda-kun liegen vor der Couch auf dem Teppich. Auch auf eine sehr eigentümliche Art und Weise, denn sie liegen beide halb übereinander ohne sich was zu nehmen. Honda-kun schnarcht! Otogi-kun hat im Schlaf seine Hand über das Gesicht des Brünetten gelegt. Wahrscheinlich ein unbewusster Versuch das störende Geräusch abzuschalten. Keine Chance. Ein Wunder, dass Honda-kun nicht erstickt ist. Ich kicher.
 

Warum hab ich sowas nicht schon viel früher mal angeleiert? Weil Seto es mir nie erlaubt hätte! Aber er hat es mir doch dieses Mal auch erlaubt... Es ist zu früh, um über so etwas zu sinnieren. Ich muss auf's Klo!
 

Also schieb ich Yugi sanft von mir, der sich irgendwann aufrichtet, mich kurz völlig neben sich stehend anblickt und schließlich zur anderen Seite wieder auf die Couch fällt. Er schläft einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Hatte Yugi da gerade einen Sabberfaden am Mundwinkel? ZVI! Zu. Viele. Informationen. Wieder muss ich kichern.
 

Vorsichtig stemm ich mich hoch, darauf bedacht Bakura-kun nicht aufzuwecken. Dessen Haare stehen völlig wirr in alle Richtung. Ein Gesicht kann ich nicht erkennen. Dafür hängen seine langen, weiße Haare einfach zu wild überall herum. Er erinnert mich an ein Haarmonster, dessen Haare ein Eigenleben haben könnte.
 

Dann fällt mein Blick wieder auf Honda- und Otogi-kun, die vor der Couch auf dem Boden liegen. Da komm ich nie durch ohne über einen oder beide zu stolpern. Behutsam stemm ich mich an der Rückenlehen nach oben und halte kurz inne. Wieso vorne rum gehen, wenn ich einfach über die Lehne steigen kann. Gute Idee!
 

Also steig ich drüber, bleib aber mit dem Fuß zwischen den Sitzkissen hängen und verliere das Gleichgewicht. Laut fall ich über die Lehne und lande kopfüber auf dem Boden hinter der Couch. Meine Position erinnert mich an die Yoga-Figur 'Pflug'. Ich verharre in dieser eigentümlichen Position und lausche. Hab ich jemanden geweckt? Scheinbar nicht!
 

Meine Beine fallen endlich aus ihrer senkrechten Position über mich und ich kann mich aufrappeln. Wacklig komme ich zum Stehen. Das könnte ja schon fast als Sport am frühen Morgen durchgehen. Egal. Ich bin frei... FREI... wieder kichere ich in mich hinein. Ich fühl mich irgendwie total gut. Uuuh, aber ich muss auf Toilette!
 

Ich eile barfuß durch die Eingangshalle zur Treppe, die ich im Eilschritt nehme. Schnellen Schrittes lauf ich durch den Flur zu meinem Zimmer. Früher lag mein Zimmer auf der anderen Seite des Hauses. Doch als ER verschwunden war bin ich umgezogen. Ich wollte näher bei meinem großen Bruder sein. Daher liegen unsere Zimmer jetzt einander gegenüber. So bekomm ich auch immer mit, wann Seto heim kommt.
 

Die Tür zu meinem Zimmer wird achtlos von mir aufgestoßen und endlich... erreich ich mein Ziel: Mein Badezimmer. Erst als der Druck nachlässt schlag ich mir gegen die Stirn. Ich hätte auch das WC im Erdgeschoss nehmen können. Daran hab ich gar nicht mehr gedacht! Ja... es ist halt noch... na ja uhrzeittechnisch ist 'früh' nicht der richtige Begriff, aber es fühlt sich so an.
 

Gerade als ich gemütlich wieder zurück zu den anderen gehen möchte geht Seto's Zimmertür auf und Jou-kun tritt dicht gefolgt von Seto auf den Gang. Mir klappt die Kinnlade runter. Jonouchi war bei Seto im Zimmer? Das duldet Seto selbst bei mir nur, wenn ich einen Albtraum hatte und bei ihm Schutz suche. Ansonsten darf ich keine Fuß in sein Zimmer setzen. Jou-kun's Haare stehen wirr ab. O. M. G. Kann es sein, dass der Blonde bei Seto... übernachtet hat?
 

Der Blonde begrüßt mich sanft lächelnd, während er mir über das Haar wuschelt. Dann geht er vor zur Treppe. Ich blick ihm hinterher und dann zu Seto auf, der bei mir stehen geblieben ist. Irgendwas ist an Seto anders. Er... wirkt nicht so unnahbar wie sonst. Also nicht, dass er mich so weit von sich hält, wie andere... aber richtig nah sein kann ich ihm nicht. Sind Seto's Wangen rot?
 

'Du und Jou-kun?' rutscht es mir raus und sofort kassier ich einen entsetzten Blick von meinem großen Bruder und sein Gesicht wird knallrot. Er winkt ab. Es ist nicht wie es scheint, murmelt Seto und setzt sich langsam auch in Bewegung. Ach nein? Nicht so, wie es scheint? Wie ist es denn dann?
 

Ich lass nicht locker und hake immer wieder freudig und aufgeregt nach. Schließlich erreichen wir sein Hausbüro und er stellt sich in die Tür. Er versucht mich streng anzufunkeln. Aber das klappt nicht! Ich grinse nur breit und erwartungsvoll. Dann meint er nur, ich soll mich um meine Gäste kümmern und schließt die Tür hinter sich.
 

Huh? Was war das denn jetzt? Mein Blick wandert den Flur entlang zur Eingangshalle und ich überlege ob Jou-kun gesprächiger sein wird? Ein Versuch ist es wert. Also spring ich in freudiger Erwartung den Gang entlang und in die Küche, in der Jou sich an die Frühstückszubereitung gemacht hat.
 

Als er sich zu mir dreht erstarrt er kurz und erwidert mein Grinsen sanft. 'Du und Seto? kommt es in einem ganz unschuldigen Ton von mir und mein Grinsen wird noch breiter. Jetzt röten sich auch die Wangen des Blonden, bevor er sich verlegen am Hinterkopf kratzt. Auch von ihm kommt ein 'So ist das nicht!'. Ja, wie denn dann? Warum erzählt denn niemand, was denn jetzt war?
 

Ich wühl mir durch meine Haare und verliere die Geduld. Energisch fordere ich Antworten. Haben die beiden nun die Nacht zusammen verbracht oder nicht? Und wenn sie haben, in welcher Art und Weise? Heißt das, dass die beiden endlich eingesehen haben, dass sie gut zusammen passen? Oder was ist nun?
 

Verlegen blickt mich Jou-kun an und meint nur, dass er nicht darüber sprechen kann. Er möchte Seto nicht in Verlegenheit bringen, aber alles wäre ganz harmlos und platonisch gewesen. Was jetzt? Das war's? Mehr nicht? Was zum...
 

Ich will schon protestieren und Einzelheiten fordern, als er mich bittet die anderen zu wecken. Ich grummel kurz, bevor ich seiner Bitte nachkomme und die Küche verlasse. Das war jetzt nicht die Antwort, die ich erwartet oder gewollt habe. Zwei, die eigentlich so gut zusammen passen, zu verkuppeln ist echt schwerer, als ich gedacht habe. Vielleicht, ... brauch ich doch Hilfe dabei!
 

Dann geh ich mal die anderen wecken und auf meinem Gesicht zeichnet sich ein breites, diabolisches Grinsen ab.

Keinen Schritt voran!

Alter, siehst du scheiße aus! Das sag ich nicht, aber ich denke es mir. Selbst wenn ich es sagen würde, könntest du es nicht leugnen! Seit einiger Zeit beobachten wir schon, wie deine Augenringe mit jedem Tag dunkler werden. Zu viel zu tun, um zu schlafen? Oder haben die Augenringe einen anderen Grund? Mir kommt wieder dieses Bild von dir in den Kopf, wie du dich verzweifelt an den Vorhang klammerst, die Stirn an die Wand lehnst und weinst.
 

Doch seit diesem Erlebnis setzt du alles daran, mich auf Abstand zu halten. Das hatte schon an dem besagten Samstag angefangen. Du hattest dich in dein Hausbüro verkrochen, während ich das Frühstück vorbereitet hatte. Mir war klar, dass du nicht an einem gemeinsamen Frühstück teilnehmen würdest. Also hab ich dir auf einem Tablett eine Auswahl an Reis, pochierten Eier, Natto und Omelette, sowie grünen Tee vorbereitet.
 

Noch ehe die anderen endlich fit waren ihre Mägen zu füllen bin ich los, um dir dein Frühstück zu bringen. Erstaunlicherweise hatte ich den Weg zu deinem Hausbüro auf Anhieb gefunden. Also hatte ich angeklopft und bin rein ohne auf eine Antwort zu warten. Hätte ich auf eine Einladung von dir gewartet würde ich da wahrscheinlich heute noch stehen. Man hast du mich in dem Moment angeschaut! Es war so eine Mischung aus Unglauben und Mordslust. Am Tag davor hätte ich mich davon ja vielleicht noch beeindrucken lassen. Aber seit ich wusste, dass das nur dem einen Zweck dienen sollte, alle auf Abstand zu halten, hatte es irgendwie seine Wirkung verloren.
 

Ich hatte das Tablett auf deinen Schreibtisch gestellt, dich sanft angelächelt und mich in einen der Stühle vor deinem Tisch fallen lassen. Immer noch hattest du mich nur verständnislos angestiert. Wahrscheinlich hattest du erwartet, dass ich mich von deinem Blick vergraulen ließ. Völlig entgeistert schautest du erst auf das Tablett und dann zu mir. Dann warst du langsam aufgestanden und hattest mich gefragt, ob ich sie noch alle hätte. Mein Lächeln wandelte sich in ein seichtes Grinsen. Ich hatte damit gerechnet, dass du mich wieder auf Abstand bringen wollen würdest, indem du mich ankeifst und provozierst. Aber ich ließ mich darauf nicht ein!
 

Ich nahm mir eine der beiden Tassen und nippte nur ruhig an meinem Tee. Das ich nicht wie gewohnt auf dich reagierte schien dir absolut nicht zu behagen. Du wolltest schon ansetzen und weiterkeifen da hatte ich ganz ruhig und sanft zu dir gesagt, dass das nicht mehr klappen wird! Stille folgte. Du warst an dem Morgen nicht sehr schlagfertig! Als ich zu dir aufblickte merkte ich, wie du immer noch deine eiskalte Fassade zu demonstrieren versuchtest. Doch ich wusste jetzt zumindest ansatzweise, wie es hinter deiner Fassade aussah. Also hatte ich mich nicht beirren lassen und beschlossen nicht zuzulassen, dass du wieder zurück weichst.
 

Dann fragte ich dich direkt, was denn schon dabei wäre, dass ich dich an diesem Morgen so 'menschlich' gesehen hätte. Du versuchtest unberührt zu wirken, doch dir war die Farbe aus dem Gesicht gewichen. Schließlich hattest du den Blick, den du bis dahin ununterbrochen auf mir ruhen hattest, zu Boden geschlagen. Hatte ich in dem Moment wirklich den Staring-Contest gegen dich gewonnen? War das ein Zeichen?
 

Doch dann fragtest du mich, was ich von dir will! Dabei klangst du so geschäftlich, als würdest du mit einem deiner Geschäftsfuzzi sprechen. Ich blickte dich nur verwirrt an und gab ein 'Hä' von mir. Dein Blick richtete sich wieder auf mich und tatsächlich lag so viel Kälte in ihm, dass ich kurz fröstelte. Du wiederholtest deine Frage, mit deutlicher Schärfe in deiner Stimme. Da wurde mir klar, dass du damit gerechnet hast, dass ich Geld oder irgendeine Gegenleistung verlangen würde.
 

Also stand ich auf, ging langsam um deinen Schreibtisch und lächelte dich wieder an. Du hattest mich keinen Moment aus den Augen gelassen und warst so angespannt, als würdest du tatsächlich einen Angriff von mir erwarten. Da hab ich mich das erste Mal gefragt, was du wohl schon alles in deinem Leben erlebt hattest, dass es dir so schwer fiel, jemanden zu vertrauen. Dass du hinter jeden freundlichen Geste irgendeine Arglist oder Hinterhalt vermutest.
 

Schließlich wiederholtest du deine Frage zum zweiten Mal. Immer noch lächelnd blickte ich dich an und antwortete, dass ich nichts wollen würde, außer zu sehen, wie du dich hinsetzen und dein Frühstück genießen würdest. Doch statt meiner Bitte nachzukommen hattest du deine Arme vor der Brust verschränkt und mich lange gemustert. Scheinbar warst du auf der Suche nach einem Indiz, dass ich dich veräppeln würde und gleich mit 'ner ellenlangen Liste an Forderungen aufwarten würde.
 

Ich seufzte und erkannte, dass ich es dir wohl einfach mal klipp und klar sagen müsste. Also hab ich dir gesagt, dass es nichts gäbe, was du mir anbieten könntest, um mein Schweigen und meine Vertraulichkeit zu kaufen! Beides gab es von mir für dich umsonst. Als Freund!
 

Du hattest mich nur fassungslos und misstrauisch angeschaut und ich hoffte, dass das endlich zu dir durchdrang. Dass es endlich deinen Versuche, mich wieder auf Abstand zu bringen, beenden würde. Doch von dir kam nur die Frage, warum ich das tun sollte! Tonlos, kalt und provozierend.
 

Man, dir bei zu kommen, war ja eine ebenso epische Aufgabe, wie einen Berg zu bewegen. Also beschloss ich meine Karten endgültig offen auf den Tisch zu legen. Hatte dir gesagt, dass ich dir die Rolle des Arsches unter keinen Umständen mehr abkaufen würde. Das ich gesehen hätte, wie du unter deiner Einsamkeit leidest. Ich hatte dir deutlich gesagt, dass ich denke, dass du jemand brauchst, an den du dich lehnen kannst. Jemand, vor dem du nicht stark sein musst. der dir Halt geben kann, wenn du es brauchst. Bei dem du einfach jemand ohne Verpflichtung sein konntest!
 

Eigentlich war ich davon ausgegangen mit dieser gnadenlosen Offenheit deine Gegenwehr endlich geknackt zu haben. Doch dann hatte ich bemerkt, wie du deine Hände in deine Arme gekrallt und leicht zu zittern angefangen hattest. Deine Zähne waren so fest aufeinander gepresst, dass ich jede Wette eingegangen wäre, dass man sie nicht mal mit 'nem Brecheisen aufstemmen könnte. Deine Körpersprache hatte Ähnlichkeit mit dem Moment am Morgen, als du um deine Fassung gerungen hattest.
 

Dann nahmst du das Tablett von deinem Tisch, hattest mich mit der anderen Hand am Arm gepackt und unsanft zur Tür geschoben. Dort hattest du die Tür mit Elan geöffnet, mich raus geschubst, mir das Tablett in die Hand gedrückt und mir lautstark gesagt, dass du weder mein Mitleid, noch meine Freundschaft wolltest. Abschließend hattest du die Tür mit Schwung ins Schloss geschlagen und abgeschlossen.
 

Bis heute kann ich nicht wirklich verstehen, warum du dich so dagegen wehrst jemand bewusst dein wahres Ich zu zeigen.
 

Als ich mich zum Gehen wenden wollte sah ich, dass du immer noch an der Tür standest. Dein Schatten im Türspalt hatte dich verraten. Zu meiner Überraschung standen Mokuba und meine Freunde keine drei Meter von mir entfernt. Ich blickte sie etwas geschockt an und winkte ab. Alles halb so wild, hatte ich versucht über die Situation hinwegzutäuschen. Es wäre nur das übliche zwischen dir und mir. Doch ich konnte sehen, dass mir keiner Glauben schenkte.
 

Mokuba war an mir vorbei gelaufen und klopfte seichte an die Bürotür. Doch du hattest beschlossen nicht zu reagieren. Noch immer musstest du in dem Moment hinter der Tür gestanden haben. Immer wieder rief der Kleine nach dir, klopfte verzweifelt und ich reichte das Tablett an Honda weiter. Dann legte ich deinem kleinen Bruder die Hand auf die Schulter und führte ihn weg. Mir war klar, dass du jetzt einfach niemanden in deiner Nähe dulden konntest. Nicht einmal deinen kleinen Bruder. Er hätte sonst etwas sehen können, was er nicht hätte sehen sollen. Das restliche Wochenende hattest du dich nicht mehr blicken lassen. Ich versuchte dich noch einmal abzupassen, aber du warst nicht einmal aus deinem Büro gekommen.
 

Als ich dir montags drauf deine Bentō-Box hinstellte war mir schon klar, dass du sie nicht annehmen würdest. Nicht annehmen konntest. Und genauso war es dann auch. Nach der Pause hatte ich die unberührte Box auf meinem Platz gefunden. Doch das war mir egal. Ich brachte dir weiterhin jeden Tag eine mit, stellte sie zu Pausenbeginn auf deinen Platz und fand sie nach Pausenende auf meinem vor. Mit dir zu reden war absolut nicht möglich, du hattest uns schlichtweg ignoriert und ausgeblendet. Doch ich ließ nicht locker und hatte mich ebenso unnachgiebig gezeigt.
 

Was uns alle überrascht hatte war, dass du Mokuba erlaubt hattest uns von da an regelmäßig für ein Wochenende einzuladen. Doch du zogst es stets vor dich entweder in deinem Schlafzimmer oder in deinem Hausbüro zu verbarrikadieren. Auch dort hab ich nicht aufgegeben. Hatte mehrmals das Gespräch mit dir gesucht. Manchmal ganze Monologe durch die Tür geführt. Dir Essen vor die Tür gestellt. Es unberührt bei nächster Gelegenheit wieder mitgenommen. Wie konnte man nur so stur sein?
 

Wieder fällt mein Blick auf dich. Du siehst nicht gut aus. In letzter Zeit bist du blasser geworden und deine Augenringe dunkler! Doch noch immer erlaubst du nicht, dass dir jemand nahe kommt!

Einen Schritt, der bewegt

Warum - WARUM - könnt ihr mir nicht meine Ruhe lassen? Ständig scharwenzelt einer von euch um mich herum. Hauptsächlich der blonde Köter! Was bildet der sich ein? Nur weil ich einmal - EINMAL - die Kontrolle verloren habe und er es miterlebt hat, meint er jetzt, er würde mich kennen? Wissen wer ich bin? Schwafelte mich mit Freundschaft voll. Dass ich jemand bräuchte, bei dem ich Halt finden könnte! Bei dem ich sein könnte, wie ich bin, ohne Angst! Als ob er nicht die erstbeste Gelegenheit nutzen würde, aus dem, was er über mich erfahren würde, Geld zu schlagen.
 

Ich bin müde! MÜDE! Alles was ich will ist meine Ruhe! Status Quo! Ab und zu einen verbalen Schlagabtausch mit dem Blonden. Einfach zum Entspannen und Spaß haben! Doch der Streuner... hat es irgendwie geschafft durch meine Mauer zu brechen und etwas gesehen, was er nicht sehen sollte. Niemand! Niemals! Seitdem... kommen immer wieder Dinge hoch. Bilder. Empfindungen. Erinnerungen. Und ich kann mich nicht dagegen wehren! Ich hasse es, so hilflos zu sein!
 

Also hab ich mir Schlaftabletten verschreiben lassen. Mein Arzt faselte auch nur davon, dass das keine Dauerlösung sei. Muss es auch nicht. Nur solange, bis ich meine Mauer wieder repariert habe. Dann kann alles wieder zum normalen Zustand zurück finden. Ich krieg meinen Schlaf. Kann schlagfertig sein. Gewieft. Professionell. Aber bis dahin...
 

Gerade als ich in den Eingangsbereich der Schule biegen will sehe ich den Kindergarten, wie sie ihre Schuhe wechseln, Jacken und Mäntel anziehen und sich bereit machen ihren Nachmittag zu genießen. Wahrscheinlich sitzen sie wieder stundenlang bei Burger World und stopfen sich die Bäuche mit diesem fettigen Zeug voll. Bis Jonouchi kurz vor knapp aufspringt, sich verabschiedet und zum Conbini bei meiner Firma um die Ecke hechtet, dort sechs Stunden schuftet, schrubbt und Regale auffüllt, bevor er... STOPP!
 

Was interessiert mich der Scheiß?
 

Als sie endlich durch die Tür sind gehe ich zu meinem Spint und wechsel auch mein Schuhwerk, bevor ich mir meinen Mantel überziehe. Gerade als ich durch die Fronttür möchte sehe ich, dass der Kindergarten auf dem Hof stehen geblieben ist und sich jemand zu ihnen gesellt hat. Ich kenn den Typ Mitte dreißig. Sein Name ist Hayashi Takeo, ein Möchte-Gern-Journalist eines wöchentlich erscheinenden Schmierblatts für Klatsch und Tratsch in der Promiwelt. Er hat schon einige Male bei mir wegen einem Interview angefragt. Doch meine Recherchen haben ergeben, dass es nicht ratsam wäre mit ihm zu sprechen. Er ist weder seriös, noch clever. Einige Promis, mit denen er Gespräche geführt hatte, hatten sich beklagt, dass er Antworten aus dem Kontext gerissen oder völlig auseinander genommen hätte, bis sie zu seiner 'Story', die er erzählen wollte, gepasst haben. Manche haben ihn sogar verklagt.
 

Genau der verteilte gerade seine Visitenkarte beim Kindergarten. Toll! Als hätte ich es nicht gewusst. Jetzt bewahrheiteten sich meine Befürchtungen und zeigt mir, dass ich damit Recht gehabt habe, diesen abgebrannten Versager nicht zu vertrauen. Die und ihr Gefasel von Freundschaft und Treue. Ich höre, wie Hayashi jedem von ihnen 50.000 Yen [1] bietet, wenn sie ihm eine Story über mich und meinen Bruder liefern. Ein nicht zu verachtendes Honorar für etwas Tratsch, aus dem er sich dann eine eigene schmutzige Story zurecht basteln kann.
 

Jonouchi tritt vor. Als hätte ich es nicht gewusst! Der Blonde ist chronisch pleite und kann das Geld sicher gut gebrauchen! Doch er drückt die Visitenkarte gegen die Brust von Hayashi und lässt sie dann mit einer verächtlichen Geste und den Worten 'Kein Interesse' fallen. Die anderen vom Kindergarten werfen die Visitenkarten auch in den schneebedeckten Boden des Schulhofs.
 

Doch so leicht gibt Hayashi nicht auf. Er erhöht sein Angebot auf 75.000 Yen für jeden oder 150.000 Yen, wenn einer ihm exklusive Details über mein Leben ausplaudert. 150.000 Yen? Wow, jetzt wird der Blonde einknicken! Davon kann er locker einen Monat über die Runde bringen ohne sich in die Erschöpfung schuften zu müssen. Er wäre schön blöd, wenn er es ausschlagen würde. Doch Jonouchi verspottet den Reporter nur und will an ihm vorbei gehen.
 

Da hält ihn Hayashi am Arm fest. Der Blonde bleibt stehen und blickt ernst zu dem älteren Mann auf. Der meint mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht nur, dass wenn er keine Story über mich in der nächsten Ausgabe bringen kann er vielleicht eine bewegende Story von dem Blonden schreibt. Von einem Oberschüler, der in der Mühle der Gesellschaft droht zermahlen zu werden. Der gegen geltende Schulregeln verstößt, um sich und einen Alkoholiker von Vater mit drei Jobs über Wasser zu halten. Das er wisse, dass Jonouchi mit den drei Jobs kaum genug verdient, um alle Spielschulden, die sein alter Herr in den diversen Mahjong-Stuben der Yakzua anhäuft, abzubezahlen. Und er gehört haben will, dass die Yakuza bald bei dem Blonden auf der Matte stehen wird, um ihn die Tilgung der Schulden anders abarbeiten zu lassen. Dabei grinst er widerlich und anzüglich.
 

Der Kindergarten ist - genauso wie ich - schockiert von dem, was von dem Reporter kommt. Klar, ich wusste, dass Jonouchi in dem Conbini arbeitet, aber wo findet er noch Zeit für zwei weitere Jobs? Stimmt das mit seinem Vater wirklich? Ist der ein spielsüchtiger Alkoholiker, der Schulden über Schulden anhäuft? Bei der Yakuza? Oder ist das nur schmückendes, frei erfundenes Beiwerk von Hayashi?
 

Im nächsten Moment geht Hayashi zu Boden. Niedergeschlagen von dem Blonden, der immer noch mit der geschlossenen Faust dasteht und auf ihn herunter blickt. Jonouchi ist wütend. Nun ja... so wie der Kindergarten ihn anschaut, hatte der Blonde seine Situation auch vor ihnen verheimlicht! Hätte Hayashi etwas derartiges über mich heraus gefunden und es einfach ausgeplaudert, dann hätte ich ihn wahrscheinlich auch zu Boden geschlagen.
 

Doch dann überrascht mich der Blonde ein weiteres Mal! Mit bedrohlicher, aber fester Stimme meint er zu dem immer noch am Boden liegenden Reporter, der sich die blutende Nase hält, dass er über ihn schreiben könne, was er wolle. Das würde ihn nicht kümmern. Doch sollte er es wagen, auch nur ein Wort über mich, meinen Bruder oder unser Leben zu drucken, dann wüsste er, wo er Hayashi finden könne und sie dann diese Unterhaltung fortsetzen würden. Mit diesen Worten bückt sich Jonouchi, hebt die Visitenkarte aus dem Schnee und steigt dann demonstrativ mit einem Schritt über den Schmierfinken. Die anderen vom Kindergarten laufen mit einem verächtlichen Schnauben um den Reporter, bis auf Honda, der ebenfalls über Hayashi drüber steigt und einen gezielten Tritt platziert, bevor er zu seinen Freunden aufschließt.
 

Völlig verwirrt taumel ich zurück ins Schulgebäude und lehn mich gegen eine Wand. Ich hab den Kindergarten im Allgemeinen, Jonouchi aber im Speziellen, wie den letzten Dreck behandelt. Bin ihnen mit Ignoranz und Arroganz begegnet. Hab sie immer wieder von mir weggestoßen, beleidigt und sie klein gemacht. Sie hätten allen Grund dazu mich zu hassen oder zumindest zu verabscheuen. Dennoch haben sie nicht einen Moment lang in Erwägung gezogen das Angebot von Hayashi - das sehr gut war - anzunehmen. Ohne Zögern hatte Jonouchi selbst nach der Erhöhung und seiner prekären finanziellen Lage sich dem Schmierfink verweigert. Noch mehr, er war vorgetreten und hat sich schützend vor mich gestellt. Wieso? Wieso sollte er das tun? Was verspricht er sich davon? Er hat unmöglich wissen können, dass ich das mitbekomme! Ich verspüre ein kurzes Ziehen in der Brust, dass aber genauso schnell verschwindet, wie es gekommen war.
 

Und mir stellt sich nur eine Frage: Sieht so Freundschaft aus?
 

***** ***** ***** ***** *****
 

[1] ¥ 50.000 ≈ € 400

Einen Schritt zur Seite, um Hilfe zu holen

Ich liege in meinem Bett, bin noch wach und kann nicht schlafen. Wozu sollte ich es auch versuchen? Ich weiß, dass ich dich gleich schreien höre. Danach werde ich durch zwei Türen und über den Flur hinweg dein Weinen wahrnehmen können. Schließlich wirst du Stunden lang in deinem Zimmer auf und ab laufen.
 

So wie fast jede Nacht in den letzten Wochen! Ich mache mir so große Sorgen um dich. Doch du lässt mich nicht zu dir. Selbst wenn ich vor deiner Tür stehe und dich bitte - nein - anbettle mich zu dir rein zu lassen, reagierst du nicht. Warum? Warum darf ich dich nicht trösten? Bei dir sein? Dich nicht halten? Dir Kraft schenken, wenn du sie doch so dringen brauchst?
 

Ich setze mich auf. So kann es nicht mehr weiter gehen. Ich kann nicht mehr untätig bleiben! Es muss doch eine Möglichkeit geben an dich ran zu kommen. Ich hatte gehofft, jetzt in den Winterferien eine Möglichkeit zu finden zu dir durchzudringen. Doch statt den Vormittag mit mir zu verbringen, wie du es sonst machst, fliehst du in die Firma. Von Isono weiß ich, dass du dort nichts Produktives mehr zustande bekommst! Du bist viel zu erschöpft und ohne es zu merken hat Isono einen Großteil deiner Aufgaben übernommen. Keiner in der Firma hat etwas gemerkt. Oder wenn sie es gemerkt haben, lassen sie es sich nicht anmerken!
 

Dann durchdringt dein Schrei die Stille meines Zimmers. Es ist ein markerschütternder Schrei voller Angst, Entsetzen und Schmerzen. Noch einer dringt zu mir. Und noch einer. Ich springe verzweifelt aus dem Bett, renn zu meiner Tür, reiß sie auf und stürm an die Tür zu deinem Zimmer. Abgeschlossen! Wie immer in letzter Zeit. Ich poltere panisch mit der Faust gegen die Tür. Du versuchst das laute Schluchzen zu unterdrücken, doch es gelingt dir nicht. Es klingt völlig hysterisch und panisch.
 

Ich renn wieder in mein Zimmer. Greife nach meinem Handy auf dem Nachttisch. Such in den Kontakten nach Jonouchi. Vor einigen Tagen hab ich mit ihm über dich gesprochen. Ihm meine Angst anvertraut. Er meinte, ich könne ihn zu jeder Zeit anrufen. Tag und Nacht. JEDERZEIT! Das mach ich jetzt. Es dauert kaum zwei Klingelzeichen, dann hab ich ihn in der Leitung. Ich brauch gar nichts sagen oder erklären. Ich höre nur seine beruhigende Stimme, die mir versichert, dass er gleich da sein wird.
 

Mit dem Handy in der Hand renn ich wieder in den Flur zu deiner Tür. Ich lege meine Hand auf das Holz. Ruf dir zu, dass gleich Hilfe kommen wird. Bitte dich wieder - wiederholt - mir zu öffnen und mich rein zu lassen. Mittlerweile kann ich dich laufen hören. Hin und her. Doch du weinst immer noch. Oh Mann, sei doch einmal in deinem Leben nicht der Dickkopf! Lass dir helfen! Bitte...
 

Es sind noch keine zehn Minuten vergangen, da höre ich ein Auto die Auffahrt hochkommen. Ich blicke aus dem Flurfenster und sehe ein Taxi. Kaum steht es, geht die Tür auf und Jonouchi kommt heraus gesprungen. Ich renn zur Eingangstür. Lass ihn rein. Während wir die Treppe hochlaufen schält er sich aus seinem nassen Parka. Der, den er von Seto hat. Irgendwo auf dem Weg lässt er ihn auf einen Stuhl fallen. Dann kommen wir an Setos Tür an.
 

Der Blonde lauscht kurz an der Tür. Immer noch ist Seto deutlich zu hören. Wie er weint. Schreit. Wütet. Wie er förmlich durch sein Zimmer rennt. Ruhelos. Panisch. Dann geht Jonouchi vor mir in die Knie und blickt mich an. Sanft lächelt er mich an. Wie kann er jetzt, in dieser Situation, nur lächeln? Er legt mir vorsichtig eine Hand auf die Wange und verspricht mir, dass alles wieder gut werden wird. Aber jetzt solle ich in mein Zimmer gehen und versuchen zu schlafen!
 

Nein! Das will ich nicht! Ich will zu Seto! Muss wissen, dass es ihm gut geht! Doch Jonouchi lässt sich nicht beirren. Es sei für Seto wichtig, dass er das Gefühl habe, dass ich in ihm jemand sehe, der stark ist und ihn beschützen kann. Das würde ich ihm nehmen, wenn ich jetzt gleich mit in das Zimmer ginge und ihn so sähe. Ich verstehe es nicht! Denn ich kann ihn doch hören. Weiß, dass er in diesem Augenblick nicht stark ist. Aber das ist nur dieser Augenblick. Sonst ist er ein Fels in der Brandung für mich. Doch langsam nicke ich. Ich kann nicht verhindern, dass mir eine Träne über das Gesicht läuft.
 

Vorsichtig zieht mich der Blonde in eine innige Umarmung und ich umarm ihn auch. Ich bin so froh, dass ich... und auch Seto... das wir einen Freund wie Jonouchi haben. Einen, auf den man sich verlassen kann, wenn es darauf ankommt.
 

Und als ich mich von ihm löse, folge ich seiner Bitte. Ich geh in mein Zimmer, schließe die Tür und setz mich auf mein Bett. Schlafen kann ich nicht! Dafür bin ich zu aufgewühlt. Aber ich kann meinem Bruder seinen Stolz und seine Würde lassen. Ihm die Illusion gewähren, dass ich nichts von allem mitbekomme. So wie auch schon in der Vergangenheit das eine oder andere Mal!
 

Ich hoffe, dass Jonouchi einen Weg findet zu Seto durchzukommen und ihm helfen kann. Inständig. Aus dem tiefsten Inneren meines Herzes! Damit mein Bruder endlich aufhört zu leiden!

Einen Schritt erzwingen!

Für einen Moment blicke ich Mokuba hinterher. Ich weiß, was ich von ihm verlange und wie schwer es für ihn sein muss, meiner Bitte nachzukommen. Aber so ist es besser. Das es wichtig für Seto wäre, dass Mokuba ihn nicht so sieht, ist nur die halbe Wahrheit. Etwas zu hören ist eine Sache. Es mit eigenen Augen zu sehen, eine ganz andere. Ich möchte nicht, dass Mokuba Seto so sieht und sich das Bild seines Bruders dadurch nachhaltig verändert.
 

Dann wende ich mich der Tür zu Setos Schlafzimmer zu. Ich klopfe. Sag ihm wer da ist. Bitte ihn aufzumachen. Keine Reaktion. Ich kann hören, wie er auf- und abgeht. Kenn die Taktik sich durch Bewegung so zu erschöpfen, dass der Körper nicht anders kann als einen in einen traumlosen Schlaf fallen zu lassen. Kann hören, wie er schluchzt und dagegen ankämpft. Darum kämpft die Fassung zurück zu erlangen. Doch er schafft es nicht. Er ist zu aufgewühlt, als dass er die Kontrolle zurück gewinnen könnte. Und er ist nicht gewillt die Tür zu öffnen.
 

Okay... dann anders. Ich schau mir das Schloss an und recht schnell wird mir klar, wie man es aufkriegt. Hab 'ne Menge Übung in sowas. Schließ mich ständig irgendwo aus. Es dauert ein paar Minuten. Immer wieder hör ich Seto anhalten und laut weinen. Als ob er nicht mehr genügend Kraft hätte beides zur gleichen Zeit zu tun. Dann entriegelt endlich das Schloss und ich kann vorsichtig die Tür öffnen. In Setos Zimmer sieht es wüst aus. Scheinbar hatte Seto einen Wutanfall und hat während dessen all seine Klamotten wild im Zimmer verteilt. Bilderrahmen liegen kreuz und quer auf dem Boden verstreut. Irgendwo scheint ein Kissen zerrissen worden zu sein, denn überall liegen Federn rum. Einer der Vorhänge hängt nur noch halb an seiner Aufhängung.
 

Mitten in diesem Chaos sehe ich Seto. Wie er sich vornüber an das Fußende seines Bettes krallt. Ich kann hören, wie die Fingernägel über das Holz schaben. Sein Rücken bebt wild, während er scheinbar einen weiteren Weinkrampf erleidet. Er steht kurz davor zusammen zu brechen. Das kann ich mit einem Blick erkennen.
 

Ich trete ins Zimmer, schließe die Tür hinter mir und bahne mir einen Weg zu ihm. Mir ist völlig klar, wie er gleich reagieren wird. Und ich behalte recht! Als ich vorsichtig meine Hand auf seine Schulter lege, wirbelt er erschrocken zu mir um. Seine Augen sind so rot und geschwollen, dass es ein Wunder ist, dass er überhaupt noch etwas erkennt. Darunter die dunklen Augenringe. Immer neue Tränen quellen aus seinen Augen, suchen ihren Weg über seine Wangen. Sein Atem kommt nur noch stoßweise.
 

Seto ist regelrecht entsetzt, versucht nach hinten von mir wegzukommen. Doch das Fußbrett des Bettes hindert ihn an der Flucht. Panisch blickt er an mir vorbei und sucht etwas hinter mir, während er versucht mich abzuwehren. Leise sag ich ihm, dass Mokuba in seinem eigenen Zimmer ist. Das nur ich hier bin. Ich und sonst niemand. Irgendwie gelingt es mir seine Hände zu bändigen. Er schreit mich panisch an. Immer wieder wiederholt er den selben Satz. Er will nicht! Er will nicht! Was will er nicht? Was kann ihn nur derartig in Panik versetzen, dass er die Kontrolle so verliert, dass er unfähig ist sie zurück zu erlangen.
 

Es wird alles gut, mein Drache! Erst im Nachhinein wird mir bewusst, dass ich das laut gesagt habe. Seto hört auf sich zu wiederholen. Immer noch schaut er mich aus völlig verweinten, panischen Augen an. Sanft zieh ich ihn zu mir. Erst sträubt er sich, doch ich lass nicht locker. Drücke ihn sanft an meine Brust. Jetzt bin ich es, der sich wiederholt. Wieder kommen die Worte über meine Lippen. Es wird alles gut, mein Drache!
 

Plötzlich schlingt er seine Arme um mich und klammert sich wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Irgendetwas scheint sich in ihm zu lösen und er weint hemmungslos. Gemeinsam sinken wir auf die Knie. Streiche ihm nur sanft durch das Haar. Kraul seinen Nacken. Lass ihn weinen. Das alles muss endlich raus aus ihm. Weinen hilft dabei. Das ist nichts Schlimmes! Keine Schwäche! Nach dem Weinen fühlt man sich oft einfach besser, weil dann der Druck abbaut. Ich weiß, dass Seto eine andere Ansicht dazu hat. Er versucht immer seine Gefühle zu unterdrücken. Von sich zu weisen. Keine Regung nach außen zu lassen. Daher hat sich viel in ihm angestaut.
 

Nach einer ganzen Weile versiegen seine Tränen nach und nach und ich spüre, wie sein Körper entspannt und erschlafft. Vorsichtig steh ich auf, zieh ihn mit mir hoch und mit seiner allerletzten Energie führ ich ihn zu seinem Bett, krabbel mit ihm hinein und zieh ihn, immer noch im Arm haltend in eine liegende Position. Fast sofort schläft er ein. Weinen kostet nun mal eine Menge Kraft. Das man hinterher erschöpft ist, ist nicht verwunderlich. Noch immer krallt sich eine seiner Hände in mein Shirt. Ich ziehe ihn enger in meinen Arm, streiche sanft durch sein Haar. Auch wenn er schläft, bin ich mir sicher, dass er diese beruhigende Geste unterbewusst wahrnehmen wird.
 

Plötzlich geht vorsichtig und fast geräuschlos die Tür auf und ängstliche grau-blaue Augen blicken mich an. Ich wink den Kleinen heran und er tapst unsicher durch das Chaos. Als er erkennt, dass sein Bruder eng an mich gekuschelt friedlich schläft, scheint er aufzuatmen und ein vorsichtiges Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht. Wieder hat er Tränen in den Augen. Sanft wisch ich sie ihm weg und sag ihm, dass ich meine Versprechen immer halte und er nun schlafen gehen soll. Er nickt, drückt Seto noch einen Kuss auf die Wange und verschwindet wieder.
 

Ich blicke zu Seto, der scheinbar endlich die Ruhe gefunden hat, die er schon so lange nötig hatte und nicht finden konnte. Ganz friedlich atmet er tief und gleichmäßig ein und aus. Kuschelt sich sogar noch etwas enger an mich. Ich halte ihn ganz fest, damit er auch im Schlaf spürt, dass er nicht alleine ist. Das ich da bin und ihn beschützen werde. Nie wieder, werde ich ihn mich wegstoßen oder wegschicken lassen. Werde ihn nie wieder alleine lassen. Werde für ihn da sein. Für immer.

Einen Schritt zulassen!

Wärme umgibt mich. Gibt mir das Gefühl von Sicherheit. Geborgenheit. Halt! Ein Geruch, den ich kenne, steigt mir in die Nase. Den ich mag! Nachdem ich mich sehne! Meine Hand liegt da auf irgendetwas. Es hebt und senkt sich. Gleichmäßig. Etwas streicht mir durch mein Haar. Eine Hand!
 

Ich schlag meine Augen auf und sehe in die honigbraunen Augen des blonden Streuners. Er lächelt mich sanft an. Ich liege ganz eng an ihn gekuschelt. Ihm zugewandt. Eigentlich... müsste ich jetzt aufschrecken und ihn von mir stoßen. Diese Zuneigung und Fürsorge, die er mir angedeihen lässt, von mir weisen. Aber dafür genieße ich das im Moment zu sehr. Also schließe ich meine Augen wieder und versinke wieder im Genuss.
 

Dann durchzieht mich die Erkenntnis wie ein Blitzschlag. Ruft mir schlagartig alles in Erinnerung, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Den Albtraum. Meine Panik. Die Unfähigkeit die Kontrolle zurück zu erlangen. Diese Dunkelheit, die aus mir strömte und mich umgab. Dann war da Jonouchi, der ein weiteres Mal Zeuge meiner Schwäche geworden war. Der mich gehalten hat. Weinen ließ. Ins Bett gebracht hat.
 

Ruckartig setz ich mich auf. Schlage beschämt meine Hände vor das Gesicht. Wie... wie soll ich das alles wieder zurecht biegen? Wie erklären? Wie mein Gesicht wahren? Da spüre ich plötzlich, wie sich der andere vorsichtig hinter mich kniet und seine Arme um mich legt. Seinen Kopf auf meine Schulter. Seine Hände an meine Handgelenk. Er zieht sie mir vom Gesicht. Meine Hände. Meinen Schutz vor der Scham. Nein! Nicht!
 

Doch als ich sein Gesicht sehe ist meine Panik verschwunden. Sein Lächeln. Das Verständnis in seinen Augen. Ich kann mich dagegen nicht wehren. Lass ihn mir meinen Schutz nehmen. Er flüstert mir etwas ins Ohr: Sein Drache, hätte es nicht nötig, sich jemals für irgendetwas vor ihm zu schämen! Etwas an diesen Worten berührt mich im Inneren. Ich weiß, dass er sie genauso meint, wie er sie sagt. Er hat sie nicht gesagt, weil sie so blumig und symbolträchtig sind.
 

Er hat meine Handgelenke längst losgelassen und seine Arme eng um mich geschlungen, um mich weiter fest zu halten. Irritiert spüre ich etwas feuchtes auf meiner Wange. Eine Träne, die sich gelöst hat. Aber nicht aus Angst, Panik oder Schmerz. Da ist etwas neues in mir. Etwas... was vorher nicht da gewesen war. Was ich so nicht kenne. Es ist kein unangenehmes Gefühl. Es hat etwas mit der Gewissheit zu tun, dass der andere da ist und mich hält und dass er mich nie wieder alleine lassen wird. Egal, was ich tun oder sagen werde. Er wird bleiben. Sich vor mich stellen und mich schützen wird.
 

Dann wird es mir bewusst: Es ist Freude! Ich bin glücklich! Glücklich? Ja, doch! Es ist, als wäre ich befreit worden. Als ob das, was mich sonst immer mit Nachdruck auf den Boden drückt, plötzlich weg wäre. Ich fühl mich einfach nur leicht! Und ich bin mir sicher, dass ich mich nur dank meines blonden Streuner so fühle. Also akzeptiere ich, was er mir ins Ohr geflüstert hat und nicke. Ist gut, ich... ich will ihm vertrauen! KANN ihm vertrauen! Das weiß ich seit der Sache mit Hayashi!
 

Vorsichtig lehn ich mich an ihn. Er weicht nicht zurück, bleibt und gibt mir Halt. Ich schließe meine Augen. Er drückt seine Wange an meine und festigt seine Umarmung ein wenig. Das ist ein schöner Moment und ich wünsche mir, dass er noch eine Weile anhalten wird. Doch ein lautes Knurren durchbricht die Stille. Meine Augen gehen schlagartig wieder auf. Ich spüre, wie meine Wangen sich röten. Doch der Blonde lächelt mich an. Löst sich langsam von mir. Krabbelt vom Bett. Hält mir seine Hand hin. Zögerlich nehm ich die gebotene Hilfe an und krabbel auch vom Bett.
 

Da sehe ich mein Zimmer. Die Verwüstung. All das Chaos. Ich schlucke. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann ich das Zimmer verwüstet habe. Nur noch, dass ich versucht habe, dieses Gefühl los zu werden. Das Gefühl, das drohte mich aufzufressen. Hilflosigkeit. Mein Gesicht rötet sich noch mehr. Wieder höre ich geflüsterte Worte an meinem Ohr. Sein Drache muss sich für nichts schämen! Sanft streicht er mir über die Wange.
 

Dann beginnt er die Kleidungsstücke aufzuheben und sie in meinen begehbaren Wandschrank zu tragen. Immer und immer wieder. Erst nach einigen Momenten erwache ich aus meiner Starre und fange an einige Bilderrahmen vom Boden aufzuheben, sie zu einem Sideboard zu bringen und wieder ordentlich aufzustellen. Alle zeigen ausnahmslos Mokuba. Ich hatte sie gestern mit einem Arm runter gefegt. Hatte den Blick Mokubas einfach nicht ertragen. Obwohl es nur Bilder waren!
 

Plötzlich hab ich die Überreste eines Kissens in der Hand. Es ist aufgerissen und die Federn sind überall im Raum verteilt. Wann hab ich das denn gemacht? Wieder spür ich die seichte Hitze der Scham auf meinen Wangen. Dann fällt mein Blick auf den halb abgerissenen Vorhang. Beängstigend, dass ich das alles war. Dass ich so die Kontrolle verlieren konnte.
 

Ich spüre plötzlich eine Hand an meiner Wange und schrecke kurz zusammen. Dann blicke ich in die verständnisvollen Augen des Blonden. Wie er mich sanft anlächelt. Mir die Kissenüberreste aus der Hand nimmt und in den Papierkorb wirft. Er angelt nach meiner Hand und ich reich sie ihm. Es ist merkwürdig das freiwillig zu tun. Sonst hatte ich mich immer gegen solche Gesten gewehrt. Hab sie unter keinen Umständen zulassen wollen. Aber irgendetwas ist anders in mir.
 

Er zieht mich sanft zur Zimmertür. Öffnet sie. Verlässt mit mir mein Zimmer. Mokuba steht auf dem Flur. Blickt mich aus großen Augen an. Er versucht mich anzulächeln, aber er hat Angst. Das sehe ich. Ich geh in die Knie und zieh ihn in meinen Arm. Ich drücke ihn ganz fest an mich. Lange. Sehr lange! Komisch... das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, bleibt aus. Das, was mich sonst immer zwingt Mokuba recht zügig wieder loszulassen und ein Stück von mir wegzuschieben. Weg!
 

Schließlich, als wir uns trennen, schaut mich Mokuba verwundert an, aber aus seinen Augen strahlt die pure Freude und Erleichterung. Er lacht über das gesamte Gesicht. Dann legt Jonouchi wieder seine Hand auf meine Schulter und ich blicke zu ihm auf. Er hält mir seine Hand hin und ich lass ihn mir beim Aufstehen helfen. Zu dritt gehen wir zur Treppe und dann ins Erdgeschoss. Sanft zieht Jonouchi uns in die Küche und platziert uns an der Theke.
 

Nachdenklich blickt er uns beide an, bevor er anfängt zu grinsen und meint, er habe da eine Idee. Er kramt allerlei Zeug aus den Vorratsschränken und beginnt dann, etwas zu kochen. Nach einer halben Stunde hat Jonouchi drei Portionen Nabe-yaki Udon - ein Eintopfgericht mit Pilzen, Gemüse, Ei und Fleisch, sowie den typischen Nudeln in Brühe - fertig. Er stellt jedem von uns eine Schale hin und wünscht uns einen guten Appetit.
 

Als ich das Udon probiere schließe ich wieder genießerisch meine Augen und ich kann nicht verhindern, dass meine Zufriedenheit sich in einem leisen Brummen äußert. Wo hat der Blonde so gut kochen gelernt und wieso schmeckt das immer so gut? Wenn unsere Köchin sich an traditionellem Essen versucht schmeckt es meist nur fade und lädt nicht dazu ein, sich das Essen erneut von ihr zu wünschen.
 

Als ich meine Augen wieder öffne stell ich fest, dass sowohl Jonouchi, als auch mein kleiner Bruder mich glücklich anlächeln. Was? Wieder spür ich, wie sich meine Wangen röten. Dann fangen auch die beiden an ihr Udon zu löffeln.
 

Nachdem wir fertig sind mit frühstücken... oder eher Mittagessen... Erst jetzt wird mir bewusst, wie spät es schon ist und ich verkrampfe mich! Ich muss ins Büro! Doch als ich aufspringen möchte hält mich Mokuba am Arm fest. Mit großen grauen-blauen Augen blickt er mich an. Als hätte er etwas aufgefressen. Dann meint er nur, dass er Isono gesagt habe, dass ich bis nach den Ferien nicht mehr in die Firma komme! Ungläubig blicke ich meinen kleinen Bruder nur an. Wie... wie konnte er so etwas weitergeben? Doch ehe ich ihn tadeln kann fragt er nur, was ich glaube, wer die Firma wohl in den letzten Wochen geleitet und am Laufen gehalten hätte und sie immer noch stehen würde!
 

Nachdenklich blicke ich vor mich auf die leere Schale. Er hat recht! Ich war in den letzten Wochen so neben der Spur, dass ich nichts zustande gebracht habe. Und keine Katastrophe ist eingetreten, die ich sonst immer erwarte! Weder hat mir irgendwer meine Firma einfach weggenommen, noch ist sie Konkurs gegangen. Isono... er hat mich wirklich mehr als entlastet. Zu seinen Tagesaufgaben hat er ohne ein Wort der Klage oder des Vorwurfes meine übernommen. Mit Bravour hat er alles gemeistert. Vielleicht... vielleicht kann ich mir doch eine kleine Auszeit gönnen.
 

Erst als ich von dem Blonden ein zufriedenes 'Na also' vernehme, wird mir bewusst, dass ich das Letzte laut gesagt habe. Sanft lächelt er mich an. Er hat eigentlich so ein schönes Lächeln! Wieso zeigt er es so selten und grinst stattdessen immer so dümmlich? Dann blicke ich zu Mokuba, der sich vorsichtig an meine Seite kuschelt. Langsam heb ich meinen Arm und leg ihn um die Schulter meines kleinen Bruders. Drück ihn wieder an mich. Keine Enge in der Brust! Keine Angst!
 

Ich verstehe das einfach nicht! Was... was genau hatte sich eigentlich geändert?

Einen Schritt weiter

Ich hatte nicht viel Schlaf. Aber immerhin konnte ich schlafen. Und das verdanke ich nur Jonouchi. Ich bin so froh, dass der Blonde sofort gekommen ist, obwohl es schon halb eins in der Nacht gewesen war und das mit Seto gehandhabt hat. Ich hätte einfach nicht gewusst, wie ich meinen großen Bruder beruhigt bekommen hätte. Wenn ich denn überhaupt zu ihm gekommen wäre.
 

Aber Jou-kun hat nicht nur die Tür aufbekommen, irgendwie war es ihm gelungen an Seto ranzukommen und ihn zu beruhigen. Wie, war mir immer noch ein Rätsel. Ich weiß dass ich gar nicht fragen brauch, wie er es geschafft hat. Er wird es mir nicht sagen, weil er dann Preis geben müsste, in welcher Verfassung Seto gewesen ist. Das würde er nicht tun. Genauso wie vor einigen Wochen, kommt es mir in den Sinn!
 

Es gibt gar keine andere Erklärung, als dass Jou-kun schon damals einen Albtraum von Seto mitbekommen haben muss und ihn dann getröstet hat. Nur deswegen war er am nächsten Morgen nicht auf meine Fragen eingegangen und bat mich nicht weiter zu fragen. Weil er Seto nicht in Verlegenheit bringen wollte. Nicht einmal vor mir! Vor allem nicht vor mir.
 

Doch was wird mich jetzt erwarten? Seto muss bewusst sein, dass ich es mitbekommen habe. Ich habe Jonouchi gerufen und ihn um Hilfe gebeten. Wird er mich dafür ausschimpfen? Oder noch viel schlimmer: Wieder in die Firma fliehen und mich ignorieren? Nein! Das werde ich nicht zulassen!
 

Ich schnappe mir mein Handy und drücke die Schnellwahltaste 2. Isono geht umgehend ans Telefon und fragt mich panisch, ob alles in Ordnung ist und ich ihn brauche. Ich beruhige ihn erst einmal. Ich kann seine Erleichterung durch das Telefon spüren. Ich bin noch jung, aber Isono ist meinem Bruder treu ergeben. Das ist nicht geschauspielert oder vorgegaukelt. Der Assistent meines Bruders hat sich in den letzten Wochen genauso große Sorgen gemacht, wie ich. Er hat die Firma geleitet und Seto von allem abgeschirmt, sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung. Ich vertraue ihm!
 

Also frage ich ihn, ob es ein Problem wäre, wenn Seto erst im neuen Jahr - nach den Ferien - wieder in die Firma kommen würde. Wieder fragt Isono mich panisch, ob wirklich alles in Ordnung sei oder etwas vorgefallen ist. Ich muss über die Fürsorge etwas schmunzeln. Langsam erkläre ich ihm, dass Seto jetzt einfach mal Zeit für sich braucht, um seine Batterien wieder aufzuladen und so zurück in die Spur zu finden. Schweigen. Ich glaube, Isono nickt am anderen Ende der Leitung, nur dass ich das nicht sehen kann. Das wird ihm wohl auch nach einigen Augenblicken bewusst und ich höre ein 'Ist gar kein Problem'.
 

Mir ist klar, dass ich mich weit vor wage. Ich habe Seto gerade ein Stück Kontrolle entrissen. Er wird darüber nicht glücklich sein. Aber er ist am Ende! Wie er es dreht und wendet, nach heute Nacht kann er das einfach nicht mehr leugnen. Auch nicht vor mir! Er braucht eine Verschnaufpause, in der er sich Zeit für sich nimmt. Sich und seine Probleme, die er mit mir nicht teilen möchte. Warum nur? Denkt er, ich bin zu jung um ihm ein Stück der Last abnehmen zu können? Ich mag erst zwölf sein, aber ich bin nicht dumm!
 

Nach dem Gespräch mit Isono und nach dem Gang ins Badezimmer setze ich mich, immer noch in meinen Schlafklamotten auf den Flur und starr die Tür zu Setos Zimmer an. Und warte. Ich will nicht riskieren, dass er sich vorbei schleicht!
 

Nur weil Jou-kun heute Nacht einen Zugang zu ihm hatte muss das nicht bedeuten, dass Seto ihn weiterhin als Stütze und Hilfe akzeptiert. Das letzte Mal... ich seufzte schwer... ich hatte gedacht, wenn Seto erkennt, wer ihm die Bentō immer zubereitet würde er sich öffnen. Also hab ich alle hergelockt und dann Jou-kun gebeten zu kochen. Und es hat auch alles gut funktioniert, bis auf das Seto sich nicht geöffnet hat. Im Gegenteil! Er hat sich nur noch mehr in sich zurück gezogen und die Albträume begannen sich zu häufen. War ich daran schuld, dass er jetzt fast jede Nacht an diesen Träumen litt? Hatte ich das alles ausgelöst? Eine Träne löst sich aus meinem Auge und ich wische sie schnell weg!
 

Dann höre ich Bewegungen in seinem Zimmer. Ich lausche angestrengt kann aber nichts verstehen. Es wird rumgelaufen und rumgeräumt. Was geht da drinnen vor? Ich stehe langsam auf. Dann - nach einer schier endlosen Weile - geht die Tür endlich auf und Jou-kun führt Seto aus dem Zimmer. Der Blonde hält meinen Bruder tatsächlich an der Hand.
 

Als Seto mich sieht bleibt er stehen. Was nun? Soll ich mich entschuldigen? Aber scheinbar ist Seto nicht wütend auf mich. Scheinbar... hat er Jonouchi als Hilfe akzeptiert. Er geht vor mir in die Knie und ich bin verwirrt. Was nun? Soll ich ihn umarmen? Normalerweise erträgt er das nach einem Albtraum gar nicht. Doch dann zieht er mich zu sich ran und drückt mich lange. Nur zögerlich schließe ich meine Arme um ihn. Ich weiß, die Umarmung wird gleich wieder zu Ende sein... oder... auch nicht!? Er hält mich eng und fest an sich gedrückt. Und immer weiter... das... ist die längste Umarmung seit einer Ewigkeit. Ich kann mich ehrlich gesagt gar nicht erinnern, wann er mich das letzte Mal so lange und fest im Arm gehalten hat.
 

Nur langsam löst er sich von mir. Verwirrt, aber überglücklich strahl ich ihn an. Ich kann nicht anders. Es ist, als wäre er wie früher! Bevor wir hier her... ich schiebe diesen Gedanken unvollendet beiseite. Ich will diesen Moment genießen und nicht durch längst vergangene Dinge, die man nicht mehr ändern kann, kaputt machen lassen.
 

Jou-kun legt sanft seine Hand auf Setos Schulter. Der schaut zu dem Blonden auf. So kenn ich meinen großen Bruder gar nicht! Er ist regelrecht handzahm. Jonouchi bietet ihm seine Hand als Aufstehhilfe und Seto... akzeptiert! Sanft legt mein großer Bruder mir seine Hand in den Rücken und zeigt mir damit, dass ich mit ihnen kommen soll.
 

Wir gehen in die Küche und Jou-kun kocht für uns. Ich liebe es, wenn er kocht und muss mich unweigerlich fragen, wo er wohl gelernt hat so zu kochen? Alles, was er bislang hier gekocht hat schmeckt so gut und Seto reagiert auf sein Essen ganz anders, als wenn Mariko-san für uns kocht. Mein großer Bruder entspannt sich dann, bekommt diesen zufrieden Ausdruckt und scheint auf eine besondere Art und Weise glücklich zu sein! Ob Jonouchi mir beibringen kann auch so zu kochen?
 

Wir sind gerade fertig mit Essen, da fällt Setos Blick auf die Küchenuhr. Sofort ändert sich seine Körpersprache. Da ist sie wieder, die Anspannung! Er will schon aufspringen und in die Firma eilen, als ich ihn am Arm packe. Als er meinen Blick sieht weiß er, dass etwas los ist. Da gestehe ich ihm, dass ich mit Isono gesprochen habe und ihm gesagt habe, dass Seto erst nach den Ferien wieder ins Büro kommen wird.
 

Seto ist gar nicht erfreut, doch als ich ihm sage, dass Isono auch schon die letzten Wochen praktisch im Alleingang die Kaiba Corp geleitet hat und ihn damit geschützt und entlastet hat, geht Seto in sich. Scheinbar erkennt er, dass das wahr ist und nach einen Moment kommt nur ein 'Vielleicht... vielleicht kann ich mir doch eine kleine Auszeit gönnen'. Jou-kun lächelt ihn an und bestärkt ihn mit einem 'Na also!'. Ich kuschel mich glücklich, aber vorsichtig an Seto an. Dann legt er tatsächlich seinen Arm um mich und drückt mich an sich. Ich hoffe, dass bleibt so!
 

Da wir alle nicht so fit sind, beschließen wir uns einen gemütlichen Tag vor der Flimmerkiste zu machen und ein wenig Netflix zu schauen. Jou-kun macht uns dazu noch Karamell-Popcorn. Als wir ins Wohnzimmer kommen zieht er Seto mit zur Couch. Seto wird sich nie und nimmer auf die Couch setzen. Er bevorzug den Sessel. Wegen der Nähe, die er nicht zulassen kann!
 

Doch ich irre mich. Fast widerstandslos lässt er sich auf die Sitzfläche ziehen. Unsicher bleib ich stehen, bis Seto zu mir schaut und mich auf den Platz neben sich winkt. Vorsichtig lass ich mich mit etwas Abstand neben meinen großen Bruder fallen. Doch diesem scheint das gar nicht so recht zu sein. Er legt den Arm um mich und zieht mich näher zu sich. Verrückt!
 

Es kommt mir so vor, als wolle Seto all die versäumten Gelegenheiten mir nah zu sein heute nachholen. Mir ist das nur allzu recht! Ich genieße es ihm nah sein zu können, ohne das er sich verkrampft. Also kuschel ich mich behutsam an ihn. Sanft streicht er mir durch mein Haar und in mir steigt dieses wohlige Gefühl von Geborgenheit auf. Es ist wirklich wie früher und ich genieße die Wärme und Fürsorge meines großen Bruders, die ich mir schon so lange gewünscht und vermisst habe.
 

Wir schauen ein, zwei Filme, als Setos Blick wieder zur Uhr fällt und er dann zu Jonouchi schaut. Der registriert sofort, dass mein Bruder ihn anschaut und richtet seine ganze Aufmerksamkeit auf ihn, während er ihn sanft anlächelt. Hm... tatsächlich... kein Grinsen. Ein Lächeln. Es verleiht dem Blonden eine ganz andere Ausstrahlung! Dann höre ich, wie Seto ihn fragt, ob er nicht los muss. Versucht mein Bruder Jou-kun gerade loszuwerden? Doch dieser schüttelt nur den Kopf und meinte, dass er heute keine anderen Pläne mehr hätte. Mein Bruder wirkt erleichtert. Nein! Wirklich! Erleichtert!
 

Irgendwann, es ist eigentlich noch gar nicht so spät, rutsch ich immer tiefer, bis mein Kopf auf Setos Schoss zur Ruhe kommt. Unbeirrt streichelt er weiter mein Haar. Ich kann mich nicht länger auf die bewegten Bilder auf der Mattscheibe konzentrieren. Sie verschwimmen und mir fallen nach und nach die Augen zu. Alles um mich dämmert weg. Alles bis auf die Hoffnung, dass das alles kein Traum war. Das Seto auch morgen noch so ist, wie er heute war. Das steht ihm nämlich viel besser, als der arrogante Arsch, den er bislang vorgab zu sein. Das heute war mein echter, großer Bruder.

Einen Schritt nach vorne

Es kommt einem Wunder gleich. Anders kann ich es nicht beschreiben. Seto war heute so vollkommen anders, als ich erwartet hatte. Ich hab heute Morgen schon Angst gehabt, dass er mich wieder von sich stößt. Sich in sein Schneckenhaus verzieht. Dicht macht! Wie beim letzten Mal. Doch scheinbar... konnte ich ihm endlich zeigen, dass er nichts von mir zu befürchten haben muss. Dass ich ihm nichts Böses will und er mir vertrauen kann.
 

Da spür ich, wie er müde seinen Kopf auf meine Schulte legt. Es ist kein Wunder, dass er so müde ist. Die Nacht war nicht nur kräftefressend, sondern auch viel zu kurz. Mit kaum Energie ist Seto geradezu über sich hinaus gewachsen. Von Anfang an hat er die Nähe zu seinem Bruder gesucht. Von Mokuba weiß ich, dass Seto es eigentlich nicht erträgt, wenn man ihm körperlich nahe kommt. Also wird ihn das alles eine Menge Kraft gekostet haben. Kraft, die er jetzt im Moment eigentlich nicht hat!
 

Aber der Brünette hat gespürt, dass Mokuba das einfach brauchte. Vor allem nach dieser Horrornacht! Ihm muss sehr deutlich klar sein, dass sein kleiner Bruder doch einiges mitbekommen hat. Genauso, wie in den zahlreichen Nächten zuvor. Aber er hat sich überwunden. Seinem Bruder zu Liebe. Um Mokuba glücklich zu machen. Und das hat es. So viel Zeit und Nähe mit seinem großen Bruder zu verbringen... der Kleine weiß das zu schätzen. Da bin ich mir sicher. Gerade weil Nähe zwischen ihm und Seto so selten ist.
 

Ich greif nach der Fernbedienung und schalte das Monster von Fernseher aus. Dunkelheit hüllt uns ein. Setos Kopf verschwindet ruckartig von meiner Schulter und ich kann förmlich spüren, wie er sich anspannt. Was ist los? Sein Atemrhythmus hat sich verändert. Ist hektischer geworden. Ich spüre seine Hand auf meinem Bein, wie sie sich in den Stoff verkrallt. Er... gerät in Panik!
 

Sofort angel ich nach der kleinen Stehlampe auf dem Beistelltisch und knipse sie an. Als ich zu Seto schaue, sehe ich wie er versucht ein Zittern zu unterdrücken. Beißt sich auf die Unterlippe. Ganz sanft rufe ich ihn. Sein Blick schnappt zu mir und er guckt mich aus großen Augen an. Die Panik ist deutlich in ihnen zu erkennen. Langsam und behutsam lege ich meine Hand an seine Wange. 'Nur ich hier, mein Drache' flüstere ich ihm sanft zu. Seine Anspannung lässt wieder ein wenig nach.
 

Dann sehe ich, das Mokuba in seinem Schoss liegt. Er muss wohl während dem Film eingeschlafen sein. Sanft lächle ich Seto an, stehe vorsichtig auf und beug mich dann zu dem Schwarzhaarigen. Vorsichtig nehm ich ihn auf den Arm und im Schlaf legt er seine Arme und Beine um mich. Als ich ihn sicher habe, halte ich eine Hand Seto hin. Er blickt mich fragend an, doch dann ergreift er sie und lässt sich mitziehen.
 

Wir verlassen das Wohnzimmer, steigen schweigend die Treppe hinauf und Seto bleibt erneut abrupt stehen. Vor uns liegt der dunkle Flur. Setos Hand schließt sich fester um meine. Doch dann scheint es so, als würde Seto versuchen seine Angst zu überspielen. Er will schon losgehen, als ich ihn zum Stehen bleiben zwinge. Verwirrt blickt er mich nur an. Ich schau mich kurz um und entdecke schließlich, was ich suche. Ich geh zwei, drei Schritte zur Wand und betätige den Lichtschalter. Sofort geht eine Reihe von Lampen an und erhellen unseren Weg. Sanft lächel ich Seto an, der mich dankbar ansieht.
 

Dann bringen wir Mokuba in sein Zimmer. Vorsichtig lege ich ihn in sein Bett und er wird noch einmal kurz wach. Unverständlich murmelt der Kleine etwas und Seto nimmt ihn noch einmal fest in den Arm, bevor er ihn sanft umschubst. Mokuba gleitet sanft in seine Kissen und Seto deckt ihn fürsorglich zu und streicht ihm dann noch eine Strähne aus dem Gesicht. Er beugt sich noch einmal zu seinem kleinen Bruder runter und drückt ihm einen Kuss auf die Stirn.
 

Leise verlassen wir das Zimmer des Schwarzhaarigen und Seto bleibt kurz stehen. Er blickt den Gang hinunter. Nachdenklich. Sanft angel ich nach seiner Hand. Da fragt er mich, ob wir nicht noch einen Cappuccino trinken wollen? Wieder lächle ich ihn sanft an und schüttel den Kopf. Mein Drache braucht dringend Schlaf, wispere ich ihm zu. Er blickt mich mit so viel Schrecken an, das es mir weh tut. Aber es ist so! Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Also zieh ich ihn sanft über den Flur zu seiner Zimmertür. Seine Hand, die ich immer noch halte, verkrampft sich. Je näher wir seinem Zimmer kommen, desto mehr scheint er sich zu sträuben.
 

Ich beobachte ihn ganz genau. Es ist mir schon eben aufgefallen, als wir durch den Gang gelaufen sind. Je näher wir dem Ende und damit den Zimmern der beiden Kaiba-Brüder gekommen sind, desto unbehaglicher schien er sich zu fühlen. Ganz langsam öffne ich seine Zimmertür und bin überrascht, dass in ihm Licht brennt. Die ganzen Kissenfeder sind verschwunden und der Papierkorb, in den ich das kaputte Kissen geworfen hatte ist leer. Auch der Vorhang wurde gefixt. Scheinbar war ein Dienstmädchen sehr fleißig!
 

Vorsichtig zieh ich ihn mit mir über die Schwelle. Seto schließt kurz die Augen, als er in das Zimmer tritt. Ich schließe leise die Tür hinter ihm und schließe ihn dann wieder von hinten in meine Arme. Was macht meinem Drachen nur solche Angst, fragte ich, während mein Kopf auf seiner Schulter ruhte. Seto schluckt nur schwer bevor er seinen Blick in die andere Richtung wendet. Ist es so etwas Schlimmes, frag ich ihn ganz behutsam. Resigniert lässt er seinen Kopf hängen.
 

Langsam trete ich vor ihn und lege meine Hände an seine Wangen. Er scheut den Blickkontakt. Aber er weicht nicht vor mir zurück. Ganz langsam nehm ich ihn wieder in den Arm. Fest. Nur zögerlich legt er seine Arme um mich. Klammert sich schließlich an mich. Versteckt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Sanft streich ich ihm über das Haar. Spüre Nässe an meinem Hals.
 

Manchmal ist es eben so! Da kann man gewisse Dinge nicht aussprechen. Man kann nur über sie weinen. Vor allem, wenn man sich auch das so lange verweigert hat. All diese Blockaden, die Seto über die Jahre aufgebaut hat, müssen sich erst lösen, bis er soweit ist darüber sprechen zu können. Das ist völlig in Ordnung.
 

Als er nach einer kleinen Weile so weit ist hebt er seinen Kopf und löst sich von mir. Sanft lächel ich ihn nur an und streiche ihm dann vorsichtig die letzten Tränen von der Wange. Ich kann sehen, dass er sich jetzt besser fühlt. Leichter! Ja, das hat Weinen so an sich! Genauso, wie man sich nach dem Weinen eben total erschöpft und müde fühlt. Weinen ist anstrengend!
 

Ganz behutsam ziehe ich ihn mit zu seinem Bett, dass gemacht vor uns liegt. Ich schlage die Decke zurück und schüttel die Kissen ein wenig auf. Dann schlüpf ich aus meiner Jeans und leg sie auf einen Stuhl neben dem Nachttisch. Schließlich zieh ich Seto mit mir auf das Bett. Er spannt sich wieder an. Also nicht nur das Zimmer im Allgemeinen, sondern auch das Bett im Besonderen bereitete ihm Unbehagen.
 

Sanft zieh ich ihn zu mir, so dass sein Kopf an meiner Schulter liegt und ich ihm behutsam den Nacken kraulen kann. Erschöpft schließt er seine blauen Augen. Nur sehr langsam entspannte sich der Brünette wieder. Ohne das er es merkt lass ich mich nach hinten gleiten, nehme ihn mit in eine liegende Position. Zieh dabei die Decke mit hoch und decke uns beide zu.
 

Leise versichere ich Seto, dass mein Drache ruhig schlafen kann. Ich bin da und pass auf ihn auf. Werde ihn beschützen! Als ob es Zauberworte wären schläft Seto schließlich ein. Ich mach das Licht aus und schließe langsam meine Augen. Ich bin seit gestern früh vier Uhr auf den Beinen. Am Morgen war ich Prospekte austragen, ab acht Uhr im Conbini tätig und ab Mitternacht hab ich Teller im Restaurant gespült, als mich Mokubas Anruf gegen halb eins erreichte.
 

Der Restaurantmanager war so gar nicht glücklich darüber, dass ich einfach abgehauen bin. Er hat mir noch hinterher gerufen, wenn ich jetzt gehe, bräuchte ich nicht mehr wieder kommen. Pech! Ich werd schon irgendwo einen anderen Job finden. Hab ich bei Bedarf immer geschafft. Aber das hat jetzt für mich gar keine Priorität. Die einzige Priorität, die ich im Moment habe ist der Brünette. Und mit diesem Gedanken schlafe ich ein.
 

Als ich wach werde zeigt mir die Uhr, dass es halb zwei in der Früh ist. In meinem Arm wälzt sich Seto unruhig hin und her. Er murmelt etwas. Erst beim dritten oder vierten hinhören erkenn ich die Worte. 'Ich will nicht!'. Das hatte er auch schon gestern gesagt, als ich seine Hände gebändigt hatte und sie im Griff hatte. Der Brünette drückt mit seinen Händen immer wieder gegen meine Brust. Ich zieh ihn enger an mich. Mein Drache braucht sich vor nichts zu fürchten, flüstere ich ihm ins Ohr. Tatsächlich helfen die Worte und der Brünette beruhigt sich ein wenig. Sanft streich ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Aber er scheint immer noch in einem Albtraum zu stecken. Vorsichtig streich ich ihm über die Wange. Mein Drache muss jetzt aufwachen, wispere ich ihm wieder sanft ins Ohr.
 

Mit einem hektischen Einatmen schlägt Seto tatsächlich seine Augen auf. Sofort krallt sich eine Hand in mein Oberteil und mit dem anderen schlägt er tastend um sich. Stimmt ja, kommt es mir in den Sinn. Ich hatte vorhin das Licht ausgemacht. Schnell taste ich nach der Lampe und auf meine Berührung hin erhellt sie in einem gedimmten Modus den Raum.
 

Dicke Schweißperle stehen auf Setos Stirn und er hat den Mund einen Spalt weit geöffnet. Er ringt um jeden Atemzug. Seine Augen wandern panisch über die Zimmerdecke, bis ich sanft sein Gesicht zu mir wende und ihn anlächle. Er schließt seinen Mund und ich sehe, wie in seinen Augen die Angst der Erleichterung weicht. Er schließt wieder die Augen und versucht seinen Atem zu beruhigen. Sanft lege ich meine obere Hand auf seine Brust, während ich ihn weiter in meinem anderen Arm fest halte. Nach und nach wird Seto wieder ruhiger.
 

Auf meine Frage, ob er über seinen Traum reden möchte schüttelt er nur den Kopf, bevor er sich zu mir dreht und sich wieder eng an mich kuschelt. Und ich hake nicht weiter nach. Lass ihm seine Ruhe. Streiche ihm über sein Haar, Nacken und Rücken, bis er wieder weggedämmert ist.
 

Zwar konnte ich nicht verhindern, dass er einen Albtraum hatte, aber wenigstens ist er nicht hysterisch schreiend aufgewacht und hat eine Panikattacke erlitten. Das ist doch schon einmal ein Fortschritt. Alles andere wird sich mit der Zeit finden. Dann schlafe ich auch wieder ein, ihn weiterhin in meinem Arm haltend.

Einen Schritt in die Abhängigkeit

Es ist beängstigend! Ich wurde darauf gedrillt keine Emotionen zu zeigen. Nichts von dem, was in mir vorgeht nach außen zu tragen. Mit Gewalt. Purer körperlicher Gewalt wurde ich konditioniert! Und mit psychischem Druck! Mir wurde gedroht, dass es noch schlimmer werden könnte. Dann hat Gozaberu erkannt, was wirklich meine Schwäche ist: Mokuba. Also drohte er mir, er würde Mokuba schreckliche Dinge antun. Das, wenn er bei mir keinen zufriedenstellenden Ergebnis erzielen könnte, er es eben bei Mokuba versuchen würde. Meinen kleinen Bruder zum perfekten Geschäftsmann erziehen würde. Mit den gleichen Methoden, die er schon bei mir angewandt hatte.
 

Das wollte ich auf keinen Fall. Mein kleiner Bruder sollte eine unbeschwerte, schöne Kindheit haben. Er sollte weder sehen, was mir der alte Kaiba antat, noch wie er es tat oder gar selbst erfahren, wie es wäre, es angetan zu bekommen. Also hab ich angefangen eine Mauer um mich herum aufzubauen. Stein für Stein. Hab mein wahres Ich dahinter versteckt. Genauso, wie alle meine Gefühle. Alles was ich erlebte und nicht verarbeiten konnte. All das hab ich eingemauert. Eingesperrt und wäre es nach mir gegangen, hätte ich das alles nie wieder raus gelassen.
 

Schon früher kam es vor, dass mich manche Erlebnisse im Schlaf verfolgten. Doch ich hab es immer geschafft sie abzuschütteln und zu überwinden. Jedenfalls hab ich mir das lange eingeredet. Doch die Wahrheit sieht anders aus: Ich bin davor weggelaufen. Ich habe mich nie dem gestellt, was in mir wütet. All die Albträume hab ich zu meinen Gefühlen hinter die Mauer gesperrt. Und es hat funktioniert! Ich habe funktioniert. Jedenfalls eine Weile.
 

Dann kam er! Jonouchi Katsuya! Ich weiß, dass er es nicht mit Absicht getan hat, aber er hat einen Stein aus meiner Mauer gelöst. Und alles, was ich dahinter eingesperrt hatte, versuchte durch diesen winzigen Spalt nach außen zu kommen. Durch diesen Druck hat meine Mauer Risse bekommen und schließlich, über Wochen hinweg, begann die Mauer einzustürzen. All das, was ich weggesperrt hatte... all meine Ängste, meine Erlebnisse... all die Worte, die Gozaberu mir wiederholt immer wieder sagte, um mich gefügig zu machen... waren auf einmal frei und ich... war machtlos! Hilflos!
 

Sie nahmen mir die Möglichkeit zu schlafen. Raubten mir die Kraft für den Tag. Ich versuchte nach außen wie immer zu wirken. Doch innerlich... ich fühlte mich, als würde ich gegen einen Orkan anschreien. Ein Orkan, der mich jederzeit wegreißen konnte und ich wäre für immer verloren gewesen. Nicht selten riss er mich ein Stück mit. Brachte mich aus dem Gleichgewicht. Bis ich wieder Halt fand. Doch in der Nacht am Anfang der Woche... da wollte mir das einfach nicht gelingen. Ich konnte mich nicht befreien aus all dem, was mich da mitgerissen hatte.
 

Doch dann tauchte er wieder auf. Jonouchi hat mich aufgefangen. Gab mir Halt. Schuf einen Bereich, in dem der Orkan keine Macht hatte. Ein windstilles Auge. Ich sehe den Orkan immer noch um mich herum wirbeln. Manchmal gelingt es ihm, an mir zu zerren, aber Jonouchi verhindert, dass er mich mitreißen kann. Er hält mich, wenn ich mich selbst nicht mehr aufrichten kann.
 

Er ist nur da! Lässt mir und meinen Gefühlen freien Lauf, aber achtet darauf, dass sie mich nicht mehr übermannen und niederringen. Manchmal... da kommt eine Frage von ihm. Doch ich muss ihm nicht antworten. Er akzeptiert, dass es Dinge gibt, über die ich nicht reden kann! Da ist kein Zwang. Kein Mitleid. Nur Verständnis. Er sagt diese Sachen... nennt mich SEINEN Drachen und plötzlich fühle ich mich sicher. Geborgen. Kriege wieder Luft, wenn ich denke, es schnürt mir gleich den Atem ab. Nimmt mir die Angst.
 

Dank ihm, find ich sogar wieder Schlaf. Obwohl ich es hasse, in diesem Zimmer zu sein. Dieses Bett zu benutzen. Nachdem sich Gozaberu aus dem Fenster gestürzt hatte wollte ich das Zimmer wechseln. Doch Mokuba war so schnell in das Zimmer gegenüber eingezogen, dass es ihm das Gefühl vermittelt hätte, dass ich nicht will, das er in meiner Nähe ist. Also bin ich geblieben. In diesem Zimmer. Ich hätte meinem kleinen Bruder erklären können, warum ich aus diesem Zimmer heraus wollte. Doch das konnte ich ihm nicht offenbaren. Es gibt Dinge, die musste er nicht wissen. Sollte er nicht wissen. Nicht damals. Nicht heute. Am besten niemals.
 

Die ersten beiden Tagen ist Jonouchi nicht von meiner Seite gewichen. Hat mich selten länger als ein paar Minuten alleine gelassen. Wenn irgendetwas droht mich umzuwerfen ist er da und fängt mich auf. Und ich ... lass mich auffangen. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass es sich so gut anfühlen kann, wenn da jemand ist, der für einen da ist. Für den man keine Verantwortung trägt oder ein Vorbild sein muss.
 

Da fallen mir seine Worte wieder ein, die er vor einiger Zeit, am ersten Wochenende, gesagt hatte: Er sieht, wie ich unter meiner Einsamkeit leide. Dass ich jemand brauche, an den ich mich lehnen kann, vor dem ich nicht stark sein muss, der mir Halt geben kann, wenn ich es brauche. Jemand, bei dem ich keine Verpflichtung habe!
 

Erst jetzt wird mir klar, dass er schon damals recht hatte. Damals konnte ich das nicht akzeptieren. War ich einfach nicht bereit jemanden zu zeigen, wie verängstigt und schwach ich in Wirklichkeit bin. Es hat mich so wahnsinnig erschreckt, dass der Blonde damals dennoch in der Lage war, etwas davon zu sehen.
 

Und heute? Ich vertraue ihm. Manchmal fällt es mir immer noch wahnsinnig schwer. Dann wende ich mich ab. Doch er umarmt mich. Sagt so etwas, wie, dass ich mich vor ihm niemals schämen müsste. Das gibt mir irgendwie Kraft. Sicherheit. Noch nicht genug, um davon zu erzählen, was mich quält. Doch genug, um meine Verzweiflung raus zu lassen.
 

Ich blicke auf, als ich den Blonden aus dem Conbini kommen sehe. Mein Wagen parkt direkt vor dem Eingang. Der blonde Streuner hatte heute Vormittag gemeint, er müsse ein paar Sachen erledigen, wäre aber bis zum Schlafen gehen wieder da. Mir ist klar, dass er nicht ewig bei mir bleiben kann. Er muss arbeiten und dafür sorgen, dass er die Miete zusammen kriegt. Ich frage mich, ob er mir erlauben würde, ihm dabei zu helfen?
 

Überrascht blickt er mich an. Dann lächelt er. Kommt zu mir. Ich trete beiseite und öffne die Tür zum Fahrgastraum. Er steigt ein, ich folge ihm. Die Stunden ohne ihn waren anstrengend. Mehrmals fühlte ich mich, als würde der Orkan mich gleich wieder mitreißen. Ich hab mich daran geklammert, dass Jonouchi versprochen hat zurück zu kommen. Irgendwann hab ich es dann doch nicht mehr ausgehalten zu warten. Isono war gekommen, um mir ein kurzes Update zu bringen und ich hab ihn gebeten - wirklich darum gebeten - mich hier her zu fahren.
 

Langsam rutsch ich auf der Rückbank ein wenig runter und lehne dann meinen Kopf an Jonouchis Schulter. Er legt seinen Arm um mich und hält mich fest. Der Orkan hört auf an mir zu zerren. Wird ruhiger. Ich entspanne mich ein wenig. Er angelt nach meiner Hand und wir kreuzen unsere Finger ineinander. Mit seinem Daumen streicht er mir sanft über den Handrücken. Es ist eine kleine Geste, aber sie tut so gut.
 

Es ist beängstigend! Beängstigend, wie schnell ich von dem Blonden abhängig geworden bin! Ihm Macht über mich verliehen habe. Wie viel Einfluss er auf mich und meine Gefühlswelt hat. Das er mir diese Sicherheit und Geborgenheit vermitteln kann, die ich unwiederbringlich verloren glaubte. Mich vor mir selbst beschützen kann. Vor meinen inneren Dämonen. Nie hätte ich auch nur in Erwägung gezogen, dass es mal jemand geben würde, dem ich mich so anvertrauen kann. Und doch hab ich ihn gefunden... oder hat er mich gefunden?
 

Doch da ist auch Angst. Mir ist klar, dass es nicht ewig so weiter gehen wird. Er kann nicht jede Nacht bei mir sein, damit ich die Ruhe finde, um erholsam schlafen zu können. Irgendwann muss er auch mal wieder nach Hause. Sicherlich fragen sich seine Freunde ohnehin schon, warum sie ihn kaum noch zu Gesicht bekommen. Dann werde ich nachts wieder mit meinen Dämonen alleine sein.
 

Ich fröstle kurz und spüre, wie der Blonde mich ein Stück näher an sich zieht. Wenige Minuten später sind wir bei mir. Wir steigen aus. Ich bedanke mich bei Isono, der aber nur abwinkt und meint, dass das gar kein Umstand gewesen wäre, bevor er sich dann auf den Heimweg macht. Wir gehen ins Haus und in die Küche. Jonouchi erwärmt Milch und macht uns eine heiße Schokolade.
 

Als die Tasse dampfend vor mir steht, schau ich den Mini-Marshmallows zu, wie sie langsam zergehen. Jonouchi spürt, dass mich etwas beschäftigt. Er legt sanft seine Hand an meine Wange und hebt meinen Blick zu sich. Wieder lächelt er mich sanft an. Fragt, was seinem Drachen gerade so durch den Kopf geht. SEINEM Drachen! Ich mag es, wenn er mich so nennt und für sich beansprucht. Gerne würde ich ihn auch ganz für mich beanspruchen. Aber ich glaube nicht, dass das geht!
 

Mein Blick richtet sich wieder auf die Tasse vor mir. Leise formuliere ich meine Frage. Frag ihn, wie lange er bei mir bleiben kann? Erst am Ende meiner Frage schaff ich es wieder zu ihm aufzusehen. Seine braunen Augen mustern mich, während er mich sanft anlächelt. Solange sein Drachen ihn bei sich haben möchte, antwortet er mir sanft. Einerseits freut mich die Antwort, aber sie lässt mich auch zweifeln. Was ist mit seiner Familie? Wird sich sein Vater nicht wundern, wo er abgeblieben ist? Er schüttelt nur den Kopf. Von Zeit zu Zeit wird er zuhause vorbei schauen, aber er wäre immer spätestens zur Schlafenszeit wieder bei mir, kommt es fast geflüstert von ihm. Macht seinem Vater das wirklich nichts aus? Was wenn der Alte interveniert? Ihn einsperrt?
 

Doch er streicht mir über die Wange und holt mich aus meinen Gedanken. Lächelt mich wieder warmherzig an und gibt mir zu verstehen, dass ich mir keinen Kopf darüber machen soll. Dann hebt er seine Tasse und nippt an ihr. Genießerisch schließt er die Augen und brummt zufrieden. Sieh einer an... er liebt Schokolade!
 

Nachdem unsere Tassen leer sind zieht er mich wieder in das obere Stockwerk. Kurz schau ich in Mokubas Zimmer. Er schläft schon. Trotzdem geh ich kurz zu ihm und drücke ihm sanft einen Kuss auf die Stirn. Richte seine Decke noch ein wenig. Dann verlass ich leise den Raum. Vor der Tür steht der Blonde und lächelt mich weiter an. Er angelt nach meiner Hand und zieht mich dann in mein Zimmer.
 

Er schlüpft aus der Jeans, die ihm unten zu lange ist. Kein Wunder. Ist meine Hose! Genau wie das Shirt das er trägt. Und die Unterwäsche. Da er mich bislang nicht länger als notwendig alleine lassen wollte, hatte er bislang keine Gelegenheit Wechselklamotten zu holen. Also hab ich ihm welche geliehen. Ich war überrascht, wie gut sie ihm stehen. Sorgfältig legt er die Jeans auf den Stuhl neben dem Nachttisch. Ich schnapp mir meine Sachen vom Bett und verschwinde ins Badezimmer.
 

Dort wechsel ich von meiner Alltagskleidung in meine Schlafklamotten. Dann greif ich nach dem Schweißarmband, dass immer in einem Kästchen neben dem Waschbecken liegt. Nur nicht jetzt! Meine Augen weiten sich. Wo ist es? Ohne... kann ich nicht raus! Ich hab es ganz bestimmt heute Morgen vor dem Duschen hier abgelegt. Das mach ich immer so. IMMER! Der Orkan beginnt wieder stärker an mir zu zerren.
 

Dann wird die Stille durch ein Klopfen unterbrochen und ich hab das Gefühl, dass mein Herz gleich stehen bleibt!

Einen Schritt nach dem anderen

Seto ist schon ziemlich lange im Bad! Ob alles in Ordnung ist? Ich trete an die Badezimmertür und klopfe vorsichtig. Ich hör ihn erschrocken Aufkeuchen. Klingt ein wenig panisch. Also frag ich, ob ich reinkommen kann. Stille. Dann ein leises 'Okay'. Ich öffne die Tür und sehe Seto am Waschbecken stehen. In den typischen Klamotten, die er fürs Schlafengehen immer an hat. Er presst seinen linken Arm eng an seinen Oberkörper und versucht mit dem rechten darüber hinweg zu täuschen. Irgendetwas stimmt hier nicht. Es fällt mir erst beim zweiten Blick auf. Er hat sein Schweißarmband nicht an.
 

Das Schweißarmband ist mir immer wieder aufgefallen. Schon vor Wochen, als ich ihn das erste Mal getröstet habe. Hab mich damals, wie auch die letzten Nächte gefragt, warum er im Bett ein solches Accessoire trägt. Dann wird es mir klar. Er möchte damit etwas verstecken. Langsam trete ich auf ihn zu. Greife nach der rechten Hand und zieh sie von seinem linken Arm weg. Dann nehme ich die linke Hand und ziehe auch diese sanft nach unten. Dabei blick ich ihm die ganze Zeit in die Augen. Unsicherheit spiegelt sich in seinem Blick.
 

Vorsichtig lass ich meine Hand von seiner linken Hand zu seinem Handgelenk hochrutschen. Die Unsicherheit in seinen Augen wandelt sich in blankes Entsetzen. Ein leises 'Nicht' dringt an mein Ohr und ich stoppe die Bewegung. Mein Drachen muss sich für nichts schämen, flüstere ich ihm zu. Doch ich sehe in seinen Augen, dass er noch nicht bereit ist irgendetwas zu offenbaren. Also nicke ich ihm sanft zu, nehme meine Hand von seinem linken Arm und zieh ihn sanft an seiner Rechten aus dem Badezimmer zurück ins Schlafzimmer. Sein Blick geht noch einmal suchend durch das Badezimmer, doch scheinbar findet er auch bei diesem letzten Check nicht was er sucht.
 

Ich bring ihn zum Bett und positioniere ihn auf der Kante. Mir ist klar, dass Seto nicht zur Ruhe kommen wird, solange er sich so entblößt fühlt. Also hechte ich eilig in deinen begehbaren Wandschrank. Ich schau mich kurz suchend um, bevor ich finde was ich suche. Mit einem frischen Paar Tennissocken komm ich zu ihm zurück und knie mich vor ihn hin. Er schaust mich irritiert und verwirrt an. Ich entfalte das Paar schwarze Socken und fummel solange dran rum, bis ich den breiten Bund der Socke vorsichtig abbekomme.
 

Wieder blicke ich zu ihm auf und warte darauf, dass er auch mich anschaut. Als er das tut greife ich langsam nach seiner linken Hand und stülpe ihm den Bund über das Handgelenk, schieb ihn vorsichtig dorthin, wo sonst das Schweißarmband sitzt. Die Unsicherheit in seinen Augen weicht erst Überraschung, dann Dankbarkeit. Ich kann direkt sehen, wie er sich entspannt. Die Schultern sinken locker nach unten.
 

Langsam erhebe ich mich, krabbel neben ihn auf das Bett und zieh ihn dann richtig auf die Liegefläche. Wie in den letzten Nächten kuschelt sich Seto eng an mich. Sucht Nähe und Schutz. Beides biete ich ihm nur allzu gern. Sanft kraul ich ihm wieder den Nacken. Man soll es kaum glauben, aber Drachen haben durchaus Ähnlichkeit mit Katzen. Ich schmunzel bei dem Gedanken an eine schokobraune Katze mit blauen Augen, die die ganze Zeit nur am Fauchen ist, bis man sie an der richtigen Stelle streichelt und sie laut anfängt zu schnurren.
 

Das Licht dimme ich auf die schwächste Einstellung. Seto erträgt es nicht, nicht zu sehen, was um ihn herum ist. Selbst wenn er ganz genau weiß, was da und was nicht da ist übermannen ihn seine inneren Dämonen. Lassen ihn sich bis zum Zerreisen anspannen. Es schnürt ihm die Luft ab. Führt zu Panik. Er braucht die Gewissheit sofort zu sehen, womit er es zu tun hat!
 

Seine Hand liegt auf meiner Brust. Meine über ihr. Gerade als ich denke, dass er eingeschlafen ist, hör ich ihn leise meinen Namen rufen. Nicht Jonouchi. Er nennt mich bei meinem Vornamen. Katsuya. Mein Herz macht einen kleinen Sprung. Ich brumme nur sanft. Es kommt nur ein Wort von dem Brünetten in meinem Arm. Ein einziges! Danke! Dann ist er tatsächlich weggedämmert. Sanft lächel ich zufrieden. Leg mein Kopf auf sein Haar. Eine tiefe Zufriedenheit breitet sich in mir aus. Vorsichtig platziere ich einen Kuss auf seinem Haar, bevor auch ich einschlafe.
 

Ein Zucken weckt mich. Als ich auf die Uhr schau, merk ich, dass es kurz vor vier Uhr ist. Noch ein Zucken. Von Seto kommt ein unterdrücktes 'Nngh'. Als würde er Schmerzschreie unterdrücken. Wieder zuckt der Ältere zusammen. Sanft zieh ich ihn näher zu mir. Ich bin da, mein Drache, wispere ich ihm ins Ohr. Streiche ihm eine klebrige Haarsträhne aus dem Gesicht. Der gequälte Ausdruck auf seinem Gesicht schwindet. Weicht einem Entspannteren. Auch die Atmung wird ruhiger. Im Schlaf murmelt er meinen Vornamen. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht.
 

Ich wiege mich schon in Sicherheit. War heute Nacht gar nicht so schlimm. Er ist heute nicht mal aufgewac... Da schreckt Seto plötzlich mit einem Schrei hoch. Sein Atem geht wieder schwer und stoßweise. Seine Hände haben sich sofort in die Bettdecke gekrallt. Er stiert zwischen seine Hände auf das Bett. Dorthin, wo die Tränen aufkommen, die ihm von der Nasenspitze tropfen. Er zittert! Vorsichtig knie ich mich neben ihn, leg meine Arm über seinen Rücken. Mein Drachen zuckt zusammen und wendet sich von mir ab. Sanft greif ich nach seinem Oberarm und möchte ihn wieder zu mir drehen. Doch er hebt abwehrend die Hand und fleht mich an, ihn nicht anzuschauen! Ich soll wegschauen. Nicht zu ihm! Einfach nur weg!
 

Sanft versuche ich seine Hand zu bändigen, die mich abwehren möchte, während er sich nach vorne fallen lässt und sein Gesicht in die Bettdecke presst. Er rollt sich förmlich zu einem Ball zusammen. Immer wieder schluchzt er, dass er nicht will, dass ich ihn anschaue! Aber alleine lassen kann ich ihn nicht. Da fällt mein Blick auf das Fußende. Ich beuge mich vor und greif nach der Wolldecke. Sanft breite ich sie über ihn, so dass sie ihn ganz bedeckt, bevor ich ihn wieder in den Arm nehme und ihn spüren lasse, dass ich dennoch da bin. Keiner kann dich sehen, mein Drachen, flüstere ich ihm zu. Ich spüre, wie er unter der Decke zu mir rutscht und sich an mich presst. Ich zieh ihn zu mir, so dass er gegen meine Brust lehnt, ohne die Decke dabei zu lüften.
 

Es vergeht wieder eine kleine Weile, bis er sich beruhigt. Schließlich kommt er unter der Decke hervor. Ich lächel ihn sanft an. Er blickt mich unsicher an. Vorsichtig streich ich ihm die letzten Tränen von der Wange. Mein wunderschöner Drache, wispere ich zärtlich und Setos Wangen röten sich verlegen. Ich soll sowas nicht sagen, meint er abwehren. Als ich wissen möchte, warum nicht, wird er im Anflug wütend. Er wendet sich von mir ab, bleibt mir die Antwort aber schuldig. Sanft knie ich mich hinter ihn, lege wieder meine Arme um seine Schulter. Für mich gibt es keinen schöneren Anblick, als meinen Drachen!
 

Er schluckt schwer und dann landet eine neue Träne auf meinem Unterarm. Ich krabbel vor ihm und streich ihm die Tränen von der Wange. Was hat mein Drache denn? Doch statt einer Antwort lehnt sich der Brünette vor und mit der Stirn an mich. Sanft halte ich ihn einfach und gebe ihm die Möglichkeit seine Gefühle raus zu lassen. Der, der ihm diese Konditionierung angedeihen ließ, dass er nicht einmal ein Kompliment akzeptieren kann, würde ich nur zu gerne mal in die Finger kriegen. Den würde ich so klein mit Hut falten. Doch das hilft meinem Drachen jetzt auch nicht weiter. Nur allmählich gleitet er wieder in den Schlaf rüber und ich mach es uns ein wenig gemütlicher.
 

Es ist alles in Ordnung, mein Drache... das wird schon wieder werden! Es braucht nur Zeit... und die werden wir uns nehmen!

Einen Schritt in Jonouchi's Welt

Es ist Freitag und ich stehe an meinen Wagen gelehnt vor dem Conbini und warte auf meinen Streuner. Isono sitzt am Steuer. Komischerweise scheint er genau zu wissen, wann Jonouchi weg ist und kommt dann vorbei für ein kleines 'Update'. Vielleicht sollte ich mal die Telefonrechnung von Mokuba überprüfen. Ich bin mir sicher, ich finde etliche Verbindungen zu Isono. Ich muss kurz schmunzeln, als mir klar wird, dass ich recht habe und Mokuba mich mit Isono nur davon ablenken möchte, dass Jonouchi gerade nicht da ist.
 

Isono ist nicht nur ein Angestellter! Ich... würde ihn als Vertrauten bezeichnen. Er war schon da, als Mokuba und ich adoptiert wurden. Hat einen Teil dessen miterlebt, was Gozaberu mit angetan hat. Nicht alles! War der einzige, der sich danach um mich gekümmert hat. Meine Wunden versorgte. Der mir etwas zu Essen brachte, wenn Gozaberu der Meinung war, dass Essen träge macht und ich nichts bekommen soll. Ich war und bin ihm heute immer noch sehr dankbar dafür.
 

In der Firma ist er der einzige, dem ich vorbehaltlos vertraue! Er würde mich niemals hintergehen. Mich nicht betrügen. Mir kein Bein stellen. Manchmal hab ich den Eindruck, dass er sein gesamtes Leben und Streben alleine mir gewidmet hat. Ihm ist nie etwas zu viel. Er beklagt sich nie. Jederzeit steht er bereit, falls ich ihn brauche. Hab ich ihm jemals wirklich für all das gedankt? Ich muss das dringend mal nachholen. Ihm zeigen, dass ich das alles registriere und wahrnehme. Es nicht - mehr - als selbstverständlich ansehe, dass er sich so aufopfert.
 

Dann kommt der Blonde endlich aus dem Conbini. Es ist halb zwölf in der Nacht. Er hat zwei Tüten in der Hand. Ich richte mich auf und möchte ihm eine der Tüten abnehmen. Er ist irritiert das ich da bin. Will wissen, was ich hier tu. Na ihn abholen! Ist das nicht offensichtlich? Genauso wie in der letzten Woche und an jedem Abend dieser Woche. Er lächelt mich sanft an und meint, dass er noch was erledigen muss, ich aber schon mal nach Hause fahren soll. Überrascht blick ich ihn an. Frage leise, ob ich ihn nicht begleiten kann. Er blickt mich kurz an. Sein Lächeln ist für einen Moment verschwunden, bevor es sich wieder auf sein Gesicht schleicht. Dann nickt er. Wir steigen in das Auto und Jonouchi gibt Isono eine Adresse. Isono beäugt Jonouchi kurz, als wolle er wissen, ob der Blonde scherzt, nickt dann und setzt den Wagen in Bewegung.
 

Nach einigen Minuten sind wir in einem der sozialschwachen Gebieten der Stadt. Vor uns ragt ein Hochhaus auf. Es sieht schon sehr mitgenommen aus. Was will er hier? Wohnt er etwa hier? Sanft streicht mir Jonouchi über den Handrücken und meint, dass ich im Wagen warten kann. Doch als er aussteigt lasse ich ihn nicht los und verlasse ebenfalls den Wagen. Wieder hat mein Streuner diesen nachdenklichen Blick aufgesetzt, den er schon vor dem Conbini hatte. Langsam frage ich mich, was dieser Blick wohl genau bedeutet. Dann nickt er mir zu und wir betreten das Haus.
 

Der Hausflur riecht unangenehm. Wie eine öffentliche Toilette. Die Briefkästen sind, nun ja... versifft und der ein oder andere sieht aus, als hätte man ihn zum Grillen verwendet. Wir kommen an einer Wohnungstür vorbei, die plötzlich aufgerissen wird. Ein kleiner, schmieriger Typ kommt auf den Flur und fragt mit einem Singsang in der Stimme nach der Miete. Jonouchi bleibt nicht stehen und erwidert nur, dass noch nicht der Erste wäre. Der Typ mault etwas von Jahresabrechnung und das die Miete früher fällig ist, wie jedes Jahr. Doch mein Streuner lässt sich das nicht gefallen. Er keift in seiner typischen Art zurück, dass der andere seine Miete am Ersten bekommt - wie immer!
 

Dann zieht er mich weiter und wir erreichen den Aufzug. Doch der ist außer Funktion. Als ob er das schon gewusst hat zieht mich der Blonde zur Tür neben den Aufzug und dann die Treppen hoch. Irgendwann kommen wir im dritten Stock an. Wir verlassen den Treppenaufgang, der genauso gerochen hat, wie der Eingangsbereich dieses Hauses. Doch der Flur hier riecht auch nicht wesentlich besser. Nur das sich jetzt noch eine Brise Müllgeruch dazu mischt. Der Blonde dreht sich zu mir und fragt mich, ob ich nicht doch lieber im Wagen warten möchte. Schämt er sich mir zu zeigen, wo er lebt? Ich schüttel nur wortlos den Kopf und er lächelt mich wieder an. Diesmal liegt eine Spur von Bitternis in seiner Mimik. Dann führt er mich den Gang entlang. Nicht alle Birnen funktionieren. Ein Teil des Flurs liegt in Dunkelheit. Aus vielen Wohnungen höre ich lautes Geschrei, Musik oder einen Fernseher dröhnen. Alles wirkt so unglaublich laut und aufdringlich. Und das um Mitternacht!
 

Am Ende des Flurs bleibt mein Streuner vor der letzten Tür stehen. Jetzt endlich gibt er mir eine der beiden Tüten. Dann kramt in seiner Hosentasche. Schließlich findet er seinen Schlüssel und schließt auf, nimmt mir die Tasche wieder ab und tritt ein. Die Tür führt direkt in ein Wohnzimmer. Die Möbel sind längst über ihr Verfallsdatum hinaus, wirken, als würden sie nur noch durch Klebeband zusammengehalten werden. Erstaunlicherweise bleibt der Mief vor der Tür. Es ist unordentlich, aber nicht dreckig. Ich habe was anderes erwartet. An das Wohnzimmer schließt sich eine offene Küchennische an. Kleiner Kühlschrank, nur zwei Herdplatten auf der Anrichte, keinen Ofen! In der Spüle stapelt sich Geschirr. Jonouchi stellt die Tüten auf die Anrichte, bevor er sich wieder zum Wohnzimmer wendet. Ich schließe hinter mir die Tür, dann scheint der Blonde etwas zu sehen, was ihn um die Couch laufen lässt.
 

Zwischen Couch und einem in sich zusammengefallenen Couchtisch liegt ein Mann. Mittleres Alter, fettige blonde Haare, ungepflegter mehrtägiger Bart, in Unterhemd und Jogginghose. Große Schweißflecken auf dem nicht mehr ganz weißen Unterhemd. Besorgt kniet sich mein Streuner vor den Mann. Ruft ihn Dad. Das ist sein Vater? Der brummt nur ungehalten. Erleichterung macht sich auf dem Gesicht des Blonden breit. Dann richtet er den Mann langsam auf und hebt ihn vom Boden auf die Couch. Der Kerl tut nichts, um Jonouchi dabei zu helfen. Dann riech ich Alkohol. Mir wird bewusst, dass Jous Vater besoffen ist. Ich verschränk die Arme vor der Brust. Mieser Säufer!
 

Der Blonde springt auf und läuft zur Küche. Nimmt einen Wasserkocher, befüllt ihn mit Wasser und schaltet ihn an. Er fängt an die Tüten auszuräumen. Er hat für den Alten hier eingekauft!? Er räumt die Sachen in einen Vorratsschrank und holt eine Packung Reis raus. Schnell hebt er das schmutzige Geschirr aus dem Becken auf die Abtropffläche, bevor er einen Sieb aus dem Schrank holt. Er wäscht den Reis drei, vier Mal, bevor er ihn in den Wasserkocher füllt und anschaltet. Dann holt er einen Filter und eine Kaffeedose aus dem Schrank. Der Wasserkocher ist fertig und mein Streuner brüht einen Kaffee auf. Die Tasse mit dem frischen Kaffee bringt er seinem Vater. Hält ihm die Tasse sogar, während dieser laut schlürfend den Kaffee schluckt.
 

Erst als er sicher ist, dass sein Vater die Tasse selbstständig halten kann ohne sich das heiße Zeug über den eigenen Schoss zu kippen, steht Jonouchi wieder auf und kommt zu mir. Sanft nimmt er mich an der Hand und zieht mich zur Couch und vor seinen Vater. Der schaut mit blutunterlaufenen Augen zu mir auf. Dann stellt mich der blonde Streuner als Seto vor. Einfach nur Seto! So wie Cher oder Madonna. Oder... so wie 'das ist mein Freund Seto' statt 'das ist mein Kumpel Kaiba', kommt es mir in den Sinn. Schnell schüttel ich den Kopf. Da geht gerade meine Fantasie mit mir durch!
 

Der Alte lächelt müde und fängt an sich für sein Erscheinungsbild zu entschuldigen. Für einen elendigen Säufer drückt er sich durchaus gutbürgerlich aus. Überraschend. Vor allem lallt er kaum. Ich nick ihm nur zu. Der Blonde erklärt ihm, dass er eine Weile bei mir wohnt, aber alle paar Tage bei ihm vorbei schauen wird! Der Säufer nickt nur. Scheinbar ist es ihm egal, wo sein Sohn abbleibt!
 

Dann zieht mich Jonouchi weiter zu einer von zwei Türen, die an das Wohnzimmer anschließen. Es entpuppt sich als Jonouchis Zimmer. Sein Zimmer ist nicht mal halb so groß wie mein begehbarer Kleiderschrank. In ihm steht ein Jugendbett, ein klappriger Schreibtisch und ein Kleiderschrank. Das ist sein Zimmer? Hier drin werde ich klaustrophobisch!
 

Mein blonder Streuner angelt nach einer Tasche auf dem Schrank. Ich streck mich und hol sie ihm runter. Er nimmt sie mit einem warmherzigen Lächeln an und beginnt dann ein paar Klamotten aus dem Schrank reinzustopfen. Unter anderem wandert auch seine Schuluniform in die Tasche. Erst jetzt wird mir bewusst, dass er es ernst gemeint hat, was er vor einigen Tage zu mir sagte. Er wird so lange bei mir bleiben, bis ich ihn wegschicke. Das war kein blöder Spruch, den er sagte um mich zu beruhigen! Mein Herz macht einen freudigen Hüpfer.
 

Dann dringt ein Poltern und Krachen zu uns. Unsicher blicke ich zur Zimmertür. Jonouchi schaut durch einen kleinen Spalt ins Wohnzimmer, schließt die Tür wieder und blickt mich besorgt an. Was... was ist los? Er kommt zu mir und zieht mich zum Zimmerfenster. Er bittet mich darum, dass ich auf gar keinen Fall, egal was ich höre, aus dem Zimmer kommen soll. Ich nicke unsicher. Dann verschwindet er ins Wohnzimmer.
 

Doch ich kann nicht anders, als ihm hinterher zu schleichen und durch einen Spalt ins Wohnzimmer zu spähen. Dort sehe ich drei Typen stehen. Einen drahtigen Kleinen, einen Berg von Kerl und einen durchtrainierten mit gefährlichem Blick. Ihre Winterjacken sind offen und darunter tragen sie nicht mehr als ein Träger-Shirt. Auf der freien Haut sehe ich umfangreiche und farbenfrohe Tätowierungen. Yakuza!
 

Mir kommt der Schmierfink Hayashi wieder in den Sinn. Das was er über Jous Vater, seine Spielsucht und die daraus resultierenden Schulden erzählt hat. Sowie dem Vorhaben der Yakuza, die Schulden auf andere Art und Weise von Jonouchi abarbeiten zu lassen! Ich hatte es als Erfindung abgetan, um den Druck auf den Blonden zu erhöhen und ihn gefügig zu machen. Doch... das da sieht nicht wie eine bloße Erfindung aus. Die da sehen aus, wie die typischen Schuldeneintreiber der Yakuza.
 

Der drahtige Kleine der Drei drischt auf Jous Vater ein. Der Blonde stößt ihn von seinem Vater weg und kniet sich besorgt neben den Säufer. Wenn das mal kein Fehler war. Ich kann gerade noch hören, dass er seinen Vater fragt, ob alles in Ordnung ist, da zieht ihn der Berg schon von dem Alten weg und pinnt ihn an die Wand. Ich will raus und ihm helfen, als ich seinen Blick sehe. Er mahnt mich, in dem Zimmer zu bleiben und mich ja nicht einzumischen. Aber ich kann doch nicht nur... Etwas in mir sagt mir, ich solle ihm vertrauen. Also trete ich einen Schritt zurück, lehne mich an die Wand. Die Tür immer noch einen Spalt geöffnet. Aber ich sehe jetzt nichts mehr. Ich weiß nicht, ob ich der Bitte meines Streuners nachkommen könnte, wenn ich sehen würde, was abgeht.
 

Ich höre den einen ein tadelndes Geräusch machen, so etwas wie 'tz, tz, tz'. Dann erklingt die Stimme meines Streuners. Ich kann sein Grinsen heraus hören. Locker, flockige Art, respektloser Tonfall. Wie bei unseren Wortgefechten. Er fragt, ob sie nicht endlich checken würden, dass Prügel bei dem Alten nichts hilft. Dann klingt es so, als würde jemand einen Schlag ins Gesicht bekommen. Der Tonfall meines Streuners ändert sich. Klingt merkwürdig unvertraut. Verhandelnd. Er fragt die drei, wie viel der Alte ausstehen hat. Die drei Lachen. Es klingt bedrohlich und spottend! Dann wird eine Summe genannt. 200.000 Yen. Das... ist eine Menge - jedenfalls für meinen Streuner! Ich höre wieder den Blonden, wie er fragt, bis wann sie die Kohle sehen wollen. Die Antwort ist nüchtern und nicht weniger bedrohlich: Gestern!
 

Für einen Moment mein ich meinen Streuner schlucken zu hören, bevor er etwas murmelst. Für mich ist nicht ganz verständlich was er sagst. Doch dann hör ich Schritte, die in meine Richtung kommen. Ich press mich mehr an die Wand. Mein Herz klopft bis zum Hals und ich erwarte, dass einer der drei Yakuza gleich reinkommt. Doch dann schiebt sich der blonde Schopf meines Streuners durch die offen Tür, die er hinter sich schließt. Mit geweiteten Augen blick ich ihn an. Er lächelt mich nur sanft an und streicht mir zärtlich über die Wange. Seine Wange ist stark gerötet, verfärbt sich langsam bläulich, während das Gewebe um das Auge bereits zu schwillt.
 

Wut flammt in mir auf. Einer dieser Dreckssäcke hat es tatsächlich gewagt meinen Streuner... MEINEN FREUND zu schlagen!? Ich will raus und sie zur Schnecke machen, doch Jonouchi hält mich auf, legt seine Hände auf meine Schultern und drückt mich gegen die Wand. Sein Gesichtsausdruck ist ernst und er schüttelt den Kopf. Dann legt er wieder seine Hand an meine Wange und schmunzelt sanft, bevor er sich abwendet und zum Kleiderschrank geht. Er kniet sich hin und kramt aus der hintersten Ecke eine kleine Dose. Wenn man nicht wüsste, das sie da ist, würde man sie vermutlich nicht finden, geht es mir durch den Kopf. Er öffnet die Dose und ich sehe einige Geldscheine. Schnell und geschickt zählt er die Scheine ab, dann lässt er seinen Kopf hängen. Scheinbar reicht das Geld nicht für die ganze Summe. Ich zieh meinen Geldbeutel und zieh alles, was ich an Geld hab, heraus. Auffordernd halte ich dem Blonden das Geld hin.
 

Er schaut entgeistert erst auf die Scheine in meiner Hand und dann zu mir hoch. Dann grinst er auf diese Art und Weise, die ich so hasse. Dümmlich. Oberflächlich. Er weist meine Geste ab. Ich halt ihm das Geld energischer hin. Doch er schließt die nun leere Dose, verstaut sie wieder sorgfältig im Schrank und schiebt mich wieder an die Wand. Dann verlässt er das Zimmer und ich bleibe, immer noch mit dem Geld in meiner Hand, zurück. Warum...? Warum hast du mein Geschenk abgelehnt?
 

Ich höre einen kurzen Wortwechsel. Irgendetwas, dass sie den Rest nächste Woche kriegen. Der eine, der ihn vorhin getadelt hat, meint nur, dass der Blonde ein guter Junge sei und er hofft, dass Jonouchi ihn nicht enttäuschen wird. Dann stampfen sie aus der Wohnung und ich höre, wie jemand die Wohnungstür schließt. Vorsichtig luge ich aus seinem Zimmer in das Wohnzimmer und sehe ihn mit der Stirn an der Tür lehnen, bevor er sich wieder abstößt. Als er sich umdreht sieht er mich an. Sein Gesichtsausdruck ist eine Mischung aus Verlegenheit und Resignation.
 

Jonouchi geht neben seinem Vater in die Hocke und hilft ihm erneut sich aufzusetzen. Vorsichtig lehnt er ihn gegen die Couch. Der Säufer blutet über dem Augen. Eilig springt Jonouchi auf und eilt zu der zweiten Tür, die in ein Badezimmer führt. Er kramt aus dem Spiegelschrank etwas raus und geht zurück zu seinem Vater. In der einen Hand hält er ein sauberes, kleines Handtuch, dass er erst mal auf die Wunde presst. Als nach einigen Augenblicken die Blutung etwas abklingt säubert der Blonde die Wunde seines Vaters, bevor er ein Pflaster draufklebt. In der ganzen Zeit wird kein Wort gesprochen.
 

Warum durfte ich meinem Streuner nicht helfen?

Einen Schritt in die Verzweiflung

Isono fährt vor die Haustür. Ich bemerk es erst, als er sich zu mir dreht und mir sagt, dass wir da sind. Ich blick ihn missmutig an. Dann nicke ich, bedanke mich für das Fahren und schick mich an auszusteigen. Da greift Isono kurz nach meinem Handgelenk und bietet mir an zu bleiben. Ich schau ihn an. Er macht sich Sorgen! Das sehe ich ihm an. Traurig lächel ich ihn an und schüttel mit dem Kopf. Belüg ihn. Sag ihm, dass alles in Ordnung ist und er sein Wochenende genießen soll. Dann steig ich aus.
 

Isono wartet noch einen Moment und erst, als ich an der Haustür ankomme und mir diese geöffnet wird, hör ich ihn den Wagen anlassen und langsam wegfahren. Völlig geknickt durchquere ich die Eingangshalle. Aus dem Wohnzimmer kommt Mokuba, der mich fragend anblickt. Wo Jonouchi ist, will er wissen. Traurig blicke ich ihn kurz an. Der Orkan zerrt gewaltig an mir. Ich spüre, wie meine Tränen immer mehr nach oben quellen. Wie sich mein Hals zuschnürt.
 

Mein kleiner Bruder bekommt keine Antwort auf seine Frage. Nur den gut gemeinten Rat nicht mehr so lange zu machen und bald schlafen zu gehen. Dann steig ich die Treppe hinauf und schleppe mich förmlich den Gang entlang. Mir ist dieser Gang noch nie so lang vorgekommen. Vor meiner Zimmertür halt ich nochmal inne. Nur zögerlich öffne ich die Tür und blicke in mein Schlafzimmer. Es ist groß und leer! Dann trete ich über die Schwelle und geh langsam zum großen Bett.
 

Als ich mich für die Nacht umgezogen habe setze ich mich auf die Bettkante und blicke aus dem Fenster. Eine erste Träne löst sich aus meinen Augen. Wie... wie konnte ich nur so dumm sein? Eben erst hab ich zum ersten Mal wirklich erkannt, dass der Blonde so viel mehr als nur EIN Freund für mich geworden ist. Das meine Gefühle so viel tiefer sind, als ich dachte! Ich... will mehr, von ihm... dem, der jede Nacht auf mein wahres Ich schaut und sich nicht angewidert abwendet. Der für mich da ist und mich nimmt, wie ich bin. Der mich ständig bestärkt und ermutigt. Mich mit einer Kraft erfüllt, die ich nie für möglich gehalten habe. Ich schluchzte auf.
 

Aber ich hab es geschafft! Ich hab ihn vergrault. Nur, weil ich nicht verstehen kann, warum er meine Hilfe abgelehnt hat, als er sie gebraucht hat und ich sie ihm angeboten habe. Er hatte mich angeschaut, mit einer Ernsthaftigkeit, die ich nicht von ihm kenne. Dann zu dem Säufer von Vater. Er muss das alleine bewältigen, weil es hier um seinen Vater geht. Das kann er nicht auf jemand anderen abwälzen. Das waren seine Worte. Ich verstehe immer noch nicht warum. Warum nimmt der Blonde all den Scheiß auf sich? Drei Jobs, ackern bis zum Umfallen, das Anlegen mit der Yakuza, nur um immer wieder seinen Vater aus den Schulden zu boxen. Ihn zu beschützen. Was war er diesem Totalversager schon schuldig? Genau das hab ich ihn gefragt!
 

Der Blonde hatte mich mit einem mörderischen Blick angeschaut. Ich konnte seine Wut in seinen Augen sehen. Er hatte seine Zähne fest aufeinander gebissen. Knirschend. Seine Hände zu Fäusten geballt. Mehrmals atmete er tief durch die Nase ein und aus. Seine Nasenflügel blähten sich regelrecht. Als er das Wort an mich richtete, zitterte seine Stimme vor Wut. Geh nach Hause, war alles was mein Streuner zu mir sagte. Ich wollte etwas erwidern, doch er wiederholte nur gefährlich leise noch einmal seine Aufforderung.
 

Ich war vor ihm zurück geschreckt. So hatte ich den Blonden noch nie zuvor erlebt. Er... sah so aus, als wolle er mich schlagen! Das Zittern der Stimme hatte sich auf seinen Körper übertragen. Jonouchi brauchte seine gesamte Kraft, um sich zu kontrollieren. Und noch immer sehe ich vor meinem geistigen Augen seinen Blick. So vernichtend. So voller Schuld. Und noch etwas... etwas, was ich da noch nie gesehen hatte. Was ich aber kannte. Aus dem Spiegel! Von mir selbst! Scham.
 

Schließlich bin ich gegangen. Isono wartete vor dem Haus auf mich. Ich habe meine ganze Kraft gebraucht, um nicht in aller Öffentlichkeit in Tränen auszubrechen. Bin eingestiegen. Isono hat einen Moment gezögert, dann erst ist er auch eingestiegen und losgefahren.
 

Immer mehr zerrt der Orkan an mir, bis er mich schließlich mitreißt. Immer lauter schluchze ich los. Schlage die Hände vor mein Gesicht. Ich weiß in meinem Inneren, dass er nicht kommen wird. Darf die Kontrolle nicht verlieren! Muss gegen den Orkan ankämpfen! Doch ich hab keine Kraft. Wieder schluchze ich laut auf. Ich fühle mich so alleine und mir fröstelt es so sehr. Alles was ich will, ist ihn in den Arm nehmen. Will ihn an meiner Seite wissen. Für immer!
 

Warum kann ich nie das haben, was ich will? Was nützt mir all das Scheißgeld, wenn es mich nicht glücklich macht? All das hier, hat mir nur Leid beschert. Leid, Schmerzen und Albträume. Hat mich zu jemand werden lassen, der ich niemals sein wollte. Jemand, der nicht einmal die Nähe des eigenen, über alles geliebten Bruder ertragen kann. Zu jemand Schwachem, der nicht einmal sich selbst retten und beschützen kann. Jemand, der im eigenen Selbstmitleid versinkt und ersäuft.
 

Und dann... dann sind da diese Arme, die sich sanft um mich legen. Mir Sicherheit und Geborgenheit schenken. Ich richte mich erschrocken auf. Meine Träne versiegen abrupt im Schrecken, während ich einen Kopf auf meiner Schulter spüre. Die Kälte verschwindet augenblicklich, weicht Wärme und Vertrautheit. Der Orkan hat keine Macht mehr über mich! Kann mich nicht weiter mitreißen. Weil MEIN Streuner mich hält. Hinter mir auf dem Bett kniet und mich sanft an sich drückt. Was sein Drache denn hat, will er wissen. SEIN Drache! Ich... bin immer noch SEIN Drache?
 

Ich lös mich aus seiner Umarmung, wirbel herum und klammer mich an ihn. Wie konnte ich an ihm zweifeln? Ich fühle mich so dumm. So... Scham steigt auf. Er hatte mir versprochen, dass er so lange bei mir bleibt, bis ICH IHN wegschicke. Und er hält IMMER seine Versprechen! IMMER! Dann spüre ich erneut Tränen in mir aufsteigen. Dieses Mal sind es Freudentränen.
 

Er ist hier! Bei mir! MEIN Streuner!

Einen Schritt, der Vertrauen schafft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt ins Licht

Ich bin fassungslos. Was mir mein Streuner da gerade offenbart hat... er ist durch die Hölle gegangen. Hat das Schlimmste erlebt, was ein Kind erleben kann. Aber es hat ihn nicht gebrochen. Er hat die Stärke darüber zu reden. Offen. Laut. Klar, es gibt Momente, in denen er kurz inne hält und schluckt. Aber dann redet er weiter. Er eröffnet mir hier etwas, was sonst niemand von ihm weiß.
 

Sein Vater... den ich als Totalversager bezeichnet habe, ist ein Held! Anders kann ich es nicht sagen! Man mag über Selbstjustiz denken was man will, aber ohne Zögern hat er das Monster, dass seinem Sohn die Kindheit geraubt hat, niedergestreckt und so seinen Sohn vor einem Leben in Angst bewahrt. Viel mehr noch... er hat ihm aus dem Gefängnis heraus Hilfe organisiert. Damit seinem Sohn jemand zur Seite steht, der ihm hilft, das alles zu bewältigen.
 

Obwohl mein Streuner das alles erlebt hat ist er heute ein offener, lebensfroher Mensch mit einer unglaublichen Kraft. Ich bewundere ihn dafür. Dafür, dass er jemand ist, der ich gern wäre und nicht sein kann. Seit ich ihn kenne glaubt der Blonde an das Gute im Menschen. Setzte sich immer für Schwächere ein, wo sie in Bedrängnis geraten sind. Geht offen auf jeden zu und reicht diesem die Hand... wie mir!
 

Mir wird klar, dass er längst weiß, was mich Nacht für Nacht quält. Vielleicht nicht im Detail. Doch er hat meine Reaktionen wiedererkannt. Von sich selbst. Daher weiß er, wie er mit mir umzugehen hat. Weiß, was er tun muss, um mich aus meiner Panik zu befreien. Ich fühle mich völlig entblößt und doch... bleibt das Gefühl aus, mich beschämt wegdrehen zu müssen.
 

Nur langsam heb ich meinen Blick, sehe ihn mich anlächeln. Sanft und aufmunternd. Seine braunen Augen glänzen im gedimmten Licht des Zimmers golden. In ihnen liegt so viel Verständnis, Wissen und... Liebe? Kann es wirklich sein, dass ich da Liebe sehe? Oder bilde ich mir das ein? Ist das nur Wunschdenken? Sehe ich nur, was ich sehen will, weil ich es mir so sehr wünsche? Oder...?
 

Katsuya beugt sich langsam, wie in Zeitlupe, zu mir vor, bis sich unsere Lippen berühren. Vorsichtig. Sanft. Mein Herz bleibt stehen! Passiert das wirklich? Oder träume ich es? Egal! Langsam schließe ich die Augen und beginne den Kuss zu erwidern. Er legt mir seine Hände an die Wangen und streicht darüber, während er ganz behutsam um Einlass bittet. Und ich gewähre ihm, was er erbittet. Mein Herz setzt wieder ein und schlägt so stark, dass es sich anfühlt, als würde es jeden Moment aus meiner Brust springen.
 

Der Kuss ist so intensiv und das Intimste, was ich je erlebt habe. In mir wallt eine Hitze auf, die mich glauben lässt in Flammen zu stehen. In meinem Bauch kribbelt es wie wild und ich denke, ich weiß endlich was es bedeutet Schmetterlinge im Bauch zu haben. Dazu kommt die Nähe meines Streuners, der mich mit so viel Geborgenheit und Sicherheit erfüllt. Alle Zweifel, die ich vielleicht im Laufe dieses Abends gehabt hatte, sind völlig ausgeräumt.
 

Ganz langsam klingt der Kuss aus. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich auf dem Rücken liege und Katsuya halb auf mir. Sanft stützt er sich auf seinem Arm ab und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich... müsste jetzt in Panik geraten. Wir... wir haben uns geküsst und sind uns so nah, wie noch nie zuvor. Wird das nicht unweigerlich dazu führen, dass wir... er und ich... er in mich... gleich... Mein Herz legt noch einen Zacken zu beim Schlagen. Aber Panik... die bleibt aus.
 

Mein Streuner lächelt mich an, als hätte er gehört, was mir durch den Kopf geht. Er weiß, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist, wird mir bewusst. Sanft drückt er mir wieder seine Lippen auf. Ganz behutsam und sanft. Kurz. Viel zu kurz, für meinen Geschmack. Ich möchte mehr. Viel mehr, wird mir bewusst.
 

Katsuya zieht sich seine Hose aus und wirft sie auf den Stuhl neben dem Nachttisch. Dann schlüpft er unter die Decke und zieht mich mit und in seinen Arm. Er hält mich eng an seine Brust gedrückt. Ich lege einen Arm über ihn und suche an seiner Schulter Halt. Als er meinen Blick bemerkt zieht er mich ein Stückchen höher und küsst mich ein weiteres Mal. Mit Hingabe und Genuss. Lange. Ich fühle... fühle mich wie im Himmel. Bin betört von dem, was mein Streuner in mir auslöst. Nie hätte ich gedacht, dass mal erleben zu können. Schließlich klingt auch dieser Kuss langsam aus.
 

Dann höre ich seine Stimme in mein Ohr flüstern, dass wir Zeit haben und nichts überstürzen müssen. Wir können uns so viel Zeit nehmen, wie wir wollen. Dass wir einen Schritt nach dem anderen gehen, wenn wir beide soweit sind ihn zu machen. Nicht vorher! Gemeinsam! Miteinander! Langsam sink ich wieder in seinen Arm und schließe die Augen. Die Müdigkeit greift nach mir. Ich ziehe noch einmal Katsuyas Geruch tief in mich hinein und fühle mich einfach glücklich. Ich hab das Gefühl zu schweben, als ich langsam wegdämmere. Spüre wie mein Streuner mich sanft streichelt. Mich an sich drückt.
 

Dann umhüllt mich Dunkelheit. Mein Herz schlägt heftig. Angst keimt in mir auf. Ich weiß schon, was gleich kommt. Müsste es gewohnt sein. Und dennoch... dennoch bin ich gelähmt. Ich hasse es. Hasse diese Hilflosigkeit. Diese Panik. Dann ertönt schmerzlich laut SEINE Stimme! Sie dröhnt bedrohlich laut und dämonisch. Was er sagt, verstehe ich nicht. Mal brüllt mich die Stimme von vorne an, mal von der Seite, dann von hinten. Ein Schlag trifft mich im Gesicht und wirft mich nach hinten zu Boden. Mit Tränen in den Augen reib ich mir die Wange.
 

Eine Hand greift nach meinem Kragen und zieht mich mit Kraft auf die Beine. ER steht vor mir! Gozaberu. Sein Gesicht kaum noch von meinem getrennt. Er ist wütend. Seine Ader auf der Stirn pulsiert heftig. Schreit auf mich ein. In seiner anderen Hand die Gerte, mit der er mich schon als Kind traktiert hat. Mich 'gezüchtigt' hat. Immer wenn ich seine Erwartungen nicht erfüllt habe. Egal, wie gut ich war. Nie war er zufrieden mit mir! Er holt aus. Gleich... gleich wird er sie wieder auf mich niederziehen. Ich press meine Augenlider fest zusammen.
 

Doch... der Schlag bleibt aus. Nur zögerlich öffne ich meine Augen. Sehe, dass seine Hand mit der Gerte von jemanden festgehalten wird. Folge der Hand, die nichts in meinem Traum zu suchen hat, dem Arm entlang zur Schulter. Nacken, Hals... ein Gesicht... Katsuya! Er blickt ernst zu Gozaberu, der völlig fassungslos scheint. Scheinbar ist dieses Monster genauso überrascht von der Anwesenheit meines Streuners, wie ich.
 

Dann legt sich die zweite Hand von Katsuya an die Hand, die mich immer noch am Kragen hält. Gozaberu muss mich loslassen. Der Blonde schiebt sich zwischen mich und meinen Peiniger. Er wirft einen Blick über seine Schulter zu mir. Lächelt mich beruhigend an. Will wissen, ob alles okay ist. Ich nicke nur. Dann wendet er sich Gozaberu zu und brüllt ihn an. Nie wieder soll ER eine Hand an SEINEN Drachen legen. Danach schlägt der Blonde diesen bedrohlichen, alten Mann mit seiner Faust zu Boden. Wie vor einigen Wochen Hayashi, den Schmierfinken.
 

Entsetzt blickt Gozaberu vom Boden zu meinem Streuner auf. Seine Nase blutet. Ist das... Angst in seinem Blick. Gozaberu hat Angst? Vor Katsuya? So etwas hab ich noch nie bei dem Monster gesehen. Noch nie! Doch Katsuya beachtet ihn schon längst nicht mehr. Hat sich mir zugewandt und zieht mich in seinen Arm. Nie wieder wird er zulassen, dass dieses Monster mich noch einmal verletzt! Und ich glaube ihm. Schließe meine Arme um ihn. Fühle mich sicher. Auch wenn Gozaberu immer wieder keift, dass ich das büßen werde. Doch seine Stimme verblasst immer mehr, bis ich nicht einmal mehr ein Echo hören kann.
 

Dann legen sich Katsuyas Lippen auf meine und ich versinke im warmen Licht!

Einen Schritt, der überrascht

Vielleicht hätte ich auf meinen großen Bruder hören sollen und nicht mehr so lange machen sollen. Aber, wie immer, konnte ich mich nicht von der Serie loseisen. So ist das halt, wenn man auf Netflix eine gut gemachte Serie findet. Eine Folge geht immer noch und man kann einfach nicht aufhören, bis man mit der Staffel durch ist.
 

Gegen halb fünf bin ich dann aus dem Wohnzimmer geschlichen. Als ich mein Zimmer erreiche bleib ich noch einmal kurz stehen und wende mich zu Setos Zimmertür. Kurz lausche ich. Alles still. Also öffne ich die Tür einen kleinen Spalt. Wie immer wird der Raum von gedimmten Licht erhellt. So kann ich gut erkennen, wie Seto sich eng an Jonouchi gekuschelt hat und beide friedlich schlafen. Selbst im Schlaf hält Jonouchi meinen Bruder fest in seinem Arm.
 

Das Bild macht mich irgendwie glücklich. Endlich hat Seto jemand gefunden, dem er vertrauen kann. Von dem er sich halten lässt. Aber auch ein wenig Traurigkeit zieht in mir auf. Darüber, dass er mich diese Rolle nicht einnehmen lassen hat. Aber Jonouchi hatte es mir mal erklärt, warum Seto das nicht gekonnt hat. Von daher ist alles in Ordnung.
 

Ich will mich schon abwenden und wieder gehen, als mir auffällt, dass sich auf Setos Gesicht ein Lächeln bildet. Seto lächelt im Schlaf? Ich erkenne zum ersten Mal so richtig, welche Sicherheit der Blonde meinem Bruder gibt. So etwas ist ja noch nie vorgekommen! Noch nie! Das ist das erste Mal, dass mein Bruder beim Schlafen derartig entspannt und glücklich wirkt. Schon als Kind hat er selbst im Schlaf immer angespannt gewirkt. Das ist einfach nur ein Wunder. Leise schließ ich die Zimmertür hinter mir und kriech in mein eigenes Bett. Der Schlaf übermannt mich sofort.
 

Gegen Mittag werde ich langsam wach und hab ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Ich strecke mich und fühle mich fabelhaft. Ich weiß nicht, ob es am Schlaf liegt oder daran, dass ich immer noch dieses Bild von meinem großen Bruder und Jonouchi im Kopf habe, wie sie fest ineinander gekuschelt dalagen. Sie passen einfach so gut zusammen. Ergänzen sich perfekt. Wann sie das wohl endlich erkennen werden?
 

Als ich aus dem Badezimmer komme und ich mich angezogen habe knurrt mein Magen laut. Etwas Essbares wäre jetzt nicht verkehrt. Also tragen mich meine Füße in die Küche, doch als ich durch die Schwingtür komme bleib ich wie angewurzelt stehen und trau meinen Augen nicht.
 

Jonouchi steht eng hinter Seto, greift um ihn und führt die Hände meines großen Bruders, während sie gemeinsam eine Sushi-Rolle formen. Seto mault etwas, doch von dem Blonden kommt nur ein entspanntes 'Du wolltest doch, dass ich es dir zeige'. Der Blonde grinst verspielt, während Seto eher schaut, als wäre er dabei eine komplizierte Mathematik-Aufgabe zu lösen. Dann schiebt Jonouchi die fertig Maki-Rolle von ihnen weg und legt seinen Kopf auf die Schulter meines großen Bruders. 'Na bitte, mein Drachen' kommt von Jou-kun zufrieden, während mein Bruder nur ein leises 'Hmpf' von sich gibt. Doch das scheint den Blonden gar nicht zu stören. Er zieht das nächste Nori-Blatt heran und will Seto erneut führen. Doch dieser protestiert nur gespielt. Meint, er ist kein kleines Kind mehr! Dann drückt Jonouchi meinem Bruder einen Kuss auf die Wange.
 

Meine Augen werden riesig und ich muss glücklich kichern. Seto zuckt erschrocken zusammen und beide drehen sich überrascht zu mir. Ich glaub es einfach nicht... die Wangen meines großen Bruders färben sich rötlich. Verlegen wird er immer röter und schaut mich nur erschrocken an. Ich spring drei, vier Mal auf der Stelle und freu mich, wie ein kleines Kind, bevor ich auf sie zu laufe und sie beide in den Arm nehme.
 

Jou-kun grinst nur und scheint gar kein Problem damit zu haben, dass ich sie gesehen habe. Seto ist da etwas anderes. Mittlerweile ist sein gesamtes Gesicht hochrot und er blickt verlegen zur Seite. Ich grins ihn nur an und umarm ich ihn einfach nur stürmisch. Ich kann nicht anders. Dieses Gefühl, dass sie endlich erkannt haben, dass sie zusammen gehört, das ist einfach so großartig.
 

Langsam erwidert Seto die Umarmung und hält mich fest an sich gedrückt. Hat er echt gedacht, dass ich nicht gemerkt habe, wie er immer wieder dem Blonden hinter her geschaut hat und sich für ihn interessiert? Ich bin nicht blind! Und auch nicht blöd! Ein breites Grinsen hat sich in meinem Gesicht festgesetzt und ich drück Seto einen Kuss auf die Wange. Dann lös ich mich von ihm wieder. Noch immer scheint ihm die Situation nicht ganz geheuer zu sein. Aber er wird sich schon daran gewöhnen!
 

Also schlendere ich zur Theke und kletter auf einen Hocker. Beide blicken mich an, bevor Jou-kun nur noch lachen kann, dann wendet er sich der unfertigen Maki-Rolle zu. Zögerlich kommt Seto zu mir und setzt sich neben mich. Uah... er hat sein 'wir müssen reden'-Gesicht auf. Ich kann mich noch an das letzte Mal erinnern. Er stammelte verlegen ohne einen zusammenhängenden Satz rauszubringen und ich hab schlussendlich über Sex und Verhütung referiert.
 

Seine Stimme ist leise und behutsam. Ich würde schon fast unsicher dazu sagen, aber das passt nicht so ganz zu meinem Bild, das ich von Seto habe. Mir ist bewusst, dass mein Bild ohnehin etwas glorifizierend ist, aber das ist mir egal. Nichts würde jemals dieses Bild von meinem Bruder ändern oder stören. Höchstens ergänzen. Dann höre ich, wie er mich fragt, ob ich wirklich kein Problem damit habe, dass er... er und Jonouchi... sie beide... uffz, es ist anstrengend ihm zuzuhören. Immer noch breit lächelnd dreh ich mich zu ihm, lege meine Hände an seine Wangen und leg den Kopf ein wenig schief. Warum, in aller Welt, sollte es für mich ein Problem sein, wenn mein großer Bruder endlich jemand gefunden hat, mit dem er glücklich ist!? Oder worauf möchte er hinaus?
 

Schlagartig wird mir bewusst, dass es ihm nicht darum geht, dass er jemand gefunden hat, sondern das der jemand ein anderer Junge ist. Ich muss laut loslachen und kann mich kaum noch auf dem Hocker halten. Verdutzt schaut mich Seto einfach nur aus großen, blauen Augen an. Es dauert eine Weile bis ich mich soweit wieder im Griff habe, dass ich was sagen kann. Es ist doch scheißegal, welches Geschlecht der Mensch hat, den man liebt, solange er einen bedingungslos zurück liebt.
 

Dann schlingt mein großer Bruder wieder seine Arme um mich und drückt mich eng an sich. Er scheint ehrlich erleichtert zu sein. Scheinbar hat er wirklich nicht mitgekriegt, dass ich schon eine ganze Weile versuche ihn mit Jou-kun zu verkuppeln. Ich drück ihn fest an mich und dann... durchzieht mein Magenknurren die Küche.
 

Geschockt blicken mich die beiden Älteren an, während ich mich nur verlegen am Hinterkopf kratze. Dann muss Jou-kun wieder laut lachen und meint, wir sollen uns schon mal hinsetzen, er macht nur noch die letzte Maki-Rolle fertig.

Einen Schritt des Mutes

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt in den Kreis der Familie

Eigentlich bin ich nur vorbei gekommen, um Seto-sama das übliche Update zu geben und ihn damit von der Tatsache abzulenken, dass Jonouchi-kun gerade außer Haus ist. Das hat sich so eingebürgert in den letzten zwei Wochen. Danke Mokuba-sama, der damit wieder einmal bewiesen hat, dass er eine unglaubliche Weitsicht besitzt. Und das in seinem jungen Alter. Mir macht das nichts aus, jeden Tag her zu kommen. Im Gegenteil! Es freut mich, dass ich immer noch einen Nutzen für Seto-sama habe.
 

Während ich ihm von der neusten Entwicklung in den Jahresabschlusszahlen berichte steht er plötzlich auf. Ich unterbreche meinen Bericht und tu es ihm gleich, ich steh auf. Er bedenkt mich mit einem merkwürdigen Blick, den ich so noch nie bei ihm gesehen habe. Hab ich etwas falsch gemacht?
 

Er kommt um seinen Tisch und geht zu seiner Sitzgarnitur in der Ecke. Verwirrt blick ich ihm nach. Seto-sama bleibt stehen, wendet sich dann wieder zu mir und kommt dann auf mich zu. So unentschlossen hab ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Damals war er noch ein Kind gewesen. Nicht das er mit 18 schon erwachsen wäre! Aber er ist jetzt schon ein herausragender Mann und ein Genie auf mehreren Gebieten.
 

Nur noch zwei Schritte von mir entfernt bleibt er stehen und verbeugt sich dann tief vor mir. Wie ein Angestellter vor seinem Chef! Nur noch tiefer. Meine Augen weiten sich schockiert und irgendwie sieht das einfach nur falsch aus! Von ihm kommt aus der Verbeugung nur ein Wort: Danke! Danke?
 

Schnell überwinde ich die kurze Distanz und zieh ihn wieder in eine aufrechte Position. Warum bedankt sich Seto-sama bei mir? Wofür? Ich mache nur meine Arbeit. Nichts wofür man mir gesondert danken müsste. Doch statt wie üblich sofort auf Abstand zu gehen und den Kontakt zu scheuen blickt mich Seto-sama mit seinen bestechend blauen Augen an.
 

Ein Schauer geht mir über den Rücken!
 

Also lass ich ihn wieder los und trete einen Schritt zurück, damit er nicht doch noch beginnt sich unbehaglich zu fühlen. Immer noch weiß ich nicht, wofür mir der junge Mann überhaupt dankt. Doch scheinbar ist Seto-sama jetzt auch noch unter die Gedankenleser gegangen, denn er antwortet mir auf meine unausgesprochene Frage damit, dass er mir dafür dankt, dass ich seit seiner Adoption an seiner Seite bin und mich vor allem in der Anfangszeit so um ihn gekümmert und gesorgt habe.
 

Die ... Anfangszeit? Plötzlich wird mir klar, wofür er sich bei mir bedankt und meine Wangen röten sich aus Verlegenheit. Er dankt mir dafür, dass ich mich um ihn gekümmert habe, wenn das Monster von Adoptivvater endlich von ihm abließ und ihn verletzt, blutend und völlig fertig irgendwo liegen gelassen hat. Ich habe dann seine Wunden versorgt, ihn sauber gemacht oder dafür gesorgt, dass er etwas zu Essen bekam.
 

Ohne mich, fährt der Brünette plötzlich fort, wäre er heute nicht da, wo er jetzt ist. Wäre er eigentlich gar nicht mehr! Dabei wird er gegen Ende hin immer leiser. Ich schlucke. Das ist das erste Mal seit damals, dass wir über seinen Suizid-Versuch reden! Oder er es zur Sprache bringt. Ich weiß nicht so recht, ob ich etwas dazu sagen soll.
 

Stundenlang hatte ich gehört, wie der alte Kaiba sich an dem Jungen ausgelassen hatte. Wie er ihn quälte und zum Schreien brachte. Ich konnte ihm nicht helfen. Wäre ich hinein gestürmt hätte mich der Alte gefeuert und mir so die Möglichkeit genommen auch zukünftig für den Jungen und seinen Bruder zur Stelle zu sein. Als er dann endlich von ihm abließ, ließ er sich von mir an die Tür des Hauses begleiten und gab mir letzte Anweisungen für die zwei Wochen, in denen er auf Geschäftsreise sein würde. Mir kam es so vor, als würde er gar nicht gehen wollen und mich damit quälen seinen Ausschweifungen zuzuhören, anstatt mich endlich gehen zu lassen, damit ich mich um den jungen Herr kümmern konnte. Doch dann war er endlich in seine Limousine gestiegen und weggefahren.
 

Ich eilte die Treppen wieder hoch in Seto-samas Zimmer und wäre beinahe zu spät gekommen. Als ich in das Badezimmer kam blieb mir für einen Moment das Herz stehen, als ich sah, wie er die Klinge über sein Handgelenk führte. Völlig ungeachtet dessen, dass ich durch das Wasser der Dusche völlig nass werden würde, stürzte ich zu ihm in die Kabine, schlug ihm die Klinge aus der Hand und presste meine Hand auf die stark blutende Wunde. Er hatte sich damals heftig gewehrt und immer wieder gebrüllt, dass er nicht mehr wolle! Doch schließlich erstarb seine Gegenwehr, ich konnte das Wasser ausschalten und mit einem Handtuch auf der Wunde die Blutung dämpfen, während ich den Hausarzt kommen ließ.
 

Am liebsten hätte ich dafür gesorgt, dass der junge Herr ins Krankenhaus eingeliefert worden wäre, doch dann hätten sie den alten Kaiba informiert und das galt es um jeden Preis zu vermeiden. Dieser schwache Moment hätte der Alte ohne Zögern genutzt, um seinen Adoptivsohn weiter zu demütigen und zu verletzen. Vielleicht sogar, um seine Aufmerksamkeit von dem Brünetten auf den jüngeren Bruder zu verlagern. Ich konnte nicht zulassen, dass Mokuba-sama ebenfalls durch diese Hölle ging. Wenn ich schon nicht Seto-sama davor bewahren konnte, dann wollte ich alles dran setzen, um den Jüngeren zu schützen.
 

Also hatten wir gemeinsam einen Plan ausgearbeitet, um seinen Adoptivvater zu entmachten! Das dieser daraufhin aus dem Fenster sprang... ein Bonus, den keiner von uns erwartet hätte, den wir aber begrüßten. Es gab keine große Trauerfeier und keine öffentliche Beerdigung. Seto-sama hatte das, was von dem Alten übrig gewesen war, eingeäschert und unter einem falschen Namen auf dem Friedhof beisetzen lassen. Es sollte nie wieder jemand einen Gedanken an diesen sadistischen Psychopathen verschwenden. Danach hatte ich ihm geholfen den Aufsichtsrat, der nicht minder sadistisch und grausam zu ihm gewesen war, zu feuern und die Firma in seinem Sinne umzustrukturieren.
 

Mir ist klar, dass ich nach außen hin wie ein Bodyguard oder ein Assistent wirke. Doch während Seto-sama die gesamte führende Belegschaft in der Firma und alle Hausangestellten aus der Zeit seines Adoptivvaters entließ und die Stellen neu besetzt wurden, durfte ich an seiner Seite bleiben. Ich wurde zu seiner rechten Hand und er belohnte meine Hilfe und Treue mit dem Posten des Business Adviser. Während er anderen Mitarbeiter teils mit Misstrauen und Vorsicht begegnete, schenkte er mir sein volles Vertrauen.
 

Doch es gab und gibt Grenzen, die ich nicht überschreiten darf. Das hatte ich recht früh nach der Firmenübernahme gelernt. Ich sah, wie Seto-sama immer noch unter dem Einfluss seines Adoptivvaters litt und organisierte einen Termin mit einem Kinderpsychologen. Als Seto-sama zu dem Termin erschien und erkannte, wer sein Gesprächspartner war, war er ohne ein weiteres Wort aus seinem Büro gestürmt. Als ich ihn eingeholt hatte funkelte er mich wütend an und fauchte mir entgegen, dass ich so etwas nie wieder tun solle. Generell war es mir nie möglich mit ihm über das, was der alte Kaiba ihm angetan hatte, zu reden. Er zog es vor zu verdrängen.
 

Als mir vor einigen Wochen Mokuba-sama davon erzählte, dass der junge Herr wieder vermehrt an Albträumen litt überlegte ich kurz, ob ich noch einmal wagen sollte, das Gespräch zu suchen. Doch ich verwarf den Gedanken, wusste ich doch, wie empfindlich er darauf reagieren würde. Also hatte ich ihm weitestgehend die Arbeit abgenommen und alle Anliegen, die man an ihn ran tragen wollte, übernommen. Ich war erleichtert gewesen, als mir der jüngere Kaiba mitteilte, dass Seto-sama sich eine kleine Auszeit nehmen würde, um seine Batterien wieder aufzuladen.
 

Als ich dann zum ersten Update in das Haus gekommen war, hatte ich sofort gespürt, dass sich etwas geändert hatte. Seto-sama wirkte nicht mehr so kalt und kontrolliert - nicht mehr so distanziert - auf mich. Man sah ihm die Erschöpfung der letzten Wochen noch an, aber er schien auf dem Weg der Besserung zu sein. Das erleichterte mich ungemein. Schließlich erzählte mir Mokuba-sama, dass Jonouchi-kun praktisch bei ihnen eingezogen ist und sich nun um den jungen Herr kümmerte.
 

Es macht mich froh, dass Seto-sama endlich jemand gefunden hat, dem er zu vertrauen scheint. Ob Jonouchi-kun vielleicht in der Lage wäre den jungen Herr dazu zu bewegen, sich endlich Hilfe in Form eines Psychologen zu holen? Ich hoffe es! Wäre es keine Insubordination, dann hätte ich den blonden, jungen Mann darauf angesprochen. Doch da ich nicht weiß, in wie weit sich Seto-sama ihm bereits anvertraut hat verwarf ich auch diesen Gedanken wieder.
 

Doch Seto-sama war anders. Er bat mich um Dinge, anstatt sie mir einfach aufzutragen. Bedankte sich bei mir für Selbstverständlichkeiten! Es war komisch Worte wie 'Bitte' und 'Danke' aus seinem Mund zu hören! Ungewohnt. Manchmal... gruselig.
 

Nach dieser großen Geste seinerseits ist es nun an mir mich zu verbeugen. Ich sage ihm, dass ich ihn nie im Stich lassen werde und immer an seiner Seite sein werde. Egal, was da komme! Er bittet mich, mich nicht länger vor ihm zu verbeugen. Zögerlich richte ich mich auf und blicke ihn an. Ein zaghaftes Lächeln umspielt seine Lippen, als er mir sagt, dass er mich als ihm gleichgestellt betrachtet!
 

Wieder werden meine Wangen rot. Er lässt mir hier eindeutig zu viel Ehre zu Teil werden. Ich winke ab. Ihm werde ich niemals gleichgestellt sein. Aber das macht mir absolut gar nichts. Er ist ein Genie und ich hab die Gelegenheit zu sehen, wie er diese Genialität nutzt und entfaltet. Allein das ich bei dieser Entwicklung an seiner Seite sein darf, ist mir mehr als genug.
 

Doch er setzt noch einen drauf. Er sieht in mir nicht nur einen Gleichgestellten, sondern auch jemand, der einem Familienmitglied am Nächsten kommt. Mir kommen die Tränen! Diese Ehrung... sie berührt mich, weiß ich doch, wie schwer der junge Herr sich sonst mit solchen Bekundungen tut. Eigentlich kommen sie nie vor. Schnell wisch ich mir die Feuchtigkeit aus dem Augenwinkel, bevor es mir gelingt mich zusammen zu reisen.
 

Dann... fragt er mich, ob ich am 25. Dezember schon etwas vor habe, denn Mokuba würde ein Weihnachtsessen planen und er - Seto-sama - würde mich gerne dazu einladen! Mokuba hätte Freunde eingeladen, aber er selbst würde sich freuen, wenn ich dazu stoßen würde. Sofern ich nichts anderes vor habe.
 

Mit großen, ungläubigen Augen schau ich ihn an bis ich endlich kapiert habe, dass der junge Herr tatsächlich darum bemüht ist mich wie ein Familienmitglied einzubinden. Immer noch total geschockt nicke ich zustimmend und sein Lächeln wird größer. Er sieht... glücklich aus! Das steht ihm tatsächlich sehr gut. Dann räuspert er sich und wir fahren mit dem voraussichtlichen Jahresabschlussbericht fort, bevor er mich sicherlich bitten wird, ihn zu dem Conbini zu fahren und Jonouchi-kun abzuholen.
 

Der Blonde hat wahrlich Wunder bei dem jungen Herrn bewirkt. Ich bin mehr als beeindruckt.

Einen Schritt vorwagen

Der Hausflur riecht widerwärtig, kommt es mir in den Sinn. Daher bin ich bemüht die Treppen zum dritten Stock zügig zu nehmen. Ich bin nicht alleine! Isono und Fuguta begleiten mich. Die Beinahe-Begegnung mit der Yakuza hat mich vorsichtiger werden lassen. Endlich erreichen wir das gewünschte Stockwerk und wieder erschlägt mich die Vielfalt und Lautstärke der Geräusche aus den verschiedensten Wohnungen! Ich mag diese Umgebung nicht!
 

Als wir endlich an der letzten Wohnung ankommen klopfe ich. Es vergeht einen Augenblick, bevor mir die Tür geöffnet wird. Vor mir steht Katsuya's Vater. Immerhin hat der Mann heute ein schwarzes Shirt und eine Trainingshose an. Er scheint auch frisch geduscht zu sein! Überrascht schaut er mich an, bis er sich an meinen Namen erinnert. Er entschuldigt sich dafür, dass er meinen Nachnamen nicht mehr weiß. Woher sollte er ihn auch kennen? Katsuya hatte mich nur als Seto vorgestellt! Unsicher blickt er zu meinen beiden Begleitern, bevor er mich rein bittet. Ich gebe Isono und Fuguta mit einem Blick zu verstehen, dass sie hier warten sollen. Dann betrete ich die Wohnung und Jonouchi Senior schließt hinter mir die Tür.
 

Die Wohnung sieht anders aus. Die Küchennische ist sauber und aufgeräumt, der kaputte Couchtisch verschwunden. Die Möbel... sind noch die gleichen und wirken, als würden sie jeden Augenblick auseinander fallen. Der alte Mann fragt mich, ob mit Katsuya alles in Ordnung ist. Ich blinzle ihn kurz verwirrt an, bevor mir klar wird, wie mein Auftreten wirken muss. Ich beruhige ihn und sage ihm, dass es seinem Sohn gut geht. Erleichtert atmet er auf und bietet mir einen Tee an, doch ich winke ab. Dennoch geht er in den Küchenbereich und schaltet den Wasserkocher an. Scheinbar möchte er sich selbst einen Tee oder Kaffee oder was auch immer machen. Als er sich wieder zu mir dreht fragt er mich, womit er mir helfen kann.
 

Ich mustere ihn einen längeren Moment. So wie er gerade vor mir steht wirkt er gar nicht wie ein spielsüchtiger Alkoholiker. Vielleicht... hab ich doch eine Chance auf Erfolg. Aber zuerst... muss ich etwas anderes erledigen. Also verbeuge ich mich vor dem Älteren, der mich nur verdaddelt anschaut. Ich entschuldige mich dafür, dass ich ihn bei meinem letzten Besuch als Totalversager tituliert habe. Dann richte ich mich wieder auf und sehe, dass er völlig verwundert ist. Er scheint mit allem gerechnet zu haben, nur nicht mit einer Entschuldigung. Er grinst mich freundlich an und kratzt sich verlegen am Hinterkopf. Die Familienähnlichkeit ist in diesem Moment einfach nicht zu übersehen, geht es mir durch den Kopf.
 

So, das wäre erledigt! Also nun zum Grund meines Besuches. Ich frage ihn, ob er sich nun lange genug selbst bestraft hat! Ihm klappt das Kinn runter und ihm fehlen die Worte. Der Wasserkocher piepst und signalisiert, dass er fertig ist. Der Alte schaut mich nur völlig entgeistert an. Sein Grinsen ist verschwunden. Genauso die Verlegenheit. Dann dreht er sich dem Wasserkocher zu und schaltet ihn aus, nimmt eine Tasse aus dem Schrank und einen Teebeutel. Nachdem er sich endlich seinen Tee aufgebrüht hat dreht er sich wieder zu mir. Wie ich meine Frage meine, will er wissen.
 

Langsam verschränke ich meine Arme vor der Brust. Ich eröffne ihm, dass mir Katsuya erzählt hat, was vorgefallen ist und wie der Mann vor mir darauf reagiert hat. Wie er dafür ins Gefängnis kam und was er dadurch verloren hat. Er scheint davon... überrascht und beeindruckt!? Dann frag ich ihn, ob er es nicht satt hat seine Gesundheit mit Alkohol zu gefährden, seine Lebenserwartung drastisch zu verkürzen und nur in den Tag hinein zu leben.
 

Resignation hält in seinen Blick Einzug, bevor er laut seufzt und seinen Blick senkt. Leise fragt er mich, was er denn für Optionen hat, als ehemaliger Knastbruder - er benutzt tatsächlich das Wort Knastbruder - und mit kaputten Händen. Ich trete einen Schritt auf ihn zu und blicke ihm fest in die Augen. Für jedes Problem gibt es eine Lösung, sag ich ihm. Er blinzelt mich an. Welche Lösung es für einen Nervenschaden an seinen Händen gibt, will er von mir wissen. Ich zucke mit den Schultern und verweise darauf, dass ich kein Arzt bin. Kurz blickt mich der blonde Mann fassungslos an, bevor er schmunzeln muss. Ich füge an, dass ich aber einen sehr guten Arzt kenne, der auf Nervenschäden spezialisiert ist! Das Schmunzeln gefriert und schwindet plötzlich.
 

Das sei schön für mich, erwidert Katsuya's Vater nur. Aber ihm würde das nichts bringen! Da irrt er sich und genau so sag ich ihm das auch! Er blickt mich wieder verwundert an. Ich löse meine verschränkten Arme und gehe noch einen Schritt auf ihn zu. Ihm scheint das nicht zu behagen, dass ich näher komme.
 

Ich straffe mich. Dann stelle ich mich dem Mann vor. Mit vollständigem Namen! Selbst bei jemand, der die letzten Jahre überwiegend im Suff verbracht hat wird der Name Kaiba etwas auslösen! Seine Augen werden größer, als er meinen Namen hört und bestätigen meine Mutmaßung. So, da er jetzt weiß, mit wem er es zu tun hat geh ich in die Vollen.
 

Es gibt eine Entzugsklinik, etwas außerhalb der Stadt, spezialisiert auf Alkohol- und Spielsucht. Dort ist ein Platz für ihn reserviert mit einer sechswöchigen Therapie. Komplett bezahlt. Nein! Das sind keine Almosen. Denn ich erwarte eine Gegenleistung. So läuft das doch in der Welt, oder nicht? Man bekommt nichts geschenkt! Was ich will, ist das der Mann kämpft! Mir zeigt, woher mein Streuner seine Kraft her hat. Ich erwarte, dass er nach Abschluss seiner Suchttherapie sich bei meinem Arzt einfindet und prüfen lässt ob seine Hände wirklich rettungslos verloren sind oder ob man noch etwas machen kann. Egal, wie die Diagnose aussieht, wenn er mit dem medizinischen Kram durch ist hab ich einen Job für ihn! Keinen Aushilfsjob! Einen Job in der Küche als Koch oder - falls die Diagnose schlecht ausfällt - Lehrer!
 

Der blonde Mann blickt mich fassungslos an. Ist für einige Augenblicke sprachlos. Dann fragt er mich, warum! Warum ich das tue? Ich wende mich Richtung Tür und gehe auf sie zu. Weil er ein Held ist, antworte ich und öffne die Tür. Ich winke Fuguta herein. Stell ihm Jonouchi-san vor. Erkläre dem Alten, dass dieser Mann ihn zur Klinik fahren wird! Wieder blickt mich der Ältere verdaddelt an. Dann lächelt er. Das gleiche Lächeln, wie es sein Sohn hat. Dann nickt er zustimmend.
 

Ich nicke ihm zu und übergebe ihn in die Obhut von Fuguta. Dann verlasse ich mit Isono das Haus. Vor dem Haus stehen zwei meiner Wagen. Einer für Fuguta und Jonouchi-san, den anderen nehmen Isono und ich. Isono weiß bereits, wohin ich als nächstes möchte und steuert den Wagen direkt in den Financial District von Domino. Dort, wo auch meine Firma ihren Hauptsitzt hat und um deren Ecke das Conbini liegt, indem Katsuya immer noch jobbt. Wie immer hält der Wagen vor dem kleinen Laden und ich steig aus. Es schneit wieder. Es ist viertel vor elf!
 

Um elf Uhr kommt mein Streuner aus dem Laden. Er lächelt mich an, als er mich sieht. Kommt auf mich zu. Ich lächle zurück und öffne die Wagentür. Mein Streuner steigt ein und zieht mich hinter sich her. Nachdem die Tür zu ist, grüßt er Isono und bittet ihn, zu seinem Vater zu fahren. Isono blickt über den Rückspiegel zu mir und ich geb ihm ein Zeichen. Katsuya bemerkt den Blickwechsel zwischen Isono und mir. Dann fährt Isono an, nur nicht in die Richtung die Katsuya gewünscht hat.
 

Zögerlich sag ich meinem Streuner, dass er seinen Vater nicht in dessen Wohnung vorfinden wird. Kritisch blickt er mich an. Ich habe Angst. Angst vor seiner Reaktion. Er hat mir klipp und klar gesagt, dass er meine Hilfe in Bezug auf seinen Vater nicht will. Dass er das alleine stemmen muss. Doch ich halte das für Bullshit! Das sag ich ihm. Genau so! Ich halte es für eine Art Selbstbestrafung, weil er sich die Schuld an der Lage seines Vaters gibt. Doch er trägt keine Schuld. In keinster Weise an irgendetwas. Und es wird Zeit, dass er das erkennt!
 

Auf Isono's Gesicht sehe ich kurz ein Lächeln aufflackern. Was... warum hat er gelächelt? Doch ich hab jetzt keine Zeit mir darüber einen Kopf zu machen. Denn Katsuya fängt an ungehalten zu werden. Er will wissen, was ich getan habe. Da erzähl ich ihm, dass sein Vater auf dem Weg in eine Entzugsklinik ist und was für einen Deal wir geschlossen haben. Katsuya ist fassungslos. Dabei sieht er seinem Vater zum Verwechseln ähnlich.
 

Trotzig verschränkt mein Streuner seine Arme vor seiner Brust. Schaut aus dem Fenster des Wagens. Stille entsteht. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das nicht erwartet habe. Ich hatte gedacht, dass er sich aufregt, mich ankeift, mich fragt, wie ich das nur tun konnte ohne vorher mit ihm darüber gesprochen zu haben. Doch nichts von all dem. Die Stille wird erdrückend! Der Orkan beginnt wieder an mir zu zerren. Unsicherheit bereitet sich in mir aus. Ich blicke meinen Streuner nur fragend an.
 

Doch er ist still, schaut weiterhin aus dem Wagenfenster. Vorsichtig leg ich meine Hand auf seinen Arm. Da spür ich, dass er zittert. Er ist wütend! Ich schlucke. Beim letzen Mal, als er in der Art und Weise wütend war, hat er mich weggeschickt. Doch wir sitzen in einem sich bewegenden Fahrzeug. Er kann mich nicht wegschicken. Und ich werde nicht anhalten und ihn raus lassen.
 

Wenige Minuten später biegt Isono auf mein Anwesen ein und fährt langsam den Kiesweg hinauf. Schließlich bleibt der Wagen stehen. Kaum steht das Fahrzeug steigt mein Streuner aus. Ich danke Isono für das Fahren, wünsche ihm eine gute Nacht und folge meinem Streuner mit etwas Abstand. Im Haus hängt er seinen Parker an die Garderobe, schlüpft aus den Schuhen und geht Schnurrstracks in die Küche.
 

Dort fängt er erst an Reis zu kochen, holt noch ein paar andere Sachen, brät etwas Fleisch an. Ich steh einfach nur an der Tür und schau ihm zu. Für so einen langen Tag hat er noch recht viel Energie. Ob das von seiner Wut kommt? Ich lass ihn einfach machen. Das Schweigen frisst mich innerlich fast auf. Der Orkan droht mich mitzureißen. Schließlich ist er fertig... mit... dem Abendessen. Er platziert das Essen auf zwei Plätzen am Esstisch.
 

Dann kommt der Blonde zu mir. Was soll ich tun? Stehen bleiben? Weglaufen? Angst keimt weiter in mir auf. Er bleibt kaum zwei Schritte von mir stehen. Dann blickt er zu mir auf und... lächelt mich an. Sanft legt er seine Hand an meine Wange. Ich bin verwirrt. Eben war er noch so wütend auf mich, dass er kein Wort mit mir wechseln konnte. Er hat sogar vor Wut gezittert. Jetzt... ist er wieder mein sanfter Streuner.
 

Als er mich anspricht zucke ich kurz zusammen. Seine Stimme klingt unerwartet sanft. Auch was er sagt, habe ich nicht erwartet. Mein Streuner gibt mir recht. In allem! Dann küsst er mich sanft, aber kurz. Als er sich von mir löst dankt er mir für meine Hilfe und führt mich dann zum Esstisch. Vorsichtig bugsiert er mich auf einen Stuhl und nimmt mich von hinten vorsichtig in den Arm. Wieder drückt er mir sanft einen Kuss auf die Wange. Er entschuldigt sich für sein Verhalten, aber manchmal... wird die Wut in ihm stark und er muss diese Wut erst auf eine konstruktive Weise verarbeiten. Denn er möchte nichts sagen oder tun, was er nicht so meint und später eventuell bereuen würde. Aber egal, wie groß die Wut auch in ihm wird, sein Drache braucht sich niemals vor ihm fürchten. Denn die Wut ist niemals dauerhaft und verraucht wieder, anders als seine Liebe zu mir.
 

Ich erstarre und blicke ihn mit großen Augen an. Mein Herz setzt einen Moment lang aus, bevor es heftig wieder zu schlagen anfängt und ich spüre wie tausende Schmetterlinge in meinem Bauch zu flattern anfangen. Eine kleine Träne löst sich aus meinem Auge. Eine Träne aus unbeschreiblicher Freude.

Einen Schritt Richtung Freundschaft

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt Richtung Weihnachtsessen

Ich schau auf die Uhr: 10:00 Uhr! Erst? Ich bin schon seit Stunden wach und renne aufgekratzt durch das Haus. Hab schon mehrfach überprüft, ob die Dekoration richtig und in meinem Sinne aufgehängt wurde. Hier und da muss ich nochmal kurz Hand anlegen oder nachbessern lassen. Aus dem Wohnzimmer dringt Weihnachtsmusik. Ich hab in die Anlage hunderte von Weihnachtsliedern einspielen lassen. Das sollte für eine gute Variation sorgen. Im gesamten Haus riecht es dank der kleinen Körbchen mit verschiedenem Zeugs nach Zimt, Äpfel, Mandarinen und Lebkuchen. Aus der Küche dringt geschäftiges Treiben heraus. Dort wird schon fleißig gekocht. Schließlich braucht so ein Truthahn Stunden! Hätte ich nicht gedacht! Dachte man schiebt den Vogel in den Ofen und nach einer Stunde kann man ihn verputzen... aber der hier wird gut acht Stunden brauchen hat mir Mariko-san schon heute Morgen verraten, als ich sie zum vierten Mal gefragt habe, ob sie den Hahn nicht schon viel zu früh reingeschoben hat. Dann hat sie mich aus der Küche geworfen!
 

Ich will zum siebten Mal die Deko in der Eingangshalle überprüfen, als ich ein merkwürdiges Geräusch höre. Als ich mich der Treppe zuwende sehe ich, wie Seto auf den Stufen stehen geblieben ist und Schnappatmung bekommt. Scheinbar ist er überwältigt von der Dekoration, was mich mehr als zufrieden werden lässt und mich dazu bewegt auf ihn zuzulaufen. Als ich bei ihm ankomme, schnappt mein Bruder immer noch nach Luft. Jou-kun, der neben ihm steht, streicht ihm über den Rücken und hält seine Hand. Irgendwie hab ich auf einmal das Gefühl, dass sich Seto nicht wirklich freut. Dann schließt er den Mund und die Augen für einen Moment. Unsicher blick ich zu ihm auf. Als er die Augen wieder aufmacht versucht er mich anzulächeln, doch seine linke Augenbraue zuckt auffällig nach oben, so als wäre er gestresst. Dann sagt mir mein großer Bruder, dass es schön aussieht. Nur klingt er etwas komisch dabei. Egal! Ich grins ihn nur zufrieden an und danke ihm.
 

Gerade als die beiden Richtung Küche wollen sag ich ihnen, dass Mariko-san niemand in der Küche wünscht, der nicht am Festmahl beteiligt ist. Bei dem Wort 'Festmahl' zuckt Seto's Braue wieder ein wenig. Doch dann kommt von Jou-kun die rettende Idee: Wir gehen auswärts frühstücken. Auf dem Rückweg können wir dann die Jungs einsammeln. Wieder zuckt Seto's Braue ein wenig, doch er nickt schließlich. Also ziehen wir uns an und lassen uns von Fuguta in die Stadt fahren.
 

Obwohl Seto für gewöhnlich nicht frühstückt und wenn, eher auf das traditionelle japanische Frühstück steht, weißt er Fuguta an zu einem typischen American Diner zu fahren. Wir ordern ein großes Frühstück mit Pancakes, Rühreier, Speck, kleinen Würstchen, Ahornsirup, Cornflakes, Toast, Butter, Marmelade und Käse. Dazu gibt es Kaba, Orangensaft und für Seto eine Tasse Kaffee. Was auch das einzige ist, was er gewillt ist zu sich zu nehmen.
 

Doch da hat er die Rechnung ohne Jou-kun gemacht, der ihm immer mal wieder was rüber schiebt und ihn bittet, zu probieren. Nur wiederwillig kommt er der Bitte des Blonden nach. Aber er kommt ihr nach! Dabei ist Jou-kun immer darauf bedacht, nicht allzu vertraut mit ihm zu wirken. Zum Schein etwas Abstand zu wahren. Kommt das von ihm selbst oder hatte Seto ihn dahingehend instruiert? Ich denke, es kommt von dem Blonden. Auch wenn er immer sehr sorglos und chaotisch wirkt, besitzt er eine unglaubliche Klarsicht der Dinge. Außerdem ist Seto nach wie vor viel zu sehr neben der Spur, um sich momentan einen Kopf darüber zu machen, wie es nach außen wirken oder wer ihn mit Jou-kun sehen könnte.
 

Mir ist das egal, ob die Welt davon erfährt, dass mein Bruder in einer Beziehung mit einem anderen Mann ist. Verstehe ehe nicht, warum das thematisiert wird. Was spielt es für eine Rolle, wen man liebt? Ändert sich dadurch die Person, die man vor sich hat? Nein! Also warum ist das von Interesse? Sieht denn sonst niemand, wie gut Jonouchi meinem Bruder tut? Ist es da wichtig, dass sich zwei Männer lieben?
 

Das Frühstück neigt sich dem Ende und Seto meint, er müsse noch einmal auf Toilette. Er wirkt angespannt und gestresst. Seine Braue zuckt wieder. Nach einer Minute folgt Jou-kun ihm in den Waschraum. Sollte mir das jetzt merkwürdig vorkommen? Ach was! Ich schlürf genüsslich meinen Milchshake leer. Erst nach einigen Minuten kommen die beiden wieder zurück und greifen nach ihren Mäntel. Ich rutsche von der Bank und wir steigen wieder in den Wagen. Irgendwas ist mit Seto! Da ist irgendetwas in seinem Blick. Ich kann nur nicht einordnen was es ist. Er versucht vor mir so zu tun, als wäre alles wie immer. Doch er zieht mich neben sich auf die Rückbank, während Jou-kun auf der gegenüberliegende Seite Platz nimmt. Was soll das denn? Sonst kann er den Blonden doch gar nicht nah genug bei sich haben. Verwirrt blick ich zu Jou-kun, der mir aber mit einem sanften Lächeln bedeutet, dass alles in Ordnung ist! Okay...
 

Als erstes halten wir am Kame Game Shop und sammeln Yugi auf. Er steigt ein und begrüßt uns freudig lächelnd. Er hat einige Tüten in der Hand, die irgendwie schwer ausschaut. Als nächstes sammeln wir Bakura-kun ein. Auch er hat eine Tüte dabei und begrüßt alle freundlich, aber zurückhaltender als Yugi. Die letzten beiden sammeln wir gemeinsam ein. Honda- und Otogi-kun steigen ein. Honda-kun trägt eine Weihnachtsmütze und scheint voll in weihnachtlicher Stimmung zu sein. Das freut mich tierisch. Während der Fahrt wird rumgealbert und sich gegenseitig in Stimmung versetzt. Alle scheinen in guter Laune zu sein... alle? Nun ja, mein Bruder sitzt in seiner Ecke, die Arme vor der Brust verschränkt und schaut teilnahmslos aus dem Seitenfenster. Er wirkt arg verkrampft auf mich. Ich bin ein wenig verwirrt. Wieso sind die beiden heute so distanziert zu einander. Im Restaurant konnte ich es noch verstehen, aber hier sind wir doch in netter Gesellschaft mit unseren Freunden. Seto wirkt irgendwie blass.
 

Nachdem die Limousine zum Stehen kommt ist Seto der erste der aussteigt und fast fluchtartig zur Haustür schreitet. Ihm folgt Jou-kun dicht auf. Die anderen und ich lassen uns da etwas mehr Zeit, dennoch kann ich nicht vermeiden, dass ich sorgenvoll in Gedanken bei meinem großen Bruder hängen bleibe. Vielleicht... vielleicht ist das doch alles zu viel für ihn!? Oder zu früh? Ich hatte gehofft, dass er durch Jou-kun für die anderen auch etwas offener werden würde. Zwar wirkte er nicht wie sonst herablassend und arrogant, aber immer noch extrem distanziert. Und je voller es in der Limousine wurde, desto mehr ging er in die Defensive. Das wird mir auf einmal klar.
 

Während Seto und Jou-kun nach oben gehen bestaunen die anderen die weihnachtliche Dekoration der Eingangshalle und dann den - noch ungeschmückten - Baum im Wohnzimmer. Scheinbar war es gar nicht so verkehrt nur den Dreimeterbaum zu nehmen. So bleibt zur Decke etwas Luft. Die anderen sind begeistert, als sie die Deko-Sachen zum Schmücken vom Baum auf der Couch finden. Außer Bakura-kun haben die anderen noch nie einen Weihnachtsbaum geschmückt und es macht dem Weißhaarigen großen Spaß, die übrigen in das 'Geheimnis des Weihnachtsbaumschmücken' einzuweihen.
 

Mein Blick geht wieder zur Wohnzimmertür und damit hinaus in die Eingangshalle. Ich hoffe, dass Seto und Jou-kun noch zu uns stoßen... aber viel Hoffnung hab ich nicht!

Einen Schritt, um sich zu überwinden

Eilig folge ich meinem Drachen nach oben, durch den Gang zu seinem Schlafzimmer. Je näher wir kommen, desto eiliger wird sein Schritt. Als er das Schlafzimmer erreicht rennt er weiter in das angrenzende Badezimmer. Nachdem auch ich das Zimmer erreiche, schließe ich hinter mir die Tür und kann aus dem Badezimmer hören, wie er würgt.
 

Den Schritt auf meine Freude zu fällt ihm schwer. So schwer, dass die Nervosität sich auf seinen Magen schlägt und ihn heute schon zum zweiten Mal dazu treibt sich zu übergeben. Langsam schließe ich zu ihm auf. Knie mich hinter ihn, während er Magensäure erbricht. Lege meine Hand auf seinen Rücken. Will ihm zeigen, dass er nicht allein ist. Hoffe, dass er sich dadurch etwas beruhigt. Nach einem erneuten Würgen scheint meine Hand Wirkung zu zeigen. Er betätigt den Abzug und angelt nach einem Handtuch, während er sich auf seine Ferse sinken lässt und sich erschöpft an mich lehnt. Sanft schließe ich meine Arme um ihn.
 

So stark er nach außen wirken kann, desto sensibler ist er in Wirklichkeit. Langsam legt er seinen Kopf in den Nacken und kommt mit ihm auf meiner Schulter zur Ruhe. Ich schmieg meinen Kopf an seine Wange. Wenn ich mich konzentriere, kann ich sein seichtes Zittern spüren. Festige meine Umarmung ein wenig. Will, dass er sich sicher und geborgen fühlt. Nur langsam beruhigt er sich. Sanft hauch ich ihm einen Kuss auf die Wange. Frage vorsichtig, ob es wieder geht. Er nickt und entschuldigt sich. Doch nicht dafür, mein Drache!
 

Wenn man jahrelang eingebläut bekommen hat, wie man sich zu verhalten und nach außen zu wirken hat, legt man diese Erziehung nicht an einem Tag ab. Das braucht Zeit... wir haben Zeit. Meine Freunde werden ihm jede Zeit einräumen, die er braucht. Er nickt seicht. Bittet mich unsicher, ihn da unten nicht alleine zu lassen. Ich verspreche es ihm. Werde bei ihm bleiben und nicht von seiner Seite weichen. Mein Drache atmet einmal tief ein, dann straft er sich, während er sich wieder aufsetzt und dann aufsteht. Sanft lächelnd hält er mir seine Hand hin, um mir beim Aufstehen aufzuhelfen. Gerne nehme ich die mir gebotene Hilfe an. Lass mich von ihm auf die Füße ziehen. Dann tritt er an das Waschbecken heran, um sich den Mund auszuspülen.
 

Nachdem er sein Gesicht mit dem Handtuch abgetrocknet hat, schaut er mich über den Spiegel unsicher an. Sanft angel ich nach seiner Hand, dann zieh ich ihn mit mir. Aus dem Zimmer. Den Flur entlang. Die große Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer ist Weihnachtsmusik und das laute Jauchzen meiner Freunde zu hören. Sie schmücken den Baum. Langsam zieh ich Seto mit mir in das gemütliche Zimmer. Mokuba erblickt uns als erstes und strahlt förmlich über das ganze Gesicht, während er auf uns zu läuft und sich an Seto wirft. Der ist immer noch relativ blass. Doch er lächelt, als er seinen kleinen Bruder in die Arme schließt.
 

Auch die anderen schielen zu uns herüber. Honda grinst wissend, stößt Otogi in die Seite und deutet mit einem Blick darauf, dass Seto und ich Hand in Hand eingetreten sind. Auch Otogi lächelt gewinnend. Gut, die beiden haben es gecheckt. Yugi bemerkt das Grinsen der beiden, blickt fragend zu mir. Dann fällt auch sein Blick auf Seto's Hand, die immer noch in meiner liegt. Auch er lächelt glücklich. Vorsichtig stupst Yugi Ryou an, der ihn nur nichtverstehend mit großen Augen anblickt. Yugi deutet auf meinen Drachen und mich. Immer noch scheint Ryou nicht zu verstehen, was der Kleinste von uns ihm sagen will. Mit den Augen rollend zieht Yugi Ryou ein wenig hinter den Baum und scheint ihn aufzuklären. Jedenfalls kommt Ryou mit großen Augen und einem sanften Schmunzeln wieder mit Yugi hervor. Ah, endlich ist auch bei ihm der Groschen gefallen. Endlich löst sich Mokuba von Seto, der ihm sanft über das Haar wuschelt.
 

Dann fragt Honda, ob mein Drache nicht auch mal Hand an seinen Baum legen möchte. Mental schlag ich mir mit einer Hand an die Stirn. Die Frage klingt gerade irgendwie so falsch. Seto blickt überrascht zu meinem besten Freund und nickt dann. Wir gehen zum Baum und es geht weiter mit dem spaßigen Baumschmücken. Wer kommt auf solche Traditionen? Einen Baum fällen, ins Haus schleppen, aufstellen und dann mit Kugeln und Alu-Fäden und Figuren behängen? Nur damit man in ein paar Tagen, wenn der arme Baum alle seine Nadeln verloren hat ihn auf den Müll wirft? Mir tut der Baum ein wenig leid. Aber wenigstens ist es eine amüsante Gruppenaktivität.
 

Wir sind fast fertig mit dem Baum, als es an der Haustür schellt. Seto wendet sich vom Baum ab und verlässt das Wohnzimmer. Neugierig folg ich ihm bis zur Wohnzimmertür. Ich sehe, wie Isono eintritt. Er verbeugt sich ein wenig vor Seto, dem das sichtlich unangenehm ist und ihn bittet, das zu lassen. Er sei heute sein Gast und nicht sein Angestellter oder Untergebener. Isono nickt pflichtergeben und lächelt dann entspannt. Auch Seto versucht das Lächeln zu erwidern. Dann bittet er Isono ins Wohnzimmer.
 

Als sie herein kommen begrüß ich Isono und bezieh ihn gleich in unsere aktuelle Aktivität ein: Baum schmücken. Er ist sichtlich überfordert und weiß nicht recht, was man von ihm erwartet. Doch Mokuba ist zur Stelle, zieht ihn mit sich und zeigt ihm, wie es geht. Ich geh zu meinem Drachen, der an der Wohnzimmertür stehen geblieben ist. Wieder angel ich sanft nach seiner Hand. Als er mich bemerkt lächelt er mich wieder an. Ich zieh ihn näher an mich und leg meinen Arm um seine Hüfte. Er blickt mich erschrocken an, dann wirft er kurz einen Blick über die Schulter zu den anderen, die aber gerade alle auffällig bemüht sind den Baum zu schmücken... nun ja, alle außer Ryou, der uns verträumt anschaut. Als er merkt, dass er bemerkt wurde, röten sich seine Wangen und er verschwindet wieder hinter dem Baum. Ich muss kichern. Auch Seto's Wangen haben sich seicht gerötet!
 

Alles gut, mein Drachen, wispere ich ihm ins Ohr. Er blickt mich fragend an. Sanft, aber kurz lege ich meine Lippen auf seine. Er erwidert den Kuss und scheint gar nicht so zufrieden damit zu sein, dass er nur so kurz währt. Doch dann wird ihm schlagartig bewusst, dass da eine ganze Rasselbande hinter ihm am Baum steht, die gerade verdächtig ruhig geworden ist. Ich muss halb grinsen, als sich Seto wie in Zeitlupe umdreht und merkt, dass alle zu uns rüber schauen.
 

Was, keift er in gewohnter Tonlage, seine Gäste an. Noch nie zwei sich küssen sehen, setzt er gespielt entrüstet hinterher. Die anderen lachen amüsiert, bevor sie sich wieder dem Baum zuwenden. Nur Honda kommt zu uns, mit einem Grinsen von einem Ohr zum anderen. Von ihm kommt nur ein 'Na endlich', bevor er auf das stille Örtchen entschwindet. Sanft zieh ich Seto wieder zu mir. Siehst du, flüstere ich ihm sanft ins Ohr, gar kein Thema für die anderen! Du kannst dich jetzt entspannen! Verlegen lächelt mich mein Drache an und nickt, als würde ihm gerade klar, wie dumm es war, sich so viele Sorgen um die Reaktion meiner Freunde auf die Tatsache, dass wir jetzt zusammen sind, zu machen.
 

Sanft zieh ich meinen Drachen zur Couch, lass ihn an einem Ende Platz nehmen und setz mich dicht neben ihn. So kann sich niemand anderes noch neben ihn setzten. Ich kuschel mich ein wenig an ihn, so dass er fast schon automatisch seinen Arm um meine Schulter legt. Er scheint es zu genießen mal in der Rolle zu sein, der hält! Vor allem in Anbetracht dessen, dass wir nicht unter uns sind. Ich denke mein Drache möchte nach außen hin wie immer wirken, da passt das so rum besser. Etwas unsicher angelt er mit seiner anderen Hand nach mir und ich reich ihm meine.
 

Honda kommt zurück und gesellt sich in einen Sessel auf unserer Couchseite zu uns. Er bedenkt uns ein, vielleicht zwei Augenblicke nachdenklich. Mit einem Grinsen im Gesicht fragt mein bester Freund schließlich, wie lang wir schon zusammen sind. Ich spüre, wie sich Seto's Hand auf meiner Schulter etwas verkrampft. Sanft streiche ich mit dem Daumen über den Handrücken seiner anderen Hand. Dann beantworte ich ihm seine Frage. Vage. Honda hakt nach. Will wissen, wie sich das denn entwickelt hat, wo wir doch vorher wie Hund und Katze, zuletzt ich nicht mehr als Luft für Seto war. Die Hand meines Drachens krallt sich weiter in meine Schulter. Ich grinse nur gekonnt und wink mit meiner freien Hand ab, getreu dem Motto, wie sich sowas eben entwickelt. Mit einem Blick lass ich Honda wissen, dass er jetzt nicht weiter fragen soll. Er scheint es zu verstehen und nickt nur.
 

Otogi kommt auch zu uns rüber und setzt sich auf die Lehne des Sessels, indem Honda Platz genommen hat und legt seine Hand auf eine besonders vertraute Art und Weise auf Honda's Rücken. Jetzt bin ich es, der erkennend lächeln muss. So, kommt es von mir, als ich Honda die Frage zurück geben, wie lang die beiden denn schon zusammen sind. Erst blicken mich beide überrascht an, bevor sie beide anerkennend grinsen. Dann meint Honda nur, dass das schon 'ne Weile geht. Wir müssen lachen, nur Seto scheint nicht recht zu wissen, wie er reagieren soll... hm, was soziale Interaktion angeht muss ich ihm wohl noch das eine oder andere beibringen.
 

Auch die anderen gesellen sich nach und nach zu uns auf die Couch und den noch freien Sessel, bis Mokuba sich vor Seto stellt und ihn erwartungsvoll anschaut. Seto scheint keinen blassen Schimmer zu haben, was sein kleiner Bruder gerade von ihm will oder erwartet. Da zieht Moki hinter seinem Rücken einen Stern hervor, der ganz eindeutig auf die Spitze des Baumes gehört. Seto blickt ihn überrascht an, bevor er seinen kleinen Bruder sanft anlächelt und aufsteht. Sie gehen beide gemeinsam zum Baum, ich und meine Freunde begleiten sie. Dann hebt Seto den Jüngsten in der Runde hoch, so dass er sich auf seine Schultern stellen kann und dann bequem an die Spitze rankommt. Dort steckt er stolz den Stern auf, bevor er sich von meinem Drachen wieder auf den Boden setzen lässt und die Gelegenheit nutzt ihm an die Brust zu springen. Sanft nimmt er ihn in den Arm und drückt ihn an sich, bevor sie sich lösen.
 

Wieder blickt mein Drache etwas ertappt, als ihm bewusst wird, dass alle um sie herum stehen. Ryou legt ihm eine Hand auf die Schulter und nickt zufrieden mit einem Blick auf den Stern. Ich muss schmunzeln.
 

Doch bevor irgendwer etwas sagen kann kommt Mariko-san durch die Wohnzimmertür, um uns mitzuteilen, dass das Weihnachtsessen nun bereit steht. Sofort setzt sich alles in Bewegung Richtung Küche, doch die rüstige Frau lenkt die Herde weiter zum Esszimmer.
 

Ich bleib stehen, hab nach der Hand meines Drachen geangelt und ihn bei mir gehalten. Als alle verschwunden sind, lege ich meine Hand an seine Wange und küsse ihn mit Leidenschaft. Erst etwas überrascht erwidert er den Kuss schließlich hungrig. Legt seinen Arm um mich und intensiviert den Kuss sogar noch, während er mich langsam nach hinten legt und mir die Luft wegbleibt. Als der Kuss zwischen uns endet und er mich wieder gerade hinstellt spüre ich, wie weich meine Knie geworden sind. Das war einfach ... wow! Glücklich lächle ich meinen Drachen an, der mein Lächeln sanft erwidert.
 

Dann folgen wir den anderen zum Essen.

Einen Schritt, der Vertrauen beweist

Mir ist schlecht. Nicht, dass das Essen nicht geschmeckt hätte, aber es war zum einen zu viel und zum anderen... doch sehr westlich! Aber Mokuba hat sich so ein Essen für diesen Tag gewünscht und ich wollte, dass er zufrieden und glücklich ist. Also hab ich mich vollgestopft und hab schon wieder das Gefühl, dass mein Inneres sich gern nach außen stülpen will. Aber ich will nicht in alte Gewohnheiten verfallen. Also zwing ich mich es in mir zu behalten.
 

Katsuya zieht mich wieder vorsichtig zur Couch und lässt mich in eine Ecke der Sitzgelegenheit. Ich bin ihm dankbar dafür, dass er so vorausschauend ist und daran denkt, dass ich nicht gern neben jemanden - mit Ausnahme von Mokuba und ihm - sitze. Mein Streuner setzt sich wieder dicht neben mich und ich lege meinen Arm um seine Schultern. Auch dafür bin ich ihm dankbar, dass er mich vor seinen Freunden das Gesicht wahren lässt. So ganz kann ich einfach nicht aus meiner Haut.
 

Erst jetzt fällt mir auf, dass während wir beim Essen waren, jemand die Geschenke unter dem geschmückten - teils überladenen - Baum gelegt hat. Es sind einige Geschenke. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Mokuba etwas vom Wichteln gesagt hätte, jeder zog jemand und sollte nur den beschenken. Doch das, was unter dem Baum liegt kann unmöglich dem entsprechen. Nun, mir soll es egal sein. Ich... hab mich auch nicht an die Wichtelregel gehalten.
 

Mokuba kommt freudig auf uns zugesprungen und strahlt über das gesamte Gesicht. Freudig hält er Katsuya und mir je ein kleines, festlich eingepacktes Kästchen hin. Wir nehmen es dankend entgegen und lösen die Seidenbänder um die Kästchen. Als wir die Kästchen aufklappen kommt eine Kette zum Vorschein. Katsuya's Kästchen beinhaltet einen Anhänger, auf dem der Weiße Drache - meine Lieblingskarte - eingraviert ist. Mein Kästchen beinhaltet einen Anhänger mit einem Schwarzen Drachen. Als Auge sind jeweils kleine, farblich passende Steine eingesetzt. Katsuya nimmt den Anhänger erstaunt aus dem Kästchen und blickt fragend zu Mokuba. Ob mein kleiner Bruder die Geschenke nicht vertauscht hätte, will er vorsichtig wissen. Doch Mokuba schüttelt energisch den Kopf, während er weiter grinst, als gäbe es kein Morgen. Dann bemerkt mein Streuner etwas und klappt sein Anhänger auf. Es sind Medaillons? Auch ich betrachte meinen Anhänger genauer und erkenne, dass auch meiner sich öffnen lässt. Im Inneren des Schwarzen Drachen ist ein Bild von Katsuya eingelassen. Als ich zu dem Blonden schaue zeigt er mir, dass bei ihm ein Bild von mir drin ist. Damit wir stets nah beisammen sind, auch wenn wir mal getrennt sein müssen, meint mein kleiner Bruder. Wir schließen ihn fast zeitgleich in die Arme und er scheint diesen Dreier-Knuddler zu genießen. Dann springt er davon.
 

Sanft nimmt Katsuya mir die Kette aus der Hand, bevor er sie mir umlegt und wieder verschließt. Ich mach es ihm nach und lächle ihn dabei nur glücklich an. Glücklich? Es ist so merkwürdig diese Gefühle, die ich sonst immer von mir gewiesen habe auf einmal zuzulassen... mehr sogar... fast öffentlich zu zeigen. Doch die anderen scheinen das alles nicht bemerkt zu haben oder es ist ihnen einfach egal... vielleicht - kommt es mir kurz in den Sinn - haben sie auch mehr Taktgefühl, als ich dachte.
 

Alle tauschen Geschenke miteinander aus. Freuen sich über das, was sie geschenkt bekommen. Isono steht etwas abseits, also steh ich auf und geh zu ihm rüber. Frage beiläufig, ob er nicht neugierig ist, ob unter dem Baum nicht auch etwas für ihn liegt. Er blickt mich kurz mit großen Augen an. Dann nickt er nur pflichtergeben und geht zum Baum. Mokuba macht neben sich ein wenig Platz und deutet ihm an, sich zu ihm zu setzen. Isono ist sichtlich überrascht, als er einige kleinere Geschenke findet, die tatsächlich auf dem Namensschild seinen Namen stehen haben. Dann findet er endlich den Umschlag! Mokuba blickt kurz zu mir und grinst breit. Ich lächle zurück.
 

Isono öffnet den Umschlag und zieht ein edles, geprägtes Papier heraus. Sein Unterkiefer klappt nach unten und er blickt nur ungläubig auf die Schriftzeichen, bevor er aufspringt und zu mir kommt. Ob das wirklich mein Ernst ist, will er immer noch völlig fassungslos wissen. Auch Mokuba ist zu uns gekommen und hat sich dicht neben mich gestellt. Ich leg meine Hand auf die Schulter meines Bruders, der nur wild nickt und meint, dass wir beide das so beschlossen haben und wenn er - Isono - das möchte, wir es im neuen Jahr offiziell machen werden. Wie immer, wenn ich ihm die Ehre erweisen möchte, die ihm zusteht, wird Isono auch dieses Mal verlegen und beginnt rumzudrucksen, dass das viel zu viel der Ehre wäre und er das unmöglich annehmen könne, er uns aber für den Vertrauensbeweis danken würde.
 

Ich schneid ihm genervt das Wort ab und fordere ihn auf, sich nicht ständig so klein zu machen! Sag ihm, dass ich dieses Verhalten nicht länger von ihm dulden werde! Ich hab es ihm neulich schon einmal gesagt: Ich sehe uns nicht länger auf unterschiedlichen Stufen! Wir sind gleichgestellt. Mir ist bewusst, dass er mir das nicht geglaubt hat. Aber damit ist jetzt Schluss! Deshalb hab ich alles in die Wege geleitet damit Isono zukünftig, neben Mokuba, als Vizepräsident der Firma eingesetzt wird und habe ihm 25 Prozent meiner Firma überschrieben. Mokuba und ich halten nach wie vor 51 Prozent. Der Rest ist auf dem Aktienmarkt.
 

Da sehe ich, wie dem Mann die Tränen kommen. Das... ähm... du meine Güte! Was... Ich weiß gerade so gar nicht, wieso der Mann, der so lange im Hintergrund an meiner Seite stand auf einmal weint oder wie ich reagieren soll. Doch Mokuba springt zu ihm und fängt an ihm Mut zu zusprechen. Versichert ihm, dass wir ihm vertrauen, an ihn glauben und er es verdient hat! Er schließt meinen kleinen Bruder gerührt in die Arme und nachdem sich die beiden lösen blickt mich Mokuba auffordernd an.
 

Und wieder weiß ich nicht so recht, wie ich reagieren soll. Also halte ich Isono nur meine Hand hin, der sie wild zu schütteln anfängt. Mokuba scheint nicht zufrieden zu sein und mir wird langsam klar, was mein kleiner Bruder eigentlich von mir erwartet: Er möchte, dass ich Isono auch kurz umarme... ihm damit zeige, dass ich meine Worte ernst meine. Aber... es fühlt sich gerade nicht passend an... Und als ob Isono weiß, was ich denke, weicht er einen Schritt von uns zurück und verneigt sich ein weiteres Mal - zum letzten Mal, wie er uns kurz erläutert. Er dankt uns, bevor er sich wieder aufrichtet und jetzt stolz lächelt.
 

Dann beginnen die anderen eines der Spiele, dass verschenkt wurde, am Couchtisch aufzubauen und alle heran zu rufen. So geht der Abend weiter. Wir sitzen in der Runde zusammen, probieren ein Spiel nach dem anderen aus und haben... Spaß. Selbst ich kann dieser Situation irgendwie etwas abgewinnen, auch wenn ich mich bei den meisten Spielen aufs Zuschauen beschränke.
 

Sieben Spiele später ist es schon recht spät am Abend. Katsuya beugt sich kurz zu mir und gibt mir einen sanften, oberflächlichen Kuss und meint, er wird gleich wieder zurück kommen, aber er muss jetzt mal die Fruchtbohle wegbringen. Es dauert eine Sekunde, bevor ich verstehe, dass er auf Toilette muss. Ein seichtes Schmunzeln schleicht sich auf mein Gesicht, während ich ihm im Augenwinkel hinterher schaue, wie er den Raum verlässt.
 

Das nächste Spiel wird aufgebaut. Da strafft sich Isono, der dann aufsteht und sich verabschiedet. Ich stehe auf und begleite ihn zur Haustür. In einer Tüte hat er seine Geschenke eingepackt bekommen, den Brief mit der festlichen Mitteilung über Mokuba's und meine Plänen trägt er separat und drückt ihn an seine Brust. Er will sich schon verbeugen, als ihm meine Worte wieder einfallen und er es unterdrückt. Dann lächelt er mich wieder an und reicht mir die Hand. Ich reich ihm meine Hand und beug mich ein wenig zu ihm, so dass ich ihn zumindest im Ansatz kurz umarm. Diese Geste fühlt sich einfach merkwürdig an. Dann schlüpft er in seine Schuhe und seinen Mantel, legt sich den Schal um den Hals und ich lass ihn gehen.
 

Als die Tür wieder ins Schloss gleitet lehne ich mich mit der Stirn an sie. Ich fühl mich auf einmal völlig ausgepowert. Als ob ich einen stundenlangen Dauerlauf hinter mir hätte. Das Lachen und die Musik aus dem Wohnzimmer dringen wieder an mein Ohr. Nachdenklich schau ich zur Wohnzimmertür. Für heute bin ich durch. Ich schaff es keinen Augenblick mehr länger meine Fassade vom stoischen Firmenchef aufrecht zu erhalten und ihnen zeigen, wie es hinter dieser wirklich ausschaut... das kann ich nicht!
 

Also wende ich mich Richtung Treppe, doch ich bin keine drei Schritte gegangen als Katsuya aus dem Gästebadezimmer heraus kommt und mich sieht. Er kommt zu mir, angelt nach meinen Händen und gibt mir einen Kuss. Wo ich denn hin wolle, will er wissen. Ich lächle ihn sanft an und mein zu ihm, dass ich für heute durch bin, er aber gern noch mit seinen Freunden weiterspielen könne. Er schüttelt seinen Kopf. Natürlich schüttelt er seinen Kopf! Das Lächeln schwindet aus meinem Gesicht. Sofort fragt er mich, was los ist. Ich senke meinen Blick einen Augenblick, bevor ich ihn wieder anschaue und ihm sage, dass er für mich nicht auf seine Freunde verzichten muss.
 

Sanft schmunzelnd legt er mir seine Hand an die Wange, schiebt sich ein wenig an mir hoch und küsst mich sanft. Er würde nicht auf seine Freunde verzichten, aber er wäre auch schon ziemlich müde. Langsam steigt er auf die erste Treppenstufe und möchte mich mit sich ziehen, doch ich bleibe stehen. Schau verlegen zu Boden. Katsuya kommt die Stufe wieder zu mir runter und fragt erneut was los ist. Okay, ich komm nicht umhin es ihm zu sagen, also dann schnell und ihn gewohnter Manier, dass ich darüber nicht bereit bin zu diskutieren: Mein Ziel war nicht das Schlafzimmer! Ich wollte in mein Büro.
 

Überrascht blickt mich Katsuya an. Wieso ich in meinem Büro schlafen will, fragt er mich irritiert. Von schlafen war nicht die Rede, erwidere ich stoisch, während mein Blick in den Gang zu meinem Büro fällt. Ich sei doch müde, wendet mein Streuner ein. Das mag ja sein, aber ich schlafe grundsätzlich nicht, wenn seine Freunde bei mir im Haus zu Besuch sind. Wieder blickt er mich nicht-verstehend an, bis sich seine Miene durch Erkenntnis erhellt.
 

Wieder legt er mir seine Hand an die Wange, während er sanftmütig lächelt und mein Blick wieder zu sich wendet. Dann fasst er in Worte, was ich mir seit Wochen nicht eingestehen will: Das ich Angst habe, dass sie mich hören könnten, wenn ich einen Albtraum habe. Ich senke beschämt meinen Blick. Es ist manchmal unheimlich, wie genau er erkennt, was in mir vorgeht. Und doch ist es gleichzeitig so befreiend.
 

Dann hebt er meinen Blick wieder zu sich. Es gibt nichts, wofür sein Drache sich schämen müsste. Außerdem habe ich die Zimmer für seine Freunde in dem anderen Flügel herrichten lassen. Sie werden nichts mitbekommen und außerdem... außerdem braucht sein Drachen Schlaf. JETZT! Also steigt er wieder auf die Treppe und zieht sanft an meiner Hand, die er die ganze Zeit gehalten hat.
 

Er... er hat sicherlich recht. Sie sind so weit von meinem Zimmer einquartiert, dass sie - selbst wenn ich einen heftigen Albtraum hätte - nichts mitbekommen werden. Also lass ich mich von meinem blonden Streuner hoch und in unser Zimmer ziehen. Und als ich - nachdem wir uns umgezogen haben - endlich ins Bett und in seinen Arm fallen kann, fällt endlich die Last des Tages von mir ab und ich fühle mich sofort leicht, sicher und geborgen. Ich saug noch einmal seinen Geruch tief in mich, bevor ich augenblicklich einschlafe.

Einen Schritt in Seto's Albraum hinein

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt, bei dem der Groschen fällt

Als ich aufwache fühle ich mich erschlagen und verkatert. Ich spüre die Nähe und Wärme von Katsuya. Kann seinen Geruch tief in mich einsaugen. Meine Hand streicht sanft über seine Brust. Er brummt zufrieden im Schlaf. Seine Hand liegt auf meiner Schulter. Kopfschmerz pulsiert und droht meinen Schädel zu sprengen. Meine Augen zu öffnen ist schwieriger als gedacht. Entweder bin ich noch total müde oder... meine Augen sind etwas geschwollen! Warum sollten meine Augen geschwollen sein?
 

Plötzlich fällt mir wieder mein Albtraum ein. Der Schlag gegen Katsuya's Kinn. Ich war außer mir. Völlig panisch und ... Ruckartig setz ich mich auf. Mein Herz schlägt plötzlich bis zum Hals. Was... was hab ich getan? Ich hab nicht nur meinen Streuner geschlagen... ich... ich... hab... Himmel! Hab ich ihm wirklich von meinem Albtraum erzählt? Das... DAS durfte nicht wahr sein. Er... er sollte nie...
 

Da spüre ich die warmen, starken Arme, die mich umschlingen und wie er mich verschlafen fragt, ob ich noch einen Albtraum hatte. Ja, hab ich! Gerade jetzt in diesem Augenblick... hoff ich zumindest. Doch das hier fühlt sich nicht wie einer meiner Albträume an. Es fühlt sich sehr real an. Dann... dann hab ich ihm tatsächlich von... Gozaberu und den Big Fives erzählt? NEIN! Das würde ich nie… SCHEIßE!
 

Beschämt dreh ich mich von ihm weg und will aus dem Bett steigen, da hält er mich an meinem Handgelenk fest und zieht mich wieder zurück zu sich. Schaut mir mit diesen honigbraunen Bernsteinaugen in meine. Sieht die ganze Wahrheit. Weiß die ganze Wahrheit. JETZT AUCH IM DETAIL! Wut wallt in mir auf. Wut auf mich selbst, weil ich jedes Mal, wenn ich aus einem Albtraum erwache so völlig die Kontrolle über mich verliere. Dann erzähl ich Sachen, die ich nicht erzählen will. Niemanden. Niemals.
 

Es gibt nichts, wofür sein Drache sich vor ihm schämen muss, kommt es wieder von ihm. Nichts? NICHTS? Ich bin völlig fassungslos. Doch er bleibt einfach nur ruhig und wiederholt stoisch 'Nichts!'.
 

Wie kann er das nur sagen? Wie... Wie kann er mich überhaupt noch anfassen oder nur ansehen. Ich meine, er sieht doch Nacht für Nacht wie hässlich, schmutzig und BENUTZT ich bin...
 

Ob ich ihn dann auch für schmutzig und benutzt halte, fragt er mich ganz ruhig und mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Ich schüttle den Kopf, bevor mir die Geste bewusst wird und ich bin entsetzt. Wie... kommt er darauf, dass ich das über ihn denken könnte. Wieso... wieso sollte mein Streuner schmutzig und benutzt sein?
 

Weil auch er, genau wie ich, vergewaltigt wurde, meint er nur bedächtig. Was... nein... nein... das war doch was völlig anderes. Katsuya war damals noch ein Kind gewesen. Dem Täter hilflos ausgeliefert. Er hatte keine Möglichkeit sich zu wehren. Der Alte war einfach stärker, hat ihm ständig aufgelauert und er konnte sich ihm einfach nicht entziehen und...
 

Etwas in mir hält plötzlich inne. Es ist, als ob sich da irgendwo ganz tief in mir drinnen ein Knoten löst und auf einmal spür‘ ich Tränen aufsteigen und ich lasse sie laufen. Ganz bewusst laufen. Ich bin so verwirrt... Als ich eben... argumentiert habe und den kleinen Katsuya vor mir sah, wie er so hilflos und panisch unter dem Gewicht des Älteren drohte erdrückt zu werden verschwand der Blonde einfach und an seiner Stelle sah ich mich... als Kind... und der Restaurantbesitzer wurde zu Gozaberu.
 

Dann höre ich die sanfte Stimme meines Streuners ganz nah an meinem Ohr, wie sie flüstert, dass der Groschen endlich gefallen wäre. Sanft legt er seine Arme um mich und legt seine Stirne an meine. Ich kann ihm in die Augen schauen und da erkenne ich, dass meine Argumentation für ihn, genauso auf mich zutrifft. Das auch ich... nur ein Kind war, dass sich nicht wehren konnte. Dieses Monster hat mir meine Kindheit genommen und mein Leben zur Hölle gemacht. Er hat mir seine Macht auf die widerlichste Art und Weise demonstriert, die es auf dieser Welt gibt. Das alles... das hatte nichts mit Lust oder Sex oder irgendeinem anormalen Bedürfnis zu tun. Es ging ausschließlich um Macht und Gewalt und... darum mich zu brechen!
 

Selbst jetzt noch - aus seinem Grab heraus - nimmt dieser Dreckskerl Einfluss auf mein Leben! Schränkt und sperrt mich ein. Lässt mich hinter jeder freundlichen Geste einen Hintergedanken vermuten. Mich in Panik geraten, wenn jemand mir unerwartet plötzlich nahe kommt. Und das obwohl ich ihn besiegt habe. Ich habe ihm seine Firma und sein Vermögen genommen und er ... er hat sich aus dem Scheißfenster gestürzt, weil er es nicht ertragen konnte.
 

Wieso... wieso hat er aber dann immer noch solche Macht über mich und wie kann ich ihn endlich abschütteln? Wie entkommen?
 

Da hör ich, wie Katsuya meinen Namen flüstert. Er streicht mir sanft über die Wange. Mehr als ein 'Hmmm?' bekomm ich nicht heraus. Mein Streuner eröffnet mir, dass er im neuen Jahr gerne Mal seinen Therapeuten anrufen und ihn hier her einladen wollen würde.
 

Seinen Therapeuten? Ich schau ihn zweifelnd an. Will er etwas... dass ich das alles noch jemand erzähle? Das kann ich nicht! Katsuya hat sich mein Vertrauen verdient. Ich weiß, dass wenn ich es ihm erzähle, es bei ihm sicher ist. Doch einem Fremden, etwas in der Art zu erzählen.. Was sollte ihn daran hindern mich zu verkaufen?
 

Mein Streuner glaubt, dass er uns helfen könnte... mir helfen könnte mit allem zu Recht zu kommen. Besser als es mein Streuner könnte. Unbewusst wird mein Griff wieder etwas fester. Vielleicht... vielleicht erträgt Katsuya das, was ich ihm erzähle nicht, weil er ganz ähnliche Erfahrungen gemacht hat, geht es mir entsetzt durch den Kopf. Doch er scheint ein weiteres Mal meine Gedanken zu lesen und sofort meine Bedenken zu zerstreuen. Er habe nicht vor mich alleine zu lassen, sondern an meiner Seite zu bleiben... für immer.
 

Für... Immer?
 

Andererseits... ist meine Abwehrhaltung und meine Angst nicht das Produkt von Gozaberu's 'Erziehung'? Also genau das, wobei mir der Therapeut helfen soll, es los zu werden? Diese Angst, dass mich jemand verraten und verkaufen könnte... das ist nur der Selbsterhaltungstrieb von Gozaberu's Einfluss, der immer noch auf mich wirkt.
 

Also nicke ich langsam. Katsuya lächelt mich sanft an und beugt sich noch ein wenig mehr zu mir, bis sich unsere Lippen berühren und er mich sanft küsst. Wie kommt es nur, dass der blonde Streuner es immer wieder schafft mir meine Angst zu nehmen und meine Bedenken zu zerstreuen? Wieso fühle ich mich in seiner Gegenwart und seiner Nähe nur so wohl und geborgen, während alles andere nur ein ewiger Kampf ist?
 

Wir legen uns noch einmal hin,... nicht um nochmal zu schlafen. Eher nur um die Gegenwart des anderen zu genießen und uns gegenseitig ein wenig zu liebkosen. Um mir die Zeit zu geben, innerlich wieder etwas zur Ruhe zu kommen. Kraft für den Tag aufzubauen.
 

Wieder ziehe ich Katsuya's Geruch tief in mich ein. Nie wieder möchte ich ihn missen!

Einen Schritt stolpern

Ich strecke mich genüsslich und bedaure ein wenig, dass Seto ins Bad verschwunden ist. Wäre es nach mir gegangen, wären wir einfach den restlichen Tag liegen geblieben und hätten uns an der Gegenwart des anderen erfreut. Aber… irgendwann haben wir mitbekommen, wie es draußen wieder lebhafter wurden und meine Freunde wohl aus ihrem komatösen Schlaf erwacht sind. Also haben wir uns dazu entschlossen, es ihnen gleichzutun.
 

Ich will gerade aus dem Bett steigen, als es zaghaft klopft. Es dauert keinen Augenblick, da geht die Tür zögerlich einen Spalt weit auf ohne das ich was sagen muss. Schwarze Haare drängen durch den Spalt und grau-blaue Augen blicken sich unsicher um. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht und ich winke Mokuba herein. Er schlüpft durch die offene Tür, die er leise hinter sich schließt, und kommt zögerlich auf mich zu. Sein Blick geht zur Badezimmertür, durch die man die Dusche hört. Dann bleibt der Blick des Jüngeren an mir hängen und seine Augen weiten sich entsetzt.
 

Sofort wird mir bewusst, dass er mein Kinn sieht, dass wohl etwas blau geworden ist. Instinktiv lege ich meine Hand an die betroffene Stelle und Mokuba kommt besorgt zu mir herüber gesprungen. Vorsichtig zieht er meine Hand weg und betrachtet sich die lädierte Stelle. Irgendwas stimmt bei dem Kleinen nicht! Es ist nicht nur der Schock über mein Kinn. Irgendetwas scheint passiert zu sein. In seinem Blick liegt eine große, erdrückende Betroffenheit.
 

Ich frag ihn sofort, was los ist. Er blickt noch einmal zur geschlossenen Badezimmertür, als wolle er sich vergewissern, dass Seto immer noch duscht. Dann blickt er mich traurig an. Er sagt leise, dass die anderen Seto heute Nacht schreien gehört haben. Sie wollten gerade ins Bett gehen und haben ihn trotz des ewig langen Gangs gehört. Sie wollten schon besorgt ins Zimmer stürmen, aber er habe sie davon abhalten können und habe ihnen versichert, dass ich mit seinem Bruder klar komme. Aber jetzt, wo er mein Gesicht sieht…
 

Das ist nicht gut! Auf der einen Seite mache ich mir wahnsinnige Sorgen um meinen Drachen. Das die anderen ihn schreien gehört haben könnte ihn dazu bringen, sich wieder zu distanzieren und sich zurück zu ziehen. Das letzte was er im Moment brauchen kann ist, dass seine Fassade bei den anderen zusammenbricht und er sich völlig entblößt vorkommt. Auf der anderen Seite meine Freunde, die Antworten verlangen werden - vor allem, wenn sie mein Kinn sehen! Antworten, die ich ihnen nicht geben kann und Seto nicht geben wird.
 

Mokuba setzt sich neben mich auf das Bett. Ich seh' ihm an, dass ihm die gleichen Sorgen durch den Kopf gehen. Vorsichtig lege ich meinen Arm um den Jüngeren und seufzte. Wie... wie können wir diese Situation entschärfen? Vielleicht, wenn ich mit meinen Freunden kurz alleine spreche und sie einfach bitte, so zu tun, als hätten sie nichts mitbekommen. Doch wie soll ich erklären, warum sie das tun sollen? Dazu müsste ich ihnen erklären, was mit Seto ist. Nein, das kann ich nicht.
 

Noch ehe ich was zu Mokuba sagen kann kommt Seto in seinem Bademantel aus dem Badezimmer. Er bindet sich gerade den Gürtel zu als er Mokuba sieht und überrascht stehen bleibt. Ihm fällt sofort der betroffene Blick seines kleinen Bruders auf und kommt zwei Schritte näher, während er sich erkundigt, ob etwas geschehen sei.
 

Ich stehe auf, zieh Seto zu mir und lass ihn dort Platz nehmen, wo vor einigen Sekunden noch ich neben Mokuba gesessen habe. Unbewusst bringt Seto seinen linken Arm außer Sicht seines kleinen Bruders, während seine rechte Hand auf Mokuba’s Schulter ruht. Mokuba blickt fragend zu mir. Ich geh vor meinem Drachen in die Knie und blick ernst zu ihm auf. Es geht nicht anders, ich muss ihn ins Bild setzen. Also sag ich meinem Drachen, dass die anderen ihn in der Nacht schreien gehört haben. Er blickt kurz aus den Augenwinkel zu Mokuba, bevor er an mir vorbei ins Leere blickt.
 

Er geht jetzt bestimmt die verschiedenen Möglichkeiten durch, um die Situation für sich zu lösen. Sanft leg ich meine Hand an seine Wange. Sein Blick kehrt ins hier und jetzt zurück und er blickt mir in die Augen. Auf sein Gesicht schleicht sich ein resigniertes Lächel. Dann wissen sie es eben, kommt es von ihm schließlich ruhig. Hm... zugegeben, mit dieser Reaktion hätte ich jetzt nicht gerechnet. Er zuckt mit der Schulter und setzt hinter her, dass man es ohnehin nicht mehr ändern kann.
 

Dann möchte Seto aufstehen, doch Mokuba hält ihn an der rechten Hand fest. Ob das für ihn wirklich in Ordnung ist, fragt der Jüngere besorgt. Sanft und liebevoll lächelt Seto den Kleinen an und streicht ihm mit der anderen Hand über die Wange. Für einen Moment glaub ich Entsetzen in Mokuba’s Blick zu erkennen. Auch Seto sieht den Blick, den Mokuba sofort durch ein Lächeln überdecken möchte. Erschrocken zieht Seto seine linke Hand von seinem kleinen Bruder, als ihm sein Fauxpas bewusst wird. Eilig dreht er sich weg und verschwindet zügig in seinen begehbaren Kleiderschrank und schließt hinter sich die Tür.
 

Sofort verschwindet Mokuba’s Lächeln aus seinem Gesicht, der mich nun völlig entsetzt mit seinen grau-blauen Augen anschaut. Sanft leg ich ihm meine Hand auf die Schulter. Tränen sammeln sich in seinen Augen. Es besteht kein Zweifel daran, dass er die Narbe am Handgelenk gesehen hat, als der Ärmel des Bademantels eben beim Hochnehmen der Hand etwas nach hinten gerutscht ist. Sanft drück ich ihn an mich. Immer noch erschrocken über diese neue Erkenntnis klammert sich der Kleine an mich. Sanft streich ich ihm über den Rücken, bis er sich nach ein paar Minuten beruhigt hat. Soll ich ihm etwas zur Narbe sagen oder ... Mokuba löst sich von mir. Er scheint sich wieder gefangen zu haben und sich dem ursprünglichen Problem wieder zuzuwenden.
 

Mokuba fragt mich, was wir nun wegen der anderen machen. Gute Frage! Er soll erstmal zu ihnen gehen und sich zu diesem Thema bedeckt halten. Ich werde gleich noch einmal mit meinem Drachen sprechen und danach hoffentlich mit ihm eine brauchbare Lösung für meine Freunde haben. Der Schwarzhaarige nickt, rutscht vom Bett, umarmt mich noch mal fest und verschwindet dann aus dem Zimmer.
 

Langsam geh ich zur Tür des Ankleidezimmers. Ich öffne die Tür und... sehe wie Seto auf der Bank sitzt. Seine Ellenbogen sind auf die Knie gestützt und er ist nach vorne gebeugt. Er trägt immer noch den Bademantel. Er hat sein linkes Handgelenk in der rechten Hand und mustert seine Narbe mit ernstem Blick, während er unsicher mit seinem rechten Daumen über sie drüber fährt.
 

Ich geh zu ihm, knie mich vor ihm und nehme sein linkes Handgelenk in meine Hand. Vorsichtig platziere ich einen Kuss auf seiner Narbe. Dann fällt eine Träne auf die Narbe. Ich blicke zu ihm hoch. Mutlos lässt er den Kopf hängen. Sanft leg ich meine Hände an seine Wangen und zieh ihn zu mir, so dass er von der Bank rutscht und zwischen meinen Beinen auf dem Boden zum Knien kommt. Er schlingt die Arme um mich und verbirgt sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Sanft streich ich ihm über den Rücken.
 

Das war jetzt nicht nur ein, sondern gleich zwei mächtige Rückschläge für meinen Drachen. Erst die Erkenntnis, dass meine Freunde ihn gehört haben. Dann das Mokuba sein bestgehütetes Geheimnis entdeckt hat. Zwei Dinge, die er um jeden Preis vermeiden wollte und die ihm nicht gelungen sind. In ihm muss ein heilloses Chaos herrschen. Soviele Gefühle, die er nicht gewohnt ist. Mit denen er nicht gut umgehen kann. Vor allem das Gefühl, völlig entblößt zu sein. Dieses eine Gefühl, das ist der Feind Nummer eins bei Menschen, wie uns. Denn das Gefühl entblößt zu sein führt zur Scham und die ist es schlussendlich, die uns lähmt oder davon laufen lässt. Also muss ich ihm die Scham nehmen. Aber wie?
 

Mein Drachen braucht sich für nichts schämen, wiederhole ich den Leitspruch, den ich seit der ersten Nacht immer wieder wiederhole. Um ihm die Scham zu nehmen. Sicherheit, Kraft und Mut zu geben. Und in Bezug auf mich hat das auch gut funktioniert. Er hat seine Scheu mir gegenüber nach und nach abgelegt. Den Mut gefunden, mir von seinen schlimmen Erinnerungen zu erzählen. Doch ob es auch hilft, ihm die Kraft für das Frühstück mit meinen Freunden zu geben... weiß ich nicht. Es ist eine Sache, zu einer Einzelperson ein solches Vertrauensverhältnis aufzubauen. Aber etwas ganz anderes, wenn es um eine ganze Gruppe geht. Doch etwas anderes hab ich in diesem Moment nicht. Also wiederhole ich das Mantra noch einmal: Mein Drachen braucht sich für NICHTS zu schämen!
 

Er löst sich ein wenig von mir und blickt mich an. Ich sehe, wie er mit sich ringt. Vor Mokuba wollte er nicht schwach wirken, also tat er so, als wäre es ihm egal, dass meine Freunde ihn schreien gehört haben. Aber ich weiß, was für eine Überwindung dahinter steckt jemand hinter die eigene Fassade zu lassen und einem zu zeigen, wie man wirklich ist. Es macht einen verletzlich und gerade wenn man ein Problem mit dem Vertrauen hat, dann ist es unglaublich kräftezerrend sich zu überwinden.
 

Aber er ist nicht alleine. Ich bin da und leih ihm gerne meine Kraft, wenn er sie braucht. Sanft lächle ich ihn an und streich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Langsam, wie in Zeitlupe, beginnt er zaghaft mein Lächeln zu erwidern. Ja, das ist mein Drache! Der sich von nichts unterkriegen lässt und selbst wenn er stürzt sich wieder aufrappelt und voller Stolz erstrahlt.
 

Wir stehen gemeinsam auf. Sanft zieh ich ihn zu mir und küsse ihn ganz behutsam. Genießerisch schließt er seine Augen und erwidert den Kuss erst zaghaft und dann mit immer mehr Leidenschaft. Als der Kuss endet lächelt mein Drache schon etwas selbstsicherer. Dann lass ich ihn sich anziehen, während ich selbst mal ins Badezimmer verschwinde.
 

Ich hoffe, dass meine Freunde gleich checken werden, dass sie ganz behutsam mit meinem Drachen umgehen müssen. Sonst stößt er sie von sich und zieht sich wieder in seine Höhle zurück.

Einen Schritt zum Spießrutenlauf

SCHEIßE! Das ist alles, woran ich gerade denken kann. Mir ist einfach alles so entglitten und jetzt kann ich nur noch Schadensbegrenzung versuchen. Aber wie? Ich mein... wie soll ich das bewerkstelligen? Ich kann ihnen die Erinnerungen an mein Aufschrecken nicht nehmen. Sicherlich werden sie gleich haufenweise Fragen an mich haben und wenn sie erst Katsuya’s Kinn sehen... SCHEIßE!
 

Ich höre, wie Katsuya wieder aus dem Badezimmer kommt. Auch ich leg mir meine letzte Armschiene an und verlasse ohne große Motivation den Kleiderschrank. Mein Streuner steht mitten im Schlafzimmer und lächelt mich ermutigend an. Der hat gut lachen! Sein Innerstes breitet sich nicht gerade vor seinen Freunden aus. Er kann weiterhin vor ihnen als Sunnyboy auftreten, wie ihn sein Vater immer nennt. Aber ich... wie... wie...
 

Katsuya hat mit wenigen Schritten überwunden, was uns getrennt hat und legt ein weiteres Mal seine weichen Lippen auf meine und verwickelt mich in einen leidenschaftlichen Kuss. Meine Gedanken weichen schlagartig aus meinem Kopf und ich kann nicht anders als den Kuss zu genießen. Seine Hand geht durch mein Haar und bleibt in meinem Nacken liegen, während unsere Zungen heftig miteinander ringen.
 

Als wir uns von einander lösen schau ich ihn an und sehe in seinen goldbraunen Augen, dass auch er den Kuss mehr als genossen hat. Warum können wir nicht einfach den Tag zusammen in Abgeschiedenheit verbringen? Uns gegenseitig noch ein wenig weiter erkunden? Uns... näher kommen? Warum sich überhaupt dem Kindergarten stellen?
 

Zärtlich streicht er mir über die Wange, lächelt mich immer noch liebevoll an, bevor seine Hand nach meiner Hand angelt. Als sich unsere Finger verschränkt haben zieht er mich langsam Richtung Tür. Nein, wir können den Tag nicht in Abgeschiedenheit verbringen. Das wäre ihm und Mokuba gegenüber nicht fair! In mir flammt die Nervosität vom Vortag auf und mir ist flau im Magen, als wir auf den Gang hinaus treten. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich nach meinem Schlafzimmer sehnen würde... aber jetzt in diesem Augenblick würde ich lieber wieder zurück als weiter voran.
 

Vorsichtig zieht mich Katsuya den Gang entlang. Hier oben ist wieder alles ruhig. Scheinbar sind alle schon in der Küche beim Frühstücken. Ich fühl mich, als würd ich zu meiner eigenen Hinrichtung geführt werden. Der Orkan in mir beginnt wieder an mir zu zerren. Aber er kann mich nicht mitreißen. Nicht solange Katsuya bei mir ist und mir als Anker dient. Mein Griff wird fester und Katsuya beginnt mir mit dem Daumen über den Handrücken zu streichen.
 

Jede Stufe die wir nach unten nehmen scheint ein unsichtbares Gewicht auf meinen Schultern zu verstärken. Mich schwerfälliger werden zu lassen. Mein Inneres zittert förmlich. Ich bin bis zum Zerreißen angespannt. Der Orkan zerrt heftiger an mir. Katsuya führt mich zur Küchentür. Dann überträgt sich mein inneres Zittern auf meinen Körper. Mein blonder Streuner bleibt stehen und wendet sich zu mir. Sanft legt er nochmal seine andere Hand an meine Wange und küsst mich sanft. Der Orkan ebbt wieder etwas ab. Das Zittern lässt nach. Hm... er schmeckt einfach so süß und verführerisch. Wieder kommt mir in den Sinn, dass der Tag so viel besser werden würde, wenn wir uns ein Plätzchen nur für uns zwei suchen.
 

Doch da zieht mich Katsuya durch die Schwingtür in die Küche. Die anderen sitzen am Frühstückstisch und sind bereits beim Frühstücken. Da dringt Honda’s Stimme zu uns. Da wären die Langschläfer endlich und wir sollen uns beeilen, weil uns Yugi und Ryou sonst nichts mehr übrig lassen würden. Ich... ich bin verwirrt! Am Tisch sind genau noch zwei Plätze übrig, nämlich mein Stammplatz am Kopfende, sowie der Platz rechts davon. Links davon sitzt Mokuba, die anderen um den reich gedeckten Tisch. Mokuba lächelt mich zaghaft an.
 

Schuld mischt sich in die Verlegenheit und die Scham. Schuld gegenüber meinem kleinen Bruder, dem ich kein besserer Bruder gewesen bin. Der nun weiß, dass ich ihn im Stich lassen wollte. Dennoch lächelt er mich glücklich an. Glücklich? Jedenfalls würde ich das so einschätzen. Aber kann das wirklich sein? Warum ist er nicht wütend?
 

Katsuya schiebt mich auf meinen Platz und setzt sich neben mich auf den Stuhl. Sofort wird er von den anderen in das Gespräch einbezogen. Ein Gespräch über... Duell Monsters? Combos? Konter? Dann fragt Yugi, was ich dazu denke. Ich ähm... hab nicht zugehört! Also mach ich es wie immer, wenn ich in einer vergleichbaren Situation bin: Ich antworte mit einem Übergang und komme mit der - meiner Meinung nach - stärksten Kartencombo, gegen die es kaum ein Konter gibt. Sofort entbrennt die Diskussion zwischen Yugi und Katsuya. Yugi pflichtet meiner Meinung bedingt bei, während Katsuya eine gänzlich andere Meinung zu der Combo vertritt. Es ist... wie ein ganz normales Frühstück, wenn der Kindergarten hier zu Gast ist.
 

Die Situation verwirrt mich. Mokuba hatte doch erzählt, dass sie mich schreien gehört haben. Müssten sie mich nicht mit Fragen bombardieren? Auch auf Katsuya’s blauen Kiefer hat keiner reagiert. Als wäre es ihnen nicht aufgefallen. Soll... soll ich das Thema ansprechen und es aufgreifen, um dem Schrecken den Zahn zu ziehen. Unter der Tischplatte spür ich Katsuya’s Hand auf meinem Knie, der mir sanft über mein Bein streicht, während er mit der anderen Hand gerade was von seinem Frühstück in seinen Mund schiebt. Diese kleine Geste beruhigt den Orkan in mir weiter und nimmt mir ein Stück weit die Angst und die Nervosität. Mokuba stellt mir eine Tasse mit Kaffee hin. Sanft leg ich ihm meine Hand auf die Schulter und streich kurz darüber, während er mich nur anlächelt, bevor er enthusiastisch in das Gespräch einhakt.
 

Was ist passiert? Sind wir auf dem Weg vom Schlafzimmer zur Küche durch einen Dimensionsriss in eine andere Wirklichkeit gefallen, in der niemand mich hat schreien hören? In dem Mokuba nicht meine Schande entdeckt hat? Aber auch Katsuya signalisiert mir ruhig zu bleiben und alles so weiterlaufen zu lassen. Ich war in den letzten Wochen gut beraten auf ihn zu hören. Also vertrau ich ihm weiterhin und lass mich durch die Situation führen, auch wenn ich nicht verstehe, was gerade los ist.
 

Die Themen am Frühstückstisch wechseln von Duell Monsters zu frisch erschienenen Kinofilme zu neu rausgekommenen Videogames. Immer wieder versucht mich einer vom Kindergarten in die Gespräche einzubeziehen. Schließlich kommen wir beim Mokuba’s Lieblingsspiel an: Street Combat. Es werden Figuren genannt, Stärken zum Besten gegeben, während ein anderer einwirft, wie man die Stärke kontern könnte. Ohne groß nachzudenken, geb ich meine Meinung zur vermutlich besten Figur im Spiel zum Besten. Sofort kommt ein Konter von Honda, dass man die Figur ganz leicht schlagen könnte. Ohne dass es mir bewusst ist lass ich mich in den Smalltalk verwickeln. Das Gespräch über dieses banale Prügelspiel erinnert mich an die Schlagabtäusche mit Katsuya, die wir uns früher geliefert haben und die mich immer entspannt haben. Auch dieses Gespräch nimmt mir nach und nach die innere Anspannung und lässt mich fast vergessen, weshalb mir zu Beginn des Frühstücks so unbehaglich gewesen war.
 

Schließlich endet die Mahlzeit nach einer ganzen Weile und es wird überlegt, was man mit diesem angebrochenen Tag so tun könnte. Da es draußen wieder schneit und eine ordentliche Kälte herrscht schlägt Mokuba vor Schlittschuh zu fahren. Alle sind sofort begeistert von der Idee und brechen schließlich auf sich winterfest anzuziehen, um sich gleich im Wohnzimmer an der Terrassentür wieder zu treffen. Als alle aus der Küche gestoben sind bleiben nur Katsuya und ich zurück, der mich stolz anlächelt.
 

Langsam beugt er sich über die Tischecke zu mir herüber und ich komme ihm auf halben Weg entgegen. Wieder küssen wir uns leidenschaftlich. Als wir uns trennen streicht er mir sanft über die Lippen und die Wange. Wieder frag ich mich, wie der Blonde es nur immer wieder schafft mir meine Unruhe und meine Angst zu nehmen. Wie kann jemand, der so chaotisch und lebhaft scheint auf mich nur so beruhigend und bestärkend wirken?
 

Ich hab darauf keine Antwort, aber es macht mich glücklich, dass Katsuya nun zu meinem Leben gehört. Also beuge ich mich wieder zu ihm und ziehe ihn erneut in einen weiteren Kuss. Einfach weil ich glücklich bin. Glücklich darüber, dass er mir ein Weg weißt durch offensichtlich unvermeidlichen Katastrophen ohne dass sie katastrophal enden oder eskalieren. Weil er mir Stärke gibt, wenn ich glaube, keine mehr zu haben. Weil er Nacht für Nacht sieht, was für ein Häufchen Elend ich doch eigentlich bin und sich nicht angewidert von mir abwendet. Der immer mehr von dem sieht, was ich hinter meiner Fassade jahrelang verborgen habe und nicht schreiend oder lachend davon läuft.
 

Ein Räuspern unterbricht uns unsanft und erschrocken brech ich den Kuss ab. Kann spüren, wie meine Wangen sich leicht röten, während Katsuya nur genervt mit den Augen rollt und ohne hinzuschauen meint, dass Honda verschwinden soll. Doch der steht nur grinsend in der Tür und fragt, was mit uns sei. Dass die anderen nicht zulassen würden, dass wir uns vor dem Heidenspaß auf dem Teich drücken und wir die Hufe schwingen sollen uns entsprechend anzuziehen. Erst dann verschwindet er Richtung Wohnzimmer.
 

Katsuya grinst mir halb zu und fragt, was ich davon halte? Ich zucke nur unentschlossen mit den Schultern. Dann steht er auf und ich folge ihm, ohne das er mich ziehen muss. Dennoch angel ich nach seiner Hand, die er mir bereitwillig reicht. In diesem Moment fühle ich, wie das Glücklich sein dieses Gefühl der Entblößung verdrängt und völlig in den Hintergrund schiebt.
 

Ich hatte einen Spießrutenlauf mit vielen unangenehmen Fragen erwartet. Doch stattdessen... haben die anderen scheinbar darauf verzichtet ihre Neugierde auszuleben und haben versucht mich in ihren Kreis zu integrieren. Statt mich von ihnen zu distanzieren und wieder auf Abstand zu gehen, wie ich es ursprünglich geplant hatte, wenn sie mit ihren aufdringlichen Fragen gekommen wären, haben sie mich ein Stückchen mehr in ihre Mitte gezogen. Ich... weiß nicht was ich davon halten soll, denn eigentlich bilde ich mir ein, dass ich Situationen gut analysieren und einschätzen kann, aber mit all dem hab ich einfach nicht gerechnet. Aber das ist einfach so ganz anders verlaufen. Es ist nicht so, als würde mir die Entwicklung missfallen, aber die Angst, dass doch noch Hohn und Spott kommen könnten, bleibt... jedenfalls irgendwo im Hintergrund.
 

Dennoch... will ich mich Mokuba und Katsuya zuliebe darauf einlassen.

Einen Schritt aufs Eis

Seto und ich kommen gerade am Teich an, als die anderen schon auf das Eis stürmen. Wir setzen uns auf den großen Findling um uns die Schlittschuhe anzuziehen. Kaum hat Seto seine an kommt Mokuba angewetzt und strahlt seinen großen Bruder förmlich an. Dann zieht der Kleine meinen Drachen einfach mit sich auf das Eis. Ich bin noch nicht soweit, außerdem tut es den beiden ganz gut mal ne Weile unter sich zu sein.
 

Während ich also meinen zweiten Schuh schnür kommt Honda an, springt vom Eis auf den Schnee und lässt sich neben mir auf den Findling fallen. Ob alles in Ordnung ist, will er wissen, während er weiter grinsend auf das Eis schaut, auf dem die anderen herum toben. Ohne inne zu halten, schnür ich weiter meinen Schuh, während ich nicke. Mein bester Freund lässt sich nicht abspeisen und fragt nach dem blauen Kinn. Ich zuck mit den Schultern. War ein Unfall mein ich nur. Ein Unfall, kommt es von ihm in einem Tonfall, der mir deutlich macht, dass er das für eine Ausrede hält. Ich blicke auf das Eis und sehe, wie Seto voll auf mit Mokuba beschäftigt ist, der sich von ihm jagen lässt. Ihn weiter nach hinten auf das Eis lockt.
 

Ich blicke zu Honda, lächel ihn an und dank ihm für seine Sorge. Versichere ihm, dass Seto mich nicht absichtlich geschlagen hat. Das er nicht mal wach war, als es passierte. Honda blickt mich fragend an. Da mein ich zu ihm, dass er meinen Drachen doch gehört hat! Heute Nacht! Als sie alle auf dem Weg ins Bett waren! Überrascht blickt Honda mich an und nickt dann. Will wissen woher ich das weiß. Ich erzähl ihm von dem Gespräch mit Mokuba. Er nickt wieder nur. Erwidert, dass sie - er und meine anderen Freunden - Seto nicht bloß stellen wollten. Ihm nicht das Gefühl geben wollten, dass er sich wieder von ihnen distanzieren müsste. Vor allem nicht, nachdem er und ich endlich zusammen gekommen sind. Ich schlag ihm auf den Rücken und grins ihn breit an. Dank ihm und sag ihm, wie toll ich diese Aktion von meinen Freunden finde. Er erwidert mein Grinsen.
 

Dann wird Honda wieder ernster. Fragt, ob das öfters vorkommt, dass mein Drache derart heftige Träume hat. Ich lächle ihn an und er versteht, dass ich ihm dazu nicht antworten kann. Aber ich denke, schon allein das ich ihm die Antwort schuldig geblieben bin und die Tatsache, mit was für Augenringe Seto vor den Ferien rumgelaufen ist, beantworten ihm seine Frage. Als wir aufstehen, meint er nur, dass er jederzeit für mich da ist, falls ich Hilfe bei was auch immer bräuchte. Wieder grins ich ihn breit an und klopf ihm dankbar auf die Schulter. Dann springen wir auf das Eis und schließen uns dem Spaß an.
 

Mein Drache kommt mit seinem kleinen Bruder etwas gemächlicher wieder zurück, als sie davon gejagt sind. Es ist erstaunlich, wie schnell sich Seto auf den Kufen sicher fühlt und mit seinem kleinen Bruder rumtollt. Es ist erst das zweite Mal, dass er auf dem Eis steht. Als Kind hab ich mich beim Betreten des Eises immer besonders schwer getan, bis ich mich wieder sicher fühlte, um mich frei zu bewegen. Doch er, er scheint seine Scheu gegenüber diesem neuen Medium völlig abgeschüttelt zu haben, seit er den Dreh raus hat. Ob sich das auch auf soziale Gegebenheiten übertragen lassen kann?
 

Mit einem lauten Schrei sehe ich, wie Bakura völlig unkontrolliert auf Seto und Mokuba zu schlittert. Scheinbar kann er nicht mehr bremsen. Ich geb Stoff und versuch ihn abzufangen, doch ich schaff das nicht mehr. Er kracht volle Kanne mit Seto zusammen, der noch zu wenig Erfahrung hat, um zu wissen, wie man jemanden auf die Schnelle ausweicht. Beide stürzen und krachen unsanft auf das Eis. Auch meine anderen Freunde kommen herbei um zu schauen, ob es den beiden gut geht oder ob einer von ihnen Hilfe braucht.
 

Bakura hängt quer über Seto, der bäuchlings auf dem Eis liegt. Ich zieh Bakura eilig von meinem Drachen, so dass er auf dem Eis kniet und fragt ihn, ob alles okay. Bakura nickt nur verlegen und grinst dümmlich. Er blutet aus der Nase und aus einer kleinen Platzwunde an der Stirn. Es tue ihm leid. Irgendwie habe er einfach zu viel Geschwindigkeit bekommen und konnte einfach nicht mehr rechtzeitig anhalten. Seto liegt immer noch auf dem Eis. Ich überlasse Bakura Honda, bitte ihn und die anderen den Weißhaarigen ins Haus zu bringen und seine Wunden zu versorgen.
 

Erst als sie sich abwenden und gehen, wende ich mich Seto zu. Mir ist sofort, als ich zu den beiden gekommen bin, aufgefallen, dass sich seine Hände zu Fäusten verkrampft hatten. Mein Drache ist in einem Zustand der Panik und setzt alles dran, die Kontrolle nicht vor den anderen zu verlieren. Also wollte ich die anderen so schnell wie möglich los werden, ohne einen Verdacht zu erwecken.
 

Die Kapuze seines Parkers hängt über seinem Kopf. Vorsichtig leg ich meine Hand an seine Schulter und möchte ihn umdrehen. Ich kann trotz der dicken Füllung spüren, wie er zittert. Doch er will sich nicht umdrehen lassen, sondern stemmt sich trotzig selbst in die Höhe und kniet vor mir auf dem Eis. Noch immer verdeckt die Kapuze sein Gesicht, doch ich kann an seinem Kinn die Spuren von Tränen sehen.
 

Ich zieh meine Handschuhe aus und lege meine Hände vorsichtig an seine Wangen, die eiskalt sind. Noch immer versucht er die Fassung zu wahren. Ich blicke zu meinen Freunden, die die Terrasse des Wohnzimmers bereits erreicht haben. Doch am großen Findling steht Mokuba und blickt besorgt zu uns. Ich versuch ihn anzulächeln. Ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung ist und er sich keine Sorgen machen braucht. Das er zu den anderen gehen kann. Doch er tritt auf den Teich und ich schüttel seicht den Kopf. Der Kleine bleibt stehen. Aber irgendwas ist anders, als sonst. Normalerweise vertraut er mir, wenn ich ihn wegschicke. Doch im Moment sehe ich bei ihm einen starken Widerwillen.
 

Also nicke ich langsam Mokuba zu, dass er zu uns kommen soll. Ich kann ihn einfach nicht in dieser Situation wegschicken. Er macht sich Sorgen um seinen großen Bruder. Wer könnt es ihm verdenken, dass er sich davon überzeugen will, dass ihm nichts passiert ist. Langsam kommt er heran geschlittert, während Seto seine Hände mittlerweile an meine Arme klammert. Es fällt ihm immer schwerer die Fassung zu wahren.
 

Er scheint das Geräusch der Kufen über das Eis zu hören und neigt sein Gesicht unter der Kapuze ein wenig in die Richtung, aus der Mokuba zu uns unterwegs ist. Ich flüstere ihm zu, dass alles in Ordnung ist. Das er sicher ist. Das es 'nur' Mokuba ist, der zu uns kommt. Seine Hände krallen sich nur noch mehr in meine Ärmel. Ich heb seinen Kopf ein wenig, so dass ich unter die Kapuze schauen kann. Ich sehe die Panik, Angst und Verzweiflung in seinen Augen. Er presst die Zähne fest aufeinander. Weitere Tränen dringen aus seinen Augen. Laufen über seine Wangen an meinen Händen entlang zum Kinn, wo sie sich sammeln und in dickeren Tropfen von seinem Kinn tropfen.
 

Mokuba erreicht uns und geht neben uns in die Knie. Seto will sich abwenden und in seiner Kapuze verstecken, doch ich streich ihm die Kapuze vom Kopf. Aus mit dem Versteckspiel. Mokuba ist alt genug und besitzt die nötige Reife seinen Bruder so sehen zu können. Davon bin ich fest überzeugt. Fassungslosigkeit springt mir aus dem Gesicht meines Drachens entgegen. Ich lächle ihn sanft und ermutigend an. Mokuba drängt sich ein wenig zwischen uns und umarmt seinen großen Bruder. Seto versucht mit aller Macht seine Fassung zu wahren. Doch ich sehe, wie er verliert. Gegen sich selbst.
 

Ich schling mich auf seiner anderen Seite um ihn und lege einen Arm um Mokuba. Dann, so von uns geschützt und gehalten, kann er sein Schluchzen nicht länger unterdrücken. Er presst sein Gesicht in die schwarze Mähne seines kleinen Bruders und irgendwie so halb an mich. Ich spüre, wie Mokuba sich enger an Seto schmiegt. Ihn fester hält. Nach ein paar Minuten gelingt es meinem Drachen die Kontrolle zurück zu gewinnen. Nur zögerlich löst er sich langsam von uns.
 

Sein kleiner Bruder blickt ihn besorgt an. Streicht ihm dann die letzten Tränen aus dem Gesicht, während Seto mich mit einem merkwürdigen Blick anschaut. Dann ertönt Mokuba's Stimme. Ni-sama, ruft er ihn und zieht die Aufmerksamkeit meines Drachens langsam von mir auf sich. Erst als Seto seinen Blick auf den Schwarzhaarigen gerichtet hat, lächelt der ihn sanft an und sagt ihm, dass er ihn so lieb hat! Seto wirkt überrascht. Als Mokuba ihm um den Hals springt legt er nur zögerlich seine Arme um seinen jüngeren Bruder. Der Blick meines Drachens fällt wieder auf mich. Dieser unbestimmte Blick ist fort und hat ihn ziemlich überrascht und nicht-verstehend zurück gelassen.
 

Ich schmunzel meinen Drachen auch liebevoll an und leg ihm meine Hand wieder an die Wange. Er schließt seine Augen und lehnt sich einen Moment in die Geste. Dann löst sich Mokuba von ihm wieder und springt dann mir um den Hals. Auch mich hat er lieb, meint er leise, bevor er langsam aufsteht und dann seine Hand helfend Seto hinhält. Langsam nimmt Seto die helfende Hand an. Nur sehr wacklig kommt er zum Stehen und als er auftritt verzieht er das Gesicht. Ich stütz ihn geschwind, genauso wie Mokuba auf der anderen Seite. Wir bringen ihn vom Eis zum Findling, wo ich vor ihm in die Knie geh und seinen Fuß aus dem Schlittschuh befrei. Der Knöchel schwillt an und ist blau verfärbt. Tja, da werden wir einen Arzt brauchen, der sich das genauer anschaut.
 

Vorsichtig helf ich ihm aus dem anderen Schlittschuh und zieh ihm seinen normalen Schuh an. Der verletzte Fuß bleibt erstmal nur in der Socke. Dann helf ich meinem Drachen hoch und stütz ihn auf der Seite seines verletzten Fußes. Sag ihm, er soll nicht mit dem Fuß auftreten. Dann folgen wir meinen Freunden zur Terrassentür des Wohnzimmers.
 

Dort haben sich meine Freunde um die Couch zusammengerottet. Auf der Couch sitzen Bakura und Yugi. Honda schaut zu erst zu uns, als wir reinkommen. Sofort springt er auf und fragt, ob er irgendwie helfen kann. Ich verneine. Seto ist ruhig. Seine Kapuze hat er sich auf dem Weg hierher wieder übergezogen. Bakura und Yugi springen von der Couch und meinen, ich soll meinen Drachen da absetzen. Doch ich spüre seine Hand, die er über meine Schulter gelegt hat, die sich langsam verkrampft. Ich grins in die Runde meiner Freunde und mein nur, dass ich ihn in sein Zimmer bring und einen Arzt anrufen muss!
 

Bakura läuft uns durch das Wohnzimmer und bis zur Treppe hinterher. Immer wieder entschuldigt er sich wiederholt bei meinem Drachen, der alle Mühe hat die Nähe des Weißhaarigen zu ertragen. Am Treppenaufgang mein ich zu Bakura schließlich, er soll zurück zu den anderen gehen und sich selbst etwas ausruhen. Das der Arzt sich später bestimmt auch gern seine Stirn anschauen wird. Er nickt und geht wie ein geschlagener Hund zurück zu den anderen ins Wohnzimmer.
 

Mokuba begleitet uns die gesamte Zeit schweigend und hilft, wo er nur kann. Erst nach fast zehn Minuten kommen wir bei Seto's Schlafzimmer an. Ich bring ihn zum Bett, auf dessen Kante er sich erschöpft fallen lässt. Mokuba bleibt vor ihm stehen. Hält seine Hand. Dann zieht er sein Handy und ruft den Hausarzt.
 

Langsam beginn ich meinen Drachen aus den Klamotten zu schälen. Zuerst den Parker ausziehen, was einhergeht mit dem Verlust der Kapuze, unter der er sich erneut versteckt hat. Er lässt seinen Kopf hängen, so dass sein Haar ihm über das Gesicht fällt. Die Handschuhe auszuziehen ist da weit anstrengender, denn nur mit Mühe kann mein Drache seine Hand soweit öffnen, dass ich ihm ihn ausziehen kann. Sein Schuh dagegen ist gar kein Problem. Die Socke vom verletzten Fuß, der noch etwas geschwollener und blauer geworden ist.
 

Ich beobachte ihn ganz genau. Er versucht die Fassung zu wahren. Eigentlich ist ihm zum Heulen zu Mute. Also bitte ich Mokuba schon mal hinunter in die Eingangshalle zu gehen und auf den Arzt zu warten. Er soll sich nach Möglichkeit erst Bakura anschauen und versorgen. Ich bitte den Jüngeren auch einige Kältekompressen mitzubringen, wenn er wieder kommt, damit wir den Fuß kühlen können. Der Schwarzhaarige nickt schließlich und lässt uns alleine. Nicht ohne vorher noch einmal seinen Bruder fest zu umarmen. Der erwidert die Umarmung nur mit einem Arm.
 

Kaum hat Mokuba hinter sich die Tür geschlossen geh ich vor meinem Drachen in die Hocke und blicke zu ihm auf. Noch immer ringt er mit sich, als er ein 'Warum' raus presst Warum ich seinen kleinen Bruder vorhin nicht einfach weggeschickt habe, will er von mir wissen. Sanft lege ich meine Hände an seine Wangen und blick ihn sanft an. Ich erkläre ihm, dass Mokuba sich tierisch Sorgen gemacht hat und ich ihn nicht einfach wegschicken konnte. Das es weder für ihn, noch für seinen kleinen Bruder gut ist, wenn er ihn immer wegschickt, wenn es ihm nicht gut geht. Das der Jüngere nicht dumm ist und es ihn verletzt, wenn mein Drachen ihn so abweist.
 

Wieder beginnen ersten Träne sich über sein Gesicht zu ziehen. Er wolle nicht, dass sein kleiner Bruder ihn so sieht. Ich frage nach, was er mit 'so' meint! Nur mit Mühe kann Seto mir noch antworten. Sein Bruder soll nicht sehen, wie schwach er ist. Dann lässt er seinen Kopf auf meine Schulter sinken. Ich flüstere ihm ins Ohr, dass das hin und wieder okay ist. Dass sein Bruder weiß, dass er nicht immer stark sein kann und dass das völlig in Ordnung ist. Mein Drache kann seinem kleinen Bruder vertrauen. Mokuba ist stärker als er wirkt. Will und kann helfen, wenn mein Drachen ihn lässt.
 

Mein Drache erwidert nichts darauf. Das ist auch recht viel, was er heute zu verdauen hat. Sanft streich ich ihm über den Rücken, bevor ich aufstehe, ihn wieder aufrichte und dann seinen verletzten Fuß auf das Bett lege. Ich hol zwei Kissen und leg sie unter den Fuß. Ich kann meinem Drachen ansehen, wie es in ihm arbeitet. Wie er über meine Worte nachdenkt und sie wirken lässt.
 

Ich setz mich zu ihm auf die Bettkante und streich ihm sanft eine Strähne aus dem Gesicht, bevor ich mich zu ihm beuge und ihn in einen sanften Kuss ziehe.

Einen Schritt der Offenheit

Ich sitze im Wohnzimmer. Links von mir sitzt Bakura-kun, der von Doktor Akari ein großes Pflaster auf die Stirn geklebt bekommen hat. Rechts von mir sitzt Yugi. Otogi- und Honda-kun sitzen vor der Couch auf dem Boden. Otogi-kun sitzt hinter Honda-kun und hält ihn sanft in seinem Arm. Hätte nicht gedacht, dass es in der Clique noch zwei geben würde, die schwul sind und das offen zeigen. Aber ich freu mich irgendwie darüber. Das zeigt doch, dass das nichts Besonderes mehr ist in der heutigen Zeit. Nichts, was man verstecken müsste. Jedenfalls in einem solchen Freundeskreis.
 

Die anderen unterhalten sich angeregt. Ich bekomme davon nicht wirklich viel mit. Mir schwirrt zu viel im Kopf herum. Allen voran bekomm ich das Bild von der Narbe an Seto's Handgelenk nicht mehr aus dem Kopf. Es ist erschreckend, wie gut er auch mich täuschen konnte. Ich kann mich einfach nicht an eine Zeit erinnern, in der mir Seto so fertig vorgekommen wäre, dass mir der Gedanken gekommen wäre, dass er Suizid begehen könnte.
 

Egal welchen Scheiß er von Gozaberu angetan bekam, er stand danach immer wieder auf und machte weiter. Gozaberu... Alleine bei dem Namen zieht sich mir etwas im Bauch zusammen. Dieses Monster, das versucht hat meinen Bruder zu zerstören. Ihn kaputt zu machen, damit er ihn neu, nach seinen eigenen Vorstellungen formen konnte. Doch ich hatte immer den Eindruck, dass Seto alles über sich ergehen ließ, alles runterschluckte und danach einfach wieder aufstand. Stärker wurde, weil er ein weiteres Mal Gozaberu nicht hatte siegen lassen.
 

Klar, ich wusste, dass all der Scheiß bei ihm Narben hinterlassen hatte und nicht spurlos an ihm vorbei gegangen war. Das hab ich schon daran gemerkt, dass er sich zu mir distanzierte. Meine Nähe nicht mehr ertrug. Nach außen hin kalt, herablassend und gemein gegenüber anderen wurde. Manchmal... nur ein oder zwei Mal, hab ich bei mir gedacht, dass nicht mehr viel fehlen würde, dass Seto zu IHM werden würde. Doch all das, war nur eine Maske, die er trug. Wenn wir daheim waren, unbeobachtet, unter uns, dann war er anders. Zwar immer noch körperlich distanziert, aber er lächelte hin und wieder. Hatte Spaß mit mir ein gerade neu erschienenes Spiel zu zocken oder einfach... mir bei den Hausaufgaben und bei Themen, die mir nicht so lagen, zu helfen.
 

Aber es gab nie einen Zeitpunkt, an dem ich dachte, dass er am Boden zerstört wäre, dass er keine Kraft mehr hätte oder dass er nicht wieder aufstehen könnte. Und je mehr ich drüber nachdenke, desto unklarer wird mir, wann er diesen Schritt gewagt hatte. Wie alt ist diese Narbe an seinem Handgelenk? War es wirklich das, wonach es aussieht oder trügt der Schein? Könnte Isono etwas davon wissen? Oder wie soll ich jetzt überhaupt reagieren? Bislang hab ich auf eine Reaktion versucht zu verzichten. Doch vielleicht sollte ich Seto darauf ansprechen? Ihn direkt fragen... Antworten fordern... Aber steht es mir überhaupt zu, ihn darauf anzusprechen und irgendetwas zu fordern?
 

Ich spüre auf einmal, wie mir jemand eine Hand auf die Schulter legt und ich erschrocken zusammenzucke. Große, violette Augen mustern mich besorgt. Yugi erkundigt sich, was mich denn so beschäftigt, dass ich so ungewöhnlich ruhig zwischen ihnen sitze. Ich schau zu den anderen und bemerke, dass auch diese mich besorgt und fragend anschauen. Wie gern würde ich ihnen einfach alles erzählen und mir ihren Rat einholen. Aber das würde Seto brüskieren. Er würde das sicherlich nutzen, sich wieder zurück zu ziehen. Klar, ich könnte mit Jou-kun sprechen, aber der hat doch schon alle Hände voll damit zu tun, sich um Seto zu kümmern. Auch wenn er sich immer Zeit für mich nimmt, aber ich will ihn nicht noch weiter belasten. Mein Bruder braucht ihn wesentlich mehr als ich ihn!
 

Plötzlich merk ich, wie mir Tränen über das Gesicht laufen. Ich versuch sie schnell wegzuwischen. Doch es kommen immer neue. Das Gefühl, der schlechteste Bruder der Welt zu sein, hat sich in mir festgesetzt. Immer wieder beteuerte ich, wie nah Seto und ich uns stehen. Aber ich habe nicht gemerkt, wie fertig er irgendwann mal gewesen ist und sogar versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Wie... wie konnte mir das nur entgangen sein? Was für ein Bruder bin ich nur, der ständig erwartet, dass sein großer Bruder alles schafft und für ihn stark ist und alles schon irgendwie geregelt bekommt? Und wie konnte mir diese Narbe so lange entgehen?
 

Yugi legt behutsam seinen Arm um mich. Auch Ryou- und Honda-kun rücken näher zu mir und schließen mich in ihre Armen. Auf einmal fühle ich mich gut aufgehoben, doch dieses Gefühl, als Bruder versagt zu haben, will nicht weggehen. Yugi redet beruhigend auf mich ein. Honda-kun streicht mir über den Kopf. Otogi-kun's Hand liegt auf meiner Schulter und Ryou-kun lässt seine Hand über meinen Rücken gleiten. Ich bin nicht allein! Die vier sind großartige Freunde, die auch für Seto großartige Freunde sein können, wenn er sie lassen würde. Das sie ihn nicht brüskieren, haben sie doch gerade heute Morgen bewiesen, in dem sie so taten, als hätten sie seine Panikattacke in der Nacht nicht mitbekommen.
 

Ich schau zu ihnen auf und erzähl ihnen, was mir auf dem Herzen liegt. Ich erzähle, wie ich am Morgen zu Seto und Jou-kun ins Zimmer bin, von dem Gespräch, wie ich diese Narbe am Handgelenk meines Bruders entdeckt habe und welche Gedanken mir seit dem durch den Kopf schwirren. Und auch, dass ich es für einen Fehler halte, dass ich das alles jetzt erzähle, denn Seto wird sich davon brüskiert fühlen. Er kann gar nicht anders! Jedenfalls im Moment noch!
 

Yugi drückt mich fest an sich und meint, dass all meine Gedanken, dass ich ein schlechter Bruder sei oder Seto gerade verraten habe, Unsinn sind. Auch wenn Seto in der Vergangenheit sie immer auf Abstand gehalten hat, sehen sie in ihm längst einen Freund... genauso, wie sie in mir einen festen Bestandteil ihrer Gruppe sehen. Und in so einer Freundschaft, die einer Familie gleicht, braucht einem nichts peinlich sein. Braucht man keine Angst haben. Ist man nicht allein mit seinen Gedanken oder Probleme.
 

Otogi-kun meint, dass es ihn doch sehr überrascht zu erfahren, dass mein Bruder irgendwann mal an so einem Punkt gewesen sein will, dass er keinen anderen Weg mehr gesehen hat. Ich schau betrübt vor mich. Ich kann - will - ihnen jetzt nicht ALLES eröffnen und erzählen. Das würde in diesem Moment dann doch etwas weit gehen. Doch bevor ich etwas dazu sagen kann hör ich Bakura-kun, der sonst immer so ruhig ist.
 

Ihn überrascht es nicht! Alle blicken zu dem Weißhaarigen. Sein sonst so zaghaftes Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden und seine dunklen Augen haben eine gewisse Traurigkeit in sich. Von ihm kommt, dass in unserer heutigen Zeit der Schein selten mit dem Sein übereinstimmt. Gerade bei meinem Bruder würden sie das doch sehr deutlich spüren! Wie er will und nicht kann. Das der sonst so kontrollierte, distanzierte Kaiba Seto scheinbar nachts mit Albträumen kämpft. So wie mein Bruder schreien würde, glaube er nicht, dass es 'harmlose' Albträume wären. Das müssen schon welche sein, denen eine schwere seelische Verletzung zugrunde liegen müsste. Solche Verletzungen kommen nicht von ungefähr und was auch immer sie verursacht hat, könnte ihn zu irgendeinem Zeitpunkt an die Grenze des Erträglichen geführt haben.
 

Nicht nur ich bin baff... So viel am Stück hat Bakura-kun selten von sich gegeben, schon gar nicht in dieser Tiefgründigkeit. Aber er hat recht... irgendwo... irgendwie... Ich weiß doch selbst am besten, was Seto schon alles durchgemacht hat. Auch wenn ich ihm nie gesagt habe, was ich alles weiß... weil ich nicht wollte, dass er das Gefühl hat sein Gesicht vor mir zu verlieren!
 

Ich blicke in die Runde und frag, was ich tun soll. Soll ich das Gespräch suchen und auf Seto zugehen? Yugi schüttelt nur den Kopf, bevor er meint, dass Seto mir davon sicherlich längst erzählt hätte, wenn er dafür bereit gewesen wäre. Ich solle ihm noch etwas Zeit geben und abwarten, denn jetzt, wo er sich bewusst ist, dass ich die Narbe gesehen habe, wird er sich mit der Thematik befassen müssen. Und wenn er durch das eigene Aufarbeiten sich endlich bereit fühlt, dann wird er zu mir kommen. Das Gespräch von sich aus mit mir suchen.
 

Unsicher nicke ich Yugi zu und danke ihm für seinen Rat, dem keiner widerspricht. Also geh ich mal davon aus, dass die anderen eine ähnliche Meinung vertreten. Wir reden noch eine Weile miteinander. Über dies und jenes, aber mehr als die Narbe an seinem Handgelenk gebe ich von meinem großen Bruder an diesem Abend nicht Preis. Aber es tut gut mit den anderen reden zu können. Sie nicht länger auszugrenzen.
 

Ich denke, wenn wir aufhören uns hinter Fassaden und Masken zu verstecken und offen mit dem, was uns bewegt umgehen würden, wäre die Welt ein besserer Ort. Vielleicht ist das eine zu naive Sicht der Dinge, aber hey... ich bin auch erst 13! Ich darf naiv sein! Ich darf vertrauen! Denn mein großer Bruder hat alles dran gesetzt, dass mir niemand wehtut, mir nicht meine kindliche Naivität ausprügelt oder das Vertrauen in meine Mitmenschen zerstört, um mich 'stark' zu machen. Er hat mich stets beschützt... vor all dem Grausamen, vor all den Monstren da draußen... und vor allem vor dem einen Monster hier drinnen: Gozaberu!
 

Doch er... er hatte niemanden, der ihn beschützt hat! Wundert es mich da echt, dass er irgendwann mal einen Punkt erreicht hatte, an dem er nicht mehr weiter konnte und alles beenden wollte? Nein! Nie wieder werde ich ihn so eine Last alleine tragen lassen. Ab sofort werde ich bei ihm sein und ihm Kraft geben, auch wenn er es nicht will! Werde ihm zeigen, dass ich ihn auch beschützen kann! Werde ihm zeigen, dass er nicht alleine ist!

Einen Schritt der Reflexion

Ich sitz in einem alten Ohrensessel in meiner Bibliothek. Mein verstauchter Fuß auf einem Hocker vor mir hochgelegt, ein Buch in meinem Schoss. Seit etwas mehr als einer Stunde starr ich auf die gleiche Buchseite. Die Stille wird nur durch das gleichmäßige Ticken der Standuhr unterbrochen. Durch das mir gegenüber liegende Fenster kann ich sehen, wie es nach wie vor schneit und langsam dunkel wird. Katsuya ist in der Küche und wollte Abendessen machen.
 

Mir ist alles irgendwie entglitten! Erst der Kindergarten, der mich schreien gehört hat. Okay, dachte ich mir. Wissen sie es eben. Etwas dagegen tun lag eh nicht in meiner Macht. Ich war auch selbst Schuld, dass es soweit gekommen war. Sonst, wenn der Kindergarten im Haus war, vermied ich es schließlich zu schlafen, vor allem seit sich meine Albträume wieder gehäuft hatten und heftiger geworden waren.
 

Ich hatte mir schon einen Ausweg zu Recht gelegt: Hätten sie mich darauf angesprochen, dann wollte ich mich zurück ziehen und ihnen damit signalisieren, dass es sie absolut nichts anging. Vielleicht hätte es wie weglaufen gewirkt, aber es hätte das Thema gekonnt abgewürgt. Da war ich mir felsensicher.
 

Doch stattdessen haben sie das Thema gar nicht erst angeschnitten! Sie haben sich so verhalten, als hätten sie mein Aufschrecken gar nicht mitbekommen. Stattdessen haben sie versucht mich mit ihrem Smalltalk einzubeziehen. Was heißt versucht, schlussendlich hab ich mich tatsächlich hinreisen lassen und bin in das Gespräch rund um das neu Street Combat voll eingestiegen.
 

Es hatte sich irgendwie befreiend und entspannend angefühlt, aber... jetzt im Nachhinein fühl es sich komisch an. Ich war immer stets bemüht sie auf Abstand zu halten und beim Frühstück war es so anders. Als hätte ich schon immer dazu gehört. All die Unterschiede im Stand, die ich sonst bei solchen Anlässen heraus gearbeitet habe, spielten auf einmal gar keine Rolle mehr. Auch das sie mich in der Nacht schreien gehört haben war völlig unwichtig geworden.
 

Das zweite, was mir an diesem Tag völlig entglitten ist, ist die Wahrung meiner Schande gegenüber meinem kleinen Bruder! Für einen Moment hab ich nicht aufgepasst. Doch dieser Moment hat gereicht, dass er meine Narbe am Handgelenk gesehen hat. Erst als ich den Schock in seinem Blick sah wurde mir bewusst, dass ich mich entblößt hatte. Ich wollte nie, dass Mokuba davon auf diese Art und Weise erfuhr. Eigentlich, hätte er niemals davon erfahren sollen!
 

Als ich seinen Schock in seinen Augen sah fühlte es sich an, als würde mein Herz zerspringen. Ich wollte eigentlich sofort etwas sagen. Doch alles, was ich zu diesem Zeitpunkt gesagt hätte, wäre eine glatte Lüge gewesen und ich wollte meinen kleinen Bruder nicht anlügen! Ihm etwas nicht zu erzählen, damit er sich nicht grämte, war für mich in Ordnung. Aber ihn offen und bewusst anzulügen, um meine eigene Schande kleiner zu machen, als sie ist... das kommt für mich nicht in Frage.
 

Doch anstatt auf mich sauer oder wütend zu sein begegnet mir mein kleiner Bruder mit Liebe und lächelt mich glücklich an. Das hat mich verwirrt. Ich meine, er hat die Narbe gesehen. Weiß was sie zu bedeuten hat. Wieso ist er nicht wütend auf mich, dass ich ihn im Stich lassen wollte? Umgekehrt hätte ich ihn wahrscheinlich angeschrien und Antworten oder Erklärungen gefordert. Doch nicht Mokuba.
 

Aber ganz spurlos ist die Erkenntnis nicht an ihm vorbei gegangen. Seit er die Narbe gesehen hat sucht er mehr meine Nähe. Das war deutlich in den wenigen Stunden heute zu spüren. Auch das kann ich mir nicht erklären, wieso er unbedingt die Nähe von demjenigen sucht, der ihn betrogen hat. Auch hat er immer noch keine Antworten oder Erklärungen gefordert. Sonst ist er immer so wissbegierig und will immer sofort alles im Detail wissen. Warum dieses Mal nicht?
 

Wie hätte ich wohl reagiert, wenn Mokuba Antworten und Erklärungen gefordert hätte? Ich muss in mich hinein horchen, bevor mir klar wird, dass ich ihn wohl einfach hätte stehen lassen. Eine Antwort oder Erklärung wäre ich ihm schuldig geblieben, weil ich keine Kraft gehabt hätte mich einem so offenen Gespräch mit ihm zu stellen. Oder vielleicht, weil ich Angst davor gehabt hätte, dass er mir Vorwürfen und Enttäuschung entgegen bringen würde.
 

Wieder spüre ich dieses Gefühl in mir, als großer Bruder versagt zu haben. Nicht gut genug für meinen kleinen Bruder zu sein, der sich immer auf mich verlassen hat und den ich so sträflich vernachlässige, von mir fern gehalten habe und vor dem ich mein wahres Ich ebenso, wie vor jedem anderen auch, verborgen habe.
 

Auch wenn Mokuba wohl die Weitsicht hatte zu erkennen, dass ich heute Morgen nicht bereit zu diesem Gespräch gewesen bin, kann ich diese Situation nicht einfach so stehen lassen! Ich muss mit ihm reden. Auch wenn ich es selbst eigentlich gar nicht will. Aber ihn ständig wegzustoßen, weil ich nicht will, dass er bestimmte Sachen mitbekommt... das verletzt ihn zu sehr...
 

Das hat mir Katsuya klar gemacht. Nach diesem desaströsen Tag auf dem Teich, der mit einem verstauchten Knöchel und den Verlust meiner Fassade vor meinem Bruder geendet hat. Ich hab zuerst nicht verstanden, warum er mich vor Mokuba so bloß gestellt hat. Doch er hat es mir erklärt und ich verstand, auch wenn ich es anfangs nicht wahrhaben wollte, dass er Recht hatte. Mein kleiner Bruder ist längst kein Kind mehr. Er hat mehr als einmal eine Weitsicht bewiesen, die mich erstaunt hat. Ihn immer wegzuschicken verletzt ihn unsäglich und untermauert nur weiter, was für ein schlechter Bruder ich eigentlich bin. Er will mir helfen... also sollte ich ihn lassen...
 

Aber zuerst muss ich mit ihm über meine Narbe sprechen. Vielleicht... vielleicht will er mir danach ja gar nicht mehr helfen oder zur Seite stehen. Ich hab eine Heidenangst vor diesem Gespräch mit meinem kleinen Bruder... ich will ihn nicht verlieren! Will, dass er mich weiterhin so anschaut, wie bisher... in mir seinen großen Bruder sieht, der stark und mutig und selbstsicher ist...
 

Dumm nur, dass ich so gar nichts mehr davon bin! Das wird spätestens nach dem Jahreswechsel auch beruflich ein Problem werden! Meine Albträume haben mich dermaßen zermürbt, dass von meiner Fassade fast nichts mehr übrig ist. Manchmal, so wie im Gespräch mit Jonouchi-san, schaff ich es noch mein altes Ich herauszukehren. Jedenfalls für einige Minuten. Doch das wird in der Firma oder wenn ich mit Geschäftspartnern zu tun habe nicht ausreichen.
 

Panik macht sich in mir breit. Wenn etwas in der Geschäftswelt tödlich sein kann, dann ist es Schwäche zu zeigen. In diesem Punkt - und mir widerstrebt es das wirklich zu denken - hatte Gozaberu Recht! Das beste Beispiel dafür war die versuchte Übernahme meiner Firma durch Pegasus J. Crawford! Er hat eine Schwäche gewittert und wollte sie ausnutzen. Beinahe wäre es ihm gelungen.
 

Aber derzeit, seit dieser Orkan in meinem Innern um mich fegt, kann jede Kleinigkeit - selbst eine zufällige oder nicht gewollte Berührung - mich völlig aus der Bahn werfen. Ich muss das wieder in den Griff kriegen. Hier zu Hause kann ich solche Reaktionen noch kompensieren beziehungsweise ist es kein Thema, wenn ich mich ihnen ergebe. Aber in der Firma oder bei geschäftlichen Treffen kann ich mir solche unkontrollierten Reaktionen einfach nicht erlauben.
 

Ich spüre eine Präsenz dicht vor mir. Spüre die Wärme auf meinem Knie und an meiner Wange. Als ich aus meinen Gedanken in die Gegenwart zurückkehre kniet Katsuya vor mir und lächelt mich warmherzig an - wie er es immer zu tun pflegt. Bevor es mir richtig bewusst wird, merk ich, wie ich sein Lächeln erwidere. Worüber sein Drache gerade nachgedacht hat, möchte er in einem sanften Tonfall wissen. Und ohne zu zögern offenbar ich ihm meine Gedanken. Nachdem ich fertig bin, bin ich über mich selbst mehr als erschrocken. Hat mich der Blonde in dieser relativen kurzen Zeit wirklich so sehr verändert, dass ich ihm derart blind vertraue?
 

Katsuya reckt sich ein wenig und kommt zu mir hoch, legt seine Lippen auf meine und küsst mich sanft. Es ist wie immer, wenn er mich küsst... dann verschwinden all meine Gedanken, Zweifel, Ängste... dann bleiben nur noch er und ich und diese Gefühle für ihn und von ihm übrig. Das Gefühl, stets mehr von ihm zu wollen. Die Sicherheit und Geborgenheit, die er mir schenkt. Lust und Verlangen, die mich erfüllen, wenn wir uns so nah sind. Und dieses alles überwältigende Gefühl, dass als Basis für all das und noch mehr dient: LIEBE!
 

Unser Kuss endet nur langsam und geht zwei, drei Mal in die Verlängerung, bevor wir uns wirklich von einander lösen können. Irgendwann während dem Kuss muss Katsuya aufgestanden sein und sich über mich gekniet haben, so dass er wieder auf meinem Schoss sitzt. Seine Hände liegen in meinem Nacken, während meine auf seiner Hüfte ruhen. Ich schau ihm in seine goldglänzenden, honigbraunen Augen. In ihnen spiegelt sich das, was ich zu fühlen glaube. Und dann... ohne dass ich es wirklich steuern kann... sag ich diese drei berühmten Wörter, von denen ich immer dachte, sie seien viel zu kitschig und klischeebehaftet, als dass ich sie jemals selbst aussprechen würde:
 

Ich liebe dich!

Einen Schritt der Annäherung

Ich frag meinen Drachen noch einmal, ob er wirklich für dieses Gespräch schon bereit ist. Er lächelt mich an und meint, solange ich bei ihm bin, ist er für alles bereit! Sanft lächel ich zurück und leg meine Hand an seine Wange. Was für eine Wandlung!
 

Noch vor wenigen Wochen hätte ich nie im Leben geglaubt, dass Seto mich so nah an sich heran und in sein Leben lassen würde, hat er mich doch gänzlich ignoriert. Jetzt bin ich nicht nur Teil seines Lebens, sondern er vertraut mir scheinbar auch bedingungslos. Akzeptiert, dass er nicht alles alleine stemmen kann und muss, lässt sich bei mir fallen und vertraut darauf, dass ich ihn auffange, erlaubt sich selbst die gebotene Hilfe und Kraft anzunehmen. Stolz erfüllt mich, wenn ich diese Entwicklung meines Drachens betrachte.
 

Er angelt nach meiner Hand und ich halte sie ihm bereitwillig entgegen. Sanft drück ich seine Hand und streich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Dann humpelt er los, ich geh neben ihm. Sich von mir stützen zu lassen möchte er nicht. Die Verstauchung wäre nicht mehr so schlimm, meinte er nur. Okay, ich akzeptiere das. Falls er strauchelt bin ich da und werde ihn auffangen. Er weiß das! Schließlich erreichen wir das Wohnzimmer, in dem Mokuba sitzt und gerade auf einer Konsole das neue Final Fantastica XXVII zockt. Er lächelt uns an, als wir zur Couchgarnitur kommen, konzentriert sich dann aber wieder auf das Geschehen des Rollenspiels.
 

Langsam löst sich Seto von mir, setzt sich dann neben seinen Bruder und legt einen Arm um ihn. Ich setzte mich in einen Sessel etwas abseits. Für einen Moment schauen wir Mokuba einfach zu, wie er mit seiner Figur einen fies dreinschauenden Gegner vermöbelt. Als dieser endlich zu Boden geht und Beute fallen lässt pausiert Mokuba das Spiel und blickt zu seinem großen Bruder auf. Dieser versucht seinen kleinen Bruder zaghaft anzulächeln, aber so recht will ihm das nicht gelingen.
 

Mein Drache ist nervös. Das seh ich ihm an. Da muss ich gar nicht erst neben ihm sitzen und spüren, wie er sich an- und verspannt. Er zieht seinen Arm von Mokuba ab und noch ehe jemand ein Wort sagen kann beginnt er seine linke Armschiene abzunehmen. Als sie ab ist schiebt er den Pullover zurück, so dass seine Narbe frei und gut sichtbar daliegt. Mokuba's Augen werden größer und blicken seinen Bruder überrascht an. Dieser muss schlucken. Sein Blick haftet an der Narbe und wie so oft, wenn er sie sieht, kann er nicht anders als mit seinem rechten Daumen drüber zu fahren. Vorsichtig legt Mokuba seine Hand auf Seto's rechte Hand und hindert ihn daran, weiter über die Narbe zu fahren.
 

Nur zögerlich hebt Seto seinen Blick und schaut seinen Bruder ernst an. Nun ja, es könnte ernst wirken... aber ich weiß es besser. Was sich in seinen Augen wirklich widerspiegelt ist Angst. Angst davor, wie Mokuba reagieren wird. Angst davor, dass sein kleiner Bruder sich von ihm abwenden könnte. Angst davor, sich ein weiteres Mal dieser Erinnerung zu stellen.
 

Fast zeitgleich rufen die beiden Brüder eine Entschuldigung und beugen sich nach vorne. Ihre Köpfe knallen aneinander und beide zucken mit schmerzverzerrter Miene zurück, während jeder seine Stirn reibt. Ich muss mich arg zusammenreißen, um nicht loszulachen. Definitiv Brüder! Die ticken haargenau gleich!
 

Dann will mein Drache von seinem kleinen Bruder wissen, wofür der sich meint entschuldigen zu müssen! Mokuba senkt betroffen den Blick und eine Träne bahnt sich ihren Weg über seine Wange. Er murmelt etwas, das ich kaum verstehe. Irgendwas von 'schlechter Bruder'. Mein Drache schaut ihn nur völlig irritiert und verblüfft an. Wie Mokuba darauf kommt, er sei ein schlechter Bruder, will er schließlich wissen.
 

Nur zögerlich hebt Mokuba seinen Blick, eine weitere Träne löst sich und läuft ihm über das Gesicht. Sanft streicht Seto ihm die Träne weg. Mokuba braucht einen Moment, bis er sich überwinden kann zu antworten. Er schluchzt förmlich los, dass - wenn er ein besserer Bruder wäre - schon viel früher diese Narbe entdeckt oder gar gespürt hätte, dass Seto einmal am Abgrund des Suizids gestanden hätte.
 

Seto ist total überrascht und verblüfft. Er hatte damit gerechnet, dass Mokuba wütend auf ihn sein würde. Ihn mit Vorwürfen bombardieren würde. Sich von ihm abwenden könnte. All das hatte er mir anvertraut. Niemals - nicht einmal - hatte er wirklich in Erwägung gezogen, dass sich sein Bruder wegen seinem Suizidversuch selbst schwere Vorwürfe machen und Schuldgefühle empfinden könnte.
 

Nach einem Augenblick der Schockstarre schlingt mein Drachen seine Arme um seinen kleinen Bruder und drückt ihn fest an sich. Der erwidert augenblicklich die Umarmung und ergeht sich in weiteren Tränen. Nur zu gerne würde ich jetzt zu ihnen rüber gehen und sie umarmen. Aber das ist so ein Bruder-Ding! Da müssen die beiden jetzt alleine durch. Ich bin nur die moralische Unterstützung. Bin gar nicht wirklich da.
 

Mein Drache wispert seinem jüngeren Bruder zu, dass das Schwachsinn ist. Das Mokuba der beste kleine Bruder sei, den es auf der Welt gibt. Mokuba stemmt sich gegen Seto's Brust und blickt mit tränengeschwängerten Augen zu ihm auf. Verzweifelt versucht er seine Argumente zu wiederholen, doch Seto, der seine Hände an Mokuba's Wangen legt, schüttelt nur den Kopf. Dann meint er, dass wenn Mokuba hier gewesen wäre, ihn das sicherlich davor bewahrt hätte, soweit zu gehen.
 

Erschrocken blickt Mokuba ihn an. Was mein Drache damit meint, will der Kleine wissen. Seto's Hände sinken in seinen Schoss, während er seinen Kopf ein wenig hängen lässt und seinen Blick senkt. Schon als er mir davon erzählt hat, konnte er mich dabei nicht anschauen. Hatte mir den Rücken zugewandt. Ich hatte gehofft, dass es bei seinem Bruder anders wäre. Aber zumindest wendet er sich nicht von ihm ab. Kleiner Fortschritt!
 

Die Antwort kommt leise und stockend von meinem Drachen. Erklärt seinem Bruder, dass dieser zu diesem Zeitpunkt im Internat war. Erkenntnis macht sich in Mokuba breit. Jetzt ist er es, der seine Hände an Seto's Wangen legt und sein Gesicht hält. Dann flüstert er etwas: Sein 15. Geburtstag!? Es ist halb eine Aussage, halb eine Frage. Wow... diese Scharfsinnigkeit von dem Kleinen beginnt mir Angst zu machen und mich zu beeindrucken. Seto's Blick schnappt kurz hoch und ihre Blicke begegnen sich, bevor er seicht nickt und wieder zwischen sie beide schaut.
 

Vorsichtig fragt Mokuba, was damals geschehen sei. Seto muss schwer schlucken, bevor er zur Antwort ansetzen kann. Er habe Gozaberu nicht länger ertragen und wäre schwach geworden, meint mein Drache leise. Mir war schon klar, dass er seinem Bruder gegenüber nicht so sehr ins Detail gehen wird, so wie er es mir gegenüber gegangen ist. Wobei er sich auch bei mir noch recht bedeckt gehalten hatte. Er wollte aufgeben und nicht länger kämpfen, führt er weiter leise aus. Doch Isono habe ihn gefunden und gerettet. Erst Isono habe ihm klar gemacht, dass er Mokuba im Stich lassen würde, wenn er diesen Weg wählen würde.
 

Stille breitet sich aus. Noch immer stiert mein Drachen auf ein Stück Couch zwischen sich und Mokuba. Ich seh, wie er mit sich kämpft und versucht seine Tränen zurück zu halten. Er will stark wirken. Das Mokuba durch seine Hände an seinen Wangen spüren kann, dass er in diesem Augenblick mit sich ringt, ist ihm scheinbar nicht bewusst.
 

Gerade als Mokuba etwas sagen möchte, nimmt Seto die Hände seines Bruders und zieht sie von seinem Gesicht. Er hält sie und verbeugt sich gegenüber dem Schwarzhaarigen. Mein Drache entschuldigt sich mit brüchiger Stimme bei Mokuba dafür, so ein schlechter, schwacher, großer Bruder zu sein. Dass er weiß, dass das, was er tat, unverzeihlich ist, er aber trotzdem hofft, dass Mokuba ihn ... weiter kommt Seto nicht. Da springt Mokuba ihm an den Hals, schlingt seine Arme fest um ihn und drückt ihn so fest an sich, dass ich seh, wie meinem Drachen die Luft wegbleibt. Moki schluchzt, dass sein Bruder ein großer Dummkopf wäre, er ihn aber über alles lieben würde. Und jetzt kann Seto seine eigenen Tränen nicht länger zurück halten. Er erwidert die Umarmung mit festem Druck, als würde Mokuba ihm sonst entgleiten, und verbirgt sein Gesicht in der wilden Mähne des Vierzehnjährigen.
 

Ich muss schmunzeln. Es ist alles so verlaufen, wie ich es erwartet habe! Langsam steh ich auf und entferne mich leise aus dem Wohnzimmer.

Einen Schritt an Kaiba Seto heran

Noch etwas schlaftrunken reib ich mir meine Augen, während ich mich ganz langsam bemühe aus dem Bett zu kommen. Diese Betten hier im Kaiba-Anwesend sind einfach super bequem. Nicht das mein Bett daheim bei meinem Großvater unbequem wäre. Aber zwischen meinem Bett und diesem hier liegen Welten. Ich frag mich, was wohl ein Bett, wie dieses hier, kostet. Bestimmt mehr, als wir mit dem Kame Game Shop in einem Monat verdienen können.
 

Nachdem ich im Bad war und ein wenig Mühe hatte meine Frisur so müde wirklich akzeptabel hin zu bekommen, stell ich fest, dass es draußen noch ruhig ist. Ich schau nochmal auf den Wecker auf dem Nachttisch: Es ist kurz nach neun Uhr... viel zu früh für einen Ferientag! Aber mich jetzt nochmal hinlegen, wo ich gerade meine Haare gemacht habe, seh ich auch nicht ein. Dann muss ich später nochmal Hand anlegen.
 

Also schlepp ich mich langsam aus dem Zimmer. Tatsächlich ist es hier noch total ruhig. Sicherlich liegen die anderen noch im Koma, nachdem wir erst gegen drei ins Bett sind. Als ich an Honda-kuns Zimmertür vorbei komme stell ich fest, dass ich mich irre. Durch die Tür hör ich Stöhnen und Keuchen. Ich spüre, wie mein Kopf sofort knallrot wird und ich lege mir peinlich berührt die Hand vor das Gesicht, während ich mich spurte an der Tür vorbei zu kommen und die Privatsphäre meiner Freunde nicht weiter zu verletzen.
 

Nach einigen Metern sind die beiden nicht mehr zu hören. Das Honda- und Otogi-kun ein Paar sind war ja kein Geheimnis, aber das ist das erste Mal, dass ich sie bei sowas gehört habe und mir deutlich bewusst wird, dass so eine Beziehung mehr bedeutet als nur Streicheln und Küssen. Das dazu auch sowas wie Sex gehört! Wer wohl oben und wer unten liegt? Die Röte in meinem Gesicht wird heftiger, das spür ich. Was denk ich da auch für ein Scheiß? Geht mich doch rein gar nichts an. Aber ich krieg einfach dieses Bild von den beiden beim Sex nicht mehr aus dem Kopf und plötzlich spür ich etwas Feuchtes an meiner Oberlippe. Als ich hinlange stell ich fest, dass ich Nasenbluten bekommen habe. Wie peinlich ist das denn jetzt?
 

Ich steig die Treppe nach unten ins Erdgeschoss. Vielleicht ist Ryou ja schon wach. Dann könnte ich mich mit ihm gemütlich in die Küche setzen, mit 'ner schönen heißen Schokolade, gemütlich plaudern und mit ihm gemeinsam warten, dass die anderen 'wach' werden! Das wäre jetzt genau das richtige.
 

Als ich gerade zur Küche will komm ich an der Wohnzimmertür vorbei und höre Moki's Stimme. Der Kleine ist schon wach? Er möchte wissen, was damals geschehen ist. Huh? Ich bleibe stehe und werfe einen kurzen Blick in das Zimmer. Auf der Couch sitzen Mokuba und Kaiba-kun, im Sessel seh ich Jou-kun. Ich zieh mein Kopf zurück und press mich an die Wand. Ich sollte nicht lauschen, aber...
 

Seit Kaiba-kun erlaubt, dass wir hier hin und wieder ein Wochenende mit seinem Bruder verbringen dürfen, hat sich bestätigt, was wir andere schon lange vermutet haben: Sein ganzes Sein und Auftreten ist nichts als eine Maske, mit der er versucht alle auf Abstand zu halten. Seit wir vor einigen Tagen gemeinsam Weihnachten gefeiert haben und wir ihn in Nacht haben schreien hören, kreisen meine Gedanken recht häufig um den Firmenchef. Er muss schreckliches erlebt haben und stand schon am Abgrund, in den er sich stürzen wollte. Seit Mokuba uns das erzählt hat beschäftigt mich die Frage, was ihn dahin getrieben haben könnte. Wenn ich das wissen würde, vielleicht könnten wir ihm dann leichter helfen unsere Freundschaft zu akzeptieren.
 

Ich höre Kaiba-kun's Stimme. Sie klingt merkwürdig brüchig. Das passt so gar nicht zu dem Kaiba Seto, denn wir kennen. Ich hab noch Mühe den 'wahren' Kaiba-kun mit dem bisherigen Bild in Einklang zu bringen. Manchmal denk ich mir, dass das zwei verschiedene Personen sein müssen! Eine dunkle, abweisende, kalte Seite und eine uns allen noch unbekannte Seite, die scheinbar furchtbar verletzt und ängstlich ist. Wie gern würde ich ihm seine Angst wovor auch immer nehmen, damit er sich selbst sein kann, auch wenn wir da sind. Jou-kun scheint aber schon daran zu arbeiten. Immerhin... kommt es immer wieder vor, dass sich Kaiba-kun einbinden lässt. Und dann gibt es wieder Momente, da schreckt er scheinbar vor uns zurück und will sich wieder zurück ziehen.
 

Kaiba-kun meint, er habe Gozaberu nicht länger ertragen und wäre schwach geworden. Gozaberu? Kaiba Gozaberu? Ihr Vater? Wieso spricht Kaiba-kun von seinem Vater in der Art und Weise? In seiner Stimme liegt Hass und Abscheu. Für den eigenen Vater? Was... haben seine Albträume etwa etwas mit dem alten Kaiba zu tun? Kaiba-kun spricht weiter und meint er wollte aufgeben und nicht länger kämpfen. Er ist dabei sehr leise geworden, als schäme er sich dafür. Dann, abschließend, meint er noch, dass Isono ihn gefunden und gerettet habe. Erst Isono habe ihm klar gemacht, dass er Mokuba im Stich lassen würde, wenn er diesen Weg wählen würde.
 

Stille breitet sich aus. Es ist eine enorm unangenehme Stille, die sich entwickelt hat. Plötzlich hör ich Kaiba-kun mit fester Stimme seinen kleinen Bruder um Entschuldigung bitten. Dafür dass er so ein schlechter, schwacher, großer Bruder wäre. Er wüsste, dass er etwas tat, das unverzeihlich wäre, aber er würde hoffen das Mokuba ihm... und dann bricht er ab. Ich hör nur noch, wie Mokuba schluchzt und meint, dass sein Bruder ein großer Dummkopf wäre, den er aber über alles lieben würde. Ein zweites Schluchzen ist zu hören.
 

Weint Kaiba-kun etwa? Und ich... ich steh hier und lausche. Verletze die Privatsphäre des Jungunternehmers auf das unverzeihlichste. Man bin ich doof... ich hätte gleich, nachdem ich erkannt habe, dass diese Situation mich nichts angeht, weitergehen sollen. So wie ich es vorgehabt habe. Doch ich konnte einfach nicht. Ich wollte Kaiba-kun doch nur besser verstehen lernen. Dass dieses Gespräch eine solche Richtung einschlagen und in so einem intimen Moment enden würde... damit hab ich nicht gerechnet.
 

Plötzlich steht Jou-kun vor mir und blickt mich ernst an. Meine Augen werden nur groß und ich spüre, wie die Scham mein Gesicht rötet. Verlegen und schuldig blicke ich zur Seite weg. Der Blonde schließt die Schiebetüren des Wohnzimmers, um die Privatsphäre seines Freundes und dessen kleinen Bruder besser zu schützen. Dann schiebt er mich wortlos in die Küche. Erst nachdem wir in der Küche sind boxt er mir sanft gegen die Schulter, bevor er sich abwendet und einige Tassen aus dem Schrank holt. Was ich alles gehört habe, möchte er wissen. Er holt Milch aus dem Kühlschrank und einen kleinen Topf aus einem anderen Schrank. Er misst einige Tassen Milch ab und füllt sie in den Topf, den er dann auf den Herd stellt. Dann wendet er sich wieder mir zu.
 

Immer noch steh ich belämmert da, wo er mich los gelassen hat und schau verlegen auf den Boden. Ich fang an vor mich hin zu stammeln, bis Jou-kun zu mir rüberkommt und seine Hand auf meine Schulter legt. Langsam schau ich zu ihm auf und bin immer noch mehr als verlegen. Dann kann ich nicht anders, als mich bei ihm zu entschuldigen. Eigentlich... eigentlich wollte ich gar nicht lauschen, aber... irgendwie ist es dann halt doch passiert!
 

Der Blonde lächelt mich an. Es ist nicht das typische Grinsen, das ich sonst von ihm kenne. Es ist wirklich ein Lächeln. Irgendwie wirkt auch Jou-kun anders, seit er mit Kaiba-kun zusammen ist. Der sonst so sorglose Chaot wirkt glücklich. Nicht das er vorher besonders unglücklich gewirkt hatte. Aber seine ganze Ausstrahlung ist anders geworden. Offener, wärmer, verständnisvoller. Das aufbrausende Wesen, dass er sonst in der Schule bei jeder Gelegenheit demonstriert hat, ist in den Hintergrund getreten und ... diese Wandlung ist einfach erstaunlich.
 

Wäre hätte gedacht, dass Jou-kun derart reif werden würde, wenn er sich seinen Traum, mit Kaiba-kun endlich zusammen zu kommen, wirklich erfüllt. Und gleichzeitig irritiert mich das. Honda- und Otogi-kun sind auch zusammengekommen, aber die sind so geblieben, wie sie sind. Die gleichen Chaoten!
 

Auf einmal durchzieht mich so ein Gedanke: Was, wenn Kaiba-kun nicht der einzige ist, der eine Maske trägt? Aber warum sollte Jou-kun eine Maske tragen müssen? Was könnte ihn dazu bringen, auch eine Maske zur Schau zu tragen? Für einen Moment weicht sein Lächeln von ihm, bevor es wieder auf sein Gesicht zurück kehrt. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich die letzte Frage laut gestellt habe.
 

Er geht zurück zum Herd, nimmt die Milch vom Herd, schenkt davon etwas in zwei Tassen, in die er vorhin schon Schokoladenpulver getan hat und rührt um. Mit den Tassen in der einen Hand und der anderen auf meinem Rücken gehen wir zum Frühstückstisch. Wir setzen uns und er stellt mir eine Tasse hin. Dann blickt er mich kurz nachdenklich an und meint, dass nicht jeder die Kraft hat, so offen zu leben, wie ich es tu. Ich werde wieder etwas rot im Gesicht. Jedenfalls klang der Satz nach einem Kompliment. Oder?
 

Ich frage, wie er das meint! Nachdem auch er einen Schluck aus seiner Tasse genommen hat meint er nur, dass es bei den meisten Menschen etwas gibt, wovon sie nicht wollen, dass es andere sehen oder erfahren. Das wäre bei ihm auch nicht anders! Verwirrt blick ich ihn an. Etwas, was andere nicht sehen oder erfahren sollen? Was könnte sowas nur sein? Vielleicht so etwas wie Kaiba-kun's Selbstmordversuch... Meine Augen weiten sich vor Schrecken. Hat Jou-kun etwa auch schon mal...?
 

Scheinbar weiß der Blonde genau, was mir gerade durch den Kopf geschossen ist. Er legt seine Hand auf meine Schulter, lächelt mich beruhigend an und schüttelt mit dem Kopf. Nein, so etwas hätte er nie versucht, beruhigt er mich schließlich auch verbal. Aber es gibt Dinge, die ich nicht über ihn wüsste und die er mir jetzt auch nicht erzählen will. Ich nicke.
 

Worauf er eigentlich hinaus will, ist, dass viele Menschen eine Maske tragen, meint er schließlich zu mir... manche Masken sind leicht und verbergen nur bestimmt, kleine Teile des eigenen Lebens. Andere Masken sind schwer und umfangreich, um möglichst viel zu verbergen. Er würde nur eine Person kennen, von der er mit Sicherheit sagen kann, dass sie keine Maske tragen würde. Meint er... mich? Er nickt nur und lächelt mich wieder an. Das Lächeln steht ihm wirklich gut!
 

Dann wird er wieder etwas ernster und meint zu mir, dass das was ich da gehört habe... ich winke ab. Er muss sich keine Sorgen machen, ich werde davon nichts weitererzählen. Ich bin nur glücklich, dass ich mit meinem Rat an Mokuba nicht ganz so verkehrt gelegen habe. Jou-kun schaut mich überrascht an. Jetzt bin ich es, der lächelt und an seiner Tasse nippt und sich fast im Genuss der Schokolade verliert. Als ich wieder zu dem Blonden aufschau mein ich nur, dass Mokuba uns vor ein paar Tagen von der Narbe erzählt hat. Wieder lächelt Jou-kun mich an und scheint irgendwie erleichtert zu sein.
 

Dann schwingt die Küchentür auf und Mokuba und Kaiba-kun kommen herein. Während Kaiba-kun überrascht stehen bleibt kommt Mokuba zu uns an den Tisch und setzt sich auf seinen Platz und angelt nach Jou-kun's Tasse mit heißer - mittlerwiele nur noch lauwarmer - Schokolade. Jou-kun steht auf und macht die zwei Tassen Schokolade für die beiden fertig. Kaum sind sie fertig nimmt er Kaiba-kun, der immer noch an der Tür steht, an der Hand und zieht ihn mit sich an den Tisch, wo er ihn auf seinen Platz schiebt. Dort stellt er ihm und Mokuba eine Tasse hin, bevor er Kaiba-kun von hinten sanft umarmt. Der sonst so reservierte Jungunternehmer scheint die Zärtlichkeit des Blonden zu genießen. Es ist auch merkwürdig Kaiba-kun so zu sehen. Aber auch ihm steht das ausgesprochen gut. Wieder schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht, während ich versuche mit einem weiteren, tiefen Schluck es zu verbergen.

Einen Schritt gezogen werden

Nein!
 

Ich hatte nichts dagegen, als Mokuba mit dem Kindergarten Weihnachten feiern wollte. Hab mitgezogen und mich beteiligt. Weil ich ihm die Freude nicht verderben wollte. Hatte die anderen ertragen, obwohl es mir nicht gut ging und hab mit ihnen gemeinsam gegessen. Wobei ich es hasse in Gesellschaft so vieler Menschen zu essen! Hab mich beim Beschenken beteiligt. Alles schön und gut. Es war enorm anstrengend, aber Mokuba glücklich zu sehen war es das wert!
 

Auch als mein kleiner Bruder fragte, ob der Kindergarten nicht die letzte Woche in diesem Jahr bleiben dürfte, hab ich nicht nein gesagt. Ich wollte nur, dass mein kleiner Bruder glücklich ist und eine schöne Zeit hat. Das Ende vom Lied war, dass sie mitbekommen haben, dass ich Albträume habe, dass mein Bruder meine Narbe von meinem Suizidversuch entdeckt hat und ich mir den Fuß verstaucht habe.
 

Als mich Mokuba fragte, ob es in Ordnung wäre, mit den anderen hier Silvester zu feiern hab ich auch nichts gegen gesagt! Ich bin davon ausgegangen, dass er mit den anderen zusammen einige der Gesellschaftsspiele spielen würden oder was man sonst so an einem Silvesterabend tut und dann um Mitternacht ein kleines Vermögen in den Himmel pusten würde. Alles kein Problem für mich... solange bis Mokuba sich eben vor mich stellte und mich lieb bat, mit ihm und den anderen den Nachmittag und Abend zu verbringen!
 

Ich hasse Silvester im Allgemeinen. Silvesterparties im Besonderen. Doch wenn ich das so sage, kommen wieder Fragen auf, die ich nicht beantworten kann... nein, nicht beantworten will! Weil ich dazu eine weitere Erinnerung von mir Preis geben müsste, die nur zeigen würde, wie schwach und hilflos ich einmal gewesen bin! Die mit dazu beiträgt, dass ich mich so extrem unwohl fühle, wenn mehrere Menschen um mich herum sind. Weil... NEIN!
 

Ich schlucke schwer und blicke in die grau-blauen Augen meines kleinen Bruders. Er versteht nicht, warum ich nicht kann... nicht will! Um zu verstehen, müsste ich ihm erzählen, wie weit Gozaberu's Grausamkeiten gingen. Das will ich nicht. Nicht nur, weil ich mich dafür schäme... sondern auch, weil es etwas in ihm zerbrechen könnte. Ihm seine kindliche Unschuld nehmen würde!
 

Wenn ich bedenke, wie schuldig und schlecht er sich gefühlt hatte wegen meinem Suizidversuch... was würde er dann erst empfinden, wenn er die ganze Wahrheit wüsste? So etwas kann ich ihm nicht antun! Er hat eine unbeschwerte Jugend verdient! Eine schöne Zeit mit Freunden... mit denen er Silvester feiern kann. Die ihn wegen seiner selbst mögen, nicht wegen unserem Reichtum. Solche Freunde zu finden ist nicht leicht!
 

Aber Mokuba hat sie gefunden. Das ist das einzige, in dem ich mir derzeit wirklich sicher bin. Den Kindergarten interessiert nicht, wie viel Geld wir haben. Möchte aus der Freundschaft kein Kapital schlagen oder einen Vorteil ziehen. Sie sind hier, weil sie ihn mögen und er - irgendwie - ein Teil ihrer Gruppe geworden ist. Wie, ist mir ein völliges Rätsel und lässt mich ein wenig neidisch werden. Ihm fällt es so leicht Kontakte und Freundschaften aufzubauen.
 

Nur langsam wendet sich Mokuba von mir ab und verlässt mit einer gewissen Traurigkeit das Zimmer. Es bricht mir fast das Herz, aber... es ist einfach besser so! Denn aus Erfahrung weiß ich, dass heute eine Reihe unschöner Erinnerungen in mir hochkommen werden. Sie werden an mir zerren und mich niederringen. Wie schon an den letzten zwei Silvester auch. Warum sollte sich das dieses Jahr plötzlich ändern?
 

Dann spür ich, wie sich zwei Arme zwischen meiner Taille und den Armen durchschiebt und sich vor meinem Bauch kreuzen. Mich an ihn... an Katsuya ziehen, der seinen Kopf auf meine Schulter legt und mich sanft anlächelt. Katsuya! Ich möchte, dass auch er einen schönen Tag mit seinen Freunden hat. Aber ihn dazu zu bringen, mich alleine zu lassen wird schwer werden. In den letzten Wochen ist er selten von meiner Seite gewichen. Und ich hätte es auch nicht anders gewollt. Er ließ mich nur alleine, wenn er arbeiten musste. Dass er seit Weihnachten frei hat, wundert mich ohnehin! Aber er meinte nur, dass in der letzten Woche im Jahr nicht viel los sei im Conbini, weil viele Arbeitnehmer aus den umliegenden Firmen in Urlaub seien.
 

So gern ich mich dieser Umarmung hingeben möchte, desto mehr drängt es mich, Katsuya jetzt wegzuschicken. Ich löse mich also aus dieser Umarmung, bring einige Schritte zwischen uns, bevor ich ihm sage, dass ich mir wünschen würde, dass er den Tag heute mit seinen Freunden und Mokuba verbringt. Wie erwartet schließt er die paar Schritte wieder zu mir auf und blickt mich forschend an. Er ist gut darin zu erkennen was in mir vorgeht und wie ich mich fühle. Aber gerade jetzt, verfluch ich ihn dafür. Daher versuche ich ihn mit einem Blick von mir... von meinem Inneren fern zu halten. Er weiß ohnehin schon so viele schreckliche Details aus meinem Leben.
 

Es ist nicht so, dass ich ihm nicht vertraue. Ich glaube sogar, dass es niemanden sonst auf dieser Welt gibt, dem ich in Bezug auf mich, meine Gefühle und Vergangenheit so sehr vertraue, wie dem Blonden. Aber... diese Erinnerungen... sind anders! Sie suchen mich nicht in der Nacht im Traum heim, wenn ich schlafe. Diese werden trotz meines Wachzustandes in mir hochkommen. Egal, was ich versuche, sie werden mich wieder zu einem vierzehnjährigen Jungen werden lassen und mich erneut erleben lassen, was vor vier Jahren geschehen ist. Schon allein, dass ich das weiß, macht mir eine Heidenangst und macht es mir extrem schwer mich zusammenzureißen.
 

Sanft legt Katsuya eine Hand auf meine Wange, doch ich weiche zurück. Zum ersten Mal, seit er bei mir ist, weiche ich vor seiner Berührung bewusst zurück. Das muss ihn sicherlich verletzten. Doch er schaut mich nur mit diesem verdammten Verständnis in den Augen an, die immer noch forschen und versuchen herauszufinden, was mich treibt. Er angelt nach meinen Händen, doch auch diese entziehe ich ihm. Wenn ich ihn in irgendeine Weise jetzt nah an mich ran lasse, dann kann ich ihn nicht fortschicken. Dann... dann wird er erleben, wie mich diese Erinnerung übermannt und... und...
 

Wie gern würd ich mich jetzt einfach fallen lassen. Meinen Kopf auf seine Schulter legen, ihn fest in meine Arme schließen und ihm einfach davon erzählen. Doch ich spüre, wie mein gesamtes Inneres sich gegen diese Vorstellung, es zu erzählen, sträubt. Da ist auch wieder dieses flaue Gefühl in meinem Magen, wie am Weihnachtstag. Ich spüre, wie in mir Galle aufsteigt. Doch erst muss ich Katsuya überzeugen, mich alleine zu lassen!
 

Doch er schüttelt nur den Kopf! Er lässt seinen Drachen nicht alleine, wenn dieser ihn am dringendsten braucht! Verdammt! VERDAMMT! Wieso... wieso kann er mich nur so gut lesen? Ich hab mir immer etwas darauf eingebildet, andere täuschen und fernhalten zu können. Hab immer ein gutes Pokerface besessen, aber... Katsuya... er kann das alles einfach so durchschauen.
 

Er legt beide Hände an mein Gesicht und zieht mich ein wenig zu sich, bevor er ganz vorsichtig seine Lippen auf meine legt. Es ist nur ein kurzer, oberflächlicher Kuss, doch er reicht, um meine Entschlossenheit völlig wegzufegen. Noch ehe ich drüber nachdenken kann schling ich meine Arme um ihn und lege meinen Kopf auf seine Schulter. In diesem Moment brechen die ersten Tränen durch meine geschlossenen Lider und ich spüre, wie ich am ganzen Körper zittere. Katsuya schließt mich in seine Arme und hält mich fest an sich gedrückt.
 

Ich brauch eine Weile, bis ich mich gefangen habe, obwohl mein Inneres immer noch von Anspannung und Unruhe gebeutelt wird. Als wir uns voneinander lösen fragt mich Katsuya, was seinen Drachen heute nur so quält und mir das Gefühl geben würde, mich isolieren zu müssen. Seine Augen glänzen im Licht der Sonne, die gerade durch einen Spalt der Wolkendecke brechen konnte. Sein sanftes, aber sorgenvolles Lächeln lockt mich und will mich davon überzeugen, mich ihm zu offenbaren. Doch ich... schaff es mit blanker Mühe und Not den Kopf zu schütteln. Nicht heute. Nicht diese Erinnerung! Ich wiederhole meine Bitte mit brüchiger Stimme, dass er sich einen schönen Tag mit seinen Freunden und Mokuba machen soll.
 

Er erwidert nur, dass ein Tag ohne mich an seiner Seite nicht schön sein könnte, egal wie viele seiner Freunde um ihn wären. Wieder legt er mir sanft eine Hand auf die Wange, während die andere nach meiner eigenen Hand angelt. Immer noch lächelt er mich auf diese besondere Art und Weise an. Dann hör ich, wie er mir sanft zuflüstert, ich solle mich nicht meinen Dämonen ergeben. Sie nicht mein Leben bestimmen lassen. Er steht an meiner Seite und wird mich niemals alleine lassen.
 

Dann schlägt er vor, doch mit runter zu Mokuba und den anderen zu kommen. Mich ein wenig ablenken lassen. Sollte es drohen mich zu übermannen würde er sich mit mir zurück ziehen. Meine Dämonen bekämpfen und sobald wir sie dann geschlagen haben, könnten wir wieder zu den anderen zurück gehen und mit ihnen ins neue Jahr feiern. Ich bin innerlich völlig zerrissen. Doch schließlich nicke ich nur stumme, während er mich nun mit Stolz anlächelt und sich zu mir streckt, um mich dieses Mal richtig zu küssen. So ein Kuss, der sonst alles andere außer uns wegstreicht. Doch heute... heute gelingt es dem Kuss nicht, den aus dem Schatten drohenden Schrecken zu verdrängen.
 

Aber... vielleicht kann ich mit Katsuya's Hilfe diesen Dämonen ja doch endlich den Kampf ansagen!?

Einen Schritt in die Hölle

Mein Drache gibt sein Bestes! Aber der Tag heute scheint ihn besonders zu beuteln. Ich weiß nicht warum. Er möchte es mir nicht erzählen. Dabei hat er mir doch schon so viel anvertraut. Was ist an dem, was ihn heute quält, so anders? Warum wollte er sich heute isolieren und alleine sein? Das erste Mal, seit ich an seiner Seite bin, wollte er, dass ich ihn alleine lasse! Was... was könnte so schrecklich sein, dass er es selbst mir nicht offenbaren will?
 

Nur mit Ausdauer konnte ich ihn überzeugen doch mit runter zu kommen ins Wohnzimmer und zumindest zu versuchen mit Mokuba, mir und den anderen den Jahreswechsel zu feiern. Moki hat sich sehr gefreut, als wir gemeinsam ins Wohnzimmer kamen. Er wollte seinem großen Bruder schon um den Hals fallen, doch dieser hat ihm stumm signalisiert, dass das jetzt keine gute Idee wäre. Der Kleine hat das sofort verstanden und sah von seinem Vorhaben ab. Begnügte sich damit meinen Drachen einfach nur glücklich anzugrinsen.
 

Der presste den gesamten Nachmittag die Zähne zusammen. Nicht im übertragenen Sinne. Ich hab ihn wirklich einige Male mit den Zähnen knirschen hören. Die ganze Zeit die Arme vor der Brust verschränkt. Wie ein Schutzschild! So sehr in der Defensive hab ich ihn noch nie gesehen. In mir regt sich langsam Zweifel, dass es wirklich eine gute Idee war, ihn zu überreden das alles mitzumachen.
 

Mit jeder Stunde, die vergeht, wird er weißer im Gesicht. Er versucht es mit seiner typischen Kaiba-Maske zu überdecken, doch auch wenn meine Freunde ihn im Glauben lassen, dass ihm das gelingt... sie merken, das etwas nicht stimmt! Sie bemühen sich unauffällig Rücksicht auf ihn zu nehmen. Ihm nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken. Scheinbar haben sie es längst gecheckt, dass Seto ein Problem mit körperlicher Nähe hat.
 

Es ist schon dunkel, als Honda vorschlägt, dass wir doch einen typischen Silvester-Film schauen könnten. Alle sind begeistert. Es wird Popcorn vorbereitet, Chips und Flips ran geholt. Die Sessel etwas gerückt. Dann ruft einer, dass mal irgendwer das Licht ausmachen soll für das Kino-Flair. Ich kann spüren, wie sich Seto nur bei diesem Satz anspannt. Da steh ich auf und zieh Seto mit mir hoch. Er scheint überrascht zu sein. Ich mein zu den anderen nur, dass wir den Film aussetzen werden. Ich grinse in die Runde und ohne weiter nachzuhaken wird unser Rückzug akzeptiert.
 

Als wir in Seto's Schlafzimmer ankommen geht er an eines der Zimmerfenster und blickt hinaus in die Dunkelheit und dem Schneefall. Noch immer hör ich, wie er mit den Zähnen knirscht. Vorsichtig trete ich hinter ihn und lege ihm eine Hand auf seine Schulter. Er zuckt extrem zusammen, bevor er herum wirbelt. In seinem Blick liegt so ein Schreck... so ein Grauen... So einen Blick kenn ich von ihm nur, wenn er gerade aus einem Albtraum aufgeschreckt ist. Noch einmal möchte ich ihm eine Hand auf die Schulter legen, doch er weicht mit einem Schritt zur Seite aus, bevor er einige weitere Schritte geht.
 

Er fragt mich, ob ich nicht doch lieber den Film mit den anderen schauen möchte. Ich schüttle den Kopf. Irgendwie tritt ein verzweifelter Ausdruck auf sein Gesicht. Was ist denn heute nur mit meinem Drachen los, frag ich ihn. Er hat doch sonst keine solche Scheu vor mir... muss sich für nichts vor mir schämen... kann mir alles anvertrauen. Wieder hör ich das Knirschen seiner Zähne. Aber eine Antwort bekomme ich nicht!
 

Vorsichtig folge ich ihm. Doch ich sehe sofort, wie er versucht zurück zu weichen. Doch hinter ihm ist die Zimmerecke. Er kann nicht weiter zurück. Eine Träne löst sich aus seinen Augen. Ein 'Scheiße' kommt von ihm, während er sich trotzig die Träne wegstreicht. Dann bittet er mich noch mal, ihn endlich alleine zu lassen! Doch wieder verneine ich. Das scheint ihn völlig in Rage zu versetzen und er schreit mich an, dass ich aufhören soll ihm nachzulaufen. Ich hör aus seiner Stimme die pure Verzweiflung.
 

Wieder nähere ich mich einen weiteren Schritt. Es ist wirklich so, wie nach einem Albtraum. Er steht völlig neben sich. Ist in Panik, die sich jetzt langsam nicht mehr zurückhalten oder überspielen lässt. Ich leg ihm eine Hand auf den Oberarm, doch er zuckt nur zusammen, als würde er sich verbrennen. Schlägt meine Hand weg. Wieder eine Träne, die sich aus seinem Auge drängt und ihre Bahn über die Wange zieht.
 

Komm schon, mein Drache... was... was quält dich gerade nur so? Er schiebt sich eine Hand vor die Augen und reibt sich die Stirn in stummer Verzweiflung. Dann hör ich ihn ganz leise nur sagen, dass wenn ich ihn lieben würde, ich ihn jetzt einfach für eine Weile alleine lassen würde. Doch weil ich ihn so sehr liebe kann ich ihm diesen Gefallen nicht tun. Nicht wenn ich spüre, was für ein Schmerz mir da entgegenschlägt. Welche Scham.
 

Er sinkt nur an der Wand langsam zu Boden. Weitere Tränen quellen hervor. Befeuchten sein ganzes Gesicht. Ich knie mich vor ihm. Er hält sich die Handballen vor die Augen, so dass seine Fingerspitzen in seinen Haaransatz rutschen. Noch immer will er seinen Widerstand nicht loslassen. Dann keucht er! Keucht? Tatsächlich. Noch einmal. Ich würde ihn gern in meinen Arm ziehen, doch ich hab das Gefühl, dass Berührungen jetzt genau das falsche sein könnten. Deshalb ruf ich ganz sanft seinen Namen. Er schluchzt. Seine Hände umfassen jetzt seinen ganzen Kopf, so dass sein Gesicht zwischen seinen Unterarmen verborgen liegt.
 

Ganz vorsichtig beweg ich mich so, dass ich in sein Gesichtsfeld rücke. Positionier mich so, dass ich von unten zu ihm hochschauen kann, was gar nicht so leicht ist, so wie mein Drache in sich zusammen gesunken ist. Leise, fast flüsternd, bitte ich ihn, mir zu beschreiben, was er gerade fühlt. Es kostet ihn eine enorme Überwindung um mir die Antwort in einem Wort entgegen zu pressen: Ekel!

Vorsichtig frage ich weiter, wovor er sich ekelt. Seine blauen Augen funkeln aus dem Schatten seiner Arme heraus. Ich sehe, dass er gar nicht im hier und jetzt ist. Hat... hat er einen Wachtraum? Seine Antwort klingt tranceartig: Vor dem, was SIE mit ihm tun!
 

Sie? Das letzte Mal, als er mehrere Personen erwähnte, sprach er von den Big Fives und seinem 'Firmeneinstand'! Mir wird schlagartig bewusst, dass der 'Firmeneinstand' kein Einzelfall gewesen war. So, wie mein Drache sich quält... muss es noch andere 'Erlebnisse' mit den Big Fives gegeben haben. Und ich verwette meine rechte Hand darauf, dass eines dieser 'Erlebnisse' an einem Silvesterabend statt gefunden hatte.
 

Behutsam versuche ich ihn aus seinem Wachtraum zu befreien. Sag ihm, dass wir alleine hier sind. Nur er und ich! Doch er keucht erneut auf. Wieder schluchzt er verzweifelt auf. Ich wiederhole, dass da niemand außer mir und er sei. Niemand tut ihm weh. Keiner berührt ihn. Doch der Wachtraum hält ihn eisern fest.
 

Ich frag ihn besorgt, wer bei ihm sei. Er flüstert nur 'Sie'. Dann wird er panisch. Seine Augen weiten sich. Er will nicht. Will nicht. Wiederholt sich immer wieder. Immer lauter werdend. Bis er schreit. Mittlerweile schlägt er auch abwehrend mit seinen Armen um sich. Ich muss echt aufpassen, dass er mich nicht noch einmal mit einer seiner Fäuste trifft. Auch wenn es mir widerstrebt und mein Gefühl mir sagt, dass ich es nicht tun soll, versuch ich seine Hände zu bändigen.
 

Erst als mein Drache rücklings auf dem Boden liegt gelingt es mir seine Hände neben seinem Kopf festzupinnen, so das ich über ihn gebeugt knie. Er versucht sich ein letztes Mal von meinem Griff zu befreien, doch hat keinen Erfolg. Dann wird er plötzlich ganz ruhig und blickt mich direkt an ohne wirklich hier zu sein. Na los, ich soll mir schon nehmen, was ich will, kommt es leise gepresst von ihm.
 

Geschockt blick ich in die trüben Augen meines Drachens, der immer noch nicht zurück aus seinem Wachtraum ist. Aber seine Worte, so voller Resignation und Abscheu, bringen mein Inneres zum Beben. Ruckartig lass ich seine Hände los, zieh ihn in eine sitzende Position, schlinge meine Arme um ihn und drück ihn fest an mich. Er lässt es widerstandslos geschehen. Jetzt bin ich es, der seine Träne nicht länger zurückhalten kann. Nie... niemals würde ich auch nur irgendetwas tun, was mein Drache nicht wollen würde. Dafür liebe ich ihn viel zu sehr. Und ich werde alles tun, um ihn zu beschützen!
 

Da spür ich, wie Seto ganz langsam seine Arme um mich legt. Erst zaghaft, dann immer fester, bis er sich regelrecht an mich klammert und sich an mich drückt. Spüre, wie er schluckt. Dann löst er sich vorsichtig ein wenig von mir und blickt mich mit wachen Augen an. Endlich... endlich ist mein Drachen wieder bei mir! Er beugt sich vor zu mir und legt seine Lippen auf meine, beginnt einen Kuss und ich erwidere ihn erleichtert.
 

Als der Kuss langsam ausklingt, nehm ich sein Gesicht in meine Hände. Unsicher blickt er mich an. Ganz behutsam frag ich ihn, was damals geschehen ist. Verwirrt blickt er mich an. An Silvester, ergänze ich. Seine Augen werden schreckhaft größer. Ich soll nicht fragen, kommt von ihm ganz leise. Doch ich lass ihn so nicht gehen. Mein Drache muss endlich loslassen und das geht nicht, solange er es in sich hinein frisst. Beschämt schließt er die Augen für einen Moment. Als er sie wieder öffnet fließt eine weitere Träne über seine Wange. Doch weit kommt sie nicht. Ich streich sie ihm weg. Zögerlich, etwas zittrig lehnt er sich schließlich an mich. Ich schließe meine Arme um ihn. Streich ihm sanft über die Arme.
 

Es dauert eine ganze Weile bis er stockend zu erzählen beginnt. Wieder kann er nur erzählen, weil ich hinter ihm sitze. Ihn nicht direkt anschauen kann. Aber er erzählt mir vom Silvester vor vier Jahren und den Grausamkeiten. Dem Horror und nicht enden wollenden Albtraum, den er erlebt hatte. Dieses Mal... sehr detailiert... es geht mir unter die Haut. Treibt mir mehr als einmal die Tränen in die Augen. Lässt mich ihn nur fester an mich drücken. Auch er muss mehrmals neu ansetzen oder einige Minuten pausieren, weil die Erinnerungen so schmerzen, als würden sie gerade frisch entstehen.
 

Dann, am Ende, lehnt er sich völlig erschöpft mit seinem Rücken an meine Brust, lässt seinen Kopf in seinen Nacken und damit auf meine Schulter fallen. Noch immer fließen Tränen... bei ihm... bei mir... ich lege meinen Kopf ganz dicht neben seinen, so dass sich unsere Wangen berühren. Sich unsere Tränen vermischen. So sitzen wir schweigend eine weitere Weile dar.
 

Irgendwann wird die Stille von einem zaghaftem Klopfen durchdrungen. Von Seto kommt ein kraftloses 'Ja', bevor sich die Tür öffnet und Mokuba reinkommt. Er blickt sich kurz suchend um, bevor er uns hinter dem Bett auf dem Boden sitzend entdeckt. Langsam kommt er zu uns und blickt zögerlich zu uns. Dann streckt Seto seine Arme aus, um seinen kleinen Bruder an sich ran zu ziehen und fest zu drücken. Moki hat zwar keinen Plan, was gerade bei seinem Bruder los ist, aber er spürt, wie dringend mein Drachen jetzt seine Nähe braucht. Also drückt er ihn auch eng an sich. Stellt keine Fragen. Ist einfach nur für seinen großen Bruder da.
 

Schließlich lösen wir uns ein wenig von einander. Mokuba kniet vor Seto. Blickt ihn lange und nachdenklich an. Dann lächelt er ihn sanft an und streicht meinem Drachen eine verlorene Träne von der Wange, die sich da wohl festgesetzt hatte. Ob es ihm jetzt ein wenig besser geht, will der Kleine schließlich vorsichtig wissen. Seto nickt und streicht ihm über die Wange.
 

Die anderen wollen gleich mit dem Fondue anfangen, meint Moki ganz ruhig und eher informativ. Seto strafft sich ein wenig und nickt. Überrascht blickt Mokuba zu mir und ich kann die Überraschung nur zurück geben. Mein Drache hätte jetzt Lust auf ein Käsespektakel, kommt es auf einmal von Seto. Moki kann nur nicken und langsam aufstehen. Seto meint, der kleine solle doch schon mal vorgehen und dafür sorgen, dass gleich noch Käse für ihn übrig ist. Moki nickt und verlässt das Zimmer wieder.
 

Seto steht auf und reicht mir seine Hand. Dankbar nehm ich sie an und blick ihn an. Ob er das jetzt wirklich möchte, frag ich ihn etwas besorgt. Doch er lächelt mir nur zu und nickt. Zögerlich frage ich ihn, dass ihm bewusst ist, dass man uns ansieht, dass wir geweint haben! Er zuckt nur mit den Schultern und meint, es wäre doch nur der Kindergarten!
 

Etwas verdutzt schau ich ihn kurz an, bevor sich ein stolzes Lächeln auf mein Gesicht stiehlt und ich ihn erneut noch einmal küssen muss.

Einen Schritt zum besten Silvester

Als ich wieder in die Küche komme blickt mich Yugi besorgt an und kommt zu mir rüber. Er fragt mich, ob alles in Ordnung ist und ich zucke mit den Schultern. Ist denn alles in Ordnung?
 

Seto sah gar nicht gut aus! Aber... er hat mich reinkommen lassen und hat mich nicht weggeschickt. Hat Halt bei mir gesucht. Das wäre vor einigen Tagen noch völlig undenkbar gewesen. Man hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, dass er lange und heftig geweint hat. Dennoch meinte er, er würde gleich runterkommen. Seine Stimme klang heißer und brüchig. Bestimmt vom Schreien und Weinen! So, als hätte er einen Albtraum gehabt. Aber wie sollte er am Tag einen Albtraum haben, wenn er gar nicht geschlafen hat? Was war da oben nur los? Hätte ich - statt mir den Film anzuschauen - mit hoch gehen sollen? Aber ich hatte angenommen, dass sie für sich sein wollen, um... na ja, was man eben so macht, wenn man einen Freund hat.
 

Yugi legt mir sanft eine Hand auf die Schulter und lächelt mich aufmunternd an. Ich kann mich nicht dagegen wehren und lächel zurück. Dann mein ich, dass Seto und Jou-kun gleich kommen wollen. Yugi schaut mich überrascht an und ich lächle etwas breiter. Mir kommen die Worte von Seto wieder in den Sinn: Er hätte jetzt Lust auf ein Käsespektakel. Ich muss kichern!
 

Soll ich die anderen darauf vorbereiten, dass er recht mitgenommen wirkt? Aber andererseits wussten sie bislang immer, wann sie sich etwas zurück nehmen mussten und so tun sollten, als würden sie nichts bemerken. Also verwerfe ich den Gedanken und vertraue ihnen. Dann helf ich Yugi und den anderen bei den Vorbereitungen.
 

Ich bin ganz baff, als Otogi- und Honda-kun den Esstisch zusammenschieben, so dass er kleiner und vor allem Rund wird! Ich wusste gar nicht, dass man das mit unserem Tisch machen kann. Jetzt gibt es kein Kopfende mehr. Alle haben die gleiche Entfernung zur Mitte, wo Bakura-kun das Fondue-Set aufstellt und vorbereitet. Ist das ein Fondue-Set? Es hat um den kleinen Topf, in dem der Käse geschmolzen werden soll, noch eine rundherumlaufende Stein-Grillplatte unter der kleine Pfännchen Platz finden. Es ist ein Kombi-Set, das einem auch erlaubt Raclette zu machen. Otogi- und Honda-kun schaufeln um das Set jede Menge vorbereitete Dinge in Schälen und achten drauf, dass jeder an alles rankommt.
 

Das ist das erste Mal, dass wir richtig Silvester feiern. So mit Freunden, Spielen und Fondue-Raclette. Als Gozaberu noch lebte war er Jahr für Jahr geschäftlich unterwegs. Irgendwann begann er dann auch Seto mitzunehmen, damit er lernen konnte, wie man mit wichtigen Geschäftspartnern umzugehen hatte. Und nach Gozaberu's Tod... Seto hasst Silvester. Ich weiß nicht warum. Aber die letzten beiden Silvester hatte er sich eingesperrt und abgeschottet. Er ließ laute, ohrenbetäubende Musik den ganzen Tag laufen. Heute frag ich mich, ob er damit etwas übertönen wollte?
 

Also hab ich immer mit Isono Silvester verbracht. Er war jedes Jahr für mich da und hat mit mir Filme geschaut oder war unterwegs. Gegen Mitternacht hat er dann einiges an Feuerwerkskörper in die Luft geschossen. Er hat alles versucht meine Traurigkeit wegzuwischen und mich davon abzulenken, dass Seto entweder nicht da war oder sich verbarrikadiert hatte.
 

Letztes Jahr hab ich ihn gefragt, warum Seto mit mir nicht Silvester verbringen möchte. Er hat mich nur betroffen angeschaut und mit den Achseln gezuckt, bevor er mir sagte, dass er es nicht wüsste. Doch es gab scheinbar nichts, was Isono nicht von Seto wusste. Er hatte ja auch von seinem Suizidversuch gewusst... nein, er hatte nicht nur davon gewusst. Nur ihm habe ich zu verdanken, dass mein Bruder es nicht noch einmal versucht hatte.
 

In diesem Moment schwingt die Küchentür auf und Isono kommt in die Küche. Er lächelt und schaut in die Runde. Ich springe freudig zu ihm und kann nicht anders als ihn zu umarmen. Er ist etwas erstaunt darüber, schließt aber schließlich seine Armen um mich. Ich flüstere ihm 'Danke das du Seto gerettet hast' ins Ohr und als wir uns wieder von einander lösen blickt er mich fragend an. Scheinbar wusste er noch nicht, dass Seto sich mir anvertraut hat. Doch er lächelt mich nur wieder an und deutete mit seinem Kopf eine kurze, ergebene Verbeugung an.
 

Dann will er sich abwenden und die Küche verlassen. Ich greif nach seiner Hand, halt ihn damit auf und frage wo er denn hinwill. Von ihm kommt nur, dass ich dieses Jahr scheinbar in guter Gesellschaft bin und er uns nicht stören möchte. Ich schüttle den Kopf, zieh ihn zum Esstisch und deute auf einen Platz. Er braucht einen Moment, bis er begreift, dass ich für ihn einen Platz eingeplant habe. Gerührt blickt er zu mir und lächelt mich wieder an. Dann fragt er die anderen, ob er noch irgendwie zu Hand gehen kann. Sofort wird er von den anderen eingebunden.
 

Ich find es klasse, wie die anderen so gar kein Problem haben jemanden zu akzeptieren und in ihre Gruppe einzubinden. Ich würde jetzt nicht soweit gehen zu sagen, dass Isono fest zur Gruppe gehört, aber die anderen haben kein Problem mit seiner Anwesenheit, oder das er fast zehn Jahre älter ist, als die meisten von ihnen. Genauso wenig, wie sie kein Problem damit haben, dass ich vier Jahre jünger bin. Für sie spielt das Alter absolut keine Rolle. Das ist einfach schön.
 

Die Vorbereitungen neigen sich langsam dem Ende und einige der anderen nehmen schon Platz. Da schwingt die Tür erneut auf und Jou-kun kommt, dicht gefolgt von Seto, in die Küche. Jou-kun grinst über das gesamte Gesicht. Hm... mir fällt jetzt erst auf, dass auch Jou-kun geweint hat. Wieder drängt sich mir die Frage in den Sinn, was dort oben wohl vorgefallen sein mag, dass sogar der Blonde weinen musste.
 

Seto ist blass, wodurch die geröteten Augen noch deutlicher auffallen. Doch außer Isono, der kurz stockt, beide ausgiebig mustert und scheinbar davon überrascht ist, Seto am heutigen Tag zu sehen, geht keiner auf den Zustand der beiden ein. Sie ignorieren gekonnt, die geröteten Augen und die teils brüchigen Stimmen.
 

Dann sehe ich, dass Seto vom Anblick des Tisches überrascht ist. Scheinbar hat auch er nicht gewusst, dass man den Tisch zusammenschieben kann. Aber auch etwas Besorgnis mischt sich in seinen Blick. Dadurch, dass der Tisch jetzt kleiner und rund ist wird jeder ihn leichter anschauen können und alle sitzen sehr viel enger beisammen, als an dem ausgezogenen Tisch.
 

Doch Jou-kun zieht ihn unbeirrt zu seinem Platz und setzt sich auf den Stuhl neben ihn, während ich auf der anderen Seite von Seto Platz nehme. Neben mir auf der anderen Seite sitzt Isono, dann finden sich alle anderen nach und nach ein. Neben Jou-kun setzt sich Honda- und Otogi-kun hin, während neben dem Schwarzhaarigen Ryou-kun und zwischen ihm und Isono Yugi Platz finden.
 

Was dann folgt ist eine Essenschlacht. Es wird gelabbert. Zeugs hin und her gereicht. Gemault, wenn einer sich vorher an der gewünschten Zutat vergreift. Gelacht. Gefrotzelt. Geneckt. Für sie alle ist das scheinbar das normalste der Welt. Aber für Seto und mich ist das das erste und schönste Silvester in dieser Form. Völlig unbeschwert. In netter Gesellschaft. Gemeinsam. Die anderen können gar nicht ahnen, wie schön dieser Tag für mich ist. Wie einzigartig, auch wenn ich hoffe, dass er nicht einzigartig bleiben wird!
 

Mein Blick fällt auf Seto. Er versucht normal zu wirken, beteiligt sich aber nicht wirklich an den Gesprächen. Abgesehen davon, dass er total blass und abgeschlagen wirkt, konzentriert er sich voll und ganz auf sein Raclette-Pfännchen und sein Fondue-Spieß. Als wäre es ein komplizierter Businessdeal mit viel Raffinesse bei dem er nichts falsch machen darf. Doch immer, wenn seiner Hand eine andere - die nicht zu Jou-kun oder mir gehört - zu nahe kommt zuckt er zurück. Das ist extrem ungewöhnlich von meinem Bruder, dass er solche Reaktionen zulässt. Normalerweise unterdrückt er sie immer um jeden Preis. Er lächelt mich an und streicht mir sanft über die Wange, als er meinen Blick bemerkt. So, als wolle er sagen, dass ich mich nicht sorgen brauche. Und alleine diese Geste lässt meine Sorge noch weiter wachsen. Das ist ganz und gar kein typisches Verhalten für meinen Bruder.
 

Jou-kun scheint unseren Blickwechsel zu merken und lächelt mir beruhigend zu, während er seine linke Hand vorsichtig über Seto's rechte schiebt und sanft drüber streicht. Auch ihm lächelt Seto kurz und unverbindlich zu, bevor er sich wieder auf sein Raclette-Pfännchen konzentriert und es erneut befüllt, obwohl er die letzte Portion noch auf seinem Teller liegen hat.
 

Als ich meinen Blick wieder in die Runde richte sehe ich, wie Yugi mir aufmunternd zulächelt, bevor sein Blick kurz zu Seto geht und dann zu Jou-kun. Es ist deutlich erkennbar, dass Yugi Seto ansprechen möchte. Doch der Blonde blickt ihn mahnend an, worauf Yugi seinen Blick erschrocken sofort wieder zu Ryou-kun gleiten lässt, mit dem er sich eben noch angeregt unterhalten hat.
 

Dann spricht Isono Seto leise an. Scheinbar ist auch ihm die Anspannung von Seto nicht entgangen und anders als Yugi lässt er sich von Jou-kun nicht abhalten. Seto blickt überrascht zu unserem Vertrauten auf und lässt sich tatsächlich von ihm in ein seichtes Gespräch verwickeln. Irgendwann steh ich auf und deute Isono an zu Seto aufzurücken, bevor ich neben Yugi Platz nehme. Seto verliert ein wenig von seiner Anspannung und Isono scheint zu gelingen, was weder Jou-kun, noch mir gerade wirklich gelungen ist: Seto etwas abzulenken und ihm die Scheu zu nehmen.
 

Nachdem Isono die Anspannung von Seto genommen hat lässt Jou-kun zu, das auch die anderen Seto wieder in ihre Gespräche einbinden. Tatsächlich wirkt Seto gefaster und wieder gesellschaftsfähiger. So ansatzweise entspannt hab ich Seto noch nie in Gesellschaft erlebt. Ich hoffe nur, dass das keine neue Maske von ihm ist und er innerlich gerade leidet! Der Wunsch, dass diese neue Seite echt an ihm ist, wächst von Minute zu Minute. Denn er wirkt zum ersten Mal seinem Alter entsprechend und nicht wie der eiskalte Geschäftsmann, den er sonst bei solchen Anlässen zum Besten gegeben hat.
 

Ja... das ist das beste Silvester seit ich denken kann!

Einen Schritt ins neue Jahr

Es ist kurz vor Mitternacht. Alle stehen vom Esstisch auf und streben zur Garderobe, um dort in ihre Jacken, Parker und Mäntel zu schlüpfen und sich dann auf der Wohnzimmerterrasse einzufinden. Nur ich und Seto bleiben noch einen Moment länger sitzen. Sanft lege ich ihm meine Hand an die Wange und er blicke überrascht zu mir auf. Zögerlich lächelt er mich an. Ich rutsch näher an ihn ran und zieh seinen Kopf auf meine Schulter.
 

Ich spüre, wie er schluckt. Das gemeinsame Essen hat ihn viel Kraft gekostet, dass sehe ich ihm an. Daher hoff ich ihm mit meiner Nähe etwas Kraft schenken zu können, für den letzten Teil dieser ganz besonderen Nacht. Langsam richtet er sich wieder auf und lächelt mich immer noch an. Er wirkt unendlich müde! Noch immer ist er ganz blass, aber die Augenrötung ist etwas geschwunden.
 

Mein Blick fällt auf seinen Teller, den er mit einer Stoffservierte abgedeckt hat. Als ich die Stoffservierte von seinem Teller ziehe, sehe ich, dass er eigentlich gar nichts gegessen hat. Er senkt fast beschämt den Kopf und seinen Blick und zieht die Servierte wieder über seinen Teller. Er habe einfach keinen Hunger gehabt, meint er leise zu mir. Wieder streich ich ihm sanft über die Wange und mein, dass das doch in Ordnung sei.
 

Ganz behutsam lege ich meine Lippen auf seine und er erwidert hungrig den Kuss. Seine Hand geht an meine Wange und fährt mir dann in mein Haar. Hält mich, als ob er Angst hätte, dass ich einfach so verschwinden könnte. Ich akzeptiere seine Forderung nach mehr Intensität und steigere den Druck. Vorsichtig öffnen sich seine Lippen und unsere Zungen berühren sich erst zaghaft, bevor sie in einen kräftigen Ringkampf gehen.
 

Ich spüre, wie mir heiß wird. Meine Hand hat sich um seinen Rücken gelegt und ihn ein wenig näher an mich herangezogen. Doch ich fürchte, dass das gerade nicht so geschickt von mir war. Hastig bricht mein Drache den Kuss auf einmal ab. Wir beide ringen nach Atem, während er sich ein wenig von mir wegdreht. Seine andere Hand hat sich um die Tischkante gekrallt.
 

Während mein Drachen mit geschocktem Blick auf seinen Teller stiert löse ich ganz vorsichtig seine Hand von der Kante und verschränke meine Finger mit seinen. Jetzt bin ich es, der die Hand an seine Wange legt und mit meiner Stirn sanft seine berührt. Ich kann spüren, wie heftig sein Herz schlägt. Er schluckt. Leise flüstere ich ihm zu, dass nur ich hier bin. Sonst keiner! Ich alleine! Dann lockert sich seine Haltung ein wenig und er blickt mich wieder an. Lächelt zaghaft. Entschuldigt sich für das abrupte Ende unseres Kusses. Ich erwidere sanft sein Lächeln und mein, dass er sich dafür nicht entschuldigen muss.
 

Langsam löse ich mich von ihm. Meine Hand in seinem Rücken hat ihm einen Schrecken versetzt. Ihn in Panik versetzt. Innerlich schüttel ich tadeln den Kopf. Nach dem, was er mir vorhin erzählt hat, hätte ich diesen Kuss erst gar nicht anfangen dürfen. Nicht heute. Doch er war so unwiderstehlich und ich konnte einfach nicht anders.
 

Ich steh auf und zieh ihn zu mir. Lange schaue ich ihm in die Augen, während er zurück blickt. Er sucht etwas! Als er was auch immer nicht finden kann lächelt er glücklich und beruhigt. Ich erwidere sein Lächeln sanft und zieh ihn dann Richtung Küchentür.
 

An der Garderobe reiche ich ihm seinen Mantel, während ich in meinen Parker schlüpfe. Ich halte auf einmal inne. Zögerlich blicke ich zu ihm, umarme ihn fest und bedanke mich bei ihm. Als ich mich langsam von ihm löse, blickt er mich nur fragend an. Ich lächle ihn kess an. Es habe gedauert, aber irgendwann bin auch ich drauf gekommen, dass mein Parker nur von einer Person kommen kann! Immerhin fehlen in der Jacke alle üblichen Labels und ich konnte nirgends in der Stadt oder im Internet auch nur einen Laden finden, der diese Jacke verkauft. Er schmunzelt mich zufrieden an, zieht mir meinen Parker über die Schulter, so dass er richtig sitzt und zupft ihn vorne zurecht. Ich kichere kurz. Das ist das erste Mal, dass Seto eine solche Fürsorge mir gegenüber aufkommen lässt und es offen zeigt. Ganz flüchtig drück ich ihm sanft einen Kuss auf und dann eilen wir durch das Wohnzimmer zur Terrasse, auf der schon die anderen warten.
 

Gerade als wir auf die Terrasse kommen löscht Otogi im Wohnzimmer das Licht. Ich steh hinter Seto, lege meine Arme um ihn und zieh ihn etwas näher an mich. Dann wird auch das Licht auf der Terrasse gelöscht. Ich kann spüren, wie Seto sich anfängt anzuspannen. Ich festige meine Umarmung ein wenig, um ihm zu zeigen, dass ich bei ihm bin und alles gut ist. Er begrüßt die Geste und drückt sich mit seinem Rücken etwas gegen meine Brust. Ich lege meinen Kopf auf seine Schulter.
 

Der Mond scheint voll über uns und spendet wenigstens etwas Licht. Dann kommen Honda und Otogi zu uns. Seto spannt sich noch ein wenig mehr an. Sie wenden sich direkt an meinen Drachen und fragen, ob es okay wäre, wenn Mokuba mit zu den vorbereiteten Flaschen gehen würde, in denen die ersten Raketen schon drin stecken. Seto's Miene regt sich kein Stück, aber ich kann seine Überraschung erahnen. Er nickt schließlich zustimmend und Mokuba jauchzt vor Freude, während er mit den beiden in den frischen Schnee stapft, der hier im Garten bald zwanzig Zentimeter hoch liegt.
 

Otogi blickt auf seine Smartwatch und beginnt dann laut den Countdown runter zu zählen. Anfangs alleine, dann stimmen Honda und Mokuba ein, schließlich auch Yugi, Ryou und ich. Bei 2 zünden Honda und Otogi die ersten Lunten an, die exakt bei 0 aufgebraucht sind und die Raketen starten. Weiter hinten sehen wir das aufsteigende Feuerwerk der Stadt. Alle beginnen sich ein frohes neues Jahr zu wünschen.
 

Doch dann explodieren die ersten Raketen und Seto zuckt heftig zusammen. Ryou zündet einige Böller und mein Drache erschrickt erneut. Isono lässt die Sektflasche, die er mitgebracht hat, ploppen, während weitere Raketen mit lautem Knallen in ein Farbspektakel verwandelt werden, die Kugeln und andere kunstvolle Objekte in den dunklen Nachthimmel zaubern. Die anderen rennen jetzt auch unten im Garten rum und feiern den Jahreswechsel freudig und mit wildem Jauchzen, während Isono Becher verteilt.
 

Immer wieder zuckt Seto zusammen und dann hab ich das Gefühl, dass Seto plötzlich die Luft anhält, während er völlig versteift in meinem Arm steht. Ich schieb mich sanft vor ihn und lege ihm meine Hände an die Wange. Tränen haben sich gelöst und laufen ihm über die Wange. Vorsichtig streich ich sie ihm weg.
 

Auf einmal wendet er sich ruckartig ab und eilt zur Terrassentür. Ich eil ihm nach. Er rennt praktisch weiter durch das dunkle Wohnzimmer, während ich die Tür hinter mir zuziehe. Als ich aus dem Wohnzimmer komme sehe ich ihn gerade am oberen Ende der Treppe in Richtung seines Zimmers verschwinden. Jetzt beginn auch ich zu rennen, doch als ich oben ankomme, verschwindet er gerade in seinem Zimmer.
 

Als ich am Zimmer ankomme und die Tür öffne räumt mein Drachen gerade mit einem Arm die Bilder von der Kommode, bevor er die Topfpflanze daneben umwirft. Ich schließe die Tür hinter mir und mein Drachen schreit voller Frustration und Schmerz. Noch immer dringen von draußen das Knallen der Raketen, Böller und Knallfrösche ins Zimmer. Immer wieder zuckt er zusammen. Er will gerade seinen Frust an der zweiten Zimmerpflanze auslassen, als ich mich vor ihn schiebe und seine Hände bändige. Verzweifelt zerrt er an meinem Griff, doch wie sonst auch, kann er sich daraus nicht befreien. Genauso wenig, wie er sich aus seiner Panik selbst befreien kann, die gerade sein Handeln und Denken kontrolliert.
 

Eine Rakete zischt lautstark am Fenster vorbei, bevor sie mit einem extrem lauten Knall in der Nähe explodiert. Seto schreckt so heftig zusammen, dass er auf die Knie sinkt und sich seine Hände, die ich ihm Schreck freigegeben habe, über seine Ohren schiebt. Er schluchzt laut auf und kann das Zittern nicht länger unterdrücken.

Vorsichtig knie ich mich vor ihn und lege schützend meine Arme um ihn. Er presst sich mit seiner Stirn gegen meine Brust. Immer wieder murmelt mein Drachen etwas, aber ich kann es erst nicht verstehen. Erst nach einigen Wiederholungen kann ich verstehen, dass er immer wieder 'Nein' und 'Aufhören' murmelt. Ich bezweifle, dass er meine Freunde und das rumböllern meint. Es ist ein erneuter Wachtraum erkenne ich schließlich.
 

Das Böllern muss in ihm eine erneute Erinnerung von diesem schrecklichen Tag ausgelöst haben, von dem er mir vor Stunden erzählt hat. Ich zieh ihn weiter an mich heran und er presst sich schutzsuchend an mich. Doch immer wieder, wenn draußen Raketen im Nachthimmel explodieren zuckt er weiter zusammen. Ich blick kurz hinter mich zum Bett und beginne die große Tagesdecke runterzuziehen. Vorsichtig zieh ich sie über unsere Köpfe. Sie dämpft die Laute etwas. Vielleicht genug, damit Seto sich beruhigen kann.
 

Es dauert über eine Stunde, bis er sich beruhigt hat und völlig ermattet an meiner Brust gelehnt kauert, die Beine eng an seine Brust gezogen, ein Arm eng um sich geschlungen, während der andere sich mit der Hand in mein Oberteil krallt. Schließlich hör ich ihn ganz leise 'Entschuldige' flüstern. Er bedaure, dass er mir diesen speziellen Tag vermiest hätte! Sanft kraule ich ihm den Nacken und Haaransatz und sag ihm, dass es nichts gibt, wofür ER sich entschuldigen müsste. Wenn, dann muss ich mich bei ihm entschuldigen.
 

Zögerlich blickt er zu mir auf. Das ist selten, dass er mich nach einem Albtraum - und nichts anderes waren diese Wachträume - dieses Ausmaßes direkt anblickt. Sanft lächle ich ihn an und streich ihm mit der zweiten Hand über die Wange, bevor sie sich auf seine Hand legt, die sich noch immer an meine Brust krallt. Ich müsse mich für nichts entschuldigen, meint er leise - mehr ist von seiner Stimme nicht mehr übrig. Wie sehr ihm dieser Tag an die Nieren geht hätte ich nicht wissen können!
 

Ich platziere einen Kuss auf seine Wange. Dann frage ich so behutsam es geht, was für eine Erinnerung durch das Böllern in ihm hochgekommen ist. Er senkt sofort seinen Blick und richtet ihn auf die Knie. Er windet sich regelrecht in meinem Arm. Komm schon, mein Drache! Es ist eine Erinnerung, wie jede andere auch, die er mit mir geteilt hat. Da gibt es nichts, was sie von den anderen unterscheidet und dazu führt, dass er sich dafür schämen müsste.
 

Er fängt wieder an zu zittern. Ich festige meine Umarmung. Ich sag ihm, dass er mir nicht davon erzählen braucht, wenn er es gar nicht will! Aber er soll bedenken, wie frei und leicht er sich vorhin gefühlt habe, nachdem er mir von der Silvesterparty von vor vier Jahren erzählt hat. Ich höre, wie er wieder mit den Zähnen knirscht.
 

Dann springt er auf, streift die Decke von uns und stürzt ins Badezimmer. Dort erbricht er Magensäure und Galle. Nachdem ich ihm gefolgt bin knie ich mich vorsichtig neben ihn, lege wieder beruhigend meine Hand auf seinen Rücken, während ich ihm sein langes Pony etwas aus dem Gesicht hebe. Dicke Tränen kullern ihm wieder aus den Augen. Dann beruhigt er sich wieder, zieht die Spülung und lässt sich wieder in meinen Arm fallen.
 

Sanft helf ich ihm beim Aufstehen, führe ihn zum Waschbecken, wo er sich den Mund gründlich ausspült. Ich löse mich kurz von ihm, hol ihm seine Schlafsachen und helf ihm beim umziehen. Er ist völlig erschöpft und am Ende. Mein Drache ist so fertig, dass er nicht mal an seinen Handgelenkschutz denkt. Andererseits ist dieser auch nicht mehr notwendig, weil die Katze aus dem Sack ist und es niemand mehr gibt, vor dem er diese Narbe am Handgelenk noch verbergen muss.
 

Vorsichtig steure ich mit ihm das Bett an und krabbeln mit ihm hinein. Er kuschelt sich eng an mich und in meinen Arm. Dann hör ich ihn mir ein schönes, neues Jahr wünschen! Ich platziere einen Kuss auf seiner Stirn und er brummt kurz. Dann versinkt er im Schlaf.
 

Ich kann noch nicht schlafen. All diese Bilder von meinem Drachen als 14jähriger und die Grausamkeiten, die er mir beschrieben hat. Das beschäftigt mich! Noch lange! So schnell wird mich das nicht mehr loslassen.

Einen Schritt zur Wahrheit

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt, der Verlangen entfacht

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt, um Bedenken auszuräumen

Wir sitzen beim Frühstück zusammen. Der Tisch ist nach wie vor zusammen geschoben. Es ist eine nette, gemütliche Runde. Da mein Drache in den letzten Tagen kaum was runter bekommen hat hab ich ein traditionelles Frühstück zubereitet. Dem kann er irgendwie nicht wiederstehen. Das beruhigt mich ungemein, denn ich hab mir schon Sorgen gemacht. Sein Magen reagiert extrem auf Stress! Das passt auch dazu, was mir Mokuba vor einigen Wochen erzählt hat, als ich ihn nach Seto's Essgewohnheiten gefragt hatte.
 

Im Alltag steht er immer ungemein unter Druck. Druck, weil er in der Öffentlichkeit ein gewisses Image pflegen muss. Druck, weil gerade die Geschäftswelt sehr viel von ihm erwartet. Druck, den er nicht länger schultern werden kann. Seit seine Fassade... seine Mauer, hinter der er all das, womit er sich nicht auseinandersetzen wollte, zusammengebrochen ist, hat er die Fähigkeit verloren Druck stand zu halten. Also... muss ein Teil des Drucks weg! Jedenfalls solange, bis wir die ganzen Probleme angegangen sind und ihm den emotionalen Ballast genommen haben.
 

Meine Freunde unterhalten sich wie gewohnt über dies und jenes. Sie kichern, lachen, binden meinen Drachen immer wieder ein und er lässt es zu. Er scheint heute Morgen wesentlich lockerer und entspannter zu sein, als die vergangenen Tage. Nun ja... kein Wunder. Wenn man weiß, dass man auf so einen emotional-katastrophalen Unfall zusteuert ohne abbremsen oder ausweichen zu können, wird man nun mal extrem angespannt. Doch jetzt... wo der Jahreswechsel vorüber ist... wirkt er wie ausgetauscht!
 

Doch mir entgeht nicht, dass er immer wieder besorgt zu Mokuba rüber schaut. Mokuba, der heute Morgen gar nicht gut ausschaut. Er wirkt auf mich, als sei er unendlich müde oder als hätte er die halbe Nacht geweint! Zudem ist er blass und selbst die Versuche von Yugi ihn einzubinden lässt er eiskalt links liegen und stochert ohne große Lust in seinem Frühstück umher. Selbst seine Haare hängen irgendwie kraftlos runter.
 

Als das Frühstück endet werfe ich Isono einen Blick zu, mit dem ich ihn bitte Seto abzulenken. Er scheint zu verstehen und als alle aufstehen und aus der Küche streben leg ich meine Hand auf Mokuba's Schulter und bitte ihn, mir beim Aufräumen zu helfen. Er nickt müde und ohne Widerstand.
 

Nachdem wir den Tisch abgeräumt haben und ich an der Spüle einige Sachen abwasche frag ich den Kleinen behutsam, was los sei. Er meidet den Blickkontakt, wie es sein großer Bruder tut, wenn er über etwas nicht reden möchte! Liegt wohl in der Familie! Ich geh vor ihm in die Knie und blick ihn von unten herauf an. Lächle ihm ermutigend zu. Da wirft er sich mir plötzlich an den Hals und weint. Ich schließe meine Arme um ihn und tröste ihn. Zwar hab ich keine Ahnung, was den Kleinen so mitnimmt, aber wenn so eine Frohnatur, wie Mokuba, sich plötzlich in Tränen ergießt, muss es etwas gravierendes sein.
 

Einige Minuten später fängt er sich wieder und ich schau ihm fragend in die Augen. Seine großen grau-blauen Augen blicken mich unendlich traurig an. Sanft streich ich ihm die Tränen von der Wange. Frage noch einmal behutsam, was ihm so zu schaffen macht. Doch er schüttelt nur mit dem Kopf und meint, es wär nichts Wildes. Tapfer versucht er mich anzulächeln. Nicht sehr überzeugend! Ich sag ihm, dass ich jederzeit ein offenes Ohr für ihn habe, wenn er reden möchte! Er nickt nur und umarmt mich noch einmal. Fester als sonst. Dann löst er sich von mir und verlässt - recht langsam gehend - die Küche. Ich werde ein Auge auf ihn haben!
 

Am Nachmittag - meine Freunde haben sich langsam mal auf den Heimweg gemacht - sitz ich mit meinem Drachen im Wohnzimmer. Meinen Arm um seine Schulter. Seinen Kopf auf meiner Schulter. Er hat die Augen geschlossen und genießt die Ruhe. Noch immer ist er von den letzten Tagen recht erschöpft und muss erst wieder richtig Energie tanken. Irgendwann murmelt er, er würde sich wünschen, dass dieser Moment nie vergehen würde. Ich schmunzle, denn ich kann sehen, wie seine Wangen sich leicht röten! Scheinbar ist ihm erst im Nachhinein aufgefallen, dass er das laut gesagt hat. Langsam beug ich mich ein wenig zu ihm herunter und küss ihn sanft. Mein Drachen genießt diese Zuwendung und brummt zufrieden.
 

Als unser Kuss endet mein ich nur, dass wir diesen Moment jederzeit wiederholen können. Er blickt zu mir auf. Da liegt etwas in seinem Blick. Ich frag, was los ist. Mein Drachen setzt sich auf und blickt mich dann zögerlich wieder an. Dann meint er leise, dass am Montag die Schule und der Alltag wieder los gehen würden. Ich blinzle ihn nicht ganz verstehend an. Das war uns doch klar, aber was beunruhigt ihn daran? Er wiederholt diese drei Worte, die ich nie erwartet hätte von ihm zu hören: Er liebt mich! Doch hör ich da ein 'aber' heraus?
 

Tatsächlich folgen diesen drei Worten ein 'aber'! Er liebt mich, aber er will mich nicht in den Fokus der Medien rücken. Verwundert blick ich ihn an. Er fährt fort, dass wenn wir uns in der Öffentlichkeit zueinander bekennen würden, sich solche Typen wie der Schmierfink Hayashi auf uns stürzen würden. Die Klatschblätter würden dann auch über mich schreiben, Sachverhalte halbwahr oder völlig an den Haaren herbei gezogen darstellen. Vielleicht sogar Nachforschungen über mich anstellen und Themen in die Zeitung bringen, die ich nicht öffentlich machen möchte.
 

Ich verstehe worauf mein Drache hinaus will. Natürlich wäre ich nicht sehr scharf darauf, dass bekannt werden würde, dass mein Vater ein verurteilter Straftäter ist. Oder warum er zum Mörder geworden ist. Aber es ist mir eigentlich egal, ob sie diese alte Sache wieder ausgraben. Mein Vater hat nur getan, was er für richtig hielt, um mich zu retten, zu schützen und mir ein angstfreies Leben zu ermöglichen!
 

Genauso sag ich das meinem Drachen! Er blickt mich nur geschockt an und fragt, wie mir das egal sein kann? Ich zuck mit den Schultern und lächle ihn sanft an. Es ist eben so! Oder sollen wir in der Schule so tun, als seien wir 'nur' Freunde? Wieder funkelt da etwas in ihm auf. Nur zögerlich meint er, dass das auch für 'Freunde' gilt! Allein dadurch, dass wir mit ihm öffentlich verkehren, könnten wir alle in den Fokus der Medien rutschen.
 

Mein Lächeln wird etwas breiter und ich wiederhole nur, dass es mir egal sei. Er versucht zu kontern, indem er zu bedenken gibt, dass es mir ja vielleicht egal sei, aber den anderen möglicherweise nicht! Doch Seto weiß nicht, dass wir vor einigen Monaten innerhalb der Clique mal genau das besprochen hatten. Als wir überlegt haben, ob wir uns weiterhin um ihn bemühen oder ob es nicht besser wäre meinen Drachen links liegen zu lassen. Schon damals brachte Otogi das Argument, dass wir dadurch in den Fokus der Medien rücken könnten! Und schon damals haben wir für uns geschlossen erkannt, dass es uns egal wäre. Solange die Freundschaft echt und ehrlich ist, könnte uns nichts erschüttern.
 

Seto blickt mich sprachlos an. Dann geb ich zu bedenken, dass auch Otogi in der Businesswelt unterwegs ist. Klar, sein Unternehmen ist längst nicht so groß und bedeutend wie die Kaiba Corp, aber auch er steht teilweise im Interesse der Öffentlichkeit. Mein Freund scheint darüber kurz nachzugrübeln.
 

Vorsichtig rücke ich zu ihm auf und lege sanft meine Hand auf seine. Dann mein ich ganz behutsam, dass ich verstehe, wenn er in der Öffentlichkeit nicht zu mir und unserer Beziehung stehen möchte, weil es möglicherweise Nachteile in der Geschäftswelt nach sich ziehen könnte. Dann hätte ich kein Problem damit 'nur' ein Freund zu sein, wenn wir draußen unterwegs sind. Aber wenn er dazu stehen möchte, stehe ich neben ihm. Seit an Seit!
 

Er blickt mich erstaunt an und dann küsst er mich mit Leidenschaft, so dass ich rücklings auf die Couch falle und er halb über mir liegt. Seine Hände gleiten in mein Haar und mir jagt ein angenehmer Schauer über die Haut.
 

Oh ja, mein Drache ist voller Leidenschaft und Verlangen. So langsam lernt er das auch auszuleben und ich genieße es, wenn er die Initiative ergreift. Stück für Stück werde ich meinen Drachen von all seinen Fesseln befreien und ihm helfen sein wahres Ich leben zu können!
 

Aber jetzt... jetzt versinke ich erst einmal in diesem Kuss!

Einen Schritt zurück zum Alltag

Der Alltag hat uns wieder!
 

Mein Drachen macht sich einfach zu viele Gedanken über alles! So konnte ich ihn einfach nicht überzeugen, dass es mir wirklich egal ist, ob ich in den 'Fokus der Medien' geraten könnte, wie er es so schön ausdrückte. Er ist der Meinung, dass er mich davor beschützen muss und das es dazu notwendig ist uns nach außen platonisch zu geben. Und selbst das will er anfangs nicht zulassen. Würde es nach Seto gehen, würden wir - und damit mein ich nicht nur ihn und mich, sondern auch ihn und die Clique - uns nach außen hin mit dem Status Quo präsentieren.
 

Doch da hat er die Rechnung ohne uns gemacht! In der Mittagspause schieben wir zwei, drei Tische im Klassenzimmer zusammen und setzen uns um ihn herum. Während alle ihre Sandwiches, oder was sie sonst so dabei haben heraus holen, blickt Seto nur verwirrt in die Runde. Natürlich hat er sich nichts mitgenommen. Aber ich bin vorbereitet. Also bekommt er von mir eine Bentō-Box vorgesetzt. Schon in den Ferien hab ich gemerkt, dass er meinem traditionellen Essen nicht widerstehen kann. Entgegen den Wochen vor den Ferien hat er nun auch keinen Grund mehr, diese Geste abzulehnen. Tatsächlich zieht er sie nach einem kurzen Zögern zu sich und öffnet sie. Ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht, als er das Onigiri in Form des Blue Eyes White Dragon sieht. Als ihm seine Regung bewusst wird, versucht er sie wieder zu unterbinden.
 

Als die Pause endet und die ersten Mitschüler zurück in den Klassenraum kommen kann man ihnen die Überraschung darüber, dass der große Kaiba Seto mit uns zu Mittag gegessen hat, deutlich ansehen. Mein Drache schenkt ihnen nur einen seiner berühmten Blicke, damit sie ohne weiteres zu ihren Plätzen gehen und ich muss schmunzeln. Doch ich sah auch seine Unsicherheit. Nur zu gern würde ich ihm in diesem Moment ermutigend über die Wange streichen. Doch das würde er auf gar keinen Fall zulassen. Zum ersten Mal stört mich unsere Vereinbarung, dass wir uns nach außen hin 'nur' als Freunde präsentieren.
 

Nach der Schule begleiten wir Seto zu seinem bereits wartenden Wagen, an dem Isono bereit steht. Scheinbar lässt sich Isono trotz seiner 'Beförderung' nicht nehmen meinen Drachen nachmittags selbst abzuholen. Ich kann nicht sagen wieso, aber es beruhigt mich ein wenig und ich finde diese Geste von dem Älteren sehr schön. Ich grüß ihn wie immer freundlich und deute meinen Freunden mit einem Kopfnicken an, dass sie schon mal vor gehen sollen, während ich noch bei Seto stehen bleib.
 

Ich kann deutlich seine Anspannung spüren. Das ist der erste Tag im Büro seit seine Mauer zusammengebrochen ist. Ja, ich bin besorgt... mehr als besorgt. Dann höre ich seine Stimme. So leise, dass ich für einen Moment glaube, mich geirrt zu haben. Er wünscht, ich könnte mit ihm kommen! Als ich ihm in die Augen sehe, sehe ich, dass er tatsächlich diesen Wunsch hegt. Wieder überkommt mich das Verlangen ihm über die Wange zu streichen, ihn zu küssen oder zumindest seine Hand zu nehmen und als ich letzteres tatsächlich versuche entzieht er mir seine Hand nach einem viel zu kurzen Augenblick und steigt in den Wagen. Ich bitte Isono ein Auge auf ihn zu haben und wenn er merkt, dass es zu viel für Seto wird, soll er ihn ohne wenn und aber nach Hause bringen. Er nickt mir mit einem verständnisvollen Lächeln zu, steigt dann auch ein und fährt weg. Zum zweiten Mal stört mich unsere Vereinbarung!
 

Die Zeit mit den anderen bei Burger World ist heute relativ kurz bemessen. Ich will vor meiner Schicht im Conbini noch fix daheim vorbei gehen, Post aus dem Briefkasten holen und nach dem Rechten in der Wohnung schauen. Doch unser Vermieter fängt mich schon im Eingangsbereich ab. Der eröffnet mir, dass er unsere Wohnung zum Ersten anderweitig weitervermietet hat. Fassungslos schau ich ihn an und frage, wie er dazu kommt. Er meint nur, er hätte seit Wochen weder mich noch meinen Vater gesehen. Er spricht hier von einem Zeitraum, der kaum drei Wochen umfasst! Und schon hat er uns als Mietnomade abgestempelt?
 

Er fährt fort, dass aber die ausstehende Mietschuld ausschlaggebend gewesen wäre! Welche Mietschuld? Ich bezahle die Miete immer pünktlich, genauso wie ich sie heute bezahlen wollte. Er kommt nur wieder damit, dass zum Jahresende die Miete eben früher fällig sei und ich seinen Hinweis ja einfach abgetan habe, als er mich davon unterrichtet hätte. Er habe das noch brauchbare Mobiliar verkauft, um die Schuld zu decken, und den Rest weggeworfen. Dann drückte er mir die Post in die Hand, sowie eine Kiste mit persönlichen Dingen, wie einem Fotoalbum und einige Aufstellbilder, und wirft mich aus dem Haus.
 

Als ich wütend mit der Kiste unterm Arm zum Conbini stapfe wird mir klar, dass der Drecksack mich gerade verarscht hat! Miete wird im Voraus bezahlt. Von Rückstand kann nicht die Rede sein. Wenn er also unsere Möbel verkauft hat um die Miete zu decken, dann müssten wir diesen Monat noch Anspruch drauf haben die Wohnung nutzen zu dürfen. Ich bleib stehen und wende mich in die Richtung, aus der ich gerade gekommen bin. Kurz hadere ich mit mir, ob ich zurück gehen soll. Doch dann setze ich mein Weg zum Conbini fort. Mir ist klar geworden, dass ich ohnehin nichts erreichen würde, außer noch wütender zu werden!
 

Da ich keine Gelegenheit habe meine Wut vor meiner Schicht irgendwie sinnvoll abzubauen verläuft mein Tag im Conbini auch nicht viel besser. Vier Gläser mit Marmelade, Sojasauce und anderem extrem klebrigem Zeug fallen mir runter. So bin ich einen Großteil meiner Schicht mit putzen beschäftigt, als damit Kimochi-san zur Hand zu gehen. Zum Glück gehört der alte Mann zu den Gutmütigen, der weiß, dass ich normal nicht so tollpatschig bin. Also fragte er mich nur besorgt, ob alles in Ordnung sei, bevor er mir zum fünften Mal den Wischmopp in die Hand drückte, weil mir ein Glass eingelegter Fisch heruntergefallen ist. Ich winke nur ab und putz - als letzte Handlung an diesem Tag - die Fischbrühe auf, was dazu führt das ich meine Zeit um eine viertel Stunde überziehe.
 

Als ich mit der Kiste unterm Arm nach meiner Schicht auf die Straße trete wartet Seto schon auf mich. Ein überglückliches Lächeln zeichnet sich auf meinem Gesicht ab. Doch dann bemerke ich, wie abgekämpft und erschöpft er wirkt. Dann fällt sein Blick auf meine Kiste unter dem Arm. Als er fragt, was das zu bedeuten hat winke ich nur ab und stelle die Kiste im Kofferraum ab.
 

Dann steigen wir ein und ich grüße Isono mit einem Lächeln, der den Wagen in Bewegung setzt. Vorsichtig leg ich meinen Arm um die Schultern meines Drachens der erleichtert aufatmet und in meinem Arm regelrecht versinkt, während er sich eng an mich presst. Oh ja, der Tag hat es auch für ihn wirklich in sich gehabt! Vorsichtig beug ich mich zu ihm runter und küsse ihn sanft. Er lehnt sich in den Kuss und scheint diese Zärtlichkeit zu genießen, nachdem wir den ganzen Tag darum bemüht waren, so zu tun als wären wir 'nur' Freunde. Seine Hand legt sich an meine Wange und er intensiviert den Kuss hungrig.
 

Erst als wir uns voneinander lösen fällt uns auf, dass wir längst vor der Villa parken. Isono ist irgendwann offensichtlich ausgestiegen und ist nirgends zu sehen. Seto's Wangen röten sich ein wenig vor Verlegenheit, während ich ihm nur sanft schmunzelnd über die Wange streiche. Dann steigen wir auch aus und gehen ins Haus.
 

An der Garderobe steht meine Kiste. Die habe ich ganz vergessen. Gut, dass Isono immer so aufmerksam ist. Erst als wir unsere Jacken an die Garderobe gehängt haben sehen wir, wie Isono aus dem oberen Stockwerk herunter kommt. Er wollte noch einmal kurz nach Mokuba schauen, doch der schläft bereits. Dann verabschiedet er sich, wünscht uns eine gute Nacht und verschwindet.
 

Sanft zieh ich meinen Drachen in die Küche. Er mault ein wenig, dass er müde sei. Ich bleib stehen, dreh mich zu ihm und frag ihn, was er seit der Mittagspause in der Schule gegessen habe. Er blickt verlegen zur Seite. Eine Antwort bleibt er mir schuldig. Das hab ich mir schon gedacht! Deshalb werde ich uns jetzt noch eine Kleinigkeit machen. Widerstandslos lässt er sich nun in die Küche ziehen und auf einem Hocker am Tresen platzieren. Interessiert schaut er mir zu, wie ich anfang eine Kleinigkeit zu kochen und Bentō-Boxen für den nächsten Tag vorzubereiten. Leise meint er, ich bräuchte mir nicht so viel Mühe machen. Ich lächle ihn sanft an und mein, dass das keine Mühe für mich sei. Seine Wangen färben sich wieder seicht rot und ich kann nicht anders, als breit zu schmunzeln. Ich könnt ihn fressen, wenn er so verlegen wird.
 

Nachdem ich die Bentō-Boxen für Mokuba, Seto und mich vorbereitet und wir gegessen haben gehen wir nach oben. An Mokuba's Zimmer bleiben wir nochmal stehen, öffnen kurz die Tür und blicken hinein. Der Kleine liegt in seinem Bett und schläft. Er wirkt unruhig und getrieben! Schon seit Neujahr stimmt etwas nicht mit ihm. Moki versucht normal zu wirken, doch sein Grinsen wirkt nur aufgesetzt und etwas scheint ihn zu belasten. Aber er will einfach nicht darüber reden. Ich hab es mehrfach versucht. Seinem Bruder geht er meist aus dem Weg. Das verunsichert meinen Drachen ungemein, weil er nicht weiß, was los ist! Ist es eine verspätete Reaktion auf die Erkenntnis, dass sein großer Bruder sich einmal das Leben nehmen wollte? Das kann ich nicht glauben! Immerhin hat Moki sich selbst große Vorwürfe gemacht, dass er nichts davon mitbekommen hatte. Aber was ist dann los?
 

Seto geht zu ihm, platziert ihm noch einmal einen sanften Kuss auf der Stirn, bevor er wieder rauskommt und die Tür leise schließt. Dann gehen wir in sein Zimmer. Immer wieder bemerke ich in Situationen, wie diese, dass es ihm widerstreben in sein Zimmer zu gehen. Nicht mehr so stark, wie noch vor ein paar Wochen, als ich gerade eingezogen war, doch immer noch deutlich spürbar. Doch wenn ich ihn danach frage, winkt er nur ab und meint, er wüsste nicht, was ich meine. Dann machen wir uns Bettfertig und kuscheln noch ein wenig, bevor wir schließlich einschlafen.

Einen Schritt der Zurückweisung

Die Woche neigt sich langsam ihrem Ende zu und ich kann es gar nicht erwarten nach Hause zu kommen. Diese erste Woche war so verdammt anstrengend und ich hatte schon Angst, dass sie gar nicht zu Ende gehen würde!
 

Es war ja echt eine brillante Idee von mir, dass Katsuya und ich in der Öffentlichkeit so tun, als seien wir 'nur' befreundet. Okay, lassen wir den Sarkasmus, dazu bin ich ehrlich gesagt zu müde! Es war eine echt behämmerte Idee und dennoch kann ich einfach nicht aus meiner Haut heraus. Normalerweise haben die Medien an mir kein sonderliches Interesse, außer diversen Fachmagazinen, die mein geschäftliches Geschick als Genialität in den Himmel heben. Dennoch hab ich wahnsinnige Angst davor, dass durch etwas Unbedachtes etwas in den Klatschblättern landet und durch meine Schuld Katsuya bloß gestellt werden könnte!
 

Dennoch haben er und seine Freunde es sich nicht nehmen lassen in der Schule meine Nähe zu suchen und mit mir zu Mittag zu essen. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass es mir gefällt, meine Pausen nicht mehr alleine zu verbringen. Aber es ist ein komisches Gefühl, wenn Außenstehende herein kommen und uns mit so einem merkwürdigen Blick bedenken. Als wollten sie sagen, ich hätte kein Recht auf Gesellschaft. Und vielleicht... haben sie Recht! So wie ich mich in der Vergangenheit dem Kindergarten gegenüber benommen habe ist es für mich immer noch ein Wunder, dass sie den Kontakt zu mir nicht scheuen oder verweigern! Aber... ich habe es akzeptiert, dass sie mit Mokuba... und mir befreundet sein wollen.
 

Vor allem die Bentō-Boxen von Katsuya möcht ich nicht mehr missen. Sein Talent für die japanische Küche ist einfach unglaublich und als ich Dienstag meine geöffnet habe überraschte er mich mit meinem Lieblingsschokoriegel! Ich war ganz baff und hätte Katsuya am liebsten sofort an mich herangezogen und ihm mit einem Kuss gedankt. Aber... Öffentlichkeit und so!
 

Aber schlimmer als in der Schule so zu tun, als wäre ich mit meinem Streuner 'nur' befreundet sind die Nachmittage im Büro, wenn er nicht bei mir sein kann! Allein den Wechsel von der Schuluniform in den Anzug ist eine Qual. Den Anzug anzuziehen fällt mir von Tag zu Tag schwerer. Die Krawatte um meinen Hals fühlt sich an wie eine Schlinge! Ich versuche zu meiner gewohnten Form zurück zu finden. Aber ein Großteil meiner Zeit häng ich meinen Gedanken nach! Wenn ich nicht an Katsuya denke, dann mach ich mir Sorgen um Mokuba.
 

Seit dem Neujahrsmorgen ist Mokuba nicht mehr in der Spur. Mein ansonsten so lebhafter, stets froher Bruder ist wesentlich ruhiger geworden. Manchmal hab ich den Eindruck, dass er weint! Aber wenn ich dann zu ihm gehe und mit ihm reden möchte ergreift er die Flucht! Er... meidet mich! Das schmerz mich ungemein! Vielleicht... überfordert es ihn doch, nun zu wissen, dass ich nicht so stark bin, wie er immer geglaubt hat. Mich an Silvester so schwach zu sehen scheint ihn völlig umgehauen zu haben. Ich hätte ihn wie gewohnt wegschicken sollen! Aber ich wollte Katsuya glauben, dass mein kleiner Bruder stark und reif genug wäre, mich so zu sehen. Und direkt im Anschluss beim Abendessen wirkte Mokuba auch normal und ausgelassen...
 

Das passt alles irgendwo nicht zusammen. Weiter zu grübeln bringt auch nichts, außer, dass meine Gedanken mich völlig kirre machen. Ich muss mit ihm sprechen! Also werde ich ihn heute von der Schule abholen und mit ihm nach Hause fahren. Ich blicke über meine Schulter zu dem Platz hinter mir... da wo Katsuya sitzt. Alles was ich mir wünsche ist, dass er heute nicht arbeiten müsste und mit mir Mokuba abholt. Er hat dieses Talent allein durch seine Anwesenheit alles so klar werden zu lassen und Anspannung aus einer Situation heraus zu nehmen.
 

Dann klingelt es endlich und dieser Schultag ist vorbei. Ich pack meine Sachen zusammen als mein blonder Streuner neben mir zum Stehen kommt. Ich blicke zu ihm auf und er schmunzelt mich über das gesamte Gesicht breit an. Ihn jetzt nicht zu küssen fällt mir unglaublich schwer, vor allem nachdem ich aufgestanden bin und uns nur noch wenige Zentimeter trennen.
 

Im Augenwinkel bemerke ich, wie auch die letzten unserer Kameraden das Klassenzimmer verlassen und wir allein zurück bleiben. Jetzt oder nie! Ich beug mich zu ihm und leg meine Lippen auf seine. Er scheint überrascht, begrüßt den Kuss aber und scheint genauso Bedarf danach zu haben, wie ich. Also stillen wir unser Bedürfnis nacheinander. Dennoch kann ich mich gedanklich nicht völlig hingeben und den Kuss so ausleben, wie ich es jetzt gerne wollen würde. In meinem Hinterstübchen brüllt irgendetwas immer wieder 'Öffentlichkeit'! Also löse ich mich nach viel zu kurzer Zeit wieder von meinem Streuner, der mich glücklich anschaut.
 

Komm, hör ich seine sanfte Stimme plötzlich, als er mir vorschlägt, dass wir gemeinsam Mokuba abholen gehen. Ich bin völlig baff und es ist mir ein absolutes Rätsel, woher er weiß, dass ich das vor habe... ich muss für ihn wirklich ein offenes Buch sein! Ich lächle ihn glücklich an und leg noch einmal flüchtig meine Lippen auf seine, die wieder so extrem süß schmecken, bevor wir dann den Klassenraum und die Schule verlassen.
 

Am Schultor wartet bereits Isono auf uns. Ich teil ihm mit, dass ich heute nicht ins Büro gehen werde. Noch ein Tag im Anzug und ich spring aus dem Fenster, geht es mir durch den Kopf. Obwohl es nicht notwendig ist, frage ich dennoch, ob das okay für Isono ist. Er lächelt mich verständnisvoll an und nickt nur zustimmend. Dann bitte ich ihn uns auf dem Heimweg bei Mokuba's Schule vorbei zu fahren, damit wir ihn auflesen können.
 

Für einen Augenblick blickt mich Isono mit einem Schrecken in den Augen an, bevor er nickt und sich abwenden möchte. Ich greife nach seinem Handgelenk und halt ihn auf. Fragend blick ich ihn an und hake nach, was los ist. Er lächelt nur dünn und schüttelt den Kopf. Es sei nichts, versucht er mich zu beruhigen, aber ich spüre, dass da irgendwas im Busch ist. Dennoch lass ich ihn los und steig dann in den Wagen. Katsuya folgt mir. Er spürt, dass mich Isono's Reaktion verunsichert hat.
 

Wenige Minuten später stehen wir vor Mokuba's Schule und ich steig aus. Ich lehn mich an den Wagen, wie ich es immer abends mache, wenn ich auf meinen Streuner warte. Dann läutet die Schulglocke und nach ein paar Minuten, nachdem mir jede Menge Mittelschüler entgegen gekommen sind, seh ich endlich die schwarze Mähne meines jüngeren Bruders.
 

Sein Blick ist traurig zu Boden gerichtet und er schleicht eher, als dass er - wie sonst - voller Elan aus der Schule ins Wochenende durchstartet. Er ist noch einige Meter von uns entfernt, als er seinen Blick hebt und mich entdeckt. Abrupt bleibt er überrascht stehen. Ist das Überraschung? Ja, aber nicht nur. Da ist noch etwas in seinem Blick. Angst? Wovor hat er Angst?
 

Ich löse mich vom Auto und komm ein paar Schritte auf ihn zu, als er sich wieder in Bewegung setzt. Er senkt seinen Blick wieder und vergräbt seine Hände in den Taschen seiner Schuluniform. Also... keine Umarmung für mich? Ich versuche mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, begrüß ihn freudig und mit einem Lächeln, doch er nickt mir nur zu und gibt ein mürrisches Grunzen von sich. Dann geht er an mir vorbei. Dabei erkenn ich, dass er seine Zähne fest aufeinander presst. Was ist nur mit ihm?
 

Für einen Augenblick sieht es für mich aus, als wolle er um den Wagen herum gehen, um auf den Beifahrersitz einzusteigen. Ich leg ihm meine Hand auf die Schulter und er bleibt stehen. Dann öffne ich die hintere Tür. Er zögert kurz, dann steigt er ein. Drinnen begrüßt ihn Katsuya freudig. Auch dem schenkt er nur ein Brummen. Aber davon lässt sich mein Streuner nicht abhalten. Nachdem ich eingestiegen bin und das Auto sich wieder in Bewegung gesetzt hat fragt der Blonde nach der Schule und wie Moki's Tag gewesen ist. Doch Mokuba bleibt einsilbig. Seine Stimme klingt merkwürdig. Mit jeder Antwort klingt seine Stimme brüchiger, als würde er jeden Moment losweinen wollen.
 

Gerade als der Wagen vor unserem Haus zum Stehen kommt springt Mokuba mit einem Satz auf, verlässt das Auto und rennt zum Haus. Völlig verdutzt blick ich ihm hinterher und weiß nicht, was ich davon halten soll. Was zum Teufel ist nur mit ihm los? Irgendwas bedrückt ihn doch... irgendetwas, worüber er mit mir nicht sprechen will! Aber für mich sieht es aus, als ob was auch immer ihn von Innen heraus zerfrisst.
 

Ich danke Isono fürs Fahren und sein Verständnis, dass ich heute nicht in die Firma gehe, und er nickt mir nur nochmal zu. Wieder bemerke ich, dass da etwas in seinem Blick liegt. Sorge! Sorge um meinen Bruder? Was läuft hier? Was ist an mir vorbei gegangen? Kurz zieh ich in Erwägung Isono zur Rede zu stellen, aber so, wie ich ihn einschätze, würde er mit sowas kontern wie, dass ich Mokuba selbst fragen muss. Also steig ich aus. Katsuya folgt mir.
 

Im Haus find ich Mokuba's Jacke auf dem Boden vor der Garderobe liegend vor. Nachdenklich heb ich sie auf und häng sie an ihren Platz, bevor ich mich meines Mantels entledige. Prüfend blick ich Richtung Wohnzimmer, doch aus ihm kommt mir nur absolute Stille entgegen. Ungewöhnlich! Dann blick ich in den Gang an dessen Ende mein Hausbüro liegt. Doch auch dort kann ich nichts hören. Schließlich richtet sich mein Blick auf die nach oben führende Treppe.
 

Normalerweise sucht Mokuba sein Zimmer nur zum Umziehen oder zum Schlafen gehen auf. Das liegt wohl daran, dass Gozaberu ihn immer auf sein Zimmer beschränkt hatte, wenn er in den Ferien daheim war. Nachdem Gozaberu aus dem Fenster gesprungen war hielt Mokuba tagsüber nichts mehr in seinem Zimmer. Im Gegenteil! Was ist es also, was meinen Bruder nach der Schule direkt in sein Zimmer treibt?
 

Gerade als ich zur Treppe gehen möchte spüre ich Katsuya's Hand auf meinem Arm. Ich schau fragend zu ihm und er lächelt mich milde an. Er schüttelt den Kopf und zieht mich in die Küche. Eigentlich will ich mit Mokuba sprechen, doch der Blonde erklärt mir, dass ich jetzt, so wie Mokuba drauf ist, nicht weiter kommen werde. Mir wird bewusst, dass er recht hat. Aber wie komm ich dann an ihn ran?
 

Katsuya lächelt mich verschwörerisch an, während er einige Zutaten aus dem Kühlschrank und den Schränken holt. Er hat da eine Idee! Okay, dann probieren wir es auf die Art meines Streuners. Schließlich hatte er damit bei mir Erfolg und das will schon was heißen. Also kochen wir gemeinsam etwas zu Mittag. Eines von Mokuba's Lieblingsgerichten: Natto mit Schokoladensauce... ähm... ja! Kein Kommentar! Ihm schmeckt's! Er isst es so am liebsten! Dann soll er es auch genauso bekommen.
 

Eine halbe Stunde später stehen Katsuya und ich vor Mokuba's Zimmertür. Ich trage ein Tablett mit drei Schüsseln, in der sich jeweils eine große Portion der Natto befindet. Katsuya klopft sachte an und fragt durch die Tür nach meinem Bruder. Tatsächlich regt sich im Zimmer etwas. Dann geht zaghaft die Tür auf und er blickt aus großen, verweinten Augen zu dem Blonden auf. Als er mich sieht gleitet sein Blick sofort wieder zu Boden.
 

Katsuya fragt vorsichtig, ob wir reinkommen dürfen und deutet auf das Tablett. Moki tritt beiseite und lässt uns eintreten. Dann geht er zu seinem Bett und setzt sich wieder mittig drauf! Katsuya folgt ihm und setzt sich auf die eine Seite des Bettes. Ich folge zögerlich, stell das Tablett vor Moki ab und setze mich dann auf der anderen Seite auf die Kante.
 

Neugierig greift Mokuba nach einer der Schalen und lüftet den Deckel. Seine Augen weiten sich überrascht und freudig, als er die mit Schokoladensauce getränkten Natto sieht, die bereits saftige Fäden ziehen. Sofort nimmt er seine Stäbchen zur Hand und beginnt die fermentierten Sojabohnen in sich hinein zu schaufeln. Auch Katsuya und ich nehmen unsere Schalen. Wir lehnen an die vorderen Pfosten des Bettes meines Bruders.
 

Dann eröffnet Katsuya das Gespräch mit meinem kleinen Bruder. Was mit ihm los sei, will er ganz behutsam wissen. Mokuba schaut ihn erst überrascht an, bevor sein Blick zu mir geht und dann wieder traurig auf die Tagesdecke geschlagen wird. Okay... ich stell meine Schale ab und rück etwas zu ihm auf. Erschrocken blickt er kurz zu mir auf und stellt seine fast leere Schale auf das Tablett. Dann leg ich meine Hand an seine Wange und heb seinen Blick zu mir. Komm schon Moki... rede mit mir! Warum bist du sauer auf mich?
 

Seine Augen weiten sich noch ein kleines Stück mehr und wieder quellen Tränen hervor. Er sei nicht sauer auf mich, meint er mit tränenerstickender Stimme. Plötzlich wirft er sich an mich, umarmt mich, dass mir fast die Luft wegbleibt und stammelt eine Entschuldigung. Er wollte mir nicht das Gefühl vermitteln, er sei böse auf mich... ich lege meine Arme überrascht um ihn und streich ihm tröstend über den Rücken. Aber was hat mein kleiner Bruder denn dann? Was lastet ihm dann auf der Seele, dass er seit dem Jahreswechsel so geknickt ist?
 

Darauf will er mir nicht antworten. Er weint nur noch bitterlicher, während er sein Gesicht fester gegen meine Brust drückt. Hilfesuchend blick ich zu meinem Streuner. Ich spüre, wie auch mir langsam die Tränen aufsteigen. Mein Bruder leidet. Und ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass es etwas mit mir zu tun hat. Aber wenn er nicht sauer oder böse auf mich ist... was ist es dann? Sanft streich ich Mokuba durch sein wildes Haar.
 

Nach einer kleinen Weile beruhigt sich mein kleiner Wirbelwind und blickt mit den letzten Tränen in den Augen zu mir. Er versucht mich anzulächeln, doch es gelingt ihm nicht wirklich gut. Sanft streich ich ihm die Tränen von der Wange und lächle zurück. Er flüstert regelrecht, dass er mich ganz doll lieb hat, er nicht böse auf mich wäre, aber im Moment einfach mit mir nicht darüber reden kann, was ihn beschäftigt!
 

Ich nicke ihm verständnisvoll zu und sag ihm, dass ich das verstehe, aber sobald er soweit ist, er jederzeit zu mir kommen kann. Er nickt und verspricht es mir. Dann löst er sich von mir und meint, er habe noch Hausaufgaben zu erledigen. Wieder nicke ich und er schnappt sich seinen Rucksack und läuft aus seinem Zimmer heraus.
 

Erst jetzt, wo ich mit Katsuya alleine bin gestatte ich mir auch ein paar Tränen fließen zu lassen. Sanft nimmt mich mein blonder Streuner in die Arme und platziert mir einen Kuss auf die Wange. Das wird schon wieder, flüstert er mir ins Ohr. Ich lächle schwach. Ich kann nur hoffen, dass er damit Recht hat.

Einen Schritt der Erkundung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt zur Flucht

Freitag! Endlich. Auch diese Woche war lang und anstrengend. Ich sehn mich nach dem Ende des Schultages. Nach dem Ende des Theaters, dass Katsuya und ich 'nur' befreundet sind. Ich hätte das nie geglaubt, aber es ist anstrengend seine Gefühle für jemanden, der einem so nahe steht... den man liebt, ständig verstecken zu müssen.
 

Ja, ich weiß! Es war meine verdammte Idee und ich will mich auch gar nicht beklagen. Aber ich hab dieses Schauspiel einfach unterschätzt. Dennoch... ist es einfach notwendig, damit Katsuya nicht der Gefahr ausgesetzt wird in den Fokus der Klatschreporter gerückt zu werden. Ich freu mich darauf, gleich mit ihm in meinen Wagen zu steigen und, durch die blickdichten Fenster geschützt, ihm endlich wieder nah sein zu können.
 

Doch es geht nicht in die Firma. Ich habe meine Arbeitswoche auf vier Tage herunter geschraubt. Es ist nicht so, dass mir meine Firma unwichtig geworden wäre. Aber ich merke, dass ich einfach für mehr keine Energie habe. Ich versuche mich in der Firma wie üblich zu geben, aber von dieser Person - die ich letztes Jahr noch war - ist eigentlich nichts mehr übrig.
 

Gestern stand ich bald eine Stunde in meinem Waschraum vor dem Bügel auf dem mein Anzug hing und ... konnte ihn nicht anziehen. Es ging einfach nicht. Schon allein bei dem Gedanken den Dreiteiler anzuziehen und mir dann die Krawatte zu binden hatte ich das Gefühl, dass sich mir der Hals zuziehen würde. Also hab ich mich in der Schuluniform hinter meinen Schreibtisch gepflanzt. Isono konnte seine Überraschung nicht verbergen, als er mich sah.
 

Ein Großteil meiner täglichen Arbeit nervt mich mittlerweilen. Anfragen für Geschäftstreffen, Telefonate mit Partner, Meetings mit Abteilungsleiter und Angestellte. Diese ganze Interaktionen schlauchen und fressen meine Zeit, die ich dann nicht für das verwenden kann, worauf ich eigentlich wirklich Bock habe: Nämlich die Weiterentwicklung des Duell Disc-Systems!
 

Statt also heute ins Büro zu fahren holen wir Mokuba von seiner Schule ab. Ich bin froh, dass seine Schule erst eine halbe Stunde nach unserer endet. So haben wir genügend Zeit von der Oberschule zur Mittelschule zu kommen und dann dort auf ihn zu warten. Auch wenn er wieder nicht mit mir reden wird!
 

Zwar versucht er sich seit unserem letzten Gesprächsversuch vor zwei Wochen, einigermaßen normal zu geben, indem er mich nicht mehr meidet, mich hin und wieder umarmt, versucht aufgesetzt zu lachen oder viel erzählt, aber er ist nicht sehr geübt darin seine wahren Gefühle zu verbergen.
 

Immer noch belastet ihn etwas. Etwas, was - und da bin ich mir so sicher, wie man sein kann - mit mir zu tun hat. Aber er will einfach nicht mit der Sprache rausrücken und mir sagen was los ist. Was in der Neujahrsnacht passiert ist, was ihn so aus der Bahn geworfen hat. Bislang konnte er mit mir doch über alles sprechen und hat das auch immer getan. Katsuya und ich versuchen ihm Zeit und Raum zu geben... aber... diese Ungewissheit zerrt an mir!
 

Als wir an seiner Schule ankommen steige ich wie immer aus und lehn mich an den Wagen. Es läutet und eine Flut von aufgedrehten Kids kommt aus dem Gebäude geströmt. Ich richte mich auf, doch nirgends seh ich meinen kleinen Bruder. Ungewöhnlich! Sonst ist er immer bei den ersten Schülern mit dabei. Ich geh ein paar Schritte auf das Tor zu und blicke mich unsicher um. Katsuya kommt zu mir und lässt seinen Blick ebenfalls über den Schulhof gleiten.
 

Die Anzahl der Schüler nimmt immer weiter ab, bis nur noch vereinzelte kleinere Grüppchen aus dem Gebäude kommen. Drei von ihnen halten direkt auf uns. Einer von ihnen trägt Mokuba's Rucksack. Zögerlich spricht er mich an, ob ich nicht der Bruder von Mokuba sei? Als ich das bestätige reicht er mir den Rucksack. Mokuba wäre es vorhin nicht gut gegangen und sei ins Krankenzimmer, doch er wäre nicht mehr zurück gekommen. Als sie ihm den Rucksack bringen wollten meinte der Schularzt, dass Mokuba zwar kurz reingeschaut, aber sofort wieder gegangen wäre. Die drei sehen irgendwie belämmert aus.
 

Da fragt Katsuya, was die drei wieder zu Mokuba gesagt hätten. Ich dreh mich überrascht zu dem Blonden um, der aber nur streng zu den drei schaut. Als er meinen Blick bemerkt, meint er nur, dass die drei Mokuba öfters ärgern, hänseln oder auslachen würden. Einer von ihnen schaut beschämt zur Seite. Mein Bruder wird in der Schule gemobbt? Hat er deshalb keine gleichaltrigen Freunde? Warum weiß ich davon nichts? War ich in den letzten zwei Jahren wirklich derartig beschäftigt, dass mir das entgangen ist? In mir regt sich wieder dieses Gefühl, der schlechteste große Bruder der Welt zu sein.
 

Katsuya fordert erneut eine Antwort. Der Rothaarige tritt einen halben Schritt vor und meint nur wütend, dass sie gar nichts getan hätten! Sie hätten im Rahmen des Unterrichts debattieren sollen. Im Laufe dieser Diskussion wäre Mokuba plötzlich aufgesprungen und hätte gemeint, dass es ihm nicht gut ginge. Daraufhin habe die Lehrerin ihn zum Schularzt geschickt. Das sieht meinem kleinen Bruder gar nicht ähnlich!
 

Mein Streuner hakt weiter nach und will wissen, worüber diskutiert worden sei. Nur zögerlich antwortet der Rothaarige daraufhin, dass es darum ging, ob Reichtum ein Garant für Glück sei. Katsuya blickt betroffen zu mir und dann wieder zu den Jungs. Er nickt nur, dankt für die Auskunft und lässt sie ziehen.
 

Ich zieh mein Smartphone und drück die Schnellwahltaste für Mokuba. Fuguta ist mittlerweile auch ausgestiegen und an uns heran getreten. Als die Nummer gewählt ist lande ich direkt auf der Mailbox. Entweder ist Mokuba's Smartphone aus oder er hat mich weggedrückt! Er würde mich nicht einfach wegdrücken! Weiß doch, dass ich mir sofort große Sorgen mache.
 

Katsuya legt mir eine Hand auf die Schulter, als ich auflege. Dann betritt er das Schulgelände und meint ich soll warten! Doch ich lauf ihm nach. Wir gehen das gesamte Schulgelände einmal ab, sowohl die Sportplätze und -hallen, sowie das Schulgebäude vom Keller bis zum Dach. Nirgends können wir Mokuba finden!
 

Als wir am Auto ankommen bittet mein Streuner Fuguta, der unterdessen weiterhin verseucht hat Mokuba auf dem Handy zu erreichen, uns zur Arkade zu fahren. Dort checken wir die verschiedenen Spielhallen ab. Doch auch hier werden wir nicht fündig. Mein Herz schlägt bis zum Anschlag. Was... was wenn ihm etwas passiert ist? Mir wird schwindlig. Katsuya stützt mich kurz und zwingt mich zum Stehen bleiben. Als es einigermaßen wieder geht kehren wir zum Auto zurück und er bittet Fuguta nach Hause zu fahren. Aber was,... wenn er da nicht ist... wo sollen wir dann noch suchen? Die Angst keimt immer weiter in mir auf.
 

Schließlich erreichen wir das Anwesen, Fuguta fährt vor die Eingangstür und der Wagen bleibt stehen. Ich spring aus dem Wagen, renn zur Haustür, stoß sie auf und bleib erleichtert stehen. Da stehen die Schuhe meines kleinen Bruders im Eingangsbereich. Schnell entledige ich mich meiner und dem Mantel und renne zum Wohnzimmer. Kein Mokuba. Als ich aus dem Wohnzimmer zurück komme seh ich Katsuya, der aus der Küche kommt und mit dem Kopf schüttelt. Wir eilen die Treppe hinauf und wieder bleib ich wie angewurzelt stehen.
 

Da... ganz hinten am Ende des Flurs steht mein kleiner Bruder. Er blickt die Tür meines Schlafzimmers an und sieht verloren aus. Ich renn zu ihm und schließ ihn in meine Arme. Er kreischt plötzlich auf und stößt mich von sich. Irritiert blick ich zu ihm. Seine Augen sind gerötet und vor Schrecken weit aufgerissen. Er hat wieder geweint. Wieder lässt er beschämt seinen Kopf hängen.
 

Langsam rappel ich mich wieder auf und näher mich ihm. Wieder laufen ihm Tränen über das Gesicht. Sanft will ich sie ihm wegwaschen, doch er schlägt meine Hand einfach nur weg und schreit 'Nicht'! Was... Was ist denn nur mit ihm los? Behutsam versuche ich es ein weiteres Mal, leg meine Hand auf seine Schulter und zieh ihn an mich ran.
 

Doch wieder wehrt er sich und schreit, er hätte meine Liebe nicht verdient. Verwirrt blick ich ihn an und frage, wovon er da spricht. Doch er schüttelt nur mit dem Kopf und will sich gerade abwenden, um in sein Zimmer zu stürzen. Doch ich halt ihn stoisch fest und lass ihn nicht gehen. Nicht so... nicht mit diesem Satz im Raum. Aber seine Gegenwehr ist recht heftig. Schließlich kann ich mir nicht anders helfen, als ihn anzuschreien! Er soll damit aufhören und mir endlich sagen was los ist. Ich will wissen, warum er glaubt, meine Liebe nicht zu verdienen!
 

Mokuba reißt seinen Blick auf einmal zu mir hoch und brüllt mir ins Gesicht, dass er mich im Stich gelassen hat, als ich ihn am dringendsten gebraucht hätte. Das er nur zugesehen und nicht geholfen hätte. Ich versteh so langsam gar kein Wort mehr! Was meint mein kleiner Bruder da nur? Was will er gesehen haben? Wann will er mir nicht geholfen haben? Seine nächsten Worte ziehen mir den Boden unter den Füßen weg, als er mir endlich antwortet: Er habe nur zugesehen, als Gozaberu mich auf meinem Bett vergewaltigt hatte und wäre mir nicht zur Hilfe gekommen. Erschrocken über sich selbst schlägt er sich die Hände vor den Mund.
 

Ich lass ihn los, als würde ich mir an ihm die Finger verbrennen und taumle zwei, drei Schritte nach hinten. Wage es nicht zu blinzeln, nicht zu atmen. Selbst mein Herz scheint stehen geblieben zu sein. Ich fühl plötzlich eine große Kälte in mir aufkommen. Tränen, die sich langsam in mir nach oben bahnen. Jetzt erkenn ich endlich, was mit meinem Bruder los ist! Ich habe ihn und seine kindliche Unschuld zu Grunde gerichtet.
 

Weinend versucht er die Schritte, die ich zwischen uns gebrachte habe wieder aufzuholen und greift nach mir. Aber ich kann nur nach hinten ausweichen. Durch meinen Kopf hallen nur immer wieder seine Worte und der Gedanke, dass Mokuba es weiß und ich seine Unbeschwertheit zerstört habe! Etwas zieht sich in mir zusammen. Ein tiefer, stechender Schmerz.
 

Ich höre Mokuba weinend nach mir rufen und bleib stehen, schling meine Arme um ihn und zieh ihn einfach nur ganz eng an mich heran. Er umklammert mich verzweifelt und weint noch heftiger. Was... was soll ich jetzt nur tun... ich mein... wie... woher... warum weiß er davon...? Mein Inneres fühlt sich starr und unbeweglich an und brennt doch höllisch. Tränen laufen mir über das Gesicht ohne dass ich schluchzte. Sie laufen mir stumm über die Wangen. Ich hab das Gefühl komplett neben mir zu stehen und mich selbst zu sehen.
 

Dann geben meine Beine nach und ich sacke auf meine Knie. Alles rückt irgendwie von mir weg. Ich kann nur meinen kleinen Bruder im Arm halten. Ganz fest im Arm halten. Ihn weinen lassen. Ich... habe meinen kleinen Bruder zerbrochen! Als großer Bruder hab ich auf der gesamter Linie schlicht und ergreifend versagt! Konnte ihn und seine Unbeschwertheit nicht schützen und bewahren!
 

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist! Spüre nur Mokuba an meiner Brust und Katsuya in meinem Rücken. Ganz vorsichtig stemm ich Mokuba ein wenig von mir. Schau ihm ins Gesicht. Es ist mir ein Rätsel, wie ich es schaffe, aber als ich das Wort an meinen kleinen Bruder richte, kling ich einigermaßen normal und gefestigt. Auch wenn ich das Gefühl habe recht langsam zu reden. Ich sag ihm, dass er nichts hätte tun können! Er braucht sich da absolut keine Vorwürfe machen, denn er hat mich nicht im Stich gelassen. Dass er noch ein Kind gewesen sei. Es lag absolut nicht in seinen Möglichkeiten irgendetwas zu tun oder zu ändern. Das ich ihn sehr, sehr lieb hab und stolz auf ihn bin!
 

Dann lös ich mich von ihm und steh auf. Meine Beine sind immer noch weich wie Butter und Katsuya will mich stützen. Doch ich lass ihn nicht. Ertrage jetzt seine Berührung... irgendeine Berührung nicht. Wende mich schließlich ab und geh mit unsicherem Schritt den Gang zurück zur Treppe.
 

Mokuba ruft mir verzweifelt hinterher. Will, dass ich bei ihm bleibe. Aber ich kann jetzt nicht darauf reagieren. Kann mich nicht umdrehen. Nicht den Blick meines kleinen Bruders ertragen, der seine gebrochene Seele widerspiegelt. Der widerspiegelt, was er weiß. Ich steige die Treppe hinunter und ziehe mich in mein Büro zurück. Die Tür hinter mir schließe ich ab! Dann lass ich meine Anlage Musik spielen. Mir ist egal, was für eine Musik, solange sie nur laut ist!

Einen Schritt des Trostes

Verdammt! VERDAMMT! Verdammte Scheiße! Warum kann ich mich nicht teilen oder klonen? Ich müsste jetzt an zwei Orten gleichzeitig sein und kann nicht!
 

Einerseits kann ich Mokuba, der immer noch völlig aufgelöst in meinem Arm liegt und weint, nicht alleine lassen! Er braucht jetzt Halt und Trost. Ich versuch ihm beides zu geben. Aber ich fürchte, der einzige, der ihn jetzt beruhigen könnte, wäre mein Drachen! Immer wieder ruft der Kleine nach seinem großen Bruder.
 

Der, andererseits, hat sich völlig starr vor Schock zurück gezogen. Wahrscheinlich in sein Büro. Ich bin der Meinung, dass er mit seiner Vorgeschichte jetzt nicht alleine sein sollte! Er kann gerade nicht klar denken! Was... wenn... nein! NEIN! Das würde er nicht noch einmal versuchen! Oder?
 

Immer wieder schluchzt Mokuba, das es ihm leid tut! Dass er seinen großen Bruder nicht im Stich lassen wollte und Seto ihn nicht hassen soll. Ich versuche ihm gut zuzureden. Das er meinen Drachen doch gehört hat. Das der Kleine nichts hätte tun können! Das sein großer Bruder ihn auf gar keinen Fall hasst und dass er ihn sehr, sehr lieb hat. Wenn ich so drüber nachdenke... der letzte Satz von meinem Drachen... klang schon merkwürdig oder? In mir bildet sich ein mulmiges Gefühl. Doch Mokuba will sich einfach nicht beruhigen. Ich spüre, wie der Schmerz des Kleinen droht mich zu zerreißen! Was könnte ich ihm noch sagen, um ihn zu beruhigen?
 

Da spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Erschrocken blick ich auf und in das besorgte Gesicht von Isono. Der Ältere ist gar nicht überrascht. Hat er schon geahnt, dass es zu so einer Situation kommen würde? Natürlich! Er wusste was Mokuba bedrückte! Langsam kniet er sich neben uns. Sanft legt Isono eine Hand auf den Kleinen. Der schaut nur verweint auf. Immer noch quellen Moki die Tränen aus den Augen. Vorsichtig streicht Isono sie ihm weg.
 

Isono legt seine Hände auf Mokuba's Schultern. Seine Stimme ist ganz sanft und behutsam. So vertraulich hab ich Isono noch nie sprechen hören. Er fragt, ob sich Mokuba nicht mehr daran erinnern kann, wie er als Zehnjähriger in das Zimmer seines Bruders stürmen wollte, um sich dem alten Kaiba entgegenzustellen. Mit großen Augen blickt Mokuba ihn an. Noch immer pressen sich die Tränen aus den Augen.
 

Isono wiederholt, was Seto und ich auch schon gesagt haben: Das Mokuba seinen großen Bruder nicht im Stich gelassen hat. Er wollte ihm helfen. Doch das hätte Isono nicht zulassen können. Deshalb habe er ihn wieder in sein eigenes Zimmer gebracht und versucht ihn zu beruhigen, während Mokuba die ganze Zeit nur Seto helfen wollte. Nochmals fragt Isono, ob sich Mokuba daran nicht erinnere.
 

Langsam hören die Tränen auf zu fließen, während Moki seicht nickt. Doch... er können sich daran erinnern. Aber schlussendlich habe er nichts getan! Isono schüttelt seinen Kopf. Das hätte nicht an Mokuba gelegen, sondern an ihm, der sich damals dem Kleinen in den Weg gestellt hatte.
 

Wieso überrascht es mich nicht zu erfahren, dass auch Isono weiß, was der alte Kaiba meinem Drachen angetan hat? Aber was ich nicht verstehe ist, warum er nie etwas unternommen hat, um Seto zu retten... Warum hat er - wie scheinbar bei diesem Vorfall - meinem Drachen nicht geholfen? Wieso hat er ihn diesem Monster überlassen? Er war doch noch ein Kind und hätte seinen Schutz und seine Hilfe so dringend gebraucht. Also warum... WARUM... ich spüre, wie in mir die Tränen aufsteigen. Das ist das letzte, was Mokuba gerade gebrauchen kann. Also schluck ich meine Fragen, die damit verbundenen Gefühle und die Tränen runter.
 

Noch einmal schluchzt jetzt Mokuba auf, das er Seto im Stich gelassen hat. Er hätte mit ihm danach doch reden können. Ihn trösten müssen. Für ihn da sein sollen! Aber er habe Seto ganz alleine gelassen! Alleine mit all dem Schmerz und der Scham wegen dem, was Gozaberu ihm angetan hatte. Aber er... er hätte nichts davon getan. Er hat das, was er gesehen hatte nur ausgeblendet und vergessen.
 

Wieder schüttelt Isono mit dem Kopf. Er habe den Kleinen damals dahingehend indoktriniert, dass er Seto nicht zeigen dürfe, dass er es weiß. Isono erzählt davon, wie er dem kleinen Mokuba erklärt hat, dass Seto schon damals durch das Gefühl, sein Gesicht vor ihm zu verlieren, völlig zusammengebrochen wäre. Ob Mokuba sich nicht mehr an das Gespräch erinnern würde, was sie geführt haben. Wie Isono bei ihm blieb, bis sie hörten, dass Gozaberu das Haus verließ. Der Ältere schildert sehr ausführlich, wie Mokuba ihn angefleht hatte sich gut um Seto zu kümmern. Ihm zu helfen. Auf ihn aufzupassen.
 

So langsam scheint Mokuba zu verstehen, dass er seinen Bruder nicht im Stich gelassen hat. Das er damals nichts hätte tun können. Er konnte einfach nichts anderes tun, als auf Isono zu vertrauen, dass dieser seinem Bruder beistand. Seine Tränen hören langsam auf. Sanft wisch ich ihm die letzten weg. Lächle ihn ermutigend an. Er versucht zurück zu lächeln, aber so ganz will es ihm nicht gelingen.
 

Hinter uns von der Treppe hören wir verwirrte Stimmen und als wir uns umdrehen, sehen wir gerade unsere Freunde oben ankommen. Ihre Blicke sind verwirrt nach unten ins Erdgeschoss gerichtet. Als sie uns erblicken bleiben sie geschockt stehen und kommen dann erst eilig auf uns zugelaufen. Yugi geht direkt neben Mokuba in die Knie und schaut ihn besorgt an. Ob alles in Ordnung wäre, will der Bunthaarige von dem jüngeren Kaiba wissen. Dieser schüttelt nur den Kopf und meint, er haben ziemlich große Scheiße gebaut! Honda und Otogi erkundigen sich gleich, ob sie ihm irgendwie helfen können, als Bakura sich an mich wendet und fragt wo den Seto ist.
 

Ich erstarre und blicke wieder zur Treppe, dann zu Isono. Ihm geht der gleiche Gedanke durch den Kopf wie mir: Seto ist alles andere als stabil. Nach der Erkenntnis, dass sein kleiner Bruder gesehen hat, was ihr Vater ihm angetan hatte... könnte er wieder an einem Abgrund stehen, der ihn verführerisch lockt. Wieder kommt mir sein letzter Satz in den Sinn. Er habe Mokuba sehr, sehr lieb und sei stolz auf ihn. Klingt das nicht irgendwie, wie ein... Mein Herz stockt kurz. Ich muss sofort zu Seto!
 

Also spring ich auf und ... zwinge mich stehen zu bleiben. Blicke besorgt zu Mokuba und will ihn nicht in Panik versetzen, indem ich jetzt einfach wie von der Tarantel gestochen wegrenne. Honda legt mir seine Hand auf die Schulter und nickt mir zu. Sie werden sich um Mokuba kümmern und beschäftigten. Ich nicke ihm dankbar zu und wende mich dann zum Gehen. Beim Drehen fällt mein Blick wieder auf Isono. Ich pack ihn am Oberarm und zieh ihn mit mir mit.
 

Es koste mich eine enorme Anstrengung nicht überhastet den Gang entlang zu laufen. Erst auf der Treppe beginne ich schneller zu laufen, mehrere Stufen auf einmal nach unten zu steigen. Die letzten überspringe ich sogar. Dann hechte ich in den Flur, der zu Seto's Büro führt. Laute Musik dringt uns entgegen. Ich klopfe gegen die Tür. Versuche sie zu öffnen. Abgeschlossen! Noch einmal hämmre ich gegen die Tür und rufe Seto's Namen. Doch die Musik ist einfach zu laut. Noch einmal versuch ich die Tür zu öffnen, aber an ihrem Zustand hat sich - natürlich -nichts geändert.
 

Dann hält mir Isono ein Zimmerschlüssel entgegen. Verwirrt blick ich ihn an. Er sagt nur: Zweitschlüssel! Ich nehm den Schlüssel dankbar an und schieb ihn ins Schloss. Es kostet mich einige Mühe den Schlüssel auf der anderen Seite aus dem Schloss zu stoßen, so dass ich den Zweitschlüssel nutzen kann. Dann entriegelt die Tür und ich kann sie öffnen. Langsam!
 

Ich rechne mit dem Schlimmsten. Mit einem verwüsteten Büro. Einem völlig aufgelösten Häufchen Elend. Einem Seto, der in seinem eigenen Blut auf dem Boden liegt. Ich stocke. Ein stechender Schmerz durchzieht meine Brust. Bin ich wirklich darauf vorbereitet, was hinter dieser Tür auf mich wartet? Was... wenn ich zu spät komme. Was... wenn... ich schlucke. Spüre die Tränen dicht unter der Oberfläche lauern. Meine Hand an der Klinke zittert. Ich zieh tief Luft ein und stoß die Tür dann auf!

Einen Schritt in den Scherbenhaufen

Das Büro macht einen unberührten Eindruck. Alles steht wo es hingehört. Nichts wurde durcheinander gebracht oder durch den Raum geworfen. Die Anlage an der Wand des Büros schallt laut weiter Musik. Hier drinnen kommt sie mir fast doppelt so laut vor, wie vor der Tür und da taten mir schon die Ohren weh. Aber nirgends ist mein Drache zu sehen. Vorsichtig setze ich einen Fuß in das Büro und schau mich um. Taste mich einen weiteren Schritt voran. Doch auch hinter seinem Schreibtisch sitzt oder liegt er nicht.
 

Isono geht zur Anlage und schaltet die Musik aus. In dem Moment geht die Tür zum Waschraum auf und Seto blickt uns überrascht an. Er hat sich seiner Schuluniformsjacke entledigt und die Ärmel seines Hemdes sind hochgekrempelt. Seto... sieht relativ gefasst aus und schaut nur fragend zu uns. Ich kann nicht anders als zu ihm zu laufen und meine Arme um ihn zu schlingen. Ich drücke ihn fest an mich und atme erleichtert auf. Nur zögerlich legt er seine Arme auch um mich. Fragt mich leise was ich habe. Ich stemm mich ein wenig von ihm und schau ihn fassungslos an. Was ich habe? Mein Drache verschwindet völlig schockiert, verbarrikadiert sich in seinem Büro mit lauter Musik und ist dann überrascht, als ich erleichtert bin, dass er nichts Dummes gemacht hat?
 

Geschockt blickt er mich an, bevor er kurz beschämt zur Seite schaut. Doch keinen Moment später blickt er mich wieder an. Seine blauen Augen spiegeln seinen Schmerz und die Scham wieder, als er eingesteht, dass er für einen kleinen Moment in Erwägung gezogen hat genau das zu tun, was Isono und ich ihm unterstellt haben. Doch er sei nicht mehr der Junge, dem er das - und er hebt sein Handgelenk, auf dem die Narbe deutlich zu sehen ist - zu verdanken hat. Er ist nicht mehr länger in einem nie endend wollenden Albtraum gefangen und er ist nicht länger alleine. Mittlerweile habe er erkannt, dass es Menschen gibt, die ihn nicht verlieren wollen. Menschen, mit denen er noch lange zusammen sein will. Mit denen er eine Zukunft haben möchte.
 

Seine Worte berühren mich tief in meinem Inneren und eine Träne stiehlt sich mir aus den Augen, die Seto mir sanft weg streicht. Dennoch... kommt mir irgendetwas komisch vor. So mustere ich ihn prüfend. Da schlägt er seine Lider herunter und senkt sein Blick zu Boden. Er will etwas vor mir verbergen. Vorsichtig leg ich meine Hand auf seine Brust und spüre durch das dünne Hemd und Unterhemd deutlich sein Herz schlagen. Es schlägt schneller als normal. Innerlich ist er immer noch unruhig und aufgewühlt, auch wenn er gerade völlig gefasst wirkt. Er schluckt, als ihm bewusst wird, dass ich ihn durchschaue!
 

Sanft und behutsam flüstere ich seinen Namen. Da bekommt seine neue Fassade einen Riss, als er sich auf die Unterlippe beißt und versucht die aufkommenden Tränen zurück zu halten. Langsam leg ich meine Hand in seinen Nacken und zieh ihn zu mir, so dass sein Kopf auf meiner Schulter zur Ruhe kommt. Es dauert einen langen Moment, bevor er seine Arme um mich schlingt und sich an mir festklammert. Seine Schultern beben und ich kann seine Tränen auf meiner Haut spüren. Vorsichtig lege ich meinen zweiten Arm um ihn. Da ist sie ja, die Verzweiflung, die er gerade überspielen wollte.
 

Ich geb ihm die Zeit, die er braucht. Schließlich ebben seine Tränen ab und er richtet sich wieder auf. Schaut mich mit einem tief traurigen Ausdruck an. Das ist keine Scham! Er... betrauert etwas! Behutsam frage ich danach. Gebrochen, langsam und leise meint er schließlich, er habe seinen kleinen Bruder zerbrochen!
 

Jetzt bin ich es, der geschockt zu ihm blickt. Vorsichtig frage ich nach, wie er das meint! Es dauert eine kleine Weile, bis er sich überwinden kann und erklärt, dass er nie etwas anders wollte, als das Mokuba eine unbeschwerte Kindheit und Jugend hat. Doch er habe auf ganzer Linie versagt. Wegen ihm sei die kindliche Unschuld seines Bruders zu Grunde gegangen und seine Unbeschwertheit zerstört. Er konnte den Kleinen nicht vor der Grausamkeit Gozaberu's bewahren!
 

Wieder lösen sich Tränen aus seinen Augen. Behutsam streiche ich die Tränen weg, lass meine Hände an seinen Wangen ruhen und blicke ihn fest an. Blödsinn, ist alles was ich rausbekomme! Irritiert blickt mich mein Drache an. Das alles ist ausgemachter Blödsinn. Mein Drache trägt für all das keine Verantwortung! Wenn einer die Verantwortung und damit die Schuld zu tragen hat, dann ist das ihr Vater!
 

Auf einmal schaut er mich bitterböse an, bevor er zischt, dass ich das Monster nicht so nennen soll! Gozaberu wäre nicht ihr Vater! Jetzt bin ich es, der verwirrt blinzelt und nicht richtig versteht. Dann eben... Erzeuger!? Wieder schüttelt Seto mit dem Kopf. Gozaberu ist weder ihr Erzeuger, noch ihr Vater, erklärt plötzlich Isono, der auch noch da ist! Der alte Kaiba habe Mokuba und Seto adoptiert, weil er gegen Seto eine Wette verloren hat! Erstaunt blicke ich zu meinem Drachen, der traurig seinen Kopf hängen lässt. Wieder lösen sich Tränen aus seinen Augen.
 

Dann hör ich meinen Drachen leise und bedächtig sagen, dass er nur das Beste für seinen Bruder wollte, doch alles was er geschafft hätte, wäre, sie in einen Albtraum zu führen. Ihn einem sadistischen, psychopathischen Monster auszusetzen. Als er das erkannt habe, wäre es zu spät gewesen! Er konnte nichts anderes mehr tun, als die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich zu ziehen und so seinen kleinen Bruder aus der Schussbahn der Boshaftigkeit des alten Kaibas zu nehmen. Und selbst daran wäre er schlussendlich gescheitert, wie sich jetzt heraus gestellt hat. Noch einmal betont Seto, dass er als großer Bruder auf ganzer Linie versagt hätte.
 

Plötzlich stürmt Mokuba durch die Tür herein und wirft sich an Seto, der nicht damit gerechnet hat, dass sein kleiner Bruder in Hörreichweite ist. Mein Drache schließt den Kleinen fest in seine Arme, während der laut schluchzt, dass das alles gar nicht wahr sei! Dass mein Drache nicht versagt habe. Er habe ihn mit allen Mitteln beschützt und hat ihm das ermöglicht, was ihm selbst verwehrt blieb. Dafür und für alles andere in ihrem Leben, wäre Mokuba seinem großen Bruder mehr als dankbar und er liebe ihn über alles.
 

Mir läuft eine weitere Träne über die Wange. Dann fällt mein Blick auf die offene Tür, in der die anderen stehen. Sie sehen alle äußerst betroffen aus und ich frage mich, wie viel sie wohl gehört haben. Doch dieses Mal können sie nicht so tun, als hätten sie nichts mitbekommen, denn auch mein Drache hat sie längst bemerkt. Er wirft mir noch einmal einen Blick der Verzweiflung zu, bevor er sein Gesicht in der Mähne seines kleinen Bruders versenkt. Ich geh zu den beiden, stell mich hinter Mokuba und umarm die beiden Brüder.
 

Nur langsam lösen Mokuba, Seto und ich uns nach einer Weile von einander. Von Isono oder den anderen fehlt jede Spur. Vielleicht haben sie ihr Taktgefühl wieder gefunden und beschlossen uns einen Moment der Privatsphäre zu gönnen. Sanft streich ich meinem Drachen eine Träne von der Wange, der mich dankbar anschaut. Dann legt Mokuba seine Hände an Seto's Wangen und zieht seinen Blick zu sich. Er versucht meinen Drachen anzulächeln, doch er merkt selbst, dass das wenig erfolgreich ist. Schließlich gibt er seinen Versuch auf und meint zu seinem großen Bruder, dass er sich nicht so viele Gedanken machen soll. Mein Drache hätte ihn nicht zerbrochen.
 

Uah... scheinbar haben er und die anderen fast von Anfang an das Gespräch mitgehört. Seto blickt ich ungläubig an. Er ist immer noch den Tränen nah. Ich sehe, wie sehr er gerne seinem kleinen Bruder glauben möchte und wie er es nicht kann. Doch Mokuba ist noch nicht fertig!
 

Der Kleine blickt mit seinen großen, grau-blauen Augen in die azurblauen seines Bruders, als er seine Stimme erneut erhebt. Er selbst sei nicht zerbrochen. Ja, die Erkenntnis, welche Hölle Seto durchlebt hat, hat ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, dass kann und will er nicht bestreiten. Aber seine Bestürzung kommt eher daher, dass er in der Lage gewesen war, dass alles... zu vergessen! Er weiß nicht, wie das passieren konnte. Wie er all die Jahre diese Erinnerung bei Seite schieben konnte. Und er bedaure das mehr als alles andere. Denn er ist sich sicher, dass es für meinen Drachen wesentlich leichter gewesen wäre, wenn der jemand gehabt hätte, mit dem er seinen Schmerz hätte teilen können. Und das mein Drache schon immer einen außerordentlichen Schmerz in sich getragen hat - und immer noch trägt -, dass wäre Mokuba immer bewusst gewesen.
 

Doch jetzt wüsste er es wieder und er hat beschlossen, seinen großen Bruder niemals wieder mit diesem Schmerz alleine zu lassen. Ihm zu helfen den Schmerz zu ertragen und zu überwinden. Schließlich hat der Kleine selbst wieder Tränen in den Augen, als er Seto bittet ihn nicht wieder wegzustoßen. Nicht vor ihm davon zu laufen. Ihn wirklich helfen zu lassen! Dabei schaut der Schwarzhaarige so ernst und so fürsorglich seinen großen Bruder an, dass ich mir eine weitere Träne der Rührung nicht verkneifen kann.
 

Auch Seto kann sich gegen die Tränen nicht wehren, die sich wieder in die Freiheit kämpfen. Ich hoffe er erkennt, ebenso wie ich es gerade getan habe, wie ungebrochen sein kleiner Bruder tatsächlich ist. Ja... er hatte mit dem, was ihm wieder eingefallen war, zu kämpfen. Hat das mit Sicherheit immer noch! Vor allem mit den damit verbundenen Gefühlen und Selbstvorwürfen. Doch es hat ihn nicht gebrochen!
 

Dann ergreift Mokuba noch einmal das Wort. Mein Drache hätte ihn all die Jahre beschützt. Wäre ihm Vater und Mutter und großer Bruder in einem gewesen. Wann immer er ihn brauchte, war Seto für ihn da. Dank ihm hat es dem Kleinen nie an etwas gemangelt. Mokuba betont, wie stark und mutig mein Drache für ihn immer war und immer noch ist, weil er tagtäglich mit dem Schmerz und den Erinnerungen lebt und nicht aufgibt. Wie sicher und geborgen er sich immer dank seinem großen Bruder fühlten konnte. Jetzt will Mokuba Seto davon etwas zurück geben. Will für ihn da sein, ihn schützen, für ihn stark und mutig sein. Zusammen mit mir... der Kleine stockt kurz, schaut jetzt mich an und korrigiert sich: Mit Katsuya!
 

Das ist das erste Mal, dass der Kleine mich bei meinem Vornamen nennt und ich lächle ihn sanft und dankbar an. Denn damit zeigt er mir, dass er mich als Familienmitglied akzeptiert und ansieht.
 

Doch Mokuba ist noch nicht fertig. Er wendet sich wieder Seto zu und meint ernst, dass man sich innerhalb einer Familie - und was anderes seien wir drei, Isono und die anderen nicht - für nichts schämen muss! Ich muss schmunzeln, denn das ist schließlich ein Satz, den Seto tagtäglich von mir hört. Jedenfalls in einer ähnlichen Variante. Der Kleine redet weiter, dass Seto sich ab jetzt nicht länger verwehren soll, was er am dringendsten braucht: Menschen, denen er vertrauen kann ... denen er sich anvertrauen kann ... bedingungslos ... eine Familie eben!
 

Da bricht der letzte Widerstand meines Drachens endlich! Er zieht seinen jüngeren Bruder eng an sich heran und schließt seine Arme fest um ihn. Ich will die beiden alleine lassen und etwas Privatsphäre gönnen, als ich merke, wie sie beide nach meinen Händen greifen und mich zu sich in die Umarmung ziehen.
 

Definitiv Brüder, geht es mir durch den Kopf und ich muss breit lächeln. Ich bin froh, dass diese Situation so geendet hat. Sie hätte auch ganz anders... sehr schlimm enden können!
 

Seto hat noch einen weiten und schweren Weg vor sich, doch jetzt mit Mokuba und mir an seiner Seite, wird es leichter werden. Und wenn er die anderen vielleicht auch irgendwann akzeptiert und ihnen vertraut... dann werden sie ihm sicherlich auch mit allen Mitteln helfen. Davon bin ich fest überzeugt.

Einen Schritt der Veränderung

Als wir uns langsam voneinander lösen streiche ich sanft über die Wange meines Bruders, der so viel erwachsener ist, als ich es je erwartet hätte. Seine Worte sind nicht die naiven Vorstellungen eines Halbwüchsigen, der kurz vor der Pubertät steht. Manchmal hab ich den Eindruck, dass er viel zu erwachsen für sein Alter ist. Aber er hat diese Weitsicht in sozialen Dingen, die mir einfach fehlt. Er erkennt Zusammenhänge in Bezug auf andere Menschen, die nichts mit der Geschäftswelt zu tun haben, leichter und richtiger als ich. Einfach weil er offen dafür ist und vertrauen kann.
 

Dann meint Mokuba, wir sollten mal nach den anderen schauen. Nicht das sie uns das Haus abbrennen in dem verzweifelten Versuch selbst etwas zu kochen. Ich muss schmunzeln und diese Reaktion überrascht mich selbst ein wenig. Ich nicke nur und will mit ihm und Katsuya mein Büro verlassen, als sich mein blonder Streuner von uns löst und in meinen Waschraum läuft.
 

Nein! Das ist nicht gut. Wenn er in den Waschraum geht, wird er den kaputten Spiegel sehen und erkennen, wie kurz davor ich tatsächlich stand etwas Dummes zu tun. Es ist nicht so, dass ich den Spiegel zerschlagen hätte, um mir ein Mittel zum Zweck zu schaffen. Da hätte ich andere - leichtere - Optionen gehabt. Es war eher so, dass ich mein eigenes Spiegelbild nicht länger ertragen habe. Dieses Bild von mir, wie ich gebrochen, schwach und am Ende bin! Wie ich die verlorene Unversehrtheit meines Bruders bedauert habe und einfach nicht wusste, wie ich diese Situation hätte handhaben sollen!
 

Erst nachdem die Scherben ins Waschbecken gefallen waren habe ich in Erwägung gezogen zu Ende zu bringen, woran ich das letzte Mal gescheitert war. Ich musste an Mokuba und Isono denken. In meiner Vorstellung waren sie von mir bitterlich enttäuscht und angewidert. Immer wieder gingen mir die Worte durch den Kopf, dass ich kein großer Verlust wäre und die beiden ohne mich sicherlich besser dran wären. Mir war bewusst, dass sie meinen Tod betrauern würden, doch sie würden danach ein einfacheres - glücklicheres - Leben haben, ganz ohne Drama und eine so schwierig zu handhabende Person, wie ich es nun einmal war. Sie wären dann endlich befreit von der Last, die ich darstellte.
 

Doch dann durchzog mich das Bild meines Streuners! Mein Streuner, der mich warmherzig, mit Verständnis im Blick und einem ermutigend Lächeln anschaut. Dieses Lächel, dass mir stets das Gefühl gibt, dass ich nicht falsch und schmutzig bin. Dieser Blick, der mir so viel Liebe entgegen bringt und der mich immer durchschaut. Erkennt, was in mir vorgeht, oft bevor mir das selbst richtig klar ist. Dieses Bild brachte mich dazu, die Scherbe wieder fallen zu lassen. Die Dummheit, die ich in Betracht zog, doch nicht auszuführen!
 

Aber aufhalten kann ich Katsuya nicht. Dazu fühle ich mich viel zu kraftlos, schwer und langsam. Als er wieder aus dem Waschraum heraus kommt hält er meine Schuluniformjacke in seiner Hand, die ich dort abgelegt hatte. Er blickt mich sanftmütig an und ich suche in seinem Blick einen Hinweis darauf, dass er mir Vorwürfe macht oder enttäuscht ist. Doch da ist nichts dergleichen. Stattdessen legt er sanft eine Hand an meine Wange und küsst mich behutsam. Zögerlich erwidere ich den Kuss. Bin verwirrt. Hat er den zerbrochenen Spiegel und die Scherben im Waschbecken vielleicht gar nicht gesehen? Nein, unmöglich.
 

Als wir die Halle erreichen hören wir die anderen aus der Küche. Katsuya legt seine Hand auf Mokuba's Schulter und bittet ihn schon mal zu den anderen zu gehen. Wir würden gleich nachkommen, nur das wir vorher noch schnell unsere Klamotten wechseln würden. Raus aus den Schuluniformen, rein in etwas Bequemes. Mokuba nickt nur, lächelt mich sanft an, drückt sich noch einmal an mich und verschwindet dann Richtung Küche.
 

Währenddessen nimmt Katsuya meine Hand vorsichtig in seine und zieht mich die Treppe hinauf und durch den Flur. Als wir das Ende des Flurs und damit mein Zimmer erreichen bleibt er stehen und schiebt sich zwischen mich und Tür. Er blickt mich traurig an und meint, er habe es endlich verstanden. Verstanden? Was will er verstanden haben? Ich brauch meine Frage gar nicht laut aussprechen, da erkennt er sie bereits und setzt zur Antwort an. Er habe jetzt verstanden, warum ich mich immer so sträuben würde dieses Zimmer zu betreten.
 

Dieses Thema schon wieder? Ich hab ihm bereits mehrfach gesagt, dass ich mich nicht sträube! Jedenfalls nicht bewusst! Wenn es mir schon nicht bewusst ist, was will dann mein blonder Streuner erkannt haben?
 

Er legt seine Hand auf meine Wange. Sie ist wieder so warm, weich und zärtlich. Ich lehne mich für einen Augenblick in die Berührung. Dann hör ich meinen Streuner eine Entschuldigung flüstern. Er hätte schon früher dran denken müssen, aber dank Mokuba wäre es ihm endlich klar geworden.
 

Dank Mokuba? Ich blicke ihn unsicher an. Weiß immer noch nicht, worauf der Blonde hinaus möchte. In meinem Magen bildet sich ein unruhiges Gefühl. Unmerklich muss ich schlucken. Dann dringen Mokuba's Worte aus meiner Erinnerung wieder nach vorne in mein Bewusstsein: Er habe nur zugesehen, als Gozaberu mich auf meinem Bett...
 

Katsuya erkennt, dass mir gerade bewusst wird, was er meint. Mein Streuner wusste das bislang nicht, dass Gozaberu mich... in meinem eigenen Zimmer... Hat er recht? Sträube ich mich tatsächlich, mein eigenes Zimmer zu betreten, weil ich diese... Erfahrungen darin gemacht habe? Nach Gozaberu's Tod wollte ich das Zimmer wechseln. Hab es schlussendlich nicht gemacht, weil Mokuba in das Zimmer gegenüber eingezogen war. Ich wollte meinem kleinen Bruder nicht vor den Kopf stoßen, indem ich den Eindruck erwecke, dass es mir nicht recht wäre, dass er sein Zimmer näher zu meinem verlegt hat. Also bin ich in diesem Zimmer, in dem ich soviel Horror und Schmerz erlebt habe, geblieben.
 

Beschämt lasse ich den Kopf hängen. Doch Katsuya hebt meinen Blick zu sich, lächelt mich ermutigend an und küsst mich vorsichtig. Seine Lippen schmecken wieder süßlich und ich möchte mich vergessen. Vergessen, welches Drama hier heute geschehen ist. Das mein kleiner Bruder jetzt weiß, dass Gozaberu mich... wie grausam er gewesen war. Einfach nur in diesem Augenblick versinken und genießen. Doch da endet der Kuss auch schon wieder und als ich meine Augen öffne grinst mich Katsuya an, als hätte er gerade eine gute Idee gehabt.
 

Dann zieht er mich über die Schwelle in das Zimmer, weiter zu meinem begehbaren Kleiderschrank, bevor er wieder rausläuft. Keine Minute später kommt er mit Klamotten für sich selbst zurück, setzt sich neben mich und beginnt sich umzuziehen. Verwirrt tu ich es ihm gleich. Es ist nicht so, als habe ich ihm keinen Platz in diesem Kleiderschrank hier angeboten, aber er meinte damals, dass ihm eine Schublade in der Kommode draußen reichen würde.
 

Während ich wie immer eine schwarze Freizeithose und einen dunklen Pulli überziehe, ist mein Streuner in eine total abgetragene und teils zerflederte Bluejeans geschlüpft und hat sich ein weißes Shirt übergezogen. Ich würde ja gerne mal mit ihm shoppen gehen, aber ich hab das Gefühl, dass er sich von mir nichts kaufen lassen wird. Was nützt mir all mein Geld, wenn ich nicht mal meinem Freund eine Freude damit machen kann?
 

Schließlich verlassen wir mein Zimmer und er angelt wieder nach meiner Hand. Wir verschränken unsere Finger miteinander und ich lasse mich von ihm in Richtung Küche zu den anderen ziehen. Wieder ist dieses flaue Gefühl in meinem Magen heftig am wüten. Wie werden die anderen auf mich reagieren? Auf das, was sie gehört haben? Als wir in die Küche kommen begrüßen sie uns herzlich und meinen, wir sollen uns schon mal hinsetzen. Die haben tatsächlich versucht etwas zu kochen und sind gerade dabei den Tisch zu decken. Keiner von ihnen schaut mich merkwürdig oder fragend an. Niemand lacht über mich und das, was ich vorhin - unfreiwillig - von mir ihnen gegenüber offenbart habe.
 

Als die anderen schließlich auch an den Tisch kommen und wir zu essen beginnen ergreift Katsuya das Wort. Er bittet die anderen um Hilfe, weil Mokuba und ich heute unsere Zimmer verlegen werden. Überrascht blick ich zu ihm. Werden wir das? Seit wann? Warum? Die anderen erklären sich sofort und ohne Zögern bereit zu helfen! Auch Mokuba blickt überrascht zu meinem Streuner, der wiederum mich breit und glücklich grinsend anschaut.
 

Er ist einfach unglaublich, geht es mir durch den Kopf! In mir formt sich ein neues Gefühl... Vorfreude und Erleichterung! Vorfreude darauf, endlich dieses Zimmer und all die dort präsenten Erinnerungen zurück zu lassen. Erleichterung darüber, dass ich nichts mehr dazu erklären muss, warum ich mein Zimmer wechseln will! Das mein Geheimnis nun kein Geheimnis mehr ist... zumindest nicht vor Mokuba!
 

Tatsächlich springen alle nach dem Essen voller Elan auf und wir besteigen gemeinsam die Treppe in das obere Stockwerk. Oben bleiben wir erst einmal stehen, als die Frage aufkommt, wo denn die neuen Zimmer liegen. Darüber hab ich mir eigentlich noch gar keine Gedanken gemacht. Ich blicke zu Mokuba und er grinst nur. Dann nickt er in den Flügel in dem ich den Kindergarten untergebracht habe. Ich folge ihm und er führt uns zum Ende des Ganges. Dort öffnet er die Tür an der Stirnseite des Ganges und führt uns herein.
 

Zu erst gibt es ein kleines Vorzimmer, das einzig der Wahrung der Privatsphäre dient. Es ist zu klein, um es irgendwie sinnvoll zu nutzen. Es steht ein Sideboard in ihm auf der eine große Vase mit frischen Blumen steht und darüber hängt ein Spiegel. Durch dieses schmale Vorzimmer geht es in ein großes Schlafzimmer. Größer, als mein bisheriges.
 

Gegenüber der Tür steht ein großes Doppelbett im modernen Stil, nicht in diesem altbackenen Himmelsbettdesign, wie mein jetziges. Vor dem Bett steht eine breite Sitzbank. Die Fenster sind an der Seite, an dem das Bett steht. Links und rechts je zwei hohe Fenster. Unter den Fenster, die dem Bett am nächsten sind, stehen die Nachttische. An der linken und rechten Wand steht je eine Kommode und es geht je eine Tür ab.
 

Die Linke führt in einen kleineren Nebenraum, der meinem begehbaren Kleiderschrank gleicht. Die Rechte führt zum Badezimmer in dem neben der Dusche zusätzlich eine gemütlich wirkende XXL-Wanne installiert ist. Zu meiner Überraschung gibt es hier ein Doppelwaschbecken! Es scheint, als wären diese Räumlichkeiten ursprünglich für ein Paar eingerichtet worden.
 

Dann hör ich Mokuba sagen, dass dieses Zimmer perfekt für Katsuya und mich wäre. Er grinst mich breit an, als gäbe es daran einfach kein Zweifel und als wäre es bereits beschlossen, dass das hier mein ... unser neues Zimmer werden wird. Katsuya schlingt sanft seine Arme von hinten um mich und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Ein Schauer wandert mir über den Rücken, bin ich es doch nicht gewöhnt, dass er so vertraut mit mir umgeht, wenn die anderen bei uns sind. Ich frag ihn, was er davon hält. Er nickt nur und lächelt mich sanft an. Er wiederholt Mokuba's Worte, dass es perfekt sei!
 

Wir verlassen das Zimmer wieder und lassen die Tür offen stehen. Mokuba wendet sich gleich nach links zur ersten Tür, die auf der anderen Seite des Hauses in mein Zimmer führen würde. Er lässt die Tür aufschwingen und springt hinein. Tatsächlich ist es ein Spiegel meines Zimmers. Mokuba hüpft ohne Scheu auf das Bett zu und darauf, bevor er mich ansieht und meint, ob ich was dagegen haben würde, wenn er das hier nehmen würde. Ich schüttle meinen Kopf. Er springt vom Bett und umarmt mich glücklich.
 

Nachdem also geklärt ist, welche unsere neuen Zimmer werden sollen gehen wir mit den anderen wieder in den anderen Hausflügel. Dort bleib ich vor dem großen Regal, welches hier an der Stirnseite des Ganges steht, stehen. Ich nicke zu Mokuba's aktuellem Zimmer und mein, sie sollen meinem kleinen Bruder helfen, seinen Kram von dem hier in das neue Zimmer zu bringen. Yugi und Bakura hüpfen, als hätten sie zu viel Kaffee gehabt, auf und meinen, dass sie ihm helfen werden. Eigentlich... wollte ich, dass alle vier meinem kleinen Bruder helfen.
 

Bei dem Gedanken jemand in mein jetziges Zimmer zu lassen, wird mir wieder flau im Magen. Katsuya bildet hier eine Ausnahme. Ich weiß nicht wieso, aber seine Anwesenheit in meinem bisherigen Zimmer hat mich nie gestört. Vielleicht am Anfang erschreckt. Aber nie gestört! Doch bei dem Gedanken, dass jemand von den anderen jetzt mit da rein gehen wird... mir stellen sich die Nackenhärchen.
 

Ich spüre Katsuya an meiner Seite, wie er eine Hand an meine Schulter legt und sich etwas gegen mich lehnt. Fragt, ob alles in Ordnung sei. Ich nicke zögerlich. Er lächelt mich sanft an und meint nur, dass dieser Schrecken, der von meinem Zimmer ausgeht, endlich ein Ende haben wird! Ich erwidere sein Lächeln. Dann löst er sich von mir, öffnet meine Zimmertür und Honda und Otogi folgen ihm. Das Gefühl in meinem Magen wird stärker.
 

Es dauert fast zwei Stunden bis der Umzug abgeschlossen ist. Doch dann sind sowohl Mokuba's, als auch meine Sachen restlos aus den alten Zimmern und in dem neuen. Alles hat seinen Platz gefunden. Dieses Mal konnte ich Katsuya sogar überreden, seine Klamotten im Ankleidezimmer aufzuhängen, anstatt wieder alles in die Kommode zu stopfen. Doch seine paar Sachen wirken irgendwie verloren bei der Masse, die da von mir hängt. Brauch ich eigentlich wirklich so viele Klamotten? Vielleicht sollte ich mal aussortieren und alles, was ich nicht brauche wegschmeißen oder spenden?
 

Als ich aus dem Nebenzimmer in das Schlafzimmer komme sehe ich gerade, wie Katsuya wieder diese Kiste in der Hand hat und den Inhalt in einer der Kommodenschubladen verstauen will. Ich geh zu ihm, knie mich neben ihn und frage erneut nach der Kiste. Er hatte sie am ersten Abend, als uns unser Alltag wieder eingeholt hatte, unter dem Arm, als er aus dem Conbini kam. Zuerst hatte ich gedacht, er wäre gefeuert worden. Aber auf den zweiten Blick konnte ich einige Bilderrahmen, ein Fotoalbum und anderen Kleinkram erkennen. Private Dinge. Er grinst mich nur an und winkt erneut ab.
 

Gerade als er die Sachen verstauen will greif ich nach seinem Handgelenk. Irritiert blickt er mich an und ich schau besorgt zurück. Er seufzt, während er seinen Blick auf die Sachen senkt, die er dann in die Schublade legt. Leise meint er, dass das alles wäre, was von der Wohnung noch übrig wäre. Von der Wohnung? Übrig? Ich frag was passiert ist und er erzählt mir, dass der Vermieter die Wohnung anderweitig weitervermietet hätte. Er habe alle Möbel entweder verkauft oder weggeworfen und ihm nur diese Kiste mit privaten Dingen in die Hand gedrückt, bevor er ihn aus dem Haus geworfen hat.
 

Ich bin völlig baff! Warum hat mir mein Streuner das nicht schon früher erzählt?

Einen Schritt aus dem Bedauern

Ich bin gerade dabei mein neues Zimmer fertig herzurichten, als es plötzlich an meiner Tür klopft, die immer noch offen steht. Als ich meinen Blick zur Tür richte kommt Isono gerade herein und schließt hinter sich die Tür. Resigniert lass ich meinen Kopf hängen, während er zu mir kommt. Er legt seine Hände auf meine Schultern, bevor er mich ran zieht und in den Arm nimmt. Die Umarmung währt nur kurz und als wir uns wieder von einander lösen wuschelt er mir durch mein Haar, als wäre ich erst sieben Jahre alt.
 

Isono meint, er sei stolz auf mich! Stolz? Worauf denn? Ich wollte nicht, das Seto erfährt, dass ich gesehen habe, was Gozaberu ihm angetan hat. Wollte nicht, dass Seto das Gefühl bekommt vor mir sein Gesicht verloren zu haben. Hatte mir vorgenommen so zu tun, als wäre nichts gewesen. Als hätte ich nie gesehen, das Gozaberu ihn...
 

Ich bin immer noch so wütend auf dieses Monster, dass schon allein der Gedanke an seine Untat in mir einen brennenden Schmerz und eine unglaubliche Wut entfacht. Wirklich zu schade, dass dieses Schwein selbst in den Tod gesprungen ist. Gerne würde ich ihn jetzt eigenhändig dafür büßen lassen. Ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen. Dafür, dass er Seto zerbrochen hat.
 

Immer wenn ich Seto in den letzten Wochen sah wollte ich ihn in den Arm nehmen und nicht mehr los lassen. Wollte ihm sagen, dass ich es weiß und dass alles gut ist. Das ich jetzt an seiner Seite stehe und ihm helfen werde mit dem ganzen Scheiß klar zu kommen. Aber die Angst, dass er sich von mir distanzieren oder schlimmer noch, erneut versuchen würde sich das Leben zu nehmen, weil er die Scham nicht ertragen kann, hat mich davon abgehalten.
 

Ich habe viel geweint. Geweint, weil Seto all die Jahren damit alleine leben musste. Niemand hatte, mit dem er darüber reden konnte. Sich niemanden anvertrauen konnte. Weil er all diese Last so lange Zeit alleine geschultert hatte. Um mich zu schützen und mir ein sorgenfreies Leben zu schenken.
 

Auch wenn das Vergessen eine Verdrängung war hätte ich doch in den letzten Jahren merken müssen, was los war. Wie oft ist Seto vor mir und meinen Berührungen zurückgewichen? Hat sie, wenn er sie dann doch mal zuließ, nie lange ertragen. Seine ganze Art... diese Fassade, die er so lange nach außen getragen hat, diente allein dazu alle auf Abstand zu halten.
 

Wieso hab ich das nie richtig hinterfragt? Hätte ich nur ein wenig näher hingeschaut... wäre ich dann nicht drauf gekommen, was Seto mit sich herum schleppte? Jetzt, wo ich mich wieder erinnere, ist alles so offensichtlich. Also, wie konnte ich es sehen und nicht erkennen? Wut flammt erneut in mir auf. Dieses Mal ist die Wut auf mich gerichtet.
 

Doch Isono schüttelt nur den Kopf. Führt mich zu der Bank vor dem neuen Bett und setzt mich darauf, bevor er vor mir in die Hocke geht. Das alles sei seine Schuld, meint er mit diesem um Entschuldigung bittenden Tonfall. Verwirrt blicke ich ihn an. Damals, beginnt er zu erklären, hätte er geglaubt, dass es Seto zu Fall gebracht hätte, hätte er gewusst, dass ich gesehen habe, was dieses Monster ihm antut.
 

Doch auch er hat die Zeit seit Silvester genutzt, darüber nachzudenken. Heute ist er der Meinung, dass das grundlegen falsch war. Das es Seto viel besser getan hätte, wenn er in mir einen Verbündeter und Vertrauter gehabt hätte! Jemand, der trotz allem zu ihm steht. Ihm schon während Gozaberu's Lebzeiten geerdet und ihm klar gemacht hätte, dass es nicht seine Schuld sei. Er nicht alleine gewesen wäre. Ich hätte auf ihn und seinen Rat vertraut und er habe sich geirrt.
 

Aber er sei stolz auf mich, wegen dem, was ich heute meinem Bruder gesagt hätte. Ich sei so erwachsen geworden und mein Bruder kann sich wirklich glücklich schätzen, mich an seiner Seite zu wissen. Das ich so bin, wie ich bin, hab ich einerseits Seto's unglaublichem Opfer zu verdanken, aber andererseits auch Isono. Isono war immer für mich da, wenn Seto es nicht konnte. Hat dafür gesorgt, dass ich mich nie alleine gefühlt habe!
 

Vorsichtig frag ich Isono, ob er glaubt, dass Seto mich ihm helfen lassen wird. Er legt mir seine Hand an die Wange und lächelt mich sanft an. Auch Seto hätte sich in den letzten Wochen verändert. Jonouchi hätte einen guten Einfluss auf ihn. Ja, dass stimmt. Ich will gar nicht wissen, wo wir heute wären, wenn Katsuya keinen Zugang zu ihm gefunden hätte. Oder wenn ihm das Verhalten meines Bruders zu viel gewesen wäre. Mit großer Sicherheit wäre Seto zusammengeklappt. Nervenzusammenbruch oder... vielleicht hätte er dann noch einmal versucht sich das Leben zu nehmen.
 

Auch so eine Sache, die an mir vorbei gegangen war und ich nicht bemerkt habe. Jahre lang konnte Seto seine Narbe vor mir verbergen. Aus Scham und Angst. Wie nannte er es gleich: Seine Schande? Das hat doch nichts mit Schande zu tun. Sondern damit, dass er einfach zu diesem Zeitpunkt keinen anderen Weg gesehen hatte. Wenn er eine Anlaufstelle gehabt hätte... und wenn es nur eine kostenfreie, anonyme Telefonhotline gewesen wäre.
 

Ich blicke zu Isono und sag ihm, dass ich gerne so eine Hotline einrichten lassen würde, wo geschulte Personen Kindern und Teenager, jungen Erwachsenen und jedem der an einem Punkt steht, an dem er denkt, dass der Suizid der einzige Ausweg wäre, helfen können. Er lächelt mich stolz an und verspricht sich zu erkundigen, wie man so etwas umsetzen könnte. Aber ich hab das Gefühl, dass das immer noch nicht genug ist. Ich hab das Gefühl mehr tun zu müssen. Doch Isono legt mir seine Hände auf die Schulter und meint, dass wir erst einmal mit der Hotline anfangen und dann schauen, was wir noch weiter machen können. Ich nicke zustimmend.
 

Dann fall ich ihm um den Hals und drücke ihn fest an mich. Denn mir ist bewusst geworden, dass Seto - und auch ich - ohne Isono es wahrscheinlich erst gar nicht so weit geschafft hätten. Er hat sich von Anfang an um Seto gesorgt, selbst als Gozaberu - das Monster - jegliche Versorgung meines Bruders verboten hat. Isono brachte ihm Essen. Hat sich um Seto gekümmert, als Gozaberu mit seinen Grausamkeiten von ihm abließ. Versorgte seine Wunden. Wusch ihm den Dreck vom Körper, wenn mein Bruder keine Kraft mehr dazu gehabt hatte. Hat Seto das Leben gerettet, als dieser es beenden wollte. Stand mit Rat und - als es darauf ankam - Tat an Seto's Seite. Ermöglichte den Sturz von Gozaberu und hat uns von diesem Monster befreit. Endlich verstehe ich, warum Isono Seto's uneingeschränktes Vertrauen genießt und warum mein Bruder ihm ein Viertel der Firma überschrieben hat.
 

Und obwohl Isono mit seinem Anteil an der Firma jetzt eine ruhige Kugel schieben könnte ist er weiterhin an unserer Seite. Nimmt Anteil an unserem Leben. Ist Teil unserer Familie. Isono ist kein Vater - denn damit verbinde ich nichts Gutes - und auch kein Bruder - das ist alleine Seto vorbehalten -, aber er gehört zu unserer Familie. Ganz ohne Zweifel. So wie ein Onkel? Oder eben, wie ein Isono! Er braucht keine Pseudo-Familienbezeichnung. Er ist einzigartig und gehört zu uns!
 

Als wir uns voneinander lösen lächelt mich Isono sanftmütig an, bevor er aufsteht und meint, dass die anderen gleich mit dem Abendessen fertig wären. Also stehe ich auf und wir verlassen mein neues Zimmer. Doch Isono kommt nicht mit in die Küche. In der Eingangshalle verabschiedet er sich von mir und trotz meines Einwandes, dass ich ihn nicht einfach so gehen lassen kann, meint er, er müsse noch was fertig machen! Ich umarm ihn noch einmal flüchtig und lass ihn gehen.
 

Schade... ich hätte mich gefreut, wenn er mit uns gegessen hätte!

Einen Schritt vor den Spiegel

Ich sitze hinter dem Steuer meines Wagens, dessen Motor ich noch nicht gestartet habe. Der immer noch vor der Villa steht. Meine Hände liegen verkrampft am Lenkrad. Der Himmel zieht sich zu und es wird dunkler, nicht das es ohnehin schon dämmert, obwohl es erst vier Uhr ist.
 

In mir wütet Schmerz und Wut. Schmerz darüber die beiden Brüder heute so sehen zu müssen. Den Jüngeren fertig mit sich und der Welt, weil ich einen Moment lang nicht aufgepasst habe und er etwas sah, was er nicht hätte sehen sollen! Sein Bruder, der ein brillanter Geist und ein Genie ist, der sich aber nicht von den Geistern der Vergangenheit lösen kann und von Schuld und Scham zerfressen wird. Schuld, die er nicht trägt. Scham, weil ich nicht stark genug gewesen bin.
 

Da kommt meine Wut ins Spiel. Meine Wut auf mich selbst! Wie... wie konnte ich nur fünf Jahre lang zusehen, wie dieses Monster sich an diesem unschuldigen Kind, diesem sanften, liebevollen Jungen immer wieder vergriffen hat und ihm die Unschuld ausgetrieben hat. Ihn immer wieder geschlagen, gedemütigt und missbraucht hat. Nicht nur das. Er hat ihn rumgereicht. An seinen Vorstand. An spezielle "Geschäftsfreunde". Immer wieder.
 

Wie oft hab ich den Jungen bewusstlos oder völlig aufgelöst am Boden liegend aufgefunden? Seine Wunden und Verletzungen versorgt? Nichts getan, um ihn zu retten? Bis es fast zu spät war. Es war Glück, dass ich ihn gefunden habe, bevor er mit dem ersten Schnitt fertig war. Bevor er an das zweite Handgelenk gehen konnte. Als er noch nicht zu viel Blut verloren hatte. Da hab ich beschlossen, dass ich nicht länger nur zuschauen kann!
 

Also hab ich mit ihm einen Plan erarbeitet dieses Monster von Adoptivvater aus der Firma zu drängen. Nun ja, Seto-sama hat den Plan aufgestellt. Ich hab ihn nach und nach umgesetzt und ihm zugearbeitet. Wir haben den Alten seines Geldes und damit seiner Macht berauben. Als ihm das klar geworden war sprang er aus dem Fenster. Besser für ihn... ich kann selbst heute nicht sagen, was ich getan hätte, wenn er nicht in den Tod gesprungen wäre. Wahrscheinlich hätte ich mir selbst die Hände schmutzig gemacht und nachgeholfen!
 

Doch den angerichteten Schaden bei Seto-sama... ich wusste, dass der Junge an all der Grausamkeit zerbrochen war. Dass er vor einem Scherbenhaufen seiner Selbst stand. Er versuchte darüber hinwegzutäuschen und Außenstehende mag er mit seiner Fassade überzeugt haben, aber ich wusste um die Grausamkeiten des alten Kaiba's. Wusste, was dieses junge Genie alles ertragen musste und immer noch mit sich herumtrug.
 

Anfangs hab ich versucht ihn zu einer Therapie zu bewegen. Aber ich war auch dabei nicht sehr erfolgreich. Hab versucht ihn zu überlisten, indem ich ein Gespräch mit einem Psychologen eingefädelt habe ohne das er wusste, wer sein Gegenüber war. Doch schon nach der Begrüßung war er voll im Bilde, in welcher Situation er sich befand und wer sein Gesprächspartner war. Sofort hat er sich aus dem Gespräch zurückgezogen und war mich angegangen. Wies mich zum ersten und letzten Mal harsch in meine Grenzen. Seitdem hat er es stets vermieden mit mir über dieses Monster und was es ihm angetan hatte zu sprechen.
 

Wieder geht es mir durch den Kopf, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn ich Mokuba damals nicht davon abgehalten hätte das Gespräch mit seinem Bruder zu suchen. Vielleicht hätte es einige der Problem, mit denen Seto-sama heute zu kämpfen hat, vermieden. Wenn er jemanden zum Reden gehabt hätte. Jemand, dem er bedingungslos vertraute... Aber Mokuba war damals noch so jung! Wie hätte er sich wohl entwickelt, wenn er ständig mit dem Leid seines Bruders konfrontiert gewesen wäre? Wäre aus ihm dann trotzdem ein so lebensfroher und optimistischer junger Mann geworden, wie er es heute ist? Oder wäre er an dem Schicksal seines älteren Bruders mitzerbrochen?
 

Jedenfalls war das damals meine Befürchtung! Wenn ich schon Seto-sama nicht vor den Grausamkeiten des alten Kaiba's retten und bewahren konnte, wollte ich alles tun, damit Mokuba das Schicksal seines Bruders nicht teilen musste. Deshalb hab ich damals Seto-sama davon überzeugt, dass es für seinen kleinen Bruder besser wäre, wenn er nicht tagtäglich in diesem Haus zubringen müsste, sondern das der Besuch einer Internatsschule besser für ihn wäre. Und tatsächlich hat er genau getan, was ich ihm sagte, damit Gozaberu ihn mit der Trennung von Mokuba 'bestrafte'.
 

Doch ich frage mich heute, ob das wirklich richtig war. Hätte ich nicht doch etwas tun können, um Seto-sama vor diesem Monster zu schützen? Doch wäre ich aktiv geworden, hätte mich der Alte rausgeworfen und ich hätte den Jungs nicht mehr helfen können. Zur Polizei zu gehen war ausgeschlossen. Das Monster war mit dem damaligen Polizeichef befreundet und frühstückte einmal die Woche mit ihm. Es war für mich nicht ganz auszuschließen, dass der Polizeichef auch zu Seto-sama's Peinigern gehörte. Hilfsorganisationen, fielen auch weg. Dazu zeigte sich der Alte zu philanthropisch in der Öffentlichkeit. Eine Spende von ihm und jede Hilfsorganisation hätte meine Vorwürfe unter den Tisch fallen lassen. Welche Alternative hätte ich gehabt?
 

Da geht plötzlich die Beifahrertür meines Wagens auf und Jonouchi-kun steigt ein. Er schließt die Tür wieder und blickt mich an. Wasser tropft aus seinem Haar auf seine Hose. Erst jetzt bemerke ich, dass es mittlerweile zu regnen angefangen hat. Aber meine Aufmerksamkeit wird sofort von dem Blick des Blonden angezogen. Ich kenne seinen Blick! Aus dem Spiegel! Von mir selbst! Es ist dieser Blick, der mich seit Jahren immer wieder fragt, warum ich Seto-sama nicht mehr geholfen habe! Warum ich zuließ, was dieses Monster mit ihm getrieben und ihm angetan hat!
 

Ich kann seinem Blick nicht standhalten und blicke wieder auf mein Lenkrad. Mein Griff wird fester und meine Knöchel treten weiß hervor. Ich presse meine Zähne so fest aufeinander, dass mein Kiefergelenk schmerzt. So warte ich darauf, dass der Blonde endlich seinen Vorwurf verbalisiert. Nicht, dass das notwendig wäre. Immerhin sind es Vorwürfe, die ich mir seit acht Jahren selbst mache! Jeden Abend, wenn ich nach Hause komme und in meinem Flur am Spiegel vorbei komme! Mich frage, warum ich nicht mehr tun kann.
 

Doch dann spür ich eine Hand auf meiner Schulter und dreh mich erschrocken und überrascht zu Jonouchi-kun. Der lächelt milde. Was hab ich jetzt verpasst? Wo ist dieser Blick hin, den er eben noch hatte, als er eingestiegen ist?
 

Dann hör ich, wie er mir sagt, ich soll aufhören mich selbst zu geißeln! Er hätte es zwar am Anfang, als er erkannte, dass ich voll im Bild wäre, nicht verstanden, warum ich nur zugesehen habe, aber mittlerweile hätte er darüber nachgedacht und erkannt, dass ich das Beste aus der Situation und meinen Möglichkeiten gemacht hätte. Das er mir dankbar ist, dass ich all die Jahren an Seto-sama's Seite geblieben bin, mich um ihn gekümmert und Mokuba so gut es ging beschützt habe. Er könnte sich vorstellen, dass das alles für mich genauso schwer und kaum zu ertragen gewesen war, wie es für Mokuba und Seto-sama gewesen sein muss.
 

Ich schlucke schwer. Das mal von jemand anderem zu hören... tut gut!
 

Dann wird Jonouchi-kun's Blick wieder ernst. Er eröffnet mir, dass er in der kommenden Woche seinen Psychologen anrufen möchte und dass er ihn darum bitten möchte, sich sowohl Seto-sama, als auch Mokuba anzunehmen. Seines Psychologen? Er grinst mich halb an und zuckt mit den Schultern. Er habe ähnliche Erfahrungen wie Seto-sama gemacht, vertraut er mir an. Das zu hören überrascht mich sehr. Er... wirkt so heiter, lebensfroh und sorgenlos! Wenn er ähnliche Erfahrungen wie Seto-sama gemacht hat, wie hat er es dann geschafft so ... so zu werden? Ich frag ihn nicht danach, denn wir kennen uns noch nicht gut genug. Die Antwort würde ein Vertrauensverhältnis voraussetzen, welches wir nicht haben! Aber ich sage ihm, dass ich seine Idee gut finde, warne ihn aber vor der vermeintlichen Reaktion, die ihn bei Seto-sama erwarten könnte.
 

Er nickt dankbar für den Hinweis und richtet seinen Blick wieder auf mich und fragt mich, ob ich an dem Gespräch teilnehmen wollen würde. Ich blicke ihn wieder mehr als überrascht an. Da ich nicht sofort antworten kann, richtet er seinen Blick wieder aus der Frontscheibe in die Dunkelheit, die uns mittlerweile umgibt. Der Blonde meint, dass es auch mir gut tun könnte, über all das mit jemandem zu sprechen.
 

Ich bin völlig baff davon, dass dieser junge Mann sich Gedanken um mich und mein Wohlergehen macht. Eigentlich hatte ich stets angenommen, für ihn und seine Freunde nur eine Randfigur zu sein, die für sie unwichtig sei. Zu erkennen, dass ich mich - zumindest bei dem Blonden - geirrt habe beschämt mich und macht mich gleichzeitig glücklich!
 

Leise danke ich ihm dafür, lehne diese Einladung aber ab. Ich denke nicht, dass Seto-sama sich öffnen würde, wenn ich bei diesem Gespräch dabei wäre. Jonouchi-kun wendet ein, dass ich auch in einer Einzelsitzung mit dem Mann sprechen könnte oder wenn er mit Mokuba spricht! Vielleicht würde Mokuba meine Teilnahme begrüßen, gibt er zu bedenken. Ich verspreche, darüber nachzudenken.
 

Wieder nickt er und Wassertropfen perlen auf mein Armaturenbrett. Dann schickt er sich an auszusteigen, hält aber nochmals inne, als er bemerkt, dass ich sitzen bleibe. Worauf ich warten würde, fragt er neckisch. Ich blinzle ihn nur an und weiß nicht, was er meint. Er grinst mich frech an und meint, dass das Abendessen noch kalt wird, wenn ich noch länger auf mich warten lasse. Jetzt muss ich grinsen. Also zieh ich den Schlüssel aus dem Zündschloss und steige zusammen mit Jonouchi-kun aus. Gemeinsam gehen wir zurück ins Haus und in die Küche, wo Mokuba freudig überrascht ist, dass ich doch noch zum Essen bleiben werde.

Einen Schritt der Konfrontation

Die Stimmung am Tisch ist relativ ausgelassen beim Abendessen. Die Jungs wollten Mokuba aufmuntern und hatten sich dazu entschieden Burger und Pommes selbst zu machen. Tatsächlich schmecken die selbstgemachten Burger wesentlich besser, als die Industrieburger von Burger World. Selbst Isono schmeckt sein Burger gut und allein diese Bild, wie der Anzugträger da sitzt und in den Burger beißt, zaubert mir ein fettes Grinsen aufs Gesicht. Das sind so zwei Dinge, die in meinem Kopf gar nicht zusammen passen: Anzug und Burger!
 

Der einzige, der wieder äußerst zurückhaltend beim Essen ist, ist mein Drache. Immer wieder lässt er Teile seines Essens in der Stoffserviette verschwinden und versucht damit darüber hinwegzutäuschen, dass er kaum was runter bekommt. Ich verstehe nicht, welches Problem er mit westlichen Mahlzeiten hat. Warum tut er sich dabei immer so schwer oder verweigert sie gar komplett? Ich bin mir sicher, dass dieses Verhalten einer Erfahrung mit Gozaberu geschuldet ist. Vielleicht... sollte ich ihn mal danach fragen... in einem passenden Augenblick. Aber vielleicht... war es heute auch einfach nur zu viel Stress, der ihn immer noch belastet, und seinen Magen extrem empfindlich sein lässt.
 

Langsam klingt das Abendessen aus und Isono schickt sich an doch zu gehen. Ich bin froh, dass er zum Essen geblieben ist und vor allem, dass ich die Chance hatte, vorhin einige Worte mit ihm zu wechseln. Als ich heute Nachmittag erkannt habe, dass er voll im Bild rund um Seto ist, wallte in mir Wut und Unverständnis auf. Wieso hat er damals nichts getan, um meinen Drachen zu retten? Am liebsten hätte ich ihn am Kragen gepackt, gegen die Wand gestoßen und geschüttelt.
 

Doch während des Umzuges hab ich ein wenig darüber nachgedacht und habe erkannt, dass jedes Eingreifen von Isono's Seite aus dazu geführt hätte, dass der alte Kaiba ihn rausgeworfen hätte. Dann hätte er den beiden nicht mehr helfen können. Und von Seto weiß ich, wie sehr sich Isono gerade um ihn gekümmert und ihm sogar das Leben gerettet hat. Also begleite ich ihn zur Haustür, während die anderen dabei sind, dass Chaos vom Kochen und Essen aufzuräumen.
 

Isono ist überrascht, dass ich ihn zur Tür begleite und noch mehr davon, als ich ihm meine Hand hinhalte. Zögerlich schüttelt er sie mir, bevor er das Haus verlässt. Dieses Mal steigt er in seinen Wagen und fährt direkt los. Anders, wie bei seinem ersten Versuch vorhin, nach Hause zu fahren. Da hab ich erkannt, dass ihn das alles selbst sehr mitnimmt und innerlich immer wieder zerreißt, beziehungsweise er sich selbst große Vorwürfe macht, weil er so lange nicht aktiv werden konnte, um Seto zu helfen.
 

Als ich in die Küche zurück komme sind Seto und Honda dabei ein paar Sachen abzuwaschen, die nicht mehr in die Spülmaschine gepasst haben. Honda bemerkt mich kurz und nickt mir zu, dass alles in Ordnung ist. Die beiden scheinen sich tatsächlich zu unterhalten. Ich muss schmunzeln. Mein Drache taut langsam gegenüber den anderen auf, auch wenn ich keine Ahnung habe, worüber sie reden. Aber ich will diesen Moment nicht stören und zieh mich leise wieder zurück.
 

Im Wohnzimmer sitzen Yugi und Otogi und zocken Street Combat. Sie halten mir einen dritten Controller hin, doch ich lehn ab. Frage, wo Mokuba abgeblieben ist. Otogi zuckt mit den Schultern, während Yugi sich halb umdreht und mir mit einem Nicken signalisiert, dass der Kleine wohl Richtung Bibliothek abgehauen sei. Otogi nutzt die Gelegenheit, dass Yugi abgelenkt ist, und verpasst dessen Figur den Todesstoß. Sofort dreht Yugi sich um und lacht über seinen Fauxpas. Das ist eben Yugi, selbst in der Niederlage eine Frohnatur, wie sie im Buche steht! Also verlass ich das Wohnzimmer wieder und lass die beiden ihren Kampf in Ruhe in die nächste Runde tragen.
 

Tatsächlich find ich Mokuba in der Bibliothek. Er sitzt mit an die Brust gezogenen Beinen, um die er seine Arme gelegt hat, auf der Ledercouch im Landhausstil und blickt aus dem großen Fenster in die Dunkelheit. Es hat wieder angefangen zu schneien und die Flocken tanzen gemütlich am großen Fenster vorbei. Der Kleine sieht erschöpft aus und wirkt mutlos. Also geh ich zu ihm und setz mich wortlos neben ihn.
 

Es dauert keinen Moment, bis Mokuba etwas näher an mich ran rückt. Sanft leg ich ihm die Hand in den Rücken. Spüre das seichte Beben, das sich noch nicht ganz zu seinem Zittern entwickelt hat. Vorsichtig zieh ich ihn an mich und als sein Kopf an mir lehnt kann er seine Tränen nicht mehr zurück halten. Auch für ihn war dieser Tag mehr als anstrengend. Ach was, nicht nur dieser Tag... die letzten drei Wochen haben ihn viel Kraft gekostet! Sanft streich ich ihm über den Rücken.
 

Nach einer kleinen Weile hört er auf zu weinen und blickt mich dankbar mit großen Augen an. Ich lächle ihn milde an und streich ihm eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht hinters Ohr. Dann seufzt der Kleine schwer und wendet seinen Blick wieder aus dem Fenster, während er immer noch an mir lehnt und meine Hand auf seiner Schulter ruht.
 

Dann hör ich ihn nach mir fragen. Ich wende meinen Blick nicht vom Fenster ab und brumme nur kurz fragend. Doch es kommt erstmal nichts von Mokuba. Erst nach einer weiteren Weile holt der Kleine Luft und blickt zu mir. Jetzt lös auch ich meinen Blick vom Fenster und schau ihn an. Eine Träne löst sich wieder aus seinem Auge und ich wisch sie ihm sanft weg. Ganz leise erzählt mir Mokuba schließlich, dass er immer wieder diese Bilder aus seiner Erinnerung sieht, wenn er die Augen schließt. Vor allem das Bild von Gozaberu, der seinen Bruder ... ihm versagt die Stimme. Ich schätze, er kann genauso wenig, wie sein Bruder, das Kind beim Namen nennen! Meine Hand ruht weiterhin auf seiner Wange. Aber es war klar, dass er an dieser Erinnerung zu knabbern hat.
 

Ich frage den Kleinen, ob ich nächste Woche mal meinen Psychologen hierher einladen darf, damit er mit ihm darüber sprechen kann. Moki blickt mich mit großen Augen an und weiß nicht, was er antworten soll. Sicherlich kennt er Seto's Abneigung gegen Psychologen und seine Einstellung dazu. Doch auf der anderen Seite scheint sich Mokuba darüber bewusst zu sein, dass er jemand braucht, der ihm fachlich helfen kann. Schließlich nickt er zustimmend. Wieder versuch ich ihn aufmunternd anzulächeln.
 

Er wendet seinen Blick wieder auf das große Fenster. Jetzt fühl ich mich ein wenig unbehaglich. Ich muss den Kleinen etwas fragen, weiß aber nicht genau wie. Schließlich entscheide ich mich für die direkte Art und Weise. Behutsam und vertraulich frag ich ihn schließlich, ob Gozaberu sich jemals ihm genähert hat. Sofort blickt er mich mit großen, überraschten Augen an und schüttelt den Kopf. Ich streich ihm erleichtert über seine Mähne und lächle nur wieder sanftmütig, während ich ein 'Gut' von mir gebe.
 

Moki gähnt und lehnt sich wieder an mich. Ja, der Tag hat auch ihn ziemlich viel Kraft gekostet. Also frag ich ihn, ob wir nicht lieber hoch gehen wollen, dann könnte er sich hinlegen. Ich muss grinsen, als ich seinen Missmut über den Vorschlag, bereits jetzt kurz vor acht, ins Bett zu gehen in seinem Gesicht ablesen kann. Er streckt sich und meint, er geht noch ein wenig mit den anderen zocken oder einen Film schauen. Ich nicke ihm zu und steh auf. Er macht es mir gleich und wir verlassen gemeinsam die Bibliothek.
 

Während Mokuba ins Wohnzimmer zu den anderen geht, in dem sich mittlerweile auch Bakura und Honda eingefunden haben, werf ich noch einmal einen Blick in die Küche. Alles sauber, aber kein Seto. Ich werf noch einen Blick ins Wohnzimmer, doch auch hier ist kein Seto. Mit einem Gähnen wünsch ich allen eine gute Nacht, bevor ich dann in den Gang zum Büro meines Drachens geh. Doch sein Büro, wie auch der zugehörige Waschraum, sind leer. Im Waschbecken liegen immer noch die Scherben des Spiegels.
 

Ich nehme den Hygieneeimer und werfe die Scherben weg. Auch auf dem Boden schau ich mich um, aber scheinbar sind wirklich alle Scherben in das Waschbecken gefallen. Wieder frag ich mich, ob mein Drachen den Spiegel im Affekt ohne Hintergedanken zerschlagen hat oder mit der Absicht, sich ein geeignetes Werkzeug für eine Dummheit zu beschaffen. Er meinte vorhin, er habe kurz vor einer Dummheit gestanden, doch ihm wäre klar geworden, dass es Menschen gibt, die ihn nicht verlieren wollen und das habe ihn abgehalten. War das wirklich so? Oder hatte er Isono und mich reinkommen gehört und sein Vorhaben verworfen, weil er erkannt hat, dass wir ihn rechtzeitig finden und wieder retten würden?
 

Nachdem ich die Scherben weggeworfen habe mach ich mich auf den Weg in das obere Stockwerk. Ganz in Gedanken versunken nehm ich den gewohnten Weg und stell erst im dunklen Zimmer fest, dass ich falsch bin. Also dreh ich um, stoße mit der Schulter an das Regal, dass hier an der Stirnseite des Ganges steht, und schlurfe den ganzen, langen Gang zurück zur Treppe und dann in den anderen Flügel. Dieses Herrenhaus ist so überdimensioniert. Wer könnte jemals soviel Platz brauchen? Wozu braucht man so viele Zimmer, wenn man kein... ich weiß auch nicht... Internat oder Wohnheim führt? Alles ist akkurat symmetrisch.
 

Endlich erreiche ich das Ende des Gangs und öffne die Tür an der Stirnseite. Ich halt kurz inne und blicke den Gang zurück, aus dem ich eben gekommen bin. Wenn dieses Haus symmetrisch ist... wieso gibt es in dem anderen Flügel an der Stirnseite kein Zimmer, dass als Spiegelbild zu diesem dient? Mental schlag ich mir mit der Hand an die Stirn und schüttel den Kopf. Was mir wieder für Gedanken durch den Kopf gehen. Daran erkenn ich immer, dass ich müde bin... wenn ich anfang hinter jeder Kleinigkeit eine kleine Verschwörung zu vermuten.
 

Ich durchquere das dunkle Vorzimmer... Zwischenzimmer - keine Ahnung, wie ich diesen Teil nennen soll - Eingangsbereich und öffne die nur angelehnte Tür, die in das eigentliche Schlafzimmer führt. Dort brennt, wie erwartet, seichtes Licht. Auf dem Bett sitzt mein Drache und wirkt irgendwie traurig und verloren. Sicherlich lässt er gerade seinen Tag Revue passieren und ist daran hängen geblieben, dass Mokuba von dem weiß, was Gozaberu ihm angetan hat. Er wollte nie, dass sein jüngerer Bruder davon erfährt, dass weiß ich! Doch er muss eben jetzt einsehen, dass es nicht zu vermeiden war und er jetzt mit dieser Situation klar kommen muss.
 

Langsam schließe ich die Tür hinter mir und geh zu ihm. Bei ihm angekommen, geh ich in die Hocke und blicke zu ihm auf. Es dauerte einen Moment, bis er aus seinen Gedanken in das hier und jetzt zurück kommt und mich anblinzelt. Ich lächle ihn sanft an und leg ihm eine Hand auf die Wange. Er erwidert mein Lächeln schwach, bevor ich wieder aufstehe. Jetzt schaut er zu mir auf, bevor er seine Arme um meine Taille schlingt und mich an sich heran zieht, um sein Gesicht an meine Brust zu drücken. Ich hör ihn laut aufseufzen und bemerke, wie er tief einatmet. Mein Drache kann schon süß sein... aber... ich muss noch etwas erledigen.
 

Also trete ich einen Schritt zurück und Seto blickt mich überrascht an. Mein Gesicht ist wieder ernst. Er angelt nach meinen Händen, doch ich komme ihm zuvor. Ich nehme seine linke Hand in meine und heb sie an meine Lippen. Ich platziere einen Kuss in seiner Handinnenfläche, bevor ich seinen Ärmel ein Stück nach hinten schiebe und einen weiteren Kuss auf seiner Narbe platziere. Er zuckt - wie immer, wenn jemand die Narbe berührt - zusammen.
 

Dann schau ich ihm tief in seine azurblauen Augen, die mich verwirrt und fragend anblicken. Ich leg meine Lippen kurz auf seine und streich ihm mit meiner freien Hand durch das Haar. Als wir uns wieder von einander lösen richte ich das Wort an ihn. Sage ihm, dass ich seine Gefühle verstehen und nachvollziehen kann. Dass ich den Schmerz und die Scham kenne, die mit der Offenlegung der intimsten Geheimnisse mit einhergeht. Aber die Scham darf ihn weder lähmen, seine Vergangenheit anzugehen, noch dazu treiben, seine Zukunft wegzuwerfen.
 

Beschämt wendet er sein Gesicht von mir ab und blickt aus dem großen Fenster, als ihm bewusst wird, worüber ich rede! Ich weiß, er würde es am liebsten unter den Teppich kehren. So tun, als hätte er heute nicht mit dem Gedanken gespielt, erneut einen Versuch zu starten sein Leben zu beenden. Doch ich weiß, dass es ein schwerer Fehler ist, so etwas totzuschweigen! Es muss offen angesprochen werden.
 

Also setze ich erneut an. Ruf ihm in Erinnerung, dass ich jederzeit für ihn da bin. Dass er zu mir kommen kann, wenn dieser Gedanke sich ihm wieder aufdrängt. Ich werde auf ihn aufpassen und vor einer Dummheit bewahren, wenn er mich lässt. Versuche ihm klar zu machen, dass schon alleine darüber zu reden, den Drang nehmen kann. Dass ich ihm gerne den Halt gebe, den er dann braucht. Er mir niemals zur Last fallen wird. Ihm nichts vor mir peinlich sein muss und er bei mir ganz er selbst sein kann!
 

Eine Träne löst sich aus seinem Auge. Dann wendet er sich - ohne mein Zutun - wieder mir zu und nickt. Es tue ihm leid, mich enttäuscht zu haben. Sanft leg ich meine Hand an seine Wange. Sage ihm, dass er mich niemals enttäuschen kann, solange er ehrlich zu mir ist und nicht vor mir davon läuft, egal wie schmerzhaft es in dem Augenblick auch sein mag! Er nickt erneut und ich spüre, wie er jetzt mehr Nähe von mir braucht. Ich trete wieder einen Schritt näher. Bedächtig legt er seine Arme wieder um meine Taille und lehnt sich mit dem Kopf an meine Brust. Sanft streich ich ihm über sein Haar.
 

Dann erzähl ich ihm von meinem Gespräch mit Mokuba. Von meinem Plan, nächste Woche endlich mal meinen Psychologen anzurufen und hierher einzuladen. Ich spüre, wie Seto sich anspannt. Ihm ist schon der Gedanke unangenehm, dass ein Fremder hier her kommt, der mit ihm über so etwas Schmerzliches, wie seine Vergangenheit, reden möchte. Ich sag ihm, dass auch Mokuba jemanden braucht, der ihm hilft. Seto nickt. Seine Umarmung um meine Körpermitte wird fester.
 

Mein Drache ist mir niemals eine Last, flüstere ich ihm ins Ohr. Genauso wenig wie für seinen Bruder. Noch für Isono. Oder für unsere Freunde! Er blickt zu mir auf. Ich kann seinen Unglauben im Blick erkennen. Doch da ist noch etwas anderes. Hoffnung! Er will mir glauben... kann es aber noch nicht! Auch das werden wir noch ändern. Die Angst hinwegfegen und die letzten Ketten, die meinen Drachen binden, lösen.

Einen Schritt zur Überraschung

Relativ lustlos komm ich am Conbini an. Man, ich hab heute keinen Bock. Normal arbeite ich gern hier, aber nicht an meinem Geburtstag! Aber... es macht auch keinen Unterschied, ob ich Geburtstag habe oder nicht. Scheinbar hat keiner meiner Freunde daran gedacht. Bei Seto bin ich mir nicht mal sicher, ob er überhaupt weiß, wann ich Geburtstag habe. Es gab nie eine Situation, in der es sich ergeben hätte, dass er mich danach fragt oder ich es ihm unverbindlich hätte sagen können.
 

Das Seto am 25. Oktober Geburtstag hat, weiß ich natürlich... okay, ich interessiere mich wohl auch schon etwas länger für ihn, als er sich - bewusst - für mich! Ich fand das damals höchstinteressant, dass er genau drei Monate vor mir Geburtstag hat! Von daher kann ich ihm daraus auch nicht wirklich einen Vorwurf machen... aber meine Freunde - zumindest Honda - müssten doch wissen, wann ich Geburtstag habe, oder?
 

Sicherlich haben sie nur nicht mehr dran gedacht, weil in letzter Zeit so viel rund um Seto und Mokuba geschehen ist. All die Entwicklungen sind an meinen Freunden schließlich nicht unbemerkt vorbei gegangen. Zwar sagen sie nie etwas oder fragen nach, aber ich weiß, dass der ein oder andere sich sicherlich so seine Gedanken über alles macht.
 

Ich nicke Komochi-san zur Begrüßung kurz zu und geh dann nach hinten, um - wie immer - erstmal aus meiner Schuluniform raus zu kommen und mir Alltagsklamotten anzuziehen. Als ich in meine Jeans schlüpfe hör ich ein Ratschen. Ich schau auf das Hosenbein und seh, dass sich direkt über dem Knie ein breiter Riss gebildet hat. Das darf doch nicht wahr sein... das war meine letzte Jeans, die nicht kaputt gewesen ist. Tja...'war' ist schon richtig.
 

Als ich sie hochziehe hör ich erneut ein Reisen des Stoffes! Auf dem anderen Hosenbein hat sich ein Loch auf dem Oberschenkel gebildet. Einfach klasse! Gerade mitten im Winter, wenn seit Tagen Schnee runter kommt und überall liegen bleibt. Egal...! Ich bin mir die Schürze des Conbini um, die deckt zumindest den oberen Riss gekonnt ab. Der andere ist halt... Style! Vorsichtig leg ich meine Schuluniform zusammen und stopf sie dann in meinen Rucksack!
 

Dann geh ich vor in den Laden und fang mit meinen alltäglichen Arbeiten an. Also beginn ich damit die Regale sauber zu machen und die Ware nach vorne an die Kante zu schieben und mit dem Label nach vorne zu drehen. Ich bin am vorletzten Regal, als Komochi-san mich herbei ruft. Lieferung! Er bittet mich die Ware ins Lager zu bringen. Ich nicke und helfe beim Ausladen. Als ich in die Knie gehe, um die Ware abzustellen hör ich ein weiteres Reißen des Jeansstoffes. Scheinbar kann ich froh sein, wenn die Hose bis zu Seto noch hält und nicht vorher schon völlig von mir abfällt!
 

Ich hab die Ware gerade verstaut, da ruft Komochi-san wieder nach mir. Er klingt aufgeregt und ich eil zu ihm. Vor der Kasse steht Mokuba, der mich mit großen Augen anschaut. Er springt zu mir und meint, ich müsse sofort mitkommen! Ich blicke kurz zu meinem Chef der nur schmunzelt und mir zunickt, dass es okay sei. Schnell bring ich meine Schürze weg und schnapp mir meinen Rucksack, bevor Mokuba mich an der Hand packt und zum Auto zieht.
 

Auf die Frage, was los ist, stammelt Mokuba nur aufgeregt rum, ohne das ich wirklich was verstehen kann. Himmel, irgendwas ist mit meinem Drachen und mir wird richtig mulmig, weil ich Mokuba einfach nicht beruhigt bekomme, so dass er mir in Ruhe sagen kann, was los ist. Ich schau zum Fahrerplatz, doch Fuguta sieht nicht so aus, als wüsste er etwas.
 

Noch ehe ich einen weiteren Versuch starten kann Mokuba zu beruhigen, damit ich endlich erfahre was los ist, steuert Fuguta bereits auf das Grundstück der Villa und bleibt vor der Haustür stehen. Sofort springt Mokuba auf und sprintet zur Tür. Ich hinter her. Gerade als ich die Haustür durchschreite, sehe ich Mokuba ins Wohnzimmer rennen. Man, der Kleine ist echt flink. Hab so meine Mühe, ihm hinterher zu kommen. Als ich ins Wohnzimmer stürze, bleibt mein Herz stehen!
 

Mir schlägt ein gewaltiger Chor mit dem Wort "Überraschung" von meinen Freunden, Mokuba und Seto entgegen! Ich stolpere vor Schreck zwei Schritte zurück und wäre beinahe umgekippt. Doch mein Drache ist schneller bei mir, als ich schauen kann und fängt mich auf. So, wie vor einigen Monaten, als ich gestolpert bin und beinahe in diese Matchpfütze gefallen wäre. Ich muss lachen, als ich mir von ihm in einen sicheren Stand verhelfen lassen.
 

All mein Missmut und Ärger vom gesamten Tag sind völlig verflogen. Meine Freunde haben meinen Geburtstag gar nicht vergessen, sondern nur so getan. Mein Blick fällt auf Mokuba, der mich entschuldigend und etwas verlegen angrinst. Kleiner Braten! Ich grins ihn an. Man, er hat mich eben wirklich völlig in Panik versetzt, um mich herzulocken. Hätte er die letzten Wochen nur halb so gut geschauspielert... wäre ich nie hinter gestiegen, dass ihn etwas bedrückt!
 

Dann spür ich eine Hand an meiner Wange und mein Drache schiebt sich vor mich. Legt seine Lippen auf meine und küsst mich sanft. Hmmm... daran könnte ich mich gewöhnen. Es... muss ihn sicherlich einiges an Überwindung kosten mich hier, vor unseren Freunden, zu küssen! Als wir uns langsam von einander lösen, wispert er mir noch einmal ein "Happy Birthday" zu und lächelt mich an. Dann gibt er mich endgültig frei, damit auch die anderen, die mittlerweile auf uns zugesprungen sind, mir auch gratulieren können.
 

Das ganze Wohnzimmer ist mit Ballons und Luftschlangen geschmückt. Über dem Kamin hängt ein Spruchband, in der in großen Buchstaben ein weiteres "Happy Birthday, Jou-kun" steht. Scheinbar hat sich Yugi um das Spruchband gekümmert und ich muss schmunzeln. Meine Freunde umringen mich, drücken und knuddeln mich, gratulieren mir und schlagen mir mit Kommentare über mein 'fortgeschrittenes Alter auf die Schulter.
 

Meine Freunde führen mich zur Couch, lassen mich mittig Platz nehmen und verteilen sich um den Kaffeetisch, der zu meiner Überraschung voller Geschenke liegt. Sie haben sogar darauf geachtet, dass mein Drache sich neben mich setzen kann und sich nicht... allzu unwohl fühlt. Meine Überwältigung nimmt immer weiter zu. Normalerweise sitzen wir bei Burger World und irgendeiner zieht ein kleines Yes-Törtchen, auf dem eine kleine Aufsteckkerze platziert wurde und die ich auspusten soll, bevor sie mich ins Kino einladen. Doch mit so etwas, wie hier, hätte ich jetzt absolut nicht gerechnet.
 

Honda scheint meine Verblüffung zu registrieren und meint nur, dass man nur einmal achtzehn werden würde, ich also mal nicht so überrascht sein soll! Ich grinse breit und über das gesamte Gesicht, während ich mich verlegen am Hinterkopf kratze. Dann geht die Geschenkeschlacht los. Ich liebe Geschenke. Die Vorfreude und Spannung, weil man keinen blassen Schimmer hat, was sich unter dem Geschenkpapier verbirgt. Die Freude, wenn man das Geschenk von seiner Verpackung befreit hat, endlich sieht, was einem geschenkt wurde und man merkt, dass die eigenen Freunde einen echt gut kennen.
 

Dann, nachdem alle Geschenke ausgepackt sind und ich mich erschöpft gegen die Rückenlehne der Couch fallen gelassen habe reicht mir Honda einen Umschlag. Das wäre von allen zusammen für mich, meint er neckisch. Ich schau ihn überrascht an, nehme den Umschlag entgegen und öffne ihn. Wieder muss ich verschmitzt grinsen, als ich aus dem Umschlag einen Gutschein fürs Kino ziehe! Tradition bleibt Tradition, meint mein bester Freund nur und grinst mich an. Ich zieh ihn zu mir und wuschel mit der Faust durch seine Haare, während er lautstark protestiert und gespielt entsetzt darüber ist, dass ich seine Frisur so gnadenlos zerstöre.
 

Schließlich springen Yugi und Mokuba auf, greifen nach meinen Händen und ziehen mich von der Couch. Sie schleifen mich regelrecht in die Küche, während die anderen uns folgen. Denn dort wartet schon die nächste Überraschung auf mich: Der Tisch ist gedeckt und in der Mitte steht ein gewaltiger Cotton Cheese Cake1 auf dem achtzehn Kerzen brennen. Völlig baff bleib ich stehen, bevor Honda mich von hinten weiter zum Tisch schiebt.
 

Irgendwer ruft, dass ich mir was wünschen soll. Ich grinse wie ein Volldepp, bevor ich tief Luft hole, mich vorbeuge und alle Kerzen beim ersten Versuch auspuste. Dann schau ich zu meinem Drachen und lächel ihn glücklich an. Er erwidert mein Lächeln und sieht einfach mit dieser Geste umwerfend aus. Mein Drache sollte definitiv häufiger lächeln! Er beugt sich zu mir und legt mir ein weiteres Mal seine Lippen auf die eigenen. Dieses Mal spür ich jedoch, wie er um Einlass bittet und ich gewähre ihm diesen. Das ist das erste Mal, dass wir uns auf diese Art und Weise küssen und dabei nicht unter uns sind.
 

Schließlich kommt von Otogi ein dummer Spruch, dass wir uns ein Zimmer nehmen oder aufhören sollen das Anschneiden vom Kuchen zu verzögern. Wir brechen unseren Kuss und ich muss grinsen, während sich auf Seto's Wangen eine leichte Röte bildet. Mein Drache ist und bleibt einfach süß, wenn ihm so etwas eine leichte Röte ins Gesicht zaubert.
 

Aber Otogi hat recht, also schneiden wir den Kuchen an und ich stell absolut überrascht fest, dass es ein Matcha² Cotton Cheese Cake ist - mein absoluter Lieblingskuchen, den ich schon seit Jahren nicht mehr gegessen habe... und von dem ich noch nie jemanden aus meinem Freundeskreis erzählt habe. Da bin ich mir sicher. Also woher wussten sie, dass das mein Lieblingskuchen ist?
 

Auf meine Frage hin schauen alle zu meinem Drachen. Ich folge ihren Blicken und er trägt wieder dieses unglaubliche Lächeln in seinem Gesicht. Noch ehe er antworten kann legen sich mir große Hände über die Augen. Ich springe erschrocken auf und dreh mich um und ... bin völlig baff!
 

Vor mir steht mein Vater. Frisch geduscht. Rasiert. In ordentlichen, sauberen Klamotten. Seine Augen sind klar und aufmerksam auf mich gerichtet. Er lächelt mich auf seine ganz typische Art und Weise väterlich an. Dann sagt er 'Happy Birthday, Sunnyboy' zu mir. In diesem Moment erwach ich aus meiner Schockstarre und spring ihm in die Arme. Ich drück ihn fest an mich und merke, wie sehr ich ihn vermisst habe! Vor lauter Freude kommen mir sogar die Tränen. Scheiße! Da ist die Coolness dahin!
 

Nach einem langen Moment lösen wir und von einander und er nimmt neben mir Platz. Honda ist einen Stuhl weiter gerückt und erst jetzt fällt mir auf, dass von Anfang an ohnehin ein Gedeck mehr auf dem Tisch stand! Das ist einfach unglaublich! Unglaublich! Nicht nur, dass sie mir eine Überraschungsparty organisiert haben, die mehr als gelungen ist, sie haben auch noch meinen Dad hergeholt und der hat mir meinen absoluten Lieblingskuchen gebacken... Dieser Tag kann gar nicht mehr besser werden. Der ist jetzt schon absolut übertrieben geil!
 


 

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1) Cotton Cheese Cake (auch japanischer Käsekuche) ist ein sehr softer Soufflékuchen. Hier ein deutsches Rezeptvideo für euch:Bea's Japanischer Käsekuchen
 

2) Matcha ist ein zu feinstem Pulver vermahlener Grüntee, der u. a. in der japanischen Teezeremonie verwendet wird. Er hat eine intensive grüne Farbe und einen lieblich-süßlichen, manchmal leicht herben Geschmack.

Einen Schritt der Überwindung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt der Verweigerung

Die Woche war lang und anstrengend gewesen. Das Schauspiel in der Schule geht weiter. Ich bin es leid! Aber noch immer kassiere ich merkwürdige Blicke von den anderen Mitschülern, wenn sie aus der Pause kommen und sehen, wie ich mit den anderen zusammen sitze. Wenn die sich schon nicht daran gewöhnen können, dass ich neuerdings Freunde...
 

Ich halt einen Moment inne... Freunde!? Der Kindergarten? Wie hat sich das bloß so schnell entwickelt? Noch vor den Ferien... da hab ich sie alle ignoriert, weil Katsuya... er sah etwas, was ich verbergen wollte und ich hatte Angst. Angst davor, dass er es den anderen erzählt haben könnte! Heute weiß ich, dass diese Angst unbegründet war. Doch vor ein paar Wochen... da hat mich der Gedanke in den Wahnsinn getrieben. Ich wollte sie einfach nur davon abhalten einen weiteren Versuch zu starten hinter meine Fassade zu blicken. Also hatte ich sie so heftig und weit von mir gestoßen, wie es mir nur möglich war.
 

Dann hat es Katsuya trotz allem in mein Leben geschafft. Er... es ist schwer zu beschreiben! Er gab mir das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, als ich mich völlig schutzlos und ausgeliefert fühlte. Trost und Verständnis, als ich in meinem Schmerz und meiner Scham versank. Brachte mir Vertrauen entgegen, als er mir von dem Restaurantbesitzer und dem, was dieser ihm angetan hatte, erzählte. Er ist wie ich... und doch so grundlegend anders.
 

Doch durch ihn... hab ich wieder Dinge in mir entdeckt. Gefühle! Neben all dem Horror, dem Schmerz und den Ängsten... hab ich tatsächlich auch etwas Positives gefunden! Gefühle für meinen Streuner! Es war, als wären sie schon immer da gewesen und seien mit all dem Zeug, welche ich nicht wahrhaben wollte, hinter diese Mauer geraten. Bis diese Mauer schließlich zusammenbrach und alles wieder freigab. Das ist so völlig irreal! Verrückt! Das klingt wie in einem billigen Dreigroschenroman. Aber so war... ist es!
 

Zwischen Weihnachten und Neujahr haben dann die anderen irgendwie einen Fuß in meine Welt bekommen. Obwohl ich sie immer wieder zurückgewiesen habe, sie beleidigt und runtergemacht habe... haben sie nicht aufgehört einen Schritt nach dem anderen auf mich zuzukommen. Sie ließen sich einfach nicht abschrecken und bewiesen, neben ihrer Vertrauenswürdigkeit, auch Taktgefühl. Banden mich ein ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und plötzlich... duldete, später tolerierte ich sie... mittlerweile hab ich sie akzeptiere! Wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, genieß ich sogar gelegentlich ihre Anwesenheit! Ich würde das natürlich nie öffentlich zugeben, aber... die Pausen nicht mehr alleine zu verbringen, fühlt sich gut an.
 

Letzte Woche, nach dem Essen, als ich mit Honda abgespült habe - mental schüttel ich kurz den Kopf: Ich und Geschirr spülen! - hat sich sogar ein Gespräch zwischen uns entwickelt. Von meiner Seite initiiert. So etwas wäre vor den Ferien völlig undenkbar gewesen. Doch ich brauchte seine Meinung zu meiner Geschenkidee für Katsuya und seine Hilfe, wie ich diesen davon überzeugen konnte, das Geschenk wohl annehmen!
 

Honda fand meine Idee ganz gut und schlug dann vor, dass wir uns am nächsten Tag unter einem Vorwand getrennt aus dem Haus stehlen sollten, um gemeinsam die Klamotten für Katsuya zu kaufen. Da er der beste Freund meines Streuners ist vertraute ich auf seine Beratung beim Kauf.

Als wir unterwegs waren, offenbarte mir Honda, dass Katsuya's größte Angst die sei, dass ich glauben könnte, er wäre mit mir nur wegen meinem Geld zusammen. Das der erste Schritt, um ihn zu überzeugen, dass Geschenk anzunehmen, der sei, ihm klar zu machen, dass ich weiß, dass dem nicht so ist! Und er hatte Recht behalten!

Danach hatte er mir den Rat gegeben, mich in seine Lage zu versetzen. Vielleicht mich darauf zu besinnen, warum ich die Bentō-Boxen angenommen hatte und zu schauen, ob ich das nicht als Argument für meinen Streuner nutzen könnte. Und auch damit hatte er so Recht gehabt!
 

Aber um auf das eigentliche Thema zurück zu kommen: Wenn schon meine Mitschüler nach fast fünf Wochen immer noch baff davon sind, dass ich neuerdings in Gesellschaft meine Mittagspause verbringe, wie wäre das wohl bei der Presse, wenn sie die Wahrheit zwischen Katsuya und mir entdecken würden? Sie würden sich auf ihn stürzen und durchleuchten. Ohne Zweifel würde einer von ihnen seine Vergangenheit entdecken und als großer Aufmacher veröffentlichen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Katsuya wegen mir so bloß gestellt werden würde. Das würde ich niemandem wünschen! Aber vor allem nicht meinem geliebten Streuner!
 

Also... weiterhin so tun, als ob wir 'nur' Freunde wären! Auch wenn es mir immer schwerer fällt, den Schein zu wahren und meine Bedürfnisse, ihm nah sein oder ihn küssen zu wollen, zu kontrollieren.
 

Ich spüre, dass ich nicht mehr alleine bin und als ich aus meinen Gedanken zurück in die Realität kehre bemerke ich, dass mein Streuner auf meinem Schreibtisch sitzt und mich sanft anlächelt. Ich erwidere sein Lächeln und zieh ihn zu mir runter. Unsere Lippen berühren sich und ich genieße den Kuss, der folgt. Seine Wärme und den süßen Geschmack von Katsuya's Lippen. Doch früher als mir lieb ist klingt der Kuss aus und ich kann etwas in Katsuya's Blick erkennen. Ich weiß nur nicht, was genau ich da erkenne.
 

Er rutscht von meinem Schreibtisch, nimmt meine Hand und zieht mich mit sich, raus aus dem Büro den Flur Richtung Eingangshalle entlang. Will er etwa jetzt... mit mir... alleine sein? Sollte dieser Blick, dass bedeuten? Nein! Diesen Blick hätte ich sofort erkannt, vor allem, wenn es mir gerade in diesem Augenblick auch so geht.
 

Wir erreichen die Eingangshalle, doch zu meiner Verwunderung zieht mich mein Streuner weiter ins Wohnzimmer und von dort durch eine der großen Türen in den Wintergarten. Kaum haben wir diesen betreten bleibe ich abrupt stehen!
 

In der Mitte des Wintergartens bei der Sitzgarnitur stehen Mokuba und Isono! Sie sind aber nicht alleine! Bei ihnen steht ein Mann Mitte dreißig. Er hat rotbraunes, kurzes Haar und seine Frisur erweckt den Eindruck, dass der Mann gerade aus dem Bett gefallen ist. Seine grünen Augen wirken jedoch hellwach und aufmerksam. Sein Blick richtet sich sofort auf mich und bleibt an mir haften. Um das freundliche Lächeln rankt sich ein drei-Tage-Bart. Im linken Ohr trägt er einen Ohrring und zwei Stecker, während im rechten Ohr nur zwei Stecker Platz finden.

Seine Kleidung wirkt leger: Er trägt ein hellblaues Hemd, dessen Ärmel bis zu den Oberarmen hochgekrempelt sind. Darunter ein weißes Shirt auf eine Bluejeans. Turnschuhe, die den legeren Eindruck abrunden. Am rechten Oberarm fällt mir eine Tätowierung auf. Das Motiv kommt mir bekannt vor und als Katsuya mich einen weiteren Schritt näher an die anderen führt, erkenne ich, dass es der Black Luster Soldier sein soll. Eine der stärksten Krieger-Karten aus Duell Monsters!²
 

Dann stellt sich der Fremde mit Reijirou Inukai vor, meint aber ich gleichem Atemzug, dass ich ihn einfach Kai nennen soll. Ich bin mehr als irritiert von dem Mann, dessen Stimme jugendlich klingt und der gleich so vertraut mit mir umgeht, als würde er mich schon jahrelang kennen. Fragend blicke ich zu Katsuya, der mich sanft anlächelt. Dann merkt mein Streuner an, dass dieser 'Kai' sein Psychologe ist, von dem er mir erzählt hat und mit dem ich mich im neuen Jahr mal treffen wollte.
 

Ja... nein... wollen ist zu viel gesagt. Klar, ich hatte nach Weihnachten zugestimmt, als Katsuya mich gefragt hatte, ob er nicht mal seinen Psychologen einladen könnte, damit er mit uns spricht. Auch als er letzte Woche erneut damit kam, dachte ich, er wolle, dass der Mann mit Mokuba spricht... nicht mit mir! Ich spüre, wie sich etwas in mir sträubt. Ich will weder hier sein, noch diesen Mann kennenlernen oder gar mit ihm über irgendwas sprechen! Schon gar nicht, wenn Mokuba und Isono dabei sind!
 

'Kai' deutet auf die Sitzgarnitur und gibt mit einer Geste zu verstehen, dass wir uns vielleicht hinsetzen sollen. Nein! Auch das will ich nicht... aber es scheint gerade egal zu sein, was ich will! Katsuya zieht mich sanft mit zum Zweisitzer, während Mokuba, Isono und 'Kai' uns gegenüber in den Rattansesseln Platz nehmen. Katsuya verschränkt unsere Finger miteinander. Mein Inneres zittert und ich hoffe inständig, dass ich vermeiden kann, dieses Zittern nach draußen zu lassen.
 

Der Psychologe beginnt damit sich vorzustellen: Wie alt er ist, wo er aufgewachsen ist, dass er Geschwister hat, wo er studiert hat, wie lange er praktiziert... all das, was mich gerade so gar nicht interessiert. Mokuba scheint weniger Scheu zu haben! Er stellt immer wieder Fragen oder kommentiert eine seiner Aussagen!
 

Dann blickt 'Kai' in die Runde und meint, Katsuya habe recht deutlich durchblicken lassen, dass es hier ein Gesprächsbedarf gäbe. Sanft streicht mir mein Streuner mit seinem Daumen über den Handrücken, während ich meine Zähne nur fest aufeinander presse. Mokuba und Isono blicken zu mir und erwarten scheinbar, dass ich den Anfang mache, aber ich denke gar nicht daran!
 

Einem Fremden, den ich nicht kenne und nicht überprüft habe, werde ich garantiert nichts von mir anvertrauen! Umso überraschter bin ich, als Mokuba das Wort ergreift. Entsetzt blicke ich ihn an, während dieser sich auf den Quacksalber konzentriert. Mein kleiner Bruder plaudert einfach mal so aus, dass wir adoptiert sind und Gozaberu ein Monster war. Ich kann kaum noch Luft holen, so angespannt bin ich.
 

'Kai' blickt zu mir. Fordert mich mit seinem Blick auf etwas dazu zu sagen. Ich wende meinen Blick zur Glasfront des Wintergartens und schau demonstrativ hinaus in den schneebedeckten Garten. Katsuya streicht mir weiter beruhigend über meinen Handrücken. Ich schlucke, zwing mich aber dazu weiterhin in den Garten hinaus zu schauen.
 

Mokuba setzt an und erzählt weiter. Das Gozaberu ein herrischer, sadistischer Drecksack war. Wie er seine Grausamkeit und Aufmerksamkeit vollständig auf mich konzentriert hat und immer wieder von mir akademische Spitzenleistungen gefordert hat. Mein kleiner Bruder erzählt von den Schlägen, Erniedrigungen und wie er uns immer wieder voneinander trennte, um mich zu bestrafen. Seine Erzählungen sind nur sehr oberflächlich und zusammenfassend, reichen aber aus damit ich immer wieder schlucken muss.
 

Es kostet mich viel Kraft keine Regung nach außen dringen zu lassen. Dabei will ich nur, dass er aufhört zu erzählen. Aber ihn anzufahren und genau das zu fordern würde mehr von mir Preis geben, als ich dem Psychologen zeigen will. Schließlich höre ich Mokuba immer leiser werden, als er meint, dass das aber alles nichts im Vergleich zu dem wäre, was Gozaberu mir noch angetan hat.
 

Mein inneres Zittern ist so stark geworden, dass ich mir längst nicht mehr sicher bin, ob es nicht mittlerweile äußerlich zu sehen ist. Ich kann wieder den Blick von diesem 'Kai' auf mir ruhen spüren, der ganz offensichtlich hofft, dass ich das Wort übernehme und ihm gleich jedes grausame Detail Preis gebe. Dann hoff mal schön weiter!
 

Als Isono das Wort ergreift kann ich nicht vermeiden ihn überrascht und noch viel entsetzt anzublicken, als zuvor Mokuba. Er setzt dazu an, die unausgesprochen Frage, derer ich mich verweigert habe, zu beantworten. Ich steh ruckartig und zur Überraschung aller auf und mein nur, dass ich noch zu arbeiten hätte, bevor ich mich abwende und den Wintergarten verlassen will!
 

Katsuya springt auch auf und greift erneut nach meiner Hand. Hält mich fest. Zwingt mich stehen zu bleiben. Ich bleib mit dem Rücken zu ihm und den anderen stehen. Doch mein Streuner schiebt sich vor mich und schaut mich mehr als besorgt und bittend an. Er möchte, dass ich bleibe, mich wieder hinsetze und... ich kann das nicht... ich kann mir nicht anhören, was Mokuba und Isono noch alles über mich wissen! Welche Details ich nicht vor ihnen verbergen konnte! Tränen brechen sich Bahn und verlassen meine Augen. Ziehen sich langsam über meine Wangen. Ich bin mir jetzt sicher, dass mein Zittern deutlich zu sehen ist. Wieder muss ich schwer schlucken.
 

Katsuya blickt mich verständnisvoll und mit einem sanften Lächeln an, schaut dann an mir vorbei zu den anderen drei und nickt ihnen zu. Dann verschränkt er erneut unsere Finger und führt mich aus dem Wintergarten, die Treppe hinauf in unser Zimmer. Dort zieht er mich eng an sich heran. Bettet meinen Kopf auf seiner Schulter. Ich klammer mich an ihm fest und lass dann meine innere Anspannung los...
 

Mein Streuner hält mich sanft, aber fest im Arm und gibt mir die Geborgenheit und den Schutz, den ich jetzt brauche!
 


 

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2) Bitte nicht wundern, ich hab feste NPCs, die in verschiedenen Stories in der gleichen Rolle auftauchen und daher kann es sein, dass ihr diese Personenbeschreibung vielleicht schon in einer anderen Story gelesen habt!

Einen Schritt, um den Weg zu bereiten

Ich stehe im Foyer des prunkvollen Hauses meines Freundes und strecke mich, nachdem ich kurz gegähnt habe. Montage sind nicht so unbedingt mein Fall, aber wenigstens sind sie dank meiner Freunde erträglich. Ohne würde mich morgens nichts reizen, mich aus dem Bett zu schälen und pünktlich zur Schule zu erscheinen. Liegt wohl auch daran, dass der Unterricht einfach zu weltfremd ist und mich langweilt.
 

Plötzlich spür ich, wie sich ein Arm um meine Taille schlingt. Dann tritt auch schon Otogi vor mich. Sanft legt er seine zweite Hand an meine Wange und küsst mich leidenschaftlich, wie jeden Morgen, wenn ich ihn abhole. Was würd ich dafür geben meinen Tag direkt nach dem Aufwachen mit so einem Kuss beginnen zu können. So, wie es ist, wenn wir bei Kaiba pennen. Und gleich danach ein Nümmerchen... Ich merke wie ich wuschig werde! Was aber gerade absolut unpassend ist, weil wir keine Zeit haben nochmal fix zu ihm ins Schlafzimmer hochzugehen und genau das zu tun, worauf auch er ganz offensichtlich Lust hat.
 

Als sich unser Kuss löst grinst er mich verführerisch an. Er zieht mich mit seinem Arm um meine Taille etwas näher. Dann fragt er mich flüsternd, ob wir die ersten beiden Stunden nicht sausen lassen wollen. Oh... führe mich nicht in Versuchung... Es kostet mich meine gesamte Selbstdisziplin jetzt nicht sofort nachzugeben! Ich lehn mich mit meiner Stirn an seine und schließe meine Augen, um nicht von seinen smaragdgrünen Augen in den Bann gezogen zu werden. Stammelnd versuche ich ihn davon zu überzeugen, dass wir uns das nicht leisten können, weil... weil... mir fällt gerade kein gutes Argument ein! Dann nimmt er mich auch schon an der Hand und führt mich die große Treppe hinauf in sein Schlafzimmer.
 

Schon interessant, wie sich manche Dinge einfach so entwickeln. Noch vor anderthalb Jahren haben wir um Shizuka gewetteifert. Wir beide wollten die Aufmerksamkeit der jüngeren Schwester meines besten Freundes gewinnen. Am Ende sind wir beide leer ausgegangen, haben dafür aber eine gute Freundschaft aufgebaut. Unsere Freundschaft war vor allem von Frotzeleien geprägt, so ähnlich wie zwischen Kaiba und Jou, nur dass wir auf gleicher Augenhöhe waren.
 

Letztes Jahr, kurz nach dem Jahreswechsel, hab ich dann erkannt, dass Mädels nicht so wirklich mein Ding sind! Dazu blickte ich einfach zu oft anderen Jungs oder Kerle hinterher. Erst hab ich 'ne Weile mit mir gerungen! Irgendwann hatte Otogi mich darauf angesprochen, ob ich schwul sei. Zuerst wollte ich es leugnen. Der Gedanke, dass ich homosexuell bin, war mir noch so fremd und unwirklich. Doch Otogi hat mir nur seine Hand auf die Schulter gelegt und gemeint, dass es in Ordnung wäre. Ich weiß nicht wieso, aber es hat mich irgendwie erleichtert.
 

Also fing ich an Jungs zu daten. Anfangs nur welche, deren Alltag keinerlei Berührungen mit meinem eigenen hatten und die ich über Grindr - so eine Dating-App fürs Handy - fand. Die meisten Dates waren furchtbar und verkrampft. Nach jedem Date stand ich bei Otogi auf der Matte, der sich geduldig meine Erfahrungen anhörte und mir Mut zusprach nicht aufzugeben. Ich würde sicherlich noch den Richtigen finden.
 

Im letzten Sommer hatte ich ein ganz fürchterliches Date. Der Typ war ein Arsch sondergleichen. Nicht nur, dass er die ganze Zeit nur von sich geschwafelt hat und mehrfach betont hat, was für ein toller Hengst er ist. Immer wenn ich was sagte fiel er mir mitten in den Satz und lenkte das Thema wieder auf sich.

Nachdem wir bei Burger World raus waren sind wir dann ins Kino gegangen, um uns einen Film anzuschauen. Nicht, dass wir mal vorher drüber gesprochen hätten, welchen Film wir uns anschauen wollen, ist er einfach an die Kasse und hat sich eine Karte für irgend so einen Pseudo-Dokumentar-Actionfilm mit Wackelkameraführung gekauft. Etwas angesägt bin ich nachgezogen.

Doch dann kam der Hammer: Mitten im Film stieß er mir seinen Ellenbogen in die Seite - aber nicht auf die sanfte Tour - und flüsterte mir zu, dass er jetzt ginge und dass das mit uns nichts werden würde. Dann stand er auf und ließ mich sitzen!
 

Als ich wenig später - den Film hatte ich mir nicht zu Ende angeschaut, weil er mich ohnehin nicht interessiert hatte - bei Otogi aufschlug und mich bei ihm über dieses beschissene Date auszuheulen, meinte er nur, dass ich ohnehin viel zu gut für den Typen gewesen wäre und der mich nicht zu schätzen gewusst hatte. Ich schmunzelte resigniert, aber völlig entmutigt, während ich die Schultern hängen ließ und nur traurig in Otogi's Garten blickte. Plötzlich legte mir Otogi die Hand an die Wange, zog mich zu sich und küsste mich.
 

Nach meiner anfänglichen Überraschung gab ich mich dem Kuss hin, der schnell an Leidenschaft gewann und das Feuer in uns anfachte. Keine zehn Minuten später lagen wir in seinem Bett, nackt und bei der Sache! So... hatte ich mir mein erstes Mal nicht vorgestellt, denn es war um Längen besser, als in meiner Vorstellung. Ich merkte, dass Otogi bereits Erfahrungen darin hatte und mich trotz der flammenden Leidenschaft geübt heranführte.
 

Am nächsten Morgen schreckte ich in Panik hoch und konnte nicht glauben, dass ich am Abend zuvor mit Otogi im Bett gelandet war. Der lag immer noch nackt neben mir und grüßte mich verschlafen, als wäre es das Normalste der Welt, dass wir zusammen in die Kiste gesprungen waren. Himmel, ging mir der Arsch auf Grundeis. Einerseits war es ein wundervolles Erlebnis, andererseits wollte ich nicht die Freundschaft zwischen Otogi und mir verlieren.
 

Er stand nur auf, zog sich eine Boxer an und setzte sich neben mich. Ruhig, mit einem sanften, beruhigenden Unterton meinte er, dass ich keine Angst haben bräuchte. Wenn es eine einmalige Sache gewesen wäre, wäre das für ihn vollkommen in Ordnung und wir könnten dort weitermachen, wo wir davor gestanden hätten. Ich stimmte zu und tatsächlich hatte sich nichts zwischen uns geändert.
 

Außer das wir gelegentlich Sex miteinander hatten... wann immer einer von uns in Stimmung war, war der andere nur allzu gern bereit, ein Ventil zu bieten. Mal war er oben, dann ich. Es war ein ständiger Wechsel und er erweiterte meinen Horizont rasend schnell. Das zwischen uns war eine Freundschaft mit gewissen Vorzügen. Und sie funktionierte einwandfrei!
 

Bis auf die kleine Tatsache, dass ich mich in Otogi verliebte! Aber um nichts in der Welt hätte ich es zugegeben! Liebe konnte etwas gut funktionierendes, wie unsere Freundschaft mit gewissen Vorzügen, schneller ruinieren, als man denken könnte. Das wollte ich auf keinen Fall, also datete ich weiterhin Jungs, die ich auf Grindr kennenlernte. Hin und wieder war sogar mal ein Netter dabei, mit dem ich dann auch zur Sache kam. Aber nichts, womit ich eine Beziehung eingehen wollte.
 

Als ich in den Herbstferien wieder ein Date hatte, mit 'nem Typen, der wirklich geil aussah, tauchte Otogi plötzlich in dem entlegenen Burger World an unserem Tisch auf. Er musterte kurz scharf mein Date, nahm mich bei der Hand und zog mich aus dem Restaurant. Erst als wir in eine Gasse einbogen blieb ich stehen und fragte völlig entgeistert, was das sollte. Otogi wandte sich zu mir, drängte mich an eine Hauswand und küsste mich mit solcher Leidenschaft, wie ich sie zuvor nicht erlebt hatte. Als der Kuss endete grinste er mich an und meinte, dass er mich mit niemandem mehr teilen würde! Das war der Moment, indem ich ihn an die Wand drückte und mich mit einem noch leidenschaftlicheren Kuss revanchierte.
 

Und so kommen wir halt heute erst zur dritten Stunde zur Schule, kassieren von Jou ein wissendes Grinsen und bemerken mit einem Schmunzeln die seichte Röte auf Yugi's Wangen. Ryou scheint - wie üblich - nicht wirklich zu checken, warum Otogi und ich gemeinsam zu spät sind und Kaiba... Kaiba versucht nach wie vor auf nichts zu reagieren, vor allem nicht auf meinen besten Freund. Das ist jetzt die sechste Woche, in der die beiden so tun, als seien sie 'nur' befreundet. Dabei bemerke ich immer wieder, wie Kaiba's Hand, vor allem in den Mittagspausen, öfters Richtung Jou geht. Aber bevor sie sich berühren zieht er seine Hand wieder zurück.
 

Auch heute ist es nicht anders. Unsere Klassenkameraden strömen in die Mittagspause, wir schieben zwei Tische zusammen und setzen uns rund rum. Dabei sitzen sich Jou und Kaiba wie immer gegenüber. Jou packt zwei Bentō-Boxen aus, kramt in seiner Tasche und zückt einen Schokoriegel... so einem Erdnuss-Waffel-Schokoriegel mit Erdbeergelee-Füllung. Er schiebt ihn über die Tischplatte Richtung Kaiba, dessen Hand sich nach dem Riegel ausstreckt. Rein zufällig - wer's glaubt - berühren sich ihre Hände für einen Augenblick. Einen langen Augenblick, bevor Jou seine Hand zurückzieht und Kaiba den Schokoriegel zu sich zieht und verlegen seinen Blick auf die Bentō gerichtet hält.
 

Als Yugi den Schokoriegel sieht fängt er an zu maulen, dass er jetzt auch gern einen hätte. Etwas Süßes wäre jetzt genau das richtige, um ihm die Energie für den restlichen Schultag zuliefern. Nicht das mein Kumpel wirklich zusätzliche Energie notwendig hätte! Aber Bakura stimmt zu und äußert auch sein Bedarf an Süßkram. Schließlich steht Kaiba auf und meint, dass er dran sei zum Kiosk zu gehen. Alle blicken ihm verwundert hinterher, als er aus dem Klassenzimmer geht. Ich spring auf und mein, dass ich ihm helfen werde.
 

Am Treppenabsatz hol ich ihn ein. Er scheint überrascht, vielleicht etwas verärgert zu sein, dass ich ihm 'helfen' will. Ein paar Schokoriegel würde er schon noch gekauft bekommen, meint er abweisend. Doch ich lasse mich nicht beirren. Nach einigen Stufen stoß ich ihn ganz leicht mit meinem Ellenbogen an, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Aus dem Augenwinkel blickt er mich fragend an.
 

Ich frag ihn bedächtig, wie lange Jou und er noch dieses Schauspiel in der Schule treiben wollen? Er bleibt kurz stehen, bevor er weiter die Treppe hinunter steigt. Für einen Moment scheint er etwas antworten zu wollen, doch dann kommt nichts mehr von ihm. Schließlich bleibt er noch mal stehen und meint, dass das alles nur zum Schutz für Jou wäre. Zum Schutz für Jou? Kaiba erklärt mir, dass er als Jungunternehmer im öffentlichen Interesse stünde und wenn er sich öffentlich zu Jou bekennen würde, der ebenfalls in den Fokus der Medien rücken würde.
 

Ja, diese Möglichkeit haben wir vor einigen Monaten mal innerhalb der Clique durchgespielt und ich kann mich noch recht deutlich erinnern, wie egal es Jou war. Kaiba senkt seinen Blick und meint, dass Jou damals noch nicht bewusst gewesen ist, was das bedeuten könnte. Das gerade die Schmierblätter ihn komplett durchleuchten und jedes Detail seines Lebens in die Zeitung bringen würden.
 

Ich zuck mit den Schultern. Und wenn schon, was könnte so interessant an unserem Leben als Schüler sein? Kaiba seufzt genervt und meint, dass es Dinge gäbe, die Jou vielleicht nicht öffentlich abgedruckt lesen wollen würde. Fragend blick ich ihn an. Angespannt kommt von Kaiba nur, ob ich wirklich glauben würde, dass Jou aller Welt mitteilen möchte, dass sein Vater demnächst eine Suchttherapie beendet oder dass er bislang drei Jobs neben der Schule her hatte, um die Miete und die Schulden seines Vaters zu bezahlen. Ob ich so naiv bin zu glauben, dass es Jou wirklich nichts ausmachen würde, wenn alle Welt in einem Klatschblatt von der Scheidung seiner Eltern lesen könnten oder das sein Vater... Plötzlich bricht er ab.
 

Mein Interesse an dem letzten Satz ist geweckt. Was ist mit Jou's Vater? Doch Kaiba winkte ab. Meint nur, dass solange nicht einmal die Klassengemeinschaft akzeptieren kann, dass er mit uns zu Mittag isst, die Welt nicht bereit ist, von Jou und ihm als Paar zu erfahren. Damit tritt er an den Kiosk und kauft die gewünschten Schokoriegel und noch ein paar andere Sachen. Ich trete wieder neben ihm, nehm ihn ein paar der Sachen ab und mach mich an seiner Seite wieder auf in den Klassensaal.
 

Auf der Treppe stoße ich ihn wieder mit dem Ellenbogen in die Seite an. Wieder schenkt er mir nur aus dem Augenwinkel heraus einen Blick. Da mein ich zu ihm, was ihn die Meinung anderer interessiere, er ist immerhin Kaiba Seto! Er nickt und meint, wenn es nur um ihn ginge, dann würde er darum kein Geschiss machen. Aber die Klatschblätter... ich fall ihm ins Wort und wiederhole meinen letzten Satz: Er ist Kaiba Seto, was interessiert ihn die Meinung der Welt?
 

Kaiba bleibt plötzlich wie vom Blitz getroffen stehen und blickt mir hinterher, während ich meinen Weg unbeirrt fortsetze. Dann setzt auch er sich wieder in Bewegung.

Einen Schritt, um sich zu outen

Als ich an meinen Platz komme lass ich den Süßkram mittig auf den Tisch fallen, so dass sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. Das Gespräch mit Honda schwirrt mir im Kopf herum, während ich gedankenverloren in meiner Bentō rumstochere und nicht wirklich etwas esse.
 

Er hat schon recht. Noch vor den Winterferien wäre es mir egal gewesen, wer was über mich dachte oder wusste. Es wäre mir am Arsch vorbei gegangenen. Doch ich bin nicht mehr der Selbe, wie noch vor ein paar Wochen. Ich habe mein Selbstbewusstsein zwischen damals und heute irgendwo verloren. Mein Biss ist auf der Strecke geblieben! Zwar habe ich es gehasst, immer für mich alleine zu bleiben und nie jemand an mich heranzulassen, aber meine Stärke, meine Selbstsicherheit und auch mein Biss... das sind Eigenschaften, die ich heute an mir vermisse. Dieser Verlust gibt mir das Gefühl, mich selbst verloren zu haben.
 

Die Pause neigt sich langsam dem Ende zu und die ersten Mitschüler kommen wieder in den Klassenraum. Wieder ernte ich diese verwirrten und verwunderten Blicke, wie jeden Tag seit wir wieder Schule haben. Diese Blicke sind mir enorm unangenehm. Ich kann sie einfach nicht mehr ausblenden, so wie ich es früher ständig getan habe, als mir alles scheißegal war.
 

Honda und Otogi schieben die beiden Tische wieder auf ihren Platz, gehen dann zu ihren Plätzen und scheinen ein wichtiges Gespräch zu führen. Über was... kann ich nicht hören! Sollte mich das Interessieren. Ich hab das merkwürdige Gefühl, dass es um mich geht!
 

Die Klasse füllt sich immer mehr und von Otogi höre ich plötzlich ein lautes 'Blödsinn'. Dann seh ich im Augenwinkel, wie der Würfelfreak sich das Handgelenk seines Freundes schnappt und durch die Reihen der Tische nach vorne zum unbesetzten Lehrerpult zieht. Dort legt er einen Arm um dessen Hüfte, den anderen um seine Schulter, beugt sich vor und Honda nach hinten, während er ihn leidenschaftlich und lang küsst.
 

Ein erstauntes Raunen geht durch die Mitschüler. Ich verbiete mir jegliche Regung, aber innerlich bin ich mehr als überrascht und vielleicht sogar ein wenig neidisch! Nachdem der Kuss geendet hat richtet Otogi Honda wieder auf und blickt in die versammelte Runde, während er in einem scharfen Tonfall fragt, ob jemand ein Problem hätte.
 

Immer noch total baff fangen die ersten an ihre Köpfe zu schütteln und zu bekunden, dass sie kein Problem mit Otogi, Honda oder ihrer geraden geouteten Beziehung haben. Otogi stemmt eine Hand in seine Seite und setzt direkt eine weitere Frage nach, nämlich was dann ihr Problem mit der Tatsache wäre, dass er und seine Freunde neuerdings mit mir zu Mittag essen.
 

Ich brauche meine gesamte Selbstkontrolle um die aufsteigende Schamesröte zu unterbinden. Denn mit seiner Frage hat Otogi gerade die gesamte Aufmerksamkeit der Klasse auf mich gelenkt. Ich versuche unbeteiligt zu wirken. Als würde mir das alles gerade am Arsch vorbei gehen. Auch wenn das nicht der Fall ist. Aber das müssen die anderen Mitschüler ja nicht merken.
 

Ein Schüler aus der ersten Reihe steht auf und meint nur, dass sie sich alle fragen würden, was ich dem Kindergarten dafür bezahle, dass sie mit mir zu Mittag essen und ob nicht auch andere davon profitieren könnten. Ein Kichern geht durch die Klasse, als plötzlich Katsuya hinter mir aufspringt und den anderen ankeift, dass wenn er keine Ahnung hätte einfach die Luft anhalten sollte. Aus einer hinteren Ecke steht die Klassensprecherin auf und fragt ganz erstaunt, warum ausgerechnet der Blonde sich für mich einsetzt. Wo ich ihn doch immer so von oben herab behandle und ich sogar den Dreck unter meinen Schuhen mehr schätzen würde, als ihn.
 

Er will schon was zurückkeifen, als ich nach seinem Arm greife und seine Aufmerksamkeit auf mich richte. Fragend blickt er mich an. Ich schüttle nur seicht den Kopf. Ein anderer Mitschüler ruft spottend herein, dass es wohl doch der Wahrheit entspräche, was man sich erzähle: Katsuya sei nur ein daher gelaufener Köter und ich sein Herrchen. Wie hoch ich ihm diese Unterwürfigkeit vergüten würde.
 

Da steht plötzlich Yugi auf und geht zu Otogi und Honda vor. Er fragt, was das soll! Keiner von ihnen würde mich kennen und daher auch keinem zustehen, ein Urteil über mich zu fällen. Auch wenn es früher nicht so ausgesehen habe, wären wir - ich und der Kindergarten - schon immer befreundet gewesen und hätten uns gegenseitig geholfen und unterstützt.
 

Die anderen Schüler blicken sich fragend an. Ich blicke zu Yugi und kann nicht glauben, dass er gerade eine Lanze für mich gebrochen hat... genau wie die anderen. Ist es das, was eine Freundschaft ausmacht? Irgendwer wirft den Zweifel ein, dass man nicht wirklich mit einem emotionslosen Eisblock, wie mir, befreundet sein könnte.
 

Dieses Mal steht Bakura auf und meinte nur, dass das eben der Unterschied zwischen ihnen und dem Rest der Klasse ist: Sie würden sich nicht von dem ersten Auftreten abschrecken lassen und sich die Mühe machen, jemanden erst einmal kennen zu lernen, bevor sie jemanden abstempelten und nicht jedes oberflächliche Gerücht über jemand glauben! Der Schüler aus der ersten Bankreihe wirft ein ungläubiges 'Das ist Kaiba Seto, verdammt' ein, als wäre das Argument genug, um Bakura's Aussage zu entkräften.
 

Jetzt reicht es! Ich stehe auf und blickte in die Augen der versammelten Klasse, als ich genau das bestätige: Ich bin Kaiba Seto und mir ist es scheiß egal, was diese Vollpfeifen meinen oder denken. Es geht sie absolut nichts an, mit wem ich befreundet bin und wen ich liebe!
 

Mit dem letzten Satz zieh ich Katsuya an mich und küsse ihn mit ähnlicher Leidenschaft, wie es Otogi zuvor mit Honda demonstriert hatte. Der Kuss ist traumhaft und unglaublich intensiv. Er prickelt regelrecht. Nach einer schieren Ewigkeit löse ich mich langsam von Katsuya, der mich überglücklich und stolz anlächelt. In seinen Augen erkenne ich ein Funkeln und ein Verlangen nach mehr. Als wir uns unseren Klassenkameraden wieder zuwenden sehen wir, wie unsere Freunde zufrieden grinsen, während alle anderen in einer Schockstarre mit offenen Mündern zu uns starren.
 

In dem Moment kommt der Lehrer herein, grüßt die Klasse, die aber immer noch nur Katsuya und mich anstarren und zu keiner anderen Regung fähig ist. Der Lehrer bleibt kurz stehen, mustert die Klassengemeinschaft und wiederholt seinen Gruß etwas lauter und schärfer. Erst jetzt scheinen alle wieder aus ihrer Starre mehr oder weniger zu erwachen, während meine Freunde zu ihren Plätzen gehen und sich hinsetzen.
 

Als wir uns alle wieder hingesetzt haben und der Lehrer mit dem Unterricht anfängt spüre ich die Röte in meinem Gesicht und die Panik in mir aufsteigen. Was hab ich da eben getan? Ich... habe mich... uns geoutet! Vor der gesamten Klasse und jedem, der gerade am Klassenzimmer vorbei gegangen ist. Wie... wie konnte ich nur so unüberlegt handeln und Katsuya so bloß stellen?
 

Da spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Ich dreh meinen Kopf etwas, so dass ich über die Schulter nach hinten schauen kann und sehe Katsuya mich beruhigend und bestärkend anlächeln. Selbst hier in der Schule, wenn ich mit dem Rücken zu ihm sitze, kann er mich lesen, als sei ich ein offenes Buch. Doch seine Hand gibt mir die Ruhe und die Kraft den restlichen Schultag durchzustehen. Und ich genieße seine Hand auf meiner Schulter!
 

Als die Panik endlich abflaut stell ich fest, dass ich mich leicht fühle. So als sei etwas Schweres von meinen Schultern genommen worden. Aber ich spüre auch, wie einige aus der Klasse zu uns rüber schauen. Doch das ist mir egal! Sollen sie doch solange schauen, bis ihnen die Augen aus den Köpfen fallen.
 

Ich bin schließlich Kaiba Seto und ich habe mich gerade geoutet!

Einen Schritt in die Zukunft

Ich bin völlig hin und her gerissen! Mein Drache hat endlich dieses Schauspiel in der Schule aufgegeben. Ich bin so wahnsinnig stolz auf ihn und mehr als glücklich. Endlich spricht nichts mehr dagegen auch in der Schule hin und wieder Nähe zuzulassen! Nie wieder diese Anspannung, dass wir uns nah sein wollen und nicht können! Wann immer uns danach sein wird, können wir jetzt die Nähe des anderen suchen und zulassen.
 

Als es endlich klingelt und das Ende des Schultages verkündet strömen unsere Klassenkameraden aus dem Zimmer, als sei nichts gewesen! Wow, haben die vorhin dumm geschaut, als wir uns küssten. Doch sie scheinen alle diesen Schock in den letzten vier Schulstunden überwunden und abgehakt zu haben. Sehr schön.
 

Mein Drache sitzt einfach nur da und regt sich nicht. Also setz ich mich auf den Stuhl vor seinen Tisch und blick ihn fragend an. Nur langsam schaut er mir in die Augen und wispert, dass es ihm leid tue. Was tut ihm leid? Ich bin verwirrt. Doch dann meint Seto, dass er mich nicht derartig bloß stellen wollte. Bloßstellen? Mich? Ich lächle ihn breit an und mein nur, dass er das nicht getan hätte. Versichere ihm, dass er mich niemals bloßstellen könne! Suchend blickt er in meine Auge und nach einem Moment erwidert er mein Lächeln. Ich beug mich zu ihm und wir küssen uns. Dieses mal sanft und langsam, mit mehr Genuss, als vorhin... wobei der Kuss auch nicht ohne war! Aber ich lass mir lieber etwas mehr Zeit mit meinem Drachen.
 

Erst als unser Kuss geendet hat beginnt Seto seine Sachen zusammen zu packen und aufzustehen. Ich angle nach seiner Hand und er blickt kurz erschrocken auf unsere verschränkten Finger. Ich mein nur, dass wir das jetzt ganz durchziehen. Kein Versteckspiel mehr! Er nickt zögerlich und ich kann seine Sorgen in seinem Blick sehen. Selbst wenn irgendein Klatschblatt von uns Wind bekommt... sollen sie doch schreiben, was sie wollen. Mir ist das egal, solange ich an der Seite meines Drachens sein darf!
 

Unsere Freunde warten vor der Klasse auf uns und gemeinsam gehen wir ins Foyer, in dem unsere Spinde stehen. Wir frotzeln ein wenig über die schockierten Reaktionen der Klasse erst auf Otogi und Honda, dann auf Seto und mich! Mein Drache ist schweigsam und ich sehe eine seichte Schamesröte auf seinen Wangen. Ich könnt ihn fressen, wenn er so verlegen ist, dann wirkt er einfach nur zu süß.
 

Als die Frage aufkommt, wer heute was bei Burger World verputzen will, wink ich ab und mein, dass ich heute andere Pläne habe. Meine Freunde blicken mich an, während ich über das gesamte Gesicht grinse, bevor ich erkläre, dass mein Dad heute mit seinem Entzug fertig ist und ich ihn abholen werde. Alle freuen sich mit mir und wünschen mir einen schönen Tag. Dann trennen sich unsere Wege.
 

Während die anderen die Straße entlang schlendern seh ich den Wagen mit Fuguta am Steuer bereits warten. Verwirrt blick ich mich um und frage meinen Drachen, wo sein Wagen ist, der ihn in die Firma bringt. Er lächelt mich nur sanft an und meint, dass er - sofern ich nichts dagegen hätte - mich gern begleiten würde. Ich beug mich zu ihm und will meine Lippen auf seine legen, als er erschrocken erst zurück zuckt, bis ihm klar wird, dass er nicht länger verbergen muss, was er für mich empfindet. Also legt er mir seine Hand an die Wange, beugt sich zu mir und wir küssen uns erneut. Das wird immer besser. Daran könnte ich mich echt gewöhnen!
 

Wir verlassen die Schule, steigen in den Wagen und fahren nach Hause. Dort ziehen wir uns um, essen kurz ne Kleinigkeit und als wir gerade los wollen kommt Mokuba heim. Der ist freudig davon überrascht, seinen Bruder zu Hause anzutreffen und umarmt ihn zur Begrüßung. Zwar erwidert mein Drache die Umarmung, weicht aber dem Blick seines Bruders immer wieder aus. Seit ihm klar ist, dass sein Bruder im Bild ist - zumindest was Gozaberu betrifft - und seit dem missglückten Gesprächsversuch am letzten Samstag mit Kai wirkt er wieder sehr reserviert und distanziert.
 

Mokuba schaut mich kurz verzweifelt an und ich lächle ihm ermutigend zu. Das wird sich schon legen. Seto braucht nur etwas Zeit, um sich an das alles zu gewöhnen! Zögerlich erwidert Mokuba das Lächeln und scheint zu verstehen, was ich ihm sagen will. Langsam lösen sich die beiden Brüder von einander und dann verabschiedet sich mein Drache von seinem jüngeren Bruder und wir verlassen das Haus.
 

Die Fahrt dauert eine dreiviertel Stunde. Eine dreiviertel Stunde, die wir uns anschweigen. Zu Beginn hab ich versucht ein Gespräch mit ihm zu beginnen, doch das Thema war ihm wohl unangenehm. Also hat er seine Arme defensiv vor seiner Brust verschränkt und demonstrativ aus dem Fenster geschaut, bis ich meinen Versuch aufgab. Dabei wollte ich doch nur wissen, wie man so ein Gespräch mit Kai für ihn angenehmer gestalten könnte! Aber er scheint nicht gewillt zu sein, jetzt oder generell darüber zu sprechen. Manchmal ist er für mich doch ein Buch mit sieben Siegeln!
 

Mein Drache weiß, dass er nicht um eine Therapie drum rum kommt. Ihm ist die Notwendigkeit eines Psychologen bewusst. Er hat zugestimmt, mit Kai sprechen zu wollen. Also wo liegt hier nur das Problem? Ist es wirklich die Anwesenheit von Mokuba und Isono gewesen? Aber warum? Er weiß doch, dass sie wissen, was mit Gozaberu vorgefallen ist. Das müsste seine Hemmungen doch reduzieren. Also warum tut er sich dann immer noch so schwer damit?
 

Irgendwann hab ich mich an ihn gelehnt und meinen Kopf aus seiner Schulter gebettet. Nach und nach spür ich, wie sich mein Drache aus seiner verspannten Haltung löst. Er legt einen Arm um mich und ich genieße diese Geste, vor allem, als er mich etwas näher an sich ran zieht. Ich sehe in seinem Blick, wie er seine Reaktion auf meinen Gesprächsversuch bedauert und er mir dankbar ist, dass ich ihm entgegen gekommen bin. Er selbst hätte nicht gewusst, wie er die Situation hätte lösen können. Dazu ist er noch zu unerfahren mit sich und seinen eigenen Gefühlen. Aber das ist in Ordnung.
 

Der Wagen hält vor einem großen Gebäudekomplex, dass ebenfalls wie ein Herrenhaus ausschaut, nur dass es wesentlich größer ist, als die Villa meines Drachens. Wir steigen aus und Seto führt mich in das Innere. Am Empfang tragen wir uns und unser Anliegen ein, dann führt Seto mich zum Zimmer meines Vaters. Am Zimmer meines Vaters angekommen klopfen wir und werden fast unverzüglich herein gebeten. Ich öffne die Tür und sehe, wie mein Dad gerade die letzten Sachen in seine Tasche legt und den Reisverschluss zuzieht. Als er mich sieht grinst er glücklich, grüßt mich mit einem 'Sunnyboy' und schließt mich in seine Arme.
 

Nach einem langen Moment lösen wir uns wieder von einander und er wendet sich meinem Drachen zu. Er reicht ihm die Hand, die Seto überrascht und zögerlich akzeptiert und schüttelt. Mein Vater dankt ihm für seine Hilfe und die Chance, die er ihm bietet. Noch immer ist der Gedanke, dass Seto so viel für meinen Dad tut, gewöhnungsbedürftig. Aber wenn mein Vater diese Chance ergreifen möchte, werde ich ihm nicht im Wege stehen.
 

Ich greife nach seiner Tasche. Er blickt mich überrascht an, lässt mich aber gewähren. Auf dem Weg nach draußen begegnen wir seinem bisherigem Therapeuten, der ihm die Hand reicht, ihm einen kleinen Umschlag gibt und nur das Beste wünscht. In dem Umschlag sind Kontaktinformationen für Selbsthilfegruppe in der Stadt und für den Notfall seine Telefonnummer. Mein Vater dankt ihm und dann verlassen wir endlich diesen Ort.
 

Je näher wir der Stadt kommen, desto unruhiger werde ich. Ich hab meinem Vater noch nicht gesagt, dass unsere Wohnung futsch und die Möbel weg sind. Wenn ich ihm das erzählen würde, könnte er wütend werden und in seiner Wut etwas Unüberlegtes tun. Nicht mir oder meinem Drachen, aber vielleicht dem Vermieter, der mich so gnadenlos verarscht und gelinkt hat. Dann... wäre alles umsonst, was er in den letzten Wochen erreicht hat.
 

Schließlich spür ich eine Hand auf meiner Schulter und blicke erschrocken in die blauen Augen meines Vaters. Er schmunzelt mich an und meint dann, dass er schon Bescheid weiß. Meine Augen weiten sich und ich bekomm nur ein 'woher' raus. Er erinnert mich daran, dass er für meinen Geburtstag für einen Tag aus der Klinik rausgekommen ist. Er wollte etwas zuhause holen und habe festgestellt, dass die Wohnung weitervermietet worden sei.
 

Ich lasse betrübt den Kopf hängen, denn mir ist bislang nicht gelungen für ihn eine neue Wohnung anzumieten. Mein Dad meint nur, dass das längst geklärt sei. Überrascht blick ich ihn an. Er blickt kurz an mir vorbei zu meinem Drachen und dann wieder zu mir. Dann erzählt mir mein Vater, dass sein Therapeut ein paar Strippen gezogen hat und für ihn eine Wohnung organisiert hat. Ungläubig betrachte ich ihn, bevor ich ihn erleichtert angrinse. Das muss ja echt ein Hammer-Therapeut gewesen sein. Mein Dad nickt nur und zieht mich in seinen Arm.
 

Fuguta hält vor einem modern wirkenden Apartmentkomplex. Ich linse aus dem Fenster und bin überwältigt davon, wie hochwertig und neu das Gebäude wirkt. Die Fassade ist hell gehalten und auf den verschiedenen Etagen sind zahlreiche Grünpflanzen auf kleinen Balkonen aufgestellt, deren Laub überhängt und dem ganzen etwas Organisches und Modernes verleiht. Wir steigen aus und mein Vater nimmt seine Tasche.
 

Als wir in das Gebäude reinkommen stellen wir fest, dass es im Foyer einen Empfang gibt, hinter dem ein älterer Mann sitzt und uns freundlich anlächelt. Mein Vater geht zu ihm, nennt seinen Namen und der Mann begrüßt ihn als neuen Bewohner. Dann händigt er meinem Vater einen Umschlag, sowie einen Schlüsselbund aus. Er deutet auf die Aufzüge und meint, dass die Wohnung sich im sechsten Stock befindet. Wir fahren also in den sechsten Stock, steigen aus und suchen die richtige Wohnung.
 

Nachdem mein Vater die Tür aufgeschlossen hat erwartet mich ein weiterer Schock. Die Wohnung wirkt hell, geräumig und ist schon möbliert. Die Möbel sehen neuwertig aus und wirken wie die, die damals in unserem Haus standen. Bevor meine Mutter gegangen und die Scheidung eingereicht hat. Die Küche ist offen an das Wohnzimmer angegliedert und bietet eine moderne Einbauküche mit hochwertigen Gerätschaften. Es gehen zwei Zimmer vom Wohnzimmer ab: Eine führt in das Schlafzimmer, in dem ein großes Doppelbett steht, welches frisch bezogen ist. Die zweite Tür führt in ein hypermodernes Badezimmer.
 

Ich bin regelrecht baff von dieser Wohnung und frag mich gerade, wie hoch wohl die Miete ist. Als ich meinen Vater frage, meint er nur, dass ich mir darüber zukünftig keine Gedanken mehr machen muss. Mit großen Augen blick ich ihn nicht verstehend an. Er kommt zu mir und legt mir seine Hände auf die Schultern, während er mich anlächelt. Dann dankt er mir für alles, was ich die letzten Jahren so alles auf mich genommen habe, um die Miete ranzuschaffen, für Essen auf dem Tisch zu sorgen und seine Schulden abzustottern. Er sei stolz so einen Sohn, wie mich, zu haben. Doch jetzt wäre es an der Zeit, dass er wieder die Rolle des Vaters übernehme und sich zukünftig darum kümmert.
 

Dann zieht er mich an sich ran und umarmt mich noch einmal fest. Als wir uns lösen deutet er auf eine dritte Tür, die mir bislang noch gar nicht aufgefallen ist. Ich geh zu ihr und öffne sie. Dahinter eröffnet sich mir ein gemütlich eingerichtetes Jugendzimmer. Überrascht dreh ich mich zu meinem Vater. Der meint nur, dass das mein Zimmer sei und sollte ich es irgendwann brauchen, würde es hier auf mich warten. Dann blickt er zu Seto, der bislang recht teilnahmslos an der Wohnungstür stehen geblieben war.
 

Das ist schon der zweite Blick, den die beiden miteinander wechseln und mich beschleicht das Gefühl, dass mir irgendetwas entgangen ist...

Einen Schritt der Offenbarung

Ich sitze im Wohnzimmer, der Fernseher läuft und irgendetwas grell-buntes flimmert über die Mattscheibe. Was genau da gerade läuft, kann ich nicht sagen. Es interessiert mich auch nicht wirklich. Ich hatte den Fernseher nur angemacht, weil ich die Stille nicht ertrage.
 

Die Stille im Haus, wenn mein Bruder nicht daheim ist.
 

Die Stille im Haus, wenn mein Bruder daheim ist.
 

Die Stille... erinnert mich an früher, als Gozaberu noch lebte. Da musste ich immer ganz leise in meinem Zimmer sitzen. Durfte nur zum Essen heraus kommen oder wenn Isono mich irgendwohin mitgenommen hat. Konnte nicht zu meinem Bruder, wenn ich das Bedürfnis nach seiner Nähe hatte.
 

In der Schule hör ich immer, dass jemand wie ich keine Probleme hat, weil wir so viel Geld haben. Aber Geld ist kein Garant für Glück. Als wir vor einigen Wochen im Unterricht darüber diskutiert haben und ich mir mal wieder diese dummen Sprüche anhören durfte flammte dieses Bild von Seto vor meinen Augen auf. Wie er von Gozaberu auf sein Bett gedrückt wurde. Dieser Schmerz. Diese Verzweiflung. Diese Grausamkeit von Gozaberu, der unerbittlich meinem Bruder Gewalt angetan hatte. Ohne auf sein Flehen einzugehen oder Gnade zu zeigen. Dieses Grinsen in seinem Gesicht, als sich Seto unter ihm wandte und darum bettelte, dass er aufhörte. Gozaberu hat es regelrecht genossen ihm das anzutun. Ihn zu...
 

Ich halte inne. Ich weiß, wie es heißt. Es ist nur ein Wort! Dennoch... allein es zu denken jagt mir eine solche Angst ein, dass ich es dann doch lieber vermeide! Es dann noch mit meinem großen Bruder in Kontext zu setzen, geht gar nicht. Aber ich muss mich dem stellen, was es ist. Es bei seinem Namen nennen. Wenn ich das schon nicht kann, wie soll ich dann Seto helfen? Denn auch mein Bruder scheut sich es auszusprechen. Sicherlich auch es zu denken!
 

Das Wort heißt Vergewaltigung! Ich spür, wie in mir Tränen aufsteigen. Wie kann ein einzelnes Wort nur eine solche Macht über Seto und mich haben? Vergewaltigung ist das nicht einverständliche, sexuell bestimmte vaginale, anale oder orale Eindringen in den Körper einer anderen Person. So steht es bei Wikipedia. Sachlich. Neutral. Aber Vergewaltigung bedeutet auch eine massive Verletzung der Selbstbestimmung des Opfers...
 

Ich halte gedanklich wieder inne. Opfer... noch so ein Wort, welches ich sonst vermeide, weil es in meinem Weltbild einfach nicht zu Seto passt. Aber er ist genau das: Ein Opfer! Eine Person, die durch bestimmte Ereignisse zu Schaden gekommen ist. So steht es wieder bei Wikipedia. Mein Bruder ist zu Schaden gekommen. Ohne Zweifel. Seine Fähigkeit zu vertrauen wurde zerstört. Die Fähigkeiten bei normalen Menschen Emotionen zu erkennen und einzuschätzen ausradiert.
 

Aber beiden Definitionen fehlt etwas Entscheidendes. Ihnen fehlt das Grauen! Sie vermitteln nicht ansatzweise die Grausamkeit, die eine Vergewaltigung für ein Opfer mit sich bringt. Klar, in Wikipedia werden die möglichen Folgen schön aufgelistet. Doch es fehlt die wirkliche Tragweite. Es werden in keinster Weise die Gefühle vermittelt, die die Opfer mit sich herum tragen. Die Gefühle, die sie vor sich und anderen ständig versuchen zu verbergen. Manche sind richtig gut darin... Seto war einer von ihnen.
 

Wie lange hat er seine Gefühle hinter einer Maske verborgen? Hat mit seinem Verhalten versucht alle auf Abstand zu halten. Damit ihm auch ja niemand zu nahe kommt. Merkt, wie kaputt er in Wirklichkeit ist. Das er ständig Angst hatte. Ihm sein eigenes Leben und seine Gesundheit eigentlich egal waren. Die Scham und der Ekel zerrten ständig an ihm. Schuldgefühle, weil er seinen Wunsch, uns ein besseres Leben zu ermöglichen, als Grundlage für all das sieht oder weil er sich nicht wehren konnte. Wie oft ist er wohl von Depressionen heimgesucht worden und sah sich selbst alleine in der Dunkelheit verlieren? Wie groß muss seine Verzweiflung gewesen sein, dass er sogar einmal versuchte sich das Leben zu nehmen? Ganz zu Schweige von den Albträumen, die ihn nachts immer noch quälen und die ihn nach dem Aufwachen in Angstzuständen oder Panikattacken stürzten.
 

Ja, ich habe in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht. Viel dazu gelesen. Angefangen bei Wikipedia über diverse Seiten von Hilfs- und Selbsthilfeorganisationen, bis hin zu Foren. Hab in Foren die Erlebnisberichte anderer gelesen, die etwas Vergleichbares erlebt haben. Hatte gehofft, es würde mir helfen, mit meiner plötzlich wieder zurückgekehrten Erinnerung besser fertig zu werden. Doch... Fehlanzeige!
 

Gozaberu hat mich niemals angefasst. Mir nie wirklich Beachtung geschenkt. War stets auf Seto konzentriert. Bei dem Gedanken, was dieses Monster meinem Bruder angetan hat flammt meine Wut wieder auf. Ich fühl mich schuldig. Nicht nur, weil ich es 'nur' gesehen und nichts getan habe. Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass Seto das alles nur in Kauf genommen hat, um mir ein besseres Leben zu verschaffen.
 

Aber... nach dem Gespräch mit Kai weiß ich, dass es normal ist, dass ich so empfinde. Er erklärte mir, dass es bei Soldaten ein ähnliches Phänomen gäbe, dass 'die Schuld des Überlebenden' genannt würde. Soldaten, die eine Kampfhandlung überlebt hatten, während andere aus ihrer Einheit gestorben sind, hätten danach enorme Schuldgefühle, weil sie überlebt hätten. Obwohl sie sich eigentlich glücklich schätzen sollten, dass sie noch am Leben waren.
 

Kai... ein komischer Typ... Ich dachte immer Psychologen seien alte Männer, in Strickjacken, mit einer Brille auf der Nase, einem Block und einem Stift in der Hand, die sich unablässig Notizen darüber machten, was man ihnen auf der Couch liegend erzählte. Doch so ist er nicht. Er wirkt jugendlich, freundlich und offen. Gar nicht distanziert. Das Gespräch mit ihm hat sich auch gar nicht nach Therapie angefühlt, sondern wie... eben ein Gespräch.
 

Leider... fand Kai keinen Zugang zu Seto. Okay, mein Bruder wirkte schon von Anfang an nicht glücklich, als er in den Wintergarten kam und von Kai's Anwesenheit überrascht wurde. Schon da hatte ich befürchtet, dass Seto auf dem Absatz kehrt machen würde. Hatte er aber nicht! Er setzte sich mit Katsuya auf die Rattancouch und war dann in die Defensive gegangen. Demonstrativ hatte er seine Beine übereinander geschlagen und die Arme vor der Brust verschränkt. Noch deutlicher hätte er nicht zeigen können, dass er nicht bereit war mit Kai zu sprechen.
 

Deshalb hatte ich dann das Gespräch eröffnet, als Kai meinte, Katsuya hätte angedeutet, dass wir Gesprächsbedarf hätten. Ich hatte gehofft, wenn ich die ersten unerfreulichen Dinge in unserem Leben erzählte, würde es Seto leichter fallen, die dargebotene Hilfe anzunehmen. Doch Seto hatte mich nur völlig entsetzt angesehen. Als sich die nächste Gelegenheit bot, dass Seto sich in das Gespräch hätte einbringen können, wandte er sich von uns ab und blickte in den schneebedeckten Garten. Noch mehr Desinteresse hätte er nicht zeigen können.
 

Also hatte ich meine Erzählung fortgesetzt und erzählte Kai, was für ein Drecksack Gozaberu war. Wie er seine Grausamkeit und Aufmerksamkeit vollständig auf Seto konzentrierte und immer wieder Spitzenleistungen von ihm gefordert hatte. Ich erzählte davon, wie er Seto geschlagen und erniedrigt hatte. Auch davon, dass er mich als Druckmittel gegen Seto einsetzte. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Seto aufspringen und mir den Mund verbieten würde. Doch er blickte nur unbeteiligt in den Garten. Als würde ihn das alles nichts angehen. Als ich an den Punkt kam, dass ich erzählen wollte, was Gozaberu meinem Bruder noch angetan hatte, brach meine Stimme weg.
 

Ich hatte so gehofft, dass Seto dann endlich übernehmen würde. Doch das tat er nicht. Er blickte nur weiter stur aus der Fensterfront nach draußen. Für einen Moment dachte ich, er würde zittern. Doch im nächsten Moment war dieser Eindruck schon wieder verschwunden. Hilfe suchend blickte ich zu Isono, der daraufhin das Wort ergriff. Das löste dann endlich eine Reaktion bei Seto aus.
 

Doch anstatt, dass er sich endlich einbrachte, stand er nur auf und meinte, er habe noch zu arbeiten! An einem Samstag? Wen wollte er hier eigentlich verarschen? Die Zeiten, dass er hier den Workaholic gab waren längst vorbei. Seit Katsuya bei uns war und ihm einen Weg zeigte hatte mein Bruder nur noch eine vier Tage Woche. Warum log er also so offensichtlich?
 

Katsuya sprang ebenfalls auf, griff ihn am Handgelenk und zwang Seto dazu stehen zu bleiben. Für einen Moment dachte ich, der Blonde würde intervenieren und Seto davon überzeugen sich wieder hinzusetzen und endlich an dem Gespräch teilzunehmen. Doch nachdem er sich vor meinen Bruder geschoben und ihm in die Augen geschaut hatte nickte er uns nur zu und verließ mit ihm den Garten. Hatte mein Bruder ihn gerade um den Finger gewickelt? Warum ließ Katsuya zu, dass sich Seto dieser Möglichkeit Hilfe zu bekommen verweigerte?
 

Nachdem die beiden gegangen waren sprang ich auf. Ich war so wütend und ärgerte mich. Da legte Isono seine Hände auf meine Schulter und ich blickte zu ihm auf. Er fragte mich behutsam, ob ich wüsste, warum mein Bruder gehen musste. Ich schüttelte den Kopf. Was heißt hier 'musste'? Er wollte gehen! Doch Isono belehrte mich sanft eines Besseren. Erklärte mir, dass Seto sich nicht einfach so offenbaren kann, wenn wir beide dabei sind. Er müsse es erst einmal schaffen, sich vor sich selbst zu offenbaren und einzugestehen, was man ihm angetan hatte. Und erst wenn das geschafft wäre... dann könnte er vielleicht auch vor uns darüber sprechen.
 

Verständnislos blickte ich Isono an und fragte, warum das so ein Problem sein sollte. Wir wussten doch längst, was geschehen war! Wir beide waren Zeugen von der Vergewaltigung. In dem Moment, als dieses Wort über meine Lippen kam hielt ich erschrocken inne und schlug mir die Hände vor den Mund, während ich zwei Schritte von Isono zurück wich. Das laut zu sagen... das hatte irgendetwas in mir ausgelöst. Auf einmal konnte ich die Tränen nicht mehr zurück halten. Isono nahm mich in den Arm.
 

Nachdem ich mich beruhigt hatte nahmen wir wieder auf den Sesseln Platz. Kai hatte sich die ganze Zeit im Hintergrund gehalten. Er blickte zu Isono, dann zu mir. Er fragt noch einmal nach, ob er das richtig verstanden hätte, dass Gozaberu Seto missbraucht hatte. Missbraucht klingt so harmlos und spiegelt nicht einmal ansatzweise die Gewalt und den Horror wieder, denn ich dabei empfinde... Doch Isono bejahte.
 

Dann fragte Kai mich, ob ich ihm davon erzählen möchte, was ich gesehen hatte. Ich tat mich schwer... zumindest am Anfang. Bis Isono mir eine Hand auf die Schulter legte und ich erzählte dem Mann von meiner Erinnerung. Danach fragte mich Kai, was ich dabei fühlen würde. Ich gestand ihm, dass ich mich noch immer schuldig fühlte. Sofort warf Isono ein, dass ich absolut keine Schuld trug.
 

Auf einmal richtete sich Kai's Aufmerksamkeit auf Isono. Stellte fest, als würde es daran gar kein Zweifel geben, dass auch Isono große Schuldgefühle hätte. Isono schaute ertappt, bevor er zu mir schaute und langsam nickte. Kai fragte warum und Isono antwortete nur recht oberflächlich, dass er uns seit unserer Adoption kannte und er ALLES miterlebt hatte, aber nichts tun konnte, um uns zu helfen.
 

Irgendetwas daran klang komisch. So, wie Isono sich ausdrückte... er habe ALLES miterlebt. Was meinte er mit 'alles'? Ich schaute ihn an und er brach den Blickkontakt mit mir. Kai fragte in dem Moment, ob es da noch mehr gäbe, als das von dem ich wüsste. Isono reagierte erstmal gar nicht. Erst als ich seinen Namen rief blickte er mich schuldbewusst an und nickte.
 

Ich schüttle meinen Kopf, als ich mich an diese Stelle im Gespräch erinnere. Noch immer kann ich es nicht glauben, dass da noch 'mehr' ist. Was könnte noch schlimmer sein, als das, von dem ich weiß? Schlimmer als die... Vergewaltigung meines Bruders durch Gozaberu? Doch Isono bleibt mir nach wie vor eine Antwort auf diese Frage schuldig.
 

Kai... lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf mich und meine Gefühle zurück. Er erklärte mir, dass wir an meinen Schuldgefühlen arbeiten würden. Einmal die Woche. Jeden Samstag! In Einzelsitzungen!
 

Einzelsitzungen! Also alleine! Ohne Seto! Ohne Isono! Nicht ganz, was ich erwartet hatte. Doch das erkannte der Mann und meinte, dass er erstmal mit jedem von uns Einzelsitzungen führen würde und in ein paar Wochen oder Monaten, wenn wir alle soweit wären, dann würde er uns zusammen führen. Damit wir diese Mauern zwischen einander überwinden und einreißen könnten. Damit wir gemeinsam damit umzugehen lernten.
 

Mir ist ein Rätsel, wie Kai das schaffen möchte!
 

Als ich Samstagabend mit Seto über die Sitzung und den Behandlungsplan sprechen wollte, wiegelte er ab. Verweigerte das Thema komplett. Auch sonntags beim Essen versuchte ich erneut das Gespräch auf dieses Thema zu lenken, doch er verließ unter einem Vorwand den Tisch und die Küche.
 

Katsuya legte mir eine Hand auf den Arm und lächelte mich aufmunternd an. Meinte zu mir, dass Seto sich erst noch an den Gedanken gewöhnen müsse, dieses und andere Themen so offen anzusprechen. Ich solle nicht sauer oder enttäuscht sein. Das würde mit der Zeit schon werden. Da ich bislang immer gut beraten war auf Katsuya zu vertrauen nickte ich nur.
 

Der Blonde versteht meinen Bruder und seine Situation wirklich ausgesprochen gut. Eigentlich viel zu gut! Und ich habe mich von Anfang an gefragt, woher er weiß, wie er mit Seto umzugehen hat? Wie er wann reagieren muss und woher er weiß wie viel er ihm zumuten kann oder wann er Seto's Grenzen erweitern muss ohne ihn unter zu viel Druck zu setzen...
 

Wie schon oft in der Vergangenheit purzelte genau diese Frage aus mir heraus und Katsuya's Lächeln wich aus seinem Gesicht. Er atmete tief ein. Dann meinte er, er wüsste wie sich Seto fühlte, weil er selbst einmal an diesem Punkt gewesen war und es ihm genauso gegangen war. Auch einmal an diesem Punkt? Genauso gegangen? Als er merkte, dass ich nicht ganz verstand strich er mir sanft über die Wange, bevor er mir offen sagte, dass auch er als Kind missbraucht worden war.
 

Diese Offenbarung traf mich völlig unvorbereitet und ich ließ mich völlig baff nach hinten gegen die Stuhllehne fallen. Katsuya gab mir die Zeit, die ich brauchte, um diese neue Info zu verarbeiten. Ich saß bestimmt eine halbe Stunde reglos auf meinem Stuhl. Dann blickte ich ihn wieder an und konnte nicht anders als ihn zu umarmen. Ihn fest an mich zu drücken. Und er drückte mich fest an sich. Meinte nur, dass das bei ihm schon so lange her wäre und Kai ihm damals sehr bei der Bewältigung dieses Erlebnisses geholfen hätte. Er wäre sich sicher, dass Kai Seto ebenso helfen könnte, wie er ihm geholfen hatte.
 

Wie machte der Blonde das nur? Eigentlich wollte ich irgendetwas sagen, um mein Bedauern auszudrücken und ihm Trost zu spenden. Doch es ist genau andersrum. Er spendete mir Trost.
 

Ich bin so froh das Katsuya ein Teil unseres Lebens geworden ist!

Einen Schritt der Akzeptanz

Im Wagen herrscht eine ungewohnte Stille. Eine unangenehme Stille. Ich kann Seto's innere Unruhe und seine Angst spüren. Sie ist fast greifbar. Er weiß, dass ich nicht dumm bin und dass ich längst eins und eins zusammen gezählt habe. Fragt sich sicherlich, ob ich wütend bin. Bin ich wütend? Sobald ich mir selbst darüber im Klaren bin, werde ich es ihm sagen!
 

Da ist ein wenig Wut in mir. Wut darüber, dass die beiden versuchen mich zu täuschen und denken, dass ich es nicht merke. Warum wollen sie mich auch darüber täuschen, wie mein Vater an diese geile Bude gekommen ist? Meinen sie wirklich, ich kauf die Story ab, dass der Therapeut meines Vaters ihm die Wohnung vermittelt hat? Selbst wenn es so gewesen wäre, wie hätte mein Vater die Kaution und erste Miete aufbringen sollen? Er war faktisch mittellos bevor er die Therapie angefangen hat und dass er während dieser irgendwo gejobbt hat, schließe ich mal grob aus. Und dann das Mobiliar.
 

Die Ausstattung der Wohnung gehörte schon zum gehobenen Preissegment. Das Haus hat sogar einen Portier. Wenn das nicht schon aussagekräftig genug ist, weiß ich auch nicht. Die Wohnung liegt in einem noch recht jungen Gebäude in einem vor kurzem erst erschlossenen, mittelständigen Wohngebiet mit hoher Wohndichte. Mein Vater hätte sich so eine Wohnung mit seinen derzeitigen Mittel auf gar keinen Fall leisten können.
 

Dann die nicht ganz so subtil ausgetauschten Blicke zwischen ihm und meinem Drachen. Echt jetzt Leute, glaubt ihr wirklich, die wären mir jetzt entgangen? Bin ich neuerdings blind und oder blöd? Ihr habt nicht wirklich gedacht, dass ich das nicht bemerken würde oder? Aber okay... ich hab dazu nichts gesagt. Ich... freu mich für meinen Vater, dass er endlich aus diesem schäbigen Umfeld rausgekommen ist. Und wenn er kein Problem damit hat die Hilfe meines Drachens anzunehmen... dann sollte ich auch keines haben. Auch wenn ein fahler Nachgeschmack bei mir übrig bleibt!
 

Dennoch ärgere ich mich darüber, dass die beiden ein solches Theater abziehen!
 

Vorsichtig nehm ich die Hand meines Drachens in meine eigene und streiche sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken. Er blickt zu mir auf und ich lächle ihn sanft an, bevor ich mich zu ihm beuge und sanft meine Lippen auf die seinen lege. Meine zweite Hand findet ihren Platz auf seiner Wange, während er sich meinem Kuss ganz hingibt. Ich spüre, wie seine Hand in mein Haar fährt und wie sein Verlangen auf einmal aufflammt.
 

Als Fuguta sich wiederholt räuspert und wir es endlich schaffen uns voneinander zu lösen stellen wir überrascht fest, dass wir bereits vor der Villa stehen. Auf Fuguta's Wangen hat sich eine gewisse Röte gebildet und ich muss verlegen Grinsen, bevor ich ihm fürs Fahren danke und ihm einen schönen Abend wünsche. Auch Seto dankt seinem Fahrer und folgt mir zum Haus.
 

Als wir in das Haus reinkommen schlägt uns eine ohrenbetäubende Lautstärke aus dem Wohnzimmer entgegen. Wir entledigen uns unseren Schuhen und den Mäntel, bevor wir dann zum Wohnzimmer gehen. In ihm sitzt Mokuba auf der Couch. Auf der Mattscheibe des großen Wandfernsehers flimmert irgendein Musikvideo in grellen Farben und wahnsinnigem Beat. Seto nimmt die Fernbedienung und mutet den Ton.
 

Erschrocken blickt Mokuba erst zu mir und dann zu seinem Bruder auf. Er versucht zu Lächeln, aber man sieht ihm deutlich an, dass ihn etwas beschäftigt. Wir setzen uns links und rechts neben den Jüngsten und Seto fragt, was er hat. Etwas in Mokuba's Blick wird trotzig bevor er die Arme vor seiner Brust verschränkt und ein 'nichts' von sich gibt. Sanft legt Seto seine Hand an Mokuba's Wange, der sich ihm aber noch trotziger entzieht.
 

Der Kleine will schon aufspringen, als ich meine Hand auf seinen Arm lege und ihn sanft anschaue. Die Trotzigkeit verschwindet ein wenig aus seiner Mimik. Er seufzt schwer und blickt wieder zu meinem Drachen. Ich weiß, was ihm auf der Seele brennt. Er möchte mit seinem großen Bruder über den vergangenen Samstag sprechen. Er hatte es schon mehrmals versucht, doch mein Drache war ihm ausgewichen.
 

Seto wird auch jetzt wieder ausweichen, wenn Mokuba ansetzt. Das weiß er auch. Doch anstatt etwas zu sagen umarmt er seinen großen Bruder nur feste. Der blickt kurz überrascht zu mir, bevor er seine Arme um den Kleinen legt. Dann hör ich den Jüngsten flüstern, dass er seinen Bruder lieb habe und dass er ihn auch in Zukunft - egal was kommen wird - lieben würde. Wieder blicht Seto zu mir auf und weiß nicht so recht, wie er darauf reagieren soll. Also erwidert er nur ein 'dito'. Jap, das ist mein Drache!
 

Gefühle überfordern ihn immer noch. Egal, ob es seine eigenen oder die von anderen sind. Ihm fällt es sehr schwer sie richtig zu erkennen und einzuschätzen. Aber ist das wirklich ein Wunder? Er muss das, was andere sich eigentlich in ihrer Kindheit aneignen, erst langsam nach und nach lernen. Selbstvertrauen in Sachen Gefühlen aufbauen. Aber das wird schon werden. Mit der Leidenschaft klappt es schließlich auch schon recht gut. Auch wenn er hier und da noch enorme Scheu und Hemmungen hat.
 

Schließlich trennen sie sich von einander, Mokuba lächelt uns beide glücklich an und springt dann auf. Er meint, er müsse noch Hausaufgaben machen und rennt dann aus dem Zimmer. Geschickt, Kleiner! Wirklich geschickt gemacht!
 

Ich rücke zu meinem Drachen auf, der Mokuba noch hinterher schaut. Dann angel ich wieder nach seiner Hand und verschränke unsere Finger. Neugierig schaut er mich mit großen Augen an. Ich schau in seine azurblauen Augen und könnte in ihnen versinken. Dieses unglaubliche Blau faszinierte mich vom ersten Tag an. Wie sie immer wach und aufmerksam alles beobachtet und wahrgenommen haben. Heute weiß ich, dass Seto immer nur so aufmerksam gewesen war, weil er den Drang hatte seine Umgebung jederzeit zu kontrollieren und auf alles gefasst zu sein, damit seine Fassade nicht durch Angst oder Panik einen Riss bekam.
 

Sanft lehn ich meinen Kopf an seine Schulter, schließe die Augen und atme tief ein. Nehme den Geruch meines Drachens wahr. Seine Wärme. Seine Atmung. Sein Herzschlag. Auch er lehnt sich entspannt mit seinem Kopf an meinen. Ich weiß er tut es mir gleich. Hat die Augen geschlossen und konzentriert sich auf seine Wahrnehmung mit dem Fokus auf mich.
 

Dann danke ich ihm! Ich spüre, wie er seinen Kopf etwas aufrichtet und vermute, dass er mich nun verwirrt anschaut. Noch ehe er etwas sagen muss, sag ich ihm, dass ich ihm für die Hilfe mit der Wohnung dankbar bin. Sicherlich schaut er jetzt verlegen vor sich, als ihm klar wird, dass ich sie längst durchschaut habe. Er sieht so süß aus, wenn er diesen Blick hat. Den möchte ich mir nicht entgehen lassen, also öffne ich meine Augen und schau zu ihm. Und tatsächlich... er erfüllt vollständig meine Erwartungen und hat sogar eine seichte Röte im Gesicht. Ich muss schmunzeln.
 

Sanft leg ich meine Hand an seine Wange und wende seinen Blick zu mir. Langsam schieb ich mich zu ihm hoch und lege meine Lippen auf die seine. Sofort steigt er bereitwillig in den Kuss ein und ich kann spürten, wie in ihm sein Verlangen erneut auflodert. Auch er legt wieder seine Hand an meine Wange und schiebt seine langen, geschickten Finger in meinen Haaransatz. Ein wohliger Schauer geht mir über den Rücken.
 

Langsam lass ich mich nach hinten auf die Sitzfläche gleiten und zieh ihn mit mir, so dass er schlussendlich auf mir und zwischen meinen Beinen liegt. Aber er ist so in unserem Kuss gefangen und versunken, dass er das gar nicht merkt. Ich muss ein wenig in den Kuss schmunzeln. Solange ihm manche Dinge nicht bewusst sind, hat er damit kein Problem. Wenn sie ihm dann auffallen kann ich gut damit kontern, dass es doch schon die ganze Zeit so ist. So verliert er nach und nach seine Scheu und mit den Jahren aufgebauten Hemmungen. Durch Worte alleine, würde ich das nicht erreichen. Nicht bei meinem Drachen. Man muss ihn ganz langsam an alles heran führen und damit vertraut machen.
 

Schließlich lass ich unseren Kuss ganz langsam ausklingen und als ich zu ihm aufschau kann ich seine Lust deutlich in den Augen erkennen. Die Lust nach mehr. Sanft streich ich ihm eine Strähne hinter das Ohr. Er beugt sich wieder zu mir herunter und initiiert einen neuen Kuss. Einen leidenschaftlicheren, als der vorige. Oh ja, in meinem Drachen ist Verlangen erwacht. Das ist nicht mehr zu übersehen.
 

Er beginnt sich im Kuss immer wieder ein Stück hoch zu schieben und dann wieder runter rutschen zu lassen. Die Reibung zwischen meinen Schenkel facht auch meine Lust weiter an. Doch scheinbar ist es meinem Drachen gar nicht bewusst, was für eine Bewegung er da gerade munter immer wieder wiederholt. Schließlich keuch ich erregt in den Kuss hinein und schling meinen Arm um seinen Oberkörper, um ihn noch näher an mich zu ziehen. Seine Bewegungen fachen meine Lust immer weiter an und ich spüre, wie der Platz in meiner Hose immer knapper wird. Vorsichtig schieb ich meine Hand unter den Bund seiner Hose und streich über seinen bloßen Hintern. Der Kuss gewinnt an Intensität.
 

Als ich erneut in den Kuss stöhne hält meine Drache plötzlich inne. Erschrocken schaut er erst mich und dann unsere Position an, bevor er ruckartig nach hinten zurückweicht. Völlig atemlos und erregte setze auch ich mich wieder auf. Sein Gesicht ist so rot, dass man ihn für eine Tomate halten könnte. Verlegen blickt er mich von unten herauf an. Sanft leg ich meine Hand an seine Wange und sag ihm, dass alles in Ordnung ist.
 

Das ihm diese Position Angst macht, ist für mich kein Wunder. Er kennt diese Position nur aus der Perspektive, in der ich mich eben befunden habe. Verbindet sie mit Zwang, Ekel und Schmerz. Sich plötzlich in der Position wiederzufinden, die sonst seine Häscher und Peiniger eingenommen haben, hat ihn erschreckt und aufgewühlt.
 

Vorsichtig leg ich ihm eine Hand auf die Brust. Sein Herz wummert unglaublich stark. Leise sag ich ihm, dass es mir gefallen hat, wie wir eben dalagen. Er auf mir. Zwischen meinen Schenkel. Mit dieser seichten Bewegung. Entsetzt blickt er mich an und kann mir gar nicht glauben. Doch ich schmunzle nur sanft. Nicke noch einmal bestätigend. Kann sehen, wie er sich fragt, wie jemandem diese Position gefallen kann.
 

Es wird noch dauern, bis ich seine ganzen Assoziationen, die er aus seiner schrecklichen Kindheit mitbringt, gelöst und neu verknüpft habe. Aber wir haben Zeit! Das muss nicht Hals über Kopf passieren. Schritt für Schritt! Also stehe ich auf, nehm seine Hand und zieh ihn mit mir. Raus aus dem Wohnzimmer. Die Treppe hinauf. In unser Zimmer.

Einen Schritt der Selbsterkundung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt zum Valentinstag

Ich steh an der Tür zum Zimmer meines kleinen Bruders und klopfe. Von drinnen hör ich ein 'Herein'. Langsam öffne ich die Tür, bevor ich eintrete, die Tür hinter mir wieder schließe und schließlich sehe, wie Mokuba seinen Kopf aus seinem Badezimmer herausstreckt, um zu sehen wer da gekommen ist.
 

Als er mich sieht lächelt er mich an und ihm läuft der Schaum von der Zahnpasta aus dem Mund. Als er es merkt hüpft er erschrocken zurück zum Waschbecken und ich schüttel innerlich den Kopf. Mokuba kann ebenso chaotisch sein, wie Katsuya früher oft wirkte. Nur das Mokuba damit nicht etwas zu überdecken versucht.
 

Ich schau mich in seinem Zimmer ein wenig um und muss erstaunt feststellen, wie erwachsen er doch geworden ist. Die Zeichnungen und Poster von Duell Monster und anderen Spielen, die er früher toll fand, sind Bildern von irgendwelchen Musikgruppen gewichen. Überwiegend Rock. Ein wenig Pop. Alles in allem würde ich sagen, dass sein Musikgeschmack gut ausgewogen und trendig ist. Nein, trendig klingt falsch. Cool? Sind Kids in seinem Alter schon oder noch cool?
 

Dann kommt mein Bruder aus dem Bad gehüpft. Er hat schon seinen Pyjama an und blickt mich immer noch breit lächelnd an. Ist er wirklich so glücklich mich hier zu sehen oder versucht er damit etwas zu überspielen. Ich war noch nie wirklich gut darin so etwas zu durchschauen. Wenn ich darin Talent besitzen würde, würde mir mein Alltag in der Schule wesentlich leichter fallen.
 

Er fragt, was er für mich tun kann. Ist es wirklich so selten, dass ich bei meinem Bruder im Zimmer auftauche, dass er sofort weiß, dass ich etwas brauche oder möchte, wenn ich dann doch mal aufschlage? Noch so etwas, was ich dringend ändern muss! Oder er kennt mich einfach nur so gut, dass er mir schon direkt ansieht, dass ich bei etwas hänge, wobei ich seine Hilfe brauch.
 

Vorsichtig nimmt er mich an der Hand und führt mich zu seinem Bett, zieht mich drauf, so dass wir uns gegenüber sitzen. Ich schau ihn nachdenklich an. Bin mir nicht sicher, ob es wirklich angebracht ist meinen Bruder nach dem zu fragen, wobei ich Hilfe brauche. Irgendwo ist es mir auch ein wenig peinlich offen mit der Sprache rauszurücken. Immerhin denkt Mokuba von mir, dass ich alles kann und stets weiß, wie ich wo was erreiche.
 

Aber gerade hier bin ich so... Ich rauf mir die Haare und merke erst am verwirrten Blick meines kleinen Bruders, dass das jetzt keine mentale Geste sondern eine tatsächliche, körperliche Reaktion war. Ich seufzte etwas entnervt. Es ist unglaublich, aber ich bin gerade von mir selbst völlig angenervt. Also steh ich wieder auf, geh zwei, drei Schritte bevor ich mich zu Mokuba umdrehe.
 

Der blickt mich völlig überrascht und erschrocken an, dann steht auch er auf, nimmt mich abermals an der Hand und führt mich zurück zum Bett. Dann fordert er energisch, dass ich endlich sage, was mir auf dem Herzen liegt. Ich seufzte nochmal schwer. Okay... dann jetzt oder nie!
 

Aber wie soll ich das nur ausdrücken? Nächste Woche ist Valentinstag und ich möchte Katsuya eine Freude machen. Nur hab ich gar keinen Schimmer wie. Es soll kein Zeug sein oder sowas, ich dachte da an irgendetwas, was für... na ja... Pärchen typisch ist!
 

Erst am amüsierten Lachen Mokuba's merk ich, dass ich das wohl gerade laut von mir gegeben habe. Ich spüre, wie mein Gesicht völlig rot wird und ich will schon die Flucht ergreifen, als mein kleiner Bruder mich daran hindert. Er scheint sich nicht über mich lustig zu machen, sondern eher glücklich darüber zu sein, dass ich zu ihm gekommen bin, um mir einen Rat bei ihm einzuholen. Oder deute ich das gerade falsch?
 

Dann setzt er eine ernste Miene auf und beäugt mich einige Momente, bevor er tief Luft holt und mir sagt, dass das schwierig ist. Daher braucht es mir nicht peinlich sein, dass ich mir bei ihm ein Feedback dazu abholen muss und das ich mich mal wieder entspannen soll. Man, seit wann ist mein Bruder so forsch und frech? Obwohl... es gefällt mir, dass er mich seit langer Zeit endlich mal wieder normal behandelt und nicht wie ein rohes Ei! Ich muss auch für ihn in letzter Zeit furchtbar anstrengend gewesen sein.
 

Schließlich grinst er mich gewinnend an, als er aus der sitzenden Position in eine kniende wechselt und mich etwas überragt. Er wippt aufgeregt auf und ab und sein Griff an meiner Hand, mit der er mich festgehalten hat, wird fester. Er habe da die Idee schlecht hin, kündigt er laut und freudig an. Ich schau ihn gespannt an.
 

Dann beugt er sich verschwörerisch zu mir und meint zu mir, dass Katsuya und ich ja nicht wie ein typisches Paar zusammen gekommen seien. Wie ein typisches Paar? Mir fallen wieder Honda und Otogi ein, mit ihrer 'Freundschaft mit gewissen Vorzügen'. War das 'typisch'? Das frag ich Mokuba natürlich nicht. Ich schau ihn einfach nur nichtverstehend an, bis er kurz aufseufz, sich wieder auf seine Fersen niederlässt und tief Luft holt.
 

Typische Pärchen entstehen seiner Meinung nach so, dass zwei Personen Interesse aneinander haben und sich erst einmal daten, um sich kennen zu lernen. Nach ein paar Dates kommt es zu ersten Zärtlichkeiten, küssen, schmusen, Petting,...
 

Das ist der Moment, an dem ich mit einem Augenrollen aufstehe und zwei, drei Schritte gehen muss. Das mein kleiner, dreizehnjähriger Bruder glaubt mir so etwas erklären zu müssen... Ich spüre, wie mein Kopf feuerrot ist. Ja! Mir war nicht so wirklich bewusst, wie 'typische' Paare so zusammen kommen. Ich hab mich damit nie wirklich beschäftigt. Es war mir immer egal! Bis vor ein paar Wochen hab ich nicht mal geglaubt, dass ich wirklich so etwas wie Liebe empfinden kann oder gar jemand finde, der es mit mir aushält.
 

Mokuba ist auch aufgesprungen und schiebt sich jetzt wieder vor mich. Hm... so klein ist mein kleiner Bruder gar nicht mehr, stell ich entsetzt fest. Er reicht mir locker bis zur Brust, vielleicht etwas höher. Er schmunzelt mich sanft an. Dann meint er, dass mir so etwas doch nicht peinlich sein muss, wir sind schließlich eine Familie. Vielleicht... vielleicht hat er recht, aber dennoch... diese Materie ist so ungewohnt und so ein Gespräch mit Mokuba zu führen...
 

Er nimmt mich wieder an der Hand und führt mich zum Bett zurück. Als wir sitzen versuch ich vor mich auf den Boden zu schauen, doch mein Bruder legt mir seine Hände an die Wangen und wendet meinen Blick zu sich. Sein Lächeln ist ganz sanft geworden. Dann umarmt er mich und ich kann nicht anders, als die Umarmung zu erwidern. Mein Herzklopfen beruhigt sich tatsächlich und die Anspannung in mir lässt ein wenig nach.
 

Als wir uns von einander trennen setzt Mokuba erneut an. Ich solle einfach in einem schicken Restaurant ein Tisch für zwei reservieren und Katsuya ganz klassisch nach einer Verabredung bitten. Eine Verabredung mit einem Essen in einem kleinen, gemütlichen Restaurant, danach einen Film im Kino schauen und dann vielleicht bei Mondschein durch den Park nach Hause spazieren. Er ist sich sicher, dass das Katsuya sicherlich gut gefallen würde.
 

Essen gehen? In einem Restaurant? Nicht gerade etwas, was ich gerne mache. Ich hasse diese Schuppen und ihre Kleiderverordnungen. Katsuya in einem Anzug in so einem Edelrestaurant, dass krieg ich im Kopf nicht zusammen. Und im Anzug dann ins Kino? Das wäre völlig overdressed.
 

Mokuba schüttelt seinen Kopf und meint, es muss doch gar kein Edelschuppen sein. Vielleicht so ein niedliches, kleines Restaurant mit japanischer Küche, die wir beide so mögen. Schließlich soll auch ich mich bei so einem Date wohl fühlen. Beim Film könnte ich eigentlich nicht viel verkehrt machen, solange ich keine Liebesschnulze aussuchen würde. Er hat recht! Ich weiß ziemlich genau, welche Filme mein Streuner bevorzugt. Soweit ich weiß, läuft gerade der xte Teil einer Filmreihe im Kino, die Katsuya so fantastisch findet.
 

Jetzt umarme ich meinen kleinen Bruder. Das klingt doch eigentlich nach einem super Plan. Ohne Moki wäre ich da nie drauf gekommen. Ich danke ihm für seinen Rat, während ich ihn immer noch fest an mich drücke. Was würde ich nur ohne meinen Bruder tun. Ich spüre, wie er kurz grinst, bevor er mir ins Ohr flüstert, dass ich ohne ihn gänzlich verloren wäre. Dieser Satz treibt mir ein schiefes Grinsen ins Gesicht, denn er hat vollkommen recht!
 

Dann steh ich auf, wünsch ihm eine gute Nacht, drück ihm noch einmal einen Kuss auf die Stirn und verlasse sein Zimmer.

Einen Schritt der erneuten Verweigerung

Es ist Samstag und ich sitze mit meinen Freunden in der Küche am Tisch. Ich hab Kekse und Tee aufgetischt und wir unterhalten uns nett. Mokuba ist gerade mit Kai im Wintergarten bei seiner ersten Einzelsitzung. Danach ist es angedacht, dass ich Seto zu Kai bringe, damit auch er seine erste Einzelsitzung hat. Daher hab ich meine Freunde in die Küche gebeten, nicht dass Seto plötzlich wieder scheut.
 

Schließlich kommt Mokuba zu uns. Er strahlt uns an und ich hab den Eindruck, dass ihm das Gespräch mit Kai wirklich gut getan hat. Also übergebe ich dem jüngeren Kaiba die Gastgeberhoheit und begebe mich in Richtung von Seto's Hausbüro. Seine Tür steht offen und ich trete ein. Er sitzt in seinem Chefsessel und blickt gedankenverloren aus dem großen Fenster in den schneebedeckten Garten.
 

Als ich neben ihm zum Stehen komm geh ich in die Knie und leg ihm vorsichtig meine Hand an die Wange. Langsam kehrt er aus seinen Gedanken zurück und blickt mich überrascht an, bevor er mich sanft anlächelt. Ich erwidere sein Lächeln. Möchte wissen, wo mein Drache war. Doch er winkt ab, strafft sich etwas und setzt sich damit auf. Fragend blickt er mich an.
 

Vorsichtig sag ich ihm, dass Kai im Wintergarten auf ihn wartet. Ich seh, wie mein Drache sich augenblicklich versteift und anspannt. Das Lächeln, welches eben noch sein Gesicht geziert hat, ist verschwunden. Er schluckt, während er sich mit seinem Stuhl dem Schreibtisch zuwendet. Murmelt irgendetwas von Arbeit.
 

Ich dreh ihn wieder zu mir, immer noch sanft lächelnd. Sag ihm, dass er aufhören muss, davor wegzulaufen. Kai will ihm nichts böses, sondern ihm nur helfen. Das kann er aber nur, wenn mein Drachen ihn auch lässt. Er blickt mich mit einer gewissen Verzweiflung an. Will damit kontern, dass er mit mir doch darüber redet. Ich schüttle nur seicht den Kopf. Das ist nicht dasselbe, versuch ich ihm klar zu machen.
 

Ganz vorsichtig nehm ich seine Hände in meine, streich mit den Daumen über seine Handrücken. Seine Hände sind schweißnass. Allein der Gedanke mit Kai zu reden versetzt ihn in eine Stresssituation. Sanft streck ich mich ihm entgegen und küsse ihn sanft. Dann steh ich auf, ziehe ihn mit mir und aus dem Büro heraus. Den Flur entlang. An der Küche vorbei. Ins Wohnzimmer. Von dort zum Wintergarten.
 

Er sträubt sich noch einmal und lehnt sich gegen den Zug. Ich bleibe stehe, blicke ihm in die Augen und frag ihn, warum mein Drachen nur solche Angst vor diesem Gespräch hat. Sofort weicht er meinem Blick aus. Ich gebe eine seiner Hände frei, lege sie an seine Wange und bring ihn dazu mich wieder anzuschauen. Mir springt pure Panik entgegen. Was hat mein Drachen nur?
 

Ich beuge mich langsam zu ihm zu und küsse ihn sanft. Hoffe, ihn so etwas beruhigen zu können. Was sonst immer gut funktioniert, scheint heute seine Wirkung völlig zu verfehlen. Ich verstehe nicht, warum er so reagiert und sonst kann ich ihn wirklich gut lesen.
 

Dann dämmert mir da etwas. Wenn er mir sonst von seiner Vergangenheit erzählt findet das immer nach einem Albtraum und der dazugehörigen heftigen Angst- oder Panikreaktion statt. Wenn er etwas neben sich steht. Und auch nur, wenn ich mich hinter ihm befinde und ihn nicht direkt anschauen kann. Bislang haben wir uns noch nie von Angesicht zu Angesicht darüber unterhalten, wenn er mir von einem seiner Albträume erzählt hat.
 

Solange er wach ist und keine Angst- oder Panikreaktion hatte meidet er das Thema aktiv. Deshalb wird Isono es auch nie geschafft haben, dass mein Drachen mit ihm über seine Erfahrungen mit Gozaberu gesprochen hat. Aber wie... wie kann ich ihn überzeugen, über seinen Schatten zu springen? Kann ich das überhaupt? Vielleicht muss ich die Antwort darauf aber auch nicht alleine finden. Sanft zieh ich ihn schließlich in den Wintergarten, schließe hinter uns die Tür und führe ihn zu der mittig aufgestellten Sitzgarnitur.
 

Kai wendet sich uns zu. Scheinbar hat er sich die Blumen näher angeschaut, die hier gepflegt und aufgestellt sind. Er grüßt mich und reicht dann Seto seine Hand. Doch dieser blickt ihn an, als würde Kai etwas Unmögliches von ihm verlangen. Aber Kai wäre nicht Kai, wenn er sich von dieser abweisenden Reaktion abschrecken lassen würde. Also bittet er uns wieder Platz zu nehmen.
 

Ich spüre, wie Seto erneut zum Zerreißen angespannt ist. Kai beginnt wie immer mit etwas Smalltalk und fragt nach unserer Woche. Doch mein Drachen presst seine Zähne so fest aufeinander, dass ich sie wieder knirschen hören kann. Immer noch hab ich eine seiner Hände in meiner eigenen und streiche sanft über sie. Ihm ist sicherlich gar nicht bewusst, dass er meine Hand mittlerweile ziemlich fest hält. Ich kann daran gut seinen Stressfaktor ablesen.
 

Leise flüstere ich seinen Namen und er blickt mich fast schon erschrocken an. Als würde er nicht verstehen, was ich jetzt von ihm will. Vielleicht hilft es ihm, wenn ich ihm vormache, wie es geht... aber eigentlich weiß mein Drache, wie man ein Gespräch führt. Und nichts anderes soll das hier ja werden. Also grins ich Kai glücklich an und mein, dass es eine fabelhafte Woche gewesen ist.
 

Kai blickt erst mich, dann Seto neugierig an. Dann fragt er, wieder an Seto gewandt, was denn so fabelhaft gewesen ist. Doch mein Drache scheint gar nicht erst in Erwägung zu ziehen, mit Kai auch nur ein Wort zu wechseln. Also antworte ich wieder, dass Seto und ich aufgehört haben, in der Schule so zu tun, als seien wir 'nur' Freunde. Und wie ich es nicht anders erwartet habe begrüßt Kai diese Entwicklung mit einem 'großartig', bevor er nachfragt, wie es dazu gekommen ist.
 

Mein Drache wendet seinen Blick wieder zur großen Glasfront und blickt in den großen Garten. Nein! Heute nicht! Sanft lege ich meine freie Hand an seine Wange und wende sein Gesicht mir wieder zu. Ich versuche ihn beruhigend und liebevoll anzuschmunzeln, während ich in seinem Blick nur eine stumme Bitte erkennen kann. Aber heute kann ich ihm diese Bitte nicht erfüllen, sonst werden wir nicht voran kommen. Er schluckt. Ich bemerke, wie er kurz aus dem Augenwinkel zu Kai blickt. Gerade so kann er sich noch daran hindern auf seiner Unterlippe rumzukauen, wie er es sonst macht, wenn große Unsicherheit in ihm herrscht.
 

Doch als er wieder zu mir blickt sehe ich, dass er sich nicht dazu durchringen kann mit Kai zu sprechen. Etwas in ihm sperrt sich einfach hartnäckig gegen die ihm gebotene Hilfe. Vorsichtig will ich seinen Kopf an meine Schulter ziehen, doch auch dem verweigert er sich. Er rutscht sogar ein Stückchen von mir weg und löst den Griff an seiner Hand, bevor er seine Arme defensiv vor seiner Brust verschränkt und seine Beine übereinander schlägt.
 

Ich blicke fragend zu Kai, der aber nur besänftigend lächelt und mir zunickt. Scheinbar überrascht ihn dieses Verhalten gar nicht. Er steht auf und bittet uns ihn zu entschuldigen, weil er mal dringend aufs Klo müsste. Dann lässt er uns alleine. Ich weiß, dass er nicht aufs Klo muss! Wir hatten abgesprochen, dass wenn der Druck auf meinen Drachen durch das Gespräch zu groß wird, er sich kurz unter einem Vorwand zurück zieht, damit Seto sich etwas entspannen kann. Nur dass wir dieses Ventil schon nach fünf Minuten benutzen müssen, damit haben wir beide nicht gerechnet.
 

Also rück ich zu meinem Drachen auf, der sich jetzt zu mir ziehen lässt und sein Kopf auf meiner Schulter Ruhe findet. Als ich meinen Arm über seinen Rücken lege kann ich das Zittern deutlich spüren. Er versucht sich zusammenzureißen, doch es fehlt nicht mehr viel, bis seine Anspannung ihn in die Knie zwingt. Beruhigend versichere ich ihm, dass alles gut sei und er sich vor nichts fürchten muss. Nichts muss meinem Drachen peinlich sein. Für nichts muss er sich schämen. Und ich spüre, wie er eine Träne sich aus seinen Augen löst und auf meinen Nacken fällt.
 

Er will mir so gern glauben, doch seine Gefühle strafen meine Worte lügen. Die Scham beherrscht ihn vollständig. Vielleicht weiß er, dass ihm das Gespräch mit Kai gut tun würde, doch sich dazu zu überwinden, dazu fehlt ihm die Kraft. Also ist die Frage, wie kann ich ihm helfen? Wie Kraft leihen? Sanft streich ich ihm durch das Haar. Nur sehr zögerlich scheint er sich wieder zu entspannen. Lässt etwas locker. Legt seine Arme um mich. Halt suchend. Sanft heb ich seinen Kopf, so dass wir uns anschauen können. Lege behutsam meine Lippen auf seine, lass ihn in diesem Kuss versinken. Langsam schließt er seine Augen und beginnt diese Zärtlichkeit zu genießen. Sanft streich ich ihm während dem Kuss über die Wange. Dann lass ich den Kuss langsam ausklingen.
 

Als er seine Augen öffnet, spiegelt sie immer noch Angst. Weniger, als zuvor, aber dennoch deutlich zu erkennen. Noch einmal streich ich ihm über die Wange. Lächle ihn ermutigend an. Schlage ihm vor, dass wir heute nur ein wenig Smalltalk mit Kai betreiben. Nur belangloses Blabla. Komm schon mein Drachen, nur ein wenig über das Wetter reden oder das neuste Displaydeck von Duell Monsters.
 

Schließlich nickt er. Ich lächle ihn weiter an. Dieses Mal stolz. Wie aufs Stichwort kommt Kai zurück. Er entschuldigt sich nochmals für die Unterbrechung und nimmt wieder auf dem Sessel Platz. Mein Drache sitzt neben mir, tastet unsicher nach meiner Hand. Ich reich sie ihm. Dann schaut Kai zwischen uns kurz hin und her. Dann wechselt Kai das vorige Thema und wir unterhalten uns tatsächlich eine kleine Weile über Duell Monsters. Auch mein Drachen sagt zwei oder drei Mal was dazu. Hey, ein kleiner Fortschritt, hatte er doch bis eben Kai nur stoisch ignoriert.
 

Nachdem das Thema ausklingt steht Kai wieder auf und beendet das Gespräch für heute. Er lächelt meinen Drachen an und meint nur, dass er sich auf die nächste Sitzung freue. Seto erwidert nichts dazu. Dann geht Kai. Wir bleiben noch einen Moment stehen, bevor ich Seto an mich ran ziehe und meine Arme um ihn schließe. Er tut es mir gleich. Es scheint, als sei eine ewig schwere Last von seinen Schultern gefallen, jetzt wo Kai gegangen ist.
 

Hm... das wird noch werden. Es wird Zeit kosten, aber ich bin mir sicher, dass Kai bald mit der eigentlichen Therapie anfangen kann.

Einen Schritt der Scham entgegen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt der Festigung

Als ich langsam erwache fühle ich mich verkatert und habe Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen drohen meinen Schädel zu spalten oder mir die Stirn weg zu sprengen. Das Licht, dass durch meine kaum geöffneten Augen fällt schmerzt ungemein. Mir ist übel. So schlecht hab ich mich das letzte Mal gefühlt... nachdem ich Katsuya von den Big Fives erzählt habe.
 

Ich versenke mein Gesicht ein wenig mehr an der Brust meines Streuners. Möchte mich dem Licht entziehen und noch mehr sein Geruch in mich aufsaugen. Seine Hand liegt auf meiner Schulter. Ist warm. Fühlt sich gut an. Wie sie sanft über meine Schulter zu meinem Nacken wandert und mich dort krault. Mir hilft mich wieder zu entspannen.
 

Moment. Die Hand bewegt sich? Ich hebe meinen Kopf und blicke in Katsuya's honigbraunen Augen. Er schmunzelt mich stolz an. Stolz? Warum ist er stolz auf mich? Das Licht tut mir in den Augen weh. Als ob ich tausend kleiner Nadel in meinen Augäpfeln stecken hätte. Der Kopfschmerz pocht weiter heftig in meinem Schädel. Ich lass meinen Kopf wieder auf seine Brust sinken. Sanft streicht er mir durch mein Haar.
 

Langsam kommt die Erinnerung aus der Nacht wieder hoch. Ich hatte wieder einen heftigen Albtraum. Von IHM. Doch Katsuya hat mich aufgefangen und... ich schlucke. Ich hab ihm von dem Traum erzählt. Das ist nichts Neues oder Ungewöhnliches. Aber dieses Mal... hatte mein Streuner darauf bestanden, dass ich ihn dabei anschaue.
 

Warum? Warum hat er darauf bestanden, dass ich ihn dieses Mal anschaue und nicht wie gewöhnlich mit dem Rücken an ihm lehne und ihn zwar bei mir weiß, aber nicht seinen Blick auf mir ertragen muss? Das hast so viel Kraft gekostet mich zu überwinden ihm von meinem Traum zu erzählen, während er mir gegenüber saß... seinen Blick auf meinem Körper zu spüren.
 

Ich spüre Tränen in mir aufsteigen. Versuche sie runter zu schlucken. Doch sie lassen sich nicht aufhalten. Verzweifelt beiß ich mir auf die Unterlippe, doch auch das hilft mir nicht dabei die Tränen zurückzuhalten. Die brechen sich Bahn. Lassen mich einmal mehr schwach aussehen. Ich hasse es zu weinen. Hasse es schwach zu sein.
 

Spüre wie Katsuya mir seine Finger unter das Kinn legt und meinen Kopf zu sich hebt. Er blickt mich besorgt an. Was sein Drache denn hat, will er wissen. Ich schlucke wieder. Noch immer sieht er in mir einen Drachen. Doch ich bin weder stolz, noch mächtig, ganz zu schweigen stark. Ich bin in keinster Weise mehr einem Drachen auch nur würdig.
 

Er beugt sich ein wenig zu mir und platziert mir einen Kuss auf die Stirn. Dann stemmt er sich vorsichtig hoch und zwingt auch mich in eine sitzende Position. Meine Tränen laufen mir über die Wange zum Kinn und tropfen dann von dort hinunter auf das Bettlaken. Dann streicht er mir sanft über die Wangen. Legt sanft und vorsichtig seine Lippen auf meine und küsst mich.
 

Nur zu gerne würde ich diesen Kuss genießen und mich ihm hingeben. Doch ständig seh ich vor meinem geistigen Auge, wie Katsuya mich in der Nacht anblickte, während ich ihm davon erzählte, wie ich mich nicht gewehrt und alles getan habe, was ER von mir wollte. Die Scham und das Schuldgefühl wallen wieder in mir auf.
 

Dann durchzieht mich der Kopfschmerz heftiger und ich muss mich ein wenig nach vorne krümmen und eine Hand an den Kopf legen. Katsuya rückt etwas näher zu mir auf. Zieht sanft meine Hand von meinem Kopf, bevor er seine Finger an meine Schläfen legt und vorsichtig beginnt sie mit kreisenden Bewegungen zu massieren. Tatsächlich lässt der Schmerz ein wenig nach. Ich schließe meine Augen, damit auch das schmerzende Licht draußen bleibt.
 

Nach einigen Minuten ist der Schmerz soweit gelindert, dass ich es noch einmal wage, meine Augen zu öffnen. Dieses Mal bleibt der Schmerz wegen dem Licht aus. Dafür blick ich direkt in die Augen meines Freundes und muss schlucken. Ich seh in ihnen Besorgnis, Fürsorge und Liebe. Wo... wo ist die Schuldzuweisung und die Verachtung? Er weiß jetzt, dass ich mich nicht gewehrt habe. Dass ich mich nicht nur nicht gewehrt habe, sondern jede Aufforderung von Gozaberu bedingungslos nachgekommen war.
 

Als ob er meine Gedanken lesen kann legt er seinen Kopf ein wenig schief und schmunzelt mich zärtlich an. Dann zieht er mich zu sich und schließt mich in seine Arme. Nur zögerlich leg ich meinen Kopf auf seine Schulter. Verstehe ihn nicht! Er ist ein echtes Opfer. Ich... hab es irgendwann hingenommen. Wollte nur, dass es schnell vorbei ist. Sicherlich wird er gleich erkennen, dass ich es gewollt haben muss, sonst hätte ich mich doch weiter gewehrt.
 

Da höre ich seine sanfte Stimme an meinem Ohr, als sei sie nur für mich ganz alleine bestimmt. Meint zu mir, dass alles gut sei und dass es nichts gäbe, wofür ich mich schuldig fühlen muss. Was? Hat... hat er mir heute Nacht nicht zugehört, als ich ihm davon erzählte, wie bereitwillig ich die Anweisungen - die Befehle - von IHM umgesetzt habe. Wie ich alles mit mir machen ließ ohne 'nein' zu sagen?
 

Mein Streuner löst sich ein wenig von mir, legt mir seine Hand an die Wange und blickt mich an. Immer noch schmunzelt er mich verständnisvoll und stolz an. Stolz? Will er mich jetzt verarschen? ICH . HABE. MICH. NICHT. GEWEHRT!
 

Da meint Katsuya nur zu mir, dass auch wenn ich mich nicht gewehrt habe, es nicht gewollt hätte. Dieser profane Satz zieht an etwas in mir. Er schaut mich nur weiter unverwandt an, immer noch mit diesem Schmunzeln im Gesicht, welches mich wahnsinnig macht. Ob ich mich gewehrt habe oder nicht ist völlig nebensächlich, flüstert er mir zu. Wichtig ist die Tatsache, dass ich es nicht gewollt habe. Aber ich habe nicht 'nein' gesagt! Katsuya legt eine Hand auf meine Brust und sagt, dass ich es hier drinnen nicht gewollt habe. Da spielt es gar keine Rolle ob ich 'nein' gesagt oder mich gewehrt hätte.
 

Wieder legt er mir eine Hand an meine Wange und streicht darüber. Ich blicke ihn unwillkürlich an. Dann wiederholt er, dass es nichts gibt, was seinem Drachen peinlich sein oder wofür er sich schämen muss. Auch nicht, wenn er mir gegenüber sitzt und mich anblickt. Vor allem dann nicht. Niemals vor ihm. Sein Blick dringt durch mich durch und für einen Moment hab ich das Gefühl, er könnte mir auf die Seele blicken. Sie in ihrer verkümmerten, verstümmelten Ganzheit sehen. Aber er ist davon nicht angewidert.
 

Ganz langsam beugt er sich zu mir rüber und legt seine Lippen auf meine. Vorsichtig erwidere ich den Kuss. Der Orkan in mir beruhigt sich. Das Schuldgefühl weicht von mir. Die Scham darüber, dass ich mich nicht gewehrt habe oder 'nein' gesagt habe. Sie werden weggespült von der Liebe, die mir mein Streuner entgegenbringt.
 

Als wir uns von einander lösen streicht er mir wieder über die Wange. Dann fragt er mich, warum ich mich damals nicht gewehrt habe. Ich will schon wegschauen, doch noch immer liegt seine Hand an meinem Gesicht. Hindert mich sanft daran. Nur zögerlich sag ich ihm, dass ich damals gehofft habe, dass es dann einfach schneller vorbei wäre. Das ER dann nicht so brutal und grausam zu mir wäre. Alles was ich wollte war, dass er mich in Ruhe lässt. Aber meine Wehrlosigkeit hätte mir nichts davon gebracht. Es war genauso langatmig, schmerzhaft und grausam, wie die viele Male davor. Doch es war der Auftakt dafür, dass mir für die nachfolgenden Male die Kraft und der Mut fehlten mich wieder zu wehren. Nicht bei ihm, nicht bei den Big Fives, nicht bei...
 

Himmel, ich sollte die Klappe halten! Völlig entsetzt blick ich meinen Streuner an, doch es ist bereits zu spät. Ich hab mich verplappert. Hab etwas offenbart, was... was ich ihm nicht sagen wollte. Niemals. Doch wie zu erwarten, springt Katsuya darauf an und fragt nach. Will wissen wer da noch war. Ich kann nicht anders als ihn schweigend anzuschauen. Schlucke schwer. Halte den Atem an. Mein Gesicht brennt vor Scham. Wie... wie soll ich ihm sagen, dass neben diesen sechs Männer es noch rund ein Dutzend weitere gab, die sich meiner bemächtigt haben? Geschäftspartner von Gozaberu mit gewissen Vorzügen.
 

Als der Schock in den Blick meines Streuners Einzug hält, wird mir bewusst, dass ich das laut gesagt habe! Wieder quellen mir die Tränen aus den Augen. Sie fühlen sich heiß und schwer an. Ich schlucke erneut. Dann schließt mich mein Streuner in die Arme und zieht mich an sich heran. Er umarmt mich ganz fest. Ich spüre seine Tränen an meinem Hals. W... warum weint mein Streuner auf einmal? Langsam leg ich meine Arme um ihn. Wir sitzen eine Weile einfach nur so da und halten uns gegenseitig. Lassen unseren Tränen freien Lauf.
 

Schließlich trennen wir uns langsam von einander. Er streicht mir die Feuchtigkeit aus dem Gesicht, so wie ich es bei ihm tu. Da liegt Stolz in seinem Blick, aber ich verstehe wieder einmal nicht, worauf er eigentlich stolz ist. Warum kann er mich noch so anschauen, nachdem ich ihm das alles offenbart habe? Und seine Antwort ist so simpel, wie allumfassend erklärend: Weil er mich liebt!
 

Er liebt mich? Trotz allem! Ich weiß nicht, wie das möglich ist, doch ich bin dankbar dafür und überglücklich darüber. Jetzt bin ich derjenige, der sich vorbeugt und ihn küsst. Er heißt den Kuss willkommen und erwidert ihn leidenschaftlich.
 

Danach sitzen wir noch eine Weile auf dem Bett und reden. Reden über meinen Traum. Über Gozaberu. Darüber, dass 'sich nicht zu wehren' nicht bedeutet, dass man es wollte. Dass 'nicht nein zu sagen' kein 'ja' bedeutet. All das... tut gut zu hören. Seinen Zuspruch. Seine Bestärkung. Sein Verständnis. Genauso, wie die Nähe meines Streuners zu spüren. Seine Liebe!

Einen Schritt zum ersten Date

Als ich das Conbini betrete bin ich nervös. So nervös, dass ich so eine Art von Schmetterlinge im Bauch habe, nur das mir davon leicht übel wird. Es gleicht schon irgendwie der Nervosität an Weihnachten, als ich mich zwei Mal übergeben musste, nur weil der Kindergarten mit uns feiern sollte. Ich bin nicht gut darin in Situationen, die ich nicht kenne oder gewohnt bin, zu agieren. Hab gern alles unter Kontrolle. Weiß gern, was mich erwartet und wie ich in gewissen Situationen reagieren soll. Doch das hier... das ist etwas völlig Neues für mich.
 

Ich nicke Kimochi-san zu, dem Inhaber des Conbini und mein Verbündeter. So wie an Katsuya's Geburtstag hab ich natürlich auch dieses Mal vorher mit dem älteren Mann gesprochen. Ihn gefragt, ob er meinen Streuner entbehren kann. Er hat mich nur freundlich angelächelt und genickt.
 

Der Mann ist mir ein Rätsel. Wirklich! Scheinbar stört es ihn kein bisschen, dass Katsuya und ich... als Jungs... zusammen sind. Er hat nicht mal mit der Wimper gezuckt, als ich ihm vor ein paar Tagen erklärt habe, dass ich Katsuya zu einem Date abholen möchte. Ursprünglich wollte ich das nicht so ausdrücken. Ich hatte mir da eine andere Formulierung zurechtgelegt gehabt. Aber als ich dann mit dem Mann im Gespräch war... da kam dann doch dieses D-Wort aus mir raus.
 

Kimochi-san deutet mir mit einem Nicken - um mich nicht zu verraten - auf den Durchgang zum Lager hin. Ich danke ihm stumm und folge seiner Richtungsangabe. Als ich im Lager ankomme, sehe ich, wie mein Streuner gerade Leergutkisten stapelt und mich gar nicht kommen sieht.
 

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Was nun? Soll ich mich räuspern und auf mich aufmerksam machen oder soll ich zu ihm gehen und ihn umarmen? Nein, umarmen könnte ihn vielleicht erschrecken und dazu führen, dass er den Stapel an Leergut umwirft. Also räuspern? Aber ehe ich dazu komme dreht er sich um und schaut mich überrascht an und spricht verwirrt meinen Namen aus. Verdammt, jetzt hat er mich überrascht. Also eigentlich haben wir uns gegenseitig überrascht... aber... uhm... weiter im Text!
 

Ich zieh die zwei kunstvoll in einander verwobenen Orchideen hinter meinem Rücken hervor und halt sie mit leicht zitternder Hand meinem Streuner entgegen. Eine leuchtet mit einem kräftigen Rot. Die zweite in einem sinnlichen Blau. Ich habe genau recherchiert: Die Rote steht für Liebe und Leidenschaft, die Blaue für Vertrauen und Sehnsucht. Außerdem sind es rein zufällig die Augenfarben unserer Drachen.
 

Ihm klappt der Kiefer nach unten und er kommt stockend auf mich zu. Sanft legt er seine Hände auf meine, immer noch zittrigen Hand. Verdammt, warum bin ich nur so nervös? Ich mein, ich will ihn doch nur fragen, ob er mit mir jetzt etwas Essen und anschließend ins Kino gehen möchte. Nichts was mich nervös machen muss. Das ist schließlich MEIN Streuner, der Nacht für Nacht bei mir ist und meine tiefsten und dunkelsten Geheimnisse kennt. Der mich immer wieder völlig um den Verstand bringt, wenn wir nackt zusammen im Bett liegen und uns gegenseitig verwöhnen.
 

Toll... jetzt werde ich auch noch rot. Nein! Das läuft gerade nicht nach Plan. Ich bin immerhin Kaiba Seto! Also sollte ich mich auch so benehmen. Zum Teufel mit der Nervosität. Ich räuspere mich und stell ihm endlich die Frage, wegen der ich hier bin, nämlich ob er mit mir Essen gehen würde. Heute. Jetzt. Sofort! Und er... blickt mich mit großen Augen an. Er braucht einen Augenblick, bis er mir antwortet, dass er liebend gerne mit mir Essen gehen würde, aber er noch bis 23 Uhr Schicht hätte. Ich streich ihm vorsichtig über die Wange und lächle ihn an. Mein nur, dass ich das alles geregelt hätte.
 

Er nickt schließlich und fällt mir um den Hals. Legt seine Lippen auf die meinen und küsst mich. Es ist ein herrlicher Kuss. So voller Leidenschaft und Hingabe. So eine Art Kuss, wie er mich sonst immer in die Verlegenheit bringt, dass ich einen mega... Ich unterbreche auf der Stelle den Kuss und räuspere mich. Muss kurz an was anderes denken. An den letzten Jahresabschlussbericht vielleicht. Himmel, Zahlen, Fakten, Prognosen. Katsuya blickt mich verwirrt und fragend an. Moment noch... gleich... gleich geht es wieder.
 

Schließlich lässt der Druck endlich wieder nach und ich hebe meinen Blick. Katsuya schmunzelt mich wissend an. War klar. Ich spüre, wie mein Gesicht sich instant wieder rötet. Jetzt legt er mir die Hand an die Wange und flüstert mir zu, dass mir nichts peinlich sein muss. Dann blickt er an sich herunter und setzt eine nachdenkliche Miene auf. Meint, er müsse vielleicht noch mal nach Hause sich umziehen. In dem Moment kommt Fuguta herein, trägt einen Bügel auf dem frische Klamotten hängen.
 

Mein Streuner lächelt mich mehr als zufrieden an, drückt mir noch einen Kuss auf die Wange, nimmt - während er Fuguta freundlich begrüßt - ihm den Bügel ab und verschwindet im Waschraum. Fuguta geht wieder zum Wagen. Es dauert nicht lang, da kommt Katsuya wieder heraus. Fragt mich, ob das wirklich ausreichend für ein Essen ist oder ob es nicht etwas zu leger wirken würde. Ich schüttle nur den Kopf und halte ihm seinen Parker hin, so dass er bequem hinein schlüpfen kann. Dann reich ich ihm die beiden Orchideen, an denen er kurz riecht. Er strahlt mich regelrecht an.
 

Das Restaurant ist nur wenige Minuten entfernt. Ich hab mir von Isono ein kleines, gemütliches Restaurant empfehlen lassen, dass spezialisiert auf japanische Küche ist. Die Atmosphäre im Restaurant ist beschaulich. Wir werden freundlich begrüßt und dann zu einem Tisch gebracht. In der Mitte des Restaurants befindet sich die nach allen Seiten offene Küche und man kann den Köchen direkt bei ihrer Arbeit zuschauen.
 

Der Tisch ist passend zum Anlass dekoriert und in der Mitte steht neben einer Kerze auch eine rote Rose, in einem schmalen Glas, auf dem Herzen aufgedruckt sind. Die Bedienung reicht uns beiden die Karte und fragt, ob wir schon wissen, was wir trinken wollen. Ich blicke zu meinem Streuner und er bestellt sich einen Ingwersaft. Ich schließ mich ihm an. Er blickt mich überrascht an und schenkt mir ein sanftes, glückliches Lächeln. Ich erwidere das Lächeln. Kann nicht andres. Sein Lächeln wirkt immer so rein und strahlend. Man kann es einfach nur erwidern.
 

Ich versuche ein Tischgespräch in Gang zu bringen und stell entsetzt fest, dass ich keine Ahnung habe, worüber man bei Tisch so redet. Meine einzigen Essen in Restaurant beschränken sich auf Geschäftsessen. Bei diesen ging es immer nur um geschäftliche Themen: Pläne für die Zukunft, Zahlen, Geld, Produktionskapazitäten. Ich glaube nicht, dass das so passend für diesen Anlass wäre. So stottere ich mir einen ab ohne zu wissen, wohin ich eigentlich will.
 

Schließlich legt mir Katsuya seine Hand auf meine und ich halte inne. Er schmunzelt mich wieder mit diesem Verständnis und dieser Güte an. Meint, ich solle ganz locker bleiben. Das sich dieses Essen nicht von denen zu Hause unterscheidet, was die Gespräch angeht. Also... verdammt... worüber unterhalten wir uns sonst, wenn wir zu zweit daheim essen. Ich weiß es nicht mehr. Auf einmal ist mein Kopf einfach nur noch leer. Mein Streuner kichert, als er mich so sieht. Dann rettet er mich aus der Situation. Beginnt von sich aus ein Thema und vertreibt nach und nach meine Unsicherheit.
 

Mir ist es ein Rätsel, wie Katsuya das immer wieder schafft, aber schließlich bin ich ganz entspannt und kann sogar das Essen genießen. Es ist gut, wenn auch nicht so gut, wie jenes, dass mir mein Streuner zubereitet. Als ich Katsuya das sage, röten sich seine Wangen verlegen. Ich bekräftige meine Aussage nochmal damit, dass ich das ernst meine. Er beugt sich zu mir herüber und hält kurz inne. Ich schau ihn mit großen Augen an, doch dann beug ich mich die andere Hälfte zu ihm, so dass sich unsere Lippen berühren. Diesmal achtet Katsuya darauf, dass es nur ein kurzer, recht oberflächlicher Kuss ist. In Anbetracht, was vorhin im Conbini geschehen ist, gar keine schlechte Idee. Dennoch... ich will mehr! Also leg ich meine Hand in sein Haar, zieh ihn noch einmal an mich heran und küsse ihn mit mehr Leidenschaft.
 

Als wir uns von einander trennen lächelt er mich überrascht und übermäßig stolz an. Ich verstehe erst nicht, warum er so stolz ist, dann wir mir bewusst, dass wir mitten in einem Restaurant in der Öffentlichkeit sitzen. Vorsichtig blick ich mich um, doch scheinbar hat sich von den anderen Gästen niemand daran gestört oder gar dafür interessiert. Katsuya streicht mir sanft über die Wange. Ich lächle ihn erleichtert und glücklich an.
 

Schließlich sind wir fertig mit Essen und Katsuya betont, wie voll er ist. Ich frag ihn ganz nebensächlich, ob das heißt, dass er kein Popcorn im Kino will. Er bleibt stehen und blickt mich fragend an. Grinsend wende ich mich zu ihm und erzähle ihm unschuldig, dass ich noch zwei Karten fürs Kino habe. Ich zieh sie aus meiner Tasche, reiche sie ihm und als er sieht, welcher Film auf den Karten steht springt er mich freudig um den Hals und drückt mich eng an sich. Scheinbar lag ich mit meiner Vermutung bezüglich des Filmes goldrichtig. Also schlendern wir nun Hand in Hand in Richtung Kino.
 

Als es im vollen Kinosaal dunkel wird kuschelt sich Katsuya an mich und ich kann nicht anders, als meinen Arm um seine Schultern zu legen. Es fühlt sich gut an ihn so nah bei mir zu wissen, während alles um mich herum dunkel ist und nur von dem Film auf der Leinwand erhellt wird. Mein Streuner spürt meine Anspannung, lehnt sich zu mir und küsst mich sanft. Ich lächle ihn nur an und mein, dass alles in Ordnung sei. Er nimmt meine Hand in seine und streicht mir sanft über den Handrücken. Tatsächlich weicht die Anspannung dadurch von mir.
 

Nach fast zweieinhalb Stunden ist das Spektakel auf der Leinwand zu Ende. Ich will schon aufspringen, als Katsuya mich festhält und mir sagt, ich solle sitzen bleiben. Verwirrt blicke ich ihn an und dann erkenne ich, dass er nur mein Wohl im Auge hat. Denn fast alle Kinobesucher stehen plötzlich auf und drängen zu dem Flaschenhals von Ausgang. Wäre ich jetzt auch aufgestanden hätte ich mich mitten in dieser Masse befunden und... ich schlucke. Dann lehn ich mich zu Katsuya und küsse ihn sanft. Ich bin ihm so dankbar dafür, dass er immer ein Auge auf mich und meine Bedürfnisse hat und mich immer davor bewahrt in gewissen Situationen falsch zu agieren.
 

Als sich der Saal fast geleert hat und ein Großteil des Abspanns über die Leinwand gelaufen ist geht das Licht langsam an. Erst jetzt steht mein Streuner auf und zieht mich mit sich. Gemütlich schlendernd verlassen wir das Kino. Als wir vor der Tür ankommen stellen wir fest, dass es wieder schneit. Die Straße ist so gut wie leer. Es ist kaum noch jemand unterwegs.
 

Auch wenn es für mich ungewohnt ist lege ich meinen Arm wieder um Katsuya's Schulter. Er blickt mich überrascht an. Dann frag ich ihn, ob er mit mir durch den Park nach Hause schlendern möchte. Er nickt mit einem Lächeln, welches ihn so großartig aussehen lässt. Also schlendern wir los. Durch den Park und den Schnee. Unsere Schritte lassen den Schnee unter unseren Füßen sanft knarzen. Die uns umgebende Ruhe wirkt so friedlich und sanft.
 

Da bleibt Katsuya plötzlich stehen, stellt sich vor mich und küsst mich leidenschaftlich. Ich lege einen Arm um seine Schultern, die andere Hand an seinen Kopf und zieh ihn noch näher an mich heran. Das ist wieder so ein Kuss voller Leidenschaft und Lust, der mein Verlangen wieder anfacht. Als der Kuss langsam ausklingt dankt mir mein Streuner für diesen wundervollen Abend. Dann grinst er mich kokett an und meint, dass wir uns jetzt sputen sollten heim zu kommen. Dann zieht er mich eilig weiter. Oh ja, wir sollten wirklich schleunigst heim!

Einen Schritt der Sinnlichkeit

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt in die Öffentlichkeit

Als ich in die Küche komme sind Seto und Katsuya noch nicht da. Ich kichere, denn das kann nur bedeuten, dass Seto's Abendplanung ein voller Erfolg gewesen war und sie sehr spät ins Bett gekommen sind. Was natürlich dazu führt, dass die beiden heute Morgen sicherlich extrem müde sein werden. Also wünsche ich Mariko-san einen wunderschönen guten Morgen, bevor ich mich am Tisch auf meinen Platz niederlasse. Keinen Augenblick später serviert mir Mariko Pancakes mit Ahornsirup und ich lächle sie mehr als zufrieden an. Das ist ein Frühstück Deluxe.
 

Ich will gerade schon anfangen die ersten Pancakes zu verschlingen, als mein Blick auf die Zeitung fällt, die bereits an Seto's Tisch liegt. Mir klappt der Kiefer nach unten und ich lass die Gabel auf meinen Teller fallen. Langsam greife ich nach der Zeitung, falte sie vorsichtig auseinander und erstarre. Scheiße, das darf doch jetzt nicht wahr sein! Ich schlucke und in mir regt sich eine Angst. Noch ehe ich reagieren kann kommt mein Bruder und Katsuya herein. Sie grüßen Mariko freundlich und kommen dann zu mir herüber.
 

Ganz unauffällig lasse ich die Zeitung auf meinen Schoss sinken, dann erreichen mich die beiden auch schon. Seto kommt zu mir und drückt mich liebevoll. Ich genieße die Umarmung. Das er das am Morgen macht ist noch recht neu, aber ich find es toll. Katsuya hält mir nur die geschlossene Faust entgegen und ich stoße sie mit meiner eigenen an. Der Blonde grinst überglücklich und sehr zufrieden und das zaubert mir wieder ein Grinsen aufs Gesicht.
 

Als Seto sich setzt blickt er sich suchend um. Er sucht seine Zeitung, die ich auf meinem Schoss zusammengeknüllt habe. Gerade als er sich an Mariko-san wenden möchte leg ich ihm meine Hand auf seinen Unterarm. Fragend blickt er mich an. Sofort bemerkt er, dass etwas nicht stimmt. Darin war Seto immer gut: Bei mir erkennen, wenn etwas im Busch ist. Oft hab ich ihn wegen dieser Fähigkeit verflucht. Aber mir ist schließlich klar geworden, dass er das nur kann, weil wir uns so nahe stehen.
 

Ganz langsam hol ich seine Zeitung von meinem Schoss. Verwundert blickt er mich an. Auch Katsuya mustert mich nun neugierig. Langsam entfalte ich die Zeitung wieder und lege sie wie in Zeitlupe, mit dem Titelbild nach oben vor Seto. Sofort erstarrt auch er und blickt völlig geschockt auf das, was da abgebildet ist. Er nimmt die Zeitung in die Hand, als würde er sonst nicht erkennen können, was da abgelichtet ist. Auch ihm klappt der Kiefer nach unten.
 

Katsuya beugt sich neugierig zu ihm und betrachtet sich ebenfalls das Bild auf der Titelseite. Nach einem Moment lächelt er und meint nur, dass man sie echt gut getroffen hätte. Seto und auch ich schauen ihn nur fassungslos an, während er sich wieder normal hinsetzt und sich glücklich dran macht die Pancakes zu verputzen. Als ihm unser Blick auffällt fragt er nur mit vollem Mund, was wir hätten.
 

Seto legt die Zeitung - auf deren Titelseite ein Bild von ihm und Katsuya zu sehen ist, wie sie sich über einen kleinen Tisch zueinander beugen und küssen - auf seinen Teller ab und steht wieder auf. Unruhig tigert er durch die Küche und ich spring auch auf, um zu ihm zu gehen. Ich stoppe ihn in seinem Lauf und er blickt mich mit einer Ratlosigkeit an, die ich so nicht von ihm kenne.
 

Dann wird Seto von hinten von Katsuya umarmt, der seinen Kopf auf die Schulter meines Bruders schiebt und ihn freundlich anlächelt. Worüber wir beide so entsetzt seien, will er wissen. Es wäre doch klar gewesen, dass die Öffentlichkeit irgendwann von ihrer Beziehung erfahren würde und er fände das Bild richtig schön. Man hätte genau im richtigen Moment auf den Auslöser der Kamera gedrückt, um ihre Liebe in ihrer Gesamtheit einzufangen.
 

Plötzlich fängt auch Seto an zu lächeln. Wie schafft der Blonde es nur, dass selbst etwas Katastrophales, wie diese Offenlegung ihrer Beziehung, ihren Schrecken gänzlich verliert? Das selbst mein Bruder, der stets bemüht war, sein Privatleben privat zu halten, seine Panik verliert. Das sind so Momente, in denen ich erkenne, was für einen Einfluss der Blonde auf unser Leben hat.
 

Seit er bei uns ist, hat sich so vieles geändert. Seto kann endlich wieder meine Nähe ertragen. Findet zumindest hin und wieder den Frieden, den er braucht. Wenn er ihn nicht findet ist Katsuya da und steht ihm bei. Der Blonde hat es sogar hingekriegt, dass Seto aufhört mich wegzuschubsen, wenn es um Themen geht, bei denen er der Meinung ist, dass ich noch zu jung für bin.
 

Sanft zieht Katsuya meinen Bruder in seinen Arm und die beiden küssen sich. Ich seh schon, er hat alles voll im Griff, also geh ich wieder zu meinem Platz und mach mich langsam über meine Pancakes her. Nachdem ihr Kuss langsam ausgeklungen ist und sich auf Seto's Wangen eine seichte Röte festgesetzt hat, führt er ihn wieder zurück zum Frühstückstisch und schiebt ihn auf seinen Platz. Dann nimmt der Blonde die Zeitung und lässt sie verschwinden, während Mariko-san meinem Bruder sein Frühstück bringt: Kaffee, schwarz, ohne Zucker!
 

Obwohl ich sehen kann, dass es Katsuya stört, dass mein Bruder heute Morgen scheinbar nichts essen möchte, akzeptiert er es. Mittlerweile hat er gelernt, dass es nicht ratsam ist meinen Bruder zum Essen zu bewegen, wenn dieser nicht will, weil das meist nur darin endet, dass Seto sich übergeben muss. Vor allem ist ihm aber aufgefallen, dass Seto ein Problem mit westlichem Essen hat. Während Seto japanische Küche geradezu liebt und ihr selten wiederstehen kann, meidet er alles was amerikanisch oder europäisch ist, wo er nur kann.
 

Selbst ich weiß nicht genau, warum mein Bruder eine solche Abneigung hat. Sicherlich hat Gozaberu früher überwiegend solches Essen auftischen lassen. Aber dass er diese Kochrichtungen allein deshalb ablehnt, kann ich mir nicht vorstellen. Dennoch ist es auch mir ein Rätsel woher diese starke Abneigung kommt. Vielleicht... vielleicht sollte ich mal mit Katsuya darüber reden und eine Art... Intervention planen.
 

Schließlich kommt Bewegung in die beiden anderen und ich schling schnell die Reste meiner Pancakes herunter, die ich vor lauter Denken beinahe nicht geschafft hätte. Dann schnappen wir unsere Schultaschen und... plötzlich steht Isono vor uns. Er blickt uns überrascht an und fragt, wohin wir wollen. Ich antworte ihm, dass wir auf dem Weg zur Schule sind. So ganz verstehe ich seine Verwunderung über meine Antwort schließlich nicht. Er zieht schließlich die gleiche Zeitung, die bei uns am Frühstückstisch gelegen hat, aus seiner Tasche und hält das Bild von Seto und Katsuya hoch.
 

Wieder springt Katsuya zu Isono vor und schnappt sich die Zeitung. Völlig begeistert betrachtet er sich das Bild und fragt Isono, ob der Fotograph sie nicht einfach perfekt abgelichtet hätte. Entgeistert blickt der Mann, der uns schon so lange begleitet, den Blonden an. Dann meint er, dass am Haupttor des Anwesens eine ganze Horde von Reporter und Fotographen warten würden.
 

Seto blickt fragend zu Katsuya, der zuckt nur mit den Schultern. Er habe damit kein Problem, aber er würde verstehen, wenn wir uns heute diesem Trubel nicht aussetzen wollen würden. Es vergeht einen Augenblick, bevor Seto schmunzelnd auf Katsuya zugeht und ihn ein weiteres Mal küsst. Dann blickt mein Bruder zu Isono und sagt, dass wir jetzt zur Schule müssten.
 

Ich kann Isono's Überraschung deutlich erkennen. Er weiß, dass Seto sich in ähnlichen Situationen in der Vergangenheit meist solang zurück gezogen hat, bis das allgemeine Interesse an ihm abgeflaut war. Dass er sich jetzt der Außenwelt stellt und sich nicht länger versteckt ist garantiert allein dem Blonden geschuldet. Ich finde es großartig, dass Seto sich nicht länger verstecken und offen zu ihrer Beziehung stehen will. Was ist denn auch schon dabei, dass mein Bruder einen anderen Jungen liebt? Gerade in der heutigen Zeit sollte das doch überhaupt nicht mehr von Interesse sein oder?
 

Also verlassen wir das Haus und steigen in den Wagen. Heute scheint Isono uns zur Schule fahren zu wollen. Wie in alten Zeiten, kommt es mir in den Sinn und ich lächle glücklich. Langsam verlassen wir das Anwesen und als wir das Haupttor passieren geht um uns ein Blitzlichtgewitter los. Ich sehe, wie Seto nach Katsuya's Hand tastet, der ihm diese bereitwillig reicht. Auch wenn Seto nach außen wie der alte wirkt, kann ich mittlerweile gut erkennen, dass das täuscht. Er ist nervös und hat vielleicht auch ein wenig Angst. Daher ist es gut, dass Katsuya ihm mit so einer simplen Geste Kraft und Mut gibt.
 

Anstatt erst zu meiner Schule zu fahren hält der Wagen zuerst vor der Senior-High der beiden. Auch hier tummeln sich allerlei Reporter und Fotographen. Seto blickt noch einmal prüfend zu Katsuya, der ihm nur ermutigend zunickt. Dann blickt mein großer Bruder zu mir, nimmt mich in den Arm und drückt mich fest. Er wünscht mir einen schönen Tag und sollte ich aus irgendeinem Grund vorzeitig heim wollen, solle ich ihn anrufen, dann kommt er mich holen.
 

Mit diesen Worten öffnet er schließlich die Tür und steigt, dicht gefolgt von Katsuya aus. Er versucht die Reporter und die Fotographen zu ignorieren, während er nach der Hand des Blonden greift und dann mit ihm durch die Masse förmlich hindurch schlendert, bis sie endlich das Schulgelände betreten. Erst als die beiden im Schulgebäude verschwunden sind und Isono sich sicher ist, dass keiner der Reporter ihnen gefolgt ist, setzt er den Wagen wieder in Bewegung und bringt nun mich zu meiner Schule.
 

Obwohl ich nichts anderes erwartet habe von Isono bin ich sehr glücklich, dass er sich trotz seiner 'Beförderung' und seines plötzlichen Reichtums nicht verändert hat und immer noch über uns wacht. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, dass ich mehr brauche, als ich zugeben möchte. Anders als mein Stolz, den ich regelrecht hinaus schreien will. Ich bin so unglaublich stolz auf Seto, dass er jetzt auch in der Öffentlichkeit zu Katsuya und ihrer Beziehung steht. Noch vor ein paar Wochen sah das alles anders aus!

Einen Schritt, um einen Anfang zu machen

Es ist wieder Samstag. Wieder sitzt Mokuba gerade in der Einzelsitzung mit Kai und wird in einer viertel Stunde fertig sein. Also schlendere ich in Richtung Arbeitszimmer meines Drachens. Doch zu meiner Überraschung ist er gar nicht in ihm. Ich werfe noch einen Blick in den Waschraum, der zum Büro dazu gehört, doch auch dieser ist verwaist. Wo mag mein Drache nur sein?
 

Ich geh nach oben in unser Zimmer, aber auch da find ich ihn nicht. Als ich zur Treppe zurück gehe kommt mir ein Gedanke. Also geh ich in den Flügel des Hauses, in dem bis vor kurzem noch das Zimmer meines Drachens gelegen hat. Als ich die Tür des alten Zimmers öffne finde ich aber auch dieses verlassen vor. Zu meiner Überraschung wirkt das Zimmer wie immer, mit der Ausnahme, dass die persönlichen Dinge auf der Kommode und den Nachttischen fehlen. Gar nicht so, als wäre es seit Wochen nicht mehr in Benutzung.
 

Als ich mich umdrehe, um das Zimmer wieder zu verlassen, stoße ich mit der Schulter gegen das große Regal, dass hier am Ende des Ganges aufgestellt steht. Ich fluche kurz und frag mich, wer auf diese bescheuerte Idee kam, hier ein Regal aufzustellen. Da fällt mir auf, dass ich das Regal leicht verrückt habe, als ich gegengestoßen bin. Als ich nach dem Regal greife, um es wieder richtig hinzustellen fällt mein Blick hinter das Regal und ich erstarre...
 

Hinter dem Regal liegt eine weitere Tür verborgen! Ich rück das Regal noch ein Stückchen nach vorne und tatsächlich: Ich habe mich nicht geirrt! Da ist eine Tür! Aber warum sollte man vor eine Tür ein Regal aufstellen? Das ist doch völliger Blödsinn... es sei denn... Ich schiebe das Regal wieder auf seinen Platz und gehe zurück zur Treppe.
 

Als ich im Erdgeschoss ankomme bleib ich kurz stehen und schau mich suchend um. Schließlich dringt ein Geräusch aus der Küche an mein Ohr. Ich wende mich zu ihr und als ich durch die Schwingtür trete finde ich meinen Drachen, der am Tresen sitzt, mit einer Tasse Kaffee vor sich und einer Zeitung in der Hand. Er blickt zu mir auf und als er mich sieht lächelt er mich sanft an. Ich erwidere sein Lächeln erleichtert und geh zu ihm. Sanft leg ich meinen Arm um meinen Drachen und platziere einen sanften Kuss auf seine Wange.
 

Er lässt seine Zeitung niedersinken und dreht sich etwas mehr zu mir, bevor er seine Lippen auf die meinen legt. Unser Kuss ist sanft und langsam. Eine dieser Küsse die trotz ihres gemächlichen Tempos voller Leidenschaft und Intensität stecken. Als er langsam endet blickt mich mein Drachen fragend an. Oh, ich sehe seine Leidenschaft in seinen Augen und unter anderen Umständen würde ich ihn mir jetzt schnappen, hoch in unser Zimmer ziehen und verwöhnen. Aber... Kai wartet!
 

Ich kann in seinem Blick sehen, wie er scheinbar meinen Gedanken liest und ihm bewusst wird, dass wir gleich einen Termin haben. Die Leidenschaft erstirbt praktisch sofort und an ihrer Stelle tritt wieder große Unsicherheit. Er will sich schon wegdrehen, als ich meine Hand auf seine Wange lege und ihn hindere. Mein Drachen schluckt schwer. Mit meinem Lächeln will ich ihm ein wenig Mut und Kraft geben. Wiederhole, dass ihm nichts peinlich sein muss und es nichts gibt, wofür er sich schämen muss. Nur sehr zögerlich und unsicher erwidert er mein Lächeln.
 

Dann leg ich meine Arme um ihn und drücke ihn fest an mich. Sofort schlingt er auch seine Arme um mich und hält sich an mir fest. Ich kann spüren, wie angespannt er auf einmal ist. Sanft streich ich ihm über den Rücken. Tatsächlich scheint ihn das wieder etwas zu entspannen. Merke, wie er meinen Geruch tief in sich einzieht. Ich leg meinen Kopf auf sein Haar und genieße einfach nur ihn so zu halten. Am liebsten würde ich die Zeit anhalten und diesen Moment für immer bewahren.
 

Doch dann geht hinter uns die Küchentür auf und unser Wirbelwind kommt herein gestürmt. Er bleibt kurz stehen und blickt uns fragend an, bevor ich ihn zu uns winke. Diese Einladung lässt er nicht lange unbeantwortet im Raum stehen und kommt zu uns, um sich sofort in die Knuddelei einzubringen. Seto legt seinen Arm um seinen jüngeren Bruder und drückt ihn fest an sich.
 

Dann fragt mein Drache Mokuba, wie sein Gespräch war. Überrascht von dem Interesse an seiner Sitzung blickt Mokuba seinen großen Bruder mit einem breiten Grinsen an, bevor er antwortet, dass das Gespräch ganz gut war. Der Kleine sagt ganz offen, dass ihm die Gespräche mit Kai wirklich gut tun. Sanft streicht Seto dem Schwarzhaarigen durch das wilde Haar bevor er sich aufrichtet und strafft. Fragend blickt er mich an und ich nicke nur auf seine stumme Frage, ob ich ihn begleite. Sanft legt er seine Hand in meine und wir verlassen, nachdem Seto seinem Bruder noch einmal einen Kuss auf die Stirn gedrückt hat, die Küche.
 

Im Wintergarten wartet Kai und scheint sich wieder für die Blumen hier zu interessieren. Er lächelt uns beide an, als er sich zu uns dreht und uns begrüßt. Ich erwidere den Gruß mit einem Lächeln und auch Seto grüßt Kai. Ich bin baff. Das ist das erste Mal, dass er von sich aus ohne mein Zutun begrüßt. Auch Kai scheint das zu registrieren, denn sein Lächeln wird noch etwas breiter. Dann deutet er wieder auf die Sitzgarnitur.
 

Als wir Platz nehmen rutscht Seto noch ein Stückchen näher an mich ran. Seine Finger, die mit meinen verschränkt sind, klammern sich etwas fester in unsere Berührung. Dann beginnt alles wie immer mit Smalltalk und was diese Woche so los war. Ich erzähl Kai vom Valentinstag, dem Bild in der Zeitung und dem gerade mal zwei Tage anhaltenden Interesse daran, dass der CEO des weltgrößten Spieleunternehmens scheinbar schwul ist.
 

Seto sagt zu all dem nicht wirklich etwas, aber er wendet sich auch nicht ab und knirscht auch nicht mit den Zähnen. Im Vergleich zur letzten Woche sitzt er regelrecht entspannt neben mir. Fragen von Kai beantwortet er einsilbig, aber er beantwortet sie! Ich seh darin schon einen echt großen Fortschritt im Vergleich zu den letzten beiden Gesprächsversuchen.
 

Dann fragt Kai meinen Drachen, ob er heute mit ihm über etwas reden möchte, dass ihn beschäftigt oder belastet. Seto blickt unsicher und verwirrt zu unserem Psychologen. Sicherlich findet er es merkwürdig, dass Kai ihm die Wahl lässt und nicht einfach eines der Themen, von denen er ja ohnehin schon weiß, anschneidet. Mein Drache tut sich mit einer Antwort auf diese Frage wieder sehr schwer.
 

Nachdem fast anderthalb bis zwei Minuten vergangen sind, durchbricht Kai die Stille. Sanft spricht er Seto wieder an. Sagt ihm, dass er weiß, dass mein Drache in der Öffentlichkeit immer sehr darauf bedacht sein muss, wie er wirkt und was er von sich Preis gibt. Das er versteht, warum Seto so vorsichtig ist und das gut findet, dass er so aufmerksam ist. Meint, er wüsste, was andere in meinem Freund sehen: Ein Wunderkind, ein junges Genie, ein brillanter Stratege, ein eiskalter Geschäftsmann, jemand der selbstbewusst und -sicher immer genau weiß, was er will und wie er seine Ziele erreichen kann.
 

Mein Drachen lässt den Blick vor sich sinken. Er weiß, wie ihn die Menschen sehen. Genau das ist ja sein Problem, denn mit dem, wie sie ihn sehen, stellen sie auch gewisse Ansprüche an ihn, wie er zu sein hat. Es interessiert diese Menschen gar nicht, dass er gar nicht so ist, wie sie es ihm immer andichten oder wie er gelegentlich wirken mag. Wenn man dann ihren Standpunkt etwas ändert, fällt ihnen plötzlich auf, dass Seto ganz anders ist... so war es auch in der Klasse: Seit wir uns geoutet haben und ihren Standpunkt etwas zurecht gerückt haben, haben sie ihre Ansichten und ihren Blick auf meinen Drachen geändert... oder besser gesagt: korrigiert.
 

Schließlich meint Kai zu Seto, dass auch er einen Standpunkt hat und fragt ihn, ob mein Drachen wissen will, wie er ihn sieht. Nur zögerlich hebt mein Freund seinen Blick wieder und schaut Kai unsicher an. Kai setzt an und sagt ihm, dass er einen leidenden jungen Mann sieht. Einen unsicheren Jugendlichen. Ein zutiefst verletztes Kind.
 

Bei den letzten Worten löst sich bei Seto eine Träne und senkt wieder seinen Blick. Mit etwas zittriger Hand wischt er sich die Träne von der Wange und kämpft mit sich, nicht noch eine Träne zu verlieren. Sanft lege ich meinen Arm um seine Schulter. Will ihm zeigen, dass er nicht allein ist. Kann spüren, wie seine Körper zittert. Er beißt sich auf die Unterlippe und schluckt langsam.
 

Noch einmal erhebt Kai seine Stimme. Offenbart meinem Drachen, dass er weiß, dass er in seiner Kindheit und Jugend großen Zwängen ausgesetzt gewesen ist, die ihm nichts als Schmerz, Leid und Scham beschert haben. Aber von ihm habe er keinen Zwang zu erwarten. Er kann meinem Drachen das Gespräch und seine Hilfe nur anbieten, aber annehmen kann nur Seto beides.
 

Da löst sich noch eine Träne aus den Augen meines Drachens. Dieses Mal streiche ich sie sanft von seiner Wange. Weiterhin hält er seinen Blick gesenkt. Ich schätze, Kai hat ihm etwas zum Nachdenken gegeben. Wir beide geben meinem Drachen die Zeit, die er braucht. Schließlich hebt er seinen Blick erst zu mir. Sanft lächle ich ihn an und streich ihm noch einmal über die Wange. Dann blickt er langsam zu Kai.
 

Als er seine Stimme erhebt klingt sie brüchig und unsicher. Will wissen, worüber er anfangen soll zu reden. Ich zieh ihn ein Stückchen näher an mich ran. Meine Brust fühlt sich an, als würde sie gleich vor Stolz platzen. Auch Kai lächelt sanftmütig meinen Drachen an. Dann schlägt er Seto vor, am Anfang zu beginnen und von der Adoption und wie es dazu kam zu erzählen. Ich kann seine Verwirrung verstehen. Sicherlich hat er damit gerechnet, dass Kai direkt zu seinen schmerzlichsten Erinnerungen vorstoßen und den ganzen alten Schmerz wieder heraus kramen würde.
 

Nach einem langen Moment nickt mein Drache schließlich und erzählt uns, wie seine leiblichen Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, die Verwandten sich ihres Erbes bemächtigt und sie in das Kinderheim abgeschoben haben. Dort habe er seinen kleinen Bruder um jeden Preis beschützen wollen und sich vorgenommen alles zu tun, damit sein Bruder eine glückliche Kindheit haben würde. Als dann Gozaberu das Kinderheim besuchte hätte er seine Gelegenheit eine Veränderung zu erwirken gesehen und ihn zu einem Schachspiel heraus gefordert. Der Einsatz wäre die Adoption gewesen. Da der Mann von einem Kamerateam begleitet wurde und er sein Gesicht vor den Reportern nicht verlieren wollte, habe er eingewilligt. Tatsächlich hätte er ihn geschlagen und somit förmlich dazu gezwungen, sie zu adoptieren.
 

Kai wirkt mehr als zufrieden und stolz. Er dankt Seto dafür, dass er ihm das erzählt habe. Wieder wirft mein Drache mir einen verwirrten Blick zu. Dann strafft sich Kai und steht langsam auf. Meint, dass die Zeit um wäre, aber er den Fortschritt wirklich großartig findet und hofft, dass wir nächste Woche daran anknüpfen kann. Dann verlässt uns Kai und wir bleiben alleine im Wintergarten zurück. Immer noch ist Seto völlig baff und verwirrt.
 

Ich schmunzle ihn sanft an und küsse ihn schließlich liebevoll, um ihn aus seiner Starre und Verwirrtheit zu lösen. Ihm ist gar nicht wirklich bewusst, was für ein großartiger erster Schritt er gerade gemacht hat.

Einen Schritt durch das Grauen

Ich sitze im Wintergarten, auf der Rattancouch und mir gegenüber in einem Rattansessel sitzt 'Kai', mein... Therapeut. Ich blicke an ihm vorbei zur Tür des Wintergartens. Suche etwas. Vermisse jemanden. Der sonst immer hier ist. Aber nicht heute. Heute bin ich mit 'Kai' alleine. Spüre dieses mulmige Gefühl in mir. Angst? Vielleicht. Wahrscheinlich. Bin für gewöhnlich nicht mit diesem Mann alleine. Spüre, wie mein Herz mir bis zum Hals schlägt. Das Rauschen in meinen Ohren ist gewaltig. Ich schlage ein Bein über das andere. Verschränke meine Arme vor der Brust.
 

Katsuya! Wo ist mein Streuner? Sonst ist er doch bei mir. Lässt mich nicht alleine. Weicht nie von meiner Seite. Nicht mal dann, wenn ich ihn darum bitte, weil ich etwas vor ihm verbergen will. Er sieht mich an und weiß sofort, was Sache ist. Weiß, wie ich mich fühle und was ich brauche. Schenkt mir das Gefühl von Schutz und Geborgenheit. Liebt mich, wie noch niemand zuvor ohne Vorurteile oder Erwartungen. Er drängt mich nicht und gibt mir die Zeit, die ich brauche, um in diese Beziehung hineinzuwachsen. Also, wo ist mein Streuner?
 

Kai ruft mich ein paar Mal. Mein Blick wandert von dem Zugang wieder zu dem Mann, der mich ernst ansieht. Nein, nicht ernst. Abwertend. Verächtlich. Belustigt. Es ist mir höchst unangenehm mit ihm hier alleine zu sein, jedenfalls so, wie er mich gerade anblickt. Schlucke schwer. Dann steht er auf und kommt um den Gartentisch. Das... das hat er noch nie gemacht. Er wahrt normalerweise den Abstand, den ich vorgebe. Warum heute nicht? Ich schlucke nochmals. Hab meinen Blick fest auf ihn gerichtet. Kann mich aber auch nicht bewegen.
 

Dann kommt er bei mir an. Stellt sich direkt vor mich. Stemmt seine Hände links und rechts von mir gegen die Rückenlehne und beugt sich zu mir vor. Er hat ein süffisantes Grinsen im Gesicht. Fragt mich, was ich denn hätte. Meine Brust beginnt zu schmerzen. Es fühlt sich an, als wolle mein Herz heraus springen. Spüre, wie ich anfange zu zittern. Blick ihn nur stur an. Mit großen Augen. Ohne zu blinzeln. Irgendetwas ist an dem Mann heute anders, als sonst. Er... wirkt anders. Hat eine bedrohliche Ausstrahlung.
 

Seine Stimme ist so leise, dass nur ich sie noch hören kann. Er fragt mich, ob ich nicht meine Beine breit machen möchte. Mein Herz bleibt schlagartig stehen und mein Blut gefriert mir in den Adern. Spüre, wie mir kalter Schweiß auf die Stirn tritt. Mein Zittern ist jetzt so stark, dass man es sehen kann. Ich hasse mich dafür, dass ich gerade die Kontrolle verliere.
 

Kontrolle!? Selbstbestimmung. Würde. Unschuld. Dinge, die mir Gozaberu geraubt hat. Die er zerstört hat. Nichts übrig ließ, außer Scham, Schuld und Ekel, sowie gewaltiger Selbsthass. Nach seinem Tod hab ich vorgegeben, all das noch zu besitzen. Hat auch gut funktioniert. Eine Weile zumindest. Bis... bis er aus seinem Grab heraus mir all das wieder weggenommen hat. Seitdem trudle ich hilflos umher. Stolpere durch den Alltag, mehr schlecht als recht.
 

Da erschallt seine Stimme. Gozaberu's Stimme. Gefühle sind eine Schwäche. Schwäche machen sich andere zu nutzen. Bringen einen damit zu Fall. Erst wenn man keine Schwächen mehr zulässt kann man die Kontrolle übernehmen. Sagen wo es lang geht. Bestimmen, was getan wird. Andere nach seinem eigenen Willen steuern. Das ist Macht. Wahre Macht.
 

Eine Gänsehaut überzieht meine Haut. Ich... ich will sie nicht hören. Nicht seine Stimme. Nicht die Worte. Warum kann er nicht einfach verschwinden und mich in Frieden lassen. Hat er sich nicht schon genug von mir genommen? Hab ich ihm nicht alles gegeben, was er wollte? Also warum quält er mich auch heute noch so sehr?
 

Ich spüre Kai's Hand an meinem Bein, dass ich zu Beginn über das andere geschlagen habe. Sehe, wie er es herunter hebt, so dass es neben dem anderen steht. Dann legt er seine Hände auf meine Knie und zwingt meine Schenkel auseinander. Spreizt meine Beine. Ich halte nur den Atem an. Kann nicht glauben, was ich da spüre und was er da gerade tut. Warum.. warum tut er das? Sollte er mir nicht eigentlich helfen, dass was Gozaberu mir angetan hat zu verarbeiten. Stattdessen lässt er seine Hände von den Knien über meine Schenkel nach oben zu meinem Hosenbund wandern.
 

Nein! Er... er soll aufhören! Soll sein Vorhaben stoppen. Jetzt! Sofort! Augenblicklich! Aber immer noch ist sein Körper im Schock gefangen. Selbst das Atmen ist jetzt nicht mehr möglich. Alles, wozu ich noch im Stande bin ist zittern. Ich weiß, wie das hier weiter gehen wird. Kenne den Ablauf. Den Schmerz. Die Scham. Den Ekel.
 

'Kai' sagt wieder etwas, aber es ist nicht seine Stimme, die ich höre. Ich kenne die Worte. Nur zu gut. Hab sie unzählige Male gehört. Die Worte 'Sei ein guter Junge!" hallen mir laut durch meinen Kopf. So laut, dass ich das Gefühl habe, dass es mir gleich mein Trommelfell raus haut. Spüre wie mir die ersten Tränen über das Gesicht laufen. Starre 'Kai' einfach nur entsetzt an, der mich immer noch süffisant und bösartig angrinst. Sich mit der Zunge gierig über die Lippen fährt.
 

Plötzlich verschwindet die Lehne der Couch in meinem Rücken einfach und ich fall nach hinten auf einen weichen Grund. Mein altes Bett! Panik flammt augenblicklich in mir hoch, während Kai sich zwischen meine Schenkel kniet und sich an meinem Hosenknopf zu schaffen macht.
 

Auf einmal spür ich meine Arme wieder. Verzweifelt stemm ich mich nun gegen den Körper, der sich über mich beugt. Halte ihn auf, in seinem Versuch, mich gerade küssen zu wollen. Er lässt von meiner Hose ab und packt meine Handgelenke. Sein Griff ist so hart und eng, als würden meine Hände plötzlich in einem Schraubstock stecken. Er zwingt meine Hände über meinen Kopf, wo er sie mit einer Hand festhalten kann, während die zweite erneut versucht den Knopf am Hosenbund zu öffnen.
 

Endlich kehrt auch das Gefühl in meinen Beinen zurück und ich versuche ihn irgendwie von mir wegzukicken. 'Kai' ist gar nicht erfreut darüber, dass ich mich so wehre. Bekommt einen wütenden Gesichtsausdruck. Grollt mich an, ich soll es uns beiden doch nicht so schwer machen. Das es geschehen wird... so oder so... der Widerstand völlig zwecklos sei. Seine Worte widern mich an. Treiben mir nur noch mehr die Tränen in die Augen. Ich weiß nicht wie, aber schließlich schaff ich es meinen Fuß an seine Hüfte zu platzieren und ihn von mir zu stoßen.
 

Kaum bin ich frei dreh ich mich herum und versuche über das Bett hinweg zu entkommen. Doch da spüre ich einen eisernen Griff in meinem Haar, der mich gewaltsam zurück und hoch zieht. Von hinten schiebt sich 'Kai's Gesicht neben meines, nur dass er immer dämonischer wird. Seine Augen sind schwarz und ausdruckslos, während das Grinsen immer breiter geworden ist. Seine Haare, die sonst wild abstehen, scheinen ordentlich mit Pomade nach hinten gekämmt zu sein. Ein dichter, dunkler Schnurrbart sprießt im Zeitraffer auf seiner Oberlippe. Sein Gesicht wird kantiger und der Geruch des Aftershaves bereitet mir Übelkeit. Und dann... dann ist 'Kai' verschwunden und stattdessen steht hinter mir Gozaberu.
 

Ich schreie laut auf. Mein Herz hämmert wieder wie wild gegen die Brust und bis Hals. Versuche mich gegen seinen Griff zu wehren, während seine Hand um meine Hüfte geht und gekonnt den Knopf löst. Dann reißt er mir die Hose herunter und lacht einfach nur diabolisch und amüsiert. Seine Stimme ertönt bedrohlich leise neben meinem Ohr. Ich solle mich ruhig weiter wehren, so habe er es immer am liebsten gehabt. Deshalb habe er sich immer neuere, grausamere Methoden überlegt, sich meiner zu bemächtigen, weil ich irgendwann die Übergriffe einfach über mich habe ergehen lassen. Spüre seine eiskalte Pranke an meiner Hüfte, wie sie mich am davon kommen hindert. Sogar noch ein Stück zurück zieht. Dann durchzieht mich ein brennender, zerreisender Schmerz.
 

Ein ohrenbetäubender Schrei umgibt mich plötzlich. Plötzlich ist Gozaberu verschwunden. Ich knie nicht mehr länger in meinem alten Bett, nein, ich sitze senkrecht in meinem neuen. Mein Atem geht schnell und schwer. Spüre, wie meine Klamotten nass an meinem Körper kleben. Meine Tränen rinnen in Strömen über das Gesicht. Hab meine Hände so fest in die Decke gekrallt, dass mir die Finger schmerzen. Mein ganzer Körper zittert.
 

Langsam schiebt sich da etwas in mein Sichtfeld. Blonde Haare. Honigbraune Augen. Besorgter Blick. Sein Mund bewegt sich, aber ich kann ihn nicht hören. Muss wieder schwer schlucken, während ich vor lauter Schluchzen kaum noch atmen kann. Noch immer kann ich seine Hand an meiner Hüfte spüren. Den Geruch seines Aftershaves liegt mir in der Nase. Höre sein Flüstern noch in meinen Ohren. Spüre ihn in mir...
 

Die Übelkeit ist überwältigend. Ich spring aus dem Bett, aber in das Badezimmer schaff ich es nicht mehr. Ich stolpere, geh auf meine Knie und erbreche mich auf den Teppich vor dem Bett. Die bittere Magensäure hinterlässt einen ekelhaften Nachgeschmack im Mund und auf der Zunge. Reizt ein weiterer Würgereflex. Also erbreche ich erneut.
 

Als ich eine Hand auf meinem Rücken spüre zucke ich panisch zusammen und dreh mich erschrocken um, bereit mich mit alle Mitteln zu wehren. Doch wieder schau ich nur in besorgte, braune Augen. Sanft legt mir Katsuya eine Hand an die Schulter. Das Schluchzend verstärkt sich wieder bei mir und langsam lass ich mich nach vorne fallen, mit dem Gesicht in den Schoss meines Streuners. Sanft streicht er mir durch das Haar und über den Rücken, während ich meinem Entsetzen einfach kein anderes Ventil liefern kann, außer zu weinen. Fühl mich dadurch schwach und angreifbar. Schäme mich deswegen. Fache damit nur die Verzweiflung in mir weiter an.
 

Doch ich spüre auch, dass ich nicht alleine bin. Katsuya ist da. Gibt mir Halt und Zeit. Vermittelt mir Geborgenheit. Bringt mir Verständnis entgegen, dass ich jetzt nicht darüber reden kann. Ist einfach nur für mich da. Und dann fordern der Schrecken und die Erschöpfung ihren Tribut und hüllen mich, dort am Boden, vor meinem Bett, mit dem Kopf in Katsuya's Schoss, in Dunkelheit.

Einen Schritt über die Hürde

Als ich wach werde fühle ich mich erschlagen und gerädert. Mir tut mein Nacken weh, meine Schultern sind total verspannt und ich hab das Gefühl... das ich meine Beine nicht mehr spüre. Langsam öffne ich die Augen und bin überrascht. Warum sitze ich mit dem Rücken an das Bett gelehnt auf dem Boden? Dann fällt mein Blick auf meinen Drachen, der auf dem Boden kauert, dessen Kopf in meinem Schoss ruht und eine Hand auf meinem Schenkel liegen hat. Mit der Wolldecke zugedeckt.
 

Stimmt! Er hatte wieder einen echt heftigen Albtraum. Einen der ihn im Schlaf hat zittern lassen. Einmal hat er sogar die Luft angehalten. Ich hab versucht ihn wach zu bekommen, doch es gelang mir nicht. Weder durch gutes Zureden, noch durch die Berührungen, die sonst dafür reichen. Erst als er im Schlaf anfing heftig zu weinen atmete er wieder tief ein. Und plötzlich schrie er auf. Lange. Angsterfüllt. Panisch. Voller Schmerz.
 

Mir war sofort klar, dass ihn in so einer Situation zu berühren fatal wäre. Also hab ich mich vor ihn gesetzt. Er weinte. Zitterte. Konnte vor lauter Weinen kaum atmen. Dann sprang er aus dem Bett. Scheinbar wollte er ins Badezimmer. Aber er stolperte und dann übergab er sich schon. Ich bin aus dem Bett hinter ihn gerutscht, hab vorsichtig meine Hand auf seinen Rücken gelegt - wie ich es immer mache, wenn er sich übergeben muss.
 

Mein Drache war in Panik herum gewirbelt, bereit sich zu verteidigen. Als er mich erkannte verstärkte sich sein verzweifeltes Weinen wieder und er war nach vorne gekippt. Hatte seinen Kopf in meinem Schoss verborgen und geweint. Ja, manchmal ist es eben so. Da kann man eben nur weinen. Jeder Versuch zu sprechen ist zum Scheitern verurteilt. Schließlich hat ihn die Erschöpfung wieder in die Bewusstlosigkeit gerissen.
 

Da saß ich nun. Auf dem Boden. Mit dem Kopf meines Drachens im Schoss. Ich angelte, darum bemüht ihn nicht zu wecken, nach der Wolldecke. Breitete sie über ihn aus. Er war gänzlich durchgeschwitzt und ich wollte nicht, dass er sich bei den nächtlichen, kühlen Temperaturen erkältete. Dann hatte ich mir ein Kissen heran gezogen. Doch irgendwann, nachdem ich selbst weggenickt war, muss es mir weggerutscht sein.
 

Sanft lege ich meine Hand auf Seto's Kopf und streiche zärtlich durch sein Haar. Er atmet ruhig und gleichmäßig. Im Schlaf scheint er die Luft hin und wieder tief in sich einzusaugen. Entspannt sich dann noch etwas mehr. Entspannung ist bei meinem Drachen wirklich selten. Ständig steht er unter Anspannung. Tagsüber verseuchte er Kaiba Seto, eiskalter Geschäftsmann zu sein. Abends mimt er den starken Bruder für Mokuba, auch wenn dieser längst weiß, dass Stärke gerade aus ist. Nachts... suchen ihn seine Träume heim.
 

Nicht mehr jede Nacht. Auch nicht immer so heftig. Manchmal beschränkt sich der Albtraum auf ein krampfhaftes Zucken, kurzes Erwachen, sich enger an mich kuscheln und direkt weiterschlafen. Doch nicht in der vergangenen Nacht! Das war wieder einer dieser Albträume, über die er nicht reden wollen wird. Einer, nachdem er für gewöhnlich etwas neben sich steht, so dass ich es etwas leichter habe ihn davon zu überzeugen, mit mir zu reden. Wie es wohl gleich sein wird, wenn er wach wird?
 

Wie aufs Stichwort bewegt sich mein Drachen ein wenig. Rollt sich auf den Rücken und öffnet langsam die Augen. Blickt mich irritiert an. Ich lächle ihn sanft an. Streich ihm eine wirre Strähne aus dem Gesicht. Unsicherheit liegt in seinem Blick. Gleich wird er sich erinnern. Das tut er immer am nächsten Morgen. Dann setzt er sich geschockt auf und wünscht sich nichts mehr, als dass ich das Thema nicht anspreche. Aber ich spreche es an, weil er darüber reden muss. Er hat den ganzen Scheiß lange genug weggeschoben und ignoriert. Gebracht hat es ihm nichts, außer wiederkehrenden Albträumen.
 

Doch dieses Mal scheint etwas anders zu sein. Ich sehe die Erkenntnis über die vergangene Nacht in seinen Augen, doch da ist kein Schock. Kein Aufsetzen und Ausweichen. Er blickt mich nur weiterhin unverwandt an. Schluckt. Vorsichtig streich ich ihm über die Wange. Lächle immer noch. Kein Fluchtversuch. Ist das ein Fortschritt?
 

Dann höre ich seine vom Weinen immer noch brüchige Stimme. Er entschuldigt sich. Das muss er nicht. Schließlich kann er nichts dafür, wenn er Albträume hat und dadurch mehr instinktiv als rational agiert. Ich frag ihn, ob er von Gozaberu geträumt hat. Spüre, wie er sich anspannt. Wie immer, wenn ich diesen Namen nenne. Dann meint er, anfangs nicht. Anfangs wäre da nur Kai gewesen.
 

Kai? Er hatte einen solch heftigen Albtraum und Kai hat darin eine Rolle gespielt. Dann erzählt er mir seinen Traum. Wie er alleine mit Kai war und dieser sich plötzlich so aggressiv und aufdringlich verhielt. Dass er zu ihm kam und sich ihm aufzwingen wollte. Wie er sich erst nicht bewegen konnte, dann aber versuchte sich zu wehren. Und das Kai sich schließlich ihn IHN verwandelte.
 

Die ganze Zeit streich ich ihm durch sein Haar. Er ist bemüht den Blickkontakt aufrecht zu erhalten. Nur einige, wenige Male muss er wegschauen, bevor er dann wieder den Kontakt sucht. Was für eine Wandlung. Letzte Woche musste ich ihn praktisch zwingen mich anzuschauen, als er mir von seinem Albtraum erzählen sollte. Doch heute... heute nicht. Was für ein gewaltiger Schritt nach vorne. Ich spüre wie Stolz in mir heranwächst.
 

Vorsichtig frag ich ihn danach, was Gozaberu dann gemacht hat. Plötzlich dreht er den Kopf so, dass der Blickkontakt abbricht und schluckt schwer. Ich kann spüren, wie er sich wieder verkrampft. Sanft leg ich meine Hand an sein Kinn und wende sein Gesicht wieder zu mir. Lächle ihn ermutigend an. Streich ihm wieder sanft über die Wange. Doch von meinem Drachen kommt nur ein 'was er immer tut'.
 

Ich weiß, wie schwer es ihm fällt über Gozaberu und dessen Handlungen zu sprechen. Aber er kann sie nicht länger leugnen und wegschieben. Mein Drache muss sich dem endlich stellen. Muss das Kind beim Namen nennen. Langsam beug ich mich zu ihm herunter und küsse ihn sanft. Zögerlich erwidert er den Kuss. Legt sich in die Zärtlichkeit. Hebt seine Hand und legt sie mir an den Hinterkopf. Vertieft langsam den Kuss.
 

Doch dann lös ich mich langsam aus dem Kuss. Ich kenne diese Taktik von meinem Drachen schon. Die Taktik mich mit dem Kuss so anzuheizen, dass ich vergesse, worüber wir eigentlich sprechen wollten und stattdessen uns unserer Leidenschaft hingeben. Aber heute kann ich das einfach nicht zulassen. Mein Drache erkennt das in meinem Blick und ich sehe seine Furcht davor. Noch einmal streiche ich ihm sanft über die Wange.
 

Langsam setzt sich mein Drachen auf und mir gegenüber. Blickt mich unsicher an, bevor er stockend beginnt mir zu erzählen, was sein Adoptivvater in seinem Traum getan hat. Wie er es getan hat. Umschreibt den Akt der Gewalt ohne ihn wirklich so zu nennen, was er war. Ich halte seine Hände, spüre, wie er immer wieder verkrampft. Streiche sanft mit den Daumen über die Handrücken.
 

Als mein Drache ein weiteres Mal den Gewaltakt umschreibt, werf ich das Wort 'vergewaltigt' mitten rein. Sofort erstarrt mein Drachen und spannt sich an. Seine Augen sind erschrocken geweitet. Er beißt sich auf die Unterlippe. Vorsichtig und mit sanftem Ton bitte ich ihn, dass Wort auszusprechen. Er schluckt. Will wissen, wieso ich das verlange. Doch ich bleib standhaft und wiederhole behutsam meine Aufforderung noch einmal. Mein Drache will seine Hände aus meinen ziehen. Doch ich halte ihn fest. Spüre das Zittern, welches bei ihm aufkommt. Verzweifelt blickt er mich nur an. Komm schon, mein Drache... sag es einfach!
 

Wut flammt plötzlich in meinem Drachen auf. Er presst das Wort zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, bevor er energisch seine Hände meinem Halt entzieht, nach hinten wegschwingt und aufsteht. Eilig steh ich auch auf. Er will das Zimmer verlassen, doch ich stell mich ihm in den Weg. Sofort ändert er die Richtung zum Badezimmer hin. Vermeidet, dass ich meine Hände an ihn legen kann. Doch bevor er das Badezimmer erreicht stell ich mich wieder vor ihn. Er schreckt zurück.
 

Endlich gelingt es mir ihn zu greifen. Ihn daran zu hindern, sich erneut um zu drehen und erneut zu fliehen. Er will sich befreien, doch ich lass ihn nicht. Lege meine Hand an seine Wange und plötzlich erstirbt seine Gegenwehr. Wir schauen uns in die Augen. Sanft wiederhole ich, dass Gozaberu ihn vergewaltigt hat. Wieder will er zurück schrecken, doch mein Arm liegt um seine Hüfte und hindert ihn ein weiteres Mal. Sein Zittern ist mittlerweile so stark, dass ich es nicht nur spüren, sondern auch sehen kann.
 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es einem fällt, dass Wort zu gebrauchen. Man fühlt sich durch das Wort schmutzig, benutzt und wie ein Opfer. Und das ist das letzte was man - sich selbst oder anderen gegenüber - offenbaren möchte: Das man ein Opfer war. Denn die Angst, dass jemand Opfer mit schwach gleichsetzt und sich denkt, einem seinen Willen aufzwingen zu können, frisst einen regelrecht auf.
 

Noch einmal wiederhole ich den Satz. Eine Träne löst sich bei meinem Drachen. Dann... stockend und mit sehr brüchiger Stimme wiederholt er den Satz. Noch einmal, fordere ich. Er kommt meiner Forderung nach. Wiederholt den Satz wieder stockend und brüchig. Lauter, verlange ich. Wieder löst sich eine Träne. Doch er folgt dem Befehl. Gibt den Satz etwas lauter zum Besten. Und dann... dann wiederholt er ihn noch einmal... und wieder... und schließ schreit er den Satz in Wut und Abscheu heraus, bevor er sich an mich klammert und sein Gesicht an meinem Nacken verbirgt. Weint.
 

Sanft schließe ich meine Arme um ihn. Streiche ihm über Rücken und das Haar. Endlich... endlich hat er das Kind beim Namen genannt und wirklich realisiert, was ihm da widerfahren ist. Diese ganzen Umschreibungen, wie 'benutzt', 'aufgezwungen' und 'bemächtigt', sind nicht falsch. Aber sie spiegeln nicht das Grauen, die Gewalt und die Abscheulichkeit der Tat wieder. In keinster Weise. Aber es ist wichtig, dass mein Drache endlich diese Schwelle... diese Hürde überwunden hat.

Einen Schritt Kai entgegen

Es ist mal wieder Samstag und ich steh mit Katsuya im Wintergarten, während wir auf Kai warten. Mokuba hatte heute keine Sitzung, weil er mit Yugi und den anderen heute Morgen in einen Vergnügungspark gefahren ist. Eigentlich hab ich mir gedacht Kai den Weg hier raus zu ersparen, aber Katsuya hat mir verboten den Termin abzusagen. Also... werde ich gleich mit diesem Mann wieder hier sitzen und mich durch meine Vergangenheit quälen.
 

Zugegeben, die bisherigen Gespräche mit Kai waren anders, als ich sie erwartet habe. Anfangs hat er eigentlich fast nur Smalltalk mit mir betrieben. Er ist so ganz anders, wie ich mir einen Therapeuten immer vorgestellt habe. Nicht verstaubt und trocken, nicht fordernd oder mit einer unangenehmen, autoritären Ausstrahlung. Kai sitzt immer in seinem Sessel uns gegenüber und redet mit uns, als wären wir nur Freunde, die sich auf einen Kaffee oder so treffen. Da ist kein Zwang!
 

Mit fallen seine Worten von unserer letzten Sitzung wieder ein: Er wüsste, dass ich in meiner Kindheit und Jugend großen Zwängen ausgesetzt gewesen war, die mir nichts als Schmerz, Leid und Scham beschert haben. Aber ich hätte von ihm keinen Zwang zu erwarten. Er kann mir nur das Gespräch und seine Hilfe anbieten, sie auch anzunehmen liege ganz allein in meiner Hand.
 

Damit hat er mich irgendwie gekriegt. Ich kann gar nicht genau sagen warum! Nur als er dann nach der Adoption gefragt hat, konnte ich gar nicht anders als ihm das alles zu erzählen. Und es hat gut getan. Gut getan nach so langer Zeit jemanden davon zu erzählen, dass unsere leiblichen Eltern ums Leben kamen und wie wir betrogen wurden. Nicht einmal Gozaberu hatte damals danach gefragt. Aber irgendwann hat mich das nicht mehr gewundert. Warum hätte es ihn auch interessieren sollen? Dafür hätte er in der Lage sein müssen Mitgefühl zu empfinden. Und wenn er etwas nicht konnte, dann war es Mitgefühl und Mitleid zu haben.
 

Sanft küsst Katsuya mich auf die Wange und meint, er müsse noch mal schnell wohin. Dann eilt er davon. Ich blicke ihm nachdenklich hinterher. Dann gehe ich ein paar Schritte zu der Orchideensammlung, die ich irgendwann mal angefangen habe. Doch diese Blumen brauchen ein gewisses Feingefühl, sonst gehen sie ein. Daher werden sie heutzutage von meinem Gärtner gepflegt. Ich liebe diese Art von Blumen, wahrscheinlich weil sie die Lieblingsblumen meiner Mutter waren. Ich rieche an einer weißen Orchidee mit violettem Sprenkel.
 

Dann hör ich seine Stimme! Sofort schnappt mein Kopf in seine Richtung. Im Zugang zum Wintergarten steht Kai. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus. Suchend blick ich an dem Mann, der mich freundlich grüßt und anlächelt, vorbei, doch mein Streuner ist nicht in Sicht. Dann kommt Kai die Stufen vom Wohnzimmer in den Wintergarten. In mir sträubt sich alles und ich will am liebsten nach hinten ausweichen. Doch... doch... es war nur ein Traum! Der reale Kai... würde so etwas nie tun, oder!?
 

Er kommt auf mich zu und ich spüre dieses Zittern in mir. Immer noch ist der Fluchtimpuls in mir enorm stark. Der Orkan zerrt auch wieder an mir. Die Unruhe in mir. Der Wunsch mich einfach irgendwo zu verkriechen und zu schreien. Wo... wo ist mein Streuner? Er wollte doch nur mal ganz schnell wohin... Wohin eigentlich? Warum lässt er sich so lange Zeit? Wut beginnt sich in mir zu bilden. Wie kann er mich nur mit dem Mann alleine lassen?
 

Kai ist stehen geblieben und schaut mich an, fragt nach, ob alles in Ordnung ist. Sieht das denn so aus? Gar nichts ist in Ordnung. Ich bin mit ihm alleine in meinem Wintergarten und von meinem Freund keine Spur weit und breit. Dazu spuken mir die Bilder meines Albtraums von vor ein paar Tagen durch den Kopf. Nein, definitiv ist gar nichts gut! Aber das sag ich ihm alles nicht. Ich nicke nur tonlos.
 

Sanft meint er, dass ich mit ihm über alles reden könne. Ich brauche keine Scheu haben. Keine Scheu? Wie stellt er sich das vor. Soll ich sagen 'Hey, ich hab geträumt das du mich...' Abrupt stoppt mein Gedanke. Dieses dämliche Scheißwort. Ich kann es nicht mal denken. Aber Katsuya besteht darauf, dass ich es ausspreche. Aber ich will nicht! Wenn ich es denke oder sage, dann fühl ich mich schwach und entblößt. Wie ein Opfer eben. Aber so will ich mich nicht fühlen.
 

Plötzlich merke ich, dass Kai scheinbar wiederholt meinen Namen gerufen hat. Verdammt... was stimmt nur nicht mit mir. Unauffällig bring ich ein paar Schritte zwischen ihn und mich. Mein nur noch einmal, dass alles in Ordnung sei. Dieses Mal scheint er meine Antwort zu akzeptieren. Er bleibt stehen wo er ist und fragt mich etwas zu den Orchideen. Ich beantworte ihm die Frage. Dieser folgen weitere und auf einmal entsteht ein Gespräch zwischen uns über diese Blumen.
 

Schließlich fragt er mich, warum ich Distanz zu ihm wahre und ohne wirklich drüber nachzudenken antworte ich ihm, dass das an dem Albtraum liegen würde. Erst nachdem die Worte meinen Mund verlassen haben merke ich, dass er mich ausgetrickst hat. Ich senke beschämt den Blick und versuche meine aufkommende Scham zurück zu halten. Verdammt, wie hat er mich dazu gebracht?
 

Sofort hakt er sanft nach, was für einen Albtraum ich gehabt habe. War klar, dass er da einhakt und nachfragt. Es ist schließlich sein Job das zu tun. Aber es ändert nichts daran, dass ich mich immer noch extrem unwohl mit ihm alleine hier fühle. Wieder fällt mein Blick suchend an Kai vorbei zum Übergang zum Wohnzimmer. Immer noch ist nichts zu sehen von meinem Streuner. Ob ihm etwas passiert ist oder warum lässt er mich hier so hängen?
 

Kai schiebt sich in meinen Blick und ich fokussiere ihn automatisch. Schlucke. Will ihm das nicht erzählen. Ihn nicht auf Ideen bringen. Behutsam fragt er mich noch einmal nach meinem Albtraum. Stockend und mit brüchiger Stimme, die ich trotz mehrfachem Räuspern einfach nicht los werde erzähle ich ihm schließlich von dem Traum. Welche Wahl hab ich denn auch schon groß?
 

Am Ende betrachte ich wie gebannt diese weiße Orchidee mit den violetten Sprenkeln. Ich will den Mann, dem ich gerade indirekt eine Vergew... etwas Schreckliches vorgeworfen habe, nicht in die Augen schauen. Was wird er wohl jetzt noch von mir halten? Sicherlich nicht mehr viel. Wer weiß, vielleicht wird er die Therapie mit mir nun abbrechen? Wer möchte schon mit jemanden immer wieder sprechen, der ihm vorwirft ein Scheusal... ein Monster zu sein.
 

Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Erschrocken blicke ich auf die Hand, die über den Arm zu Kai führt. Er lächelt mich verständnisvoll und warmherzig an. Meint zu mir, ich solle mir weniger Sorgen machen. Es war nur ein Albtraum und er würde mir nichts davon vorwerfen. Träume seien nun mal nur schwer zu steuern, wenn überhaupt. Seine Worte... verschaffen mir eine Erleichterung, die ich so nicht erwartet habe. Dann spüre ich, wie mir eine Träne über die Wange rollt.
 

Dann hör ich die Stimme meines Streuners, der plötzlich neben Kai steht und mir sanft die Träne von der Wange streicht. Er fragt was ich habe. Doch in meinem Hals hat sich ein mächtiger Kloß gebildet und macht mir das Sprechen unmöglich. Sanft legt er seine Hände an meinen Kopf und zieht mich zu sich. Eben war ich noch so wütend auf ihn, dass er mich hier einfach so alleine mit Kai gelassen hat, obwohl er weiß, was ich geträumt habe. Doch jetzt bin ich einfach nur überglücklich, dass er da ist. Ich lass mich von ihm in den Arm ziehen und suche bei ihm Halt.
 

Nach einem Moment, den ich brauche, mich wieder zu fangen setzen wir uns endlich und Kai arbeitet mit mir diesen Traum in Ruhe auf.

Einen Schritt und dann der freie Fall

Freitagnachmittag und entgegen meiner Gewohnheiten bin ich im Büro. Eigentlich geht meine Arbeitswoche nur noch von Montag bis Donnerstag. Freitag und das Wochenende sind meine Erholungstage. Vor allem der Samstag ist in den letzten Wochen sehr wichtig für mich geworden!
 

Auch wenn ich mich anfangs sehr gegen Kai und die Gespräche mit ihm gesträubt habe, habe ich doch gemerkt, wie gut es mir tut, mit ihm zu sprechen. Unsere Sitzungen haben eigentlich nie den Charakter einer Therapiesitzung. Es ist eher, als würden wir uns schon ewig kennen und nach einer längeren Wiedersehenspause uns gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge bringen.
 

Nachdem wir über Mokuba's und meine Adoption gesprochen hatten und er mir bei der Bewältigung dieses völlig irrationalen Traum geholfen hat, indem er zudringlich und später dann zu Gozaberu wurde, läuft es ganz gut. Derzeit arbeiten wir die Lebensumstände nach der Adoption auf. Mit welchen Regeln und Gegebenheiten wir konfrontiert waren und wie ich mich dabei fühlte. Wie mein Alltag ausgesehen hatte. So etwas, nichts weltbewegendes.
 

Katsuya stets an meiner Seite. Bis auf dieses eine Mal weicht er nicht von meiner Seite. Ist für mich da. Gibt mir das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Schenkt mir den Halt, den ich manchmal brauchte, um mich zu überwinden, etwas auszusprechen. Manchmal muss er mich regelrecht dazu zwingen. Aber er tut das, weil es das Beste für mich ist und mich voran bringt. Von daher kann ich ihm das nicht böse nehmen. Doch es ändert nichts daran, dass ich mich mit einigen Dingen dann doch sehr schwer tu. Wie gewissen Worte. Worte, die ich nicht denken und noch weniger aussprechen will. Doch mein Streuner treibt mich immer wieder dazu, sie doch auszusprechen und mich der unangenehmen Realität zu stellen.
 

Ich habe Angst davor, wenn ich mit Kai an den Punkt komme, an dem ich nicht mehr um die Themen herum komme, über die ich eigentlich nicht reden möchte. Doch es wird mir gut tun, ähnlich wie, wenn ich mit meinem Streuner über meine Albträume rede. Daran muss ich einfach glauben, sonst verlässt mich der Mut mich all dem zu stellen, was ich jahrelang von mir geschoben habe und vergessen wollte.
 

Genauso große, wenn nicht sogar größere Angst hab ich davor, wenn Kai der Meinung sein wird, dass wir aus den Einzelterminen einen Gruppentermin machen sollen. Es ist eine Sache mit Katsuya und Kai über all den Scheiß zu sprechen. Aber wie soll ich Mokuba davon erzählen? Ich will ihn nicht noch mehr belasten, als ich es ohnehin schon tu, weil er etwas gesehen hat, was er nicht hätte sehen sollen.
 

Ihm zu sagen, dass es nicht nur Gozaberu war, sondern auch die Big Fives und andere Geschäftsfreunde dieses Monsters... ich weiß nicht, ob er das wirklich so wissen muss. Was soll ihm das auch bringen, außer dass es ihm wieder den Schlaf raubt und in ein emotionales Chaos stürzt. Muss ich wirklich mein Leid auf meinen kleinen Bruder abwälzen? Er weiß doch jetzt grob, was war... warum ich manchmal nicht anders kann, wie ich kann.
 

Und Isono? Er hat auch mehr mitbekommen, als ich je gedacht oder geahnt habe. Natürlich hat er das. Wie konnte ich auch nur einen Moment glauben, dass ihm das, was außerhalb der Villa geschehen war entgangen wäre? Wie oft hab ich mich in meinem Bett, frisch gewaschen, angezogen und versorgt gefunden? Wer, außer Isono, hätte mir so eine Fürsorge angedeihen lassen? Eben. Niemand! Warum hab ich das also nicht schon früher realisiert?
 

Ich wollte nie mit ihm darüber sprechen, was alles geschehen war, weil ich gedacht hatte, dass er nur das in der Villa mitbekommen hätte. Wie naiv das doch von mir war. Wie hat er es geschafft, sich von seiner Hilflosigkeit nicht unterkriegen zu lassen? Wäre es für ihn nicht ein leichtes gewesen, einfach alles hinzuschmeißen und sich von dem Horror abzuwenden und zu befreien?
 

Stattdessen blieb er all die Jahre an meiner Seite. Hat mich nie mit Mitleid angeschaut oder mir das Gefühl gegeben, dass ich Schuld an allem tragen würde. Im Gegenteil! Wie oft hat er mich mit diesem bewundernden Blick angeschaut. Bewunderung, obwohl er doch ganz genau wusste, wie ich benutzt und schmutzig ich war. Dennoch hat er mir das Gefühl gegeben zu mir aufzusehen. Mich unterstützt, wo er nur konnte, ohne auch nur einmal zu versuchen, mich zu übervorteilen oder auszubooten. Selbst jetzt, wo er Miteigentümer ist bleibt er auf dem Teppich und ist eigentlich genauso wie vorher, nur dass er nun mit seinen offiziellen Befugnisse mir eine Menge Arbeit abnimmt.
 

Aber alles Geld der Welt kann nicht aufwiegen, was Isono für mich bedeutet!
 

Ein Klopfen reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich aufblicken. Ich bitte herein und als die Tür sich öffnet kommt Isono herein. Er schließt die Tür und blickt mich fragend an. Für einen Moment weiß ich nicht, was sein Problem ist. Dann richtet sich mein Blick auf meine Brust und mir wird bewusst, dass ich noch keinen Anzug anhabe. Innerlich seufzte ich auf. Ich hasse den Anzug.
 

Die letzten Wochen war ich eher leger gekleidet: dunkle Hose, dunkles Hemd, Poloshirt oder Pulli. Keine Krawatte. Kein Jackette. Einfach nur Sachen, in denen ich mich wohl fühle. Das war Katsuya's Idee. Es war eine hervorragende Idee. Anfangs war ich total skeptisch, doch mein Streuner meinte, dass ich als Chef den Dresscode der Firma vorgebe und daher mir das erlauben dürfte. Wer würde es schon wagen mich in meiner eigenen Firma wegen meiner Kleidung abzustrafen? Eben.
 

Aber bei einem offiziellen Businessmeeting komme ich wohl nicht um diesen verdammten Dreiteiler herum. Also erheb ich mich ganz langsam und wandere in meinen Waschraum. Dort hängt an einem Bügel das verdammte Kleidungsstück. Nur sehr zögerlich greife ich danach und ziehe mich um. Eilig hab ich es nicht. Wenn mein Businesspartner auf diesen altmodischen Dresscode besteht, dann muss er halt warten, bis ich ihn angelegt habe.
 

Während ich in den Anzug schlüpfe frag ich mich sowieso, warum dieses Meeting meine Anwesenheit erfordert? Normalerweise kommuniziert unser Zulieferer direkt mit der Produktion und nicht mit mir. Aber dieses Mal bestand unser Partner darauf, dass das Gespräch unbedingt meine Anwesenheit erforderte. Irgendetwas über eine personelle Veränderung und ein Kennenlernen, damit wir reibungslos unsere Partnerschaft fortsetzen können. Obskur. Ich kann mich nicht erinnern, dass wegen einer personellen Veränderung jemals ein Meeting mit mir erforderlich gewesen wäre. Aber gut... Da dieser Zulieferer das Patent für ein wichtiges Teil der Duelldisk hält und ich ohne dieses Teil erstmal nicht weiter produzieren könnte, hab ich mich bereit erklärt.
 

Ich knirsch mit den Zähnen und ein mulmiges Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Mir ist flau im Magen und ich hab die Übelkeit gerade noch so im Griff. Nach außen lass ich mir - hoffentlich - nichts anmerken. Dann steh ich vor dem Spiegel und versuche die Krawatte zu binden. Doch es will einfach nicht klappen. Isono tritt von der Seite an mich heran und legt dann seine Hände an diesen Strick. Ich blick ihn zögerlich an und lass dann meine Hände sinken, während ich mich ein wenig zu ihm drehe. Vorsichtig bindet er mir die Krawatte. Schon peinlich, wenn ich nach Jahren plötzlich nicht mehr dazu in der Lage bin, aber es ist mir keineswegs unangenehm mir von Isono dabei helfen zu lasen.
 

Schließlich sitzt alles, wie es soll und Isono hilft mir ins Jackette. Streicht es mir glatt, entfernt einen verirrten Fussel. Es ist, als ob er ein älterer Bruder wäre, geht mir durch den Kopf. Dann schaut er mich noch einmal prüfend in die Augen und will wissen, ob ich bereit bin. Ich nicke resigniert und wenig begeistert. Dann entfernt er sich zwei Schritte von mir, bevor er mir den Vortritt lässt.
 

Selbstbewusst - was ich nicht bin - geh ich an ihm vorbei, verlasse mein Büro und schreite den langen Flur Richtung Aufzug entlang. Dort wende ich mich nach rechts und folge einem weiteren Gang zum Konferenzraum. Meine Mitarbeiter, die mir begegnen, bleiben immer stehen und grüßen mich respektvoll. Kaum bin ich vorbei gezogen gehen sie wieder ihrer Wege. Schließlich erreiche ich die Tür und öffne sie.
 

Schlagartig bleib ich stehen und hab das Gefühl mich im freien Fall zu befinden.

Einen Schritt zum Kontrollverlust

Ich hab das Gefühl, dass man mir gerade den Boden unter den Füßen weggezogen hat und ich mich im freien Fall befinde. Im freien Fall Richtung Boden, durch die Erdoberfläche und weiter in die Hölle. Mein Herz steht sicherlich still und mir ist jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Der Drang mich umzudrehen und einfach wegzulaufen ist gewaltig.
 

Aber ich bin Kaiba Seto. Ich laufe nicht weg! Jedenfalls nicht so offen. Mein Magen schlägt Purzelbäume. Ich spüre, wie die Übelkeit einen Ausweg sucht. Aber ich muss mich zusammenreißen. Gerade vor IHM darf ich keine Schwäche zeigen. Ich darf mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich seine Anwesenheit anwidert und aufwühlt... und... und... ich wünschte mein Streuner wäre jetzt bei mir. Würde mir Kraft geben.
 

Und plötzlich... werde ich ruhig! Ich räuspere mich. Trete über die Schwelle. Gehe zu meinem Sitz am Kopfende des Tisches. Nehme Platz. Alles läuft automatisiert ab. Bin darauf getrimmt worden eine gewisse Professionalität an den Tag zu legen. Mein Körper fühlt sich kalt und taub an. Ich hab das Gefühl mich von außen zu betrachten.
 

Er war aufgestanden, als ich gerade herein kam. Doch ich hab ihm nicht die Hand gereicht, wie er es von mir erwartet hat. Ich habe ihn nicht gegrüßt. Nur mit einem mir eigenen Blick gemustert. Auch als ich ihn anrede, verwende ich seinen Vornamen. Obwohl er älter ist. Obwohl dies ein Businessmeeting ist. Einfach um meine Geringschätzung für seine Person auszudrucken. Ich werde DIESEM Mann keine Form des Respektes entgegen bringen.
 

Isono setzt sich zu meiner rechten. Ich habe seinen besorgten Blick auf mir gespürt. Er hätte verstanden, wenn ich rückwärts wieder raus gestolpert wäre. Doch diese Genugtuung wollte ich IHM nicht verschaffen. Dann hätte er wohlmöglich ein Gefühl des Sieges über mich gehabt. ABER ICH WERDE IHN NICHT ÜBER MICH SIEGEN LASSEN!
 

ER nickt mir nur zu, während er sich wieder hinsetzt und mich süffisant angrinst. Mich mustert. Seine Blicke über meinen Körper, den er so gut kennt, gleiten lässt. Allein dieser Moment, der kaum eine Sekunde dauert, widert mich an und facht meinen Würgereiz noch weiter an.
 

Schließlich frage ich, warum seine Firma auf ein Treffen mit mir bestand. Ich wähle bewusst diese Formulierung. Firma. Nicht ER. Meine Stimme ist kalt. Kurz angebunden. Unbarmherzig. So, wie man mich kennt! ER lässt zuerst einen spitzen Kommentar fallen, dass ich direkt zur Sache komme und sich manche Dinge scheinbar nie ändern.
 

Meine Geduld hab ich vor der Schwelle des Konferenzraumes zurückgelassen, daher schneide ich ihm das Wort ab und sage, dass ich ihm noch genau fünf Minuten einräume. Demonstrativ schau ich auf meine Armbanduhr. Die fünf Minuten sind das Maximum, die ich meine Übelkeit noch zurück halten kann. Wenn diese nicht schon zu groß bemessen sind.
 

Schließlich stellt ER sich als neuer Business Adviser seiner Firma vor, der zukünftig für die Zusammenarbeit mit der Kaiba Corp Verantwortung zeichnen wird. Die Übelkeit verdoppelt sich. Schätze die Zeit hat sich gerade, wie bei einer Bombe, bei der man den falschen Draht durchgeschnitten hat, halbiert! Wieder grinst er mich überlegen und arrogant an.
 

Ich stehe auf. Für so eine Scheißinfo zwingt ER mich in eine Konferenz? Nein... es ging IHM nicht um die Info. Es ging IHM darum, mir seine Macht zu präsentieren. Wie früher! Er hat die Zügel in der Hand und ich habe keine Wahl als zu spuren. NEIN! Das werde ich nie wieder zulassen. Also sag ich IHM kalt und herablassend, dass mir meine Zeit zu wertvoll ist, um sie mit so einer Sinnlosigkeit zu verschwenden. Das seine Firma das nächste Mal bei einem personellen Wechsel eine Mail schreiben soll!
 

ER wiederholt nur, dass er zukünftig unser Ansprechpartner sein wird. Das egal, um was es geht, ich mich bei IHM jederzeit melden kann. Ausschließlich bei IHM! Ich erwidere nichts und starr ihn nur an. Hab das Gefühl, dass sich in meinem Hals ein Megakloss entwickelt habe. Kann meiner eigenen Stimme nicht trauen. Spüre, wie meine Beine weich werden.
 

Isono ergreift das Wort und meint nur, dass das gut zu wissen sei und er das gerne beherzigen wird, sofern es notwendig werden wird. Doch ER kontert nur, dass er nicht mit Handlangern korrespondiert. Wut wallt in mir auf. Was fällt IHM ein. Die Wut gibt mir die Kraft und die Sicherheit meiner Stimme zurück. Ich keif ihn an, was ihm einfällt, hier in mein Haus zu kommen und meinen Partner derart anzugehen. Wenn er schon mir meine Zeit stehlen will, dann soll er sich gefälligst vorher über die Verhältnisse hier in der Firma erkundigen. Denn Isono ist KEIN Handlanger. Er ist Mitbesitzer der Kaiba Corp.
 

Überraschung! Ich sehe absolute Verblüffung in SEINEM Gesicht. Sein Kiefer ist nach unten geklappt und verleiht ihm einen dümmlichen Ausdruck. Ist das wirklich Daimon Kogoro - ehemals ein Mitglied der Big Fives und Business Adviser von Kaiba Corp?
 

Ich wende mich der Tür zu und steuer sie mit wenigen Schritten direkt an. Auf dem Weg teil ich Kogoro mit, dass seine Firma eine schriftliche Beschwerde auf Grund seines Verhaltens von mir zu erwarten hat. Dann öffne ich die Tür und verlasse den Konferenzraum. Zwinge mich mein Schritttempo zu halten. Kaum erreichen wir die Ecke und sind außer Sichtweite der Personen, die im Konferenzraum waren, beschleunige ich meinen Schritt. Je näher ich meinem Büro komme, desto schneller werde ich, bis ich schließlich renne. Reise meine Bürotür auf und stürme weiter in den Waschraum... in dem ich mich übergeben muss...
 

Kalter Schweiß steht mir auf der Stirn, ich spüre, wie meine Klamotten an mir kleben. Ich zerre verzweifelt an meiner Krawatte. Kriege sie einfach nicht auf. Würge erneut. Erbreche Magensäure. Bilder kommen aus meinem dunklen Inneren an die Oberfläche. Tränen drängen sich mir in die Augen. Würge erneut heftig. Mein Hals brennt. Panik flammt in mir auf. Der Drang laut zu schreien quillt in mir auf. Doch der Würgereiz ist schneller.
 

Höre wie die Tür zu meinem Büro geschlossen wird. Angst und Panik gewinnen die Oberhand. Ich... ich habe die Kontrolle verloren. Der Orkan in meinem Inneren reißt mich mit und wirbelt mich umher. Und mir geht nur ein letzter bewusster Gedanke durch den Kopf:
 

Ich bin verloren!

Einen Schritt des Stillstandes

Ich bin im Conbini und helfe Kimochi-san ein wenig, während ich auf meinen Drachen warte. Der hat ein wichtiges Meeting, welches er nicht auf einen anderen Tag verschieben konnte. Würde es nach mir gehen, wäre er nicht zu diesem doofen Treffen gegangen. Es gibt schließlich einen Grund dafür, dass mein Drache seine Arbeitswoche auf vier Tage verkürzt hat.
 

Aber Seto erklärte mir, dass die Firma, die ein Treffen wünscht, wichtig sei. Bei ihr läge das Patent auf ein Element für die Duell Disk ohne jenes diese nicht funktioniert und die Produktion komplett still stehen würde. Also habe ich ihn angelächelt und gesagt, dass ich hier auf ihn warten werde.
 

Das gibt mir die Gelegenheit für meinen Drachen seinen Lieblingsschokoriegel zu besorgen. Gerade als ich Kimochi-san eine schwere Kiste aus dem obersten Regalfach hebe spüre ich mein Handy vibrieren. Ich stelle die Kiste vorsichtig ab und fische mein Smartphone aus der Hosentasche.
 

Die Nummer auf dem Display versetzt mich in Panik, denn sie gehört Isono. Ich öffne die Nachricht und mir springt das Wort 'Notfall' regelrecht an. Mir ist sofort klar, dass etwas mit Seto ist und ich los muss. Ich entschuldige mich bei Kimochi-san, der nur abwinkt und meint, ich hätte heute doch ohnehin frei.
 

Dann laufe ich um die Ecke und zum Haupteingang des Kaiba-Tower. Dort wartet bereits Fuguta auf mich, der mich durch die Lobby zu den Aufzügen leitet. Er führt mich an all den großen Besucheraufzügen vorbei zu einem etwas kleineren. Einem Privataufzug. Für diesen braucht man einen Schlüssel, den Fuguta natürlich besitzt. Sofort geht die Tür des Aufzuges auf und wir fahren bis ganz nach oben.
 

Als ich oben aussteige sehe ich einen fies grinsenden Typen, der von drei Lakaien begleitet wird. Er wirkt seltsam zufrieden. Er wirft mir kurz einen musternden Blick zu und ihm scheint zu gefallen, was er sieht. Mir läuft eine Gänsehaut über den Rücken. Was für ein Ekelpaket. Kommt der gerade aus dem Meeting mit meinem Drachen?
 

Fuguta zieht mich in einen Gang und ich folge ihm eilig. Ganz am Ende ist das Vorzimmer zu Seto's Büro. Das Sekretariat ist unbesetzt, was mich wundert. Aber egal. Sicherlich ist sie nur schnell Kaffee kochen oder auf Toilette. Fuguta öffnet die große, zweitürige Bürotür und lässt mich eintreten, bevor er hinter mir die Tür wieder schließt.
 

Die Tür hinter mir ist noch nicht richtig zu, als ich Isono im Türrahmen zum Waschraum entdecke. Dann dringt das Geräusch von Würgen und Übergeben an mein Ohr. Lautes Schluchzen. Eilig stürm ich auf den Waschraum zu. Isono tritt heraus und lässt mich durch. Als ich den Waschraum betrete find ich Seto vor der Toilette kniend, würgend und übergebend, während er gleichzeitig verzweifelt an seiner Krawatte zerrt. Sofort geh ich neben ihm in die Knie, leg meine Hand auf seinen Rücken.
 

Mein Drache erschrickt so heftig, dass er mich wegstößt und nach Hinten wegrutscht, nur um sich direkt darauf ein weiteres Mal zu übergeben. Ich schließe zu ihm auf. Jetzt wo er weiß, dass ich es bin, kommt keine Abwehrreaktion. Vorsichtig greife ich nach der Krawatte und löse den Knoten. Sie fällt zu Boden, während Seto wieder an die Toilette rutscht und sich noch mal übergeben muss. Große Tränen laufen ihm über das Gesicht. Er ist total verspannt.
 

Himmel, was ist nur geschehen. So ist er nur, wenn er einen wirklich heftigen Albtraum hatte. Wenn der Albtraum so stark ist, dass er nicht mal mehr drüber reden kann. Hat er hier ein Nickerchen gemacht oder was? Egal! Jetzt nicht wichtig. Sanft leg ich meine Hand in seinen Rücken. Will ihm zeigen, dass ich hier bin. Doch der Würgereiz lässt erst nach einer halben Stunde wirklich nach. Das Weinen nicht! Erschöpft lehnt er sich an mich. Klammert sich regelrecht an mich. Weint in meinen Schoss. Sanft streich ich ihm über Kopf und Nacken. Halte kurz inne, kraul ihn ein wenig. Das hat ihm bislang immer geholfen, sich wieder etwas zu beruhigen. Doch heute will es seine Wirkung nicht entfalten.
 

Fragend blicke ich zur Tür, doch Isono ist verschwunden. Sicherlich wollte er uns etwas Privatsphäre gönnen. Weiß, wie sehr es Seto stört, wenn Isono ihn so sieht. Also streich ihm sanft über Kopf, Nacken und Rücken. Rede beruhigend auf ihn ein. Nach fast einer Stunde erst fängt er sich soweit, dass die Tränen endlich nachlassen. Doch ich weiß, dass man jetzt nicht mit ihm reden kann. Es würde unweigerlich zu einem neuen Trigger und einem neuen Weinkrampf führen.
 

Daher zieh ich ihn nur sanft zu mir hoch, so dass er absolut abgekämpft zwischen meinen Beinen an meiner Brust lehnt. Meine Arme schützend um ihn geschlagen, während ich weiter sanft auf ihn einrede. Seine Hand an meiner Brust in mein Shirt verkrallt. Er zittert leicht. Als Isono doch kurz reinschaut signalisiere ich ihm, dass er mir eine Decke bringen soll. Wenig später wickel ich meinen Drachen in eine weiche Wolldecke ein. Streiche ihm die letzten Überreste von Tränen aus dem Gesicht und sanft über die Wange.
 

Etwas ist anders als sonst. Seine Augen sind leer, als wäre zwar das Licht an, aber keiner Zuhause. Kalter Schweiß steht auf seiner Stirn. Ich leg meine Hand auf seine Brust und kann spüren, wie schnell sein Herz gerade schlägt. Das ist alles nicht normal. Jedenfalls nicht in dem Sinne normal, wie es nach den Albträumen häufig ist. Ich versuche Seto aktiv anzusprechen, doch der schaut nur weiter auf einen Punkt, der weder im Hier noch im Jetzt liegt.
 

Panisch ruf ich nach Isono. Der kommt sofort herbei gestürzt und ich sag ihm, dass er sofort Kai anrufen soll. Er nickt und schlägt vor, dass wir Seto erst einmal hier wegbringen sollten. Vielleicht nach Hause!? Das ist sicherlich eine gute Idee, doch mein Drache reagiert nicht! Isono telefoniert kurz und kommt dann zu mir. Er hilft mir Seto in eine stehende Position zu bringen und tatsächlich bleibt mein Drache stehen. Doch sein Blick ist nach wie vor leer. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn über das Gesicht. Seine gesamte Kleidung klebt an ihm. Tatsächlich lässt sich Seto sogar bewegen. Es ist als würde er auf Autopilot gehen.
 

Behutsam steuern wir ihn zum Privataufzug. Komischerweise ist die gesamte Etage leer. Nicht einen Mitarbeiter seh ich. Das ist gut. Ich weiß, wie sehr es Seto stören würde, wenn sein aktueller Zustand hier die Runde machen würde. Isono öffnet den Aufzug, steigt mit ein und wir fahren runter. Zum Glück fährt dieser Aufzug direkt in die Tiefgarage, dort wo Seto's Auto parkt. Ganz vorsichtig steig ich mit ihm ein, während Isono zu Fuguta, der am Steuer sitzt, steigt.
 

Die Fahrt dauert nicht lang und auch während dieser regt sich mein Drache kein Bisschen. Er blinzelt alle paar Minuten Mal, aber ich schätze, dass ist auch nur der Reflex des Körpers. Dann fährt der Wagen auf das Anwesen und vor die Villa. Isono springt heraus, öffnet die Tür hinten und hilft mir mit Seto auszusteigen. Langsam bringen wir ihn zur Villa während Fuguta den Wagen parken geht.
 

Als wir ins Haus kommen wartet bereits Kai. Er kommt heran und schaut sich Seto an. Augen, Puls, Herzschlag. Der Psychologe hat einen mehr als besorgten Ausdruck. Er hilft mir meinen Drachen hoch in unser Zimmer zu bringen. Nachdem ich Seto von seinen Klamotten befreit und geduscht habe zieh ich ihm einfach nur Freizeitzeug an: Eine schwarze Jogginghose und ein Shirt. Dann bring ich ihn zum Bett und Kai spritzt ihm etwas. Fast sofort lässt die Körperspannung nach und ich kann ihn ins Bett legen.
 

Kai meint, er würde morgen früh wieder reinschauen und sollte etwas sein, solle ich mich melden. Ich nicke. Dann krabble ich zu Seto ins Bett, Sorge dafür dass er gut zugedeckt ist. Nehme ihn in den Arm, damit er spürt, dass er nicht alleine ist. In seiner einsetzenden Bewusstlosigkeit klammert er sich wieder an mein Shirt. Es ist alles gut mein Drache! Morgen schaut die Welt gleich ganz anders aus. Dann sehen wir weiter!

Keinen Schritt mehr!

Als ich wach werde ist das Zimmer bereits mit Sonnenstrahlen geflutet. Man merkt, dass es Frühling geworden ist. Der Schnee ist längst geschmolzen und es wird viel früher hell. Die Temperaturen sind noch wechselhaft, aber nicht mehr frostig. Ich kann das frisch gemähte Gras riechen und wie es vom Tau feucht ist. Ich mag diesen Geruch. Genauso wie den herb-süßen Duft meines Drachens.
 

Mein Drache liegt in meinem Arm, an meine Brust gekuschelt. Seine Hand ruht auf meiner Brust, meine Hand über ihr. Er atmet gleichmäßig, doch zu meiner Überraschung hat er die Augen bereits offen. Sanft lächle ich ihn an und streich ihm über das Haar. Doch er reagiert nicht. Vorsichtig hebe ich seinen Kopf, so dass ich ihn anblicken kann, doch es ist wie am Vorabend: Licht brennt, aber es ist keiner Zuhause.
 

Die Erinnerung, die ihn gestern heim gesucht hat, muss so schrecklich und angsteinflößend gewesen sein, dass er immer noch das Bedürfnis hat sich schützen zu müssen. Ich leg ihm vorsichtig einen Kuss auf die Stirn. Mir fällt ein Zucken seiner Augenbraue auf. Nur ein ganz kleines Zucken. Ganz behutsam ruf ich seinen Namen. Doch außer diesem 'Flackern' seiner Braue kommt keine Regung.
 

Langsam setze ich mich auf und nehme Seto mit in eine aufrechte Position. Seine Hand fällt von meiner Brust und er schaut weiter ins Leere. In mir zieht Angst auf. Das ist ganz und gar nicht so, wie ich es von ihm kenne. Zum ersten Mal, seit ich an seiner Seite bin, fühl ich mich hilflos und weiß nicht, was ich tun soll. Wie kann ich meinen Drachen aus diesem Zustand nur befreien?
 

Leise klopft es an der Tür. Ich bitte Mokuba herein. Mittlerweile erkenn ich sein Klopfen. Es unterscheidet sich von Isonos deutlich. Zaghaft geht die Tür auf, dann kommt er zu uns rüber gelaufen. Erschrocken blickt er zu Seto und fragt mich ungewohnt leise und bedrückt, was geschehen sei. Ich erzähle ihm, soweit ich weiß, dass Seto seit einem Meeting gestern so ist. Auch in Mokubas Gesicht kann ich die Angst deutlich ablesen.
 

Ich geb ihm ein Zeichen zu uns auf das Bett zu kommen. Er folgt der Einladung. Ganz vorsichtig kuschelt er sich an Seto, doch der reagiert wieder nicht. Auch der Kleine ruft wiederholt seinen Bruder, sowohl beim Namen als auch mit seinem Kosename. Weiterhin keine Reaktion. Ich streich ihm vorsichtig eine Strähne aus dem Gesicht. Mir ist zum Heulen zu Mute, doch für Mokuba will ich stark sein. Er braucht jetzt jemand, der wenigstens so wirkt, als wüsste er weiter.
 

Es klopft erneut und ich blicke zu der offenen Tür. In ihr steht Isono. Ich winke ihn näher. Auch er wirkt ratlos und ein Stück weit ängstlich. Mokuba fragt ihn nach Details. Der Vertraute meines Drachens schaut kurz zu mir. Da liegt etwas in seinem Blick, was ich nicht deuten kann. Dann beantwortet er Mokubas Frage. Erzählt von dem Meeting und der bösen Überraschung, dass der Gesprächspartner einer der Big Fives war. Sofort trifft mich die Erkenntnis wie ein Hammer.
 

Seto ist auf einen seiner Vergewaltiger getroffen! Kein Wunder, dass er das Bedürfnis hat sich soweit es nur geht in sich selbst zurück zu ziehen. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich auf den alten Mann treffen würde, der sich damals an mir vergangen hat. Doch Isono erzählt weiter, wie Seto sich zwang in den Konferenzraum zu gehen und das Gespräch mit seinem Peiniger zu führen. Es war zwar kurz aber ... Moment...
 

Mir kommt der Typ vor dem Aufzug wieder in den Sinn. Der sah doch wie ein Businesspartner aus und dieses Grinsen, dass er im Gesicht hat. Wie er mich musterte und dieser widerlich lüsternen Blick. Übelkeit steigt in mir auf. Und Wut. Vor allem Wut. Hätte ich das schon gestern am Aufzug gewusst, wer dieser Mann ist, er hätte das Gebäude nicht mehr lebendig verlassen. Ich hätte ihn aus dem Fenster geworfen oder solange auf ihn eingeprügelt, bis sein Gesicht nur noch Brei gewesen wäre.
 

Mokuba schaut nichtverstehend zwischen Isono und mir hin und her. Natürlich kann er es nicht verstehen. Er weiß nur von Gozaberu. Seto hat ihm bislang noch gar nicht erzählt, dass da noch andere waren. Doch der Kleine ist klug und wird mit der Zeit und viel Grübeln selbst drauf kommen. Also warum sollen wir ihm das antun.
 

Ich zieh den Schwarzhaarigen zu mir in den Arm, so dass er mich anschauen muss. Dann erkläre ich ihm vorsichtig, dass Gozaberu seinen Bruder auch dem Vorstand und besonders enge Geschäftspartner überlassen hat. Erst versteht Mokuba nicht, doch dann fällt bei ihm der Groschen. Er wird bleich, sein Kiefer klappt ungläubig nach unten und ihm schießen sofort die Tränen in die Augen. Er beginnt zu schluchzen und wirft sich Seto an die Brust.
 

Dann klopft es erneut und ich blicke auf. Kai steht in der Tür. Er erfasst die Situation sofort und bittet Isono mit Mokuba raus zu gehen. Mokuba will nicht. Er klammert sich an seinen Bruder und weint bitterlich. Ich schließe ihn so in die Arme, dass ich beide Brüder halten kann. Kai nickt nur, während er sich neben einen sehr schuldbewusst dreinblickenden Isono stellt.
 

Nach fast einer Stunde erst beruhigt sich Mokuba. Kai bittet ihn mit Isono raus zu gehen, doch Mokuba verneint. Er lässt seinen Bruder nicht alleine. Nie wieder. Nicht jetzt und nicht später. Solange sein Bruder so ist, wie er gerade ist, wird er nicht von seiner Seite weichen. Kai nickt wieder. Dann tritt er näher heran und checkt einige Dinge bei Seto. Er versucht mit ihm zu sprechen, doch mein Drache... reagiert nicht.
 

Mein Drache geht heute keinen Schritt mehr! Kai meint nur, dass Seto Zeit brauche. Sein Bewusstsein hätte sich zum Schutz vor den Erinnerungen selbst abgeschaltet und würde gerade den Auslöser verarbeiten. Das kann zwischen ein paar Stunden und ein paar Tagen dauern. Solange müssen wir einfach Geduld haben und uns um meinen Drachen kümmern. Sollte sein Zustand in den nächsten Tagen nicht besser werden, dann...
 

Kai muss diesen Satz nicht beenden. Ich weiß auch so, was er meint. Wenn mein Drachen in seiner Lethargie verharren wird, wird Kai nichts anderes übrig bleiben, als ihn in eine Klinik einzuweisen. Das darf einfach nicht geschehen.
 

Ich weiß, dass mein Drache stark ist und er kämpft da drinnen mit sich und seinen Erinnerungen und Gefühlen. Wenn ich könnte, würde ich ihm helfen. Doch diesen Kampf muss er soweit selbst gewinnen, dass er es schafft wieder aus sich herauszukommen. Erst dann können Mokuba, Isono, Kai oder ich ihm helfen.
 

Solange müssen wir halt warten.

Einen Schritt der Entscheidung

Der Orkan wirbelt mich umher. Schleudert mich ohne Rücksicht im Kreis. Zerrt an mir. Reißt an meinem Körper. Manchmal zieht er mich in zwei entgegengesetzte Richtungen. Mir ist es egal. Ich kann nicht länger kämpfen. Nicht länger diesen Schmerz und die Albträume ertragen. Will mich nicht länger daran erinnern, was diese Männer über fünf Jahre lang mit mir getan haben. Bin es leid, mich schmutzig und schuldig zu fühlen und mich vor mir selbst zu ekeln.
 

Alles was ich jemals wollte, war meinem Bruder eine glückliche Kindheit ermöglichen. Ich war ihm Vater, Mutter und großer Bruder. Hab ihn vor den größeren Kindern beschützt, ihm von meinem Essen abgegeben, wenn seines nicht ausreichte, seinen Hunger zu stillen. Schließlich dachte ich, ich hätte seine Zukunft gesichert. Hab unsere Chance gesehen und sie ergriffen. Wie hätte ich im Vorfeld wissen können, was für ein Mensch mir da beim Schach gegenüber sitzt? Ich sah in ihm nur die Möglichkeit, meinen Bruder aus dem Waisenhaus zu bringen. Hätte ich damals schon gewusst, welcher Albtraum beginnen würde, ich hätte diese Gelegenheit verstreichen lassen.
 

Schmerz durchzieht meinen Körper. Schläge. Hiebe. Tritte. Werde an den Haaren gerissen. Bekomme Ohrfeigen. Man tritt mir in die Kniekehle. Zwingt mich auf die Knie. Drückt mich nieder. Bindet mir die Hände. Die Füße. Nimmt mir die Möglichkeit zu sehen. Zu schreien. Manchmal auch zu atmen. Hält mir Nase und Mund zu. Würgt mich. Drückt mir was auf das Gesicht. Schändet mich. Immer wieder. Wiederholt. Ohne Gnade. Zerbricht mich in Millionen Stücken. Immer wenn ich ein paar Teile wieder zusammengesetzt habe fängt der Kreislauf von vorne an. Der Orkan... das sind keine Stücke mehr. Mein Innerstes ist so oft zerbrochen, dass die Stücke so fein wie Sand sind. Jedes Korn verursacht Schmerz, wenn es mich trifft. Löst Erinnerungen aus. Gefühle. Alles, was ich nicht ertragen will... nicht ertragen kann...
 

Dann taucht sein Gesicht auf. Daimon Kogoro! Er war mit Oshita Konosuke der Schlimmste der Big Fives. Ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft er mich abgefangen hat. Oft mehrmals am Tag. Im Kopierraum. Der Etagenküche. In der Abstellkammer. Auf der Toilette. In meinem damaligen Büro. Im Lager... Mir platzt gleich der Kopf. Die Übelkeit in mir tobt, doch ich kann mich nicht mehr Übergeben. Hab nichts mehr in mir. Jedenfalls hier an diesem surrealen Ort.
 

Ich spüre seine Hände wieder auf meinem Körper und das macht mich wahnsinnig. Wie er mich überall berührt. Vor allem da, wo ich nicht berührt werden will. Er hatte immer wieder die widerlichsten Ideen, die er Gozaberu zuflüsterte. Auch die, mich an 'besondere' Geschäftspartner weiter zu reichen, damit man sie damit unter Druck setzen konnte. Mir wird wieder speiübel, wenn ich daran denke. Aber auch Ideen zu 'besonderen' Anlässen. Wie dieses eine Silvester vor vier Jahren! Mein Magen krampft. Alles was ich will ist schreien. Doch aus meiner Kehle kommt nicht ein Ton und dann...
 

Warmes, helles Licht umspült mich auf einmal. Der Orkan? Verschwunden! Der Schmerz? Gegangen! Die Übelkeit? Verflüchtigt. Ich fühle mich nicht mehr schmutzig, benutzt und schuldig. Da ist kein Ekel mehr. Wovor auch. Plötzlich ist nichts, von dem was wahr noch da. Es ist einfach... FRIEDEN!
 

Langsam schließe ich erschöpft meine Augen. Doch auch jetzt durchflutet mich das Licht. Wärmt mich. Schützt mich. Liegt um mich, wie ein Panzer. Nichts kann mir hier was anhaben. Nur einen Moment möchte ich diesen Frieden genießen. Ruhe finden. Nicht mehr laufen müssen. Einfach nur dahin treiben. Treiben in dem Licht, dass mich sanft ummantelt.
 

Wovor war ich gleich nochmal davon gelaufen? Was trieb mich immer weiter? Egal! Hier war das völlig egal... hier war ich sicher. Geborgen. Moment... bei diesen Worten... da ist etwas, was in mir klingelt. Wie ein kleines Glöckchen, welches mich an etwas erinnern möchte. Doch an was? Es hat was mit diesen Empfindungen zu tun. Sicherheit. Geborgenheit. Liebe! Etwas fehlt hier. Nein... nicht etwas... jemand. Jemand? Ein Kribbeln in meinem Bauch erwacht. Es ist kein unangenehmes Gefühl. Es ist sogar sehr angenehm. Aber was bedeutet es? Was will es mir sagen?
 

Das Treiben hört auf. Da ist etwas. Ein Zug an meiner Brust. Ich schau nieder und sehe unter der hellen Haut, die scheinbar von Innen heraus leuchtet, etwas Rotes in meiner Brust sitzen. Es schlägt im Takt. Und etwas zieht an ihm. Will es mir aus dem Körper reißen. Nein... das gehört da hin. Das will ich nicht hergeben. Aber warum nicht. Ich spüre, dass da mein ganzer Schmerz sitzt. Sollte ich es mir nicht sogar selbst heraus reißen und so weit ich kann nur wegschmeißen. NEIN! Denn es beinhaltet noch etwas... etwas was ich nie vermutet hätte, was darin Platz finden könnte. Doch es hat seinen Platz gefunden und ist gewachsen. Es drängt die Schatten und den Schmerz zurück. Es zeigt mir, dass es auch anders geht. Ohne Qual. Sinnlichkeiten. Vertrauen. Liebe...
 

KATSUYA!
 

Sofort erscheint kurz das Bild meines blonden Streuners. Der Mensch, der nie von mir verlangt hat, etwas zu sein. Der mich so nimmt, wie ich bin. Mit all dem Dreck, der in mir steckt und den Schwächen, die ich in letzter Zeit zu oft gezeigt habe. Ich erkenn mich selbst kaum noch wieder. Aber er... er erkennt mich. Liebt mich. Genauso, wie ich bin. Er lacht nicht über mich. Rennt nicht vor dem Schrecken davon, den ich mit ihm teile. Ihm muss ich nichts vormachen. Jederzeit kann er mich lesen. Weiß wann ich was brauche und was er mir geben muss. Sei es Halt, Geborgenheit oder Paroli und eine Kopfwäsche.
 

Das Licht schwindet ein wenig und der Orkan kommt zurück. Erst leicht. Nein! Nein, ich will nicht wieder hilflos umher gewirbelt werden. Dann spüre ich eine Hand an meiner. Als ich mich umdrehe steht da mein Streuner. Er lächelt mich sanft und liebevoll an. Der Orkan wirbelt um uns. Nimmt Geschwindigkeit auf. Aber er zerrt mich nicht mehr weiter. Katsuya zieht mich näher an sich. Hält mich eng an sich und ich... ich lege meine Arme um ihn.
 

Da höre ich auf einmal Stimmen. Katsuya. Mokuba. Isono. Sie reden mit mir. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen. Sie klingen nur unglaublich besorgt. Bittend. Flehend. Haben Angst. Wovor haben sie Angst? Immer wieder rufen sie mich. Langsam nehmen die Worte Formen an, so dass ich sie verstehe. Sie bitten mich zu ihnen zurück zu kommen. Zurück? Wieso? Ich bin doch hier.
 

Ein helles Licht blendet mich auf einmal. Es ist unangenehm und ich muss blinzeln. Dann ist der Orkan verschwunden und macht unserem Schlafzimmer Platz. Vor mir steht Kai und blendet mich mit einer Taschenlampe. Neben mir kniet Katsuya, Mokuba sitzt auf meiner anderen Seite. Hinter Kai steht Isono. Verwirrt wechsel ich zwischen ihnen hin und her. Plötzlich umarmt mich Mokuba stürmisch. Ist erleichtert. Was ist denn hier los? Fragend blicke ich zu Katsuya. Doch dem laufen die Tränen über das Gesicht und wirft sich dann auch um mich. Nicht verstehend blick ich zu Isono und... werde auch von ihm umarmt.
 

Muss ich das alles verstehen? Ich glaube nicht! Das Gefühl, dass es Menschen gibt, denen ich etwas bedeute und die mich so akzeptieren, wie ich bin... das ist ein wunderschönes Gefühl. Und ich schließe glücklich die Augen, während ich mich den Umarmungen hingebe.

Einen Schritt zurück treten

Ich kann es nicht glauben! Fast zwei Tage war ich völlig weggetreten. Nie hätte ich gedacht, dass es mir passieren könnte, dass ich in eine Lethargie verfallen würde. Nur... nur weil ich einem der Big Fives wiederbegegne. Wie konnte mich das nur so aus der Bahn werfen?
 

Nur schwach kann ich mich an den Freitag erinnern. Schule. Alles wie immer. Mittagessen mit den anderen. Schulende. Der Weg in die Firma. Ich murrte, weil ich keinen Bock hatte. Mein Streuner meinte, er würde im Conbini auf mich warten und seinem Chef ein wenig helfen.
 

Bin in mein Büro. Hab mich geärgert, weil ich gar nicht genau wusste, um was es in dem Meeting gehen sollte. In der Terminierung stand als Gesprächsthema nur 'Gesprächsbedarf'. Ich hass es, wenn ich mich auf ein Meeting nicht richtig vorbereiten kann. Dann kam Isono und wies mich darauf hin, dass das Treffen ein formaleres Auftreten erforderte. Nur äußerst widerwillig hab ich mich umgezogen und habe den Anzug angelegt. Dieses verdammte Ding. Schon beim Anlegen hatte ich das Gefühl, als würde es mir die Luft abschnüren.
 

Dann bin ich mit Isono zum Konferenzraum und ab da... sind dann nur noch überwiegend Gefühle in meiner Erinnerung. Gefühle und SEIN Gesicht. Schmerz. Scham. Ekel. Hass. Wut. Angst. Panik. Der Drang sofort umzudrehen war so stark in mir. Warum bin ich diesem nicht gefolgt? Weil... ich keine Schwäche zeigen wollte. Mir fällt ein, dass ich gedacht habe, dass es ein Sieg für Kogoro wäre, wenn ich so reagieren würde. Diesen Triumpf wollte ich ihm nicht gönnen und plötzlich war alles in mir ruhig geworden. Es war, als würde sich mein Körper wie im Automodus bewegen und handeln. Aber die Panik lauerte im Hintergrund und griff immer wieder nach mir.
 

Ich habe gewusst, dass ich das alles nur wenige Minuten aushalten würde. Hab versucht meinem Ruf gerecht zu werden. Das Gespräch an sich... war weg. Ich bin wegen irgendwas laut geworden. Doch wegen was? Ich weiß es nicht mehr. Wir haben den Konferenzraum schließlich wieder verlassen. Hab mich gezwungen langsam zu gehen. Doch dann schlug die Übelkeit in mir hoch und ich muss mich beeilen. Die Panik erwischte mich auf einmal, heizte die Übelkeit noch weiter an. Und dann verliert sich einfach alles.
 

Von Isono und Katsuya weiß ich, dass ich mich übergeben habe. Recht lange und immer wieder. Magensäure. Pure Magensäure. Die Panik in mir hat mich völlig die Fassung verlieren lassen. Warum weiß ich das nicht mehr? Für gewöhnlich weiß ich am nächsten Morgen doch noch alles, was nach einem Albtraum geschehen ist. Jedes Detail. Warum will mir das nicht zum Freitag gelingen? Das war doch nichts anderes, als die Situationen nach einem Albtraum. Warum fehlt mir da einfach was?
 

Kai blickt mich an. Er hat sich einen Stuhl heran gezogen und sich gegenüber unserem Bett gesetzt. Er erklärt mir etwas von Schutzmechanismen. Doch ich muss ehrlich zugeben, dass ich ihm kaum folgen kann. Mein Inneres ist immer noch in Aufruhr, dass meine Konzentration und Aufnahmefähigkeit einfach niederringt. Hinter mir sitzt mein Streuner. Seine Beine links und rechts von mir, seine Arme um meinen Bauch, sein Kopf auf meiner Schulter. Er drückt mich eng an sich und ich fühl mich sicher und geborgen. Aber die Unruhe, die sonst von mir weicht, will einfach nicht von mir abrücken.
 

Die Stimme von Kai holt mich aus meinen Gedanken zurück. Verdammt. Wieso verliere ich ständig meinen Fokus. Doch statt mich zu maßregeln, lächelt er mich einfach nur verständnisvoll an. Dann meint er, dass es nicht gut ist, dass ich mir selbst Zwänge auferlege. Dadurch, dass ich früher oft Zwängen ausgesetzt war, denen ich mich nicht entziehen konnte, wäre es fatal, wenn ich mich heute selbst solchen Zwängen aussetze. Dass ich zukünftig mehr darauf achten muss, was ich tu und mich dabei fühle. Wenn ich etwas nicht möchte, soll ich es lassen, denn sonst kann das auf mich negative Auswirkungen haben und im Notfall schaltet mein Bewusstsein ab, weil es mich vor nicht verarbeiteten Schmerz schützen möchte, der mich erneut zerbrechen könnte.
 

Mir wird klar, was er meint. Indem ich mich selbst gezwungen habe in diesen Raum zu gehen, mich IHM auszusetzen und ihn zu erdulden, ruhig zu bleiben und mit ihm zu dialogisieren... habe ich selbst mein Bewusstsein praktisch dazu gezwungen die Notabschaltung zu initialisieren. Ich... ich habe mir praktisch selbst Gewalt angetan. Mich selbst... Ich schlucke. Kann den Satz nicht zu Ende denken...
 

Resigniert lass ich den Kopf hängen. Doch mein Streuner zieht mich noch ein Stückchen näher an sich. Streicht mir sanft mit seinen Daumen über meine Handrücken, denn er hat mittlerweile meine Hände mit seinen verschränkt. Ich atme nur tief ein und spüre das Zittern in meinem Inneren, kurz bevor sich die ersten Tränen lösen. Hastig lös ich eine Hand von der meines Geliebten und streich mir trotzig die Tränen weg, doch da kommen immer mehr. Was soll das? Ich... ich will diese Regung jetzt nicht hier dulden. Doch ich kann sie einfach nicht unterdrücken.
 

Da höre ich die Stimme meines Streuners ganz nah an meinem Ohr. Das es schon okay sei und ich die Tränen ruhig fließen lassen kann. Ich soll nicht versuchen sie zurück zu halten. Das er mich hält und bei mir ist und mir nichts geschehen kann. Diese Worte, mit dieser Stimme, von meinem Streuner... sie lösen die letzte Blockade und meine Tränen fließen einfach so über mein Gesicht ohne das ich wirklich groß schluchzen muss.
 

Aber wie soll ich solchen Situationen in Zukunft begegnen. Gerade wenn der wichtigste Zulieferer mich persönlich für so ein Gespräch verlangt kann ich nicht nein sagen. Ich kann nicht riskieren, dass meine eigene Produktion zum Stillstand kommt, nur weil die Zulieferfirma sich von mir brüskiert fühlt. Da wird mir bewusst, das Kogoro jederzeit diese Situation wiederholen kann! Er kann damit wieder Macht und Gewalt über mich ausüben. Geschäftsessen. Veranstaltungen. Businessevents. Überall dort könnte ich ihm begegnen. Mir wird wieder schlecht.
 

Ich höre die feste Stimme von Kai, dass ich ihn anschauen soll. Wie fremdgesteuert heb ich meine tränenverschwommene Sicht zu ihm. Er hat sich zu mir vorgebeugt, wahrt aber weiterhin Abstand. Er wiederholt mit starker Stimme, dass ich hier sicher bin und mir nichts geschehen kann. Seine Worte beruhigen mich irgendwie und die Übelkeit zieht sich ein wenig zurück, auch wenn sie immer noch in meinem Bauch rotiert. Aber ich kann nicht ewig hier bleiben! Morgen ist wieder Montag. Schule. Firma.
 

Kai schüttelt seinen Kopf. Schule, sofern ich das wollen würde, okay... das wäre ein stressfreier Raum für mich, an dem ich nicht alleine wäre. Aber die Firma steht außer Diskussion, die ist bis auf weiteres erstmal gestrichen. Ich schau ihn mit großen Augen an. Einerseits erleichtert. Andererseits recht widerwillig. Ich hab meiner Firma gegenüber eine Verantwortung und meine Pflichten. Wie kann ich diese noch einmal auf Isono abwälzen, vor allem, seit er selbst mehr als genügend Aufgaben durch seine neue Position hat? Mein Fehlen wird sicherlich bemerkt und anders, als vor dem Jahreswechsel kann ich es nicht als Jahresurlaub tarnen. Wird das nicht falsche Signale senden? Tür und Tor für Firmen öffnen, die darin ihre Chance sehen werden?
 

Das sei unwichtig, höre ich plötzlich Katsuya. Meine Gesundheit, körperlich, wie geistig, geht vor. Isono hat bewiesen, dass er das stemmen kann und dass ich mir keinen Kopf darum machen brauch. Ich weiß, mein Streuner hat recht, dennoch gibt es einen Teil in mir, der das nicht will. Aber mit dieser Erschöpfung und Anspannung schaff ich auf keinen Fall einen Tag in der Firma. Nicht wenn der Gedanke an Kogoro ausreicht, mir Schweiß auf die Stirn zu treiben und in mir ein Zittern auslöst. So, wie in diesem Moment. Nur zögerlich nicke ich.
 

Ich muss auf Kai und Katsuya hören und darauf vertrauen, dass das richtig ist!

Einen Schritt zur Wut

Nachdem das Gespräch mit Kai ausgeklungen ist zieh ich meinen Drachen aus unserem Zimmer in die Küche. Auf dem Weg haben sich auch Mokuba und Isono angeschlossen. Während die drei am Tresen sitzen, wollte ich uns allen etwas Kleines, Leichtes zum Abendessen kochen. Etwas, womit Setos Magen kein Problem haben würde. Also entscheide ich mich für ein Ramen. Nicht diesen Instantkram, sondern den selbstgemachten.
 

Mokuba und Isono plaudern derweil mit Seto und bringen meinen Drachen auf andere Gedanken. Das scheint ihm gut zu tun. Noch immer ist er blass, aber was will ich auch nach zwei Tagen Teilnahmslosigkeit erwarten? Aber er sieht bereits jetzt wesentlich besser aus, als noch gestern oder am heutigen Morgen.
 

Schließlich sind die vier Portionen Ramen fertig und ich stelle jedem eine Schale hin, während ich eine für mich behalte. Auf dem Gesicht meines Drachens zeichnet sich ein glückliches Schmunzeln ab, bevor er beginnt zu essen. Ein tiefes, zufriedenes Brummen entkommt Seto, als er die ersten Nudeln einsaugt. Isono scheint von dieser Reaktion meines Drachens völlig überrascht zu sein und Mokuba grinste nur glücklich.
 

Als wir mit dem Essen fertig sind verabschiedet sich Isono mit dem Versprechen, dass er uns morgen von der Schule abholen und heim bringen wird. Dann legt er seine Hand an Setos Wange, der von dieser Geste genauso überrascht ist, wie ich und Isono nur mit großen Augen anblickt. Dieser lächelt ihn sanft an und nickt dann, als sei alles gesagt. Seto erwidert das Nicken scheu und dann geht Isono.
 

Mokuba hängt an meinem Drachen und kann sich kaum von ihm lösen. Scheinbar ist sich der Jüngste von uns sehr deutlich bewusst geworden, wie nah wir drauf und dran waren, den uns wichtigsten Menschen zu verlieren. Auch mir lässt das immer noch Angst und Bange sein. Wenn er nicht wieder zu sich gekommen wäre, dann...
 

Ich schüttle meinen Kopf. Darüber darf ich gar nicht nachdenken. Mein Drache ist zurück zu uns gekommen und ich werde zukünftig noch besser auf ihn achten. Doch wie soll ich das mit meinem Job vereinen? Ich weiß aus der Zeit vor Weihnachten, wie schwer es Seto fällt alleine zu bleiben. Alleine mit seinen Gedanken zu sein macht ihn unruhig und lässt die Anspannung in ihm wachsen.
 

Dafür werde ich noch eine Lösung finden, aber nicht ausgerechnet jetzt. Jetzt möchte ich einfach nur meinen Drachen genießen, der vor der Zimmertür seines Bruders stehen geblieben ist und diesen fest umarmt. Er drückt ihm einen Kuss auf sein Haar und dann die Stirn, bevor sein Bruder zu mir kommt und mich umarmt. Ich erwidere die Geste. Dann geht Mokuba in sein Zimmer. Noch einen Moment schaut Seto auf die geschlossene Tür, bevor ich ihn zu unserem Zimmer weiterziehe.
 

Erschöpft sinkt mein Drachen im Bett in meinen Arm und kuschelt sich eng an mich. Er atmet tief ein und ich kraul ihm sanft den Nacken. Seine Hand streicht mir über die Brust. Wandert tiefer, bis sie unter mein Shirt rutschen kann. Dann gleitet sie langsam wieder nach oben. Umspielt meine Brust und streicht vorsichtig über meine Nippel. Ich atme tief ein.
 

Dann führt er sie wieder nach unten zum Bund meiner Hose. Was hat er vor? Er kann unmöglich jetzt Lust auf solche Handlungen haben, oder? Sein ganzes Inneres ist komplett aufgewühlt und ich denke nicht, dass das jetzt so eine gute Idee ist. Doch da rutscht seine Hand bereits unter den Bund und streicht mein Glied entlang. Ich stöhn kurz auf. Doch dann greif ich nach Setos Hand und zieh sie sanft wieder aus meiner Hose.
 

Er blickt zu mir auf. Versteht nicht, warum ich ihn aufhalte. Nur zu gern würde ich jetzt mit ihm intim werden. Aber ich hab das Gefühl, dass Seto das nicht macht, weil er Lust hat. Ich glaube, er versucht damit ein Gefühl zu erzwingen, mit dem er das Chaos in sich überdecken möchte. Aber das ist der falsche Weg. So sag ich es ihm auch.
 

Mein Drachen stützt sich auf seinen Ellenbogen des zweiten Armes und blickt mich an. Er schüttelt den Kopf und meint, dass das nicht so wäre. Um mir das zu beweise befreit er seine Hand aus meinem Griff und schiebt sie wieder unter den Bund meiner Hose. Doch ich bin gerade einfach nicht in Stimmung dafür. Also greife ich erneut nach seiner Hand. Das lässt ihn wütend werden und er setzte sich auf. Langsam folge ich ihm in eine aufrechte Position und knie mich hinter ihn. Sanft leg ich meine Arme um ihn, doch trotzig rutscht er nach vorne und steigt aus dem Bett.
 

Ich folge ihm. Zieh ihn wieder zu mir zurück doch er schubst mich nur von sich und zurück aufs Bett. Noch ehe ich reagieren kann sitzt er plötzlich über meinem Schoss und blickt mich an. Seine Hände links und rechts neben meinem Kopf auf das Bett gestemmt. Mir schlägt auf einmal soviel Angst aus seinem Blick entgegen, wie eigentlich nur nach einem Albtraum. Leise fragt er mich, warum ich ihn nicht will.
 

Dummkopf! Sanft zieh ich ihn zu mir und küsse ihn vorsichtig. Er legt sich in den Kuss und öffnet seinen Mund. Sanft ringen unsere Zungen in einem verspielten Tanz. Dann, nach einer kleinen Weile trennen wir uns wieder. Er bleibt auf meiner Brust liegen, sein Kopf an meiner Schulter. Ich streich ihm sanft durch sein braunes Haar.
 

Eine Träne löst sich aus den Augen meines Drachens. Dann noch eine. Da scheint sich etwas in ihm zu lösen. Etwas, dem er sich nicht stellen wollte und das er mit Lust und Intimität überdecken wollte. Doch so ist es besser. Besser wenn er es heraus lässt. Dann schluchzt er auf. Verbirgt sein Gesicht an meiner Halsbeuge. Ich schließe meine Arme wieder um ihn. Er klammert sich regelrecht an mich. Er versteht selbst nicht, was da gerade bei ihm abgeht.
 

Aber das spielt jetzt einfach keine Rolle. Noch immer sitzt der Schrecken von Freitag in ihm. Der Schmerz der Begegnung mit einem seiner Vergewaltiger. Der Horror der damit verbundenen Erinnerungen. Erinnerungen, über die er bislang nicht sprechen wollte. Nicht mit Kai, nicht mit mir. Mit niemand. Das wird sich sicherlich im Laufe der Woche ändern. Denn Kai - und da bin ich ganz seiner Meinung - ist der Meinung, dass einmal pro Woche ein Gespräch zu führen zu wenig ist. Gerade in so einer akuten Phase, wie Seto sie gerade durchlebt.
 

Nach einer ganzen Weile versiegen die Tränen meines Drachens und er dämmert immer noch auf mir liegend weg. Vorsichtig zieh ich uns etwas mehr ins Bett und in eine bequemere Lage. Decke uns zu und halte meinen Drachen einfach im Arm. Schlaf werde ich heute Nacht keinen finden. Dafür brodelt in mir zu viel Wut und Hass. Nicht auf Seto. Sondern auf diesen Kogoro. Und zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich wirklich, was mein Vater damals empfunden haben musste, als er mich gerettet hatte und wieso er dazu in der Lage war den Restaurantbesitzer zu kastrieren und zu töten. Denn ich fühle jetzt das Gleiche!

Einen Schritt hinter die Fassade

Als ich mit Otogi in die Klasse komme sind noch nicht viele unserer Kameraden da, aber Jou und Kaiba stehen am Fenster. Es wundert mich auch nur einen von ihnen heute zu sehen. Mokuba erzählte Samstag, dass es seinem Bruder ziemlich schlecht ginge. Doch hier stehen die beiden, also gehen wir zu ihnen und ich erschrecke. Schlecht war wohl noch eine Untertreibung.
 

Der Jungunternehmer ist blass und hat Ringe unter den Augen. Er sieht, genau wie mein bester Freund, ermattet und erschöpft aus. Jou bemerkt mich als erstes. Schon an seinem Blick wird mir bewusst, dass ich mir besser nichts anmerken lassen soll. Ich werde es versuchen, aber versprechen kann ich nichts. Und dann hör ich schon meinen Freund sagen, wie scheiße die beiden heute aussehen. Resigniert lasse ich den Kopf hängen. Kein Taktgefühl.
 

Überraschenderweise wünscht Kaiba Otogi einen 'Guten Morgen'. Er versucht eine Spur Sarkasmus in die Stimme zu legen, aber das gelingt dem Brünetten nicht wirklich. Ich seh Jou an, dass er Otogi am liebsten schlagen will. Doch ich leg meinen Arm um den Blonden und grins ihn an. Sag ihm, er soll locker bleiben. Mir ist bewusst, dass Kaiba bei dem Kommentar auch anders hätte reagieren können. Aber hat er nicht.
 

Dann kommen Yugi und Ryou. Auch die bleiben vor Schreck stehen. Erst nach einem Moment überwinden sie den letzten Meter zu uns. Yugi schaut fürchterlich besorgt aus, während er Kaiba kaum aus den Augen lassen kann. Ryou stößt ihm mehrmals in die Rippen, damit der Bunthaarige seinen Blick wenigstens ab und an von dem Größeren nimmt.
 

Wir plaudern ein wenig, bevor der Lehrer herein kommt und den Unterricht eröffnet. Kaiba wirkt heute ganz und gar nicht wie er selbst. Hier und da könnte ich schwören, dass er hin und wieder eindöst. Immer Sekundenweise. Auch scheint der Unterricht heute völlig an ihm vorbei zu gehen, so zieht er im Geschichtsunterricht sein Japanischbuch und versucht darin die richtige Seite zu finden. Ich könnt es verstehen, wenn die Bücher sich äußerlich ähnlich wären, aber Geschichte ist Lila, während Japanisch einen roten Einband besitzt.
 

Entnervt gibt Kaiba schließlich auf und verschränkt die Arme vor der Brust. Der Lehrer will ihn aufrufen, doch als er den Jungunternehmer kurz mustert beschließt er jemand anderen aufzurufen. Entweder hat sich der Lehrer daran erinnert, dass Kaiba grundsätzlich nicht gern aufgerufen wird oder er hat einfach Mitleid mit dem mehr als gebeutelten Industriellen.
 

Schließlich läutet es irgendwann zur Mittagspause. Wir sammeln uns, wie jeden Tag, um Kaiba und Otogi und ich schieben zwei Tische an seinen, damit wir alle beisammen sitzen können. Als Yugi sich neben Kaiba setzen möchte und ihn zufällig an der Schulter berührt springt der Brünette erschrocken auf, so dass sein Stuhl nach hinten umkippt und blickt den Kleinsten von uns entsetzt an. Dann murmelt Kaiba eine Entschuldigung und verschwindet aus dem Klassenzimmer. Jou springt auf und hechtet hinter ihm her.
 

Wir anderen bleiben ratlos zurück und verstehen nicht ganz, was gerade los ist. Ich zieh mein Handy und schreibe Mokuba an. Frage nach Informationen. Doch von dem Jüngsten kommt nur eine ausweichende Antwort. Also betrifft das den Teil von Kaibas Vergangenheit, der ihm Albträume bereitet und über den er nicht spricht - jedenfalls nicht mit uns. Es muss schon etwas schwerwiegendes sein, wenn er auf eine zufällige Berührung derartig reagiert.
 

Erst nach der Hälfte der Pause kommen die beiden schließlich zurück. Kaiba ist noch etwas blasser. Seine Augen sind gerötet und ihm sind einige Äderchen im linken Augen geplatzt. Ich schau wieder besorgt zu Jou, der mich traurig anschaut. Es wirkt auf mich ein wenig so, als würde er gern darüber reden, darf aber nicht. Nachdem sie sich wieder gesetzt haben entschuldigt sich Yugi noch einmal bei Kaiba. Auch wenn er gar nicht weiß, wofür er sich eigentlich entschuldigt.
 

Jou packt zwei Bentō Boxen aus und schiebt eine davon zu seinem Drachen. Doch dieser schiebt sie nur von sich. Jou nimmt die Box und stellt sie demonstrativ wieder vor Kaiba. Der öffnet sie widerwillig und betrachtet sich den Inhalt genau. Aber er sieht nicht aus, als würde er etwas runter kriegen. Scheinbar registriert das auch Jou, der die Box wegnimmt und wieder schließt.
 

Dann kramt er in seiner Tasche und zieht einen Schokoriegel raus. Vorsichtig schiebt er diesen vor Kaiba. Dieser schmunzelt ansatzweise, bevor er den Riegel nimmt und versucht auszupacken. Doch er schafft es nicht mal die Verpackung zu öffnen. Ich kann ihm seine Frustration ansehen.
 

Da greift Ryou vorsichtig nach dem Riegel. Kaiba blickt überrascht auf überlässt unserem Weißhaarigen dann aber den Riegel. Der öffnet die Verpackung und reicht ihn wieder dem Jungunternehmer. Der nickt dankbar, bevor er anfängt an dem Schokoriegel ein Stück abzubeißen. Er lutscht ewig auf dem Stückchen rum, bevor es sich scheinbar in seinem Mund verflüchtigt.
 

Schließlich ergreift Otogi das Wort. Er schlägt vor, dass die beiden ihre Sachen für heute packen und abhauen sollen. Sie sehen beide mehr als erschlagen aus und sollten sich Ruhe gönnen. Beschämt schaut der sonst so stolze und bissige Drache auf seinen Tisch. Wieder wirft Jou meinem Freund einen tödlichen Blick zu. Dann erweicht sich der Blick und er nickt. Stimmt ihm zu und Kaiba blickt erstaunt zu dem Blonden auf.
 

Doch Jou duldet keine Widerrede. Stattdessen zieht er sein Handy und drückt die Schnellwahltaste 0. Schon nach wenigen Worten ist klar, dass er Isono am anderen Ende der Leitung hat und ihn bittet, sie jetzt schon abzuholen. Dann fängt der Blonde an erst Setos Sachen zu packen und dann seine. Schließlich stehen sie auf und verabschieden sich.
 

Man... so hab ich Kaiba ja noch nie erlebt! Was wohl passiert ist? Ich hoffe, er kommt bald wieder auf die Beine. Mir hat heute seine ansonsten so schlagfertige und bissige Art irgendwo gefehlt. Andererseits... hat er sich helfen lassen und uns noch einen Schritt näher an sich rangelassen. Hoffentlich schreckt er diesen Schritt nicht wieder zurück, wenn es ihm besser geht.

Einen Schritt näher heran

Schon im Auto legt mein Drachen seinen Kopf in meinen Schoss. Er ist schwach, erschöpft und irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Ich seh die besorgten Blicke von Isono im Rückspiegel. Kaum sind wir an unserem Ziel stemm ich ganz vorsichtig Seto in eine sitzende Position. Er ist noch blasser geworden. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Das sieht gar nicht gut aus. Isono hilft mir Seto aus dem Wagen und ins Haus zu bringen. Doch Seto will erstmal nicht nach oben. Also bringen wir ihn ins Wohnzimmer. Kaum sitzt er auf der Couch legt er seine Hand an mein Shirt, bittet mich, mich zu ihm zu setzen. Natürlich erfüll ich meinem Drachen seine Bitte. Sofort lässt er sich wieder zur Seite fallen, so dass sein Kopf wieder in meinem Schoss landet.
 

Isono ist kurz weggeeilt. Als er wiederkommt hat er bequemere Kleidung in der Hand, einmal für Seto und... auch für mich. Ich dank ihm mit einem milden Lächeln. Vorsichtig stemme ich Seto wieder in eine sitzende Position. Mein Drache ist absolut kraftlos und die Schweißperlen auf seiner Stirn sind größer geworden. Aber natürlich hat Isono auch an ein Handtuch gedacht. Also tupfe ich meinem Drachen den Schweiß von der Stirn. Ich leg prüfend meine Hand auf Setos Stirn und erschrecke. Mein Freund glüht regelrecht. Auch seine Augen sind glasig geworden. Mit Isonos Hilfe zieh ich ihn um und bitte ihn Setos Hausarzt zu rufen. Erschöpft versucht Seto abzuwiegeln und uns davon zu überzeugen, dass er kein Arzt braucht. Aber schon dieser Satz bringt ihn völlig außer Atem.
 

Nachdem auch ich mich umgezogen habe setz ich mich wieder neben Seto, der sofort seinen Kopf wieder in meinen Schoss legt und sich zusammen rollt. Isono reicht mir eine Decke und ich decke meinen Drachen sanft zu. Streich ihm durch das nasse Haar. Derweil ruft Isono seinen Hausarzt. Als dieser kommt untersucht er Seto kurz und nickt nur. Der Stress der vergangenen Tage fordert seinen Tribut und mein Drache hat sich einen Erreger eingefangen, den sein Körper nun mit Fieber zu bekämpfen versucht. Doktor Akari gibt uns ein Antibiotika und ein fiebersenkendes Mittel, weißt uns nochmal darauf hin, dass Seto Ruhe und viel Flüssigkeit braucht, bevor er wieder geht.
 

Immer noch streiche ich meinem Drachen durch das Haar. Er krallt sich in meine Hose. Flüstert immer wieder, dass ich nicht weggehen soll. Oh, man. Es hat ihn wirklich schwer erwischt. Isono hilft mir Seto seine Medikamente einzuflößen und ich bin dankbar für seine Hilfe, denn mein Drache ist echt widerspenstig. Immer wieder versucht er den Kopf wegzudrehen und die Einnahme zu verweigern. Er wimmert förmlich, dass er nicht will. Es zerreißt mir fast das Herz, denn ich bin mir sicher, dass es bei ihm gerade gar nicht um die Medikamenten geht, sondern er in einem Albtraum gefangen ist. Dennoch muss er jetzt das Antibiotika und das Fiebermittel nehmen. Aber schließlich gelingt es uns, ihm beides einzuflößen.
 

Dann hör ich die Haustür aufgehen und mit einem leichten Windzug kommt Mokuba herein gestürmt. Er ist überrascht uns hier schon so früh zu sehen und als er um die Couch kommt und seinen Bruder sieht erschrickt er. Seto ist nur halb bei sich. Ich sag Mokuba, dass er sich erstmal umziehen und etwas essen gehen soll, doch er kniet sich vor die Couch und kann sich kaum von seinem Bruder trennen. Erst als Isono ihn an der Schulter nimmt und ihn wieder auf die Füße zieht nickt Mokuba. Dann rennt er aus dem Wohnzimmer, während Isono in die Küche geht.
 

Keine halbe Stunde später ist Mokuba wieder da. Seto schwebt wieder zwischen wach sein und Traumwelt. Er angelt nach seinem Bruder und zieht ihn schließlich zu sich auf die Couch und vor seine Brust, so dass Moki schließlich vor ihm liegt. Wäre mein Drache nicht so krank, wäre es ein wirklich schönes Bild. Nach einer kleinen Weile kommt schließlich Isono aus der Küche zurück und fragt, ob Mokuba keine Hausaufgaben auf hat. Dieser murmelt etwas, doch Isono blickt ihn streng an. Nur zögerlich löst sich der Kleine von seinem kranken Bruder und verlässt eher geknickt das Wohnzimmer. Dann trifft mich der strenge Blick des Mannes vor mir. Sagt mir, dass es an der Zeit sei, dass Seto in sein Bett umzieht. Ich nicke und Isono hilft mir Seto von der Couch, die Treppe hinauf und schließlich in unser Zimmer zu bringen. Dann lässt er uns alleine, nachdem er die Medikamente und ein Glas samt Wasserkaraffe auf den Beistelltisch gestellt hat.
 

Immer wieder schreckt Seto auf. Blickt sich gehetzt um. Muss sanft beruhigt werden, bevor er wieder locker lässt und seinen Kopf auf meine Brust oder meinen Schoss zurück legt. Seine Atmung geht teilweise recht schwer. Sein Oberteil ist durchgeschwitzt. Doch ich fürchte alleine werde ich ihm kaum helfen können beim Klamottenwechsel. Da klopft es auf einmal. Ich bitte herein und die Tür geht zögerlich auf. Dann schiebt Honda seinen Kopf durch die Öffnung und schaut mich fragend an. Ich lächle müde und erschöpft. Winke ihn näher heran.
 

Auch Honda blickt besorgt drein. Erkundigt sich, wie es meinem Freund geht. Ich sag ihm wie es ist: Fiebererkältung. Er nickt nur bedächtig und fragt dann, wie es mir geht. Mit großen Augen blick ich ihn an. Wieder lächle ich schwach. Sag, dass es mir den Umständen entsprechend gut gehe. Honda bedenkt mich mit einem langen, prüfenden Blick. Dann nickt er nur langsam. Schließlich fällt ihm auf, dass das Laken und Setos Klamotten total durchgeschwitzt sind. Er geht in das Ankleidezimmer und kommt mit einem frischen Laken und sauberer Kleidung zurück. Vorsichtig hilft er mir, Seto aufzusetzen. Spürt die Hitze, die von meinem Drachen ausgeht.
 

Mein bester Freund schlägt vor, dass wir Seto abduschen sollen. Das könnte helfen, meint er. Ich überlege kurz. Das könnte wirklich helfen, seinen Zustand zu lindern. Es würde auf jeden Fall den Schweiß von ihm waschen und ihm ein Gefühl von Sauberkeit geben. Ich nicke langsam. Honda hilft mir Seto ins Badezimmer zu bringen. Dort zieh ich den Duschhocker in die große Dusche und setze meinen Drachen vorsichtig darauf ab.
 

Honda will ihm schon sein Shirt über den Kopf ziehen, als ich nach seiner Hand greife und ihn aufhalte. Er schaut mich fragend an. Ich wäge ab. Alleine schaff ich das jetzt nicht. Mokuba zu rufen, wäre eine Option, aber eine große Hilfe wird er mir nicht sein. Isono könnte noch da sein, wird aber vermutlich längst wieder in die Firma gefahren sein. Doch mir von Honda helfen zu lassen bedeutet, dass ich ihm etwas von Seto offenbaren muss, was der bislang so mühsam vor meinen Freunden verborgen hat. Kann ich sowas wirklich alleine entscheiden?
 

Ich gehe vor meinem Drachen in die Knie. Seine Augen sind halb geöffnet. Ich rufe ihn und warte, ob er mich fokussiert. Tatsächlich richtet sich nach einem Moment der Blick meines Drachens auf mich. Ich frag ihn, ob mir Honda helfen darf. Entsetzt schaut er mich kurz an, während er mit den aufkommenden Tränen kämpft. Eine Träne löst sich aus seinem Auge. Ich streich sie ihm weg. Sanft versichere ich meinem Drachen, dass Honda nichts weitererzählen wird. Alles was er sieht und hört bleibt hier. Noch eine Träne löst sich aus den Augen meines Drachens. Dieses Mal streicht Honda sie weg. Seto blickt ihn unsicher von unten herauf an, dann nickt er zögerlich, während er sich nach vorne lehnt und seinen Kopf wieder mehr als erschöpft auf meine Schulter bettet.
 

Nur zögerlich schau ich zu Honda. Der ist mehr als schockiert, meinen Drachen so verletzlich zu sehen. Er kennt nur die Fassade meines Drachens, auch wenn diese in den letzten Monaten weicher geworden ist. Doch das ist immer noch ein himmelsweiter Unterschied zwischen der täglichen Fassade und dem echten, wahren Seto. Wieder will Honda meinem Drachen das Shirt über den Kopf ziehen. Ich stopp ihn wieder. Blicke zu ihm. Er schaut mich fragend und nichtverstehend an. Dann eröffne ich ihm, dass Setos Rücken mit Narben übersät ist. Wieder steht ihm der Schock ins Gesicht geschrieben. Genauso die Ungläubigkeit. Dann lass ich ihn endlich gewähren. Vorsichtig zieht er meinem Drachen das Oberteil aus und schreckt zurück. Seine Lippen gehen auseinander und sein Mund steht offen. Damit hatte er nicht gerechnet. Langsam beginnt er zu verstehen, was mein Drachen durchgemacht hat.
 

Nachdem wir meinen Drachen endlich abgeduscht haben bin ich damit beschäftigt ihn sanft trocken zu tupfen, als Honda das Bett frisch beziehen geht. Als ich Seto die frische Kleidung angezogen habe bring ich ihn langsam raus. Honda ist gerade fertig mit dem Beziehen. Als er uns sieht kommt er geschwind ran und hilft mir mit der restlichen Strecke. Vorsichtig lassen wir Seto in das Bett sinken. Er ist sofort wieder weg, als wir ihn noch nicht einmal zugedeckt haben. Honda beendet die Bewegung mit der Decke und packt meinen Drachen fürsorglich ein. Dann blickt er mich wieder an und plötzlich nimmt er mich fest in seinen Arm.
 

Als wir uns von einander trennen blick ich ihn fragend an. Doch er lächelt mich an. Meint nur, dass er schon immer wusste, dass ich stark bin, aber erst heute habe er erkannt, wie stark ich in Wirklichkeit bin. Ich erwidere sein Lächeln. Dann fällt mein Blick auf die Medikamente. Es ist wohl mal wieder soweit. Ich nehm die zwei Tabletten und das Glas mit Wasser. Wecke sanft Seto. Doch er weigert sich wieder, die Tabletten auch nur in den Mund zu nehmen. Sanft versuche ich ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen. Doch keine Chance.
 

Da hat Honda eine Idee. Er hilft mir Seto in eine sitzende Position zu bringen, klettert hinter Seto und bittet mich um das Glas und die beiden Tabletten. Vorsichtig führt er die Tabletten an Setos Mund der sich aber wieder versucht abzuwenden. Doch Honda hält ihn etwas fest. Mein Drachen wimmert. Tränen quellen ihm aus den Augen. Versucht sich aus dem Griff meines besten Freundes zu winden. Schließlich schafft es Honda die Tabletten in Setos Mund zu schieben und setzt gleich das Glas an. Zwingt Seto durch das nachfließen Wasser zu schlucken. Schließlich ist es geschafft und Honda lässt etwas lockerer. Seto beugt sich nach vorne zu mir und presst sich an meine Brust.
 

Leise danke ich Honda für seine Hilfe. Er verlässt das Bett wieder nickt mir zu und fragt ob ich noch etwas brauche. Ich schüttle den Kopf, während ich Seto langsam nach hinten ins Bett zurück lege, doch er klammert sich fest an mich. Mein bester Freund sagt mir, dass er gleich wieder da ist. Dann verschwindet er aus dem Zimmer. Nach einer halben Stunde kommt er zurück, hat einen Teller mit Sandwiches dabei, den er mir hinstellt und eine Flasche zum Trinken. Ich danke ihm. Dann kommt Mokuba zu uns. Überrascht bleibt er kurz stehen, mustert Honda. Dann blickt er zu mir. Ich sag dem jüngeren Kaiba, dass es in Ordnung ist. Der Dunkelhaarige lächelt kurz unsicher, dann steigt er zu Seto und mir ins Bett und nimmt seinen großen Bruder in den Arm.
 

Ich nutze die Gelegenheit kurz aufzustehen. Mich zu bewegen. Schnell auf Toilette zu gehen und mir die Hände zu waschen. Dann esse ich fix das Sandwich und fühl mich gleich etwas gestärkter. Schließlich nehm ich Honda nochmal fest in den Arm und danke ihm. Er erwidert die Umarmung. Dann bring ich ihn zur Haustür. Sicherlich ist er erleichtert, wenn er gleich hier raus ist. Er hat mehr erfahren, als er erwartet hätte und möchte jetzt lieber erstmal etwas auf Abstand gehen. Doch an der Tür bleibt er wieder stehen, schaut mir in die Augen und meint, dass er morgen nach der Schule wieder kommen würde. Dann wird er sich ein wenig um Seto kümmern und ich könnte die Gelegenheit nutzen mich frisch zu machen oder auch ein wenig zu ruhen. Ich nicke ihm dankbar zu.
 

Als ich wieder nach oben komme liegt mein Drache friedlich schlafend bei seinem Bruder. Sanft streich ich ihm über den Rücken und legt mich hinter ihn. So zusammengekuschelt schlafen Mokuba und ich schließlich mit Seto in unserer Mitte ein.

Einen Schritt des Kennenlernens

Auf dem Weg zur Villa gehen mir die Bilder von gestern noch einmal durch den Kopf. Wie Kaiba so schwach und hilflos wirkte. Die Tränen, die er vergossen hat. Die Narben auf seinem Rücken. Scheiße! Ja, dank Mokuba und dem Aufschreien in der Weihnachtsnacht war mir schon klar, dass seine Kindheit nicht die rosigste gewesen war, aber diese Narben... mit wie viel Gewalt und Gnadenlosigkeit muss man auf jemand einprügeln, dass dieser solche Narben zurück behält?
 

Das Kaiba eine Maske trägt, hinter der er sich versteckt war uns allen klar. Aber zu sehen, wie er hinter dieser Maske wirklich ist - schwach, verletzt und völlig verängstigt - hätte ich niemals erwartet. Hätte mir Jou das erzählt, ich hätte es ihm nicht geglaubt. Der große Kaiba Seto ist nur eine Illusion. Eine Rolle, die gespielt wird. Sein wahres Selbst ist so völlig anders.
 

Ich gehe den Kiesweg zum Haus langsam hoch. Die dicken, grauen Wolken fangen gerade an ihre Schleusen zu öffnen und ich bin recht froh das Vordach zu erreichen. Kaum bin ich die paar flachen Stufen zur Haustür hochgestiegen gießt es wie aus Kübeln. Ich klingel und erwarte eigentlich, dass das Hausmädchen mir öffnet, doch stattdessen blicken mich plötzlich grau-blaue Augen an.
 

Mokuba begrüßt mich recht gedämpft. Der Kleine ist völlig am Boden zerstört und ich streich ihm eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und lächle ihn an, während ich rein komme. Ich frag ihn, wie es seinem Bruder geht. Er schaut mich mit seinen großen Augen überrascht an. Dann lässt er seinen Kopf hängen. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen habe führt er mich nach oben und den Gang zu unserer linken entlang. Schließlich kommen wir am Ende an die Tür, die zu Jous und Kaibas Zimmer führt.
 

Die erste Tür öffnet Mokuba ohne Klopfen. Kaum sind wir im Durchgangszimmer hör ich auch schon Jous Stimme, wie sie beruhigend auf jemand einredet, während jemand anderes immer wieder murmelt, dass er nicht will. Ist das Kaiba? Kann das wirklich der sonst so selbstbewusste und mächtige Kaiba Seto sein, der da wimmert?
 

Mokuba klopft an die zweite Tür und wartet ab. Er blickt zu mir auf und ich leg ihm nur eine Hand auf die Schulter. Er lächelt dankbar. Dann hören wir ein 'Herein' und Mokuba öffnet zaghaft die Tür zum Zimmer der beiden. Langsam schiebt er sich durch den Spalt und ich folge ihm.
 

Scheiße! Jou sieht erbärmlich aus. Ist blass und abgespannt. Scheint seit Tagen nicht mehr geschlafen zu haben, wenn ich mir seine Ringe unter den Augen anschaue. Ich geh zu ihm und umarme ihn kurz, während Kaiba sich in seinem Bett im Halbschlaf hin und her wälzt. Er scheint zu träumen. Ich kann nicht sagen, ob die Schweißperlen auf seiner Stirn durch das Fieber oder durch den Albtraum, den er scheinbar gerade erlebt, kommen.
 

Vorsichtig streck ich meine Hand aus und möchte nach seiner Stirn fühlen, doch Jou hält mich auf. Fragend blick ich ihn an. Er schüttelt den Kopf. Anfassen ist keine gute Idee, wenn sein Drachen – er nennt Kaiba wirklich 'Drache', wie süß – schläft und träumt. Besorgt frage ich meinen besten Freund, wann er das letzte Mal geschlafen hat. Von ihm kommt nur ein nichtssagendes 'Ist schon eine Weile her'. Ich schüttle ungläubig meinen Kopf.
 

Er kann 'seinem' Drachen nicht helfen, wenn er selbst völlig übermüdet und kurz vor dem Zusammenklappen steht. Jou begehrt auf. Er kann seinen Drachen – ich schmunzle ein weiteres Mal – nicht alleine lassen. Wenn er träumt, dann wacht er auch mit einem Schrecken auf und dann muss jemand da sein, der ihn auffängt und ihm den Halt gibt, den er braucht. Jemand, der weiß, wann er warten muss und wann er aktiv werden muss.
 

Was geht hier eigentlich ab? Da fragt mich Jou, ob ich mich noch an meine Frage am See erinnere, als wir am Weihnachtstag Schlittschuhfahren waren. Ich muss kurz überlegen. Dann erinnere ich mich wieder. Jou war mit einem violett farbenden Kiefer zum Frühstück gekommen und ich hab mir Sorgen gemacht. Er hat beteuert, dass Kaiba ihn nicht absichtlich geschlagen hatte, sondern einen Albtraum hatte. Ich hatte ihn gefragt, ob so etwas öfters vor kommt, doch damals hatte Jou mir nicht darauf antworten wollen. Ich nicke also.
 

Dann erklärt mir Jou, dass sein 'Drache' eine schreckliche Kindheit hatte und die Erinnerungen daran ihn immer noch fest im Griff haben. Diese Erinnerungen suchen ihn in schlechten Zeiten fast nächtlich heim und lassen ihn panisch aufschrecken. Manchmal käme es vor, dass Kaiba wach wird, aber denkt er sei noch in seinem Traum. Dann schreit und schlägt er wild um sich, wenn ihm jemand zu nahe kommt.
 

Langsam und zögerlich frage ich Jou, was er mit 'schrecklicher Kindheit' genau meint. Er wendet seinen Blick von mir auf Kaiba und scheint zu überlegen. Da schreckt Kaiba auf einmal auf und schreit. Ich springe vor Schreck fast anderthalb Meter vom Bett weg, während Jou sich vor seinen 'Drachen' kniet und auf ihn einredet. Kaiba ist völlig aufgelöst und Tränen laufen ihm über das Gesicht. Dann beginnt der Brünette zu blinzeln und Jou legt seine Hände vorsichtig an dessen Gesicht. Schließlich lässt sich Kaiba gegen die Brust des Blonden fallen und schluchzt auf.
 

Mir wird klar, dass ich Kaiba kein Stück wirklich kenne. Das, was ich hier beobachte ist so gar nicht mit dem Geschäftsmann vereinbar. Dieser Mensch vor mir ist ein gebrochener, völlig verängstigter Junge und auf einmal spüre ich in mir das Bedürfnis diesen Jungen tröstend in den Arm zu nehmen. Also gehe ich zurück zum Bett und lege meine Hand auf Kaibas… auf Setos Rücken. Dieser schreckt hoch und blickt mich mit seinen blauen Augen völlig verwirrt an, während ihm immer noch Tränen über das Gesicht laufen.
 

Jou flüstert ihm zu, dass alles okay sei. Dass sein 'Drache' mir vertrauen kann. Nur langsam gibt Seto seine Abwehrhaltung auf und schlägt sich eine Hand vors Gesicht. Ich setze mich auf die Bettkante und leg meine Hand in seinen Nacken, bevor ich ihn langsam zu mir ziehe. Was hat man ihm nur angetan? Mokuba kommt auch dazu und umarmt seinen Bruder von der anderen Seite. Dann erschlafft Setos Körper wieder und er versinkt wieder in einem fiebrigen Schlaf.
 

Ganz vorsichtig bette ich ihn wieder in seinen Kissen. Dann meint Mokuba zu Jou, dass er und ich ihn jetzt ablösen und er sich ein paar Stunden aufs Ohr hauen soll. Fragend blickt er mich an und ich nicke nur. Noch einmal blickt er prüfend auf seinen 'Drachen' und mir kommt es so vor, als könnte er sich kaum von ihm lösen. Doch seine Augen sind so schwer, dass seh ich ihm an. Also sag ich ihm, dass er sich ins Nachbarzimmer legen soll. Wenn etwas sei würden wir ihn sofort holen. Er nickt nur müde, beugt sich noch einmal nach vorne und platziert einen Kuss auf Setos Stirn. Dann steht er auf und geht langsam, schlurfend und zögerlich.
 

An der Tür bleibt mein bester Freund noch einmal stehen und blickt zu Seto zurück. Mit einem scharfen 'RAUS JETZT' scheuch ich ihn raus. Es zerreißt mich fast, ihn so fertig zu sehen… noch viel schlimmer ist es Seto so zu sehen. Ich würde gerne sagen, dass ich das ganze cool wegstecke, aber wenn ich ehrlich bin, muss ich eingestehen, dass mir das alles mächtig Angst macht! Wie schafft Jou das nur? Wenn es wirklich Zeiten gibt, in denen Seto jede Nacht solche Träume hat, wo nimmt der Blonde dann die Kraft her das auszuhalten und am Tag dann seinen Alltag zu bewältigen?
 

Es vergeht einige Stunde. Seto wälzt sich unruhig von einer Seite zur andere, murmelt immer wieder, dass er irgendetwas nicht will. Zuckt zusammen, als würde man ihn schlagen. Sein Atem geht schwer und abgehackt. Plötzlich sitzt er aufrecht im Bett. Sein Blick ist merkwürdig fern. Vorsichtig ruf ich seinen Namen. Er reagiert nicht. Schweiß läuft ihm von der Stirn. Er zittert. Sein Mund steht einen Spalt weit auf. Schließlich beginnt er zu blinzeln, schließt seinen Mund und versucht ruhig durch die Nase durch zu atmen. Dann fällt sein glasiger Blick auf mich. Leise fragt er mich, was ich hier tu. Langsam erklär ich ihm, dass ich Jou vertrete. Suchend blickt sich Seto um. Scheinbar realisiert er erst jetzt, dass der Blonde gar nicht da ist. Er spannt sich hektisch an. Dann musterte er mich noch einmal.
 

Er steht noch immer deutlich neben sich. Sein Oberteil klebt regelrecht an ihm. Mokuba sitzt neben ihm und hält ihm die Tabletten hin, die er nehmen soll. Ebenso ein Glas Wasser. Seto blickt erst von Mokuba und den Tabletten weg bevor er resigniert die Medikamente in die eigene Hand nimmt und sie mit zittriger Hand dann nimmt. Mit großem Widerwillen führt er seine Medikamente zum Mund, bevor er sie auf seineZunge legt und mit einem kräftigen Schluck Wasser runterspült. Schau einer an, ganz ohne Kampf.
 

Vorsichtig drückt Mokuba seinen Bruder wieder zurück ins Bett. Hält ihn sanft im Arm. Setos Blick ruht auf mir. Wachsam. Warnend. Dann sinken seine Lider immer tiefer, bis er schließlich wieder im Schlaf versinkt. Vorsichtig streich ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Das ist tatsächlich der wahre Kaiba Seto.
 

Nach einer kleinen Weile meint Mokuba, dass er uns schnell was zum Trinken holt, steht auf und verlässt das Schlafzimmer. Ich sitze weiterhin vorne am Fußbrett des Bettes und blättere weiter das neue Bikes Today durch. Plötzlich zuckt Seto heftig zusammen. Sein Atem geht auf einmal abgehackt und die Schweißperlen sind wieder größer geworden. Prüfend blick ich zu ihm. Dann zuckt er noch einmal zusammen. Ich schließe das Magazin und leg es zur Seite. In diesem Moment wacht Jous Drache mit einem gellenden, langen Schrei auf. Tränen laufen ihm bereits über das Gesicht.
 

Der Schrei erschüttert mich bis ins Mark. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn schreien höre. Doch es zu erleben... diese Verzweiflung förmlich angreifen zu können und die Angst, die einem entgegenschlägt. Was... was hat man ihm nur angetan? Sein Blick fällt auf mich und er reagiert panisch und hektisch, während er von mir zurückweicht und auf der anderen Seite aus dem Bett fällt.
 

Ich spring auf und lauf um das Bett. Erschrocken krabbelt er - da er es scheinbar nicht schafft aufzustehen - in die nächste Ecke, zieht seine Beine an und hält sich schützend die Unterarme vor das Gesicht. Ich hör ihn schluchzen, auch wenn er wohl gerade eher versucht es zu unterdrücken. Aber es gelingt ihm einfach nicht. Immer wieder murmelt er, dass er nicht will.
 

Vorsichtig knie ich mich vor ihn. Jou hat vorhin gesagt, dass Seto jemand braucht, der weiß, wann er warten muss und wann er aktiv werden muss. Er scheint mir nicht sehr zugänglich zu sein. Sein Zittern ist recht heftig. Wahrscheinlich wär es jetzt keine gute Idee ihn anzufassen. Also ruf ich ihn vorsichtig bei seinem Namen. Doch er krallt nur seine Finger in sein Haar. Zieht die Beine noch näher an sich. Schluchzt. Ich... wechsle von seinem Familiennamen auf den Vornamen. Plötzlich hält er inne. Doch sonst passiert nichts weiter. Also wiederhol ich meinen Ruf.
 

Dann bildet sich ein Spalt zwischen den Unterarmen. Seto blickt mich mit unglaublich klarem Blick an. Leise und etwas heißer fragt er mich, was ich hier bei ihm und in seinem Schlafzimmer zu suchen hab. Ich sag ihm, dass ich schon eine Weile da bin und Jou vertrete, weil dieser sich - wenn auch nur widerwillig - dringend mal hinlegen musste.
 

Er wirkt jetzt wieder mehr wie er selbst... zumindest das Selbst, dass ich aus der Schule kenne. Noch immer zittert er. Vorsichtig halt ich ihm meine Hand hin. Doch der Brünette blickt nur lange auf sie, bevor er sie dann ergreift und sich auf wacklige Beine helfen lässt. Wieder mustert er mich scharf. Was er wohl überlegt? Schließlich meint er, dass er duschen geht. Er löst sich von mir und stakst mit unsicherem Schritt Richtung Badezimmer.
 

Okay, wenn Seto sich frisch macht, sollte ich die Gelegenheit nutzen und sein Bett frisch beziehen, sonst ist das Duschen völlig für die Katz. Ich bin gerade mittendrin, als die Tür aufgeht und Mokuba in Begleitung von Jou herein kommen. Überrascht blicken sie mich an. Mein bester Freund fragt mich, wo sein Drache ist. Ich nicke zum Badezimmer. Während Mokuba das Trinken abstellt und mir dann zur Hand geht, sucht Jou auch das Badezimmer auf.
 

Es dauert verdächtig lange, bis Jou mit Seto wieder aus dem Badezimmer kommt. Wieder blickt mich der Brünette so bohrend an. Sie gehen durch das Schlafzimmer. Jou stützt Seto, der bereits wieder einen glasigen Blick bekommen hat. Sie verschwinden in dem Zimmer mit den Klamotten. Nach einer viertel Stunde kommen sie wieder und der Blonde bettet Seto wieder in seinem - frisch bezogenen - Bett, deckt ihn zu, küsst ihn sanft auf die Stirn. Der 'Drache' ist erschöpft. Nochmal legt er seinen Blick auf mich, doch Jou zieht seine Aufmerksamkeit auf sich. Küsst ihn. Dann fallen dem anderen wieder die Augen zu.
 

Jou dankt mir für meine 'Wache'. Ich wink ab. Ist doch nicht der Rede wert. Doch der Blonde dankt mir mit Nachdruck. Wir setzen uns auf die Couch, die hier im Zimmer steht und Mokuba reicht mir was zum Trinken. Dann reden wir ein wenig. Bedächtig. Offen. Als ich mich auf den Heimweg mache, hab ich viel worüber ich nachdenken kann. Zuviel um alles auf einmal zu bewältigen. Ich werde eine Weile für all das, was ich erfahren habe, brauchen. Aber endlich ist etwas Licht auf diesen ansonsten so reservierten, distanzierten Geschäftsmann gefallen und warum er sich so gibt, wie wir ihn kennen.

Einen Schritt Richtung Genesung

Ich liege neben meinem Drachen im Bett, halte ihn sanft in meinem Arm, so dass er endlich etwas ruhiger schlafen kann. Schweiß läuft ihm von der Stirn. Auch im Nacken am Haaransatz ist er klatschnass. Seine Klamotten kleben wieder an ihm. Wir wechseln zwar bei jeder Gelegenheit Bettwäsche und Kleidung, doch nach spätestens einer Stunde ist wieder alles schweißgetränkt.
 

Ohne seinen klaren Verstand suchen ihn all seine Dämonen heim, einzeln oder in kleinen Gruppen. Immer wieder lassen sie ihn hochschrecken. Halten ihn selbst nach dem Aufwachen noch in ihrem Griff. Bis es ihm endlich bewusst wird, dass er nicht mehr schläft und seine Träume längst vergangen sind, dauert es manchmal ein paar Minuten, manchmal bis zu einer halben Stunde.
 

Dabei erfahre ich immer mehr Details. Nicht dass er in der Lage wäre es mir zu erzählen. Aber er fleht mich oft an. Hält mich für jemand anderes. Bittet und bettelt nach Gnade. Dass ich aufhören soll dieses oder jenes mit ihm zu tun. Schreit, dass er nicht mehr will… nicht mehr kann. Es zerreißt mir das Herz ihn so zu erleben. Ihm nicht wirklich helfen zu können.
 

Dann kommt er plötzlich zu sich, erkennt, dass er nicht in Gefahr ist und wer ich bin. Weiß oft nicht mehr, was er noch einen Augenblick vorher zu mir gesagt hat. Wirft sich an mich. Weint, was ihn weiter anstrengt und auslaugt. Nicht, dass das Schwitzen das nicht schon übernimmt. Manchmal kommt auch Erbrechen dazu. Wenn der Ekel einfach zu groß wird. Die Scham ihn übermannt.
 

Es war eine wirklich anstrengende Woche. Sie wäre unlängst anstrengender geworden, wenn Honda nicht ab und an übernommen und mir eine Pause verschafft hätte. Und ich hatte diese Pausen wirklich bitterlich nötig. Seto in dieser Dauerpanik zu erleben und zu handhaben verlangt viel Kraft. Da brauch ich jede Gelegenheit diese auch zu tanken. Schlaf ist dabei super wichtig.
 

Doktor Akari war diese Woche fast täglich da. Hat den Zustand meines Drachens kontrolliert. Hat die ein oder andere unschöne Situation miterlebt. Anfangs hatte ich noch Angst, dass er so etwas mitbekommen würde, was er nicht wissen soll. Doch Isono nahm mich dann zur Seite und erklärte mir, dass Doktor Akari voll im Bild sei. Das Doktor Akari stets auf Setos Seite gewesen sei, dass aber auch ihm die Hände gebunden waren. Zwei Mal hätte der Mediziner aktiv versucht Seto hier rauszuholen. Hatte anonym das Jugendamt und die Polizei eingeschaltet. Da hatte Gozaberu seine Macht und seinen Einfluss demonstriert. So hatte Isono die Ausweglosigkeit erkannt. Jedenfalls was die offizielle Hilfe von außen betraf.
 

Isono erzählte mir, wie Gozaberu Akari immer wieder rief, damit dieser Seto zusammenflickte. Jedenfalls noch am Anfang. Immer wieder hatte der alte Kaiba verlangt, dass Akari Seto keine Schmerzmittel verabreichte, damit der Junge bei klarem Verstand blieb. Bullshit, geht mir durch den Kopf. Nicht, damit er bei klarem Verstand blieb, sondern damit mein Drache jeden Schmerz wahrnahm, den dieses Monster ihm zugefügt hatte. Akari hatte Seto dennoch immer Medikamente gegeben. Sie Isono anvertraut, weil er wusste, dass er die Möglichkeit hatte, sie dem Jungen zu verabreichen. Doktor Akari war es auch gewesen, der Isono geholfen hatte Seto bei seinem Suizidversuch zu retten. Der den Schnitt am Handgelenk meines Drachens versorgte. Der Stillschweigen walten ließ, damit Gozaberu nichts von diesem Versuch erfuhr.
 

Mein Drache regt sich wieder in meinem Arm. Zuckt zusammen. Er wird gleich wieder wach werden. Aufschrecken. Schreien. Weinen. Doch er zuckt nur noch einmal zusammen und schlägt dann seine Augen auf. Ich kann spüren, dass sein Herz etwas schneller schlägt. Sein Puls erhöht ist. Doch seine Augen wirkten in diesem Moment ungewöhnlich klar. Er blickt mich an und kuschelt sich noch etwas enger an mich. Lehnt seine Stirn an meine Brust. Ich streich ihm sanft durch das nasse Haar. Die Nässe ist mir egal. Ich weiß, dass das meinem Drachen hilft zu entspannen und ihm das Gefühl von Geborgenheit gibt.
 

Plötzlich schreckt er auf. Er blickt hektisch zum Wecker. Flucht. Schlägt die Bettdecke zurück und springt aus dem Bett. Doch seine Beine können ihn nach einer Woche Bettruhe - na ja mehr oder weniger Bettruhe – nicht so prompt halten. Gerade noch rechtzeitig kann ich ihn auffangen. Frag ihn, was er vorhat. Er hält sich an mir fest und blickt mich an, als könne er nicht glauben, dass ich ihn das frage. Von ihm kommt nur, dass er ins Büro muss. Ich schüttle den Kopf. Kein Büro. Doch er begehrt auf. Er hat noch so viel Arbeit. Arbeit, die jetzt liegen geblieben ist und die dringend weggeschafft werden muss. Doch wieder vernein ich. Das macht ihn wütend. Wirft mir vor, dass ich ihn und seine Firma in den Abgrund steuern will. Sanft streich ich ihm eine klebrige Strähne aus dem Gesicht. Trotz der wachen Augen ist er nicht bei sich.
 

In dem Moment geht die Tür auf und Isono und Doktor Akari kommen herein. Blicken fragend. Da kommt von Seto nur, dass es gut wäre, dass Isono jetzt da wäre und er den Wagen schon mal vorfahren lassen soll. Irritiert blickt mich Isono schließlich an. Ich zucke nur mit den Schultern. Wieder versucht sich Seto aus meiner Umarmung zu befreien. Ich lass ihn, doch wieder scheint er keinen festen Stand zu haben, denn er muss sich am Bettpfosten festhalten. Fragt nur unwirsch, was mit uns allen los sei. Er müsse jetzt in die Firma. Isono schüttelt den Kopf. Doch Seto keift nur, dass er gehorchen soll.
 

Da schiebt sich Akari zwischen Seto und Isono. Der sonst so sonnige, alte Mann funkelt Seto streng an. Was ihm einfallen würde, so mit Isono zu sprechen. Doch Seto blickt auch ihn nur nicht verstehend an. Gerade als Seto etwas sagen will, schneidet Akari ihm das Wort ab. Mit einem Tonfall, der keine Widerrede zulässt, weist ihn der Arzt zurecht und wäscht ihm den Kopf. Macht meinem Drachen klar, dass er gar nicht in der Verfassung wäre irgendwohin zu gehen, da er sich kaum auf den Beinen halten kann und immer noch hohes Fieber hat. Seto will wieder aufbegehren, doch der Blick des Grauhaarigen erstickt den Versuch noch vor dem ersten Ton.
 

Schließlich werden Akaris Gesichtszüge wieder weicher. Sanft legt er eine Hand an Setos Schulter und leitet ihn zurück ins Bett. Als mein Drache sitzt beugt sich der Arzt etwas und hebt die Füße von Seto an, so dass er sie wieder ins Bett holt. Dann deckt Akari ihn fürsorglich zu. Nach einigen Minuten hat er die Vitalwerte meines Drachens überprüft, der mit verschränkten Armen im Bett sitzt und immer noch nicht einsehen kann, warum er jetzt nicht in seine Firma kann. Doch wenigstens hat er aufgehört aktiven Widerstand zu leisten. Es ist beeindruckend, wie der Doc meinen Drachen mit nur einem Blick bändigt.
 

Als er mit seiner Untersuchung fertig ist, setzt er sich kurz auf die Bettkante zu Seto. Wechselt bedächtige Worte mit ihm. Sagt ihm, dass er sich die Ruhe gönnen muss, die sein Körper jetzt braucht. Dass er sonst einen Rückfall erleiden wird. Er macht ihm klar, dass das nicht in Setos Interesse liegen kann. Endlich scheint auch mein Drachen zu verstehen, dass er nicht in die Firma kann. Auch wenn er sich im Moment augenscheinlich besser fühlt. Zum ersten Mal, seit ich in dem inneren Kreis meines Drachens eingetreten bin, seh ich diesen belämmerten Ausdruck auf seinem Gesicht. Den Ausdruck eines Kindes, dass ausgeschimpft wurde und dass endlich einsieht, was es falsch gemacht hat.
 

Ich bin wahrlich beeindruckt davon. Dann steht Akari von dem Bett auf, streicht Seto noch einmal durch das Haar und lächelt. Bittet ihn, auf Isono und mich zu hören. Dass wir es auch nur gut meinen. Seto schmollt, nickt aber. Dann verabschiedet sich Doktor Akari wieder. Isono bringt ihn zur Tür.
 

Seto angelt nach meiner Hand und als er sie erwischt zieht er mich zu sich. Schaut mich immer noch wie ein begossener Pudel an. Sanft leg ich meine Hand auf seine Wange. Lächle ihn sanft an. Dann lehnt er sich gegen mich. Ich schließe meine Arme um ihn und halte ihn. Im Moment ist er nicht Kaiba Seto, der Geschäftsmann. Oder der Oberschüler. Noch der achtzehnjährige. Jetzt, in diesem Augenblick, ist er nicht mehr als ein Kind, dass krank ist und viel Zuwendung braucht. Eine starke, führende Hand braucht. Regel und Grenzen. Zum Glück bin ich nicht alleine! Gerade für die letzten zwei Punkte bin ich absolut nicht geschaffen.
 

Nachdem ich wieder auf das Bett gestiegen bin bettet mein Drache seinen Kopf auf meinen Schoss. Lässt sich sanft durch das Haar streichen. Über den Nacken. Den Rücken. Genießt diese Zärtlichkeit. Schließt schließlich die Augen und nickt wieder weg. Schläft ruhig und ohne den bisherigen Schrecken und die Albträume. Dieses Mal wirkt es auf mich wie einen erholsamen Genesungsschlaf. Endlich. Jetzt kann sein Körper heilen und gesund werden.

Einen Schritt der Erholung

Als ich langsam wach werde ist alles wie immer. Ich spüre die mich umgebende Wärme und nehme diesen Geruch des Menschen wahr, den ich über alles liebe. Spüre eine Hand auf meiner Schulter. Ich fühle mich gut aufgehoben und genieße die Zärtlichkeit der Hand, die mich sanft streichelt. Ich habe Mokuba so oft über das Haar und den Rücken gestreichelt und mich immer gewundert, warum er es so genießt. Doch seit Katsuya an meiner Seite ist, verstehe ich das endlich. Als Katsuya mir das erste Mal über den Rücken und den Nacken streichelte weckte das eine Erinnerung an meine frühe Kindheit. An meine Mutter, die das auch immer gemacht hat.
 

Ich fühle mich, als ob ich aus einem ewig langen Albtraum erwache. Ich kann mich noch relativ klar an den Sonntag erinnern, als ich aus meiner Lethargie erwacht war. Der Schrecken, die Verwirrung und die Angst, die in mir gewohnt haben. Doch dann hat mir Kai, Isono und mein Streuner einen Ausweg geboten. Zumindest zeitweilig. Schule – ja. Firma – nein. Isono würde mich vertreten, wie schon im Dezember. Ich weiß noch, dass ich mir Sorgen darüber gemacht habe, wie mein erneutes Fehlen von der Geschäftswelt und der Firma aufgefasst werden könnte… doch Kai und mein Streuner haben mir den Kopf gewaschen und mir klar gemacht, dass meine Gesundheit vorgeht.
 

Der Montag ist nur halb so klar. Der Morgen und der Vormittag sind noch da. Doch zur Mittagspause hin fängt alles an schwammig zu werden. Ich fühlte mich so matt und konnte dem Unterricht gar nicht folgen. Hatte sogar das Japanischbuch im Geschichtsunterricht gezogen und hab dort verzweifelt die richtige Seite gesucht. Wie peinlich. Mittagspause. Flüchtige Berührung von Yugi. Das Bild von Kogoro durchzog mein Bewusstsein. Hab panisch reagiert. Noch viel peinlicher. Genauso wie die Tatsache, dass ich mich daraufhin übergeben musste. Mein Streuner hat versucht mich zu beruhigen.
 

Schließlich hatte ich mich soweit gesammelt, dass wir zurück in den Klassenraum konnten. Er wollte das ich was esse, aber ich konnte einfach nichts aus der Bentō zu mir nehmen. Doch dann zog er meinen Lieblingsschokoriegel. Ich hab mich so gefreut, doch ich konnte ihn nicht aus der Verpackung lösen. Oberpeinlicher geht es wohl kaum noch. Bakura hat mir schließlich die Verpackung geöffnet. Himmel, muss ich neben mir gestanden haben.
 

Dann hat uns der Kindergarten heim geschickt und auf dem Heimweg schein ich irgendwie total abgestürzt zu sein. Von da an hab ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen. Irgendwie hab ich mich auf der Couch wiedergefunden. Mir war so kalt und gleichzeitig heiß. Doch dann war ich plötzlich im Bett. Auf dem Boden. In der Dusche. Honda!
 

Ich schlage meine Augen auf. Moment. Honda? Was… was war das eben für ein Erinnerungsfetzen? Da war Regen… Regen? Nein! Kein Regen. Aber da kam Wasser von oben. Die… Dusche? Was sollte Honda in unserer Dusche zu suchen haben. Dann schiebt sich das Bild meines Streuners vor mich, wie er von unten zu mir aufschaut. Er blickt besorgt. Bewegt seinen Mund. Aber ich kann seine Stimme nicht hören. Um was ging es da? Dann ist da Honda. Wie er mir etwas vom Gesicht streicht. Er hat mich im Gesicht berührt? Schließlich zieht er mir mein Shirt aus.
 

Mein Atem stockt. Ist das eine reale Erinnerung oder ein Hirngespinst, das ich mir zusammen phantasiert habe in meinem Fieberwahn? Ich spüre, wie die Hand von meiner Schulter in mein Haar wandert. Mich beruhigend streichelt. Jetzt erkenne ich auch, dass Katsuya gar nicht liegt. Er sitzt an das Kopfteil gelehnt und mein Kopf ruht in seinem Schoss. Ich dreh mich zu ihm und sehe, wie er ein Buch weglegt. Verwirrt blickte ich ihn an. Er fragt mich, wie es mir geht.
 

Diese Frage kann ich so gar nicht beantworten. Das kommt ganz drauf an, ob Honda mit uns beiden in unserer Dusche war und mir tatsächlich das Shirt ausgezogen hat und MICH gesehen hat. Mein Streuner blickt mich verständnisvoll an und streicht mir weiter durch das Haar. Er bestätigt meine unvollständige Erinnerung. Prompt schlag ich mir die Hände vors Gesicht. Das darf doch nicht wahr sein. Warum mach ich nicht gleich Fotos davon und verteil sie an jeden, der mir über den Weg läuft?
 

Sanft zieht mein Streuner mir die Hände vom Gesicht und schaut mich sanft lächelnd an. Er meint, es sei alles in Ordnung. Ich will ihm glauben, aber wie soll ich das, wenn er mir doch gerade bestätigt hat, dass Honda meinen Rücken gesehen hat. Das wird doch bei ihm sicherlich zu Fragen führen. Oder was, wenn er es den anderen erzählt? Was dann? Doch mein Streuner schüttelt nur seinen Kopf. Meint, dass Honda uns versprochen hat, nichts was er hier sieht oder hört nach außen tragen wird.
 

Hört? Ich setze mich ruckartig auf und wende mich zu Katsuya. Bin mir nicht sicher, ob ich fragen soll. Ob ich es wissen will. Doch ich brauch Gewissheit. Da erzählt mir mein Streuner, dass Honda diese Woche fast jeden Tag da war und ein paar Stunden am Tag auf mich aufgepasst hat. Einige Albträume – nein bitte sag es nicht – miterlebt hat. Ich lasse resigniert den Kopf hängen. Versuche tief durchzuatmen. Die Scham wallt wieder heftig in mir auf. Dann… dann frag ich schließlich, was Honda nun alles weiß. Die Antwort, die ich von meinem Streuner erhalte gefällt mir nicht. Er sagt mir, dass Honda grob im Bild ist. Grob im Bild? Was soll das heißen? Katsuya rückt zu mir auf und nimmt meine Hände in seine. Schaut mich an. Erklärt, dass Honda von den Schlägen, den Erniedrigungen und … dem was Gozaberu mit mir gemacht hat weiß.
 

Wie… wie soll ich jetzt Honda jemals wieder vor die Augen treten? Ich meine… meine Gedanken wirbeln völlig unkoordiniert durch meinen Kopf und mir wird schwindlig. Sanft zieht mein Streuner mich wieder in eine liegende Position, so dass mein Kopf wieder in seinem Schoss zur Ruhe kommt und er streicht mir sanft durch mein Haar. Unbewusst krallt sich meine Hand in sein Hosenbein. Himmel, dass darf doch alles nicht wahr sein. Mein Streuner redet beruhigend auf mich ein. Wiederholt immer wieder, dass wir Honda vertrauen können. Wir? Ich dreh mich zu ihm und schau trotzig zu ihm auf. Wut bildet sich für einen kleinen Augenblick in mir. 'Wir' ist gut gesagt. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er vor Honda seine... Vergangenheit breit getreten hat.
 

Es ist, als ob er meine Gedanken hört und schmunzelt sanft zu mir runter. Dann beugt er sich vor und küsst mich zärtlich. Ein Klopfen zerreißt die Stille und die Zweisamkeit. Denn die Tür wird nach einem 'Herein' von meinem Streuner geöffnet und als erstes kommt Mokuba herein. Doch er ist nicht alleine. Ihm folgt... Honda! Ich versuche mich aufzusetzen, was mir nicht so einfach gelingen mag und nur durch meinen Streuner komm ich wieder in eine sitzende Position, weil er mich zwischen seine Schenkel gezogen hat und ich mich mit dem Rücken an seine Brust lehnen kann. Links und rechts stützt er mich ein wenig mit seinen Armen, die er um meine Taille geschlungen hat. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter.
 

Peinlich berührt blick ich zur Seite als Honda näher kommt. Er trägt ein Tablett auf der eine Schale steht. Mokuba kommt freudig auf mich zugehüpft als er sieht, dass ich wach bin. Er umarmt mich glücklich, drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er nach dem Gestell für das Tablett greift, dass zwischen Nachtkonsole und Bett stand. Dann platziert Honda mir das Tablett auf dem Gestell und lächelt mich auch sanft an. Ich weiß nicht wirklich wie ich reagieren soll. Dann zwing ich mich zu ihm zu schauen. Versuche meinen alten Blick aufzusetzen, der 'Ist-mir-scheißegal-was-du-weißt'-Blick und ein wenig 'Sprich-mich-ja-nicht-darauf-an'-Blick drunter zu mischen.
 

Mokuba sitzt am Fußende und blickt mich freudig an. Honda setzt sich neben ihn auf die Bettkante. Scheinbar will er mir nicht zu sehr auf die Pelle rücken und dafür bin ich dankbar. Offensichtlich ist die Botschaft angekommen. Katsuya deckt die Schale ab und Dampf steigt auf. In der Schale befindet sich ein appetitliches und gut riechendes Ramen. So eines, wie ich es für gewöhnlich nur von meinem Streuner bekomme. Langsam beug ich mich darüber und inhaliere den Geruch etwas tiefer. Schon am Geruch kann man die Qualität eines Ramen abschätzen. Und das hier riecht einfach himmlisch. Aber woher kommt es? Ich bezweifle, dass mein Streuner mich alleine gelassen hat, um mal eben das da zu kochen. Aber es riecht einfach so fantastisch... wenn nicht er es gekocht hat, wer dann? Ich blicke über meine Schulter fragend zu meinem Streuner. Er lächelt mich weiterhin an und flüstert mir ins Ohr, dass sein Dad da sei.
 

Meine Augen werden groß. Sein Dad ist da? Ist der schon aus der Klinik entlassen? Der Nervenspezialist hatte sich seine Hände angesehen und gemeint, dass man einen Großteil der Funktionen wieder herstellen kann. Die OP war Ende letzten Monats und dann sollte Jonouchi-san eigentlich vier Wochen in Reha. Mein Streuner zieht mich näher an sich und flüstert mir zu, dass ich mir weniger Sorgen machen soll. Alles wäre Bestens und die Reha wäre nicht stationär. Dass sein Dad bereits jetzt schon mehr Funktionalität zurück gewonnen hat, als er vor der OP hatte und als er hörte, dass ich krank bin wollte er mir unbedingt etwas Gutes tun.
 

Mit großen Augen schau ich nur wieder in die Schüssel. Dann meint mein kleiner Bruder, dass ich weniger schauen und mehr essen soll, schließlich schmeckt Ramen nur heiß richtig gut. Ich lächle ihn kurz an, dann fang ich an zu essen. Viel schaff ich zwar nicht, weil essen doch irgendwie anstrengend ist, aber ich muss mich echt zusammenreißen nicht wieder laut vor Genuss zu brummen. Wären wir unter uns, hätte ich da gar keine Bedenken, aber... da sitzt immer noch Honda auf unserem Bett und ich weiß immer noch nicht genau, wie ich jetzt damit umgehen soll, dass er Dinge von mir weiß, die er niemals hätte erfahren sollen. Aber ich kann meinem Streuner nicht böse sein. Es war irgendwie unvermeidbar, dass sich das alles so entwickelt, nachdem sein bester Freund mein Rücken gesehen hat.
 

Ich merke, wie ich müde werde. Zwar fühl ich mich nicht mehr fiebrig, aber fit bin ich noch lange nicht mehr. Der andere Brünette scheint das ebenfalls zu erkennen. Er steht auf und nimmt das Tablett von meinem Schoss. Sanft lächelt er mich an. Dieses Lächeln wirkt auf mich merkwürdig. Es unterscheidet sich deutlich von dem Lächeln oder Grinsen, dass er hat, wenn die Clique zusammen ist. Es ist, als wolle er mir damit sagen, dass alles okay wäre. Das mein Geheimnis bei ihm gut aufgehoben ist. Ist es das? Ich kann das nicht abschätzen. Doch mein Streuner hat mir zugesichert, dass Honda alles was er hier sieht und hört für sich behalten wird. Bislang konnte ich Katsuya bedingungslos vertrauen... also... werde ich es auch in Bezug auf Honda versuchen.
 

Mokuba krabbelt zu mir, nimmt das Tablettgestell und räumt es weg. Dann umarmt er mich herzlich, drückt mir einen Kuss auf die Wange und löst sich dann von mir. Dann verschwindet er mit Honda aus unserem Schlafzimmer. Ich sink ein wenig mehr in die Umarmung meines Streuners, der seine Arme etwas enger um mich schlingt. Auch er setzt mir einen Kuss auf die Wange. Meint, ich solle noch ein wenig schlafen. Ich will eigentlich gar nicht schlafen, aber ich spüre, dass mir wohl gar keine andere Wahl bleiben wird. Also sink ich noch ein wenig tiefer, dreh mich ein wenig auf die Seite und dann dämmre ich auch schon weg, während ich immer noch in Katsuyas Armen liege. Zieh wieder tief seinen Geruch in mich hinein und bin dann ... eingeschlafen.

Einen Schritt des Misstrauens

Ich rauf mir gleich die Haare! Ich sitze im Wohnzimmer, in meinem Stammsessel und schau gelangweilt aus dem Fenster, während Mokuba auf der Couch sitzt und mit Yugi gerade ein wenig Street Combat zockt. Auch die anderen vom Kindergarten sind da. Bakura schaut den beiden zu, feuert mal Mokuba, mal Yugi an, je nachdem wer von beiden gerade hinten liegt. Cheerleader durch und durch!
 

Honda und Otogi sitzen mir gegenüber in dem anderen Sessel und sind überwiegend damit beschäftigt sich das Gesicht abzulecken. Ich verdrehe die Augen und frage mich, warum die beiden nicht einfach hoch in ihr verdammtes Zimmer gehen können und sich dort gegenseitig das Gehirn rausvögeln? Dass sie Bedarf haben zeigen sie ja mehr als deutlich mit ihrer Knutscherei. Der einzige, der nicht da ist, ist mein Streuner. Der musste heute wieder arbeiten.
 

Warum ist der Kindergarten heute überhaupt hier? Ich meine, sie sind unter Woche doch sonst nicht hier bei mir zu Gast. Also warum heute? Schon am Vormittag hab ich keine ruhige Minute gehabt. Alle viertel Stunde kam entweder Mariko-san oder das Hausmädchen zu mir und hat mich etwas gefragt oder versucht in ein belangloses Gespräch zu verwickeln. Gegen elf Uhr kam dann Kai und wir haben ein wenig geredet. Mittlerweile ertrag ich es mit ihm alleine zu sprechen, wobei es mir immer noch lieber ist, wenn Katsuya dabei ist. Dann kann ich mich leichter entspannen und von früher reden.
 

Doch heute war ich froh, dass mein Streuner nicht dabei war. Das Thema heute war Daimon Kogoro. Über ihn zu sprechen ist mit so viel Schmerz und Scham verbunden, dass ich kaum auf die Fragen von Kai antworten konnte. Immer wieder fing mein Körper an zu zittern. Nicht vor Kälte oder so. Ich weiß nicht, warum mein Körper so reagiert. Immer wieder wallten die Tränen in mir hoch. Es waren einige Pausen von Nöten um mich zu sammeln, damit wir das Gespräch fortsetzen konnten.
 

Am Ende zog Kai ein A4-großes Bild aus seiner Tasche. Meinte zu mir, dass er hier ein Bild von diesem Mann gefunden hätte. Dann legte er es mit der Rückseite auf den flachen Tisch. Ich stierte das Foto an, als würde es mich jeden Moment anfallen. Dann forderte Kai mich auf die Fotographie umzudrehen. Es ging nicht. Ich konnte das Bild nicht anfassen und schon gar nicht umdrehen. Allein bei dem Gedanken es zu tun und dann diesen Mann zu sehen schnürte es mir den Hals ab.
 

Das musste wohl auch Kai erkannt haben. Er nahm das Foto unaufgedeckt wieder an sich und verstaute es in seiner Tasche. Sanft und verständnisvoll lächelte er mich dann an. Meinte, dass wir heute gute Fortschritte gemacht hätten. Ich hatte nicht dieses Gefühl. Doch wann konnte ich mich außerhalb der Geschäftswelt jemals auf mein Gefühl verlassen? Wenn mein Therapeut also sagt, dass ich gute Fortschritte mache, dann will ich ihm das glauben.
 

Als Kai aufstand, sich verabschiedete und ging sah ich Isono im Türrahmen sehen. Seit wann er wohl da stand? Mir war nicht aufgefallen, dass er gekommen war. Dennoch begrüßte ich ihn und wollte mit wackligen Beinen aufstehen. Doch er deutete mir nur, dass ich sitzen bleiben soll. Dann nahm er auf dem eben frei gewordenen Sessel Platz und plauderte ein wenig mit mir. Nur so. Smalltalk. Nach einer Weile fragte ich ihn, warum er hier sei. Isono lächelte nur sanft und meinte, er wollte nach mir sehen und seine Mittagspause mit mir verbringen. Sowas ist noch nie vorgekommen!
 

Also haben wir gemeinsam zu Mittag gegessen und uns weiter über Unwichtiges unterhalten. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie viel Isono doch von Duell Monsters verstand und wusste. Okay, ja! Immerhin war er im Battle City Turnier der Zeremonienmeister und Schiedsrichter im Finale gewesen. Da sollte man voraussetzen, dass er etwas von dem Spiel verstand. Aber wenn ich die Hinweise in dem Gespräch richtig deute, dann spielt Isono Duell Monsters aktiv. Warum wusste ich das nicht?
 

Irgendwann fiel mein Blick wieder auf die Uhr und ich erschrak regelrecht, denn es war schon halb vier. Ich fragte Isono, ob er seine Mittagspause nicht arg überziehen würde und er schmunzelte mich an. Neckisch fragte er mich, ob ich Angst hätte, dass er zum Chef gerufen werden würde? Da musste ich schmunzeln.
 

Dann kam mein kleiner Bruder mit dem unvollständigen Kindergarten hier an und Isono hat sich verabschiedet. So im Nachhinein betrachtet wirkte es fast wie eine Wachablösung. Mir dämmert es endlich. Dass ich darauf nicht schon früher kam, zeigt mir deutlich, dass ich nicht fit bin. Weshalb mir Doktor Akari gestern Abend auch verbot diese Woche in die Schule zu gehen. Sicherlich hat mein Streuner all das eingefädelt, damit ich nicht mit mir und meinen Gedanken alleine bin und ja auch nicht in meinem Hausbüro mich mit Arbeit ablenke.
 

Immer wieder spüre ich, wie einer von den anderen zu mir rüber blickt. Verdammter Honda. Sicherlich hat er den anderen erzählt, was er hier letzte Woche alles erfahren und erlebt hat. Und jetzt... jetzt wollen sie einen Blick auf das Wrack Kaiba Seto werfen und sich daran ergötzen, dass ich doch nicht der perfekte Geschäftsmann und eiskalt bin. Sicherlich werden sie ganz laut darüber lachen, dass ich mich in der Dusche gewunden habe, als mein Streuner mich fragte, ob Honda ihm helfen dürfte. Oder begaffen mich, weil sie die Narben auf meinem Rücken sehen wollen. Der Beweis, dass ich gebrochen wurde.
 

Ich steh mit Elan auf und geh an das große Fenster, welches mir den Blick auf die Einfahrt gewährt. Draußen ist es bereits dunkel. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es 22 Uhr sei. Noch eine Stunde, dann hat Katsuya endlich Feierabend. Dann noch eine viertel Stunde mit dem Auto und dann... dann kann ich endlich mich in seinen Arm legen und der Orkan hört auf an mir zu zerren.
 

Unbewusst knabbere ich an meinen Fingernägel. Bemerke gar nicht, wie Honda aufsteht und zu mir rüber kommt. Vorsichtig legt er seine Hand auf meine Finger, an denen ich gerade knabber. Erschrocken blick ich ihn an. Er meint nur zu mir, dass mein Streuner gleich wieder da sein wird. Ja, doch... das weiß ich. Ich entziehe mich seiner Berührung und wende mich ab. Ich bin wütend auf ihn. Nicht auf meinen Streuner, sondern auf Honda. Warum konnte er seinen Mund nicht halten?
 

Als ich wegstapfen will hält er mich am Arm fest und hält mich auf. Will wissen, was los sei. Ich wirbel zu ihm herum und funkel ihn wütend an. Er scheint sich keiner Schuld bewusst zu sein. Er... er hat letzte Woche meine Narben gesehen und so viel von mir erfahren und konnte gar nicht anders als es gleich herum zu erzählen. Da bin ich mir ganz sicher. Ich bin in diesem Kreis nur noch ein Gespött. Warum sollten die anderen sonst immer wieder so komisch zu mir rüber blicken? Also wie kann er es wagen, jetzt so unschuldig zu tun?
 

Erst als ich seinen entsetzten Blick sehe wird mir klar, dass ich das laut gesagt habe. Die anderen blicken mich schockiert an. Honda blickt nur kurz über seine Schulter. Warum sind die alle so schockiert über etwas, was sie doch ohnehin schon wussten? Mokuba blickt mich besorgt an und steht auf. Kommt zu mir herüber, greift sanft nach meiner Hand und will mich wieder zu dem Sessel lenken. Doch ich... ich will mich da nicht hinsetzen und von allen weiter angestarrt werden.
 

Aber auch Honda legt seine Hand wieder an meinen Oberarm und unterstützt Mokuba bei seinem Bestreben. Als ich sitze fühl ich mich wie auf dem Präsentierteller. Ich spüre die Scham in mir hochwallen und würde am liebsten jetzt weglaufen, doch ich bin immer noch Kaiba Seto und das ist der Kindergarten. Die Genugtuung werde ich ihnen nicht geben. Mokuba legt langsam seine Arme um mich und zieht mich zu sich. Umarmt mich ganz lang und inniglich. Ich verstehe gerade so gar nichts mehr.
 

Als wir uns von einander lösen schaut er mich mit großen Augen an. Langsam sagt er mir, dass der einzige, der gerade allen von meinen Narben erzählt hätte, ich selbst wäre. Honda hätte letzte Woche jede freie Minute hier verbracht und heute hätten die anderen ihn zusammen mit meinem Streuner von der Schule abgeholt und auch da hätte Honda niemanden irgendetwas erzählt.
 

Entsetzt blick ich kurz zu Honda hoch. Er nickt nur zustimmend. Ich spüre, wie mein Gesicht rot wird. Verdammt! Ich will aufstehen und jetzt doch die Flucht antreten, als Yugi sich vor mich stellt und mir eine Hand auf die Schulter legt. Himmel, was soll das... ist heute großer 'Lasst uns alle Seto berühren'-Tag? Yugi lächelt mich nur unbefangen und freundlich an - wie immer. Es wäre alles in Ordnung und es müsste mir nicht peinlich sein. Irgendwo hätte doch jeder Narben. Manche sieht man, andere nicht. Aber Keiner würde durch das Leben kommen ohne die eine oder andere Erinnerung, an der wir schließlich gewachsen seien.
 

Ich spüre, wie ich meine Fassung langsam verliere. Aber das will ich nicht hier und nicht jetzt und schon gar nicht vor dem Kindergarten. Ich will wenigstens vor ihnen so wirken, als sei ich noch der Alte. Dann spür ich eine warme Umarmung um meine Schultern. Blondes Haar schiebt sich in mein Sichtfeld und eine warme Wange drückt sich an meine. Katsuya! Aber... aber wir haben doch erst halb elf, wieso ist er schon hier? Egal! Es ist einfach egal! Hauptsache er ist jetzt hier und hält mich. Gibt mir Kraft und führt mich jetzt durch diese Situation.

Einen Schritt Vertrauen zu festigen

Ist nicht mein Tag! Als ich im Conbini ankomme kann ich an nichts anderes denken, als an meinen Drachen. Eigentlich denk ich schon seit ich das Haus verlassen habe an ihn und wie er wohl über den Tag kommt. Dabei bin ich so abgelenkt, dass mir wiederholt etwas zu Bruch geht und ich wischen muss. Als mir schließlich das sechste Glas aus der Hand gleitet kommt Kimochi-san zu mir, legt mir väterlich eine Hand auf die Schulter und lächelt mich verständnisvoll an. Dann sagt er, ich soll nach Hause gehen und mich um meinen kranken Freund kümmern. Als ich ihn frage, ob er das ernst meint, erwidert er nur, dass ich mich diese Woche ja nicht mehr blicken lassen soll. Noch mehr kaputte Gläser könnte er sich nicht leisten. Ich grins ihn dankbar an, eile in den Nebenraum um die Schürze auszuziehen und den Laden eilig zu verlassen.
 

Ich will gerade über die Straße, als ich höre, wie mich jemand ruft. Ich dreh mich um und sehe Isono, der gerade aus seinem Wagen aussteigt, mit dem er ganz offensichtlich gerade in die Tiefgarage des Kaiba Tower fahren wollte. Er winkt mich heran, also geh ich zu ihm. Besorgt fragt er mich, ob alles in Ordnung ist. Ich nicke und erzähl ihm, dass ich mit den Gedanken einfach nicht bei der Arbeit war und nach Hause geschickt wurde. Er scheint erleichtert. Dann zieht er sein Handy, drückt die Kurzwahltaste 4, wechselte einige Worte und legt dann auf. Ich will mich schon verabschieden als er mich festhält und ich ihn überrascht anschaue. Er bittet mich einen Moment zu warten, da seh ich auch schon Fuguta aus der Tiefgarage kommen. Isono fragt Fuguta, ob er mich heimfahren würde. Ich wink ab. Mein, dass ich auch laufen kann und sie sich keine Umstände machen sollen. Doch Fuguta lächelt mich nur an und meint, dass es ihm nichts ausmacht, da er mich ja ohne hin später vom Conbini abgeholt hätte. Also nick ich schließlich zustimmend und Isono überlässt Fuguta seinen Wagen, bevor er mir einen schönen Abend wünscht und im Gebäude verschwindet.
 

Erst jetzt frag ich mich, was Isono zu so 'ner späten Stunde noch im Kaiba Tower will. Aber nun gut, es ist nichts neues, dass die Menschen bei Kaiba Corp allesamt scheinbar Workaholics sind. Die scheinen sich alle eine Scheibe von meinem Drachen abgeschnitten zu haben, der längst kein Workaholic mehr ist. Für gewöhnlich arbeitet er ja nur noch vier Tage in der Woche und schaltet mittlerweile auch Zuhause ab. Oder Isono muss Überstunden schieben, um die extra Portion liegen gebliebene Arbeit abzuarbeiten. Ein schlechtes Gewissen regt sich in mir. Schafft Isono dieses Pensum wirklich oder verliert er sich darin? Ich muss ihn bei der nächsten Gelegenheit dringend darauf ansprechen und sicher gehen, dass alles in Ordnung ist. Das letzte was ich will, ist das Seto sich auf Kosten von Isonos Gesundheit erholt. Es muss doch einen Weg geben, damit auch Isono Erholungszeiten hat und sich nicht in Grund und Boden wirtschaftet. Dann lasse ich mich von Fuguta heim fahren.
 

Als ich die Tür reinkomme höre ich die wütende Stimme meines Drachens. Nanu, was macht ihn denn so wütend. Er... wer er? Er hat letzte Woche seine Narben gesehen und so viel von ihm erfahren und konnte gar nicht anders als es gleich herum zu erzählen. Ich stutze. Der einzige, auf den die Beschreibung mit den Erkenntnissen zutrifft ist Honda. Doch warum glaubt mein Drache, mein bester Freund hätte erzählt, was wir ihm anvertraut haben? Mein Drache bekräftigt noch einmal, dass er sich in diesem Punkt ganz sicher ist und er in diesem Kreis nur noch ein Gespött sei. Warum sollten die anderen sonst immer wieder so komisch zu ihm rüber blicken? Dann fragt er Honda, wie er es wagen kann, jetzt so unschuldig zu tun. Eilig zieh ich mir meine Schuhe aus und eile Richtung Wohnzimmer.
 

Gerade als ich in die Tür trete sehe ich, dass alle meine Freunde noch da sind und Mokuba und Honda meinen Drachen gerade zu einem Sessel ziehen. Dann legt Mokuba langsam seine Arme um seinen großen Bruder und zieht ihn an sich heran. Er hält ihn lange und inniglich. Als sie sich von einander lösen meint Mokuba mit großen Augen, das der einzige, der den anderen gerade von Setos Narben erzählt hätte, er selbst gewesen wäre. Das Honda gar keine Gelegenheit gehabt hatte, irgendwem irgendwas zu erzählen. Ich sehe, wie er zu Honda hochschaut. Mein bester Freund nickt nur mit einem traurigen Lächeln. Er ist nicht traurig darüber, dass Seto ihm nicht vertrauen kann oder ihm unterstellt hat, dass er die Klappe nicht halten könnte. Honda tut es leid, dass mein Drache sich verplappert hat. So gut kenn ich meinen besten Freund, dass ich das mit Gewissheit weiß.
 

Gerade als Seto aufstehen möchte stellte sich Yugi vor ihn und legt eine Hand auf Setos Schulter. Oh, großartige Idee, Yug. Jemand, der den körperlichen Kontakt sonst meidet wie die Pest anzufassen, ist eine glorreiche Idee... okay, halt. Sarkasmus bringt mich hier absolut nicht weiter. Ich weiß, dass Yugi es nicht böse meint. Immerhin lächelte er meinen Drachen völlig unbefangen und freundlich an, so wie es jeder von dem Bunthaarigen gewohnt ist. Er richtet mit sanfter Stimme das Wort an meinen Drachen und sagt ihm, dass alles in Ordnung sei und ihm nicht peinlich sein muss, dass ihm das rausgerutscht ist. Immerhin würde doch jeder von ihnen Narben haben. Manche sieht man, andere nicht, aber keiner würde durch das Leben kommen, ohne die eine oder andere Erinnerung, an der man schließlich wächst.
 

Während Yugi mit meinem Drachen spricht bin ich ins Wohnzimmer getreten. Ich nähere mich langsam dem Sessel von hinten und kann allein anhand seines Rückens erkennen, dass er kurz davor steht seine Fassung zu verlieren. Sanft umarm ich ihn und schiebe meinen Kopf auf seine Schulter. Drücke meine Wange an seine und kann das seichte Zittern bereits spüren, dass dem völligen Verlust der Fassade voraus eilt. Sanft platziere ich einen Kuss auf seiner Wange. Er blickt zu mir mit diesem Ausdruck von Hilflosigkeit, denn er hat sich in eine Situation manövriert und weiß jetzt nicht, wie er sie wieder gerade biegen kann oder aus ihr rauskommt.
 

Ich fürchte nur, dass er da eine falsche Vorstellung hat. Er kann nicht zurück nehmen, was er gesagt hat. Oder die anderen vergessen lassen, was sie gehört haben. Wegwünschten geht nicht und so tun, als hätte er es nie gesagt... das werden unsere Freunde dieses Mal nicht zulassen. Denn sie spüren, dass es etwas ist, was ihn abhält sie näher an sich ranzulassen. Deswegen kann ich meinen Drachen jetzt auch nicht nehmen und von ihnen wegführen. Sanft nehm ich ihn an der Hand und zieh ihn aus seinem Sessel rüber zur Couch. Dort lass ich ihn sich in seine Ecke setzen und setz mich daneben. Immer noch liegt die Schamesröte auf seinen Wangen. Dennoch hält er mehr trotzig den Blickkontakt mit den anderen. Er will zeigen, dass er Kaiba Seto ist und er sich nicht unterkriegen lässt.
 

Mokuba setzt sich zu ihm und kuschelt sich an ihn. Will ihm damit zeigen, dass er nicht alleine und alles gut ist. Die anderen versammeln sich nach und nach um ihn. Honda und Otogi nehmen wieder in ihrem Stammsessel Platz, Yugi und Ryou lassen sich auf dem niedrigen Couchtisch nieder. Mein Drache kämpft mit sich selbst, seine Fassung weiterhin zu halten. Seine Hand liegt in meiner und ich streiche ihm sanft mit dem Daumen über den Handrücken. Ich spüre auch hier sein Zittern. Noch ist es nicht stark genug, dass man es sehen könnte, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Das weiß ich aus Erfahrung. Genauso wie ich weiß, dass er sich noch nicht bereit fühlt, mit unseren Freunden seine Vergangenheit zu teilen. Auch wenn er das bereits gerade getan hat.
 

Seine Anspannung ist deutlich zu erkennen, selbst für die anderen. Ein falsches Wort von einem und er wird Mokuba von seinem Schoss werfen, aufstehen und wegstampfen. Aber Schweigen lässt ihn sich auch immer weiter anspannen. Plötzlich springt Yugi vom Tisch auf in den Stand, zieht sein Hemd aus der Hose und den Bund der Hose ein wenig runter. Er hat auch eine, verkündet er im Smalltalk-Tonfall und deutet auf seine Blinddarmnarbe. Für einen Moment schauen ihn alle furchtbar schockiert an und dann zeichnet sich auf einmal auf dem Gesicht meines Drachens ein amüsiertes Schmunzeln ab. Mokuba ist der erste, der daraufhin anfängt zu lachen bis wir alle schließlich die Anspannung damit einfach abschütteln. Dann zieht Honda sein Hosenbein hoch und deutet auf eine waagrecht verlaufende Narbe am Schienbein und meint, dass er niemals vergisst, in welcher Höhe die Stoßstange irgendeines Autos liegt, weil er dieser Stoßstange diese Narbe zu verdanken hat. Schließlich zieht Otogi ein Taschentuch und wischt sich sein Dekostrich, der vom Auge halb über die Wange geht weg. Darunter kommt eine Narbenfurche zum Vorschein. Bitter grinst er und zuckt nur mit den Schultern.
 

So sitzen wir eine ganze Weile dar und reden über Narben und woher wir sie haben. Seto hört aufmerksam zu. Für ihn ist das hier eine ganz neue Erfahrung. Aber an seinen sichtbaren Narben hängen auch nicht sichtbare - seelische - Narben. Daher scheut er noch sich in das Gespräch einzubringen. Aber ich bin mir sicher, das hier ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der als Grundlage für mehr Vertrauen zu ihnen dienen wird.

Einen Schritt des Wagens

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt der Lust

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt der Öffnung

Ich schließe die Tür hinter Mokuba und Katsuya. Lehne mich mit der Stirn gegen das Holz. Seufze. Ich habe beide überzeugt, dass ich keine Rund-um-die Uhr-Betreuung brauche und sie mir nicht wieder die Hausangestellten auf den Hals hetzen sollen. Das war gestern nämlich mehr als anstrengend.
 

Gerade als ich mich abwende, um ... ja wohin eigentlich? Mein Hausbüro hat Mokuba abgeschlossen. Vielleicht ins Wohnzimmer und dort ein wenig zocken? Ich hab schon ewig kein Spiel einfach mal so gespielt. Es sind einige gute Titel heraus gekommen. Ein paar davon klangen interessant. Nur hatte ich nie wirklich Zeit sie mal anzuspielen, geschweige denn bei Gefallen weiterzuspielen.
 

Doch bevor ich etwas entscheide klingelt es an der Tür. Ich dreh mich überrascht um und frag mich ob von den beiden jemand was vergessen hat, aber dann würden sie wohl nicht klingeln. Ich trete den Schritt zurück an die Tür und öffne sie langsam. Da werde ich auch schon von einem strahlenden Lächeln überwältigt und erstarre in purer Überraschung.
 

Vor mir steht Jonouchi-san, Katsuyas Dad. Ich trete einen Schritt zurück und lasse ihn eintreten. Er kommt rein und zieht seine Schuhe aus. Er sieht gut aus. Der Entzug hat ihm wahnsinnig gut getan. Seine ganze Ausstrahlung ist anders. Selbstbewusster. Er fragt mich, ob er mich stört. Ich schüttle den Kopf. Erwidere nur, dass ich gerade überlegt habe, ob ich ein Spiel auf der Konsole zocke. Er lächelt mich an und meint, dass das gut klingt und ob er mir zuschauen darf. Zögerlich nicke ich.
 

Während wir ins Wohnzimmer gehen, frag ich ihn nach seinen Händen. Er streckt sie vor. Keine Verbände, keine Schienen. Aber einige Narben... kleine... sie zittern nicht und selbst nach fast einer Minute scheint er sie ohne Probleme ruhig halten zu können. Er dankt mir noch einmal recht formal dafür, dass ich ihm geholfen habe. Ich winke ab. Dank ist das letzte, was ich will. Hab ihm nicht deswegen geholfen Auch nicht, weil er der Vater von Katsuya ist. Das war nicht ausschlaggebend.
 

Wir kommen im Wohnzimmer an und ich bitte ihn auf der Couch Platz zu nehmen, während ich an die Konsole trete und überlege, welches Spiel ich nun eigentlich ausprobieren möchte. Plötzlich steht Jonouchi-san hinter mir und ich spann mich - ganz automatisch - etwas an. Ihm fällt ein Spiel ins Auge und fragt mich, ob dass das neue Street Combat sei. Ich nicke und prompt fragt er mich, was ich davon halten würde, gegen ihn zu spielen. Verwundert blicke ich ihn an, er hebt jedoch nur die Hände und wackelt mit den Fingern. Zocken sei gut für die Motorik, meint er mit einem Lächeln, welches mich so wahnsinnig an meinen Streuner erinnert. Dann nicke ich, reich ihm einen Controller und leg das Spiel ein. Dann nehm ich mir den anderen Controller und wir setzen uns auf die Couch.
 

Wir haben schon ein paar Runden hinter uns und wir werfen uns Bemerkungen, Kommentare oder gespielten Hohn zu, wenn einer von uns beim anderen Punkten kann. Keiner der Kämpfe gegen ihn ist leicht. Er kämpft sehr geschickt, wohlüberlegt und taktiert, hat schnell raus, wie man Combos spielt und wie man blockt oder kontert. Beeindruckend. Ich habe selten gegen einen so guten Gegner gespielt. Es macht wirklich Spaß.
 

Beiläufig kommt er mit der Frage, warum ich ihn für einen Helden halte. Ich halte inne, er nutzt den Moment einen Treffer zu landen. Sofort nehm ich das Spiel wieder auf und ich antworte, dass ich von dem, was er für seinen Sohn tat und damit alles aufgab, beeindruckt bin. Ein tonloses 'Ah' kommt von ihm. Wieder vergehen ein paar Schlagabtäusche, als er anmerkt, dass nicht viele Selbstjustiz für richtig halten. Ich zucke mit den Schultern. Meine, dass viele sich dazu kein Urteil erlauben dürfen, denn sie waren nie in vergleichbaren Situationen.
 

Wieder kommt ein 'Ah' von ihm. Fragt dann, ob ich denn schon in einer vergleichbaren Situation gewesen sei. Ich halte inne. Dieses Mal lässt er die Gelegenheit, gegen mich zu punkten, verstreichen und blickt mich an. Ich schau verlegen zu Boden. Was soll ich darauf antworten? Ich will ihn nicht anlügen und ich will ihm nichts von mir erzählen.
 

Da spüre ich seine Hand auf meiner Schulter. Da ist sie wieder, die Anspannung. Aber zu ihm schauen kann ich nicht. Mir steckt ein Riesenkloss im Hals und ich hab das Gefühl, dass ich jeden Moment weinen müsste. Ganz unbewusst fang ich an mit den Zähnen zu knirschen. Ich schlucke ein, zwei Mal. Doch der Kloss will sich nicht lösen. Ich brauche meine ganze innere Kraft dafür, die Tränen zurück zu halten.
 

Seine Hand wandert von meiner Schulter an die Wange und ich bin mir sicher, er spürt, wie ich angefangen hab zu zittern. Ich versuche krampfhaft meinen Atem langsam und gleichmäßig zu führen. Mir nichts anmerken zu lassen. Aber ich fürchte, ich bin heute nicht sehr gut darin über mein Befinden hinwegzutäuschen.
 

Langsam zieht er mich an seine Schultern und plötzlich... ich weiß nicht wieso... spüre ich, wie ich beginne zu weinen. Es ist völlig untypisch. Selbst bei Katsuya hab ich mich anfangs so dagegen gesträubt und gewehrt, doch bei Jonouchi-san.... Er legt auch den zweiten Arm um mich und hält mich. Wie sein Sohn lässt er mich einfach weinen. Gibt mir Halt, von dem ich bislang glaubte ihn nur bei meinem Streuner zu finden.
 

Als ich mich wieder gefangen habe und mich aufrichte, lächelt er mich sanft an, streicht mir ein paar Tränen von der Wange und meint, dass das wieder werden würde. Diese Zuversicht, mit der spricht erinnern mich wieder an den Streuner. Dann nimmt er seinen Controller wieder in die Hand und fragt, ob ich noch eine oder zwei Runden spielen möchte. Ich nicke.
 

Beim Weiterspielen fragt mich der Ältere, ob ich denn auch jemand wie ihn in seinem Leben gehabt habe. Das ist keine leicht zu beantwortende Frage. Ich hatte jemand, der sich um mich kümmerte und für mich da war, aber der mich nicht aus meiner Hölle befreien konnte, weil er nicht gegen meinen Adoptivvater angekommen ist. Jonouchi-san nickt nur betroffen. Fragt mich, wie lange meine Hölle gedauert hat. Ich lande bei ihm einen Treffer und gewinne die Runde. Während meine Figur sich in Pose wirft blicke ich ihn an und antworte mit 'Fünf Jahre'.
 

Als er mich anschaut, sehe ich Bedauern. Er bedauert nicht mich, sondern den Umstand, dass ich so lange gelitten hatte und niemand mir den Dienst erwiesen hat, den er seinem Sohn erbracht hat. Schließlich fragt er mich, was aus dem Mann geworden sei, der mich durch die Hölle geschickt hat. Tonlos antworte ich, dass er tot ist... Ein erleichtertes Schmunzeln huscht über sein Gesicht. Dann füg ich an, dass er zwar tot sei, aber die anderen nicht.
 

Ich seh noch im Augenwinkel sein geschocktes Gesicht, während ich mich wieder dem Fernseher zuwende und eine neue Runde beginne. Ohne ein weiteres Wort wendet er sich auch wieder dem Spiel zu. Es ist mir ein Rätsel, warum ich ihm das alles erzählt habe. Ich wollte es nicht und dennoch... irgendwo fühlt es sich gut an. Es fühlt sich gut an, mit jemand darüber gesprochen habe, von dem ich nicht befürchten muss, dass er es gleich in der Clique herum erzählt.
 

Sicherlich ist das ein unfairer Gedanke... Honda hat nichts erzählt und dennoch ist da in mir diese Angst, dass er es immer noch tun könnte. Mehr erzählt, als ich ohnehin schon von mir Preis gegeben habe. Und ich frage mich... ob ich diese Angst auch hätte, wenn er nicht zum Kindergarten dazu gehören würde.

Einen Schritt aus der anderen Richtung

Nachdem ich mit Seto noch ein paar Runden gespielt habe, frage ich ihn, ob er mir beim Kochen helfen würde. Er blickt mich mit seinen großen, blauen Augen an und nickt schließlich. Langsam steht er auf und bittet mich um meinen Controller. Nachdem ich ihm diesen gereicht habe geht er zur Konsole, nimmt das Spiel heraus und schaltet alles aus. Ich steh auch auf und wir gehen gemeinsam in die Küche.
 

Dass der Junge, den mein Sunnyboy mir letztes Jahr einfach nur als Seto vorgestellt hat, eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte, wie mein Sohn, war mir in dem Moment klar, als er mich einen Helden nannte. Ich hatte in seinen Augen das Bedauern erkannt, dass niemand für ihn das getan hatte, was ich für meinen Sunnyboy auf mich genommen habe. Und jetzt, nachdem ich doch einige Details erfahren habe, bedaure ich diesen Umstand auch.
 

Er wurde also von seinem Adoptivvater fünf Jahre lang missbraucht. Schrecklich. Wie kann jemand, der sich Vater nennt, so etwas seinem Kind oder Schutzbefohlenen antun? Er sollte doch den Jungen schützen und ihn nicht durch die Hölle schicken. Wut wallt in mir auf. Kinder sind so wichtig für unsere Zukunft. Sie sollten unantastbar sein. In dem Moment, wo man ihnen Gewalt antut, zerstört man ihre Unschuld und Reinheit. Die Gefahr – die ohnehin in unserer heutigen Zeit ständig größer wird und droht -, dass aus ihnen kaputte Erwachsenen werden potenziert sich dann ungemein.
 

Mein Sunnyboy sagte, dass Seto etwas älter sei als er, also 18. Auch wenn ich die letzten Jahre überwiegend im Suff verbracht habe, ist nicht an mir vorbei gegangen, dass vor zweieinhalb Jahren die Zeitungen voll davon waren, dass er mit 15 die Leitung der Firma übernommen und sie komplett umstrukturiert hat. Fünf Jahre Hölle. Die endeten wohl mit dem Tod seines Adoptivvaters, also kurz bevor er die Firmenleitung übernommen hat. Himmel, erst jetzt wird mir bewusst, dass seine Hölle schon im Alter von zehn Jahren begonnen haben muss.
 

Während ich verschiedene Zutaten aus den Schränken hole, frag ich – so beiläufig wie es möglich ist – ob er Hilfe hat. Erst blickt er mich fragend an, bevor ihm bewusst wird, worauf meine Frage gerichtet ist. Er nickt. Sagt, dass mein Sunnyboy ihm einen wirklich guten Therapeuten besorgt hätte. Kai, schießt es mir durch den Kopf und ich wundere mich etwas. Normalerweise arbeitete Kai nur mit Kindern, die zu Therapiebeginn nicht älter als zwölf Jahre alt sind. Aber… wenn ein Kind so früh durch so eine Hölle geht… vielleicht kann man es dann nicht mit einem Gleichaltrigen vergleichen, der normal aufgewachsen ist… Aber ich freu mich, dass Kai sich seiner angenommen hat. Er ist der Beste auf seinem Gebiet.
 

Bei Katsuya hat er Wunder bewirkt… neben der anfänglichen Bewältigungstherapie hat er ihm auch später geholfen, als er sich immer wieder von Wut hatte leiten lassen. Immer wieder in Prügeleien geriet. Schwierigkeit mit der Schule und der Polizei hatte. Hat ihm geholfen, diese Wut in den Griff zu bekommen und sie produktiv – mit Kochen – abzubauen. Er hat ein unglaubliches Gespür, wie er an ein Kind heran gehen muss, damit es sich nicht bedroht fühlt und Vertrauen zu ihm aufbaut. Weiß wie er das Eis brechen kann.
 

Ich setzt eine Grundbrühe an. Als er mich so über Kai reden hört lächelt er sanft. Mein Sunnyboy hat recht: Dieses Lächeln steht dem jungen Mann wirklich gut und ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass er öfters lächelt. Ich weiß, wenn er die Therapie mit Kai durchzieht, wird das ganz sicher eintreten. Wenn er erst einmal all seine Dämonen in den Griff bekommen hat… dann ist seine Seele frei und kann gänzlich dieses Leben genießen.
 

Während ich einige Zutaten klein schneide und er mich aufmerksam dabei beobachtet, frage ich, wie das mit diesen 'Anderen' sei… was aus diesen geworden sei. Er zuckt nur mit den Schultern. Er weiß das angeblich nicht. Doch ich blicke zu ihm und er erkennt in meinem Blick, dass ich ihm das nicht glaube. Er holt tief Luft und erzählt mir, dass er vor anderthalb Wochen auf einen von ihnen getroffen sei. Bei einem geschäftlichen Meeting. Er habe sich zusammengerissen und das Meeting durchgezogen, doch danach… hätte sein Bewusstsein sich für zwei Tage verabschiedet.
 

Wundert mich nicht. Mit einem lebenden Trauma, dass einen wieder bedrohte, konfrontiert zu sein, kann schon einmal eine enorme Panik und Schock auslösen. Dass der Verstand eines so jungen Menschen schon eine Bewältigungsstrategie hat, ist fast ausgeschlossen. Das sind Techniken, die man erst mühsam erlenen muss. Aber das wird Kai noch mit ihm angehen. Da bin ich mir ganz sicher.
 

Aber in mir spüre ich die Wut erneut aufwallen. Nicht nur, dass scheinbar mehrere Personen ein Kind derartig übel mitgespielt haben. Diesem Kind später noch einmal unter die Augen zu treten… unverzeihlich. Sie müssen doch wissen, was für eine Wirkung das auf ihn haben kann… oder war das pure Berechnung… das wäre einfach nur widerwärtig und grausam. Doch Menschen, die sich an einem Kind vergreifen sind genau das…!
 

Ich lasse mir nichts nach außen anmerken und frage, ob er mir ein paar Zutaten reichen würde und ob er ein Wunsch für den Ramen hat. Er arbeitet mir präzise zu und meint nur, dass egal, welches Ramen ich zubereite, er sich sicher ist, dass es ihm schmecken wird. Schließlich würde er durch meinen Sunnyboy wissen, was für ein großartiger Koch ich sei und wie gut mein Essen schmeckt. Der Junge entspannt sich wieder ein wenig.
 

Also frag ich, was mit den anderen 'Anderen' ist. Ob er da wüsste, wo diese wären und was sie derzeit so tun. Er schüttelt den Kopf. Es habe ihn nie groß interessiert, solange er nichts mit ihnen zu tun hatte. Dieses Mal klingt er ehrlich. Vorsichtig frag ich ihn, ob er sich vorstellen könnte, diese Monstren anzuzeigen und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Er kontert nur, ob ich wirklich denke, dass Gefängnis eine gerechte Strafe wäre. Ich weiß worauf er anspielt. Würde ich das glauben hätte ich damals die Gerechtigkeit für meinen Sohn nicht in die eigenen Hände genommen.
 

Doch ihm geht es nicht darum, irgendwann für sich Gerechtigkeit zu üben. Also frag ich ihn, wovor er Angst hat. Er blickt mich nur kurz entsetzt an, bevor er seinen Blick wieder auf meine Tätigkeit richtet und scheinbar nachdenkt. Schließlich kommt irgendwann von ihm, dass er einfach nicht will, dass jeder weiß, durch welche Hölle er gegangen ist. Das wäre ganz alleine seine Schande und die ginge niemand etwas an.
 

Jetzt halte ich in meiner Tätigkeit inne, leg das Messer weg und lege meine Hand ein weiteres Mal an seine Wange. Wieder blickt er mich überrascht und ängstlich an. Dann sag ich ihm, dass es nicht seine Schande ist. Es ist die Schande derer, die ihm diese Gewalt angetan haben. Verlegen wendet er seinen Blick auf den Topf, in der die Brühe aufkocht.
 

Dann frag ich ihn, ob er irgendwelchen Sport treibt. Verwundert über den Themenwechsel blickt er mich wieder an. Er schüttelt den Kopf. Ich rate ihm, dass er sich einen Sport – vielleicht eine Kampfkunst – aussuchen und erlernen sollte. Damit kann man den Frust, den Schmerz und die Wut, die sich da drinnen – und ich platziere meinen Finger auf meiner Brust über dem Herzen – ein Ventil bieten. Vor allem gewinnt man aber durch Sport ein neues, positives Körpergefühl und es stärkt das Selbstwertgefühl.
 

Meine Worte wirken auf ihn und er schaut mir eine Weile schweigend zu. Ich lass ihn derweil in Ruhe. Er hat schließlich einiges zu verdauen. Kann nur hoffen, dass er den Rat beherzigt. Es würde ihm gut tun, wenn er einen Ausgleich zu seiner Bürotätigkeit hätte und bei einer Kampfkunst würde er die Gewissheit gewinnen, dass sich nie wieder jemand seiner bemächtigen könnte. Natürlich weiß ich, dass das Beherrschen einer Kampfkunst kein Garant dafür ist, aber es geht hier schließlich nur um das Gefühl der Sicherheit, dass er dadurch gewinnen würde und was ihm derzeit fehlt.
 

Dann decken wir den Tisch - genau pünktlich, wie sich rausstellt - als wir die Haustür hören und wenig später Mokuba und mein Sunnyboy herein kommen. Überrascht blickt mich mein Junge an und umarmt mich glücklich. Ich erwidere die Umarmung und küss ihn auf die Stirn. Wie immer, wenn er bei mir ist lacht er mich an. Das ist mein Sunnyboy. Anders wie früher ist sein Lachen heute echt. Dank Kai. Dank der Therapie. Und dank Seto.
 

Ich bin stolz auf ihn. Darauf, was für ein großartiger Mann aus ihm geworden ist und dass er seinem Freund so beisteht und unterstütz. Ihn mit seinen eigenen Erfahrungen weiterhilft und ihm einen Weg zeigt, obwohl er bislang gescheut hat, irgendwem davon zu erzählen. Ihm zeigt, dass man ein glückliches Leben führen kann, wenn man die dargebotene Hilfe annimmt.
 

Gerade als ich mich verabschieden möchte, um die Jungs in Ruhe essen zu lassen, steht Seto neben mir und bittet mich, mit ihnen zu essen. Ich weiß, dass es für den jungen Mann nicht selbstverständlich ist, jemanden um irgendetwas zu bitten. Also lächle ich ihn an und nehme seine Einladung an. Gemeinsam setzen wir uns an den Tisch und der Wirbelwind erzählt von seinem Tag.
 

Dieses Essen erinnert mich an damals, bevor man meinem Jungen derartige Gewalt angetan hat, wie ich mit meiner Frau und den beiden Kinder abends am Tisch saß und sowohl meinem Sunnyboy, als auch meiner ruhige Prinzessin von ihrem Tag berichteten. Ja, ich vermisse diese glückliche Zeit. Jeden Tag. Dieses Gefühl von Verlust ist es, der mich jeden Tag versucht zum Alkohol zu greifen, um wenigstens eine Weile vergessen zu können.
 

Doch dieser junge Mann hatte letztes Jahr einfach Recht: Ich habe mich lange genug in meinem Verlust und Selbstmitleid gesuhlt. Jetzt ist es an der Zeit mein Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken und meinem Sunnyboy der Vater zu sein, den er verdient. Ich möchte nicht auch noch sein restliches Leben verpassen, nur weil ich im Suff irgendwo liege und meinen Rausch auspenne. Ich will sehen, wie er glücklich wird und vielleicht… gelingt es mir ja auch zu kitten, was mir damals zerbrochen ist. Zumindest will ich es versuchen!

Einen Schritt weiter wagen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt Richtung Kampfsport

Als ich heim komme hör ich Stimmen aus dem Wohnzimmer. Eilig zieh ich meine Schuhe aus und hänge meine Jacke an den Hacken, bevor ich in den Raum laufe. Dort sitzen Katsuya und mein Bruder und starren auf den Laptop. Als ich näher komme und mich auf die Lehne der Couch stütze und so über die Schultern der beiden blicken kann erkenn ich eine Seite, auf der verschiedene Kampfkünste präsentiert werden.
 

Als Seto mich bemerkt schmunzelt er und wuschelt mir durch mein Haar. Ich kichere und krabble über die Lehne, rutsche zwischen die beiden und frage, was denn los ist. Katsuya meint nur, dass sie überlegen welche Kampfkunst wohl für sie beide etwas wäre. Kampfkunst? Ich blick zwischen ihnen hin und her, bis Seto mir erklärt, das Katsuyas Vater gestern die Idee hatte, dass er doch mit einer anfangen könnte. Das wäre ein perfekter Ausgleich für den Bürojob und würde ihm helfen überschüssige Energie loszuwerden. Ich wette, dass ist nicht der einzige Grund, warum mein Bruder nach so was schaut. Sicherlich geht es auch um den Aspekt der Selbstverteidigung.
 

Dann schaut er mich plötzlich an und mustert mich. Er pokt mich in den Bauch und sagt mir, dass ich ein süßes Schwabbelbäuchlein hätte. Ich reiße entsetzt meine Augen auf und wiegle ab. Das stimmt gar nicht... ich zieh meinen Pullunder hoch und das darunter liegende Hemd, um den Gegenbeweis anzutreten und... verdammt... ich hasse es, wenn Seto recht hat. Vielleicht hab ich seit Weihnachten doch etwas zugelegt. Aber wie soll man auch Maß halten, wenn Katsuya so herrlich kocht und alles so gut schmeckt? Da kann man doch gar nicht aufhören mir essen.
 

Ich zieh den Laptop vom Wohnzimmertisch auf meinen Schoss und studiere auch die Kampfsportarten, die präsentiert werden. Was haben wir denn da? Kung Fu, Aikidō, Judo, Jiu Jitsu, Karate, Kendo, Taekwondo...

Kung Fu... hat zich Richtungen und Stile, die sich in innere und äußere Stile aufgliedern. Sich da durchzuwursteln und den richtigen - passenden - zu finden würde Wochen dauern. Jedenfalls wenn man es richtig machen möchte.

Aikidō ist eine betont defensive moderne japanische Kampfkunst, die noch recht jung ist. Ob das wirklich das richtige für Seto und mich ist... Defensiv klingt langweilig. Das wäre sicherlich nichts für uns. Außerdem kann Seto defensiv schon richtig gut, dass muss man nicht noch damit ausbauen.

Judo... schon das Prinzip "Siegen durch Nachgeben" klingt für mich nicht so nach mir. "Maximale Wirkung bei einem Minimum an Aufwand" klingt dagegen sehr wirtschaftlich und erinnert doch sehr an Setos Arbeit. Nein! Es soll ja ein Ausgleich sein und ein Kontrast darstellen... also wohl auch weniger.

Karate, der Klassiker. Wieso denke ich jetzt an "auftragen und polieren"? Zu viel Fernseh geschaut. Vielleicht hätte ich neulich nicht die vierteilige Filmreihe plus Neuauflage von Karate Kid schauen sollen. Aber Karate kam mir auch sehr offensiv vor und weniger zum Verteidigen als mehr zum Angriff geeignet. Mein Bruder wird nicht umsonst Drache von Katsuya genannt. Glaub noch offensiver würde ihm nicht gut tun.

Hm... Kendō... ich in so einer schicken Bōgu und mit einem Shinai. Das entspricht schon eher meiner Vorstellung von Kampfkunst. Aber man muss viel Zeit investieren, wenn man darin gut werden möchte und ist auch zur Selbstverteidigung wenig geeignet.

Taekwondo ist zur Abwechslung mal ein koreanischer Kampfsport. Der Sport ist sehr auf Schnelligkeit und Dynamik ausgelegt, im Vergleich zu den anderen Kampfsportarten dominiert die Fußtechniken. Hat Ähnlichkeit mit Kickboxen oder? Aber ich glaub für Taekwondo bin ich zu... ähm... gemütlich. Wie schaffen die das überhaupt ihre Füße soweit hoch zu heben? Da kriegt man doch einen Krampf im Schritt.

Jiu Jitsu klingt schon cool. Erinnert mich an Matrix. Sie stammt von Samurai ab und stellt eine waffenlose Selbstverteidigung dar... das klingt doch passend. Also klick ich es an und wir kriegen einige Trainingshallen... wie nennt man die hier gleich nochmal... Dōjō angezeigt.
 

Mir fallen gleich die Augen aus dem Kopf, es gibt dutzende von Dōjō im Stadtgebiet. Hätte nie gedacht, dass wir soviele haben, die nur Jiu Jutsu anbieten und unterrichten. Aber ein Dōjō bedeutet auch Kontakt zu Fremden. Ich blicke zu Seto auf und grüble kurz. Diese Kampfkunst in einem Dōjō zu lernen ist wahrscheinlich nicht drin. Vermutlich läuft es darauf hinaus, dass Seto den Trainer hierher bestellt.
 

Ich frag die beiden trotzdem, was sie von Jiu Jitsu halten und beide wechseln einen Blick miteinander. Dann wägen sie die für und wieder ab. Eigentlich sind sie sich einig, dass sie es zumindest versuchen wollen, nur brauchen sie unlängst mehr Worte und Zeit dafür. Also steh ich mitten in ihrem Wortabtausch auf und stell den Laptop zurück auf den Wohnzimmertisch und verlass das Wohnzimmer. Ich schlender in die Küche, wo ... noch gar kein Essen vorbereitet ist.
 

Hunger... ich hab Hunger. Also geh ich zum Kühlschrank und hol mir da irgendwo einen Pudding raus. Ich setz mich gerade an die Theke und will den Pudding essen, als Katsuya und Seto rein kommen. Sie werfen mir einen Blick zu, der mich fragt, ob ich das jetzt wirklich essen möchte. Keiner von ihnen sagt etwas, aber ihre Blicke... sind eindeutig. Trotzig öffne ich den Pudding und fang an den Matchapudding zu löffeln. Seto setzt sich neben mich und plötzlich wird mir ein 'Schwabbelbäuchlein' ins Ohr geflüstert. Als ich entsetzt zu Seto blicke lächelt er mich sanft an, als hätte er nichts gesagt. Demonstrativ schieb ich mir noch einen Löffel in den Mund. Katsuya grinst. Mein Blick fällt wieder auf meinen Bauch und... Scheiße!
 

Also steh ich auf und schmeiß den halb gegessenen Pudding in den Müll, geh zum Esstisch und lass mich da mit verschränkten Armen auf einen Stuhl fallen. Maaan, ich wette, dass dieser Pudding keinen Unterschied gemacht hätte, also was ist das Problem der beiden? Sie sind ja fast wie Eltern... ich stocke in meinen Gedanken. Schließlich lass ich meinen Blick über die Schulter fallen und schau zu ihnen. Seto steht hinter Katsuya, während er uns was kocht. Dabei hat er seine Arme um die Taille des Blonden gelegt und hält ihn sanft in seinem Arm. Sie sind wirklich wie Eltern. Ein warmes Gefühl macht sich in mir breit. Ich muss - obwohl ich sauer sein wollte - lächeln und freu mich, dass sie sich nach fast zwei Jahren endlich gefunden haben.
 

Meine Arme lösen sich wieder voneinander und ich steh wieder auf. Ich schlendere zu ihnen und als ich neben ihnen zum Stehen komme lächeln sie mich beide an. Dann bindet mich Katsuya sofort beim Kochen ein, lässt mich ein paar Sachen holen, irgendwas klein schneiden und schließlich zieht er mich vor sich und erklärt mir, wie man das jetzt kocht. Das ist irgendwie ein wirklich schönes Gefühl... eingebunden zu werden und Teil einer richtigen, kleinen Familie zu sein... nicht das Seto und ich nicht vorher schon eine Familie waren, aber mit Katsuya fühlt sich das jetzt vollständiger an.
 

Schließlich setzen wir uns an den Tisch und wollen essen, als die beiden mich anlächeln und fragen, was ich davon halten würde, mir mit ihnen später ein paar Dōjō anzuschauen. Ich nicke begeistert und quietsche ein wenig vor Freude. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Seto ein paar Anrufe macht und sich einige Trainer bei uns vorstellen würden. Doch das ist viel besser... Schließlich gehört dieser Geruch eines Dōjō irgendwo zum Trainingsfeeling dazu.
 

Also löffel ich schneller und blicke völlig entsetzt zu den beiden, als ich merke, dass sie sich beim Essen Zeit lassen und auch noch nett plauschen. Innerlich rauf ich mir meine Haare, als Katsuya mich anspricht. Ich blick ihn mit erschrockenen Augen an, doch er lächelt mich nur sanft an. Fragt mich, ob ich mich nicht umziehen möchte, während sie noch fertig essen. Ich blicke an mir runter und stell fest, dass ich immer noch meine Schuluniform anhabe. Also nicke ich nur und springe auf. Nachdem ich umgezogen bin warten die beiden in der Eingangshalle schon auf mich und wir können los.

Einen Schritt zurückweichen

Wir kommen in das siebte Dōjō heute. Die vorigen sechs waren... in Ordnung, aber mein Drache hat sich bislang immer an irgendetwas gestört. Zu modern, zu gut besucht, der Trainer war ihm unsympathisch. Doch jetzt scheinen wir gefunden zu haben, was wir suchen. Es ist ein klassisches Dōjō, vielleicht sogar aus dem 19. Jahrhundert. Klassischer Fußboden. Ganz vorne trainiert eine Frau die Kindergruppe, dahinter werden Sportler in unserem Alter unterwiesen. Weiterhinten sehen wir Mittdreißiger und ältere, die miteinander trainieren. Ganz hinten sitzt ein alter Mann und scheint alles genau zu überwachen.
 

Als ich zu meinem Drachen blicke sehe ich einen mehr als zufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht. Er beobachtet alles mit großer Zufriedenheit und wir scheinen endlich gefunden zu haben, was wir suchen. Er beobachtet den Umgang der Lehrer mit den Schülern und den Schülern miteinander. Schaut sich genau das Dōjō an und die dazu gehörigen Räumlichkeiten. Je länger er sich umschaut, desto zufriedener wird er. Schließlich kommt die Frau, die eben noch mit den jüngeren trainiert hat zu uns und fragt, ob sie uns helfen kann.
 

Seto nickt und beginnt sofort mit ihr das Gespräch. Er wirkt wie früher. Selbstbewusst. Von sich überzeugt. Kontrolliert. Stellt Fragen, bekommt Antworten, stellt Folgefragen, führt das Gespräch. Unglaublich, wie anders er auf einmal wirkt. Das kommt dem Kaiba Seto nahe, den ich kennen gelernt habe und den er so lange Zeit präsentiert hat. Nur das ihm seine Arroganz gänzlich abhanden gekommen ist. Dadurch wirkt er offen und sympathisch auf die Frau. Er sagt etwas, sie lacht an den richtigen Stellen... Flirtet sie mit ihm? Ich spür da ein Zwicken in mir.
 

Gerade als er fragt, ob es möglich wäre auch Privatunterricht zu bekommen, blickt sie ihn völlig entgeistert an. Sie kontert damit, dass gerade der Umgang unter den Schülern ein wichtiger Teil der Lektionen sei. Alleine wäre dieser Lerneffekt wohl kaum zu erreichen. Mein Drache wendet sich zu Mokuba und mir und meint, dass es hier um drei Neueinsteiger ginge. Erklärt, dass unser Alltag recht straff organisiert ist und es kaum möglich wäre da Training unterzubringen, wenn wir drei von unterschiedlichen Orten zu bestimmten Zeiten uns im Dōjō einfinden müssten.
 

Sie bedenkt kurz, was er ihr sagt und wendet sich dann ab, mit der Bitte, dass wir warten sollen. Ohne große Eile geht sie bis zum hintersten Ende der Halle, kniet sich neben den Alten und wechselt mit ihm einige Worte. Dieser scheint was zu erwidern und sie scheinen abzuwägen, ob es ratsam wäre unserer Bitte entgegen zu kommen. Schließlich winkt der Alte jemand herbei und wechselt auch mit ihm einige Worte. Der neue, ein Mann in den Zwanzigern blickt zu uns und auf einmal sehe ich, wie alle Farbe aus Setos Gesicht weicht.
 

Er wendet sich zu uns und meint, dass uns hier wohl nicht geholfen wird und wir weiter suchen müssen. Mein Drache möchte seine aufkommende Panik überspielen und uns drängen uns umzudrehen und den Dōjō zu verlassen. Doch weder Mokuba, noch ich verstehen, warum er das auf einmal fordert. Dann blickt mich Seto mit einem Blick an, der mich geradezu anfleht ihm entgegen zu kommen. Ich nicke also und lege eine Hand auf Mokubas Schulter.
 

Wir sind gerade aus dem Dōjō getreten als ich eine Stimme den Vornamen meines Drachen rufen höre. Wie erstarrt bleibt Seto stehen, knirscht mit den Zähnen. Dann, ganz langsam wendet er sich zu dem Trainer, den der Alte gerade zu sich gewunken hatte. Dieser lächelt ihn sanft und vorsichtig an, verbeugt sich ein wenig vor ihm. Er meint, dass es lange her wäre, dass sie sich das letzte Mal sahen und fragt nach seinem Wohlbefinden.
 

Auf einmal ist Seto wieder ganz der Alte, abweisend, kalt, arrogant. Er lässt den anderen auflaufen und verbietet sich die Vertraulichkeiten. Auf die Frage des anderen geht er gar nicht ein. Dann wendet er sich wieder ab und will zum wartenden Wagen. Da greift der Trainer in einer verzweifelten Geste nach Setos Handgelenk. Das lässt meinen Drachen vor Schreckt fürchterlich zusammen fahren und den anderen von sich stoßen, so dass einige Schritte zwischen ihnen liegen.
 

Für andere mag er immer noch kontrolliert wirken, doch ich erkenne die angehende Panik. Die weiten Augen, das angestrengte Atmen durch die Nase, der sich langsam bildende Schweiß, Mit einer gespannten, kaum hörbaren Stimme warnt er den anderen, ihn nie wieder zu berühren. Seine Stimme könnte Papier schneiden und es liegt eine außerordentliche Kälte in ihr.
 

Der andere blickt ihn schockiert an. Dann entschuldigt er sich bei Seto und fragt, ob wir nicht wieder mit ihm reinkommen wollen, um die Formalitäten für den Privatunterricht zu klären. Immer noch fixiert mein Drachen ihn und schüttelt dann den Kopf. Er meint, dass wir uns anderweitig umsehen werden. Damit tritt Seto einen Schritt zurück, immer noch den anderen fest im Blick, bevor er sich schließlich umdreht und in das Auto einsteigt. Mokuba folgt ihm prompt. Ich brauch einen Moment länger.
 

Für einen Augenblick seh ich Schmerz in den Augen des anderen aufflammen. Dann bemerkt er, dass ich ihn aufmerksam beobachte und der Schmerz verschwindet augenblicklich. Könnte das einer der Häscher meines Drachens sein? Eigentlich ist er dafür viel zu jung oder? Oder... in welcher Verbindung steht er sonst zu Seto?
 

Zu gerne würde ich ihn fragen, doch jetzt folge ich erst einmal meinem Drachen in das Auto, welche sich umgehend in Bewegung setzt und uns fortbringt. Seto bittet Fuguta nach Hause zu fahren. Scheinbar ist die Dōjō-Schau für heute zu Ende, auch wenn wir nicht fündig geworden sind. Aber ihn jetzt darauf anzusprechen ist nicht ratsam. Dass muss ich mir aufsparen, bis der Moment günstiger ist und er bereit ist für das Gespräch.
 

Mokuba blickt besorgt zu mir und ich lächle ihn beruhigend an. Er erwidert das Lächeln nur im Ansatz und dann richtet sich sein Blick kurz ängstlich zu seinem großen Bruder, bevor er aus dem Fenster schaut. Er versteht die Reaktion des anderen ebenso wenig, wie ich, auch wenn sich in mir eine Vermutung formuliert. Ob ich richtig liege... werde ich mit der Zeit rausfinden.
 

Plötzlich spüre ich, wie Mokuba sich an mich lehnt. Ich lege vorsichtig meinen Arm um die Schulter des Jüngeren und er schließt kurz die Augen. Er ist nicht dumm und hat ähnliche Schlüsse gezogen wie ich. Vielleicht... vielleicht sollte er bei dem Gespräch dabei sein? Aber ich fürchte, dass sich mein Drachen dann komplett sperren wird - so wie bei dem ersten Versuch einer Gruppensitzung. Da fällt mir ein... er... er weiß immer noch nichts davon, dass Mokuba mittlerweile von mehr als nur Gozaburo weiß. Bislang hat es sich einfach nicht ergeben ihm zu sagen, dass es notwendig war dem Kleinen mehr zu erzählen. Wie wird er wohl erst darauf reagieren?
 

Ich beschließe, erst einmal was Vernünftiges zum Abendessen zu machen und dabei meinen Kopf frei zu kriegen. Dann wird mir sicherlich auch aufgehen, wie ich Seto auf beide Themen ansprechen kann. Hoff ich zumindest.

Einen Schritt zur Ergänzung

Auch heute ist die Schule wesentlich kürzer ausgefallen, als normalerweise. Das liegt daran, dass ein Teil der Lehrerschaft krank ist. Die haben den Wechsel von Winter auf Frühling wieder nicht hinbekommen, haben sich vermutlich vom Sonnenschein zu leichter Kleidung verleiten lassen und haben sich dann die jährliche Frühlingsgrippe eingefangen. Pech für sie, Glück für mich. So kann ich früher heim und nach meinem Drachen schauen.
 

Ich hab mich entschieden zu laufen, da es erst Mittag ist und ich Fuguta nicht ungeplant aus seinen Tagesaufgaben reißen wollte. Hab ihm nur eine SMS geschickt, dass er mich nicht abholen braucht, nur später Mokuba. Als ich also das Anwesen erreiche seh ich unweit vom Tor einen jungen Mann stehen. Er kommt mir bekannt vor. Als ich näher komme erkenne ich den Trainer von gestern aus dem letzten Dōjō. Nur dass er heute normale Alltagskleidung trägt und nicht seine traditionelle Trainingskleidung.
 

Er blickt mich mit großen Augen an. Er hat stechend grüne Augen, ähnlich wie Otogi. Nur das Otogis Augen etwas dunkler sind. Er hat hellbraunes Haar und unter seinem Hemd kann man erahnen, was für Muskeln er sich durch sein Training angeeignet hat. Er grüßt mich und ich bleib stehen. Erwidere den Gruß und frage dann, was er hier tut. Mein Gegenüber bedenkt mich kurz mit einem musternden Blick, dann verbeugt er sich und stellt sich als Oshita Keizo vor. Oshita... irgendwas sagt mir der Name. Ich kann ihn nur nicht zuordnen.
 

Aber seine Vorstellung beantwortet mir nicht meine Frage, was er hier tut. Er wird doch nicht hergekommen sein, um uns doch noch zu überzeugen, uns bei seinem Dōjō einzuschreiben? Nein! Woher weiß er eigentlich, wo wir wohnen? Moment, er kennt Seto... also wird er auch wissen, wo er wohnt. Also wiederhole ich meine Frage freundlich. Er kratzt sich verlegen den Hinterkopf und fragt, ob Seto - irgendwie stört es mich, dass er meinen Drachen beim Vornamen nennt - irgendetwas erzählt hätte.
 

Ich schüttle den Kopf. Natürlich haben Mokuba und ich versucht gestern heraus zu finden, warum Seto auf den Trainer so reagiert hat. Doch er war absolut nicht gesprächsbereit. Schlussendlich hatte er sich in sein Büro zurück gezogen und die Tür abgeschlossen. Hatte wieder laute Musik angemacht und so zwei Stunden sich eine Auszeit erzwungen. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, daher bin ich vor der Tür sitzen geblieben.
 

Wieder mustere ich den Mann vor mir. Er ist nicht ganz so alt, wie ich ihn gestern geschätzt habe. Vielleicht 22 oder 23, also vier bis fünf Jahre älter als Seto. Woher könnte Seto jemand der vier bis fünf Jahre älter ist nur kennen? Vielleicht aus der Zeit im Waisenhaus? Oder aus der Grundschule, denn er war auf einer, bevor er adoptiert wurde. Das hat mir Mokuba mal erzählt. Aber würde man jemanden, den man vor mehr als acht Jahren das letzte Mal gesehen hat heute noch wiedererkennen... nein, Moment mal. Er wusste, wo Seto wohnt... also muss er ihn nach der Adoption kennen gelernt haben.
 

Also frage ich nun eindringlicher, woher er meinen Drachen kennt. Ein ganz ungutes Gefühl tut sich in mir auf. Eine Schamesröte zieht auf das Gesicht des Trainers und er antwortet nur, dass sie sich bei diversen Events Mal begegnet seien. Dass sein Vater und Setos Vater 'befreundet' gewesen seien. Mein Herz bleibt stehen. Mir fällt gerade ein, woher ich den Namen Oshita kenne. So hieß einer der Big Fives. Events? Er kennt Seto von einigen Events?
 

Er fragt mich, ob alles in Ordnung sei, weil ich plötzlich so blass geworden sei. Sanft hat er mich beim Arm gepackt, als ich ein, zwei Schritte taumle. Behutsam. Sanft. Tonlos hör ich mich fragen, von welchen Events er Seto kennt. Sein Blick geht schamhaft zu Boden. Seine Antwort ist so nichtssagend und sagt doch alles: Von privaten Events. Private Events... wie dem 'Wir vergreifen uns an einem wehrlosen Kind'-Event? Als er wieder zu mir hochschaut sehe ich Schmerz, Scham und Ekel. Mein Gehirn rattert. Vier bis fünf Jahre älter... das Gozaburo seinen 'Sohn' mit seinem 'Vorstand' zu teilen begann kam erst später, nicht direkt am Anfang. Also war er hier... 16 bis 19 Jahre alt?
 

Plötzlich kommt von ihm erkennend nur die Feststellung, dass ich Bescheid weiß. Ich versuch mich dumm zu stellen. Bescheid? Worüber? Er mustert mich. Versucht mich einzuschätzen. Dann meint Oshi... nein, ich kann diesen Namen, der meinem Drachen so viel Schmerz bereitet hat nicht mal ausdenken. Daher nehm ich mir die Freiheit ihn beim Vornamen zu nennen. Dann meint Keizo, dass ich sehr wohl wüsste worüber ich spreche. Dass er, ebenso wie Seto in den Fängen dieser Männer gewesen war und Setos Erfahrungen teilt.
 

Ich schlucke auf Grund der plötzlichen Offenheit. Ohne etwas Verfängliches oder Eindeutiges zu sagen, hat er sich mir offenbart. Ich blicke mich um und vergewissere mich, dass wir alleine sind. Frage, was er will. Wieder flammt die Schamesröte in ihm auf. Seine Antwort ist schlicht: Er will sich entschuldigen. Ich blicke ihn überrascht an und frage nach, wofür er sich entschuldigen möchte. Der Hellbraunhaarige blickt wieder zwischen uns auf den Boden.
 

Dann blickt er mich an. Er will sich dafür entschuldigen, dass er Seto nicht helfen und nicht vor diesen Erfahrungen bewahren konnte. Will sich dafür entschuldigen, dass er damals nicht die Kraft gehabt hatte, sich zu wehren und er alles getan hat, was sein Vater ihm aufgetragen hatte. Muss sich dafür entschuldigen, dass... er nichts tun konnte, nachdem sein Vater ihn rausgeworfen und enterbt hatte, weil er schließlich doch irgendwann den Mut gefunden hatte 'Nein' zu sagen.
 

Wieder schlucke ich. Ich kann ihn nicht mit zu Seto in die Villa nehmen, doch ich verspreche ihm, mit Seto zu sprechen. Dass ich auf ihn einwirken werde, dass er sich einem Gespräch mit Keizo nicht länger verschließt. Sein Lächeln ist ehrlich, aber es liegt eine Spur Bitternis in ihm. Er nickt und dankt mir. Dann wendet er sich zum Gehen. Ich halte ihn noch einmal am Arm fest und frage ihn nach seiner Telefonnummer. Er nickt und reicht mir seine Visitenkarte. Dann blicke ich ihm noch einmal in die Augen und danke ihm für seine Offenheit.
 

Er lächelt wieder und meint, dass Seto seinen Vertrauten gut gewählt hat und er sich glücklich schätzen kann, jemanden wie mich an seiner Seite zu wissen. Dann verbeugt er sich etwas vor mir und geht davon. Ich schau noch einen Moment auf die Visitenkarte. Dann steck ich sie weg. Ich geh zum Tor und werde dort ohne weiteres vom diensthabenden Torwächter herein gelassen.
 

Bevor ich ihn mit zu Seto nehme, muss ich mit Seto darüber sprechen und mir das, was Keizo erzählt hat bestätigen lassen. Nicht, dass er einer der Häscher meines Drachens war und mich gerade mehr als geschickt getäuscht hat. Das würde einen immensen Schaden bei meinem Geliebten anrichten. Gut, dass Moki erst in knapp drei Stunden nach Hause kommen wird. So kann ich das Gespräch in Ruhe suchen. Ich hoff nur, dass sich Seto nicht allzu sperrig geben wird. So sperrig, wie gestern. Aber ich bin guter Dinge. Und so betrete ich in dem Moment, in dem es zu Regnen anfängt das Haus.

Einen Schritt der Widersprüchlichkeit

Ich steh in meinem Büro am Fenster und blicke in den Garten hinaus. Hänge meinen Gedanken hinter her. Lasse den gestrigen Tag Revue passieren. Vor allem das letzte Dōjō. Unglaublich, wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass ich ausgerechnet ihm dort begegne? Keizo. Ich beiße mir auf die Unterlippe. So wie ich es immer tu, wenn die Anspannung in mir zu groß wird.
 

Oshita Keizo... Sohn von Oshita Konosuke. Konosuke... so ein widerlicher Typ, der Kogoro nie in etwas nachstand, außer dass er mich nicht ständig verfolgt und aufgelauert hat. Wenn sich eine Gelegenheit ergab hat er sie nicht ausgelassen. Aber in den ersten beiden Jahren war da noch Keizo... Kei... er hat die Aufmerksamkeit seines Vaters oft noch von mir gezogen und sich ihm angeboten, um mir eine Verschnaufpause zu verschaffen. Dafür bin ich ihm noch heute dankbar.
 

Doch dann wurde Kei zu alt, um Konosuke noch länger zu reizen. Da legte sich seine ganze Aufmerksamkeit auf mich. Ich schüttle mich. Das alles ist nichts, woran ich mich erinnern will. Mich überkommt eine Übelkeit. Doch ich will mich ihr nicht hingeben und versuche sie abzuschütteln. Konosuke war der älteste der Big Fives. Er war nicht umsonst Gozaburos bester Freund und Vertrauter. Die beiden waren sich so ähnlich. Vor allem in ihren Gelüsten und Grausamkeiten.
 

Aber Kei hat auch danach versucht mich zu beschützen... nun ja... jedenfalls will ich das glauben. Er... er hat einen neuen Reiz für Konosuke entwickelt. Er hat sich vor mich gestellt und... Konosuke eine Show geboten. Anfangs noch alleine, doch als der alte Sack ihn immer wieder wegschob band Kei mich in diese Shows ein... und dann...
 

Ich sag mir immer wieder, dass Kei damals das nicht hätte absehen können, wohin sich sein Rettungsversuch entwickelt. Als Konosuke von ihm verlangte, dass er mich... mich... Ich lehne meine Stirn an das kalte Glas und eine Hand daneben. Die andere hält meinen Magen. Die Übelkeit wallt wieder in mir auf. Langsam versuche ich durch die Nase zu atmen. Wieder zur Ruhe zu kommen. Doch die Bilder von damals gehorchen mir nicht mehr. Drängen sich aus dem hintersten Winkel in den Vordergrund.
 

Kei hinter mir. Neben mir. Auf mir. In mir. Ich kneife meine Augen zu. Beiße mir kräftiger auf die Unterlippe. Er... er war anders, als der Vorstand oder die speziellen Freunde von Gozaburo. Langsamer, sanfter, vorbereitender. Aber dennoch wollte ich es nicht. Er flüsterte mir immer wieder Entschuldigungen zu. Während der Vorbereitung. Während er in mich... Währenddessen... Danach... Aber diese machten es auch nicht einfacher, leichter oder gewollter.
 

Er versuchte mir Trost zu spenden, wenn sein Vater von uns abließ und uns alleine ließ. Nahm mich in den Arm und drückte mich an sich, während ich nur apathisch mit meinen Gedanken in einem sicheren Winkel meines Verstandes darauf wartete, dass es endlich aufhörte. Da spüre ich die erste Tränen sich aus meinem Auge pressen und die Wange runter laufen.
 

Mit der Zeit bemerkte ich die dunklen Ränder unter den eingefallenen Augen. Die blauen Flecken in den Armbeugen. Sah die Einstichstellen. Kei hatte einen Weg gefunden das alles auszublenden. Es für sich erträglicher zu gestalten. Manchmal... nur manchmal habe ich mir gewünscht, dass er mit mir die Drogen teilen würden, die ihn nichts mehr empfinden ließen. Die ihn dazu befähigten den Wünschen und Befehlen seines Vaters nachzukommen.
 

Plötzlich verschwand Kei aus meinem Alltag. Als ich fragte, was mit ihm wäre, hatten Konosuke und Gozaburo mich nur angelacht und gemeint, dass sie diesen 'Junkie' wie Müll entsorgt hätten. In meiner kindlichen Wahrnehmung kam diese Äußerung einem Geständnis gleich. Einem Mordgeständnis. Das hatte meine Angst weiter geschürt und auch wenn ich immer wieder von neuem in Erwägung zog, mich zu widersetzen, erinnerte ich mich an Kei.
 

Kurz nachdem ich die Kaiba Corp übernommen hatte und ich mal wieder auf dem Weg zu einem geschäftlichen Essen war, sah ich ihn in einer Gasse sitzen. Als ich an ihn heran trat, weil ich es nicht glauben konnte, war er aufgeschreckt und davon gelaufen. Ich weiß gar nicht, ob er mich damals erkannt hat. Er war ziemlich drauf gewesen. Vollgepumpt mit irgendeinem Zeug.
 

Da wurde mir klar, dass sie ihn gar nicht ermordet hatten. Sie hatten ihn wortwörtlich wie Müll entsorgt und in die Gosse geworfen. Ich hatte damals sogar Isono beauftragt ihn zu suchen, doch der konnte ihn nicht finden. Jedenfalls hatte er mir das gesagt. Hatte er ihn wirklich nicht gefunden oder hatte er ihn gefunden und mich von ihm fern gehalten, weil er wusste, welche Wunden das aufreißen würde? Ich schlucke. Mir wird wieder einmal bewusst, dass Isono viel mehr weiß, als ich denke.
 

Auf einmal spüre ich zwei Arme, die sich warm und behutsam von hinten über meine Brust legen. Ich schrecke auf und drehe mich eilig um. Blicke dann in honigbraune Augen und ein sanftes Lächeln. Katsuya. Ich schließe meine Arme um ihn und drücke ihn fest an mich. Verberge mein Gesicht an seiner Halsbeuge, während meine Finger sich in sein Hemd krallen. Ich ziehe seinen Geruch tief in mich ein und augenblicklich lässt der Orkan von mir ab. Die Erinnerungen weichen wieder etwas zurück. Mein Streuner erwidert die Geste einfach nur.
 

Erst nach einer ganzen Weile kann ich mich wieder von ihm lösen und blicke ihn an. Küsse ihn langsam. Als der Kuss endet zieht er mich zur Sitzgarnitur und wir setzen uns. Er erzählt mir langsam und sehr behutsam von seinem Treffen mit Kei vor dem Anwesen. Von Keis Anliegen. Ich presse nur meine Lippen fest aufeinander. Meide den Blickkontakt. Weiß einfach nicht, was ich von all dem halten soll. Meine Gefühle bezüglich Kei sind einfach so widersprüchlich.
 

Einerseits hat er versucht mich zu schützen. Das ist ihm auch gelungen. Jedenfalls gelegentlich. Hat oft sich angeboten, damit sein Vater von mir lässt und mir nicht weiter weh tut. Hat den Schmerz auf sich gezogen. Doch andererseits hat auch er sich mir aufgezwungen. Gezwungener Maße, ja. Aber wie soll ich mit jemanden umgehen, der... der... in mir drin...
 

Ich stütze mein Gesicht in meine Hand und fahre mir über das Gesicht. Es fällt mir so schwer ruhig zu bleiben. Mich nicht meiner Panik zu ergeben und mich der Übelkeit, die immer wieder in mir hochwallt, freie Hand zu lassen. Wieder löst sich eine verräterische Träne und Katsuya streicht sie mir sanft weg. Zieht mich dann in seinen Arm und an seine Brust. Bietet mit Halt und Schutz. Flüstert mir zu, dass ich noch nichts entscheiden muss.
 

Noch nicht!
 

Aber bald!
 

Dieses Mal kann ich nicht Isono schicken und ihn das regeln lassen.

Einen Schritt, um Position zu beziehen

Ich liege hinter meinem Drachen, halte ihn mit seinem Rücken eng an meine Brust gedrückt. Kann nicht schlafen. Mir gehen zu viele Dinge durch den Kopf. Zum Beispiel, warum mein Drache sich so untypisch platziert hat. Sonst liegt er mir zu gewandt, sein Kopf auf meiner Schulter, eine Hand auf meiner Brust. Warum er heute mit dem Rücken zu mir liegt... kann ich nicht sagen.
 

Seit unserem Gespräch über Keizo arbeitet etwas in ihm. Etwas, was er mir nicht zeigen will. Keizo... es muss was mit Keizo zu tun haben. Wenn Keizo ebenfalls ein Opfer dieses 'elitären' Kreises gewesen ist, dann würde mein Drachen doch nicht so abwehrend reagieren, oder? Oder hat er Angst, dass Keizo mir etwas erzählen könnte, was mein Drachen mir - noch - nicht anvertrauen möchte?
 

Ein Zucken erregt meine Aufmerksamkeit. Auf Setos Stirn sammeln sich Schweißperle. Er träumt. Das wird wieder ein heftiger Albtraum werden. Zieh ihn näher an mich. Streich ihm über das Haar. Flüstere ihm ins Ohr, dass ich da bin und er in Sicherheit. Wieder zuckt er zurück. Dann murmelt er was. Murmelt 'Kei'. Kei? Meint er Keizo? Hat er eine Koseform für ihn oder war der Name nur abgehackt? Dann wiederholt er den Namen und bittet ihn irgendetwas nicht zu tun.
 

Kei... Kei hat sich auch an meinem Drachen vergangen! Oder gibt es noch eine andere Interpretation dazu? Wieder zuckt mein Drache zusammen. Erste Tränen drängen sich aus den geschlossenen Lidern. Sanft streiche ich sie ihm weg. Er erzittert unter der Berührung. Hat er diese eben tatsächlich wahrgenommen ohne aufzuwachen? Normalerweise gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder er war so tief im Traum, dass er die Berührung nicht wahrnahm oder er schreckte davon auf.
 

Noch ehe ich weiter darüber nachdenken kann schreckt Seto zusammen und schlägt die Augen auf. Sein Atem geht schnell und abgehackt. Seine Hände sind in das Bettlaken verkrallt und Tränen laufen ihm nun offen über das Gesicht. Als ihm bewusst wird, dass ich ihn immer noch im Arm halte schält er sich eilig aus der Umarmung und rutscht zur Bettkante. Dort bleibt er sitzen, während seine Beine über die Kante baumeln. Er hat sich leicht nach vorne gebeugt und versucht seinen Atem zu beruhigen.
 

Langsam rutsche ich hinter ihn. Er soll nur spüren, dass er nicht alleine ist. Hänge mein Kopf über seine Schulter ohne ihn zu berühren. Noch immer weint er. Ich hebe meine Hand und streich ihm wieder über die mir zugewandte Wange. Mein Drache schluckt. Dann lehnt er sich gegen mich, lässt mich meine Arme wieder um ihn schließen. Ich platziere ihm einen Kuss auf die Wangen. Noch vor einigen Wochen hätte er sowas niemals getan, sich nach einem Albtraums o an mich geschmiegt.
 

Bevor ich entscheide, dass er sich genügend beruhigt hat, um mit ihm das Gespräch zu suchen beginnt er von alleine zu erzählen. Von Kei - Keizo - und wie es damals war. Erzählt mir von ihrer ersten Begegnung, wie der andere versucht hat ihn aus der Aufmerksamkeit seines Vaters zu nehmen oder es für ihn erträglicher zu machen. Aber auch davon, wie Kei von seinem Vater förmlich dazu gezwungen wurde ihn zu nehmen. Ich berichtige ihn mit dem Wort 'vergewaltigen'. Spüre, wie er sich schlagartig verspannt und zu zittern beginnt. Noch immer erträgt er dieses Wort nicht, obwohl wir es schon seit ein paar Wochen trainieren. Doch noch immer umschreibt er den Gewaltakt, als ihn zu benennen.
 

Er schüttelt plötzlich den Kopf. Das Wort passt nicht auf Kei, wendet er ein. Kei war selbst Opfer. Hat selbst die Grausamkeit seines Vaters und Gozaburo ertragen müssen. Tat nur, was unvermeidlich war. Um zu verhindern, dass einer der beide ihn in diesem Moment benutzte, was unlängst mit mehr Schmerz verbunden gewesen wäre. Er verteidigt Kei. Mit Herzblut. Was bedeutet das?
 

Dann erzählt er mir von einem dieser Momente. Einem Moment, in dem Gozaburo und Oshita gemeinsam ihn traktierten. Wie Kei dazu kam und sie abzulenken versuchte. Ohne Erfolg. Sein Vater wollte ihn gerade wegschieben und nach meinem Drachen greifen, als sich Kei wieder dazwischen schob und das Monster kess anlächelte. Ihm sagte, dass er ihm etwas ganz besonderes bieten könnte. Dann hatte er sich ihm zugewendet... war sanft gewesen... hat es langsam und behutsam getan. Aber mein Drache betont trotzdem, dass er es nicht gewollt hätte. Doch Kei war so anders dabei gewesen, als die beiden Alten.
 

In mir bildet sich Hass. Nicht auf Keizo. Der konnte scheinbar nicht zu allem. Er hat nur versucht es meinem Drachen erträglicher zu machen. Mein Hass richtet sich gegen diese Männer. Gozaburo ist schon tot... leider! Aber was ist mit Oshita... wo ist der? Nur zu gern würde ich ihn für das, was er diesen Kindern angetan hat, büßen lassen. Seinem eigenen Sohn... seinem Fleisch und Blut... kannten diese Männer denn gar keine Grenzen. Glaubten die, nur weil sie reich waren, könnten sie sich alles erlauben. Und wo zum Teufel war Keizos Mutter? Warum hat sie nicht gemerkt, was da vorging und ist eingeschritten? Warum hat sie nichts gegen ihren Mann getan?
 

Ich ziehe Seto näher an mich heran. Dann spüre ich auf einmal, wie sich bei mir Tränen lösen. Die Wut und die Trauer um diese beiden Kinder, die Keizo und mein Drachen einmal waren... Mein Drache schaut zu mir auf und streicht mir dann meine Tränen weg. Dann setzt er sich etwas auf und dreht sich ein wenig, so dass er mir gegenüber sitzt. Sanft zieht er mich plötzlich in seine Arme und tröstet mich. ER... MICH!
 

Tolle Stütze bin ich... eigentlich sollte ich ihn trösten und ihm helfen, dass was da unverarbeitet in ihm liegt zu verarbeiten. Aber ich sehe immer wieder mein Drachen als Kind und Keizo, wie sie versuchen aus einer ausweglosen Situation das Beste zu machen. Gezwungen waren unaussprechliches zu tun, als einzige Alternative zum qualvollen Schmerz. In was für einer Welt leben wir, in denen Männer mit Kindern so etwas machen können ohne, dass man ihnen beikommen konnte?
 

Meine Arme legen sich um Seto und ziehen ihn eng an mich. Meine Hand legt sich in seinen Nacken und hält ihn fest, während mir die Tränen weiter über das Gesicht laufen. In mir randaliert die Wut auf diese Männer. Ich weiß nicht, wie lang wir so dasaßen und einander hielten. Aber mein Drache beweist ein weiteres Mal wie stark er eigentlich ist. Mir Trost und Halt zu geben, während er sie doch ebenso brauchte.
 

Ich stemm mich ein wenig von ihm, blicke ihm in die überraschten Augen und lächle ihn sanft an. Was für ein starker, wunderschöner Drache, flüstere ich ihm zu, bevor ich meine Lippen auf seine lege und ihn behutsam küsse. Er erwidert den Kuss. Dann legen wir uns wieder hin. Dieses Mal... dieses Mal liegt er wieder mir zugewandt da. Kuschelt sich eng an mich. Ich lege meinen Arm um seine Schultern, streiche ihm durch das braune Haar.
 

Dann dämmert er wieder weg. Schläft mit einem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht ein. Ich streiche ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Doch ich finde einfach keine Ruhe. So liege ich noch eine ganze Weile weiter wach.

Einen Schritt der Erkenntnis

Der Wintergarten. Mittagszeit. Kai, der mir gegenüber sitzt. Alle außer mir noch in der Schule. Mein Hauspersonal irgendwo beschäftigt. Wir reden über belangloses. Smalltalk. Wie immer zum Einstieg. Um die Atmosphäre aufzulockern. Ein Gefühl der Vertrautheit aufkommen zu lassen. Längst keine Illusion mehr. Da ist wirklich eine gewisse Vertrautheit zwischen mir und ihm... nach nur sechs Wochen! Unglaublich.
 

Dann wird Kai etwas ernster. Meint er habe von meinem Vorhaben, mir ein neues Hobby zu suchen gehört. Natürlich hat ihm jemand davon erzählt. Die Frage ist nur ob es Mokuba oder Katsuya war. Mokuba sieht Kai erst morgen wieder, zu seinem regulären wöchentlichen Termin. Aber in unserer heutigen Zeit ist Kommunikation auf vielfältigen Wegen möglich.
 

Kai holt mich zurück ins Gespräch und ich nicke. Sag ihm, dass ich - wir - überlegen Jiu Jutsu zu lernen und wir uns einige Dōjō angeschaut haben. Scheinheilig fragt Kai nach, ob wir eines gefunden haben. Ich mein nur, dass einige vielversprechende dabei gewesen seien, aber wir uns noch für keines entschieden haben. Von meinem Therapeuten kommt nur ein 'Aha'. Dann stellt sich ein Schweigen ein.
 

Wie ich diese Situationen hasse, in denen ich weiß, dass Kai weiß, dass da mehr ist, als ich erzähle. Wie er taktisch dieses Schweigen provoziert und ich dann, weil mir die Situation im Ganzen so unangenehm wird, dann doch erzähle, was er ohnehin schon längst weiß. Auch dieses Mal klappt seine Taktik. Ich schlage meine Lider zu Boden und lecke mir fahrig über die Lippen, bevor ich eingestehe, dass das letzte Dōjō ganz meinen Erwartungen entsprach, um dort später, nachdem wir im Privatunterricht die Grundlagen gelernt haben, zu trainieren. Aber...
 

Aber? Wie soll ich Kai sagen, dass ich den Sohn eines meiner Häscher dort wiederbegegnet bin, der ebenfalls Opfer dessen perversen Neigungen geworden ist und der mich... Ich blicke ratlos zur Seite. Gerade heraus, entscheide ich schließlich. Also blicke ich zu Kai und erzähl ihm von Keizo. Erzähl ihm, was ich auch meinem Streuner heute Nacht anvertraut habe. Auch von dem Gespräch, dass Katsuya mit Kei vor dem Anwesen geführt hat. Wieso fällt es mir leichter, etwas zu erzählen, wenn ich es vorher Katsuya schon anvertraut habe? Hat das was mit Übung zu tun? Nicht abschweifen!
 

Schließlich blicke ich dann aus der Fensterfront des Wintergartens in den Garten selbst. Ich warte auf eine Reaktion von Kai. Was wird er für das Beste halten? Soll ich mich mit Kei treffen oder damit warten oder generell vermeiden? Doch er meint nur, dass ich da eine schwierige Entscheidung zu treffen hätte. Sofort blick ich ihn mit großen Augen an und erwarte, dass da noch mehr kommt. Doch scheinbar ist das alles, was mein Therapeut zu diesem Thema zu sagen hat.
 

Er spürt meine innere Empörung und lächelt mich sanft an. Dann sagt er mir, dass er mir diese Entscheidung nicht abnehmen kann. Seine Aufgabe wäre, mich auf meinem Weg der Bewältigung zu begleiten. Mir ab und an einen neuen Blickwinkel zu eröffnen. Aber er bewertet nicht und er kann mir nicht sagen, was ich zu tun habe.
 

Toll. Einfach großartig. Ich bin so schlau wie vorher. Woher soll ich wissen, ob ich ein Gespräch mit Kei führen soll... oder will... oder muss? Was, wenn ich ihn zum Gespräch bitte und dann, wenn ich ihm gegenüber stehe wieder panisch reagiere, so wie beim Dōjō... das hat Kei nicht verdient... nicht nach den Jahren, in denen er sich schützend vor mich gestellt hat. Warum reagiere ich auf ihn wie auf Kogoro, nur in abgeschwächter Form? Ich weiß doch, dass er das nicht wollte. Das er dazu gezwungen wurde.
 

Da setzt Kai endlich wieder an und tut das, was ich von einem Psychologen erwarte: Er erklärt mir meine Reaktion. Zeigt mir auf, wie ich eine solch unbewusste - automatische - Reaktion in den Griff bekomme und steuern kann. Solange der Stressfaktor nicht zu groß ist, merkt Kai noch an. Zeigt mir einige Übungen und Atemtechniken, mit denen ich gegen die Panik ankommen kann. Aber er sagt mir auch gleich, dass diese Techniken und Übungen erst trainiert werden müssen. Ich solle nicht vor nächster Woche etwas versuchen und auf gar keinen Fall allein. Auch gibt er mir den guten Rat einen Ort für das Treffen zu wählen, der für uns beide neutral ist und jedem von uns die Möglichkeit gibt, sich jederzeit zurück zu ziehen. Klingt vernünftig.
 

Dann lächelt er mich wieder an und meint, dass Katsuya ihm da einen Fortschritt berichtet hätte. Ich blicke ihn verwundert an. Ist das ein Themenwechsel? Auf... einen Fortschritt? Erst weiß ich nicht, worauf sich Kai beziehen könnte, doch dann wird es mir bewusst und ich spüre mein Gesicht erröten. Er... er redet von dem Blowjob.
 

Er fragt mich, wie ich mich dabei gefühlt habe. Wie ich mich gefühlt habe? Ich muss erst darüber nachdenken, bevor ich zu einer Antwort ansetze. Aufgeregt. Neugierig. Erregt. Angewidert. Beim letzten Wort werde ich leiser und blicke wieder auf den niedrigen Kaffeetisch, der zwischen der Couch, auf der ich sitze, und dem Sessel, auf dem Kai sitzt, steht.
 

Kai scheint zufrieden zu sein. Meint, dass es für mich also ein überwiegend positives Erlebnis war. Ich nicke. Lecke mir über die trockenen Lippen, die ich auf einmal wahrnehme und mich an der Spannung der Haut störe. Dann möchte er wissen, wieso ich mich so gefühlt habe, wie ich mich gefühlt habe. Überrascht blicke ich zu ihm auf.
 

Aufgeregt, weil ich das immer bin, wenn ich... aktiv werde und die Initiative ergreife. Weil es für mich eine so ungewohnte Rolle ist, die mir aber doch gut gefällt. Auch weil ich im Vorfeld nicht wissen konnte, wie Katsuya auf meine Initiative reagieren würde. Er hätte mich ja auch wegstoßen und fragen können, was das soll ihn einfach so zu betatschen.
 

Neugierig, weil ich nicht mit den körperlichen Reaktionen meines Streuners gerechnet habe. Obwohl er tief geschlafen hat, hat sein Körper auf meine Nähe reagiert. Als meine Hand seinen Penis erreichte, war dieser halb erigiert und gierte förmlich nach mehr Liebkosung. Hab nicht gewusst, dass sowas geht. Dachte immer, dass Erregung etwas ist, dass Bewusstsein voraussetzt.
 

Erregt, weil Katsuya ganz anders reagiert hat. Statt mich von sich zu stoßen und mich zu fragen, ob ich sie noch alle hätte, hat er meine Initiative begrüßt, gefordert und hat sich mir in bedingungslosem Vertrauen hingegeben. Schloss die Augen und genoss, was ich da tat. Das hat mich unglaublich erregt.
 

Angewidert, weil... ich hasse es, zu schlucken.
 

Wieder kehrt Stille ein und ich schau verlegen wieder aus dem Fenster in den Garten hinaus, der langsam wieder beginnt aufzublühen. Dann hör ich Kai nachfragen, was mit dem Oralverkehr an sich ist. Ob der mich auch anwidert. Überrascht blicke ich wieder zu ihm und schüttle mit dem Kopf, noch ehe mir meine eigene Antwort bewusst ist. Der hat mir bei Katsuya tatsächlich nichts ausgemacht. Sein Glied war so anders als die von den... anderen.
 

Dann fragt mich Kai, ob ich weiß, dass das Schlucken nicht zwangsläufig zum Oralverkehr dazu gehört. Dieser Satz trifft mich wie ein Vorschlaghammer. Ich sitz einfach nur da und blinzle verwirrt. Mit einem seichten Schmunzeln erklärt mir Kai, dass es viele Frauen und Männer gibt, die zwar gerne blasen, aber nicht schlucken. Wenn mir als das eine Spaß macht und nicht unangenehm war, dann heißt das nicht zwangsläufig, dass ich den Erguss schlucken muss. Man spürt durch das Pulsieren ja, dass der Erguss auf dem Vormarsch ist und dann kann man entsprechend reagieren. Es vergehen einige Minuten, bis Kai schließlich langsam aufsteht und meint, ich solle das mal mit meinem Streuner besprechen. Dann geht er.

Einen Schritt der Ehrlichkeit

Langsam wache ich auf. Die Sonne scheint sanft in unser Zimmer. Meine Hand legt sich auf den Fuß der Nachttischlampe und schaltet sie aus. Ist hell genug. Eigentlich viel zu hell. Ich liebe es, wenn ich am Morgen von alleine wach werde und nicht von einem Wecker aus meinem Schlaf gerissen werde. Einem Wecker, der mir nur sagt, dass ich aufstehen muss, weil Schule, ... weil Arbeit, ... weil Zwang.
 

Eine Bewegung in meinem Arm erregt meine Aufmerksamkeit. Ich blickte hin und muss lächeln. In meinem Arm liegt mein Drache und schläft noch. Friedlich. Wundert mich. Hätte mit mehr Albträumen... mit heftigeren Albträumen gerechnet, nachdem er Keizo begegnet ist. Vor allem weil Keizo irgendwie Täter und Opfer zu gleich ist. Nein... das ist der falsche Ansatz darüber zu denken. Er wurde gezwungen. Zu allem. Er ist durch und durch Opfer. Wie mein Drache. Punkt!
 

Mein Drache kuschelt sich enger an mich. Sanft streich ich ihm durch das Haar, über den Nacken den Rücken hinunter und dann wieder hinauf. Für einen Moment wünsch ich mir, dass dieser Augenblick einfach anhält und niemals vorüber geht. Nicht weil er so schön ist. Doch natürlich ist er schön. Aber das ist nicht der Grund für meinen Wunsch. Der Grund für meinen Wunsch liegt im gestrigen Abend begründet.
 

Ich hab das Gefühl, dass Seto sauer auf mich ist. Dabei sagt er mir nicht warum. Hab schließlich nachgefragt. Weiß nicht, ob er mir nicht antworten konnte - weil es ihm selbst nicht bewusst ist - oder ob er nicht antworten wollte - weil unsere Freunde gestern für das Wochenende kamen. Seit seiner unfreiwilligen Offenbarung liegt irgendetwas im Argen zwischen uns. Immer wenn die anderen da sind ist er komisch. Nicht ihnen gegenüber. Scheinbar hat er sich mit seinem Ausrutscher gut arrangiert. Aber mir gegenüber ist er... nicht wie sonst.
 

Schließlich brummt mein Drachen, als ihm ein Sonnenstrahl ins Gesicht fällt und er langsam wach wird. Als er seine Augen öffnet und zu mir schaut lächle ich ihn an. Er neigt das Gesicht nochmal und versucht es an meiner Brust zu verbergen. Scheinbar ist er noch nicht so weit aufzustehen. Dabei zählt er eigentlich zu den Frühaufstehern. Wie immer gebe ich ihm die Zeit, die er braucht. Schließlich hebt er noch einmal den Kopf und blickt mich an. Wieder lächle ich ihn an und er bedenkt mich mit einem mürrischen Blick. Dann setzt er sich auf. Na nu!?
 

Ich setz mich auch auf und als er aus dem Bett steigen möchte leg ich meine Hand auf seine Schulter und hindere ihn. Er blickt über seine Schulter zu mir zurück und hält inne. Also frag ich ihn, was los ist. Erst einmal wiegelt er ab. Das ist nichts Neues. Es fällt ihm immer noch schwer direkt zu antworten, wenn er eigentlich keinen Bock hat. Also rutsch ich hinter ihn, schling meine Arme um ihn und leg meinen Kopf auf seine Schulter. Meine Hände ruhen auf seiner Brust, dort wo ich sein Herz schlagen fühlen kann. Er lässt seinen Kopf ein wenig nach vorne fallen.
 

Nachdem einige Augenblicke vergangen sind, meint er, dass Kai ihn gestern auf den Blowjob angesprochen hätte. Nichtverstehend schau ich ihn von der Seite her an. Dann fragt er mich leise, warum ich Kai davon erzählt habe. Ich bin ein wenig überrascht über die Frage. Also beantworte ich sie ihm direkt und ohne Weiteres, das ich die Tage mit Kai telefoniert hätte und irgendwie das Thema drauf kam. Nicht mehr und nicht weniger. Nach meiner Antwort frage ich ihn, ob ihn das stört, dass ich mit Kai offen spreche. Er scheint etwas abzuwägen und meint dann, dass es ihn nicht wirklich stört, aber es ihn einfach unvorbereitet getroffen hätte und er sowas nicht mag. Das ich ihm einfach das nächste Mal sagen soll, wenn ich Kai etwas erzähle, was auch ihn betrifft. Ich nicke und verspreche es ihm.
 

Dann frag ich, was ihn noch stört. Jetzt schaut er mich überrascht an, bevor er seinen Kopf wieder abwendet. Er knirscht mit den Zähnen. Scheinbar missfällt es ihm, dass ich ihn so gut durchschaue. Aber was soll ich machen? Mich dumm stellen. Nein! Hab ich nie. Werd ich nie. Dann merk ich, wie er schluckt. Das macht er nur, wenn er sich zu etwas durchringen muss. Dann blickt er zu mir und meint, dass das alles nicht fair wäre. Verwundert blick ich ihn an. Was meint er? Was ist nicht fair?
 

Er löst sich aus meiner Umarmung, steht auf und bringt drei, vier Schritte zwischen uns. Dann dreht er sich zu mir um und schaut mich ruhig an. Scheint nach Worten zu suchen. Ich bleib vorerst auf dem Bett. Will ihm den Raum geben, den er gerade scheinbar notwendig hat. Dann verschränkt er die Arme vor der Brust und wirkt auf mich wie früher, als er noch versucht hat, sich arrogant und von oben herab zu geben. Okay, streicht das 'versucht'.
 

Plötzlich plappert er regelrecht los. Meint, dass er, wie ich, ein Geheimnis hatte, dass er gut gehütet hat. Dann offenbare ich es erst seinem Bruder, dann Kai und schließlich Honda. Weil er Honda nicht einschätzen konnte hat er sich dann vor dem 'Kindergarten' verplappert und jetzt wissen alle auch noch von seinen Narben. Er fühlt sich so entblößt, aber okay, damit kann er umgehen und es überspielen... aber... ABER...
 

Dann hält er inne. Es ist, als würde ihm auf einmal klar, dass das, was er anbringen möchte jeglicher Logik entbehrt. Ich ziehe meine Stirn kraus, steige vom Bett und gehe langsam zu ihm. Sanft löse ich seine Arme vor der Brust und nehme seine Hände in meine. Blicke ihn fragend an. Bitte ihn, seinen Gedanken zu Ende zu führen. Möchte wirklich wissen, was meinen Drachen so stört.
 

Mit unerwartet leiser Stimme und einem ausweichenden Blick stammelt er schließlich, dass alle immer mehr über ihn erfahren würden. Obwohl sie erst seit kurzem 'richtig' mit ihm befreundet sind. Aber über mich... und mein Geheimnis wissen sie gar nichts und er versteht nicht, warum er sich nicht schämen braucht, ihnen zu zeigen, wie er wirklich ist... was in seiner Vergangenheit liegt... aber ich... ich nach wie vor an meinem Geheimnis festhalte.
 

Überrascht blick ich ihn an. In meinem Hirn fängt es an zu arbeiten. Ist dem wirklich so? Ja, irgendwo schon. Ich predige ihm, dass nichts dabei ist, wenn andere davon wissen, was er alles durchmachen musste. Das es gar nicht schlimm ist, wenn sie ab und zu einen Blick auf den 'echten' Kaiba Seto bekommen und er sich für seine Narben nicht schämen muss... Aber... ich und meine Vergangenheit... da schweige ich mich drüber aus. Okay, es ist auch nichts, was man so mal lapidar vom Stapel lässt, wenn man an den Frühstückstisch kommt... aber ich verstehe was er meint.
 

Sanft lächle ich ihn an und nicke. Danke ihm für seine Ehrlichkeit und verspreche, dass sich was ändern wird. Er lehnt seine Stirn an meine und blickt mir tief in die Augen. Sucht scheinbar nach einem Anzeichen, dass ich verletzt oder beleidigt bin. Seine Unsicherheit ist manchmal schon süß... aber ich muss ihm unbedingt die Angst nehmen, die da unterschwellig mitschwingt.
 

Langsam lege ich meine Hand an seine Wange zieh ihn zu mir und küsse ihn zärtlich. Es ist ein genüsslicher, ruhiger Kuss. Als er endet lächle ich meinen Drachen an und frag ihn, was er davon hält, mit mir zusammen duschen zu gehen. Er blickt mich fragend an, dann umspielt ein Grinsen seine Lippen, schließlich nickt er. Oooh, da ist sie verschwunden, die Unsicherheit... nur noch aufkeimende Lust und Leidenschaft sind zu sehen. Jetzt muss auch ich grinsen.
 

Gerade als ich ihn ins Badezimmer ziehen möchte, ergreift er die Initiative und zieht mich. Oh, da ist wohl gerade der Drache in ihm erwacht... schön... es gefällt mir immer sehr, wenn Seto seine Scheu verliert und die Führung übernimmt. Das zeigt mir, dass wir auf einem guten Weg sind... dem richtigen Weg sind... Dem Weg in die Zukunft.

Einen Schritt voller Hitze

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt von Jonouchi

Gerade als mich Ryuji auf das Bett wirft klopft es an der Tür. Mein Freund lässt sein Kopf hängen, so dass seine langen, nassen Haare auf meiner Schulter fallen und mein Shirt feucht wird. Ich blicke zur Tür und warte einen Moment, dann wiederholt sich das Klopfen. Ryuji steigt von mir runter, zieht sich sein Shirt über und geht dann zur Tür, während ich meine Hose schließe.
 

Vor der Tür steht Jou und blickt fragend in das Zimmer, bevor er auf seine ganz typische Art und Weise plötzlich grinst. Er entschuldigt sich für die Störung und fragt, ob er mich kurz alleine sprechen könnte. Ryuji blickt kurz zu mir und nickt dann, bevor er noch einmal schnell ins Badezimmer läuft und seinen Kajalstift holt. Ich seufzte, denn ich verstehe nicht, warum er sich nicht einfach so den anderen gegenüber präsentieren kann. Immerhin wissen sie doch auch von der Narbe. Also warum noch verstecken? Doch ehe ich was sagen kann verschwindet er bereits und schließt hinter sich die Tür.
 

Ich grins Jou an und frag, was es gibt. Ob es ein Problem mit seinem 'Drachen' gibt. Sein Grinsen wird wieder breiter, als er mich diesen Kosenamen seines Freundes aussprechen hört. Schüttelt dann den Kopf und verliert plötzlich seine sorgenfreie Ausstrahlung, die er sonst um jeden Preis aufrecht erhalten will. Natürlich weiß ich, dass es nur eine Fassade ist. Ähnlich dieser abweisenden Art, die letztes Jahr noch seinem 'Drachen' zueigen war. Mir war nur nie klar, was er damit verbergen wollte.
 

Unruhig geht der Blonde in meinem Zimmer hin und her und fährt sich dann durch das Haar. Ich geh zu ihm, pack ihn an den Schultern und schau ihm in die Augen. Dann zieh ich ihn zu der Sitzgarnitur, die es in diesem Schloss scheinbar in jedem Schlafzimmer gibt. Dort setzen wir uns hin und ich frag behutsam, worüber er mit mir reden will. Er holt tief Luft, während seine Hände aneinander herum nesteln.
 

Endlich, nach Augenblicken des angespannten Schweigens, fängt er dann endlich an, was zu sagen. Jou meint, dass er mir etwas erzählen müsste, was er lange Zeit für sich behalten hätte. Von dem bis letztes Jahr nur seine Familie wusste. Und er es mir eigentlich schon längst hätte erzählen sollen, aber es hätte sich dafür nie wirklich die richtige Gelegenheit eröffnet und... überhaupt... er druckst nervös hin und her in Entschuldigungen und Erklärungen. Also greife ich nach seinen Händen und stoppe ihn, sowohl beim Nesteln, als auch beim Sprechen. Bitte ihn, mich anzuschauen. Er hebt sofort den Blick zu mir und beißt sich auf die Unterlippe.
 

Hm... das hat irgendwie Ähnlichkeit mit Seto, als er vor einer Woche zum ersten Mal wieder einen klaren Kopf gehabt hatte und ihm bewusst wurde, was Jou mir über ihn alles erzählt hat. Und tatsächlich muss ich zugeben, dass der Blick meines besten Freundes wirklich genauso aussieht, wie der von Seto. Er schluckt noch einmal und dann platzt es aus ihm heraus. Mit nur einem Satz offenbart er mir, dass er als Kind missbraucht worden ist.
 

Das zu hören fühlt sich an, als würde jemand mit einem Holzbrett und viel Schwung in mein Gesicht schlagen. Ich brauch einen Moment bis ich die Tragweite verstehe. Erkenne, dass er nicht von ungefähr den gleichen Ausdruck eben hatte, wie sein 'Drache', sondern dass dieser Ausdruck vom gleichen Erlebnis herrührt. Mein Griff um seine Hände wird fester. Tatsächlich aber halten seine eher meine. Mein... mein bester Freund... missbraucht?
 

Er wartet eine Weile bis er fragt, ob bei mir alles okay ist. Nein! Nichts ist okay! Es ist, als hätte jemand gerade ein Bild schief gehängt, dass die ganze zeit gerade hing... oder hing es schief und wurde gerade gerückt? Meine Gedanken schwirren wild umher und ich fühl plötzlich eine große Traurigkeit in mir aufkommen. Traurigkeit darüber, dass mein bester Freund so etwas erleben musste. Aber auch Traurigkeit darüber, dass er mir erst jetzt davon erzählt.
 

Also frag ich ihn, warum er es mir jetzt erzählt. Warum nicht schon früher? Warum überhaupt? Er antwortet, dass Seto ihm klar gemacht hat, dass er zwar von ihm erwartet, mit dessen Vergangenheit offen umzugehen, weil es nichts gibt, wofür er sich schämen müsste, aber gleichzeitig mit seiner eigenen Vergangenheit doch mehr als diskret umgeht und eigentlich das genau Gegenteil von dem tut, was er seinem 'Drachen' rät. Es wäre ihm wichtig, dass er es mir als erstes sagt, weil ich sein bester Freund bin.
 

Ich frage nochmal, warum er mir das nicht schon früher erzählt hat. Er zuckt - scheinbar nichtwissend - mit den Schultern. Es habe sich nie eine Gelegenheit eröffnet, in der er es hätte aufgreifen können, meint er leise. Nur langsam beruhigen sich meine Gedanken und mein normales Denken setzt wieder ein. Sanft zieh ich ihn zu mir und nehm ihn in den Arm. Er erwidert diese Umarmung. Als wir uns nach einem langen Moment lösen, frag ich ihn, wann das alles geschehen war und wer das Schwein war.
 

Da erzählt er mir von dem kleinen Katsuya, gerade in die Grundschule gekommen war, und dem alten Restaurantbesitzer. Wie dieser ihn immer wieder gehascht und missbraucht hatte. Das sein Vater den Alten schließlich auf frischer Tat erwischt, ihn umgeboxt und seinen Sohn ins nächste Krankenhaus gebracht hatte. Davon, wie sein Vater danach den Restaurantbesitzer erst kastriert und dann ermordet hat. Was für ein Input. Ich kann es kaum glauben, dass all das hinter dieser sonnigen Fassade meines Freundes verborgen lag. Ich bin einfach nur sprach- und fassungslos.
 

Wieder entsteht eine Stille zwischen uns. Ich breche diese Stille und danke Jou, dass er sich mir anvertraut hat. Sein Lächeln ist von einer gewissen Bitternis durchzogen. Verständlich nach dem Thema. Da würde selbst er nicht einfach wieder auf seinen sonnigen Modus schalten können. Unglaublich. All die Jahre schleppt er das mit sich herum und sagt kein Wort.
 

Leise frag ich ihn, ob er eine Therapie macht. Jetzt verschwindet die Bitternis aus seinem Lächeln. Die habe er schon hinter sich. Sein Vater hat sie ihm ermöglicht und sein Therapeut war einfach großartig. Hat ihm geholfen, dass alles gut zu verarbeiten und ihm ermöglicht, ein halbwegs normales Leben zu führen. Klar, sei die Erinnerung noch immer in ihm und manchmal reagiert er auch dadurch anders, als man es erwarten könnte, aber im großen und ganzen schränkt ihn die Erfahrung, die er machen musste, nicht sonderlich ein. Und wenn er doch einmal an eine Hürde stößt, dann kann er sich vertrauensvoll wieder an seinen Therapeuten wenden und dieser hilft ihm dann auch diese zu überwinden.
 

Das beruhigt mich. Gut, dass er das alles schon psychologisch angegangen hat. Aber, kann man wirklich so eine Erfahrung so gut wegstecken, dass sie das Leben wirklich nur noch sporadisch berührt? Oder ist das eine Selbstillusion, der er da aufgesessen ist? Als ob er meine Gedanken lesen kann meint er schließlich, dass man sich davon einfach nicht beherrschen lassen darf. Man muss seine Vergangenheit - so unschön sie auch gewesen sein mag - als Teil von einem selbst akzeptieren und an den daraus resultierenden Ängsten und Phobien arbeiten. Dann hat man da eigentlich gute Chancen doch irgendwie ein 'normales' Leben führen zu können.
 

Wir sitzen noch eine ganze Weile zusammen und reden darüber. Ich darf Fragen stellen, die er versucht mir zu beantworten. Es wird wohl noch lange dauern, bis ich das alles in Einklang mit dem bringen kann, was ich von dem Blonden gewohnt bin und von ihm kenne. Aber er hat mir - als erstes von allen - diesen ganz privaten Teil offenbart.

Einen Schritt zur Stressbewältigungsübung

Das ist doch völliger Stumpfsinn. Was soll das bringen. Wir sitzen hier bestimmt schon fünf Minuten und mein Streuner sagt mir immer wieder im ruhigen Ton, dass ich ganz ruhig bin. Er möchte, dass ich diesen Satz wiederhole, aber ich komm mir dabei vor wie ein Depp. Dann werde ich auf einmal gegen die Schulter geboxt. Entsetzt blick ich ihn an und reib mir die Schulter. Der Schlag hat nicht weh getan, aber ich bin es nicht gewohnt, dass er... handgreiflich wird.
 

Ich soll aufhören mit denken und nur auf seine Stimme hören. Nur zu gern würd ich ihn gerne darauf hinweisen, dass denken ein Prozess ist, der automatisch abläuft und nicht einfach so abgestellt werden kann. Doch ich denke, dass würde nur zu einer Wiederholung des Angriffs auf meine Schulter führen. Doch was soll ich machen. Was er fordert ist für mich nicht möglich. Meine Gedanken sind immer da... wenn nicht beruflich, dann mit meinem Bewältigungsprozess.
 

Katsuya seufzt und meint, dass wir nicht die richtige Position haben. Sanft drückt er gegen meine Brust und bringt mich auf dem Rücken zu liegen. Er nimmt meine Hände und positioniert sie neben meinem Körper, dann krabbelt er zu meinem Kopf, bettet diesen auf seine Knie und sagt mir, dass ich jetzt locker lassen und nur auf seine Stimme hören soll. Ich soll meine Augen schließen und ich schau ihn fragend an. Dann schließe ich meine Augen. Ich bin bei ihm gut aufgehoben.
 

Immer wieder wiederholt er den gleichen Satz. Sanfter Tonfall. Aber die Wiederholung nervt. Dennoch hört er nicht damit auf. Schließlich nimmt er meine Hände und legt sie mir auf den Bauch. Ich solle so tief einatmen, dass ich dabei meine Hände mit meinem Bauch nach oben stemme. Erst entspannen, jetzt... meine Hände mit dem Bauch nach oben stemmen?
 

Da kommt wieder von ihm dieser Satz. Also, ich bin ruhig... arg, jetzt denke ich diesen vermaledeiten Satz sogar schon. Egal jetzt, ich soll meine Hände beim Einatmen mit dem Bauch in die Höhe stemmen. Krieg ich hin. Also atme ich ein und... merke das der Atem wo ganz anders landet. Mein Brustkorb bewegt sich, aber nicht mein Bauch. Sicherlich hab ich nicht tief genug eingeatmet. Also gleich noch mal... ausatmen und tief einatmen... doch wieder hebt sich mein Brustkorb. Wie soll das gehen? Das ist bestimmt so eine Übung, bei der man das Ziel niemals erreichen kann.
 

Katsuya meint sanft, ich soll mal kurz den Kopf heben und ihm zuschauen. Ich tu, wie er mir heißt und er legt sich neben mich. Erst mit den Armen neben dem Körper, er schließt die Augen, dann hebt er seine Hände auf den Bauch und atmet tief ein und... sein Bauch stemmt mit Leichtigkeit die Hände in die Höhe und als er ausatmet, sinken die Hände auf dem Bauch liegend, wieder mit nach unten. Er wiederholt es zwei, drei Mal. Verdammt... also doch kein unerreichbares Ziel?
 

Ich lege mich wieder auf den Rücken, schließe meine Augen und bin ruhig... Scheißsatz. Aber scheinbar gehört er zur Übung... Also: Ich bin ruhig. Dann heb auch ich meine Hände auf den Bauch und atme ein. Tief ein. Tiefer. Und tatsächlich hebt sich mein Bauch etwas. Aber ich muss mich voll darauf konzentrieren, dass ich wirklich richtig tief einatme.
 

Also konzentriere ich mich darauf richtig zu atmen und tatsächlich gelingt es mir nach wenigen Atemzügen die Hände mit dem Bauch weiter hoch zu stemmen. Und tatsächlich stellt sich in mir eine nicht gekannte Ruhe ein. Ich fühle mich schwer und meine, dass meine Arme warm werden. Ich atme wieder ein und spüre, wie ich langsam wegdrifte. Und dann, dann wird es dunkel um mich.
 

Als ich meine Augen wieder auf mache bin ich alleine. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich fast eine ganze Stunde geschlafen habe und wir kurz vor zwölf haben. Ich setz mich auf und fühl mich eigentlich ganz gut. Fit und erholt. So gut hab ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Also schwing ich meine Beine aus dem Bett, schlüpf in meine Hausschuhe und verlasse unser Zimmer.
 

In der Eingangshalle erfüllt ein aromatischer Duft die Luft. Er riecht wirklich gut. Also steige ich die Stufen hinunter ins Erdgeschoss und wende mich dann der Küche zu. Als ich die Schwingtür passiere steht nicht nur mein Streuner in der Küche, sondern alle. Sie sind alle gemeinsam am Kochen. Als Katsuya mich sieht kommt er sanft lächelnd zu mir und küsst mich sanft. Ich erwidere den Kuss.
 

Schließlich bezieht mich Katsuya auch ins Kochen mit ein, doch als ich sehe, was er da kocht... wird mir wieder mulmig im Magen. Westliches Essen. Ich dachte mein Streuner wüsste, dass ich dieses Zeug nicht mag. Da flüstert er mir ins Ohr, ich soll tief einatmen und meinen Satz denken. Meinen Satz? Etwa der 'Ich bin ruhig'-Satz? Ich versuche einzuatmen und meinen Bauch sich heben zu lassen, doch es will mir nicht gelingen. Ich versuch es noch einmal, doch wieder gelingt es mir nicht.
 

Sanft legt mir Katsuya eine Hand an die Wange und meint, dass wir noch ein paar Übungen brauchen, bis ich es auch so kann. Dann lächelt er mich an und bittet mich den Tisch zu decken. Ich nicke und tu, um was er mich gebeten hat. Am Tisch, etwas abseits von den anderen schließe ich meine Augen. Mental wiederhole ich den Satz zwei, drei Mal und atme dann ein. Ich kann nicht spüren, ob ich gerade mit der Brust oder dem Bauch atme. Also leg ich meine Hände auf den Bauch, atme nochmal ein und... nichts... Vielleicht hat mein Streuner recht und ich brauch mehr Übung.
 

Dann atme ich noch einmal tief ein und meine Hände werden ein wenig - nicht viel - von mir weggedrückt. Meine Augen gehen auf und ich bin von mir selbst überrascht. Meine Hände wurden gerade von meinem Bauch ein ganz kleines Stückchen weggedrückt. Irgendwie freu ich mich Mega darüber. Pah... ein paar Übungen... ich bin Kaiba Seto...!

Ich hab mit 15 Jahren meinem Adoptivvater seine Firma weggenommen, um ihm seiner Macht zu berauben. Da wird so eine Atemübung ja wohl nicht das Problem sein! Dieses Gefühl des Triumphes fühlt sich super gut an.

Einen Schritt der Vorbereitung

Die anderen sind gerade nach Hause aufgebrochen und ich sitz mit Seto noch im Wohnzimmer auf der Couch und zocke mit ihm Street Combat. Aber gegen meinen großen Bruder hatte ich noch in keinem Spiel eine Chance. Und obwohl ich jede Runde verliere frustriert mich das absolut nicht, denn es kommt nicht oft vor, dass Seto sich die Zeit nimmt, um mit mir einfach mal zu zocken.
 

In diesem einen Moment ist es völlig egal, was gewesen war oder gerade ist. Wir sind einfach Brüder, die etwas Spaß zusammen haben. Wir kabbeln uns, frotzeln herum, lachen gemeinsam. Das ist so selten, dass wir so einen Moment nur für uns alleine haben. Es ist einfach großartig. Da macht es - wie gesagt - auch gar nichts, dass ich an einer Tour verliere.
 

Da gelingt mir eine Combo, die Seto mit seiner Figur nicht blocken kann. Meine Figur haut seine ungespitzt in den Boden und ich gewinne zum ersten Mal eine Runde. Ich springe vor Freude auf und hüpfe auf und ab. Tatsächlich quietsch ich dabei, weil ich es einfach nicht fassen kann. Auf einmal werde ich umgeworfen auf die Couch und spüre die Finger meines Bruders, wie sie mich an meiner Seite traktieren. Ich kann nicht anders, weil ich saukitzlig bin als laut zu lachen und darum zu betteln, dass mein Bruder aufhört. Doch er lacht auch und dafür pinkel ich mir gerne fast in die Hose.
 

Schließlich liegen wir atemlos nebeneinander auf der Couch, haben beide Lachtränen im Auge und sind glücklich. Wann war Seto jemals so ausgeglichen und locker drauf? Liegt das an dieser Entspannungsübung, die Katsuya ihm zeigen wollte? Kann es sein, dass nach nur anderthalb Tagen eine solche Veränderung eintreten kann oder... woran liegt es sonst, dass mein Bruder so... unbeschwert ist.
 

Er zieht mich zu sich und umarmt mich. Vor vier Monate war das undenkbar. Da durfte ich ihn nur selten umarmen und nie länger als einige Sekunden. Sonst versteifte er sich und begann mich wieder von sich zu stoßen. Im wörtlichen Sinn. Und heute... was für ein unglaublicher Weg er in dieser kurzen Zeit schon geschafft hat. Alles nur, weil Katsuya ihn auf einen Weg geführt hat, der schmerzhaft, aber auch heilsam war. Ich hab dem Blonden so viel zu verdanken. Daher bin ich überglücklich darüber, dass die beiden auch zueinander gefunden haben.
 

Vielleicht kann ich diesen Moment nutzen und ihn fragen, was mit dem letzten Dōjō los war und wir so abrupt aufgebrochen sind. Als ich meine Frage gestellt habe blickt er mich lange an. Sein Lächeln ist nur noch ansatzweise vorhanden. Dann antwortet er mir, dass ihn das Dōjō an etwas erinnert habe. Das Dōjō? Oder der eine Trainer? Ich kann in seinen Augen sehen, wie er mich gerade für meine Beobachtungsgabe verflucht. Nicht wirklich, aber manchmal wünscht er sich sicherlich, dass ich weniger aufmerksam wäre. Aber gerade wenn es um ihn geht kann ich nicht anders. Nicht, seitdem ich erfahren habe, was mir all die Jahre entgangen ist.
 

Seto schluckt. Dann nickt er. Sagt, dass er den Mann kennt. Sofort setz ich mich auf. Was? Dieser Mann ist eines der Schweine, die sich... er winkt ab. Meint, es sei anders. Ganz anders. Verwirrt schau ich ihn an. Wie meint er das, anders? In wie fern anders? Für einen Moment scheint er etwas abzuwägen und meint dann, dass ich ihm nicht böse sein soll, aber das kann er mir - noch - nicht erzählen, aber wenn ich ihm die Zeit lassen würde, dann würde er es mir bald erklären. Es fällt mir schwer, aber ich nicke. Aus Erfahrung weiß ich, dass es nichts bringt, jetzt zu drängen. Das würde ihn sich nur wieder schließen lassen. Dann wuschelt er mir durch das Haar. Ich lache wieder.
 

Da kommt Katsuya herein und scheint angenehm überrascht zu sein, dass die Stimmung so ausgelassen ist. Er fragt, ob er stört und Seto angelt nach ihm. Als er ihn endlich erwischt zieht er ihn zu sich und küsst ihn sanft. Ich lächle. Wie unbefangen Seto ist und wie glücklich und natürlich das alles wirkt. Als wäre es nie anders gewesen zwischen den beiden. Ich will gerade aufstehen und den beiden etwas mehr Privatsphäre lassen, als Seto den Kuss bricht und mich festhält. Mich fragt, wo ich hin will. Ob es mir unangenehm wäre, wenn sie sich küssen. Sofort schüttle ich den Kopf und kuschel mich an ihn. Niemals wäre mir das unangenehm oder peinlich. Nicht hier, nicht da draußen. Nirgends.
 

Dann setzt sich Katsuya auf und sagt, er habe eine Überraschung für uns, ob wir sie sehen wollen würden. Seto und ich schauen uns einen Bruchteil einer Sekunde fragend an und nicken dann synchron. Der Blonde strahlt, springt auf und zieht uns hinter sich her. Er zieht uns durch Das Wohnzimmer und den Wintergarten ins Ende des Flügels und bleibt vor einer Schiebetür stehen. Er dreht sich wieder zu uns an und grinst. Ob wir bereit wären. Wieder nicken Seto und ich synchron. Katsuyas Augen glänzen, dann schiebt er die Tür auf.
 

Ich bin baff. Aus einem der unzähligen, nicht genutzten Esszimmern, der ursprünglich für Empfänge von zwanzig oder mehr Gästen gedacht war, hat Katsuya einen Trainingsraum gemacht. So einen, wie in dem Dōjō, dass wir zuletzt besucht hatten. Da trifft es sich echt gut, dass der Eingang auch an einer Kopfseite ist. Der zentrale Bereich ist mit einer großen, cremefarbenden Matte ausgelegt, an einem Ende befinden sich Sprossenwände, Sandsäcke, ein Punchingball. Es gibt einen Ständer mit Hanteln. Eine Wand ist auf Höhe der Trainingsmatte verspiegelt. An der anderen Seite des Raumes sind noch einige andere Sachen. Ich hüpfe rein und schau mir alles an.
 

Seto ist genau so baff wie ich. Das kommt selten vor. Doch als er seine Stimme wiederfindet fragt er Katsuya, wie er das gemacht hat. Katsuya grinst breit. Die anderen hätten ihm geholfen, indem sie ihn abgelenkt hätten und mit Isonos Hilfe hätte er die Sachen besorgt und arrangiert. Jetzt hätten wir schon mal einen Ort, wo wir uns etwas Kondition antrainieren können und wenn wir erstmal einen Trainer gefunden haben kann er uns hier unterweisen. Ich quietsche schon wieder. Aber was soll ich machen? Ich freu mich einfach so.
 

Scheinbar gefällt es auch Seto der seine Hausschuhe auszieht - scheiße... das hab ich ganz vergessen, dass so ein Raum nicht mit Schuhen betreten werden darf. Eilig lauf ich zu den beiden zurück und zieh auch meine Hausschuhe aus. Katsuya trägt für gewöhnlich nur Socken. Dann folge ich Seto, der gemäßigt in den Raum eintritt und sich alles genau anschaut. Die großen Fenster sind von schweren Vorhängen flankiert, die bei Bedarf auch geschlossen werden können. Er nickt immer wieder.
 

Dann umarmt Katsuya uns von hinten und fragt mit einem strahlenden Grinsen, ob wir bereit wären für unsere erste Trainingsstunde. Seto blickt ihn überrascht an. Dann zieht Katsuya uns zu dem hinteren - nicht ganz so Dōjō-liken - Teil des Raumes. Er erklärt uns, wie man richtig gegen den Sandsack boxt. Erklärt uns, wie wir stehen müssen, worauf wir achten sollen, was wir nicht tun sollen. Katsuya wäre ein großartiger Lehrer, geht mir in diesem Moment durch den Kopf. Wenn er mal nicht wissen sollte, was er nach der Schule machen will... Lehrer... Sportlehrer!
 

Ich nicke, als wäre das nun beschlossene Sache, vielleicht, weil ich das für einen kleinen Augenblick einfach glauben möchte. Doch dann konzentriere ich mich wieder auf das, was Katsuya uns erklärt und uns dann umsetzen lässt. Der Blonde scheint sich zumindest beim Sandsackboxen gut auszukennen und ich frag mich, woher... Vielleicht... vielleicht ergibt sich irgendwann eine Möglichkeit ihn mal danach zu fragen. Doch jetzt will ich einfach nur den Moment genießen, denn Seto sieht aus, als würde ihm dieses Training Spaß machen.
 

So verbringen wir die nächsten zwei Stunden damit ein wenig zu üben und Muskelaufbauübungen zu machen und an unserer Ausdauer zu arbeiten... und mir geht - leider - viel zu schnell die Puste aus. Ich brauch eindeutig mehr Bewegung!

Einen Schritt vor den Sandsack

Immer noch darf ich nicht in die Firma. Schule geht wieder. Aber keine Arbeit. Nun ja, wäre ich noch derselbe, wie letztes Jahr, würde ich mich jetzt darüber beklagen, doch das bin ich nicht mehr. Tatsächlich bin ich ein anderer und der ist froh darüber nicht wieder in dieses Büro zurück zu müssen, mit all der Verantwortung, den Telefonaten, Treffen, Entscheidungen... Wann hatte ich das letzte Mal wirklich Spaß in der Firma?
 

Das muss jetzt fast zwei Jahre her sein... als ich die Duell Disc entwickelt habe. Die Technik, die es Duellanten erlaubt auch unterwegs mobil miteinander zu ringen. Der Traum, sich jederzeit und überall ohne großen Aufwand mit anderen zu duellieren zu können, war auch meiner, den ich mir damit erfüllt habe. Noch immer geht die Disc hervorragend. Sofern wir keinen Lieferengpass mit diesem einen verdammten Teil bekommen. Zutrauen würd ich es Kogoro, dass er mich damit versucht zu erpressen.
 

Bei dem Gedanken an Kogoro läuft es mir kalt den Rücken runter und ein flaues Gefühl in meinem Magen stellt sich ein. Also sage ich mir meinen Satz und versuche in den Bauch zu atmen. Aber es will nicht funktionieren. Wieso will es nicht funktionieren? Samstag und gestern hat es doch auch funktioniert. Aber jetzt, wo ich es wirklich bräuchte geht es einfach nicht? Scheiße! Ich hau frustriert gegen die Wand.
 

Auf einmal flackert vor meinem geistigen Auge das Bild eines Sandsackes auf. Stimmt ja... Katsuyas kleine Überraschung gestern. Ich eile in unser Schlafzimmer und zieh mir etwas Lockeres an, eine schwarze Trainingshose und ein Shirt. Ich blick mich um und vermisse meinen Streuner. Aber er hatte jetzt so viel Aussetzer auf der Arbeit, dass er unbedingt diese Woche durchziehen will. Also warum soll ich ihn in die Zwangslage bringen, sich zwischen seinem Job im Conbini und mir entscheiden zu müssen.
 

Er will dort arbeiten, auch wenn er das längst nicht mehr muss. Sein Vater steht mittlerweile wieder auf eigenen Füßen, verdient gutes Geld, hat eine schöne Wohnung, seine Hände sind fast wieder voll einsetzbar und nächste Woche, wenn der April beginnt, wird er wieder als Koch anfangen. Doch dem zu Trotz wollte Katsuya seinen Job im Conbini nicht aufgeben. Sprach von Verantwortung gegenüber seinem Chef und das ihm der Job Spaß macht.
 

Ich glaube, er will ihn nicht aufgeben, damit er nicht völlig von mir abhängig ist. Weil er mir beweisen will, dass es ihm nicht um das Geld geht. Immer wieder scheint mein Geld ihn einzuschüchtern. Flammt bei ihm die Angst auf, ich könnte glauben, dass er nur hinter dem Geld her ist. Verdammtes Geld! Ich hab fürchterliche Angst, dass es irgendwann der Grund sein könnte, an dem unsere Beziehung zerbricht. Wann immer ich ihm etwas schenken möchte, wird er es erst einmal ablehnen, weil... zu teuer, zu Deluxe, zu...
 

Meine Schritte tragen mich eiligst in den Trainingsraum und ich trete an den Sandsack. Ich nehm die Stellung ein, die mein Streuner uns gestern gezeigt hat und haue zunächst erstmal nur wie in Zeitlupe auf den Sack. Überprüfung mehrfach meine Haltung und meine Bewegungen. Dann werde ich etwas schneller. Haue hier, boxe dort, Kick in die imaginären Eier von wem auch immer. Wiederholung. Hauen. Boxen. Treten. Und noch einmal...
 

Erst als ein Räuspern ertönt schnelle ich erschrocken um. Ich bin außer Atem, mir läuft der Schweiß von der Stirn und meine Kleidung klebt feucht an mir. Am Eingang steht Kai und klatscht bewundernd. Lobt, dass das schon ganz gut aussieht. Immer noch nach Atem ringend frage ich ihn, was er hier will. Er blickt mich überrascht an und sagt, dass wir verabredet seien. Ja, klar. Aber doch erst um ... Uuuh... ich kann unmöglich schon seit zwei Stunden hier geboxt haben. Scheiße.
 

Kai kommt in den Raum und betritt die Trainingsmatte in der Mitte. Er lädt mich mit einer Geste zu sich ein, während er sich in einen Schneidersitz auf den Boden setzt. Ich setze mich ihm gegenüber, nachdem ich mir ein Handtuch genommen habe und mir das Gesicht und den Nacken trockne. Mein Psychologe schaut sich in dem Raum um und meint, dass das ein großartiger Trainingsraum wäre. Ich nicke und verweise darauf, dass Katsuya die Idee hatte und für die Umsetzung gesorgt hat. Kai ist erstaunt und irgendwie stolz.
 

Nach ein wenig Smalltalk zum heutigen Schultag fragt er mich, wie es mit meiner Atemübung voran geht. Ich schnaufe. Erzähl ihm von meinen geglückten Übungen am Wochenende und der missglückten Übung vorhin. Kai meint nur, dass das noch etwas Übung verlangt, bis es mir in Stresssituationen helfen wird. Forschend frag ich nach, wie viel Zeit 'etwas Übung' in Anspruch nehmen wird. Kai grinst frech und meint, dass Katsuya dafür vier Wochen gebraucht hätte. VIER WOCHEN? Mein Therapeut nickt nur.
 

Schließlich fragt er mich, ob ich schon eine Entscheidung bezüglich Keizo getroffen habe. Ich schau ihn lange an und mustere ihn ausgiebig. Dann lass ich mich nach hinten auf die Matte fallen und streck meine Arme von mir. Ich seufzte. Sag ihm, dass ich immer noch unentschlossen bin, aber meine Tendenz würde zu einem Gespräch hingehen. Nur das mit dem neutralen Ort für uns beide... da will mir nichts einfallen. Es ist schwer einen neutralen Ort zu finden, an dem wir ungestört sein können und an dem jeder von uns die Möglichkeit hat sich bei Bedarf zurück zu ziehen. Kai rückt auf meine Höhe auf, wahrt aber weiterhin Abstand. Dafür bin ich ihm dankbar. Er meint nur, dass mir sicherlich noch ein Ort einfallen wird, wenn die Zeit es erforderlich machen wird. Ich nicke nur zustimmend.
 

Dann grinst er mich an und ich schau ihn verwirrt an. Frag ihn, was ihn so grinsen lässt. Er fragt mich nur, dass es mir wirklich nicht auffällt. Ich setz mich auf meine Ellenbogen auf und schau ihn verunsichert an. Was fällt mir nicht auf? Kai meint, ich solle mich noch mal auf den Rücken legen. Kurz zögere ich, dann komm ich seiner Bitte nach. Er schaut mich an und sagt mir, dass er jetzt seine Hände auf meinen Bauch legen wird. Ich zieh die Stirn kraus. Dann spür ich seine Hände auf meinem Bauch und... wie sie sich heben und senken.
 

Mein Kopf schnappt nach oben und ich schau zu, wie mein Bauch die Hände von Kai immer wieder in die Höhe stemmen... Wie...? Ich mein, ich hab meinen Satz doch gar nicht gesagt und mich auch gar nicht darauf konzentriert und... die Hände ruhen plötzlich nur noch auf meinem Bauch ohne hoch und runter zu gehen. Dann nimmt Kai sie von mir und lächelt mich an. Perplex blicke ich zu ihm und er meint nur, wenn die Übung mal verstanden wurde, es durchaus vorkommen kann, dass man diese Atemtechnik dann ganz unbewusst machen könnte.
 

Er drückt nochmals seinen Stolz darüber aus, dass ich so gute Fortschritte mache und steht dann langsam auf. Ich setz mich hin und blick ihn fragend an. Als ihm mein Blick bewusst wird meint er nur, dass die Zeit um wäre. Was? Ich schau wieder auf meine Armbanduhr und tatsächlich... die Stunde ist fast um... Was ist heute nur mit der Zeit los? Sie fliegt förmlich und verstreicht so unglaublich schnell.
 

Dann hör ich Mokuba nach mir rufen. Schnelle Schritte kommen näher, bevor er durch die Tür stürmt und abrupt stehen bleibt. Er lächelt Kai an und begrüßt ihn freundlich. Die beiden wechseln noch ein paar Worte, bevor sich Kai endgültig verabschiedet und uns alleine lässt. Mokuba kommt zu mir und begrüßt mich mit einer Umarmung. Fragt wie mein Tag war und ich lächle ihn an. Dann schau ich wieder auf meine Uhr und frag, warum er heute so spät ist. Er grinst nur und meint, er wäre ab heute in einer Sport AG. Verdutzt blick ich ihn an und nehm ihn stolz in den Arm. So, so... Moki ist nun in einer Sport AG. Das freut mich irgendwie.

Einen Schritt, um Keizo zu begegnen

Ich schau mich um und bestaune die Schönheit dieses Parks. Tatsächlich hab ich gar nicht gewusst, dass am Rande der Stadt so ein großer schöner Park liegt. Er liegt in einem Wohngebiet mit lauter Ein-Familien-Häuser der gehobenen Mittelschicht. Zum Wohngebiet ist er offen gehalten, bietet mehrere Sportplätze und zwei Abenteuerspielplätze. Nach hinten gehend ist er auf mehreren Terrassen angelegt, die von Natursandsteine gesäumt sind und der Park dann von Wald umsäumt ist. In der Mitte wurde ein Teich angelegt, der von einem kleinen Bachlauf gespeist wird, der sich über die Terrassen läuft und dadurch mehrere kleine Wasserfälle bildet. Einige Enten und Schwäne schwimmen auf dem Teich. Auf einer Parkbank sitzt ein Mann, der sie mit Brotkrumen aus einer Tüte füttert. Alles in allem ein idyllisches Bild, wie von einem Gemälde.
 

Meine Finger sind mit denen meines Drachen verschränkt. Ich kann ein leichtes Zittern von ihm spüren. Nervös kaut er auf seiner Unterlippe. Immer wieder murmelt er den Satz, den ich ihm vor drei Wochen beigebracht habe und den er am Anfang so gehasst hat. Schon jetzt setzt er die Atemübung ein, um sich zu beruhigen. Dabei sind wir nicht einmal am vereinten Ort. An dem neutralen Ort.
 

Über einen Weg führt er mich die Terrassen hoch und dann über die grüne Wiese. Jetzt, Mitte April grünt und blüht alles. Die Bäume tragen wieder Blätter und die Kirschbäume stehen kurz vor ihrer Blüte. Die Sonne scheint und es sind angenehme Temperaturen, so dass man mittlerweile auf langärmliche Sachen verzichten kann. Das Wasser des Bachlaufs plätschert vor sich hin und wir folgen dem Verlauf einige Minuten.
 

Dann kommen wir an einen abseits gelegenen Waldspielplatz. Ein einfacher Spielplatz, dessen Spielgeräte aus Naturhölzern bestehen. Alle! Rutsche, Schaukeln, ein Drehkreuz, Wippen. Eine schöne Handwerkskunst, die bei diesem Spielplatz zum tragen kommt. Scheinbar wird er regelmäßig gepflegt, denn obwohl er recht alt wirkt, sind die Geräte in bestem Zustand, sauber und gepflegt.
 

Als ich frage, wie er diesen Platz gefunden hat, meint mein Drache, dass er ihn als Kind oft besucht hätte. Er habe hier Stunden lang gespielt und Spaß gehabt. Bevor seine Eltern starben. Eltern? Er meint seine richtigen Eltern? Von ihnen erzählt er nie. Es ist so, als wären diese Erinnerungen an sie sein Schatz... sein Goldhort, an den er niemand ranlassen möchte. Daher wundert es mich umso mehr, dass er dann diesen speziellen Ort, der ihm doch scheinbar so viel bedeutet, als neutralen Ort vorgeschlagen hat.
 

Dann kommt von der anderen Seite des Spielplatzes Keizo. Scheinbar gibt es dort einen Parkplatz und einen regulären Weg hierher. Der junge Mann wirkt nervös und unsicher. Reibt seine Hände wiederholt an seiner Hose ab. Auch er trägt kurzärmlige Kleidung und ich kann die Vernarbung in seinen Armbeugen erkennen. Solche entstehen durch langjährigen und unbedachten Drogenkonsum, der gespritzt werden muss. Jedenfalls kenn ich solche Narben nur davon, aus den Gruppensitzungen. Doch er scheint mir clean zu sein und ich seh keine frischen Einstichstellen.
 

In einem respektvollen Abstand bleibt Keizo stehen. Mein Drache drückt immer wieder meine Hand. Hat seinen Kiefer fest zusammengepresst. Ist angespannt, so dass ich fürchte, dass gleich irgendwas reißen könnte. Er schluckt zwei, drei Mal. Weiß nicht so recht, wie er anfangen soll. Ich will schon eine Hilfestellung geben, doch dann kommt ein 'Hallo Seto' von Keizo. Seto nickt ihm zu und erst nach einem langen Augenblick kommt mit staubtrockener, leiser Stimme ein 'Hallo Kei' zurück. Kei... nicht Keizo... eine gewisse Vertrautheit entsteht dadurch zwischen den beiden. Doch mein Drache tut sich immer noch schwer. Da deute ich mit einer Hand auf eine Picknickbank und frage, ob wir uns nicht setzen wollen. Keizo nickt und Seto lässt sich von mir ohne Wiederstand zur Bank führen.
 

Kurz bevor wir die Bank erreicht haben bleibt Keizo stehen, wirbelt herum und geht vor Seto auf die Knie. Er verbeugt sich, dass seine Stirn fast den Boden berührt. So eine alte, japanische Haltung hab ich noch nie außerhalb irgendeiner geschichtlichen Aufführung gesehen. Dennoch stellen sich mir alle Härchen auf Nacken und Arm, und ein Schauer läuft mir den Rücken herunter. Dann entschuldigt sich Keizo ausgiebig, aber ohne um Vergebung zu bitten, denn er wüsste, dass Seto ihm nicht vergeben kann.
 

Seto weicht einen halben Schritt vor dieser ausdrucksstarken Geste zurück. Ihm geht es ähnlich wie mir. Das verrät mir ein Blick auf seinen Unterarm. Alle Härchen stehen senkrecht und die Gänsehaut ist deutlich zu erkennen. Sein Blick ist ungläubig und verwundert. Eine Träne will sich gerade aus seinem Auge lösen, doch er streicht sie sofort eilig fort. Diese Geste berührt ihn. Dann bittet Seto ihn, dass er wieder aufstehen soll. Keizo hebt seinen Kopf ein wenig und blickt zu ihm auf. Nur langsam löst er die formelle Haltung und steht wieder auf.
 

Endlich nehmen wir auf der Picknickbank Platz, Keizo auf der einen Seite des Tisches, wir auf der anderen. Noch immer hält mein Drache meine Hand fest unter der Tischplatte. Wieder entsteht eine unangenehme Stille, die Keizo dadurch durchbricht sich bei Seto zu bedanken. Der blickt ihn nur verwirrt an und weiß scheinbar gar nicht, wofür sich der andere bedankt.
 

Da erklärt dieser ihm, dass er es nur ihm zu verdanken hat, dass er clean geworden ist, denn Seto hätte ihm seinen Assistenten - er meint wohl Isono - geschickt und dieser hätte ihn in eine Klinik gebracht, wo er eine Entziehung und Therapie machen konnte. Das Isono ihm auch danach geholfen hätte, ihn in eine Betreuungsprogramm gebracht hätte, durch das er in dem Dōjō Kampfsport lernen konnte, was dazu geführt hat, dass er heute als Trainer dort arbeitet. Seto hätte ihm das Leben gerettet.
 

Mein Drachen senkt seinen Blick auf den Tisch und schüttelt den Kopf. Er habe Isono gebeten ihn zu suchen, ja. Aber Isono hätte ihm gesagt, dass er Keizo nicht hatte finden können. Demnach müsse Kei Isono für alles danken, nicht ihm. Dann fragt Keizo, warum er Isono mit der Suche beauftragt hatte. Seto blickt auf und meint, er habe ihm helfen wollen. Raus aus den Drogen in ein geregeltes Leben. Keizo lächelt ihn an und fragt, ob mein Drachen nicht erkennen würde, dass sein Assistent genau das getan hat. Also dankt er Seto noch einmal. Der ist mehr als verlegen.
 

Keizo, der Seto so rasch zu einer Interaktion gebracht hat, ohne dass dieser das wirklich realisiert hat, will direkt anknüpfen und fragt Seto, wie es ihm soweit ergangen ist. Kurz blickt mein Drache wieder auf den Tisch vor sich, bevor er wieder zu Keizo aufschaut. Er habe sich befreit und der alte Kaiba hätte sich daraufhin aus dem Fenster gestürzt. Ein sanftes Lächeln bildet sich auf Keizos Gesicht. Er strahlt Zufriedenheit aus. Verübeln kann ich es ihm nicht. Er meint nur, dass er stolz auf Seto ist, dass er das geschafft hat. Dass er schon immer gewusst hatte, wie stark Seto ist.
 

Obwohl Seto mit Keizo spricht, bleibt er noch reserviert und hält Abstand. Er nennt ihn 'Kei', was seiner Körpersprache und seinem Verhalten irgendwie wiederspricht, denn es zeugt von Vertrautheit und einer gewissen Nähe. Dennoch führt Keizo das Gespräch und Seto reagiert lediglich. Also versuch ich hier und da etwas auszuhelfen, stelle meinerseits Fragen, die sich mir - von dem, was ich bislang erfahren habe - stellen und Seto wirkt mehr als dankbar, dass ich das mache.
 

Immer wieder bemerk ich, wie Seto seine Atemübung macht. Schließlich blickt Keizo wieder zu Seto und fragt ihn direkt, ob er sich nach dem der Albtraum vorüber war Hilfe geholt hat. Seto schüttelt den Kopf, dann blickt er zu mir und erwidert, dass er erst durch mich erkannt habe, dass er Hilfe braucht und jetzt jemand hätte, der ihm bei der Bewältigung all dem hilft. Keizo scheint erleichtert und steht dann auf. In sanftem Tonfall drückt er den Wunsch aus mit Seto wieder öfters Kontakt zu halten. Dann geht er. Wir bleiben noch eine kleine Weile, bis Seto soweit ist. Dann gehen auch wir heim.

Einen Schritt, der Antworten liefert

Ich stehe am Fenster und schaue in die Nacht hinaus. Das Zimmer wird - wie immer - von gedämpftem Licht erhellt und mein Streuner liegt friedlich schlafend in unserem Bett. Er ist erschöpft und ich kann es ihm nicht verdenken. Es war ein anstrengender Tag, nicht nur für mich, sondern auch für ihn. Tatsächlich wäre das Gespräch kein Gespräch geworden, wenn ich ohne ihn dort gewesen wäre. Mehr als einsilbige Antworten und Reaktionen hab ich einfach nicht hinbekommen. So hat mein Streuner viele Fragen gestellt und den Dialog geführt. Und ich bin ihm dafür mehr als dankbar. Und obwohl ich auch müde bin, kann ich nicht schlafen.
 

Noch immer sehe ich Kei vor mir. Wie er uns entgegen kam. Dieser unsichere Ausdruck in den Augen. Das zaghafte Lächeln im Gesicht. Die schweißnassen Händen, die er sich immer wieder an der Hose abwischte. Den Abstand den er wahrte, um mir kein Unbehagen zu bereiten. Wie er sich vor mir in dieser traditionellen Geste in den Dreck warf und mich um Entschuldigung bittet. Nicht um Vergebung! Wie er selbst meinte, weiß er, dass ich ihm nicht vergeben kann, für dass, was er mit mir machen musste und so anmaßend wollte er nicht sein. Aber es täte ihm so leid, dass er damals nicht stark genug gewesen war mich mehr zu beschützen und vor dem zu bewahren, was sein Vater und Gozaburo mit uns - mit mir - gemacht haben.
 

Fast wäre ich in Tränen ausgebrochen. Eine hat sich in die Freiheit gekämpft. Konnte sie nur trotzig wegwischen und die restlichen, die hinter dieser einen standen, runterschlucken. Das Kei, der mich so oft vor schlimmen Dingen bewahrt und diese Dinge dann auf sich genommen hat, so vor mir demütig auf den Boden wirft.. das konnte ich kaum ertragen. Noch weniger, dass er sich entschuldigt hat. Da spüre ich wieder die widersprüchlichen Gefühle in mir. Einerseits hat er mich... sich mir...
 

Frustriert schlag ich an den Fensterrahmen. Ich hab nicht einmal eine passende Bezeichnung dafür... Es war nicht, wie mit Gozaburo und seinem Aufsichtsrat oder 'Freunde'... nicht aus diabolischer Freude, Sadismus oder einfach nur, um sich an meiner Erniedrigung erst richtig aufzugeilen. Er - Kei - tat es, weil er keine Wahl hatte. Weil er mir helfen wollte. Weil er mir diese alten Säcke ersparen wollte. Aber der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen... Aus den richtigen Gründen etwas Falsches zu tun, bleibt etwas Falsches... oder? Fahrig streich ich mir durch mein Haar.
 

Aber wie oft hat er sich vor mich gestellt? Hat die Aufmerksamkeit von seinem Vater oder Gozaburo auf sich gelenkt? Auf sich genommen, was die beiden eigentlich mit mir machen wollten? Doch trotz alle dem, wofür ich ihm dankbar bin, sind da diese Bilder in meinem Kopf. Diese Bilder wie er mit mir... Höre IHRE Anleitungen, Anweisungen, Befehle, was er wie mit mir tun soll. Auf einmal spür ich die Übelkeit in mir. War sie schon die ganze Zeit da oder ist sie gerade von 0 auf 100 gesprungen? Ich hab Mühe, mich zu beherrschen, aber ich will mich diesem Drang nicht ergeben.
 

Dieser Zwiespalt hat mich schon heute Mittag beherrscht. Katsuya hat das gespürt und hat beim Führen des Dialoges ausgeholfen. Kei hat versucht das Eis zu brechen, indem er mit Smalltalk begann. Erst fragte er, ob der jüngere Mann, der mit beim Dōjō war, mein kleiner Bruder gewesen ist. Ich nickte nur und von ihm kam nur anerkennend, wie groß er geworden ist. Ja, er weiß von Mokuba, dass Gozaburo ihn immer wieder als Druckmittel verwendet hat. Nur zögerlich fragt er mich, ob dieser Drecksack von meinem Adoptivvater auch ihn... sofort schüttelte ich den Kopf. Ich hätte Gozaburo eigenhändig umgebracht, hätte er auch nur einen Finger an meinen Bruder gelegt. Natürlich hab ich das nicht so verbalisiert.
 

Danach hat er sich nach Isono erkundigt. Ob er noch für mich arbeite und ob es ihm gut geht. Er macht einen glücklichen Eindruck, als mein Streuner ihm erzählt, dass wir Isono zum Jahreswechsel zum Miteigentümer der Kaiba Corp gemacht haben. Auch etwas Anerkennendes liegt in dem Blick des Grünäugigen. Er freute sich über diese Entwicklung, denn Isono sei in der Tat ein guter Mensch. Er habe ihn nicht nur in den Entzug gebracht, er wäre auch einmal die Woche vorbei gekommen und hätte sich nach ihm erkundigt. Hat ihm bei den einzelnen Schritten geholfen und ihm eine Perspektive geboten. Dann wurde Kei etwas bedrückter und meinte, es habe ihm sehr leid getan, als er Isono aus den Augen verlor. Nicht ganz unschuldig, wie er gestand. Er habe damals einfach gedacht, dass Isono genug für ihn getan habe und er nicht noch mehr Hilfe von 'meinem Assistenten' annehmen konnte. Wieder stellt sich eine Stille ein.
 

Schließlich begann Katsuya einige Fragen zu stellen. Die erste Frage meines Streuners bezog sich auf Keis Mutter. Mein Blonder wollte wissen, warum sie nichts getan hat, um Kei - und damit auch mich - vor ihrem Mann zu schützen. Kei lächelte bitter. Eröffnet uns einen Einblick in seine Familie, der selbst mir noch nicht bekannt war. Wenn ich ehrlich bin, hab ich nie einen Gedanken an Keis Mutter verschwendet. Wahrscheinlich hab ich meine eigene familiäre Situation auf ihn gespiegelt.
 

Dann erzählt uns Kei, dass seine Mutter die Tochter des Assistenten seines Vaters war. Sein Vater habe sie seit der Geburt gekannt und aufwachsen sehen und als sie in die Pubertät kam... habe er seinen Assistenten dazu gebracht, sie ihm zu überlassen. Jahre lange habe sein Vater seine Mutter durch die gleiche Hölle geschickt, durch die er später ihn und Seto gejagt habe. Mit dem Unterschied, dass sie schließlich schwanger von ihm wurde. Da habe er sie geheiratet. Doch damit war ihr Martyrium noch nicht zu Ende. Auch nach Keis Geburt habe sein Vater immer sein 'eheliches Recht' eingefordert, bis... seine Mutter sich in den Suizid geflüchtet hatte.
 

Für einen Moment stellte sich wieder eine betroffene Stille ein. Doch Kei lockert die Situation wieder ein wenig auf. Meint nur, dass das Vergangenheit wäre und er damit abgeschlossen habe. Das er ihr die Entscheidung nicht mehr grollen würde, so wie er es als Kind und Halbwüchsiger getan hatte.
 

Nur zögerlich hatte Katsuya dann die nächste Frage gestellt und gefragt, ob Keizo noch Kontakt zu seinem Vater hätte oder er wüsste, wo dieser wäre. Ich weiß noch, wie meine Hand sich dabei enorm verkrampft hat. Wie mir das Herz bis zum Hals schlug. Nur der Gedanke an einen aus dem Aufsichtsrat... Ich wiederholte innerlich meinen Satz. Versuchte richtig zu atmen und ruhiger zu werden. Doch... ich bin noch zu unerfahren und diese Situation war zu aufwühlend. Es wollte mir nicht gelingen. Doch Katsuya strich mir sanft mit dem Daumen über den Handrücken und nahm mir so etwas der Anspannung.
 

Kei, dem meine Anspannung ganz offensichtlich nicht entgangen war, wartete mit der Beantwortung, bis er wohl den Eindruck hatte, dass es bei mir wieder geht. Dann erzählt er mit einem schiefen Grinsen, dass niemals wieder jemand etwas von Oshita Konosuke zu befürchten hätte. Interessiert hakte mein Streuner nach und Kei meinte, dass sein Alter vor zwei Jahren einen Schlaganfall gehabt hatte. Zwar habe er seinen Sohn aus seinem Testament streichen lassen, aber als letzter Familienangehöriger war es an Kei zu entscheiden, was mit dem Alten geschehen sollte.
 

Nun läge Konosuke in einem mittelmäßigen Pflegeheim und siecht vor sich hin, denn zwar sei sein Verstand hellwach, aber sein ganzer Körper wäre gelähmt und er könne nur durch einen Schlauch, der unterhalb seines Kehlkopfes in den Hals führt, noch atmen. Der Alte könne nicht mal mehr blinzeln und eine Pflegerin muss dafür Sorge tragen, ob seine Augen offen oder geschlossen sind und wenn sie offen sind feucht bleiben.
 

Katsuya konnte nicht anders und fragte, ob Kei seinen Vater besuchen würde. Doch der schüttelte den Kopf. Nachdem die Pflege für den Alten geregelt war, habe er ihn ein einziges Mal besucht, ihm ein paar Takte gesagt und wäre dann gegangen. Er habe nicht vor jemals wieder auch nur einen Fuß in dieses Heim oder in seine Nähe zu setzen. Dabei wirkte er wahrlich befreit und erleichtert... obwohl sein Vater noch lebt... und ich? Gozaburo ist tot und hat mich immer noch fest im Griff.
 

Gerade als ich noch einmal gegen den Fensterrahmen schlagen möchte spüre ich zwei Arme, die sich von hinten um meine Brust legen. Den Kopf, der sich auf meine Schulter bettet. Höre die sanfte, verschlafene Stimme meines Streuners. Die fragt, warum ich noch wach bin. Ich lehne mich an ihn an, spüre, wie die Anspannung aus mir weicht und die Müdigkeit nach mir greift.
 

Katsuya versteht das ohne Worte, löst sich von mir und zieht mich zum Bett. Dort steigt er wieder auf das Bett, so dass ich ihm folgen muss. Legt sich langsam hin und zieht mich in seinen Arm. Er deckt uns bedächtig zu, lässt mich noch etwas näher an ihn ran rücken. Mein Ohr liegt auf seiner Brust. Der gleichmäßige Herzschlag fördert meine Müdigkeit. Ganz leise höre ich meinen Streuner flüstern, dass er mich liebt. Ich schaue zu ihm auf und erwidere das Geständnis, dann fallen mir die Augen zu und umgeben von seiner Wärme und seinem Geruch schlafe ich endlich ein.

Einen Schritt, um den Nächsten vorzubereiten

Ich bin so ein Trottel. Wieso hab ich der Illusion, dass Seto so schnell eingeschlafen ist nur geglaubt. Ich weiß doch, was für eine Geschichte ihn mit Keizo verbindet und ich hätte wissen müssen, dass dieses Treffen nicht spurlos an meinem Drachen vorüber geht.
 

Schon als ich das erste Mal in dieser Nacht wach wurde und Seto nicht neben mir lag, hätte mir das eine Warnung sein müssen. Doch weil er sofort entspannte, als ich hinter ihm stand und er sich so widerstandslos mit ins Bett ziehen ließ, hab ich mich in Sicherheit gewogen. Doch jetzt stell ich fest, dass es eine falsche Sicherheit war.
 

Denn das zweite Mal in dieser Nacht erwache ich durch das Zucken meines Drachens. Er wimmert im Schlaf. Tränen laufen ihm über das Gesicht. Immer wieder versucht er sich so klein wie möglich zu machen. Drückt mit seinen Händen gegen meine Brust. Murmelt, dass er nicht will und irgendwer nicht näher kommen soll.
 

Als er erneut zusammen zuckt hör ich ihn Keizos Namen rufen. Er klingt verzweifelt. Ruft immer wieder, dass der andere ihm helfen soll. Das er das alles nicht will. Fragt, warum Keizo ihn alleine gelassen hat. Schluchzt im Traum. Will wissen, warum sie ihn umgebracht haben. Umgebracht? Aber... Keizo geht es doch gut...!
 

Ich habe keine Zeit mich meiner Verwirrung hinzugeben, denn auf einmal schreckt mein Drachen mit einem gellenden Schrei auf. Greift sich an die eigene Brust. Japst hektisch nach Luft, während ihm die Tränen weiter über das Gesicht laufen. Auf die Bettdecke tropfen. Wie in Zeitlupe lässt er sich nach vorne fallen, so dass seine Stirn auf der Decke aufliegt. So hab ich ihn schon länger nicht mehr gesehen.
 

Vorsichtig rück ich neben ihm. Flüstere seinen Namen. Doch er presst sein Gesicht weiter auf das Bett, um sein Schluchzen zu dämpfen. Ich will ihn in den Arm nehmen, aber er muss mich zuerst anschauen. Wenn er mich nicht vorher sieht, wird er panisch reagieren und eine Attacke bekommen, die Stunden brauchen wird, bis sie abflaut. Sanft bitte ich ihn, mich anzuschauen.
 

Er braucht einen langen Moment, bevor er meiner Bitte nachkommt. Sein Gesicht zu mir dreht, ohne es von der Decke zu nehmen. Immer noch laufen Tränen über die Wangen. Langsam führ ich meine Hand an seine Wange, streiche die Feuchte weg. Als er darauf nicht ängstlich reagiert, lege ich meine Hände an seine Schulter und stemm ihn ein wenig hoch, um ihn dann an meine Brust zu ziehen und meine Arme um ihn zu legen.
 

Wir sitzen erst Mal nur so da, bis ich mir sicher bin, dass ich es wagen kann ihn nach dem Albtraum zu fragen. Seto hebt seinen Kopf und blickt mich an. Schön, dass er das mittlerweile ganz ohne mein Zutun macht. Es war ein anstrengender Weg ihn davon zu überzeugen, dass er sich vor nichts schämen braucht und mich beim Sprechen anschauen soll.
 

Nur zögerlich meint er, dass er von der Zeit nach Keizos Verschwinden geträumt hätte. Der Aufsichtsrat hätte sich so richtig an ihm ausgetobt und ihm kaum Verschnaufzeiten zugestanden. Es wäre mit unter die schlimmste Zeit in den fünf Jahren gewesen, die mein Drache seine persönliche Hölle nennt. Oft habe er gar nicht mehr gewusst, wie er nach Hause gekommen war oder was man überhaupt alles mit ihm gemacht habe, denn ab einem gewissen Zeitpunkt kann man einfach nicht mehr. Man blendet alles nur noch aus. Hofft, dass es bald zu Ende sein mag. Man nimmt nicht mehr wahr, was mit einem getan wird, was einem gesagt wird oder wie man behandelt wird. Da ist einfach - nichts.
 

Ich habe so einen Zustand nie selbst erlebt, kann es also nur bedingt nachvollziehen, wie dieser Schutzmechanismus funktioniert. Ob man wirklich nichts mehr weiß, was man 'ausgeblendet' hat oder ob dieses Wissen irgendwo tief in einem vergraben ist. Aber allein, dass Setos Psyche damals diesen Mechanismus nutzen musste, lässt mich die Grausamkeit erahnen.
 

Stille ist eingekehrt, denn Seto hat irgendwann aufgehört zu erzählen. Lehnte an meiner Brust, atmete ruhig ein und aus. Ist ruhig. Da wag ich eine Nachfrage. Frag ihn nach dem, was er im Traum gesagt hat. Wiederhole die Frage, warum sie Keizo umgebracht haben. Erkläre den Widerspruch, der sich mir stellt.
 

Seto nickt nur. Er erzählt mir, wie Keizos Vater und Gozaburo sich gemeinsam mit ihm vergnügen wollten und er so töricht war nachzufragen, wo Keizo wäre. Sie meinten, dass sie diesen 'Junkie' wie Müll entsorgt hätten. Damals hätte mein Drache geglaubt, sie hätten den Mord an Keizo gestanden. In seiner damaligen, fast noch kindlichen Vorstellung gab es zu dieser Formulierung einfach keine Alternative.
 

Wieder löst sich eine Träne. Mein Drache blickt wieder zu mir und meint, dass er froh sei, dass er sich in diesem Punkt geirrt habe. Er war so erleichtert, als er Keizo vor einigen Jahren in dieser Gasse erkannt habe. Das der, der ihn so lange vor der gesamten Perversion des Aufsichtsrates beschützt habe, doch nicht tot war und er Isono bitten konnte, ihn zu finden.
 

Er sagt mir, wie sehr es ihn getroffen hatte, als Isono ihm sagte, dass er Keizo nicht finden konnte. Mein Drache versteht bis heute nicht, warum Isono ihm die Wahrheit verschwiegen und ihn sogar so direkt angelogen habe. Natürlich könnten wir jetzt über die Motive von Setos engstem Vertrauten spekulieren, doch ich schlage Seto vor, Isono direkt danach zu fragen.
 

Mein Drache nickt müde und ich lass mich langsam nach hinten gleiten, so dass wir wieder liegen. Eines ist mir aufgefallen: Heute Nacht hat Seto mir gezeigt, wie wichtig Keizo für ihn ist. Das er Keizo die erzwungenen Vergewaltigungen gar nicht ankreidet. Zwar reagiert er auf seine Nähe schreckhaft. Aber das tut Seto auch bei anderen, auch wenn er es da meist durch seine kalte Arroganz zu verdecken sucht.
 

Ich frage Seto, ob er nicht wieder etwas mehr Kontakt mit Keizo pflegen möchte. Mein Drache ist sich unsicher. Das merk ich daran, dass er mir nicht gleich antwortet, sondern stattdessen mit seinem Finger auf meiner Brust Kreise zieht. Doch dann schaut er mich wieder an und fragt mich, ob das nicht merkwürdig sei, nach allem, zu was Keizo gezwungen worden war. Seinetwegen. Das eigentlich er sich bei ihm entschuldigen müsste. Und gibt zu bedenken, dass vielleicht Keizo nur höfflich sein wollte und vielleicht glücklich darüber wäre, wenn er Seto nie wieder sehen würde, damit er nicht ständig an diese Zeit erinnert wird.
 

Hm... das sind interessante Gedankenansätze und daran hab ich ehrlich gesagt nie gedacht. Zwar wusste ich, dass Keizo auch Opfer war, aber er war - wenn auch gezwungenermaßen - auch Täter... Ich würde ihn jetzt nicht ganz auf die Seite von Gozaburo und dessen Sadistenfreunde stellen, doch auf die Seite meines Drachens hätte ich ihn jetzt auch nicht getan. Er stand bis eben für mich ganz klar irgendwo dazwischen. Auf halben Wege. Doch, dass auch Keizo daran enorm zu knabbern gehabt haben muss... daran hab ich nicht gedacht. Beziehungsweise hab ich es scheinbar die ganze Zeit von mir weggeschoben.
 

Daher sag ich meinem Drachen, dass das nur ein weiteres Gespräch klären kann. Zeig ihm auf, dass der nächste Schritt von ihm - oder uns - kommen muss. Seto nickt müde, bevor er langsam wieder wegdämmert. Sanft streiche ich ihm durch das Haar und kann nicht mehr schlafen. Das mit Keizo ist eine komplizierte Situation und mich verwirren diese widersprüchlichen Empfindungen, die ich selbst als Unbeteiligter, für ihn habe. Wie das bei Seto sein muss, kann ich höchstens erahnen.

Einen Schritt Richtung Keizo

Ich steh in der Küche und bin gerade dabei für unseren Spielabend zu dritt ein paar Snacks zu machen. Das Karamellpopcorn ist fertig, doch Mokuba liebt auch Popcorn das einen gewissen Käseflair hat... also hab ich einen Cheddar fein gerieben, so dass ich ein Pulver erhalten habe und werde das gleich auf dem heißen, frischen Popcorn verteilen. Mal schauen, was er davon halten wird.
 

Da schlingen sich zwei Arme um meine Hüfte und ich spüre den Kopf meines Drachens auf meiner Schulter. Ich muss lächeln. Hätte mir vor einem halben Jahr jemand gesagt, dass mein Drachen einmal so zutraulich sein würde, ich hätte ihn ausgelacht und als Spinner abgetan. Aber tatsächlich fühlt sich das richtig gut an, dass er auch von sich aus oft diese Nähe sucht.
 

Das Treffen mit Keizo ist fünf Tage her und heute ist Freitag. Eigentlich wollten die anderen auch kommen, doch ich hab sie auf morgen vertröstet. Wir - Seto, Mokuba und ich - brauchen einfach mal einen ruhigen Abend für uns, den wir entspannt und ruhig miteinander verleben können. Einfach, weil unser letzter Abend zu Dritt ewig her ist. Sie haben dafür Verständnis gehabt.
 

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich war die Woche für uns anstrengend. Seto hatte bis vorgestern heftige Albträume durch das Treffen mit Keizo und hat sich an einige unschöne Erlebnisse erinnert, die er wohl sehr tief in sich begraben hatte. Aber er hat sie mit Kai intensiv aufgearbeitet. Dennoch sind wir müde und ausgelaugt. Doch... von gestern auf heute hatte er keinen Albtraum.
 

Er fragt mich sanft, für welche Armee ich hier eigentlich Snacks vorbereite. Ich blick mich fragend um. Popcorn, Chips, Salzbrezeln, ein paar von den Maisgebäckstangen mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, Schokolade, Gummibären, Tintenfischcracker... ich weiß nicht was mein Drache meint.
 

Seto muss schmunzeln, als er mir ins Gesicht schaut und meine Verblüffung sieht. Und ich kann es nur erwidern. Ich liebe es einfach, wenn er schmunzelt oder lächelt. Das steht ihm einfach so gut. Hoffe, dass er sein Lächeln auch bald mal den anderen präsentiert. Die sind davon bestimmt auch begeistert. Aber er ist schon offener geworden und fühlt sich längst nicht mehr unwohl in ihrer Gegenwart.
 

Während ich das Popcorn fertig mache lehnt er neben mir an der Anrichte und bedient sich schon mal am Karamellpopcorn. Er scheint es zu mögen, auf jeden Fall entkommt ihm ein genussvolles Brummen, bevor sein Gesicht ernster wird. Mein Drache schaut vor sich auf den Küchenfußboden, als er leise sagt, dass er überlegt, Keis Bitte nachzugeben.
 

Nicht wissend, von welcher Bitte mein Drache da gerade redet blick ich ihn an. Ohne zu mir zu schauen scheint er meine Verwirrung zu spüren und wiederholt Keis Worte aus dem Park noch einmal: Kei hatte den Wunsch geäußert wieder öfters mit Seto Kontakt zu haben. Mein Drache fragt mich, was ich davon halte.
 

Ohne mir dessen bewusst zu sein antworte ich mit einer Gegenfrage. Will wissen, wie sich mein Drache bei dem Gedanken fühlt. Er zuckt nach einem Augenblick mit den Schultern. Sagt ehrlich, dass er zerrissen ist. Einerseits hat er mit Kei etwas erlebt, was zusammenschweißt. Was ihn in seine Schuld rückt, denn Kei habe ihn so oft beschützt. Doch andererseits sind da die Erinnerungen, die durch ihn wieder lebendig werden und an die Oberfläche kommen.
 

Ich beuge mich zu ihm und küsse ihn sanft. Mein Drache erwidert den Kuss zaghaft und schaut mich dann endlich wieder an. Sanft lächle ich ihn an und mein dann, dass ein zweites Treffen vielleicht gar nicht so schlecht wäre. Das seine Erinnerungen wieder hoch kommen mag im ersten Moment aufreibend und erschreckend sein, aber so hat er auch die Gelegenheit sie mit Kai zu bewältigen und zu verarbeiten. Damit nimmt er ihnen dann den Schrecken und wer weiß... vielleicht kann er das eine oder andere mit Keizo gemeinsam aufarbeiten.
 

Meine Worte wirken einige Augenblicke auf Seto, bevor er langsam nickt und mir einen Kuss auf die Stirn gibt. Meint, dass ich Recht habe. Das er lange genug weggelaufen sei. Der Stolz in meiner Brust explodiert förmlich. Vom Verweigerer zum Kämpfer... was für eine Wandlung er in nur vier Monaten durch gemacht hat. Tatsächlich hat er in diesem Moment wieder einen Hauch vom alten Seto, der selbstsicher war und wusste, dass er immer Recht hatte.
 

Nachdem der Stolz ein wenig abgeflaut ist und ich mich wieder in der Lage fühle normal zu sprechen frag ich ihn, wo er sich das nächste Mal mit Kei treffen möchte. Wieder im Park. Seto schüttelt den Kopf. Er sagt mir, er würde es etwas privater vorziehen. Ohne dass ich groß darüber nachdenke schlage ich meinem Drachen vor, dass er Keizo doch hierher einladen soll, dann könnte ich was Schönes kochen.
 

Überrascht blickte mich Seto an und scheint zu überlegen. Blickt sich um, bevor er wieder seinen Blick auf mich richtet und nickt. Er schluckt dabei. Was meinem Drachen da wohl durch den Kopf gegangen ist? Frage ihn behutsam, ob es da ein Problem gibt, von dem ich wissen müsste. Er schüttelt den Kopf. Hält dann inne. Wendet dann ein, dass er nicht weiß, ob Kei das Haus betreten würde. Verwirrt frag ich, wieso. Seto blickte weg. Schluckt erneut. Mit brüchiger Stimme gibt er zu bedenken, dass Kei in diesem Haus so das ein oder andere erlebt hat, woran er vielleicht nicht erinnert werden möchte.
 

Jetzt halte ich inne und blicke ihn prüfend an. Wieso hab ich daran nicht gedacht? Wenn Keizos Vater und Gozaburo so eng befreundet waren ist es doch nur natürlich, dass sie sich gegenseitig besucht haben und dabei... ich schüttle kurz den Kopf. Entschuldige mich bei meinem Drachen für die Gedankenlosigkeit. Doch er zieht mich wieder in seinen Arm und meint, es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen müsste. Schließlich hätte ich das nicht wissen können. Dann küsst er mich wieder langsam und sanft.
 

Als die Maiskörner anfangen aufzupoppen erschreck ich und lös mich hastig aus den Armen meines Drachens. Der schaut mich nur amüsiert an, wie ich den Topf schüttle, damit das Popcorn nicht am Boden anbrennt. Ich grins zurück, während ich immer ein Ohr beim Popcorn habe.
 

Dann meint Seto zu mir, dass er, bevor er Kei einladen kann, erst mit Mokuba über ihhn reden muss. Ich halt kurz inne und schau ihn nachdenklich an. Frag ihn, ob er es für richtig hält Mokuba von Keizo zu erzählen. Da offenbart er mir, dass Mokuba bereits nach Kei gefragt habe und er ihn auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet hat. Aber er will, dass Mokuba auch bei dem Essen dabei ist. Er könne ja schließlich niemand hier her zum Essen einladen und dann Mokuba auf sein Zimmer schicken.
 

Ich frag ihn, was er Mokuba genau erzählen will und mein Drache zuckt ratlos mit den Schultern. Er weiß es nicht. Die Wahrheit, kommt schließlich von ihm. Bin mir nicht sicher, dass Mokuba für diese Wahrheit schon bereit ist. Seto nickt und meint, dass er es auch nicht sicher wäre, aber er will Mokuba nicht noch einmal damit verletzen, dass er ihm nur eine Teilwahrheit präsentiert.
 

Sanft nehm ich meinen Drachen in den Arm und drück ihn feste an mich. Wahrlich hat er eine enorme Entwicklung hinter sich. Noch im Dezember hätte er Mokuba am Liebste gar nichts davon erzählt. Aber bislang konnte er mit Mokuba überhaupt noch nicht über seine Erlebnisse sprechen. Klar, den Sachverhalt hat er dargelegt... teilweise... doch richtig erzählt hat er seinem kleinen Bruder noch nie etwas aus diesem Teil seiner Vergangenheit. Noch nicht mal zu einer gemeinsamen Sitzung hatte er sich in den letzten zwei Monaten durchringen können. Aber ich bin an seiner Seite und werde ihn begleiten.

Einen Schritt, der Fragen beantwortet

Als Katsuya aufsteht und meint er macht nochmal frisches Karamellpopcorn jubel ich regelrecht auf. Dass er noch im Kopf hatte, dass ich unbedingt mal Karamellpopcorn probieren will, hat mich überrascht. Ich habe das irgendwann einmal beiläufig in irgendeinem Gespräch in einem Nebensatz erwähnt. Als er vorhin damit in das Wohnzimmer kam bin ich regelrecht aufgesprungen und hab mich tierisch gefreut.
 

Tatsächlich schmeckt Karamellpopcorn einfach unglaublich und so ist es sicherlich für keinen verwunderlich, dass ich fast das gesamte Popcorn alleine gemampft habe. Wieso ist das, was so gut ist, immer so schnell alle? Von daher feire ich gerade wirklich, dass Katsuya für Nachschub sorgen will. Da hör ich auf einmal Seto ganz spitzbübisch 'Schwabbelbäuchlein' flüstern.
 

Mit einem entsetzten Blick schau ich zu ihm und sag ihm, er soll das nicht sagen. Immerhin tu dich doch aktiv jetzt was für das bisschen Bauch, was sich da bei mir angesammelt hat. Ich würde auch mehr tun, wenn wir uns endlich bei diesem Dōjō einschreiben würden, dass meinem Bruder doch so gut gefallen hat.
 

Auf einmal bekommt mein großer Bruder einen merkwürdigen Ausdruck. Ich steh vom Boden, auf dem ich mich im Laufe des Abends gesetzt hatte und rutsch neben ihn auf die Couch. Sanft streich ich ihm über die Wange und frage, was er denn hat. Er blickt mich an. Denn flammt auf einmal Entschlossenheit in seinen Augen auf.
 

Mein großer Bruder setzt sich etwas mehr auf und zieht mich zu sich, auf seinen Schoss. Komisch... so habe ich schon seit Jahren nicht mehr auf ihm gesessen. Das letzte Mal vielleicht im Waisenhaus? Ich fühl mich ihm auf einmal so viel näher, als zuvor. Als ob es nichts gibt, was uns trennen kann.
 

So lehn ich mit meinem Rücken an seiner Brust und versuche mich ein wenig so zu drehen, dass ich ihn anschauen kann. Doch das gelingt mir nicht. Halb kann ich aufschauen und ihn im Augenwinkel sehen, aber wirklich anschauen geht einfach nicht. Ich denke, dass war auch seine Absicht, als er mich zu sich zog. Er schlingt seine Arme um mich und legt seinen Kopf auf meine Schulter.
 

Als er anfängt zu erzählen, ist seine Stimme ganz leise. Laut genug, dass ich sie gut verstehe. Aber wenn jemand an der Tür stehen würde, würde dieser sicherlich nichts verstehen. Fragt mich sanft, ob ich mich noch daran erinnere, wie ich nach dem Trainer gefragt habe. Ich nicke. Wiederhole, was mein Bruder mir erzählt hat, dass er ihn kennt, er aber nicht zu jenen gehört, die ihn...
 

Er unterbricht mich, bevor ich fertig sprechen kann. Scheinbar kann er es immer noch nicht ertragen, dass Wort 'vergewaltigt' auch nur zu hören. Aber ich lass ihn gewähren. Kai wird es sicherlich noch angehen und mit ihm daran arbeiten. Oder... Katsuya. Ich mein mich sogar daran erinnern zu können, dass ich Seto es mal wiederholt schreien gehört habe. Als er mit seinem Streuner in ihrem Zimmer waren. Egal, das ist jetzt hier nicht das Thema.
 

Leise erzählt er mir, dass Keizo - so heißt der Trainer scheinbar - der Sohn von Oshita ist. Oshita? Dem ehemaligen Vorstandsmitglied der Kaiba Corp? Ein dicker Kloss entsteht in meinem Hals. Seit ich von Katsuya erfahren habe, dass es nicht nur Gozaburo war, der sich an meinem Bruder vergriffen hat, klingelt bei mir jedes Mal die Alarmglocke, wenn der Namen einer dieser Schweine fällt. Wut flammt in mir auf. Gut, das morgen Kai kommt... alleine könnte ich diese Wut niemals bewältigen.
 

Doch ich muss auch gar nicht nachfragen. Seto erzählt von sich weiter. Erzählt, dass Keizo vier Jahre älter ist und - genauso wie er selbst - unter diesen Männern gelitten hat. Dass Keizo ihn früher oft beschützt hat und sich vor ihn stellte. Das, was man mit ihm machen wollte, auf sich genommen hätte. Ich bin einfach nur fassungslos. Dachte ich doch die ganze Zeit, dass Seto ein Einzelopfer gewesen ist, muss ich jetzt realisieren, dass es da noch ein Opfer, vielleicht sogar noch viele Opfer, gibt? Höre, wie mein Bruder sagt, dass er Keizo viel zu verdanken hat.
 

Aber... wenn er ihm so viel verdankt... warum reagierte Seto so panisch, als er ihn im Dōjō gesehen hatte? Warum hat er uns gedrängt zu gehen? Hat so unwirsch reagiert, als Keizo ihn beim Vornamen nannte oder ihn am Handgelenk festhalten wollte? Hat ihn sogar von sich gestoßen, als würde ihn allein die Berührung verbrennen.
 

Ich kann spüren, wie Seto schluckt. Scheinbar hat er gehofft, dass ich mich daran - zumindest jetzt - nicht mehr erinnern würde. Seine Arme ziehen mich näher an ihn. Dann meint er, dieses Mal aber langsam und bedächtig, als müsste er jedes Wort genau abwägen, dass ihn diese unverhoffte Begegnung an einiges von früher erinnert hätte. Das er an dem Tag noch nicht bereit dazu gewesen wäre.
 

Doch er habe Keizo mittlerweile getroffen und ein wenig mit ihm geredet. Da wäre ihm erst bewusst geworden, wie viel er ihm verdankt. Daher... Mein großer Bruder kommt ins Straucheln. Muss sich räuspern. So unsicher hab ich ihn selten erlebt. Jedenfalls nicht in einer Situation wie diese. Dann fragt Seto mich, ob er Keizo mal zum Essen hier her einladen dürfte. Überrascht blickte ich auf. Dann nicke ich. Wenn er diesem Keizo wirklich so viel verdankt und er ihn früher beschützt hat, dann ist das doch das mindeste.
 

Mich lässt das Gefühl nicht los, dass da noch mehr ist, was Keizo betrifft. Etwas, was er mir nicht erzählen möchte oder kann. Soll ich nachhaken? Nein! Ich denke Seto hat mir soviel erzählt, wie es ihm möglich war. Vielleicht kann ich Katsuya danach fragen. Er weiß sicherlich mehr. Aber er wird mir nichts verraten. Das tut er nie, wenn ich etwas Spezielles über meinen Bruder wissen will. Auf der einen Seite finde ich das voll in Ordnung, aber auf der anderen Seite ärgert es mich auch.
 

Da höre ich die Schwingtür der Küche. Ich löse mich ein wenig aus der Umarmung meines Bruders, drehe mich um und umarme ihn fest. Danke ihm flüsternd für seine Offenheit und dass er mich ins Vertrauen gezogen hat. Sage ihm, dass ich jederzeit für ihn ein Ohr habe, wenn er etwas los werden möchte. Seto drückt mich nur fest an mich und nickt.
 

Katsuya kommt herein und bleibt überrascht stehen. Mustert uns beide. Wir trennen uns von einander und ich spring jubelnd auf, als ich die zwei Schüsseln mit dem Karamellpopcorn in seiner Hand seh. Seto greift plötzlich nach mir, zieht mich zurück und fängt an mich zu kitzeln, während er immer wieder 'Schwabbelbäuchlein' sagt. Ich kann mich einfach nicht wehren, wenn Seto so aus sich raus geht und mit mir lacht. Das ist einfach schön.

Einen Schritt zur Erkenntnis

Ich bin gerade in der Küche mit dem Abendessen beschäftigt. Es ist Freitag und wir erwarten heute Keizo zum Essen. Mein Drache und Mokuba sind noch unterwegs. Isono bat sie darum, dass sie gemeinsam kurz in der Firma vorbei schauen. Ist mir nicht Recht. Ganz und gar nicht Recht.
 

Diese Firma wühlt meinen Drachen immer wieder von Neuem auf. Das Gebäude erinnert ihn an einen schrecklichen Teil seiner Kindheit. Die Gefahr erneut einem ehemaligen Vorstand über den Weg zu laufen... ist gewaltig. Eigentlich wollte ich die beiden begleiten, aber sie meinten beide, ich solle hier bleiben und zaubern. Mokuba versicherte mir ein Auge auf meinen Drachen zu haben. Also bin ich hier geblieben. Doch meine Gedanken sind ständig bei Seto und daher läuft gerade auch nicht alles nach Plan.
 

Plötzlich klopft es an der Küchentür. Verwundert schaue ich auf. Wer klopft bitte an einer Küchentür schon an? Ich rufe ein 'herein' und dann kommt Keizo herein. Er lächelt mich an und reicht mir ein Gastgeschenk. Der Kampfsporttrainer meint, dass er wohl etwas zu früh wäre. Etwas? Fast zwei Stunden zu früh. Dann wandert sein Blick auf den Herd, zu den Töpfen. Er ist überrascht und fragt, ob er helfen kann.
 

Da ich nicht weiß, was ich sonst mit ihm tun soll und ihn nun mal nicht alleine im Wohnzimmer vergammeln lassen kann nicke ich. Dann wende ich mich wieder dem Essen zu. Keizo fragt, was ich koche. Ich zeig es ihm und er zieht die Stirn kraus. Verwirrt blick ich ihn an und frage vorsichtig, ob er ein Problem mit dem Essen habe. Als Antwort bekomm ich einen überraschten Blick und die Antwort, dass ER kein Problem damit hätte, aber Seto.
 

Keizo weiß von Setos Problem mit westlichem Essen? Das überrascht mich jetzt tatsächlich. Oder hätte ich damit rechnen müssen? Es scheint, dass der Typ meinen Drachen besser kennt, als ich ihn je kennen kann. Etwas schärfer als gewollt erwidere ich, dass ich für meinen Drachen etwas anderes vorbereitet habe. Der junge Mann grinst mich auf einmal an und mir wird erst im Nachhinein bewusst, dass ich 'meinen Drachen' gerade wirklich laut gesagt habe. Peinlich.
 

Tatsächlich ist mir Keizo beim Kochen eine Hilfe. Nach einer viertel Stunde, in der wir uns mehr oder weniger angeschwiegen habe, lege ich entnervt das Pellmesser weg und frag ihn recht direkt, ob er mir sagen kann, warum Seto westliches Essen so ablehnt. Wieder zeichnet sich Überraschung auf Keizos Gesicht ab. Zurückhaltend lächelt er nur und meint, dass ich meinen Drachen selbst fragen muss.
 

Forsch trete ich einen Schritt auf ihn zu und bitte ihn mir meine Frage zu beantworten, weil ich es einfach verstehen will. Nachdenklich legt auch er sein Küchenmesser weg. Nach einem Moment blickt er mich an und nickt bedächtig. Meint, dass Gozaburo total auf westliches Essen stand. Dass es bei ihm ausschließlich solches gab. Irgendwann, nachdem der Missbrauch begonnen hatte strebte Seto danach in irgendeinem Bereich seines Lebens die Kontrolle zu wahren.
 

Diese Kontrolle fand er zunächst beim Essen. Erst habe mein Drache sehr penibel darauf geachtet, was er noch aß. Natürlich blieb das Gozaburo nicht verborgen, so ließ er diese Elemente der Mahlzeit reduzieren oder streichen und die anderen erhöhen. Das führte dazu, dass Seto schließlich aufhörte überhaupt etwas zu essen. Magersucht? Will mir Keizo gerade wirklich glauben machen, dass mein Drachen sich anfangs in eine Essstörung geflüchtet hat?
 

Mein Gegenüber erklärt mir, dass Gozaburo Seto nicht das kleinste Bisschen an Kontrolle überließ. Er bestimmte, wann Seto aufstand, zu Bett ging, wann er was zu essen hatte oder wann er auf Toilette durfte. Der Alltag war jedenfalls in den ersten Jahren streng geregelt. Abweichungen waren nicht erlaubt. Nicht einmal, wenn Seto krank war. Seto hatte mit seinem kindlichen Verständnis versucht dagegen anzukommen. Doch... Gozaberu war einfach ein Gegner, gegen den er nicht ankommen konnte.
 

Dann wird Keizo leise. Er erzählt mir, dass Gozaburo versuchte Seto zum Essen zu zwingen. Doch immer nach dem Essen flüchtete sich Seto zur Toilette und übergab das, was er unter Zwang essen musste. Schließlich verbot Gozaburo ihm den Toilettengang nach den Mahlzeiten. Drei, vier Tage ging das gut... dann aber übergab sich Seto im Esszimmer. Das habe den alten Kaiba rasend gemacht.
 

Schließlich, kurz nachdem Mokuba aufs Internat gekommen sei, habe Seto erneut die Nahrungsaufnahme verweigert. Da habe ihn der kranke Bastard - Keizos Worte, nicht meine, auch wenn sie mir aus der Seele sprechen - zwangsernährt. Jedes Mal stellte er Seto vor die Wahl am Tisch zu essen oder einen Schlauch zu schlucken. Seto habe sich fast eine Woche gewehrt und man habe ihm die Sonde durch die Nase in den Magen geführt und ihn zwangsernährt. Und nach jeder Mahlzeit habe man ihm die Sonde wieder entfernt.
 

Doch nach dieser Woche... habe er aufgehört mit dem Widerstand. Er aß, was Gozaburo ihm vorsetzen ließ. Oft brauchte Seto Stunden, denn er hatte die Auflage erhalten, dass er sich nicht übergeben dürfe. In dieser Phase hätte mein Drache sogar mal so lange mit seinem Frühstück gebraucht, dass das Mittagessen direkt anknüpfte.
 

Ich merke gar nicht, wie mir die Tränen über die Wangen perlen. Erst als Keizo seine Hand hebt und sie mir wegstreicht komme ich zurück ins hier und jetzt und zucke erschrocken von dem Mann vor mir. Das Zurückzucken ist ein Reflex. Ich weiß, dass Keizo ein Opfer ist und dass er das, was er meinem Drachen angetan hat, nicht tun wollte. Dass er gezwungen worden war. Dennoch ist diese Bild in meinem Verstand verhaftet, wie er sich meinem Freund aufzwingt.
 

Leise danke ich ihm für seine Offenheit und die Beantwortung meiner Frage. Dann gehe ich zurück an den Herd und schau mir an, was ich gekocht habe. Schließlich schüttle ich mit dem Kopf. Ich schalte den Herd aus, nehme alles runter und schütte es weg. Den Teufel werde ich tun, meinen Drachen mit einem solchen Essen an das, was er erlebt hatte zu erinnern.
 

Also geh ich an den Vorratsschrank und suche neue Zutaten heraus. Japanisch ist auch viel gesünder, sag ich mir. Keizo tritt neben mich. Nicht direkt neben mich. Scheinbar hat er meinen Zwiespalt gespürt und wahrt respektvoll etwas Abstand, doch dann geht er mir schweigend zur Hand, während wir ein traditionelles, japanisches Essen vorbereiten, mit vielen verschiedenen Sachen, die sich jeder nach Herzenslust nehmen kann.
 

Es ist knapp, doch zu zweit schaffen wir es das Essen noch rechtzeitig fertig zu bekommen. Schließlich kommen Seto und Mokuba herein. Seto bleibt überrascht stehen. Scheinbar hat er nicht damit gerechnet, dass Keizo schon da wäre. Dann schaut er verwirrt auf das vorbereitete Abendessen und blickt mich dann fragend an. Ich lächle ihn nur sanft an, heiße ihn Zuhause willkommen und küss ihn behutsam. Er erwidert den Kuss genießerisch.
 

Mokuba kichert wieder. Wie immer, wenn wir uns küssen. Das entlockt mir ein Lächeln, als sich mein Drache von mir löst. Dann stellt er Mokuba und Keizo offiziell einander vor. Mokuba reicht Keizo die Hand und scheint gar kein Problem damit zu haben mit dem Mann ins Gespräch zu kommen. Mein Drache hat mir gesagt, dass er mit Mokuba über Keizo gesprochen habe, aber einen wichtigen Aspekt unterschlagen hat. Ich denke, Mokuba würde nicht so offen mit Keizo umgehen, wenn er die ganze Wahrheit wüsste.
 

Dann setzen wir uns zum gemeinsamen Essen.

Einen Schritt zum Zweifel

Ich war ziemlich überrascht, als wir nach Hause kamen und ich feststellte, dass Katsuya für uns alle etwas Japanisches zubereitet hat. Dabei hatte das Haus vorhin schon so schön nach Braten gerochen und mir lief vor Vorfreude das Wasser im Mund zusammen. Was aus dem Braten und dem anderen Zeug geworden ist wollte mir der Blonde nicht verraten und hatte mich auf später vertröstet. Okay... ich bin es mittlerweile gewöhnt meine Antworten nicht gleich zu bekommen. Hauptsache ich bekommen überhaupt eine.
 

Auch am Tisch ist es merkwürdig. Der Tisch ist wieder ausgezogen. Normalerweise sitzt Seto am Tischenden, Katsuya und ich an je einer Seite. Doch nicht heute. Heute hat mich Seto auf seinen Stammplatz befördert und ich werde von den beiden flankiert. Neben Katsuya wurde Keizo platziert. Es kommt mir ein wenig so vor, als würden Katsuya und mein Bruder mich gegen den Mann abschirmen, den sie doch selbst hier her zum Essen geladen hatten.
 

Seto wirkt auf mich so verspannt und steif, wie bei einem dieser ungeliebten Geschäftsessen. Überhaupt wirkt mein Bruder auf mich, als hätte er seine alte Fassade irgendwo ausgegraben und wieder wie eine Maske aufgesetzt. Diese Maske, mit der er all die Jahre alle Leute von sich fern gehalten hat. Diese 'Fickt euch, ich bin Kaiba Seto'-Maske, die ihn arrogant und wie ein eiskaltes Arschloch wirken lässt. Eigentlich habe ich gedacht, dass von dieser nichts mehr übrig wäre. Warum hat mein Bruder so ein Bedürfnis sich mit seiner alten Maske zu schmücken?
 

In mir keimt wieder das Gefühl auf, dass mir irgendetwas entgeht. Wenn Keizo genau wie Seto ein Opfer von Gozaburo und den anderen war und er ihn sogar immer wieder in Schutz genommen hat, warum hält er ihn dann jetzt so auf Abstand? Ich verstehe das einfach nicht. Da stimmt doch etwas nicht.
 

Mein Bruder fragt Keizo, wie es kommt, dass er schon da sei. Keizo wird ein wenig rot im Gesicht und lächelt verlegen. Schließlich antwortet der Mann, der bestimmt vier Jahre älter als Seto ist, dass er nervös wegen der Einladung war und irgendwann einfach zu Hause nicht mehr warten konnte. Also sei er losgetigert, hätte unterwegs noch ein Gastgeschenk besorgt und hätte erst bei seinem Eintreffen festgestellt, dass er ganze zwei Stunden zu früh war.
 

Weswegen war er so nervös? Es ist doch nur eine simple Einladung zum Essen. Nichts besonderes, außer das der Braten verschwunden ist und wir stattdessen jetzt hier eine breite Bandbreite japanischer Spezialitäten aufgewartet bekommen. Ansonsten ist das Gespräch, dass Seto nur sporadisch mit Keizo führt so zäh wie Kaugummi. Wie zwei Boxer in einem Ring, die um einander tänzeln und darauf warten, dass der andere den ersten Schlag tätigt.
 

Dann greift Katsuya gesprächstechnisch ein. Die Atmosphäre entspannt sich ein wenig und wird lockerer. Es wird sogar hier und da etwas gelacht. Scheinbar entwickelt sich der Abend endlich in eine angenehme Richtung. Seto folgt den Gesprächen zwar aufmerksam, hält sich aber weitestgehend raus. Ich versuche mich ein wenig einzubringen.
 

Ich frag also Keizo, wie er Trainer in diesem Dōjō geworden ist und er blickt fragend erst zu Seto. Als ich seinem Blick folge, sehe ich meinen Bruder seicht nicken. Erst dann beantwortet mir Keizo meine Frage. Er erzählt mir von seiner Abhängigkeit diverser Drogen und wie er durch den Entzug und ein Hilfsprogramm Kontakt zur Kampfkunst erhielt. Der Meister hätte sich seiner höchstpersönlich angenommen und ausgebildet und Keizo hätte im Sport etwas gefunden, dass ihm half sein Leben zu meistern. Da sein Meister von seinem Talent überzeugt war gab er ihm schließlich den Job als Trainer und förderte ihn weiter, so dass er selbst den Dan-Grad erreichen konnte.
 

Drogen? Als ich ihn danach frage, geht sein Blick wieder zu Seto. Mein Bruder räuspert sich und meint in einem bedächtigen Tonfall, dass Keizo mit Hilfe der Drogen aus seinem damaligen Alltag fliehen und die Dinge, die man mit ihm gemacht habe ausblenden konnte. Keizo nickt nach einem nachdenklichen Moment und stimmt meinem Bruder zu. Dann ergänzt er, dass er niemanden diese Methodik empfehlen kann, denn der Drogenkonsum kann recht fatale Konsequenzen haben. Das er diesen Konsequenzen entgangen ist, habe er einem guten Samariter zu verdanken, der sich seiner annahm und geholfen hat.
 

Neugierig blicke ich Keizo an, was gar nicht so einfach ist, da Katsuya sich immer wieder etwas in den Weg rückt. Da Keizo entweder meinen Blick nicht sieht oder ignoriert, frage ich frei heraus, wer denn der Samariter gewesen ist. Wieder geht Keizos Blick zuerst zu Seto. Was soll der Scheiß? Alle blicken mich überrascht, Seto eher erschrocken an. Wahrscheinlich hat er erwartet, dass ich mir dieses Theater den ganzen Abend anschaue und erst danach frage, was das sollte. Doch ganz ehrlich fehlt mir dazu ein wenig der Nerv.
 

Leise meint Keizo, dass er sich unsicher ist, von was ich weiß. Er wäre auch früher gekommen, weil er vor dem eigentlichen Essen mit Seto darüber reden wollte, was ich alles weiß. Endlich kommen wir der Wahrheit hier mal ein wenig näher. Fragend blicke ich zu Seto, der kurz meinen Blick erwidert und zu Keizo schaut. Dann meint er zu unserem Gast, dass er mir alles erzählt hätte. Wie sich unser Gast immer wieder vor meinen Bruder gestellt und ihn beschützt hätte und daher selbst Opfer der Aufmerksamkeit des Aufsichtsrats wurde.
 

Baff blickt Keizo erst zu Seto, dann zu mir. Er ist verlegen. Liegt es daran, dass das Thema allgemein von großer Peinlichkeit geprägt ist oder dass mein Bruder mir tatsächlich diese grausame Wahrheit erzählt hat? Ich werde dieses Jahr immerhin schon vierzehn. In etwas mehr als drei Monaten. Keizo nickte anerkennend. Dann lächelt er mich an.
 

Dann erzählt mir Keizo wie sein eigener Vater ihn in eine Gosse werfen ließ, mit genug Stoff und einer Spritze, dass er sich damit beinahe den goldenen - tödlichen - Schuss gesetzt hätte. Doch entgegen der Erwartung seines Vaters hatte er sich den Stoff eingeteilt und wäre trotz seiner Lage in der Gosse froh gewesen, dass der Albtraum endlich zu Ende gewesen wäre. Er habe alles getan, um das Geld für den nächsten Schuss zusammen zu kratzen, denn ein Schuss bedeutete vergessen. Schließlich träumte er eines Tages davon, dass Seto vor ihm stehen würde. In Panik vor dem vermeidlichen Trugbild wäre er davon gelaufen. Doch es war kein Trugbild und so habe Seto Isono geschickt, dass dieser sich um ihn kümmern sollte. Das tat Isono dann.
 

Endlich präsentiert mir jemand ein Gesamtbild. Endlich kann ich die Zusammenhänge verstehen. Alle bis auf... wieso solltest Keizo vor einem Trugbild meines Bruders panisch davon laufen? Keizos Antwort ist simpel, wie auch einleuchtend: Schuldgefühle. Obwohl sein Vater ihn weggeworfen habe, hatte er danach stets das Gefühl gehabt, Seto im Stich gelassen zu haben, da er ihn von da an nicht mehr beschützen konnte.
 

Nachdem das alles endlich geklärt ist und wir dann ins Wohnzimmer wechseln entspannt sich die Atmosphäre merklich. Die Gespräche werden lockerer, auch wenn Seto sich dabei immer noch zurück hält. Immer wieder sprechen wir über Jiu Jutsu und das Dōjō. Schließlich frag ich einfach so, ob Keizo uns zukünftig nicht in unserem Trainingsraum in den Kampfsport einführen kann. So als unser Privatlehrer.
 

Sowohl Seto als auch Keizo schauen mich völlig perplex an. Während Seto direkt eine Ausrede sucht, warum das nicht machbar ist, kommt von Keizo, dass das sicherlich irgendwie möglich sei. Dann blicken die beiden sich für einen Moment ernst an. Ich grinse nur und meine, dass es dann beschlossene Sache sei. Wieder schauen mich beide an und ich kann an Setos Gesicht sehen, dass ihn irgendetwas daran stört. Doch dann nickt er nur zustimmend und wendet sich an Keizo. Sagt ihm, dass er es begrüßen würde, wenn er das irgendwie einrichten könnte, natürlich bezahlt und nicht unentgeltlich. Jetzt lächelt Keizo ihn sanft an.
 

Ehe das Gespräch wieder aufgenommen werden kann steht Keizo schließlich auf und streckt sich. Er verabschiedet sich und meint, er müsse so langsam nach Hause zu seiner Frau und ihrem Kind. Ich schau ihn überrascht an. Setos Gesichtsausdruck ist nicht überrascht... ich würde es eher als schockiert bezeichnen. Warum ist der davon so schockiert? Liegt es daran, dass Keizo tatsächlich erst 22 Jahre jung ist und schon eine Frau und ein Kind hat? Vermutlich.
 

Katsuya fragt behutsam nach, wie alt das Kind denn sei und ob es eine Tochter oder ein Sohn wäre. Keizo lächelt, als er scheinbar an seine Familie denkt und meint, dass seine Tochter jetzt neun Monate und 20 Tage alt sei. Der Stolz trieft aus seiner Stimme. Sie sei das Wertvollste in seinem Leben und er würde sie mit aller Macht vor all dem Schlimmen und Grausamen beschützen. Komme was da wollen. Setos Züge entspannen sich nur langsam, bevor er Keizo zur Vaterschaft gratuliert und nach seiner Frau fragt. Keizo grinst nur verlegen und meint, dass wir sie kennen würden. Es wäre die junge Frau gewesen, mit der wir zu erst in dem Dōjō gesprochen haben. Ihr Vater wäre der Meister.
 

Tatsächlich würde ich sagen, dass Seto sich darüber freut, dass Keizo sein Glück gefunden hat. Doch dann macht sich Keizo, nachdem er sich umständlich und wiederholt für die Einladung, das Essen und den schönen Abend bedankt hat, auf den Heimweg. Als er gegangen ist, sehe ich, wie eine Last von Setos Schultern fällt und er wirkt auf mich plötzlich mehr als erschöpft. Ob es wirklich so eine gute Idee war, diesen Mann zu fragen, ob er unser Privattrainer werden würde... ich weiß es auf einmal nicht mehr. Obwohl wir bei Tisch doch recht offen über das sprachen, was ich weiß, komm ich mir immer noch so vor, als würde mir ein Puzzleteil fehlen.
 

So bleibt bei mir ein bitterer Nachgeschmack zurück.

Einen Schritt in eine fremde Welt

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt vor Seto

Ich schiebe einige Papiere zusammen und schlage einen Papierordner darum. Dann lass ich den Ordner in meine Ablage fallen, bevor ich mich auf meinem Sessel niederlasse. Langsam dreh ich mich in ihm, so dass ich aus dem großen Panoramafenster schauen kann.
 

Von hier oben - dem obersten Stockwerk des Kaiba Towers - hatte man schon immer einen fantastischen Blick auf die Stadt. Von hier aus kann man die Skyline richtig gut sehen, den großen, zentral gelegenen Park. Man kann von einer Seite zur anderen Seite schauen und sogar den Hafen am Horizont ausmachen.
 

Vor allem bei Nacht ist der Ausblick atemberaubend, wenn auch nicht so weitreichend. Wenn man all die Lichter der umgebenden, niedrigeren Häuser und Wolkenkratzer sieht, die Lichtpunkte der Straßen und Autos und das - trotz der vorangeschrittenen Uhrzeit noch vorhandene - wimmelnde Treiben der Menschen, die von hier wie Ameisen wirken.
 

Es ist kurz vor Mitternacht und ich bin müde. Es war ein langer Tag. Ach was, eine lange Woche... eigentlich sieben lange Wochen. Seit Daimon Kogoro Anfang März hier rein spaziert ist und Seto-sama zusammengebrochen ist, habe ich alle geschäftsführenden Verantwortungen übernommen.
 

In den vergangenen sechs Wochen hat Kogoro immer wieder angerufen und wollte Gesprächstermine mit Seto-sama. Immer wieder hab ich ihn abgelehnt. Ihm mitgeteilt, dass er mit mir Vorlieb nehmen muss. Hat ihm nicht geschmeckt. Er hat fast immer an diesem Punkt des Gesprächs ungehalten aufgelegt. Irgendwann schrie er mich an, dass das absolut unangemessen sei, dass sich der geschäftsführende Firmenleiter derart verweigere. Mitten in seiner Brüllattacke hab ich aufgelegt.
 

Von da an liefen seine Anrufe zu meiner Assistentin, die die stricke Anweisung hatte ihn darum zu bitten jegliche Kommunikation entweder postalisch oder digital via E-Mail mit mir abzuwickeln. Doch wenn ich mir meine Mitteilungen bezüglich der Anrufe so anschaue, von denen sich Dutzende auf meinem Schreibtisch sammeln, scheint er das nicht zu akzeptieren.
 

Mein Versuch mich bei dem Leiter unserer Zulieferfirma zu beschweren liefen ins Leere. Der Chef ist ein junger Mann von 25 Jahren - okay, mein Boss... nein... Seto-sama ist jünger, aber auch ein Genie - und vertraut vollkommen auf Kogoro. So perlten alle meine Beschwerden und Anfragen ab.
 

Als Anfang der Woche schließlich die Lieferung der Teile dieser Zulieferfirma ausblieb war das Maß voll. Ich hab mich mit unseren Anwälten hingesetzt, habe eine Vertragsverletzung von Seiten unserer Zulieferfirma angezeigt und mich darüber informiert, wie man den vorwitzigen Forderungen Kogoros begegnen könnte, so dass sie ihre Substanz verlieren.
 

Die mir präsentierte Lösung war... nun ja... ich hab sie drei Tage liegen lassen, weil ich mir sicher war, dass Seto-sama dieser Lösung niemals zustimmen würde. Die Lösung beinhaltet, dass er einen großen Teil seiner Kontrolle abgibt. Wenn er eines nicht kann, dann das. Obwohl... Seit er mit Katsuya-kun zusammen ist, hat er sich geändert. Der Blonde hat so viel bei ihm erreicht, wie zum Beispiel die Therapie, die Seto-sama jetzt macht.
 

Daher bat ich Seto-sama heute zusammen mit Mokuba zu mir ins Büro zu kommen. Ich wusste, dass diese Bitte kritisch war, denn seit seine Mauer gefallen ist und seine Erinnerungen frei sind, wird er kaum eine gute Erinnerung an diese Etagen der Firma haben. Daher hab ich mich mit ihnen im Indoorgarte getroffen. Ein großzügiger, Lichtdurchfluteter Saal, der zu einem Garten umfunktioniert wurde, damit die Mitarbeiter einen Erholungsort haben.
 

Nachdem wir die Mitarbeiter baten ihn zu verlassen und ich zwei Männer von der Security anhielt darauf zu achten, dass keiner herein platzte nahm ich mit Seto-sama und Mokuba auf einer Bank Platz. Ich erläuterte die Situation und dann präsentierte ich die Lösung. Eigentlich habe ich mich darauf eingestellt, dass Seto-sama sich erst einmal mächtig sträuben und zedern würde... doch nichts dergleichen.
 

Er ließ sich den Vorschlag durch den Kopf gehen, holte sich die Meinung von Mokuba ein und der meinte, dass der Vorschlag spitze wäre. Seto-sama blickte mich lange an und nickte dann. Ich zog die notwendigen Papiere hervor und er unterschrieb sie. Es war, als würde ihm eine mächtige Last von den Schultern genommen werden. Seto-sama atmete auf und wirkte frei.
 

Als die beiden aufstanden, um zu gehen, umarmte mich erst Mokuba mit einem breiten Grinsen und dann - zu meiner Überraschung - Seto-sama. Er dankte mir. Schließlich meinte er, ich solle mal wieder zum Essen vorbei kommen. Immerhin seien sie meine Familie und würden sich freuen, wenn sie mich sehen würden. Ich nickte und gab ihnen mein Wort.
 

Das Klingeln meines Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Meine Assistentin hab ich vor drei Stunden nach Hause geschickt, daher werden die Anrufe von ihrem Apparat auf meinen umgeleitet. Schon als ich die Nummer im Display sehe stöhn ich auf. Es ist Kogoro. Es ist Freitagabend... nein... wir haben kurz nach Mitternacht, also haben wir Samstagfrüh.
 

Nur langsam drücke ich auf den Knopf für die Freisprecheinrichtung und sofort bellt dieser Arsch los. Ich sage ihm, dass ich gleich wieder auflege, wenn er seinen Ton nicht mäßigt. Es kostet ihn einiges an Beherrschung, sich in den Griff zu kriegen. Dann zischt er, dass der Vorwurf der Vertragsverletzung ein Witz sei. Er würde schließlich schon seit Wochen um einen Termin beim geschäftsführenden Leiter der Kaiba Corp betteln.
 

Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus. Dann sag ich ihm, dass ab Montag ganz offiziell ich der geschäftsführende Leiter der Firma sein werde. Ich höre seine Schnappatmung. Es vergehen einige Sekunden himmlischer Ruhe, bevor er fragt, was das für ein Witz sei. Ich kontere, dass er am Montag im Wirtschaftsjournal in der Rubrik für Ankündigungen und Bekanntmachungen genau diese Information lesen kann, wodurch meine Ernennung rechtskräftig werden wird.
 

Entgeistert fragt Kogoro nach Seto und dass er ihn beim Vornamen nennt lässt in mir Übelkeit aufsteigen. Am liebsten würde ich durch die Leitung kriechen und ihn erwürgen, dafür was er dem Jungen in seiner Kindheit angetan hat. Für die Frechheit hier aufzutauchen und den Überlegenen zu spielen. Ihn jede einzelne Ungebührlichkeit der letzten Wochen ausbaden. Doch ich bin ein Profi, nicht wie mein gegenüber.
 

Also setze ich ihn davon in Kenntnis, dass Seto-sama zukünftig sich seinem Spezialgebiet - der Forschung und Entwicklung - widmen würde und mit der Geschäftsführung an sich nichts mehr am Hut haben wird. Dann macht es 'Klick' und ich höre ein Besetztzeichen. Aufgelegt! Scheinbar haben ihm die Neuigkeiten nicht gepasst. Ich lege den Hörer zurück auf die Gabel, lehne mich mit einem breitem Grinsen zurück und bin glücklich, dass ich endlich - nach all den Jahren - etwas tun konnte, um Seto-sama zu beschützen und aus der Schusslinie dieses widerlichen Kerls zu nehmen.
 

Und dieses Gefühl... fühlt sich echt gut an!

Einen Schritt von außen

Wieder einmal bewundere ich die Orchideen im Wintergarten. Als ich mich einmal mit Seto über diese Blumen unterhalten habe, habe ich erfahren, dass sie ihn an seine Mutter erinnern. Er hat sich also in dieser völlig feindlichen Umgebung einen Ort geschaffen, an dem er seiner verstorbenen Mutter nah sein und sich geborgen fühlen kann.
 

Feindliche Umgebung? Nun gut, die potentielle Bedrohung durch seinen Adoptivvater Gozaburo existiert nicht mehr. Dennoch ist diese Villa angefüllt mit Orten, an denen sich dieser Mann einem hilflosen Jungen bemächtigt hat. Ein hohes Triggerpotential haben. Wie Seto es überhaupt hier aushält, ist für mich ein Rätsel. Doch bislang sind wir noch nicht an dem Punkt, an dem ich mit ihm darüber reden kann.
 

Doch dafür, dass wir uns erst knapp 13 Wochen kennen haben wir schon einiges erreicht. Nach seinem anfänglichen Blocken hat er sich langsam geöffnet. Wir haben als erstes die Umstände aufgearbeitet, die zu seiner Adoption durch Gozaberu geführt haben. Der Tod seiner Eltern. Der Betrug durch seine Verwandten, die ihm und Mokuba ihr Erbe wegnahmen und die Kinder ins Heim abschoben. Die Wette und das Schachspiel.
 

Eines ist mir da klar geworden: Er war schon vor den Untaten des alten Kaibas gezwungen gewesen seine Kindheit aufzugeben. Seit dem Tod seiner Eltern war er für Mokuba da und hat seinen kleinen Bruder geschützt. Sich stets vor ihn gestellt. Evaluierte verschiedene Optionen und legte sich einen Plan zurecht, um seinen Bruder und sich aus dem Heim zu retten.
 

Seto hat schon in jungen Jahren einen ordentlichen Kraftakt geleistet. Und gerade als er dachte, alles würde sich nun zum Besseren wenden wurde ihm bewusst, welchen fatalen Fehler er gemacht hat. Denn als Kind hat ihm die Erfahrung gefehlt, die einem die Einschätzung eines Menschen erlaubt. Ohne es zu ahnen, hat er sich in eine Position manövriert, in der er einem waschechten, sadistischen Psychopath ausgeliefert war.
 

Diesem Mann fehlte es an jeglichem Mitgefühl. Er hat ein Regelwerk aufgestellt, dass er systematisch ausgehöhlt und pervertiert hat, indem er einem Zehnjährigen immer wieder Aufgaben stellte, die dieser unmöglich hätte erfüllen können. Und die Strafen, von denen mir Seto bislang erzählt hat, waren drakonisch, hart und menschenverachtend.
 

Dass der Junge irgendwann an einen Punkt in seinem Leben kam, an dem er sich das Leben nehmen wollte überrascht mich keineswegs. Eher die Tatsache, dass es nur einen Versuch gegeben hat. Für gewöhnlich findet man bei Kindern und Jugendlichen in vergleichbaren Situationen eine ganze Reihe an Versuchen. Doch die meisten versuchen damit Aufmerksamkeit auf sich und ihre Notlage zu ziehen. Nur ganz selten findet man jemand, wie Seto, dessen Ziel tatsächlich die Selbsttötung ist.
 

Von Isono und seinen Sitzungen, die ich mit ihm jeden Mittwoch führe, weiß ich, dass er ihn gefunden und mit Hilfe meines Kollegen Doktor Akari gerettet hat. Das er Seto half einen Plan zu erarbeiten und umzusetzen, der nicht weniger wollte, als den alten Kaiba zu entmachten und aus der Firma zu drängen, um selbst die Kontrolle zu übernehmen.
 

Die Firma, die die zweite ultimative feindliche Umgebung darstellte. In der sich nicht nur Gozaburo, sondern der gesamte ehemalige Firmenvorstand an Seto vergangen hat. Auch hier wundere ich mich immer wieder, dass Seto dieses Gebäude noch betreten kann, dass so viel Schmerz repräsentiert. Die Räumlichkeiten, in denen er seinen Albtraum immer und immer wieder erlebt hat müssen für ihn doch blanker Horror sein.
 

Aber auch darüber konnte ich noch nicht mit ihm reden. Denn Seto ist längst noch nicht soweit, um mit mir darüber zu sprechen, was er dort erlebt hat. Ich habe hier nur das, was ich von Isono erfahren habe. Er hat mehr mitbekommen, als sich Seto ganz offensichtlich bewusst ist oder er hat dieses Wissen bewusst ausgeblendet, damit er in Isono nach der Firmenübernahme eine Vertrauensperson sehen konnte, vor der er sich nicht zu schämen braucht. Ein weiterer Kraftakt, den man einem fünfzehnjährigen nicht zutrauen würde.
 

Ich höre, wie jemand aus dem Wohnzimmer zu mir in den Wintergarten kommt. Als ich mich umdrehe sehe ich Seto und Katsuya. Ich lächle beide an. Sie sind ein schönes Paar, die beiden. Das Seto mit seinen Erfahrungen überhaupt eine Beziehung und die damit verbundene Nähe zulassen kann ist für mich ein Wunder. Kinder mit vergleichbaren Erfahrungswerten scheuen emotionale Nähe, wie die liebe Seele den Teufel.
 

Doch Katsuyas eigene Erfahrungen als Missbrauchsopfer scheinen ihm zu erlauben auf Seto einzugehen. Er weiß erstaunlicherweise ganz genau, wann er wie mit seinem Freund umzugehen hat und was dieser braucht. Wann es notwendig ist, ihn zu pushen und wann er ihn etwas zurück ziehen muss. Und Seto? Er vertraut ihm blind und bedingungslos. Das er dazu fähig ist, ist erstaunlich und zeugt nur von seiner Kraft und seinem Willen, sich davon nicht unterkriegen zu lassen.
 

Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich das Ganze nicht etwas kritisch sehen würde. Katsuya war bei seinen Erfahrungen jünger und sie haben ein Jahr gedauert. Auch war der Missbrauch, obwohl ein Gewaltakt an sich, nicht von Gewalttätigkeit geprägt, wie bei Seto. Der Mann, der sich wiederholt an Katsuya vergriffen hatte war kein sadistischer Psychopath, sondern ein Pädophiler, der seinen Trieb ausleben wollte ohne dem Opfer weiter körperlich zu schaden.
 

In zwei Jahren Therapie haben wir anfangs täglich, später zwei Mal die Woche, alle Übergriffe ausführlich aufgearbeitet. Natürlich hatte er am Anfang große Scheu darüber zu sprechen, vor allem weil er Angst hatte, dass seine Eltern ihn weggeben könnten. Doch nachdem ich ihm diese Angst genommen hatte und sein Vertrauen gewinnen konnte war er mir gegenüber immer offen und aufgeschlossen.
 

Er hat mir gegenüber immer frei darüber gesprochen und später in der Gruppensitzung hat er das schließlich auch übernommen. Und mit voranschreitender Therapie kam sein altes, freundliches, offenes Wesen wieder zum Vorschein. So haben wir guten Gewissens die Therapie abgeschlossen kurz bevor sein Vater wieder aus dem Gefängnis kam. Ich hab ihm klar gemacht, dass wann immer er etwas braucht oder sich in einer Situation wiederfindet, in der nicht weiter weiß, zu mir kommen kann.
 

Und tatsächlich saß er mit vierzehn auf den Treppen meiner Praxis. Ich bat ihn herein und hab ihm einen Tee aufgebrüht. Anfangs druckste er noch etwas herum, bevor ich ihn direkt fragte, was los sei. Da hat er gefragt, ob ihn der Missbrauch schwul gemacht haben könnte und ob er jetzt abartig sei, wenn er auf Jungs stehen würde. Ich hab ihn sanft angelächelt und mit ihm ein Gespräch über sexuelle Orientierung geführt. Dass das eine nichts mit dem anderen zu tun hat und an Homosexualität nichts Abartiges wäre.
 

Erst knapp zwei Jahre später stand Katsuya wieder vor meiner Tür. Wieder früh morgens. Also bat ich ihn rein, kochte uns ein Tee und wartete darauf, dass er mir erzählte, was ihn zu mir trieb. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und grinste mich an. Dann eröffnete er, dass er einen Freund hat, mit dem er gern intim werden würde.
 

Ich ahnte schon, was sein Problem war. Er erzählte, dass sie bereits ein wenig Petting gemacht haben, aber immer, wenn es weiter gehen sollte, würde er sich unwohl fühlen und sich aus dem Staub machen. Also haben wir mehrere Sitzungen angesetzt und an dem Problem gearbeitet. Schließlich hatte sich auch das gelöst und Katsuya verschwand wieder aus meinem Blickfeld. Bis... er sich vor drei Monaten wieder meldete. Dieses Mal nicht für sich, sondern für Seto.
 

So viel Angst ich um Katsuya habe, dass er möglicherweise böse getriggert werden könnte, umso stolzer bin ich, dass er Seto so gut zur Seite steht und ihm nach seinen Kräften hilft. Dennoch werde ich ein Auge auf den Blonden haben und bei den ersten Anzeichen, dass er selbst ins Straucheln geraten könnte, werde ich in mir greifen und das entstehende Problem aufarbeiten. Was anderes kann ich nicht tun, denn die Alternative wird weder er noch Seto wohlwollend aufnehmen, noch akzeptieren. Aber vielleicht - hoffentlich - mach ich mir auch völlig umsonst gerade Sorgen.
 

Das wird wohl die Zeit zeigen.

Einen Schritt, um die Plätze zu tauschen

Ich kann es einfach nicht glauben. Wie kommt Kai dazu in Setos Sitzung mich in den Fokus zu nehmen. In diesen Sitzungen soll es ganz allein um Seto gehen. Wenn ich ein Problem habe, dann geh ich zu Kai. Hab ich immer. Werde ich auch in Zukunft. Aber ich hab keine Probleme. Mein letztes war die Unsicherheit vor meinem ersten Mal... vor meinem ersten Mal ohne Zwang.
 

Unruhig tigere ich in unserem Schlafzimmer auf und ab. Ich mach mir Sorgen um Seto. Er könnte die zwei, drei Fragen von Kai falsch interpretieren. Interpretieren, als würde es ein Problem für mich werden, wenn er mir von sich und seinen Erlebnissen erzählt. Könnte seine Angst schüren, mir zur Last zu fallen. Völlig absurd. Niemals würde er mir damit zur Last fallen.
 

Ich hab doch meine Vergewaltigungen alle aufgearbeitet. Bewältigt. Ja, danach hatte ich Momente, wo ich unsicher wurde. Doch da bin ich direkt zu Kai. Und er hat mir dabei geholfen, die Unsicherheiten abzubauen. Hat mir geholfen, dass ich ein normales Sexleben haben kann. Eines ohne Angst. Ohne Scham. Ohne Ekel.
 

Selbst das bisschen Intimität, dass ich mir mit Seto aufgebaut habe, könnte jetzt dadurch in Gefahr geraten. Was wenn Seto befürchtet, mir könnte es unangenehm werden, wenn ich ihm einen blase oder liebkose? Man... Idiot. Noch nie war ich so sauer auf Kai. Noch nie.
 

Meine Wut kanalisiert sich schließlich in einem Tritt gegen die niedrige Bank in unserem Ankleidezimmer. Ich trete und trete und trete, bis es schließlich knackt und die Bank bricht. Erschrocken weiche ich zurück. Verdammt. Das wollte ich nicht. Ich wollte die Sitzgelegenheit nicht kaputt machen. Wie soll ich das jetzt Seto erklären. SCHEIßE!
 

Der Schock über meine Zerstörungskraft hat meine Wut abgewürgt. Es tritt Scham an ihrer Stelle. Normalerweise hab ich eine ganz gute Methode, meine Wut sinnvoll zu nutzen. Mit kochen. Warum bin ich also hier und nicht in der Küche? Ich weiß es nicht. Vielleicht... wollte ich, dass die Wut mich für einen Moment beherrscht. Obwohl ich weiß, was für katastrophale Konsequenzen das haben kann.
 

Doch jetzt ist mein Denken wieder klar. Ich besorg mir einen großen Müllbeutel und beginne die kaputte Bank einzusammeln und in den Sack zu stopfen. Als ich das geschafft habe verlasse ich mit dem Sack erst die Ankleide, dann das Schlafzimmer und zieh den Beutel hinter mir her den Flur entlang zur Treppe.
 

An der Treppe begegne ich dem Hausvorsteher oder wie man seine Position auch immer nennt. Der, der in einem gewissen Rahmen befugt ist, Anschaffungen zu tätigen und Reparaturen in Auftrag zu geben. Anschaffungen, wie neue Bonsai-Bäumchen für den Wintergarten oder eben eine neue Sitzbank für die Ankleide. Er will mir den Sack abnehmen, doch ich hebe abwehrend die Hand. Mach ihm klar, dass ich das entsorgen werde, da ich es auch kaputt gemacht habe. Er nickt nur stoisch.
 

Nachdem ich endlich die Möbelleiche entsorgt habe kehre ich zurück ins Haus und gehe in die Küche. Ich hab immer noch eine Menge Wut in mir. Das wird heute ein sehr umfangreiches Essen. Ein umfangreiches, japanisches Essen. Und so mach ich mich an die Zubereitung.
 

Nach fast zwei Stunden spür ich, wie mich zwei Arme umschlingen und mich jemand an sich zieht. Ich lächle. Sofort hab ich den Geruch und die Hände erkannt, die sich vor meinem Bauch falten. Lehn mich gegen die Brust meines Drachens. Er schiebt seinen Kopf auf meine Schulter. Will wissen, ob ich meine Wut abgebaut habe. Ich nicke nur, bevor ich das Messer niederlege und mich in seinem Arm umdrehe, so dass ich Seto anschauen kann. Ich streck mich ein wenig und küsse ihn sanft. Er erwidert den Kuss. Streicht mir in die Haare, während die zweite Hand in meinem Rücken ihren Platz findet und mich noch etwas enger an ihn zieht.
 

Vorsichtig fragt mich mein Drache, ob er sich über etwas Sorgen machen muss. Ich schüttle den Kopf. Versuche ihm zu erklären, dass alles in Ordnung ist. Dass er keine Angst haben muss, dass er mich triggern könnte. Ich hab meine Erlebnisse verarbeitet und überwunden. Kann frei darüber sprechen.
 

Etwas ändert sich in seinem Blick. Das hab ich noch nie bei ihm gesehen. Fragt mich, ob das wirklich so ist. Ist das ein Zweifel? Seit wann zweifelt mein Drache an mir? Ich nicke energisch. Er wendet ein, dass ich zwar allgemein darüber reden kann, aber noch nie irgendetwas im Detail erzählt hätte.
 

Kurz geh ich in mich. Nun ja, er hat schon Recht. Ich hab ihm einmal davon erzählt. Eine Art... Zusammenfassung. Aber was für Details sollte ich da auch schon groß erzählen? Restaurantbesitzer. Ich. Wiederholte Vergewaltigung. Aber... er hat schon irgendwo Recht. Wenn er einen Albtraum hat verlang ich von ihm, dass er mir davon erzählt. Mit jedem, schrecklichen Detail.
 

Wieder erkenn ich die Ungleichheit in unserer Beziehung. Wie mag Seto das erst empfinden? Eie Träne der Angst perlt mit über die Wange. Angst davor, dass mein Drache mich von sich weißt. Wegschickt. Weil er sich ungerecht behandelt fühlt. Ich predige ihm so viel, aber selbst... halte ich mich ihm Gegenüber nicht.
 

Warum sollte ich ihn mit meinem Scheiß belasten, wenn er noch nicht mal mit seinen Erlebnissen fertig wird? Oder würde ihm das etwa helfen? In der Gruppentherapie hab ich doch auch mit anderen darüber gesprochen, die das gleiche oder etwas Ähnliches erlebt haben. Ihnen hat es geholfen, wenn ich über mich sprach. Natürlich würde es ihm helfen. Er würde erkennen, dass er nicht alleine ist. Könnte aus meinen Erfahrungen Erkenntnisse gewinnen, die ich ihm nicht diktieren müsste.
 

Mein Drache wischt mir die Träne von der Wange, bevor er mich richtig an sich zieht, so dass ich an seiner Brust lehne. Hält mich eng umschlungen und flüstert mir ins Ohr, dass alles in Ordnung sei. Das ich keine Angst haben brauch. Das auch ich schwach sein darf und nicht immer stark sein muss.
 

Ich schließe meine Arme um ihn und drück mich eng an ihn, während ich mehr weinen muss. Eigentlich weiß ich nicht, warum ich weinen muss. Nur, dass es mir gerade gut tut. Ich fühl mich auf einmal so verletzlich und schwach. Doch mein Drache legt seine Flügel schützend um mich und hält mich einfach nur. Legt seinen Kopf auf meinen, krault mich sanft im Nacken, wie ich es sonst mach, wenn ich ihn tröste.
 

Auf einmal sind unsere Rollen vertauscht. Mein Drachen ist stark und gibt mir Kraft, während er mich tröstet und ich bin schwach und schutzbedürftig. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich es verstehe. Aber ich hab schon vor langer Zeit gelernt, dass man nicht alles verstehen kann. Manchmal muss man Dinge einfach akzeptieren, sonst wird man wahnsinnig.

Einen Schritt auf die Matte

Ich stehe vor dieser Villa. Die Villa kenn ich gut. Hab viel Zeit hier verbracht. Zeit, die ich gerne vergessen wollen würde. Doch die Geschehnisse aus diesem Haus haben sich in meine Erinnerung eingebrannt. Sie werde mich ein Leben lang begleiten. Mal mehr und mal weniger. Und obwohl das alles für mich schon so lange zurück liegt, stehe ich hier und zögere das Haus zu betreten.
 

Schon beim Abendessen letzte Woche hab ich diesen Widerstand verspürt, die Stufen zur Tür hinauf zu gehen und das Haus zu betreten. Ich habe ihn dann beiseite geschoben und bin trotzdem rein. Wollte den Ölzweig, den mir Seto reichte, nicht ablehnen und riskieren, dass er es falsch verstehen könnte. Jetzt... wo er einen Schritt auf mich zugemacht hat.
 

Doch ich spüre den gleichen Widerstand erneut in mir. Und so steh ich seit geschlagenen zehn Minuten hier, mit meiner Trainingstasche über der Schulter und starre die Front dieses Hauses an. Ich weiß, dass mein Peiniger, der mich hier immer erwartet hat, schon Jahre tot ist. Aber mein Inneres erbebt trotzdem vor Angst.
 

Also besinn ich mich auf meine Atemübungen und die Lektionen meines Meisters, der stets an mich geglaubt und mir vertraut hat. Mir sogar seine Tochter anvertraut hat, als ich ihn um ihre Hand gebeten hatte. Erst bei dem Gedanken an meine Frau merke ich, wie ich einen Schritt vorwage. Dann noch einen. Schließlich erreiche ich die Tür und betätige die Klingel.
 

Statt von einem Dienstmädchen wird mir die Tür von Mokuba geöffnet, der mich begeistert anstrahlt. Ich lächle zurück. Er lässt mich eintreten, da kommen auch schon Seto und Jonouchi aus der oberen Etage. Sie grüßen mich freundlich, aber sachlich. Dann legt Seto seinen Arm um Mokubas Schulter.
 

Jonouchi erkundigt sich, ob ich gut her gekommen bin und betreibt ein wenig Smalltalk, während er mich durch das Wohnzimmer und den Wintergarten - an den ich mich gar nicht erinnern kann - zu einer Tür führt, die ich noch nie gesehen habe. Zugegeben, in diesem Teil des Hauses war ich eher selten. Man hat mich früher immer direkt nach oben gebracht und... nein! Lass es... fang jetzt nicht an in Erinnerungen zu versinken. Du bist hier, weil du diesen drei den Kampfsport näher bringen sollst.
 

Ich werfe einen Blick über meine Schulter. Seto folgt mir und seinem Freund, während er immer noch einen Arm, um seinen kleinen Bruder gelegt hat. Er will ihn beschützen. Ob bewusst oder unbewusst vermag ich nicht zu sagen. Aber ich kann es ihm auch nicht verdenken. Ich frag mich ohnehin, warum er seinem Bruder überhaupt nachgegeben hat. Hatte eigentlich erwartet, dass er mich spätestens Montag anruft und das Training absagt oder nach jemand anderen für die Übungen fragt.
 

Doch das hat Seto nicht gemacht. Ist das ein weiterer Ölzweig oder... hätte er Mokuba die GANZE Wahrheit sagen müssen und wollte das vermeiden? Bin ich einfach nur das kleinere Übel für ihn? Allein der Gedanke schmerzt mich und doch, kann ich nicht böse darüber sein. Wahrscheinlich würde ich ganz ähnlich handeln, wenn ich einen kleinen Bruder hätte.
 

Als die Tür aufgeht bin ich erstaunt. Dahinter kommt ein Raum zum Vorschein, der etwa ein Drittel so groß ist wie unser Dōjō ist und vollständig und gut ausgestattet worden ist. Scheinbar ist das mit dem Training wirklich ernst gemeint. Daher frag ich kurz wo ich mich umziehen kann und werde auf einen angrenzenden Raum verwiesen, der ein voll ausgestattetes Badezimmer inklusive Dusche darstellt.
 

Nachdem ich mich umgezogen habe und ich zurück in die Trainingshalle gehe fällt mir erst auf, dass alle drei passende Keikogi, Trainingsanzüge tragen, wie man sie beim Jiu Jitsu für gewöhnlich an hat. Normalerweise statten wir unsere Schüler damit als Leihgabe aus. Doch okay...
 

Also beginnen wir mit ein paar Aufwärmübungen, um Muskel und Bänder zu lockern und zu dehnen. Ich mach die Übungen vor, sie machen sie nach. Alles wie immer. Dieser Unterricht unterscheidet sich in nichts von dem Unterricht, den ich normal im Dōjō gebe, warum mir deswegen so mulmig ist will mir nicht klar werden.
 

Normalerweise würden ältere und erfahrenere Schüler jetzt Übungen vor machen und die Neueinsteiger würden versuchen sie nachzumachen. Dabei würde ich sie in Haltung und Ausführung korrigieren. Aber hier gibt es keine erfahreneren Schüler. Aber eine Spiegelwand. Also mache ich einige Bewegungen vor und beobachte im Spiegel die Bewegungen der drei. Mir fällt dabei durchaus auf, dass Seto seinen Bruder möglichst weit von mir positioniert hat.
 

Nachdem sie die Grundbewegung begriffen haben konzentriere ich mich auf die Korrektur und möchte bei Mokuba die Haltung durch eine Hand in seinem Rücken zu Recht rücken. Doch ich spüre die Argusaugen in meinem Rücken und vermeide den direkten Körperkontakt. Beschreibe ihm, wie er seine Haltung verbessern soll. Bei Jonouchi ist es lediglich notwendig ihm die Bewegung noch einmal langsam zu zeigen, dann hat auch er die erste Bewegung drauf.
 

Als ich zu Seto komme... bin ich überfordert. Er ist total angespannt und vor allem verspannt. Die Bewegung kriegt er so nicht hin. Als ich einen Schritt auf ihn zu komme unterbricht er seine Übung und weicht nach hinten aus. Er kaschiert seine Flucht damit, dass er am Rand der Matte eine Flasche vom Boden hebt und einen Schluck nimmt. Ich folge ihm und frage so leise, dass nur er mich hört, ob meine Anwesenheit ein Problem für ihn ist. Er verneint. Lügner, schreit alles in mir. Dann fragt er mich nach Verbesserungsvorschlägen für seine Haltung und Ausführungen.
 

Einen langen Moment schau ich ihn an. Er blickt zu mir zurück. Ich kann ihm ansehen, wie unwohl er sich in diesem Augenblick in meiner Gegenwart fühlt. Dennoch versucht er auf sachlicher Ebene mit mir zu agieren. Das letzte was ich will ist ihn überfordern. Aber ich antworte ihm wahrheitsgemäß auf seine Frage. Sag ihm, dass er lockerer werden muss, weil er sonst diese Bewegung niemals richtig hinbekommen wird. Er nickt. Dann gehen wir zurück zu Mokuba und Jonouchi, die uns über den Spiegel hinweg beobachtet haben. Seto nimmt wieder Aufstellung und versucht tatsächlich sich mehr zu lockern. Doch es will ihm nicht gelingen.
 

Zum Abschluss möchte ich ihnen zeigen, wie diese Bewegung aussieht, wenn man sie mit einem Partner ausführt. Da ich davon ausgehe, dass Seto mit Jonouchi üben wird wende ich mich Mokuba zu, doch Seto ist sofort zur Stelle und fragt seinen kleinen Bruder, ob er mit ihm üben würde. Mokuba scheint ebenso überrascht zu sein wie ich, doch ich lasse mir nichts anmerken und wende mich dem Blonden zu. Der lächelt mich an. Ich zeige mit ihm den Brüdern, wie die Bewegung in einer Partnerübung aussieht. Erst langsam. Dann normal schnell.
 

Gerade, als wir zum Ende kommen kommt jemand in den Raum. Ich erkenne ihn sofort: Isono.

Einen Schritt in Keizos Welt

Ich parke meinen Wagen dort, wo ich ihn vor der Villa immer parke. Steige aus, eile die Treppenstufen hinauf und schließe die Haustür auf. Drinnen ist es absolut ruhig. Ich schau kurz in den Gang zu Seto-samas Büro, doch ich erkenne von hier aus, dass die Tür offen steht und höre nichts. Also geh ich in die Küche, doch auch da finde ich niemand. Bei meiner Ankunft hab ich aus dem Wohnzimmer nichts vernommen, so wandert mein Blick in das obere Stockwerk. Wenn Seto-sama an einem Sonntag um diese Zeit oben ist, dann will ich ihn nicht stören.
 

Gerade als ich mich wieder zur Haustür wende kommt das Hausmädchen in das Foyer, grüßt mich freundlich und fragt mich, ob ich Seto-sama suche. Ich nicke und mein nur zu ihr, dass ich ihn nicht stören möchte, wenn er oben ist. Doch sie schüttelt den Kopf und erzählt mir mit einem Lächeln, dass Seto-sama im ehemaligen Esszimmer für Empfänge sei. Dann strebt sie arbeitsam davon. Ich blicke ihr nur verwirrt hinterher.
 

Seto-sama im Esszimmer für Empfänge? Diesen Raum hat er seit dem Tod vom alten Kaiba nicht mehr betreten. Und verübeln kann ich es ihm nicht. Es ist eine erinnerungsträchtige Räumlichkeit. Wer oder was hat ihn also dazu gebracht diesen Raum jemals wieder freiwillig aufzusuchen. Freiwillig? Kann ich wirklich davon ausgehen, dass er freiwillig in dieses Zimmer gegangen ist?
 

Als ich den Winterquarten durchquert habe - den Seto-sama damals als erstes nach Gozaburos Tod einrichten gelassen hat - steh ich vor der Tür zum Esszimmer. Aus dem Inneren kommen mehrere merkwürdige Geräusche. Könnte es sein, dass er gerade mit Jonouchi-kun... nun ja... intim ist? Doch dann hör ich eine Stimme, die ich hier nicht erwartet habe, die etwas murmelt. Was genau sie sagt, kann ich nicht verstehen. Also schieb ich die Tür auf und...
 

Das hier ist kein Esszimmer mehr. Jetzt ergibt es einen Sinn, warum das Hausmädchen 'ehemaliges Esszimmer' gesagt hat. Mir fällt wieder ein, dass Jonouchi-kun mich für Sachen für einen Trainingsraums gebeten hatte. Ich hab daraufhin Agawa - den Hauswirt der Villa - gebeten Jonouchi-kun zur Hand zu gehen. Hätte nicht gedacht, dass der Blonde wirklich einen richtigen Trainingsraum einrichten würde. Der Raum sieht wirklich großartig und zweckdienlich aus. An das ehemalige Esszimmer erinnert hier absolut gar nichts mehr.
 

Dann fällt mein Blick auf den Besitzer der Stimme, die ich hier nicht erwartet hätte: Oshita Keizo. Es ist schon eine Weile her, dass ich das letzte Mal Kontakt zu ihm hatte und habe immer gehofft, dass er clean geblieben ist und sein Leben auf die Reihe bekommen hat. Scheinbar hat er das. Als er mich sieht hält er kurz inne. Dann beendet er ... das Training von Seto-sama, Mokuba und Jonouchi-kun. Er erklärt kurz, wie man am Ende den Trainer verabschiedet und die drei tun, was er ihnen vormacht. Dann nimmt er seine Trainingstasche und verschwindet im Nebenraum.
 

Jonouchi-kun kommt zu mir und grinst. Fragt mich, was ich von dem Trainingsraum halte. Ich lobe ihn, spar mir jedoch die Frage, warum er diesen Raum gewählt hat, da auch Seto-sama aufschließt. Er hat ein Handtuch um den Hals und hat seine Hand in Mokubas Rücken gelegt.
 

Daher frag ich, was los ist und Mokuba grinst mich glücklich an, während aus ihm die Antwort sprudelt. Das sie bei der Dōjō-Suche zufällig auf Keizo getroffen sind und dass Seto sich mit ihm ausgesprochen hätte. Und als er neulich zum Abendessen da war, haben sie ihn als Trainer für sie drei gewonnen und jetzt würde Keizo ihnen Jiu Jitsu beibringen.
 

Ich bin etwas erstaunt darüber. Nie habe ich Keizo einen Vorwurf wegen dem gemacht, wozu er gezwungen gewesen war. Niemals. Er war ebenso wie Seto-sama ein Opfer dieser sadistischen Perversen. Für ihn konnte ich damals gar nichts tun. Nicht einmal eine Erstversorgung, wenn Gozaburo oder sein Vater mit ihm durch waren. Doch auch er hat Seto-sama Gewalt angetan. Von daher erstaunt es mich ungemein, dass Seto wirklich den Kontakt wieder hergestellt hat und einer Aktivität nachgeht, in der er Keizo körperlich nah sein muss.
 

Seto-sama meint schließlich, dass sie jetzt erstmal duschen müssten und blickt noch einmal zur Tür des Badezimmers. Scheinbar weiß er nicht, ob er jetzt noch warten soll oder nicht. Also mein ich nur, dass ich auf Keizo warten und mich um ihn kümmern werde. Er nickt mir dankbar zu und fragt im Vorbei gehen, warum ich an einem Sonntag eigentlich hier wäre. Ich lächle kurz und meine, dass ich nur mal so vorbei gekommen bin. Er erwidert mein lächeln. Scheinbar ist er wirklich glücklich darüber, dass ich seiner Bitte versuche zu entsprechen und dann fragt er mich, ob ich nicht später nochmal zum Abendessen kommen will. Ich nicke. Dann gehen die drei.
 

Es vergehen noch zwei oder drei Minuten, dann kommt Keizo aus dem Badezimmer. Bleibt kurz stehen und mustert mich. Dann schultert er seine Tasche und kommt auf mich zu. Er lächelt mich an und verbeugt sich ein wenig vor mir. Grüßt mich. Fragt mich, wie es mir geht. Ich erwidere den Gruß und beantworte ihm die Frage, bevor sie von mir selbst an ihn gerichtet wiederholt wird. Mit einem Grinsen nickt er nur. Meint, dass er dann los muss. Mit meiner Hand auf seiner Schulter halte ich ihn auf.
 

Überrascht blickt er mich an. Als ich sage, dass ich ihn fahren werde, will er abwinken. Doch ich erwidere nur, dass ich Seto-sama mein Wort gab, mich um ihn zu kümmern. Ein verschmitztes Lächeln schleicht sich auf sein Gesicht und meint frotzelnd, so wie ich mich damals um ihn kümmern sollte, als ich ihn von der Straße geholt habe. Jetzt muss auch ich ein wenig lächeln und nicke. Schließlich willigt er ein.
 

Auf der Fahrt versuche ich ein wenig mehr über ihn zu erfahren, während er mich Straße für Straße lotst. Er erzählt mir, wie er durch das Hilfsprogramm zum Dōjō kam und dort etwas fand, was ihm Spaß machte und den nötigen Halt im Leben bot. Wie er in seiner Arbeit aufgeht. Das freut mich wirklich ehrlich. Aber jemand, der nur für die Arbeit lebt läuft wesentlich leichter Gefahr, wieder abzurutschen. Er blickt mich einen langen Moment an. Dann lächelt er wieder. Dieses Mal auf eine Art und Weise, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen habe. Friedlich und glücklich.
 

Plötzlich meint er, ich solle bei dem nächsten Haus halten. Ich folge seiner Bitte und schau mich jetzt aktiv in der Gegend um. Wir sind in einer netten Wohngegend, in der überwiegend freistehende Ein-Familien-Häuser stehen. Bevor er aussteigt, bittet er mich, mit ihm zu kommen. Ich schalte den Motor aus, steige aus und schließe ab. Dann folge ich ihm zu dem Ein-Familien-Haus, vor dem wir geparkt haben. Ich frag mich, was wir hier wollen.
 

Keizo zieht einen Schlüssel und schließt die Tür auf. Scheinbar verdient er als Trainier gut Geld, dass er sich hier die Miete für ein Haus leisten kann. Aus dem Inneren hör ich ein lautes, freudiges Quietschen. Als ich Keizo folge, sehe ich, wie eine rothaarige Frau ihm ein Baby übergibt, von dem die Freude ausgeht. Als sie mich sieht wirkt sie überrascht, dann lächelt sie. Er stellt mir die Frau als Megumi, seine Frau, vor und auf dem Arm hat er seine Tochter Hoshi.
 

Ich bin völlig baff. Dann stellt er mich seiner Frau vor und sie bekommt ganz große Augen und scheint freudig überrascht zu sein. Sie verbeugt sich tief vor mir und mir ist das wahnsinnig unangenehm. Die Frau dankt mir dafür, dass ich ihrem Mann vor einigen Jahren so geholfen habe und dass sie mir die Liebe ihres Lebens verdankt. Schlagartig wird mein Gesicht rot und brennt. Hat Keizo ihr etwa davon erzählt. Sie lächelt nur und meint, dass ihr Mann keine Geheimnisse vor ihr habe. Verblüfft schau ich ihn wieder an und er nickt. Sagt, dass sie von allem weiß: Von seiner Mutter, seinem Vater, was bei Kaiba Corp gelaufen sei, dass er auf der Straße gelebt habe und ich sein Leben gerettet habe.
 

Lange steh ich da und betrachte einfach nur dieses glückliche Paar vor mir. Bin nicht fähig etwas zu sagen oder mich zu bewegen. Dann meint Megumi, dass ich zum Essen bleiben müsse. Ich wink ab, denn eigentlich bin ich ja bei Seto-sama zum Abendessen eingeladen. Sie schaut mich traurig an und meint, dann ein anderes Mal und dass sie darauf bestehen würde, dass ich auch wirklich kommen werde. Ich lächle sie dankbar an und wende mich dann zum Gehen.
 

Als ich das Haus verlasse folgt mir Keizo. Er dankt mir nochmals aufrichtig für meine Sorgen und dass ich mich damals so intensiv um ihn gekümmert habe, als er auf Entzug war. Das er alles, was er habe nur mir verdankt. Zuviel ist zuviel. Ich winke ab und sage ihm, dass alles was er hat, er sich selbst hart erarbeitet hat. Denn er habe sich niemals geschlagen gegeben. Es mag sein, dass er an dem zerbrochen sei, was er damals erlebt habe. Doch zusammen gesetzt hat er sich aus eigener Kraft. Das war schmerzhaft und anstrengend, aber wie es scheint habe es sich gelohnt.
 

Er verbeugt sich kurz vor mir. Bevor ich mich umdrehe, reich ich ihm meine Visitenkarte. Sag ihm, sollte er jemals Hilfe oder etwas anderes brauchen - vor allem im Umgang mit Seto-sama - dann kann er mich jederzeit anrufen. Mein Gegenüber nickt nur und dankt mir erneut. Dann gehe ich zurück zu meinem Wagen, steig ein und fahr los.
 

Ein paar Straßen weiter muss ich anhalten und parken. Mir drängen sich Tränen in die Augen. Das es Keizo so gut geht und er sein Leben so wundervoll gemeistert hat bewegt mich zutiefst und gibt mir Hoffnung für Seto-sama. Dass auch er es schaffen kann die Jahre des Horrors und des Grauens irgendwann zu überwinden und ein glückliches Leben zu führen.
 

Nach ein paar Minuten setze ich den Wagen wieder in Bewegung und fahre zurück zur Villa.

Einen Schritt zur Entspannung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt des Zufalls

Katsuya hat sich wieder einmal selbst übertroffen mit dem Abendessen. Er hat verschiedene Spieße zubereitet, die er mit einer Sojasauce glaciert hat und zusammen mit selbst aromatisiertem Reis und einem Algensalat serviert. Es schmeckt einfach fabelhaft und zergeht auf der Zunge. Ich hab schon ewig kein Teriyaki mehr genossen. Ich könnte mich geradezu in dieser Marinade hineinlegen und mich darin baden. Zugegeben, die Sauce wieder abzukriegen wäre eine Herausforderung, da sie doch etwas klebrig ist, aber sie ist ein Traum.
 

Das Abendessen ist entspannt und ich genieße die Gesellschaft von Isono. Der - wenn ich das richtig deute - ist auch hin und weg vom Essen. Er war genau pünktlich zurück, was mich wundert. Ich hätte nicht gedacht, dass das Heimfahren von Keizo wirklich so lange dauern würde. Also erkundige ich mich, wo Keizo wohnt. Isono beschreibt mir ein Wohnviertel mit freistehenden Häusern der Mittelschicht.
 

Als er den Stadtteil benennt halte ich inne und starre ihn an. Isono blickt mich plötzlich fragend an, als Katsuya meint, dass das doch der Stadtteil wäre, wo der Park liegt, in dem wir uns mit Keizo das erste Mal getroffen haben. Ich nicke. Mein Streuner grinst zufrieden und meint, was es für ein Zufall ist, dass Keizo in dem gleichen Stadtteil wohnt, in dem auch ich aufgewachsen bin. Sofort halten Isono und Mokuba inne und blicken mich mit großen Augen an.
 

Doch Mokuba begnügt sich nicht nur mit dem Blick, sondern fragt gleich darauf was Katsuya gemeint hat. Ich erkläre ihm, dass unsere Eltern vor ihrem Tod mit uns auch in diesem Stadtteil gewohnt haben und wir oft in dem dortigen Park gewesen seien. Mokuba ist hell auf begeistert und stellt Fragen über Fragen. Ich kann verstehen, warum er so enthusiastisch nach Details fragt, er kann sich schließlich kaum an unsere Eltern erinnern und noch weniger an unser Leben vor dem Waisenhaus.
 

Also tu ich etwas, was ich sonst tunlichst vermeide: Ich erzähle von dem Haus am Ende der Straße, dem gegenüber der Park liegt, der terrassenförmig in verschiedene Bereiche gegliedert und vom Wald umgeben war. Erzähle von dem Fächer-Ahorn im Vorgarten und dem großen Garten in dem der Sakura und der Ume stand, die einmal im Jahr Kirschen und Aprikosen trug und die von unserer Mutter mit uns gemeinsam eingesammelt und dann eingekocht wurden.
 

Mokuba hängt mir förmlich an den Lippen, aber auch Isono und Katsuya schauen mich verträumt mit einem seltsamen Lächeln an. Mein kleiner Bruder will natürlich mehr hören. Mehr von dem Haus, in dem wir aufgewachsen sind, mehr von unserem damaligen Alltag und vor allem mehr von unseren Eltern - insbesondere unserer Mutter. Doch ich spüre diesen Schmerz in mir aufkeimen, den ich schon sehr lange nicht mehr hatte und der mich daran erinnert, warum ich für gewöhnlich nicht darüber rede. Also vertröste ich ihn sanft, was er mir mit einem Schmollen quittiert.
 

Isono ergreift das Wort und meint nur, dass das ein interessanter Zufall wäre. Ich blicke ihn nichtverstehend an. Als er meinen Blick bemerkt fährt er fort, ohne das ich was sagen muss. Er erzählt, dass auch Keizo am Ende einer Straße wohnt, seinem Haus ebenfalls ein schöner Park gegenüberliegt und er vor dem Haus eben jene Baumart erkannt habe, die ich beschrieben habe und die es gar nicht so oft in Vorgärten gibt.
 

Ein anderer Park im gleichen Stadtgebiet? Soweit ich weiß gibt es da nur diesen einen, der genau unserem Elternhaus gegenüberlag. Zögerlich, fast ängstlich frag ich Isono nach der Adresse, bei der er Keizo abgesetzt hat. Als er sie mir nennt zieht sich etwas in mir zusammen. Das kann unmöglich sein, dass Keizo heute in dem Haus wohnt, das einst unseren Eltern gehört und wir unsere ersten Jahren darin aufgewachsen sind. Völlig unmöglich!
 

Aber die Adresse und die Ortsbeschreibung lassen daran eigentlich keinen Zweifel und ich weiß nicht, was ich von dieser Offenbarung nun halten soll. Wieder herrschen in mir widersprüchliche Gefühle, die ich jetzt nicht auseinander pfriemeln will. Dabei spüre ich den fragenden, nicht verstehenden Blick von Mokuba auf mir. Er fragt mich, ob es nicht ein schöner Zufall ist, dass Keizo in unserem alten Zuhause wohnt und seiner Familie dort sicherlich ein schönes Leben bereitet.
 

Mein Blick ruht lange auf Mokuba bevor ich langsam nicke. Dann nehm ich mir den nächsten Spieß und lasse das Fleisch auf meiner Zunge zergehen. Ich sehe, wie Mokuba erst fragend zu Isono und dann zu Katsuya blickt, der ihn nur anlächelt und ihm auch noch ein Spießchen reicht. Scheinbar versteht mein kleiner Bruder, dass er nicht weiterhaken soll. Aber ich sehe, wie schwer es ihm fällt. Er war schon immer jemand, der alles sofort wissen wollte. Das er jetzt nicht aufbegehrt und weiter bohrt ist schon eine enorme Leistung für ihn und zeigt mir, wie erwachsen er geworden ist.
 

Dann wechselt Isono das Thema. Er fragt mich, ob ich schon ein Projekt im Kopf habe, welches ich angehen möchte. Ich blicke zu ihm und nicke. In der Tat hab ich da bereits mehrere Ideen. Doch als erstes werde ich mich an einer Optimierung der derzeitigen Duell Disk setzen. Es kann nicht sein, dass die gesamte Produktion der Duell Disk gefährdet ist, nur weil der Lieferant eines einzigen Teiles anfängt zu spinnen und uns mit Lieferverzögerungen droht, um uns unter Druck zu setzen und seinen Willen - nämlich ein Gespräch mit mir - durchzusetzen.
 

Isono grinst und erzählt von seinem Telefonat mit Kogoro. Wie er ihm den Wind aus den Segeln genommen und ihm eine Schnappatmung verpasst habe. Wie er sekundenlang scheinbar irritiert über die neusten Entwicklungen bei Kaiba Corp gewesen sei. Er wäre so außer sich gewesen, dass der Arsch sogar aufgelegt hatte. Irgendwie fühl ich eine gewisse Befriedigung, als ich das höre. Kogoro aus der Bahn zu werfen ist eine Leistung, die es zu würdigen gilt. Denn vor allem in der Geschäftswelt ist er dafür bekannt, dass er sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.
 

Ich frage mich, warum dieser Mann nach all den Jahren wieder aufgetaucht ist und so erpicht darauf ist mich erneut zu traktieren? Er ist ein sadistischer Psychopath, genau wie es Gozaburo gewesen war, aber ich bin seit über drei Jahren nicht mehr sein Opfer und auch nicht mehr das Kind, dass er damals... benutzt hat! Es ist völlig widersinnig, dass er sich so an mir festbeißt... sicherlich könnte er an andere Opfer leichter heran kommen.
 

Auf einmal halte ich erneut inne, als mir bewusst wird, was ich da denke. Hab ich gerade echt einem anderen Mensch gewünscht, dass Kogoro auf ihn aufmerksam wird und sich ihm widmet? Nein, natürlich nicht. Es war nur eine Feststellung, dass ich ein Ziel bin, an das er so nicht mehr rankommen wird. Also warum verschwendet er seine Energien darauf. Natürlich hoffe ich, dass es nie wieder jemand geben wird, der unter diesem perversen Monster zu leiden hat. Ich beiß mir auf die Unterlippe.
 

Es gäbe einen Weg Kogoro aus dem Verkehr zu ziehen und ihn öffentlich bloß zu stellen. Dummerweise müsste ich dazu nur der ganzen Welt erzählen, was er Keizo und mir angetan hat. Nein! Das kann ich nicht. Will ich nicht. Das geht niemanden etwas an. Wie sollte ich mir noch Respekt verschaffen, wenn jeder wüsste, was ich fünf Jahre lang über mich ergehen gelassen habe?
 

Auf einmal spüre ich eine warme Hand an meiner Wange. Als ich aus meinen Gedanken zurück kehre blicke ich in die bernsteinfarbenden Augen Katsuya, der neben mir kniet und mich von unten herauf anblickt. Sanft lächelt er mich an und ich erwidere dieses bezaubernde Lächeln nur. Zieh ihn zu mir und küss ihn inniglich. Dann steht er auf und holt den Nachtisch, den er vorbereitet hat.

Einen Schritt in die andere Richtung

Ich sitz missmutig auf dem Bett und ziehe mir ein Oberteil für die Nacht über. Es ist so ungewohnt hier alleine zu sein und mich ohne Seto auf das Zubettgehen vorzubereiten. Aber nach dem Abendessen hatte er eine Idee, die er unbedingt checken wollte. Also ist er im Keller verschwunden und hat gemeint, ich soll schon mal vorgehen. Er würde mich wecken, wenn er auch ins Bett kommt.
 

Auf einmal wirkt dieses Zimmer so groß und leer. Ist mir vorher nie aufgefallen. Seto füllt es mit seiner Präsenz mit Leben und Wärme. Doch ohne ihn... mir läuft es kalt den Rücken runter. Komisch... ich hatte doch vorher nie ein Problem damit alleine zu sein. Weder alleine in meinem Zimmer, noch alleine in unserer Bruchbude von Wohnung. Was ein paar Monate intensiver Beziehung alles verändern können.
 

Obwohl ich alleine bin, dimme ich das Licht für die Nacht nur. Das war eine Lektion, die ich ganz am Anfang gelernt hat: Seto hasst Dunkelheit. Das ist noch so ein Punkt, dem ich mal auf den Grund gehen sollte. Warum er die Dunkelheit hasst. Klar, weil er nicht sofort sieht, was um ihn herum ist. Aber ich glaube, da steckt noch mehr dahinter.
 

Langsam lege ich mich hin, zieh meine Decke nur so halb über mich, denn eigentlich ist es für meinen Geschmack schon angenehm temperiert. Also gibt es keine Notwendigkeit mehr für eine Decke. Ich drehe mich auf die Seite, auf der sonst immer Seto liegt und es kaum erwarten kann sich in meinen Arm zu legen. Doch nicht heute. Traurigkeit entsteht in mir. Ich kann nicht sagen, warum. Also wälz ich mich wieder auf die andere Seite. Ich blicke aus dem Fenster und schaue dem Mond beim Aufgehen zu. Langsam und ohne dass ich es merke, fallen mir schließlich die Augen zu.
 

Und plötzlich... plötzlich sitz ich in einer Ecke. Komisch, habe ich mich nicht eben ins Bett gelegt? Ein ekelhafter Geruch umgibt mich. Ein Geruch, den ich kenne. Den ich nicht mag. Doch ich kann nicht sehen, woher der Geruch kommt. Und obwohl ich ihn kenne, will mir nicht einfallen, von was er herrührt. Ich weiß nur, dass wenn ich ihm noch länger ausgesetzt bin, ich mich übergeben muss. Schon jetzt fällt es mir extrem schwer eine Würgereiz zu unterdrücken.
 

Plötzlich flutet mich Licht und ich muss eine Hand vor meine Augen halten, damit ich nicht sofort von der Reizüberflutung Kopfschmerzen bekomme. Mein Herz schlägt bis zum Anschlag. Ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen. Was ist hier los? Ich... kenne das alles irgendwoher, aber mir will einfach nicht einfallen, woher.
 

Ein neuer, widerlicher Geruch schlägt mir plötzlich entgegen. Dieser Geruch löst sofort eine Panik in mir aus. Dieser Geruch... immer wenn er mir seine Lippen aufpresste und seine schleimige Zunge in den Rachen stopfte, so dass ich nicht anders kann als zu würgen.
 

Auf einmal werde ich am Kragen gepackt und hochgerissen. Ein hämisches Lachen verspottet mich. Die Stimme klingt, als ob die Stimmbänder über Schleifpapier gezogen werden. Ich werde ins Gesicht geschlagen. Mit der flachen Hand, damit es keinen Abdruck hinterlässt. Dann werde ich aus meinem Versteck gerissen. Jetzt erkenn ich, wo ich bin. Oder besser gesagt: Wo ich war.
 

Ich saß in einem schmalen Schrank, neben der lecken Tiefkühltruhe, in der verschiedener Fisch aufbewahrt wurde. Durch das Leck trat etwas Saft, der sich am Boden der Truhe gesammelt hatte, aus und verströmte diesen ekelhaften Geruch. Das hier... ist der Keller des Restaurants, in dem mein Vater früher gearbeitet hat. Aber was tu ich hier?
 

Ohne Vorwarnung werde ich gegen die Truhe gestoßen, so dass ich mich durch den Schwung über den Deckel beuge. Noch ehe ich was tun kann spür ich einen Elenbogen in meinem Nacken, der mich weiter runter drückt. Ein Bein, welches sich zwischen meine drängt und sie spreizt. Mein Herz fühlt sich an, als ob es mir jeden Moment aus der Brust springen würde, wenn diese nicht auf der Tiefkühltruhe aufliegen würde. Ein heftiger Zug an meiner Hose und ich spüre, wie sie von meiner Hüfte rutscht. Ich spüre eine unglaubliche, unangenehme Hitze hinter mir. Will mich befreien, aber irgendwie kann ich nichts tun. Ich rudere hilflos mit meinen Armen nach hinten, in der stummen Hoffnung, dass ich was oder jemanden treffe, doch ich hab einfach keinen Erfolg.
 

Dann spür ich etwas zwischen meinen Schenkeln. Es pulsiert bereits, und fühlt sich gliebrig an. Auf einmal wird mir bewusst, was los ist: Ich durchlebe eine meiner Vergewaltigungen. Ich träume oder besser gesagt, ich habe einen Albtraum. Doch diese Erkenntnis nützt mir gar nichts, denn die Panik in mir schlägt immer höher und höher. Ich weiß, was jetzt folgen wird. Ich fang an laut zu rufen. Immer wieder wiederhole ich, dass ich träume. Will mich damit selbst aufwecken. Doch auch das bleibt ohne Erfolg.
 

Und dann spüre ich diesen Schmerz, als etwas viel zu großes in mich hinein drängt. Wieder denke ich, dass es mich jeden Augenblick zerreißen wird. Versuche nach vorne wegzukommen, doch da ist nur die Tiefkühltruhe. Ich kann mich nicht wehren, kann mich nicht befreien oder aufhalten was geschieht. Alles was ich jetzt noch machen kann und was ich als Kind niemals getan habe ist laut zu schreien.
 

Ganz plötzlich lehne ich nicht mehr über der Tiefkühltruhe. Ich sitze schwer atmend im Bett. Mein Oberteil klebt nass vom Angstschweiß an mir und ich zittere am ganzen Körper. Scheiße! Langsam versuche ich wieder Herr über meinen Atem zu werden mit der Technik, die mir Kai vor so vielen Jahren einmal beigebracht hatte. Und tatsächlich scheinen sich mein Atem und mein Puls wieder langsamer zu werden.
 

Doch dann schiebt sich jemand in mein Sichtfeld. Ich erkenne sofort meinen Drachen, der mich erschrocken anschaut. Seine Augen sind geweitet und sein Blick verwirrt. Klar, er hat noch nie erlebt, dass ich einen Albtraum habe. Langsam zwinge ich meinen Körper seine Anspannung fahren zu lassen und mich zu entspannen. Doch ich spüre weiterhin den fragenden Blick meines Drachens.
 

Merkwürdig einmal in der anderen Rolle dieser Situation zu stecken. Wenn mein Drache jetzt ich wäre, würde er mich nach meinem Albtraum fragen und mich bitten, ihm jedes Detail zu erzählen. Doch heute bin ich der Träumer. Ich hebe meinen Blick zu ihm und lächle ihn erschöpft an. Er kommt etwas näher und schlingt seine Arme um mich. Müde lehn ich mich an ihn und dann, auch wenn ich es eigentlich nicht will, erzähle ich Seto von meinem Traum. Nein... nicht von meinem Traum! Von meiner Erinnerung an dieses eine Mal.
 

Ich spüre, dass er das, was ich erzähle, nicht einfach so wegsteckt. Es ist für ihn schwer sich das anzuhören. Doch ich will nicht, dass er denkt, dass für mich andere Regeln gelten als für ihn. Ich blicke zu meinem Drachen auf und frage, ob ich aufhören soll zu erzählen. Er schüttelt den Kopf und zieht mich enger in seine Umarmung. Also rede ich weiter, während er mich sanft streichelt und mir so Sicherheit und Geborgenheit vermittelt.
 

Das fühlt sich gut an. Nur frage ich mich: Warum träume ich nach so vielen Jahren wieder davon? Mein letzter Traum an diese Vergewaltigung ist bestimmt sieben oder acht Jahre her. Also warum erinnere ich mich gerade jetzt an sie in Form eines Albtraumes? Doch jetzt ist weder die Zeit noch die passende Situation, um diese Frage zu klären. Vielleicht... sollte ich doch mal wieder mit Kai sprechen...

Einen Schritt in die Hetzjagd

Wir kommen gerade aus der Dusche und wollen uns für die Schule anziehen, als Setos Handy anfängt zu klingeln. Er nimmt es in die Hand schaut auf das Display und ist erstaunt. Mit einem Tippen auf das Display leitet er den Anruf auf die Mailbox um. Ich schau ihn fragend an, doch er winkt nur ab und meint zu mir, es sei nichts Wichtiges.
 

Gerade als wir unser Zimmer verlassen, klingelt erneut das Handy. Mein Drache schaut wieder auf das Display. Ich erkenne nur, dass es eine Nummer zeigt. Kein Name oder sonst etwas, was mir ermöglichen würde zu erkennen, wer da um diese Zeit anruft. Doch Seto scheint sie zu erkennen. Ein erneutes Tippen und auch dieser Anruf landet auf der Mailbox.
 

Doch kaum hört das Klingeln auf, fängt es wieder von vorne an. Wieder wird nur eine Nummer angezeigt, aber eine andere. Mein Drache schnaubt genervt, schickt auch diesen Anruf zur Mailbox und... es klingelt prompt wieder. Was ist denn hier los? Mein Drache geht in die Einstellungen und schaltet die Umleitung auf die Mailbox für alle eingehenden Anrufe ein.
 

Nachdem er sein Handy wieder weggesteckt hat blick ich ihn an und fordere eine Antwort, wer da verdammt nochmal so früh am Montag anruft. Mein Drache antwortet nur mit zwei Worten. Und diese Worte gefallen mir ganz und gar nicht: Die Presse.
 

Ich hatte eigentlich schon vor zwei Monaten erwartet, dass die Presse Sturm laufen würde, nachdem dieses Bild von uns in der Zeitung war. Doch bis auf diesen einen Aufmacher schien sich in der Medienwelt niemand groß für meinen Drachen und sein Liebesleben zu interessieren. Woher kommt also das Interesse der Medien heute an ihm?
 

Es dauert einen Augenblick, bis mir einfällt, woher der Wind weht. Seto hatte Freitag Papiere unterschrieben, die ihn als Geschäftsführer der Firma zurück treten ließen und das sollte heute Morgen in dem Wirtschaftsblatt veröffentlicht werden. Scheinbar ist das auch der Fall und hat das Interesse der Presse geweckt.
 

Aber... wieso eigentlich? Isono hatte eine vorbereitete Stellungsname an die Zeitung weitergeleitet und darin doch die Gründe - wenn auch nicht die tatsächlichen - dargelegt. Was wollen die Presseheinis nun von meinem Drachen?
 

Mein Drachen tut so, als wäre es ein ganz normaler Morgen und zieht mich weiter ins Erdgeschoss und in die Küche. Dort mach ich uns schnell ein schönes Frühstück und bereite die Bentō für Mokuba, meinen Drachen und mich vor. Schließlich schleicht auch Mokuba in die Küche. Tot müde, wie es scheint. Ich stell ihm erst mal einen frischen, belebenden grünen Tee vor, genau wie Seto. Erst nach ein paar Minuten scheint Mokuba munterer zu werden.
 

Als ich das Frühstück auftische ist der Kleine voll dabei von seinen Plänen für den Tag zu sprechen. Das er heute eine Klausur in Mathe schreibt und sich auf die Sport AG am Nachmittag freut. Vor allem seit er hier zu Hause Training bekommt. Ich muss lächeln, während ich ihm zuhöre und Seto löffelt nur sein Frühstück mit den Stäbchen in sich hinein.
 

Gerade als Mokuba kurz Luft holt und sein Redeschwall unterbrechen muss hakt Seto ein und warnt ihn vor. Sagt ihm, dass seine Mailbox gerade voll läuft, weil heute publiziert wurde, dass er als Geschäftsführer zurück getreten ist. Meint, Mokuba solle darauf gefasst sein, dass möglicherweise auch bei ihm vor der Schule Journalisten auftauchen könnten. Mokuba guckt für einen Moment erstaunt, nickt dann und lächelt, während er sich seine Schokonatto einverleibt.
 

Wir verlassen schließlich das Haus. Vor der Tür wartet schon ein Wagen auf uns und wir steigen zu dritt ein. Freundlich begrüß ich Fuguta, der uns heute früh fährt. Er nickt zurück und nachdem wir uns angeschnallt haben setzt sich der Wagen in Bewegung. Gerade als wir das Tor zum Grundstück passieren bricht ein Blitzgewitter los. Hier reihen und drängen sich die Journalisten geradezu an den Wagen und versuchen ein Schnappschuss vom Inneren zu machen. Doch zum Glück sind die Scheiben getönt.
 

Nach geschlagenen zwei Minuten haben wir endlich das Grundstück verlassen und befinden uns auf der Straße Richtung Stadtzentrum. Dort setzen wir erst Mokuba ab. Vor seiner Schule ist es ruhig. Keine Reporter oder Fotographen. Er verabschiedet sich von uns, steigt aus und eilt in die Schule.
 

Dann fährt Fuguta uns zu unserer Schule. Dort sieht es anders aus: Reporter drängen sich vor dem Schultor und sobald der Wagen vorfährt geht das Blitzgewitter los. Ich schau besorgt zu Seto, dem es gerade gar nicht gut geht. Also frag ich ihn, ob wir den Tag aussetzen sollen. Er schüttelt den Kopf und verschränkt seine Finger mit meinen. Er beugt sich zu mir und küsst mich, dann lächelt er mich an und meint, mit mir an seiner Seite schafft er alles.
 

Ich nicke ihm zu und wir steigen Händchenhaltend aus. Anders als in anderen Länder halten die Reporter hier einen gewissen Abstand, so dass wir ungehindert vom Wagen auf das Schulgelände kommen. Dennoch bin ich mir sicher, dass sie zahlreiche Schnappschüsse von uns gemacht haben. Schließlich können wir uns ins Schulgebäude retten und sind somit außerhalb der Sicht der Reporter.
 

Mein Drache meint scherzhaft, dass das letzte Mal so ein Rummel veranstaltet wurde, als er die Duell Disk herausgebracht und das Battle City Turnier angekündigt hatte. Ich muss schmunzeln, als ich an das Turnier zurück denke. Sanft streich ich mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Dann küsst er mich, hier im Foyer der Schule, bevor er mich in unser Klassenzimmer zieht.
 

Innerlich kichre ich, wie ein Schulmädchen. Vor zwei Monaten noch, hat Seto so getan, als seien wir 'nur' Freunde, bevor er in einer Aktion, die ihres Gleichen sucht, sich vor der Klasse geoutet und mich geküsst hat. Danach war es zwar okay Händchen zu halten oder in den Pausen etwas enger beisammen zu sitzen, aber küssen hat er dennoch stets vermieden. Daher freu ich mich darüber, dass er diese Scheu gerade überwunden hat. Ich hoffe, dass er das beibehalten wird.
 

Als wir in die Klasse kommen sind die anderen unserer Freunde schon da. Otogi deutet auf das Schultor und fragt, ob dieser Auflauf Seto geschuldet sei. Der erwidert nur kess, dass Otogi ja nicht neidisch sein soll. Entweder man ist von Interesse oder man ist es nicht. Dann beginnen beide zu grinsen. Was vor wenigen Monaten noch bösartig und arrogant gewirkt hätte ist jetzt nicht mehr als eine Kabbelei unter Freunden.
 

Mein Stolz auf Seto schwillt wieder an. Er hat sich seit den Winterferien so enorm und schnell entwickelt. Hat sich meinen Freunden gegenüber mehr und mehr geöffnet und sie auch in sein Leben gelassen. Das ist einfach eine unglaubliche Leistung für jemanden, der so eine Kindheit und so viel Scheiß erlebt hatte.
 

Mein Drache hat bereits jetzt schon einen unglaublichen Weg zurück gelegt und ich bin froh, ihn begleiten zu dürfen.

Einen Schritt, der erschrickt

Als wir die Schule verlassen sind die Geier immer noch vor dem Schultor. Unser Wagen steht auch schon da, aber wir müssen durch die Gasse, die die Journalisten bilden. Klar, wusste ich, dass mein Rücktritt für Fragen und Wirbel sorgen würde. Aber warum wollen die alle von mir Bilder machen?
 

Ich hasse es fotografiert zu werden. Vor allem, wenn ich keine Kontrolle über das so entstehende Bildmaterial habe. Am liebsten würde ich ihnen alle die Kameras abnehmen lassen. Sollen sie mir ihre Fragen stellen, aber aufhören Bilder von mir zu knipsen, als wäre ich ein seltenes Tier in irgendeinem Zoo. Vielleicht liegt meine Abneigung auch darin begründet, dass ich in meinem Leben einfach schon zu oft gegen meinen Willen fotografiert worden bin. Ich kann verzichten, dass noch mehr ungewollte Fotografien von mir entstehen.
 

Aber ich kann es ihnen nun mal nicht verbieten. Und wenn ich mich darüber aufrege regt das nur deren Neugierde an und sie würden anfangen zu graben. Darauf kann ich wahrlich verzichten. Gibt Dinge, die einfach privat sind und welche die Öffentlichkeit nicht wissen muss. Oder... andere Personen, die mir näher stehen.
 

Mein Blick wandert zu meinem Streuner, der sanft seine Finger mit meinen verschränkt hat und mich allmählich und sicher zum Hauptausgang des Gebäuden zieht. Das ist ein Teil meiner Vergangenheit, von der ich hoffe, dass er es niemals erfahren wird. Ich vertraue ihm und ich weiß, er liebt mich, trotz allem, was er schon von mir erfahren hat. Doch diese Fotos... von denen muss er nicht wissen oder sie gar sehen. Sie spielen auch gar keine Rolle, weder bei meinen Ängsten, noch bei meiner Therapie.
 

Katsuya blickt mich lächelnd an und fragt mich, ob ich bereit sei. Ich zieh ihn noch einmal an mich und stehle mir einen Kuss von seinen verführerischen Lippen. Mir doch egal, was die anderen Schüler davon halten könnten. Honda hatte vor ein paar Wochen Recht: Ich bin Kaiba Seto und hab noch nie einen Dreck auf die Meinung von Leuten gegeben, die mir am Arsch vorbei gehen. Als unser Kuss endet erwidere ich das Lächeln und nicke. Dann verlassen wir das Gebäude.
 

Wir haben das Schultor noch nicht ganz erreicht, da gehen das Blitzgewitter und die Fragerei los. Die meisten Fragen sind Standard und damit belanglos. Aber andere konstruieren einen unangenehmen Kontext, der mich überrascht. Natürlich lass ich mir diese Überraschung nicht anmerken. Ich gebe keine Antworten. Die Herren Journalisten wissen, dass für gewöhnlich bei großen Veränderungen oder Ankündigung die Kaiba Corp am Nachmittag eine Pressekonferenz geben wird. Solange müssen sie sich einfach gedulden.
 

Dann kommt eine Frage, von der ich hoffe, dass Katsuya sie nicht aus der Menge heraus gehört hat. Ich schieb ihn eilig in den Wagen und steig auch ein. Als die Tür endlich ins Schloss fällt umfängt uns Stille. Ich liebe diesen Wagen, der uns nicht nur vor den neugierigen Blicken schützt, sondern auch den Lärm der Reporter außen vor lässt. Fuguta begrüßt uns beide freundlich und möchte dann wissen, wo es hingehen soll. Ich bitte ihn uns nach Hause zu bringen. Er nickt und fährt die Trennscheibe hoch. Endlich alleine mit meinem Streuner.
 

Als ich zu ihm blicke stell ich fest, dass ich meine Hoffnung begraben kann. Er blickt mich fragend an, bevor er wissen will, ob das stimmt. Ich beiß mir kurz auf die Unterlippe, bevor ich ihn zu mir ziehe und versuche ihn zu küssen. Doch er würgt den Versuch direkt ab und meint, ich solle aufhören ihn ablenken zu wollen. Ich schlage meinen Blick zum Kabinenboden. Dann schüttle ich den Kopf. Dann hebe ich meinen Blick und verbalisiere meine Antwort. Mache klipp und klar, dass unsere Beziehung nichts mit meinem Rücktritt zu tun hat.
 

Doch Katsuya fragt weiter nach. Will wissen, wie der Reporter dazu kommen würde, so eine Frage zu stellen, wenn nichts dran sei. Ich nicke unbewusst, bevor ich ihm erkläre, dass im Februar die Aktien von Kaiba Corp ein wenig eingebrochen seien und sich ein geringer Rückgang bei den Absätzen abzeichnen würde. Fragend blickt er mich an. Will wissen, ob dass eine Reaktion auf unser Bild in der Zeit gewesen sei. Ich nicke. Erkläre ihm, dass es eben noch viele konservative Eltern gibt, die nicht wollen, dass ihre Kinder mit Spielzeug spielen, die von einem Homosexuellen entwickelt, produziert und vermarktet worden sind.
 

Betroffen blickt mich mein blonder Streuner an. Etwas Trauriges hat sich in seine Mimik geschlichen. Ich unternehme noch einmal den Versuch ihn an mich zu ziehen und zu küssen. Dieses Mal lässt er es zu und erwidert sanft den Kuss. Nachdem unser Kuss langsam ausgeklungen ist, bitte ich ihn, sich darüber keinen Kopf zu machen. Es sei alles in Ordnung und die Einbrüche sind nicht besorgniserregend. Prüfend blickt er mich an und nickt zögerlich. Dann schmiegt er sich an mich und in meinen Arm.
 

Noch während er so in meinem Arm lehnt fragt er mich, was Isono und ich der Presse als Grund angeben werden. Immerhin sei Kogoro ja nun nichts, was wir offiziell zu Protokoll geben wollen. Darüber hatte ich Freitag, vor dem Abendessen, mit Isono gesprochen. Wir haben uns darauf verständig, dass wir es damit begründen, dass ich nach über drei Jahre alleiniger Geschäftsführerschaft endlich etwas Zeit für mich brauche, immerhin bin ich 18 Jahre und sollte andere Dinge im Kopf haben, als den nächsten Quartalsbericht. Außerdem werden wir es damit begründen, dass ich mich eben auf das besinnen möchte, was mir lieb und teuer ist, nämlich die Forschung und Entwicklung.
 

Scheinbar zufrieden nickt Katsuya, bis er zu mir aufblickt und mich anlächelt. Wieder verschränkt er unsere Finger miteinander. Dann streckt er sich zu mir und küsst mich. Meine freie Hand schieb ich in sein samtiges Haar und erwidere den Kuss. Wenn wir nicht gerade im Auto wären, dann würde ich ihn hier und jetzt und sofort... Ich brech den Kuss ab, als ich merke, dass meine Hose beginnt zu eng zu werden.
 

Mein blonder Streuner blickt mich erst fragend an, bevor sein Blick auf meinen Schoss fällt und er mich angrinst. Er rutscht in einer eleganten Bewegung von der Rückbank, kniet sich vor mich und öffnet meine Hose. Überrascht und seicht entsetzt blick ich zu ihm. Das kann doch jetzt nicht sein Ernst sein, dass er DAS jetzt hier und sofort machen will, oder? Doch... das ist sein Ernst und als er anfängt kann ich nicht anders als genießerisch meinen Kopf auf die Rückenlehne zu betten und seicht zu stöhnen. Dabei schließ ich meine Augen.
 

Gerade als wir das Tor zum Anwesen der Villa passieren hat mich Katsuya soweit, dass ich komme und er schlucken muss. Ich bin völlig außer Atem und hab das Gefühl, dass meine Knie mich gleich nicht tragen werden, so weich kommen sie mir vor. Mein blonder Streuner schließt meine Hose wieder und setzt sich wieder neben mich, um mich in seinen Arm zu ziehen. Ich lehne mich an ihn und bin dankbar dafür, dass Katsuya so ein geduldiger Mensch ist. Es hat lange gedauert, bis ich sowas genießen konnte, doch Katsuya hat nicht aufgegeben und mit mir an meiner Wahrnehmung gearbeitet. Daher hoffe ich, dass er ebenso ausdauernd sein wird, wenn es um unser erstes Mal gehen wird.
 

Erschrocken setz ich mich auf, die Augen weit aufgerissen. Was... was hab ich da gerade gedacht? Irritiert richtet sich auch Katsuya auf und blickt mich fragend an. Ich spüre die Schamesröte auf mein Gesicht aufziehen. In diesem Moment kommt der Wagen zum Stehen und die Trennwand bewegt sich nach unten. Ich spring eilig aus dem Wagen und renn förmlich zum Haus. Katsuya scheint gar nicht zu wissen wie ihm geschieht und blickt mir nur verdutzt hinterher, während ich durch die Haustür ins Innere verschwinde und dann die Treppe nach oben renne, um dann zu unserem Zimmer zu eilen.

Einen Schritt aus der Peinlichkeit

Verdaddelt schau ich meinem Drachen nach, der sich plötzlich erschrocken aufgesetzt und dann aus dem Wagen geflüchtet ist. Ich danke Fuguta fürs Fahren und wünsche ihm noch einen schönen Tag, bevor ich aussteige und meinem Drachen ins Haus folge. Als ich durch die Haustür komme sehe ich seine eilig ausgezogenen Schuhe unter der Garderobe liegen. Ich stelle sie ordentlich hin und schlüpf aus meinen eigenen, bevor ich mich kurz umschaue.
 

Aus dem Wohnzimmer kommt Stille und auch in Richtung Büro kommt mir kein Ton entgegen. Ich schüttle meinen Kopf. Wenn mein Drachen sich erschreckt, sucht er den einzigen Ort auf, an dem er sich sicher fühlt: Unser Schlafzimmer. Also steig ich zielsicher die Treppe hinauf und beschreite den Gang bis zum Ende zur Doppelflügeltür. Als ich näher komme fällt mir auf, dass die Tür nur angelehnt ist. Leise trete ich ein und durchschreite den Vorraum.
 

Als ich die zweite Tür durchquere find ich das Schlafzimmer leer vor. Ich horche erst kurz, ob ich was aus dem Bad höre und wende mich dann dem Ankleidezimmer zu. Doch auch hier werde ich nicht fündig. Also doch ins Bad. Ganz langsam mach ich die Tür auf und blicke rein. Für einen Moment glaube ich, dass auch das Bad leer wäre, was mich unglaublich verwirrt und ich will die Tür schon schließen, als ich einen Schemen erkenne, der auf dem Boden der Dusche sitzt.
 

Also trete ich ein, gehe zur Dusche und öffne dort die Kabinentür. Dort sitzt Seto in seiner Schuluniform, die Beine eng an die Brust gezogen und die Arme darum geschlungen. Den Kopf auf den Knien. Was hat mein Drache nur? Vorsichtig betrete ich die geräumige Duschkabine und geh neben ihm in die Knie und lege behutsam meine Hand auf seinen Rücken. Was hat meinen Drachen so erschreckt? Doch er zieht seine Beine noch enger an die Brust.
 

Bedächtig lege ich meine Arme um ihn und zieh ihn sanft zu mir. Leise frag ich ihn, ob es an dem Blowjob im Auto gelegen hat. Doch er schüttelt den Kopf. Also frag ich nach, was ihn dann so erschrocken hat. Nur langsam hebt er seinen Kopf und damit seinen Blick zu mir hoch. Ich lächle ihn liebevoll an und will ihm damit den Mut schenken, zu sagen, was los ist. Er beißt sich auf die Unterlippe und blickt dann seitlich weg. Nur mit brüchiger, unsicherer Stimme, offenbart er mir, dass ihm bewusst geworden sei, dass er gerne mit mir... intimer werden möchte.
 

Irritiert schau ich ihn an und verstehe nicht ganz was er meint. Wir sind doch schon intim mit einander. Er schüttelt seicht den Kopf und meint, dass er die andere Sache meint. Die andere Sache? Ich verstehe immer noch nicht, was er meint. Dann platzt es förmlich aus meinem Drachen heraus. Nur ein einziges Wort: Sex!
 

Endlich verstehe ich, worüber wir reden und muss breiter schmunzeln. Ein Fehler, wie sich rausstellt. Denn mein Drache stößt mich plötzlich von sich, springt auf und eilt aus dem Bad. Überrascht brauch ich einen Moment, bevor auch ich aufspringe und ihm nacheile. Er will gerade aus dem Zimmer flüchten als ich meine Hand gegen die Tür stemme und sie damit wieder ins Schloss werfe. Meine andere Hand greift ihn am Handgelenk und will ihn zu mir drehen. Doch Seto will nicht. Windet sich energisch aus meinem Griff.
 

Verzweifelt frag ich ihn, was los ist. Doch er keift auf einmal mehr verängstigt als böse - wie ich erkenne -, dass es ganz toll wäre, dass er mit diesem mehr als peinlichen Geständnis mich belustigt. Er hat das Schmunzeln missverstanden. Wieder greife ich nach seinen Händen und zieh ihn an mich ran. Er will sich wieder von mir befreien, doch ich schlinge meine Arme um seine Hüfte und sag ihm, so sanft ich nur kann, dass ich mich nicht über ihn lustig gemacht habe. Dass ich es einfach nur niedlich fand, wie immer, wenn ihm etwas peinlich ist und er länger drum herum druckst, bis er es dann auf den Tisch packt.
 

Mein Drache blickt mir einen langen Moment in die Augen, bevor er seinen Kopf auf meine Schulter bettet und schließlich seine Arme um mich schlingt. Er meint, er würde es nicht ertragen, wenn ich mich über ihn lustig machen würde. Ich flüstere ihm zurück, dass ich sowas niemals machen würde. Das ich ihn viel zu sehr liebe, achte und respektiere. Vorsichtig zieh ich ihn zum Sofa und setz mich mit ihm dort hin. Löse ihn vorsichtig von mir, so dass wir uns wieder anschauen können. Doch mein Drachen fühlt sich scheinbar völlig unbehaglich.
 

Ich wiederhole seine Worte: Intimer werden. Schlagartig flutet die Schamesröte sein Gesicht und er will wegschauen. Doch ich lege behutsam meine Hand an seine Wange und halte ihn auf. Nur zögerlich schaut er mich an. Ich beuge mich zu ihm und küsse ihn sanft. Tatsächlich hat der Kuss auf meinen Drachen die gewünschte Reaktion zur Folge: Er entspannt sich ein wenig. Als wir uns von einander lösen, nickt er und lehnt sich dann in meinen Arm. Liebevoll zieh ich ihn ein wenig enger an mich. Dann frag ich ihn, wie er sich unser erstes Mal vorstellt.
 

Lange herrscht Stille, bevor er zu einer Antwort ansetzt. An dem Gestammel merk ich schon, dass er keine richtige Vorstellung hat. Also lege ich meine Finger unter sein Kinn, wende sein Gesicht ein weiteres Mal zu mir und küsse ihn. Mein Drache gibt sich mir völlig hin und überlässt mir die Führung bei dem Kuss. Als auch dieser Kuss ganz langsam ausklingt, frag ich ihn noch einmal nach seinen Vorstellungen. Er zuckt nur unwissend mit den Schultern. Also will ich ihm eine Hilfestellung geben.
 

Vorsichtig frag ich ihn, wie rum er sich unser erstes Mal vorstellt. Er in mir oder ich in ihn. Schlagartig bekommt er einen hochroten Kopf und er verspannt sich. Ich könnte schwören, dass er gerade aufspringen wollte. Stattdessen zieht er einen Fuß auf die Sitzfläche und umschlingt sein Knie. Mehr als unsicher beißt er sich auf die Lippe. Okay, stellen wir die Frage hinten an. Daher frage ich ihn, ob wir uns dabei anschauen sollen oder ob er es lieber hätte, dass wir keinen Blickkontakt dabei haben. Jetzt zieht er den zweiten Fuß auf das Sofa hoch und stiert seine Knie an.
 

Man, man, man! Innerlich schmunzle ich wieder über die demonstrierte Unbeholfenheit meines Drachens. Der große, gefürchtete Geschäftsmann... ganz verlegen und peinlich berührt bei einem Gespräch über Sex. Also zieh ich mein Bein jetzt an, schieb Seto etwas vor mich und lass mein Bein neben ihn wieder vom Sofa baumeln. Sanft schließe ich meine Arme vor seinem Bauch und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Er öffnet seine Haltung ein wenig und lehnt sich gegen meine Brust.
 

Ganz leise sagt er mir, dass er niemals über Sex... also richtigen, echten Sex nachgedacht hätte. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass er das gerne - und dabei betont er das Wort 'gerne' irgendwie besonders stark - Mal mit mir ausprobieren würde. Wenn er in der Vergangenheit an Sex dachte, dann war das immer mit Schmerz, Demütigungen und Ekel verbunden. Doch seit er mit mir zusammen ist, hat sich da was geändert. Dennoch erschreckt ihn der Gedanke oder viel mehr, dass er erkennt, dass er diesen Wunsch nach 'mehr Intimität' entwickelt hat.
 

Behutsam flüstere ich ihm ins Ohr, dass das normal sei. Dass das bei mir damals nicht anders war. Auch ich war zerrissen zwischen der Neugierde darauf und der Angst davor, dass es wie in meiner Erinnerung mit dem Restaurantbesitzer sein könnte. Mit zittriger Stimme fragt mich mein Drache, was ich damals gemacht habe. Ich schließe meine Arme noch etwas enger um ihn und meine, dass ich viel mit Kai darüber gesprochen habe. Kai hat mir dann klar gemacht, dass es vielleicht hier und da schmerzen könnte und Erinnerungen hochwallen könnte, dass ich möglicherweise mehrere Versuche mit meinem damaligen Freund brauchen würde, doch die Erfahrung nicht annähernd mit der meines eigenen Missbrauchs vergleichbar sein wird.
 

Unsicher spielt mein Drache mit seinen Fingern. Also öffne ich meine Umarmung und verschränke meine Hände mit seinen. Scheinbar wird ihm jetzt erst klar, dass er wieder diese nervöse Anwandlung hat. Nur sehr zögerlich fragt mich Seto, wann ich mein erstes Mal ohne Zwang hatte.
 

Sanft antworte ich, dass es kurz vor dem Wechsel in den zweiten Jahrgang der Senior-High gewesen war. Ich traf gelegentlich Dazai Emon aus der Abschlussklasse und Team-Captain des Volleyball-Clubs unserer Schule. Wir haben uns langsam ran getastet und schließlich, nachdem ich ein paar Mal den Schwanz eingekniffen habe, bin ich zu Kai. Er hat mit mir meine Angst aufgearbeitet und schließlich, beim vierten Versuch konnte ich es ertragen, dass Emon in mir war. Es hat noch weitere drei Mal benötigt, bis ich mich dabei soweit entspannte, dass ich es genießen konnte.
 

Überrascht blickt mein Drache über seine Schulter zu mir. Ich lächle. Ja, auch bei mir ging das nicht einfach so hoppla-die-hopp. Ich musste mich da langsam ran tasten, hier und da überwinden und erst daran gewöhnen. Doch danach hatte ich großen Spaß und viel Vergnügen beim Sex. Er blickt wieder nach vorne und scheint darüber nachzudenken, ob das bei ihm wohl auch so sein wird. Sanft streich ich ihm über die Unterarme und lege meine Lippen sanft an seinen Nacken. Wohlig brummt er auf. Ich bekomm ein schiefes Grinsen. Ach schau an, wer da gerade empfänglich für mehr wird.
 

Nachdem wir uns etwas gedreht habe, küss ich ihn sanft, während ich mich nach vorne beuge und ihn so auf dem Rücken zum Liegen bringe. Dann beginne ich sein Hemd aufzuknöpfen, während ich ihn liebkose. In meinem Drachen seh ich die Begierde aufflammen und dann wird er auch aktiv. Ich bin mir ganz sicher, dass es bei ihm mit dem Sex genauso sein wird, wie mit dem Küssen, dem Streicheln, dem Erkunden, dem selbst Hand anlegen und den Blowjobs. Anfangs wird er sich enorm dagegen sperren, bis ich ihm zeige, dass es okay ist - wie auch immer er es haben wollen will - und dann, mit der Zeit wird er mutiger werden und aktiv daraufhin arbeiten, zu bekommen, was er will. Daran hab ich gar keinen Zweifel.

Einen Schritt zur Findung

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt in die Gesellschaft

Ich hasse diesen Blick meines kleinen Bruders. Dieser Blick, den er aufsetzt, wenn er etwas möchte und weiß, dass ich da nicht mitmachen möchte. So wie damals, als er mich fragte, ob er sich Freunde über Nacht einladen dürfte. Oder als er Weihnachten feiern wollte. Ganz zu schweigen von Silvester. Und so steht er jetzt auch wieder vor mir und ich hab keinen Plan, was er von mir wollen könnte.
 

Dann zieht er etwas hinter seinem Rücken vor und ich erkenne sofort den Umschlag der High Society Benefits. Die High Society Benefits - HSB - ist eine Organisation die alljährlich zu einer Veranstaltung lädt, deren Eintrittspreise fünfstellig pro Person ist und alle Einnahmen und Spenden nach Abzug der Selbstkosten an gemeinnützige Organisationen verteilt, damit diese ein weiteres Jahr ihre Arbeit verrichten können. Für gewöhnlich spende ich einen sechsstelligen Betrag, bleib der Veranstaltung aber fern. Ich fühle mich dieser Bevölkerungsschicht einfach nicht zugehörig und bislang hat mich das präsentierte Programm nicht gereizt, deswegen so eine Veranstaltung aufzusuchen.
 

Doch scheinbar haben sie dieses Jahr etwas, was meinen kleinen Bruder völlig angefixt hat. Ich will schon fragen, wie er dazu kommt meine Post zu öffnen, als mir auffällt, dass der Brief dieses Jahr an "Gebrüder Kaiba" adressiert ist. Clever! Ich versteh zwar nicht, warum die HSB immer so bemüht ist, dass ich tatsächlich komme und nicht nur mit der Spende zufrieden ist, aber wahrscheinlich geht es nur um die Publicity. Hm... scheinbar haben sie dieses Jahr noch keine Zeitung gelesen. Ob ihnen meine Publicity als schwuler Jungunternehmer, der aus der Geschäftsführerschaft zurück getreten ist, so gut tun würde?
 

Ich ziehe die Broschüre, die auf einer hochwertigen Karte gedruckt und deren Schrift geprägt ist, aus dem Umschlag. Kaum seh ich das vordere Motiv wird mir klar, warum Mokuba da unbedingt hin will. Es wird mit einer Showeinlage aus verschiedenen Kampfkunstarten geworben unter anderem... wird das Dōjō von Keizo aufgeführt. Keizo unterstützt die HSB mit einer Aufführung seines Dōjōs?
 

Langsam wende ich die Karte und bin noch einmal erstaunt. Dieses Jahr sollen Organisationen unterstützt werden, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene psychologisch unentgeltlich behandeln. Vor allem das Zentrum für Kinder und Jugendliche, die Opfer von sexualisierter Gewalt geworden sind, sticht mir in den Blick, denn neben dem Bild des Zentrum, welches an einem Park gelegen ist, wurde ein Foto von Kai eingefügt. Meinem Kai!
 

Okay, das klang jetzt merkwürdig. Zugegeben, ich hab mich immer gefragt, wie Katsuyas Vater aus dem Gefängnis heraus für so großartige Hilfe für seinen Sohn gesorgt hat und wie er das ganze bezahlt hat. Jetzt wird mir klar, dass Kai für eine gemeinnützige Organisation arbeitet. Wieso ist mir das bei meinen Recherchen nicht aufgefallen? Recherchen?... Welche Recherche? Ich grüble ernsthaft drüber nach, wie ich es vergessen konnte einen gründlichen Hintergrundcheck und eine Recherche zu Kai in Auftrag zu geben oder selbst durchzuführen. Man, ich muss damals echt völlig durch den Wind gewesen sein, dass ich etwas, was ich sonst automatisch mache, völlig vergessen habe.
 

Ein Zupfen an meinem Ärmel holt mich wieder ins Hier und Jetzt und große, graublaue Augen blicken mich erwartungsvoll an und werden von einem breiten Grinsen unterstützt. Ich seufze und zucke mit den Schultern. Ich konnte meinem Bruder noch nie irgendetwas abschlagen, also nicke ich schließlich und er rennt laut jauchzend davon. Mein Blick geht wieder auf die Karte und ich suche das Datum: Schon Ende nächster Woche! Wow... deren Vorlaufzeit wird auch immer Kürzer.
 

Dann umfangen mich zwei Arme von hinten, schlingen sich um meine Taille und die Hände verschränken sich vor meinem Bauch, bevor sie mich sanft etwas nach hinten gegen eine warme Brust ziehen. Mein Streuner platziert einen Kuss auf meine Wange und schiebt dann seinen Kopf auf meine Schulter. Fragt nach, was Mokuba mal wieder durchgesetzt hat. Ich reich ihm die Karte über meine Schulter und frag, ob er uns begleiten würde. Er scheint von der hochwertigen Karte schon so beeindruckt zu sein, dass er mich prüfend anblickt. Ob ich mir sicher sei, dass ich will, dass er mitkommt.
 

Langsam wende ich mich in seiner Umarmung zu ihm um und lächle ihn sanft an. Streich ihm eine blonde Strähne aus dem Gesicht, bevor meine Hand an seiner Wange zur Ruhe kommt und ich mich vorbeuge, um ihn zu küssen. Nachdem der Kuss eine Weile von uns am Leben gehalten wurde lösen wir uns langsam von einander. Dann flüstere ich ihm ins Ohr, dass ich ohne ihn nicht hin gehen werde und es mir ganz gleich ist, wer uns sieht oder ob ein Foto von uns wieder als Aufmachung herhalten muss, so wie am Dienstag. Da hatten sie doch tatsächlich ein Foto von uns, als wir ausstiegen und Händchen hielten bei irgend so einem Boulevardblatt gebracht und irgendeinen Schwachsinn getitelt. Scheinbar sind solche Klatschblätter auf mich aufmerksam geworden. Ein anderes Magazin hat ein Foto von mir aus dem letzten Jahr als Aufmacher unter der Frage gebracht, warum die gutaussehenden Männer immer schwul sein müssen.
 

Dann spür ich Katsuyas Lippen an meinen, wie er mich wieder aus meinen Gedanken holt und mich sanft anlächelt. Er meint, dass er mich sehr gerne begleiten wird, er aber dafür erst noch passende Garderobe benötigt und am Wochenende einkaufen muss. Hm, er hat gar nicht mal so unrecht. Ich könnte für diesen Anlass auch mal wieder was Neues kaufen gehen. Etwas, worin ich mich nicht mehr ganz so unwohl fühle, aber das den Ansprüchen der Gastgeber genügen wird. Und Mokuba wird auch etwas brauchen. Der wächst so schnell, dass ich fast alle zwei Monate ihm eine neue Garderobe kaufen muss. Bei diesem Gedanken und der Benefitseinladung kommt mir der Gedanken, dass Mokuba und ich generell mal ausmisten und unsere Klamotten, die wir nicht mehr brauchen spenden könnten.
 

Mein Streuner findet die Idee gut und meint, dass wir doch gleich damit beginnen können. Entgeistert blicke ich zu ihm, doch er angelt nur nach meiner Hand und zieht mich aus dem Wohnzimmer heraus und zur Treppe. Zielstrebig zieht er mich diese hoch und zu unserem Zimmer, nur um dort direkt ins Ankleidezimmer zu streben. Ich zieh ihn zu mir zurück und frag ihn, ob er jetzt wirklich nichts Besseres mit seiner Zeit anzufangen weiß, als unseren Kleiderschrank auszumisten. Er grinst und fragt, was mir denn vorschweben würde. Auch bei mir zeichnet sich ein verführerisches Lächeln ab, während ich einige Schritte nach hinten gehe, meinen Streuner mit mir ziehe und schließlich das Bett an meinen Beinen spüre.
 

Jetzt bekommt auch Katsuya diesen lustvollen Ausdruck in seinen Augen und er drängt mich noch einen Schritt nach hinten, so dass ich mich auf die Kante setzen muss. Dann steigt er auf meinen Schoss und reibt diesen aufreizend in einer kreisenden Bewegung über meinen Schritt und ich... werde schlagartig rot, als ich spüre, dass ich prompt hart werde. Ich lege meine Arme um ihn, zieh ihn zu mir, verberge mein Gesicht an seiner Brust und stöhne gequält auf. Wieso kann er mich mit nur einer Bewegung direkt so hoch touren lassen? Das ist unfair, verdammte...
 

Noch ehe ich meinen Gedanken zu Ende führen kann spür ich seine Hände an meinen Wangen, wie er meinen Kopf hebt, so dass ich ihn ansehen muss. Dann senkt er sein Gesicht zu meinem, das breite, freche Grinsen auf ihm und küsst mich leidenschaftlich. Noch in dem Kuss lässt er nochmals sein Becken über meines kreisen und ich stöhne erregt auf. In mir flammt mein Verlangen auf einmal wesentlich höher auf, als ich eigentlich wollte. Ich will mehr. Sofort. Also werfe ich meinen Streuner auf unser Bett und beug mich über ihn, während ich eilig versuche ihn aus seinen Klamotten zu befreien.
 

Ich will jetzt nur noch ihn ganz nah bei mir spüren. Mit seiner Wärme. Der Geborgenheit und Sicherheit, die er mir schenkt. Und mit all seiner Liebe.

Einen Schritt näher an Keizo heran

Ich lass mich auf meinen Hintern plumpsen und schnapp ein wenig nach Luft. Seto reicht mir eine Wasserflasche und ich nehme gierig einen Schluck davon. Keizo ist da und absolviert mit uns eine Trainingsstunde. Er muss direkt nach der ersten Stunde gemerkt haben, dass Seto ein Problem damit hat, körperliche Nähe zu zulassen. Oder sollte ich sagen, vor allem seine Nähe?
 

Schon bei der zweiten Trainingsstunde hatte Keizo seine Frau Megumi mitgebracht und gefragt, ob wir ein Problem damit hätten, wenn sie uns beim Training unterstützen würde. Dann könnte er sich auf die Erklärungen und das Zeigen konzentrieren, während sie auf Haltung und Stellung achten würde und hier und da korrigierend eingreifen würde.
 

Es wäre auch sehr naiv gewesen zu glauben, dass Keizo Setos Verhalten beim ersten Training entgangen gewesen wäre. Noch immer, obwohl es bereits das vierte Training ist erträgt mein Drachen es nicht, wenn Keizo unbedacht etwas an seiner Haltung korrigieren will. Er weicht dann einen Schritt zurück, bevor es ihm bewusst wird, was er tut. Wenn es ihm bewusst wird schließt er dann wieder auf, verspannt sich dann aber so, dass Keizo nicht mit ihm arbeiten kann.
 

Lockerer ist Seto nur im Umgang mit Megumi. Nur Dank ihrem Einsatz sehen die Grundbewegungen bei meinem Drachen jetzt auch fließender und weicher aus. Sehen aus, wie sie aussehen sollen. Sie ist eine echt nette Frau. Sehr geduldig, verständnisvoll und ihre Sanftheit bändigt sogar meinen Drachen. Nimmt ihm die Nervosität, an der er immer leidet, wenn Keizo zu Besuch ist.
 

Auch merke ich immer wieder, wie Mokuba die Reaktionen seines Bruders auffallen. Er fragt nicht aktiv nach, doch ich weiß, dass es einen Zeitpunkt geben wird, an dem er seine Neugierde nicht mehr zurück halten werden kann und dann wird er sich auch nicht mehr vertrösten lassen. DANN werden wir ein ernsthaftes Problem kriegen. Mokuba wird einerseits entsetzt sein, dass Seto ihm nur die halbe Wahrheit erzählt hat. Andererseits wird er sein Vertrauen in Keizo verlieren.
 

Kai meint, dass hier ein Heilungsprozess vonstatten geht und der braucht eins: Zeit! Das mag schon richtig sein... aber... bei einem Heilungsprozess erkennt man zumindest kleine Fortschritte und hier beim Training seh ich davon gar nichts. Obwohl ich ein geübtes Auge habe und mir - gerade in Bezug auf meinen Drachen - nichts entgehen lasse, ist mir kein Fortschritt aufgefallen. Hm... wenn ich großzügig bin würde ich vielleicht Setos Bemühung, nicht mehr zurück zu weichen, als fortschrittsträchtig bezeichnen. Aber noch hapert es in der Umsetzung. Ich beuge mich zu Seto und küsse ihn sanft. Überrascht blickt er mich an und schmunzelt dann sanft.
 

Dann hilft mir mein Drachen wieder in den Stand. Keizo kommt zu uns und gibt uns eine kurze Kritik. Meint, dass der Wurf durchaus schon gut aussah. Dann gibt er uns ein paar Tipps, wie wir den Wurf leichter bewerkstelligen können. Dabei demonstriert er was er erklärt im Umgang mit mir. Seto beobachtet ganz genau, wie und wo Keizo Hand an mich legt und mich dann auf den Rücken wirft. Ich bemerke, wie Seto zuckt und gerade so unterdrücken kann nach vorne zu preschen und Keizo von mir zu stoßen. Doch er zwingt sich stehen zu bleiben. Atmet durch die Nase ein und wieder aus. Ich sehe, wie sehr er Keizo vertrauen will.
 

Schließlich schaut Keizo zu Seto und fragt, ob er gesehen hat, wie und wo er mich angefasst hat und den Schwung hergenommen hat. Da kommen plötzlich Worte aus Setos Mund, die weder Keizo noch ich glauben können. Seto bittet Keizo den Wurf mit ihm noch einmal zu machen, damit er es besser verstehen kann. Keizo blickt mich fragend und etwas zweifelnd an. Meint, dass seine Frau sicherlich gleich mit den Übungen bei Mokuba durch wäre und sie es dann zeigen kann. Doch Seto schüttelt den Kopf. Besteht darauf, dass Keizo ihm das zeigt. Dieser fragt unsicher, ob mein Drache das wirklich will. Dieser nickt nur.
 

Keizo erhebt sich langsam, hilft mir auf und ich tausche meinen Platz mit meinem Drachen. Dabei küss ich ihn noch mal schnell. Er erwidert den Kuss langsam. Dann lösen wir uns und er stellt sich Keizo gegenüber. Der sagt jeden Handgriff exakt an, bevor er ihn macht. Ich rechne ihm das hoch an, denn so kann Seto die Berührungen erwarten und wird davon nicht überrascht.
 

Hier und da hält Keizo inne und wiederholt den Handgriff und erklärt noch mal intensiver, warum man da und nur da seine Hand hinlegen sollte. Dann kündigt er den Wurf an, bevor er schließlich Seto wirft. Für einen Moment kniet Keizo über Seto, der ihn trotz aller Ankündigung plötzlich mit großen, ängstlichen Augen anblickte.
 

Auch Keizo blickt fast ebenso ängstlich und geschockt zu Seto. Die ganze Situation dauert vielleicht zwei Sekunden, als Keizo sich eilig wieder aufrichtet und etwas auf Abstand geht. Seto bleibt am Boden liegen, starrt immer noch über sich ins Leere. Ich will schon zu ihm, als er seinen Oberkörper etwas anhebt und zur Seite rollt. Langsam kniet er sich hin und blickt vor sich auf die Matte.
 

Vorsichtig knie ich mich vor meinem Drachen, der seine Atemübung macht. Langsam leg ich meine Hand an seiner Wange. Sein Blick richtet sich so hastig auf mich, dass ich beinahe erschrecke. Dann lächelt er mich für einen winzigen Augenblick an, bevor er sich von mir aufhelfen lässt. Immer noch liegt meine Hand an seiner Wange, als er sich etwas von mir ab- und Keizo zuwendet. Er dankt ihm für die Veranschaulichung des Wurfes mit einer respektvollen Verbeugung, wie es sich für einen Schüler gegenüber seinem Lehrer gehört. Keizo ist mehr als überrascht, hatte er sicherlich mit etwas ganz anderem gerechnet.
 

Dann dreht sich Seto wieder zu mir und bittet mich den Angreifer zu spielen. Er legt seine Hände an mich, wie Keizo es ihm gerade gezeigt hat und der Wurf gelingt ihm dieses Mal annähernd perfekt. Begeisterung flammt in mir auf. Wenn ich noch vor Minuten dachte, dass es hier keinen Fortschritt gibt, dann hab ich mich gewaltig getäuscht. Er hat nicht nur Keizo gestattet mit ihm körperlich zu interagieren, sondern hat auch seine Panik mit der Atemtechnik kontrolliert.
 

Wie konnte ich nur einen Augenblick an meinem Drachen zweifeln. Er ist stark und kraftvoll. Das hat er gerade erneut bewiesen. Hat sich seiner Angst direkt gestellt Wollte sich nicht länger von ihr einschränken lassen und hat sich entschieden Keizo zu vertrauen. Ihm dahingehend zu vertrauen, dass er ihn direkt wieder loslassen würde. Ihn nicht auf der Matte gepresst hält und etwas tut, was mein Drachen nicht wollen würde.
 

Da wird mir wieder einmal mehr klar, wie sehr ich diesen Mann liebe. Wie ich ihn bewundere und ich mich glücklich schätzen kann, dass er mich an seiner Seite duldet und will. Und dann schleicht sich da Angst in mich hinein... was, wenn er zu seiner alten Stärke zurück findet und dann merkt, dass er mich gar nicht mehr braucht? Ich ihm eine Last werde oder er mich als Klotz am Bein empfindet? Ein Leben ohne meinen Drachen kann ich mir nicht mehr vorstellen. Schon gar nicht, wenn man bedenkt, dass ich fast zwei Jahre gebraucht habe, damit er aufhört mich wegzustoßen.
 

Mein Drache steht über mir. Bildlich. Nein, nicht nur! Er steht in allem weit über mir. So wie er es mir früher immer wieder an den Kopf geworfen und laut ausgesprochen hat. Wörter aus längst vergangenen Tagen hallen durch meinen Kopf. Wörter wie, Köter, Flohtöle oder drittklassiger Duellant. Dann passiert etwas, was er früher nicht getan hätte. Mein Drache reicht mir seine Hand und will mir aufhelfen. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und greife nach seiner Hand, während Seto mir aufhilft und mich freudig umarmt und mich schließlich küsst.

Einen Schritt zur Vorbereitung

Wir steigen aus und mein Streuner streckt sich erst Mal. Mokuba läuft schon Richtung Aufzug und betätigt den Rufknopf. Dann blickt mich mein Freund an, lächelt mir zu und fragt mich, wann wir uns wo treffen. Irritiert blicke ich ihn an und verstehe die Frage nicht. Natürlich hab ich die Worte und die Frage als solches verstanden. Aber ihr Sinn will sich mir nicht entschließen.
 

Also geh ich zu ihm und umschließe ihn sanft mit meinen Armen und blicke ihm in die Augen. Frage, ob er nicht mit uns mitkommen möchte. Betone, wie wichtig mir seine Meinung ist und ich mich unmöglich ohne ihn für einen neuen, feschen Anzugschnitt entscheiden kann. Er kichert und wiederholt mit einem neckenden Unterton das Wort 'fesch'. Ich schmunzle ihn an und nicke.
 

Natürlich kann ich mir den Schnitt meines neuen Gala-Anzugs auch selbst aussuchen, aber ich hab das Gefühl, dass mein Streuner sich in letzter Zeit nicht gebraucht fühlt. Weiß er denn nicht, wie verloren ich ohne ihn wäre? Um nichts in der Welt würde ich ihn verlieren wollen. Er ist der Quell meiner Stärke. Ohne ihn würde ich meinen Alltag bei weitem nicht so reibungslos bewältig bekommen. Ohne ihn wäre ich überhaupt nicht so weit gekommen. Wahrscheinlich würde ich ohne ihn jetzt in irgendeinem Sanatorium dahin vegetieren, weil ich einfach immer weiter gemacht hätte, bis ich irgendwann zusammengeklappt wäre.
 

Er erwidert mein Schmunzeln und verschränkt dann, während er sich von mir löst, unsere Hände miteinander. Dann schließen wir zu Mokuba auf und just in dem Moment geht die Fahrstuhltür auf und wir treten ein. Ich wähle das vierte Stockwerk der Mall. Hier in der obersten Etage ist es verhältnismäßig ruhig, im Vergleich zu den restlichen Etagen der Mall. Hier oben sind nur exklusive Geschäfte untergebracht und daher gibt es hier kaum Publikumsverkehr.
 

Wir schlendern an den zahlreichen Topfpflanzen vorbei zu einer Traditionsschneiderei, die vor fünf Jahren noch in der Innenstadt angesiedelt war. Doch der Stadtteil war einem anderen Großprojekt gewichen und so musste der Schneider umziehen. Die Mall war nicht seine erste Wahl, dass hat er mir mal erzählt. Aber die beste Alternative.
 

Als wir den vorderen Verkaufsraum betreten kommt uns der Geruch von frischem Kaffee entgegen. Wir sind kaum einen Schritt in den Verkaufsraum getreten, da kommt ein grauhaariger, hagerer Mann mit Brille auf der Nasenspitze und einem gutsitzenden Dreiteiler auf uns zu und begrüßt mich namentlich, während er sich ein wenig vor mir verbeugt, wie es Gomikawa-san immer tut, wenn er mich begrüßt. Dann begrüßt er Mokuba und ist erstaunt, wie erwachsen mein Bruder schon wirkt. Als er sich meinem Streuner zuwendet stell ich ihn namentlich vor.
 

Nachdem dieser formale Teil erledigt ist trage ich unser Anliegen vor und mache darauf aufmerksam, dass wir etwas in Zeitdruck sind, da das Event schon am Freitag stattfindet. Doch davon lässt sich Gomikawa nicht aus der Ruhe bringen und nickt nur wohlwollend, als sei das gar kein Problem für ihn. Aus Erfahrung weiß ich, dass es das nicht ist. Jedenfalls hat er in der Vergangenheit jeden Schneiderauftrag in der noch so knappsten Zeit bewältigt. Also bittet er uns ihm zu folgen.
 

Hinter dem Verkaufsraum, in dem eine junge Frau hinter der Kasse steht, geht es in die Anprobe für spezielle Kunden, so wie ich einer bin. Die gesamte Außenfront ist verglast und man hat von hier einen guten Blick über den Stadtpark, der hinter der Mall liegt. Von dem Raum geht eine weitere Tür ab, aber ein Vorhang versperrt mir die Sicht. Wahrscheinlich geht es dort zum Arbeitsraum und dem Stofflager.
 

Der Meisterschneider fragt, wer zu erst möchte und ich lege eine Hand in Mokubas Rücken. Dieser blickt erschrocken zu mir auf und fragt, ob ich nicht zuerst möchte. Derweil streunt mein Freund zurück in den Verkaufsraum. Ich sag meinem kleinen Bruder, dass er sich nicht zieren soll. Er schaut noch einen Moment zu mir auf und nickt dann. Er geht zu Gomikawa, der ihn bittet seine Schuluniform auszuziehen und sich in Unterwäsche auf das niedrige Podest zu stellen, damit Maß nehmen kann. Er nickt.
 

Derweil wende ich mich ab und folge meinem Streuner zurück in den Verkaufsraum. Dort steht er an der Verkaufsware, die zwar auch händisch geschneidert wurden, aber sich nach den allgemeinen Größen richtet. Diese Ware ist für jene, die wirklich sofort einen einigermaßen passenden Anzug brauchen, an dem nur noch Kleinigkeiten geändert werden brauchen. Er studiert mit großen Augen das Preisschild.
 

Langsam trete ich hinter ihn und leg meine Arme um seine Schulter und schieb meinen Kopf neben seinen. Frag ihn, woran er gerade denkt. Von ihm kommt trocken, dass dieser Anzug, den er sich gerade anschaut, so viel kostet wie er in einem Jahr nicht verdienen würde, selbst wenn er noch drei Jobs hätte. Ja, dass dachte ich mir schon, dass er deswegen vorhin separat losziehen wollte. Wahrscheinlich hätte er sich einen Anzug nur geliehen.
 

Leise flüstere ich in sein Ohr die Frage, vor der ich mich die ganze Zeit schon gefürchtet habe. Mein Streuner wendet sich augenblicklich in meinem Arm zu mir um und schaut mich entgeistert an. Ich schmunzle ihn sanft an. Sofort schüttelt er ablehnend seinen Kopf. Stammelt, dass er das nicht annehmen kann. Doch ich halt ihn sanft fest und schau ihm tief in die Augen. Sag ihm, dass ich ihm diese Freude aber gerne machen würde, weil nur das Beste gerade gut genug für den Mann an meiner Seite ist.
 

Wieder schaut mich Katsuya überrascht und etwas überrumpelt an. Er scheint ein wenig darüber zu sinnieren, dann - dieses Mal zu meiner eigenen Überraschung - nickt der Blonde. Ich lächle ihn glücklich an und küss ihn, ohne groß drüber nachzudenken, wo wir sind. Eigentlich hab ich befürchtet, dass ich wesentlich mehr Argumente bringen muss, um ihn davon zu überzeugen, sich von mir einen Anzug für die Gala kaufen zu lassen. Als wir uns voneinander lösen nickt Katsuya in die Richtung der Dame hinter der Kasse, die etwas wegschaut und breit schmunzelt.
 

Ich lehne mich mit meiner Stirn an die meines Streuners und schau ihm noch einmal tief in die Augen. Dann zieh ich ihn mit mir wieder zurück in die Anprobe, wo Gomikawa gerade Maß nimmt. Mokuba schaut dabei wie ein begossener Pudel aus. Ein Pudel mit hochrotem Kopf. Als wir näher kommen fallen mir einige blaue Flecken unterschiedlichen Alters an Mokuba auf. Drei sehen recht frisch aus und sind noch bläulich. Andere sind bereits grünlich und ich sehe noch vier, die bereits gelblich sind und sich kaum noch von der Haut absetzen.
 

Als ich meinen kleinen Bruder danach frage blickt er mich erschrocken an. In diesem Moment ist Gomikawa fertig mit dem Vermessen und Mokuba springt eilig von dem Podest, um eilig zu seinen Klamotten zu laufen. Ich geh ihm hinterher und wiederhole meine Frage nochmals. Er sagt nur, dass die wohl vom Training sind. Prüfend blick ich ihn an.
 

Da schaut er mich an und grinst über das gesamte Gesicht, nachdem er sich sein Shirt über den Kopf gezogen hat. Ich soll mir nicht so viele Sorgen mache, sonst bekomm ich noch Falten, meint er neckisch. Dann drückt er mir einen Kuss auf die Wange und lässt sich auf einen Sessel fallen, bevor er sein Handy hervor kramt. Dann stopft er sich die In-Ears ins Ohr und fängt an, was zu zocken.
 

Katsuya legt mir seine Hand auf die Schulter. Ich nicke ihm zu und wende mich zu Gomikawa. Dieser fragt, wer von uns der nächste sein soll und ich grinste, als ich meinem Streuner einen Klaps auf den Rücken gebe. Dieser stolpert überrascht einen Schritt vor und schaut mich dann mit großen Augen an. Doch ich Grinse nur. Das hier ist meine Rache für die Trockenübungen!

Einen Schritt der Klärung

Er hat es wieder getan! Er hat mir etwas gekauft. Keine Kleinigkeit. Ein Gala-Anzug für 'ne knappe Million Yen. Und das war noch nicht alles: Zu dem Anzug gehört auch ein Hemd und ein Paar neue Schuhe. Alles in allem - unterm Strich - hat das fast anderthalb Millionen Yen gekostet.
 

Ich verdiene im Conbini knapp 1000 Yen pro Stunde, dass sind 6000 Yen am Tag. Bei einer ganzen Woche sind das knapp 30.000 Yen und in einem Monat komm ich - wenn alles glatt läuft - auf 120.000 Yen... Ich müsste fast ein ganzes Jahr sparen, um mir diesen Anzug mit Hemd, Kleinigkeiten und Schuhe leisten zu können. Selbst wenn ich einen 'richtigen' Vollzeitjob hätte, in dem ich im Monat um die 300.000 Yen verdienen könnte, müsste ich fast fünf Monate sparen, wenn ich sonst keine Ausgaben wie Miete, Essen oder Nebenkosten hätte.
 

Scheiße! Wieso hab ich meinen Drachen das machen lassen? Er weißt doch, dass ich mir nicht gerne etwas von ihm kaufen lasse. Aber ich hätte mir diesen Anzug auf keinen Fall leisten können. Schon die Anzüge von der Stange waren weit über meiner Preislage. Wenn er mich nicht mitgeschleift hätte, wäre ich im Erdgeschoss zum Verleih gegangen und hätte mir dort einen halbwegs passenden Anzug besorgt. Das hätte mich auch locker ein Wochengehalt gekostet, aber wenigstens hätte ich es bezahlen können.
 

Aber mein Drache und seine verdammte Schmeichelei... Nur das Beste ist gerade gut genug für den Mann an seiner Seite, dass hat er zu mir gesagt, als ich sein Geschenk ablehnen wollte. Wären wir zu Hause gewesen, dann hätte ich nicht so schnell nachgegeben. Aber dort, in der Schneiderei und unter den Augen der Dame hinter der Kasse, wollte ich kein Theater schieben. Also hab ich eingelenkt.
 

Dennoch bleibt dieser bittere Nachgeschmack zurück. Ich will nicht, dass mir Seto so teure Dinge schenkt. Die Angst, dass er irgendwann wirklich glaubt, dass ich nur wegen dem Geld bei ihm bin... die ist immer noch da. Selbst im Alltag versuche ich meinen Teil beizutragen. Kaufe zum Beispiel die Sachen, die ich dann später beim Kochen verbrauchen werde, selbst - meist im Conbini direkt. Ich lasse mich hier nicht durchfüttern! Oder doch? Immerhin kann ich nichts zu den Nebenkosten beitragen ohne dass mein Drachen es spitz bekommt und sofort blockt.
 

Dann kommen mir wieder die Bilder von Mokubas blauen Flecken in den Sinn. Der Kleine sagte, sie seien vom Training. Nicht von dem Training mit Keizo. Die meisten Übungen finden in einem langsamen Tempo statt. Sich dabei blaue Flecken einzuhandeln erfordert schon ein außergewöhnliches Können. Der eine blaue Fleck sah eher so aus, als hätte man ihn gegen einen Spind gestoßen. Er war völlig geradlinig. Doch ehe ich mich mit ihm darüber unterhalten konnte, als mein Drache auf das Podest hinauf musste, sprang der Kleine auf und meinte, er holt uns was zu essen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ich werde mein Gespräch mit Mokuba noch bekommen.
 

Mein Drache ist manchmal ein ganz schöner Fuchs. Als er sein Hemd öffnete fragte ich mich sofort, seit wann er so etwas Altbackenes, wie ein Unterhemd, trägt. Doch als er sich umdrehen musste und mit dem Rücken zu uns stand wurde mir bewusst, warum er es trug. Er verdeckte damit seine Narben auf dem Rücken vor dem Schneider. Aber nicht nur vor dem Schneider, ging es mir durch den Kopf, als Mokuba mit einer Papiertüte zurück kam, aus der es köstlich duftete. Ich überlegte kurz, ob Mokuba die Narben auf Setos Rücken schon gesehen hatte? Vielleicht, als Seto krank war? Aber mit absoluter Gewissheit konnte ich es nicht sagen.
 

Schließlich war der Schneider fertig mit Maß nehmen und bat uns am Donnerstag wieder vorbei zu kommen. Bis dahin hätte er die Anzüge zur Anprobe fertig und könnte sie dann auf uns abstimmen. Auch wenn es mir zu schaffen machte, dass Seto diese Garderobe bezahlt war ich doch irgendwo gespannt darauf, wie die Anzüge aussehen und sich tragen würden.
 

Eine sanfte Berührung an meiner Wange reißt mich aus meinen Gedanken und ich schau in die blauen Augen meines Drachens. Er lächelt mich sanft an und ich erwidere sein Lächeln. Halt. Moment. Ist es nicht sonst immer anders herum. Seto ist in Gedanken versunken und ich hol ihn mit einem sanften Lächeln aus diesen heraus? Wann haben wir die Rollen getauscht? War ich von uns beiden nicht immer der Optimist und Strahlemann.
 

Da legt mir Seto seine Hand an die Wange und zieht mich zu sich. Wir küssen uns langsam und bedächtig. Seine Küsse sind immer vorsichtig, außer wenn er so richtig rallig ist. Dann wirft er seine Zurückhaltung über Bord und verlangt nach mehr. Als er sich von mir löst legt er seine Stirn an meine und blickt mir wieder tief in die Augen. Bittet mich, nicht so viel darüber nachzudenken.
 

Fragend blicke ich zu ihm und wieder lächelt er sanft. Streicht mir über die Wange. Sagt, dass es nur Geld sei und Geld völlig wertlos sei, wenn man es nicht dazu verwenden kann, jemand, den man liebt, eine Freude zu machen. Ich schlage meinen Blick zu Boden, doch mit eine sanften Streich über meine Wange hebt er meinen Blick wieder zu sich. Dann bietet er mir etwas an und ich glaube im ersten Moment mich verhört zu haben oder es nicht richtig verstanden zu haben. Doch sein ernster Blick machen recht schnell deutlich, dass das nicht der Fall ist.
 

Mein Drache meint, dass er all sein Geld weggeben würde, wenn ich mich dadurch wohler fühlen und ich mir dann ohne Angst auch mal was von ihm schenken lassen würde. Dann schaut er mich an, als würde er darauf eine Reaktion oder Antwort erwarten. Was... was soll ich darauf erwidern? Das ist doch Wahnsinn! Würde er wirklich all sein Geld, die Villa und die Autos weggeben, nur damit ich mich wohler fühle?
 

Da hält der Wagen plötzlich. Als ich irritiert aus dem Fenster schau seh ich das Conbini. Das hatte ich ganz vergessen: Es ist Montag und ich muss jetzt gleich bis 23 Uhr arbeiten. Immer noch verwirrt küss ich meinen Drachen und steig eilig aus. Als ich ins Conbini komme grüßt mich mein Chef freundlich - wie immer und ich geh mich für die Arbeit umziehen. Als ich aus dem hinteren Zimmer wieder in den Verkaufsraum komme stoß ich fast mit jemand zusammen.
 

Seto steht vor mir und sagt, dass ich ihm eine Antwort schulde. Mit großen Augen schau ich ihn an. Dann fragt er mich noch einmal, ob er all sein Geld weggeben soll? Ich antworte darauf das Einzige, was mir richtig erscheint: Das ist nicht meine Entscheidung. Das muss er ganz allein für sich beantworten. Ich will an ihm vorbei, da umschlingen mich seine Arme auf einmal von hinten und zieht mich wieder zu sich. Sein Kopf schiebt sich auf meine Schulter.
 

Ich höre ihn mir ins Ohr flüstern. Alles, was er sich für die Zukunft wünscht ist ein Leben mit mir. Er liebt mich. Alles andere - mit Ausnahme von Mokuba - sei nur Dekoration und zweitrangig. Aber er möchte nicht immer über das Selbe streiten. Ich kann ihn mit oder ohne Geld haben. Doch wenn ich ihn mit Geld nehme, dann möchte er mir auch was schenken und spendieren können, wenn ihm danach ist ohne Angst haben zu müssen, dass ich das ablehne. Denn alles was er damit erreichen möchte ist, mir eine Freude zu machen.
 

Langsam drehe ich mich in seiner Umarmung zu ihm um und sehe in seinen blauen Augen, dass das alles wirklich sein Ernst ist. Er würde für mich alles aufgeben, was er hat. Sanft küss ich ihn und lächle ihn danach an. Sag ihm, dass diese Geste viel für mich bedeutet, aber ob er nun Geld hat oder nicht, dass ist mir egal. Ich möchte nur nicht, dass er denkt, dass ich wegen dem Geld bei ihm bin, denn so ist das nicht. Dann küsst er mich wieder. Intensiv. Mit Leidenschaft. Und ich spüre, wie der Drache erwacht.

Einen Schritt zur Lüge

Die Lüge. Bei Wikipedia steht als Definition, dass eine Lüge eine Aussage ist, von der man weiß oder vermutet, dass sie unwahr ist und die mit der Absicht geäußert wird, dass ein anderer sie trotzdem glaubt. Das kann entweder verbal oder non-verbal via Körpersprache geschehen.
 

Außerdem diene eine Lüge dazu, sich einen Vorteil zu verschaffen, um zum Beispiel einen Fehler oder eine verbotene Handlung zu verdecken und so Kritik oder Strafe zu entgehen. Aber es kann auch aus Höflichkeit, Scham, Angst, Furcht, Unsicherheit oder Not gelogen werden, um die Pläne des Gegenübers zu vereiteln oder zum Schutz.
 

Wenn ich also etwas nicht erzähle, ist das keine Lüge, oder?
 

Ich hasse die Frage, wie es in der Schule war. Während ich früher immer gerne über meinen Alltag in der Schule erzählt habe, begnüge ich mich seit einer ganzen Weile nur noch mit der Phrase 'wie immer', wenn man mich fragt. Und das ist auch keine Lüge. Es ist jeden Tag das Gleiche, also wie immer.
 

Wie immer, seit Februar, werde ich gestoßen, geschubst oder mir werden im Flur die Bücher aus der Hand geschlagen. Schüler rufen mir beleidigende Namen hinterher oder fragen mich, wie es ist, mit einem Perversen zusammen zu leben. Stupide Wiederkäuer, die nicht in der Lage sind über den Rand ihres beschränkten Horizonts hinwegzusehen. Wir leben im 21. Jahrhundert, aber Homosexualität ist immer noch etwas, dass von Vorurteilen verfolgt wird.
 

Schlimmer sind die Fragen! Ob Seto mich anfassen würde oder ob ich schon einen Dreier mit ihm und Katsuya gehabt habe. Wie sie auf sowas kommen, ist mir gänzlich unbegreiflich. Seto und ich sind Brüder. In unserer Beziehung gibt es nichts Sexualisiertes. Mit seiner Kindheit würde Seto niemals Hand an mich legen. Immerhin konnte er mich bis vor einigen Monate nicht mal länger als zehn Sekunden in den Arm nehmen.
 

Über mich werden böswillige Gerüchte verbreitet. Ich sei auch schwul. Treibe es mit meinem Bruder. Mit dessen Freund. Mit allen beiden. Mit Tieren. Mit einem Sklaven, den Seto und ich uns im Keller der Villa halten würden. Mir werden aberwitzige Sexualpraktiken vorgeworfen. Bondage. Sado-Maso. Ich weiß nicht mal mehr, was mir sonst so vorgeworfen wird.
 

Eigentlich war das alles am Abflauen. Da nach diesem Valentinsfoto nichts weiter in den Zeitungen über Seto stand verloren meine Mitschüler immer mehr die Lust und das Interesse daran, mich zu triezen. Nur drei Idioten, die ließen nicht von mir ab. Gaben mir weiterhin Spitznamen, schubsten und stießen mich 'rein zufällig' oder sperrten mich schon mal in meinen Spind ein.
 

Doch dann... erschien letzte Woche die Bekanntgabe, dass Seto als Geschäftsführer der Kaiba Corp zurück getreten sei. Sofort hatten die Zeitungen wieder Interesse an ihm, verfolgten ihn und machten Fotos. Von ihm und Katsuya. Bei manchen Zeitungen landeten diese Bilder auf der Titelseite und die Hölle begann von vorne.
 

Wurde im Februar noch hinter meinem Rücken über mich gesprochen, schienen sie dieses Mal gar keine Scheu zu haben mir beim Denunzieren ins Gesicht zu schauen. Verhöhnten mich wieder als Perversen. Als Bruder eines Perversen. Wieder wurden mir unpassende und haarsträubende Fragen gestellt.
 

Aber dann geschah etwas, was ich nicht erwartet hätte. Zwar wurde ich weiterhin geschubst, gestoßen und angerempelt, doch manche knallten mich auch gegen die Wände oder Spinde, stellten mir das Bein oder boxten mich gegen Schultern, Brust oder den Rücken. Immer wieder fragten sie, ob ich gleich heulen will, doch diese Genugtuung wollte ich ihnen nicht bieten. Jedenfalls nicht offen.
 

Doch letzte Woche am Freitag... Ein Mädchen für das ich schon länger schwärme - Kimi - steckte mir einen Zettel zu. Als ich den Zettel entfaltete fand ich eine Nachricht von ihr, dass sie mich interessant finden würde und sich gerne mit mir treffen würde. Also ging ich zum angegebenen Ort: In die Vorhalle der Mensa. Dort wartete sie auf mich und lächelte zauberhaft.
 

Ich gesellte mich zu ihr und wir sprachen ein paar Minuten zusammen. Als ich ihr dann sagte, dass ich schon länger für sie schwärmen würde brach sie plötzlich in gellendes Gelächter aus. Plötzlich traten hinter den Säulen der Vorhalle noch andere Schüler aus meinem Jahrgang und lachten mich auch aus. Kimi meinte dann zu mir, wie blöd ich sei, dass ich wirklich glaubte, dass ein Mädchen wie sie sich für so einen Perversen wie mich interessieren könnte. Dann zog sie ab.
 

Ihr folgte ein Großteil der Leute, nur meine drei 'Freunde' blieben. Sie schubsten mich gegen die offene Garderobe, so dass ich mich übel am oberen Brett stieß. Ich dachte in dem Moment, mir würde die Luft wegbleiben. Dann holte das Großmaul vom Trio mit seiner Faust aus und ich kniff meine Augen zu. Doch statt mich zu schlagen schlug er neben mich an den Schrank. Lachend zogen die drei ab und folgten den anderen.
 

Am Samstag habe ich mit Kai darüber gesprochen. Er meinte, dass Menschen oft Angst davor haben, was sie nicht kennen. Manche Menschen reagieren mit Gewalt, andere mit Sticheleien und gerade Menschen in meinem Alter wüssten oft nicht, wie verletzend so ein Streich sein könnte. Komisch, ich bin doch auch in diesem Alter und ich weiß, wie verletzend es ist, jemanden erst Hoffnungen zu machen und diese dann zu zerschmettern. Zum Abschluss riet mir Kai, mit Seto darüber zu sprechen.
 

Ich würde wirklich nichts lieber tun, als Seto und Katsuya von all diesen Grausamkeiten zu erzählen. Doch das würde nur zur Folge haben, dass jeder der beiden sich schuldig fühlen würde. Das ist natürlich Schwachsinn. Es ist nicht ihre Schuld. Sie lieben sich und wollen doch nur in Ruhe eine Beziehung miteinander führen. Was können sie für das kleinkarierte Denken anderer? Nichts! Dennoch würden sie sich diesen Schuh anziehen.
 

Und selbst wenn nicht, was dann? An meiner Situation können sie eh nichts ändern. Mit diesen Idioten zu sprechen würde nichts bewirken oder alles noch schlimmer machen. Heimunterricht... nein, danke! Jetzt im letzten Schuljahr der Mittelschule noch einmal die Schule wechseln? Am Ende lande ich auf einer Schule, auf der es noch viel schlimmer ist, als auf meiner jetzigen.
 

Nein! Ich werde die beiden damit nicht behelligen. Zähne zusammen beißen und durchhalten lautet die Devise. Vielleicht, wenn ich etwas mehr Training bei Keizo hatte, kann ich mich in ein paar Wochen wehren und ihnen zeigen, dass ich nicht mehr wehrlos bin. Doch solange kann ich nur einstecken und hoffen, dass die meisten von ihnen hoffentlich wieder das Interesse an mir verlieren. Dann hab ich es nur noch mit diesen drei Idioten zu tun.
 

Das kann ich aushalten!

Einen Schritt zum gesellschaftlichen Leben

Ich steh im Ankleidezimmer, vor meinem Bereich der Garderobe und lege meinen neuen, maßgeschneiderten Smoking an. Ich hatte früher, als ER noch lebte, oft Smokings an, da er mich zu jeder Gelegenheit vorführte und in die Gesellschaft einführen wollte. Doch keiner fühlte sich so bequem an, wie dieser hier. Zwar ist es immer noch ein Smoking, doch der Schnitt ist moderner gehalten. Ich hab mich dafür entschieden von der traditionellen Farbe Schwarz abzuweichen. Schwarz passt nicht zu mir. Also ist mein Smoking weiß.
 

Nachdem ich gerade in die Hose geschlüpft bin greife ich zu meinem Hemd. Es ist ebenfalls weiß, die Knopfreihe ist verborgen und sein Kragen ist modern geschnitten. Er lässt sich vorne am Hals nicht zuknöpfen und steht etwas nach oben. Auf so einem Kragen eine Fliege oder Krawatte zu tragen würde echt unpassend wirken. Ich weiß, dass das Tragen solcher Accessoires eigentlich zur Pflicht an so einem Abend und bei so einem Event ist. Doch das ist meine Art dagegen aufzubegehren und zu rebellieren.
 

Ich greife nach den Manschettenknöpfen, die eine Sonderanfertigung waren, die ich in Auftrag gegeben habe, nachdem Katsuya am Montag zur Arbeit musste. Die silbernen Knöpfe haben die Form des Weißen Drachen, der als Augen hellblaue Steine eingesetzt bekommen hat. Auch damit begehe ich einen Bruch der Norm bei so einem Spektakel, das weiß ich. Aber es ist mir egal. Ich will nie wieder etwas tragen, worin ich mich nicht wohl fühle. Also hab ich diesen Anzug und alles was dazu gehört so fertigen lassen, dass ich dieses Outfit gerne trage. Ohne Unbehagen.
 

Noch einen Bruch begehe ich damit, dass ich zu diesem Smoking eine Weste anfertigen ließ, anstatt - wie üblich - einen Kummerbund zu tragen. Sie ist aus hellblauer, gemusterter Seide. Die gleiche Seide, die für das Einstecktuch und das Innenlayer der Smokingjacke verwendet worden ist. Sie wird den Übergang zwischen Hemd und Hose genauso kaschieren, wie ein Kummerbund, nur wird sie bequemer sein und mir nicht das Gefühl geben, dass mir etwas die Luft abschnürt. Dieses Gefühl hab ich Ende letzten Jahres hinter mir gelassen und ich hab kein Bedürfnis danach es wieder hervor zu holen.
 

Nachdem die Weste sitzt schlüpfe ich in meine Smokingjacke. Entgegen zu den Jacketts, die ich früher getragen habe, sitzt diese perfekt und fühlt sich weich und geschmeidig an. Sie ist nicht starr und gibt mir nicht das Gefühl mit in meiner Bewegungsfreiheit einzuengen. Dann platziere ich das Einstecktuch.
 

Hinter mir hör ich es fluchen. Langsam dreh ich mich zu Katsuya, der gerade versucht seinen Smoking anzuziehen. Socken, Hose und Hemd hat er schon an, wenn auch noch nicht geschlossen. Er fummelt an seinen Manschetten rum und scheint sich über irgendetwas zu ärgern. Also geh ich zu ihm, stell mich hinter ihn und greife um ihn herum nach seinen Händen, die nur die ganze Zeit verzweifelt an seinen Ärmel rumfummeln. Frag ihn sanft, was mein Streuner ärgert. Er blickt zu mir auf und meint nur, dass er das nicht schnallt, wie man die Ärmel bei diesem Hemd schließt.
 

Ich lächle, während ich eine meiner Hände in meine Hosentasche gleiten lasse und eine kleine Box heraus hole. Eine schwarze, kleine Box, vielleicht fünf auf fünf Zentimeter. Ich führe meine Hand wieder vor meinen Streuner und er blickt erst etwas geschockt auf die Klappschachtel. Dann öffne ich sie und es kommen zwei Manschettenknöpfe in Form des Schwarzen Drachen zum Vorschein. Seine Augen bestehen aus zwei roten Steinen.
 

Sprachlos stiert mein Streuner die Knöpfe an. Dann nehm ich sie heraus und schließe die Manschetten. Immer noch blickt er wie gebannt auf die Knöpfe. Doch es kommt kein Protest von ihm. Kein Zetern, dass er die Knöpfe nicht annehmen kann. Dann knöpf ich sein Hemd zu und nehm seine weinrote Weste, die das gleiche Muster wie meine aufweist und helfe ihm hinein. Dann nehm ich sein Jackett. Im Gegensatz zu meinem Smoking ist seiner schwarz mit roten Innenlayer und Einstecktuch. Man... mein Streuner sieht in diesem Smoking richtig heiß aus und am liebsten würde ich ihm diesen sofort wieder ausziehen.
 

Erst jetzt dreht sich Katsuya zu mir und mustert mich völlig baff. Ich kann ihm ansehen, dass es ihm genauso geht wie mir. Ich lege meine Hand an seine Wange und beuge mich vor. Langsam berühren sich unsere Lippen und wir beginnen uns zu küssen. Es ist einer jener Küsse, die meist damit enden, dass wir uns die Klamotten vom Körper reißen und im Bett landen.
 

Doch dieses Mal kommen wir nicht mal ansatzweise dazu, denn plötzlich kommt Mokuba herein gesprungen und ist ganz aufgeregt. Er trägt einen ähnlichen Anzug wie wir. Auch seiner ist in schwarz gehalten, nur das seine Innenlayer, die Weste und das Einstecktuch in grün gehalten sind. Wir lösen uns hastig von einander und Mokuba grinst uns spitzbübisch an. Meint, dass wir wegen ihm nicht aufhören müssen. Etwas irritiert blick ich ihn an. Katsuya hat Recht. Etwas stimmt nicht mit meinem Bruder.
 

Als ich was sagen möchte klingelt mein Handy und ich schau auf das Display. Ich sehe, dass es Isono ist, der uns zu dem Event abholen wollte. Mokuba springt sofort aufgedreht wieder aus der Ankleide und aus unserem Zimmer. Fragend blick ich zu Katsuya der nur mit den Schultern zuckt. Bevor wir ihm folgen geh ich noch einmal zu meiner Garderobe und hole ein weiteres, aber dieses Mal etwas größeres Kästchen hervor. Verwirrt blickt mich mein Streuner an.
 

Ich reich ihm das Kästchen und nur zögernd nimmt er es entgegen, öffnet es langsam und weicht vor Erstaunen einen Schritt nach hinten. In dem Kästchen befindet sich eine Armbanduhr, deren schwarzes Lederarmband ebenfalls seine Lieblingskarte bei Duell Monsters darstellt. Vorsichtig nehm ich die Uhr aus dem Kästchen, angel nach seiner linken Hand und leg sie ihm um. Völlig entgeistert blickt er mich an und ich lächle ihm sanft zu. Die Fassungslosigkeit löst nur langsam ihren Griff um ihn, bis er schließlich mein Lächeln erwidern kann.
 

Das mein Streuner beide Geschenke überhaupt annimmt ist ein Wunder. Schon den Smoking und das Zubehör wollte er sich nicht schenken lassen. Doch seit ich ihm gesagt habe, dass ich auf seinen Wunsch hin all mein Geld weggeben würde, wenn es wirklich das ist, was ihm Angst macht, scheint er zumindest bemüht zu sein sich über Geschenke zu freuen. Ich weiß aus eigenen Erfahrungen, dass man Angewohnheiten nicht einfach mal so ablegt. Das braucht Zeit. Aber schön, dass er sie nicht direkt ablehnt. Schon das ist ein großer Schritt, der ihn sicherlich einiges an Überwindung kostet.
 

Langsam lehn ich mich vor zu ihm und küsse ihn sanft und behutsam. Mit dem Kuss davor hat dieser hier keine Ähnlichkeit. Er soll nicht anheizen, sondern lediglich sagen, wie sehr ich meinen blonden Streuner liebe. Dann angel ich nach seiner Hand und er lässt sich ein paar Schritte mitziehen, als er abrupt stehen bleibt. Als ich mich zu ihm drehe seh ich sein blasses Gesicht.
 

Er fängt an irgendetwas zu stottern. Irgendwas von wegen, mich blamieren. Also trete ich wieder zu ihm, lege meine Hand an seine Wange und lächle ihn zuversichtlich an. Sag ihm, dass er mich nicht blamieren kann. Niemals. Dann stammelt er weiter irgendetwas von Essen und Besteck und er wüsste nicht in welcher Reihenfolge man das Besteck benutzen würde. Er ist so süß, wenn er plötzlich so unbeholfen ist. Der sonst mein Fels in der Brandung ist, den Orkan bändigt und mich aus dem noch so schlimmsten Albtraum heraus holen kann. Ich küss ihn nochmals und wispere ihm dann ins Ohr, dass er es einfach Mokuba und mir nachmachen soll...
 

Noch ehe er erneut etwas einwenden kann zieh ich ihn mit aus unserem Zimmer und den Gang entlang. Vorne an der Treppe wartet Mokuba und als er uns sieht springt er fröhlich die Stufen herunter. Jetzt sind wir auf dem Weg und wir ziehen diesen Abend durch!

Einen Schritt souverän meistern

Mein Magen ist ganz flau. Ich glaub so hat sich mein Drache an Weihnachten gefühlt. Ich hab das Gefühl das mein Magen gleich einen Purzelbaum schlägt und ich mich übergeben muss. Dabei sind wir nicht mal da. Wir sitzen im Wagen, zusammen mit Mokuba und Isono und Fugatu fährt uns.
 

Seto bespricht mit Isono, in welcher Reihenfolge wir aussteigen. Erst Isono, dann wir drei. Doch Mokuba schüttelt den Kopf und meint, dass er mit Isono zu erst den Wagen verlassen wird und dann wir beide als Paar auftreten sollen. Mein Drache schaut ihn musternd an. Fragt, warum Mokuba nicht mit ihnen aussteigen möchte. Doch Mokuba meint nur grinsend, dass Isono zu ihnen gehört und er es doof fänd, wenn dieser alleine aussteigen müsste. Der Kleine meint, er möchte gerne die Brücke zwischen Isono und Seto für die Medien sein.
 

Einen langen Moment denkt Seto nach und mustert seinen kleinen, total aufgedrehten Bruder, bevor er langsam nickt. Dann blickt er zu Isono und entschuldigt sich für seine Taktlosigkeit und betont, dass er nicht vor hatte, ihn auszugrenzen. Isono winkt nur sanft lächelnd ab und meint, es sei schon gut.
 

Gar nichts ist gut. Ich werde heute meinen ersten, offiziellen Auftritt mit meinem Drachen haben und werde bestimmt was voll Dämliches zum Besten geben. Werde ihn bis auf die Knochen blamieren. Wer weiß, an welchen Tisch sie uns setzen. Am Ende versuch ich das Steak mit dem Fischmesser zu schneiden oder trinke das Handwasser. Scheiße! Was gibt es dort eigentlich zu essen? Wenn es etwas Westliches ist, wird Seto nichts davon essen. Ich war so durch den Wind, dass ich die ganze Woche gar nicht nachgeschaut habe. Toller Freund bin ich!
 

Da bleibt auch schon der Wagen stehen. Als ich aus dem Fenster schaue erstarr ich: Das ist ja wie im Fernseh bei den Oscars. Ein langer roter Teppich, links und rechts abgesperrt. Jede Menge Reporter und Journalisten. Kameras. Mikrofone. Glamourös angezogene Reporterinnen von irgendwelchen Klatschblättern. Mir geht die Muffe. Doch bevor ich etwas sagen kann geht bereits die Tür auf. Jemand hat sie von außen geöffnet.
 

Isono und Mokuba steigen aus. Sie bewegen sich ganz natürlich. Als würden sie nie etwas anderes tun, als vor einer Menge über einen roten Teppich flanieren. Dabei wirkt selbst Mokuba souverän und selbstsicher. Sie gehen ein paar Meter, dann spür ich die Hand von Seto an meiner. Mit weitaufgerissenen Augen blick ich ihn an. Er lächelt mich an und meint nur, ich solle ganz ich selbst sein.
 

Ganz ich selbst? Hat er sie nicht mehr alle? Wenn ich ganz ich selbst bin werde ich morgen das Gelächter Nummer 1 in der Stadt sein. Und sein Ruf wird völlig hinüber sein. Was... was... Da spür ich schon, wie er mich langsam zur Tür des Wagens zieht. Dann dreht er sich noch einmal zu mir um und meint, dass er ohne mich nicht hier wäre. Denn ich schenke ihm Kraft für diesen Abend.
 

Ich schenke ihm Kraft!? Natürlich tu ich das... er ist mein Drache und ich bin sein Felsen, auf dem er sich ausruhen kann, wenn ihm alles zu viel wird. Auf einmal werde ich selbst ganz ruhig bei diesem Gedanken. Ich rücke zu ihm auf und lächle endlich zurück. Dann verschränk ich unsere Finger und wir steigen aus. Sofort ergeht ein Blitzgewitter auf uns. Tief in meinem Inneren frag ich mich, wie es Menschen ertragen können ständig in einer solchen Öffentlichkeit zu stehen, egal wo sie hin gehen?
 

Wir folgen Isono und Mokuba. Scheinbar werden sie weiter vorne von einem Reporter aufgehalten. Isono wendet sich zu uns und lächelt. Meint dann, als wir näher kommen, dass der Reporter von einer Wirtschaftzeitung gerne ein Bild mit Isono und Seto hätte. Dieser zieht mich einfach mit und legt einen Arm um Mokuba, während Isono ihm einen Arm um die Schulter legt. Scheinbar war das genau das, was der Reporter wollte und bedankt sich für das Bild. Dann gehen wir in das Gebäude, welches recht westlich wirkt.
 

Im Eingangsbereich führt uns Isono zur Anmeldung. Dort an einem langen Tisch, der mit einem weißen Tischtuch drapiert ist, meldet uns Isono an. Die Dame scheint sehr erfreut darüber zu sein, dass mein Drache dieses Jahr wirklich gekommen ist. Dann reicht sie Isono eine Karte, die einen Plan der Sitzordnung enthält und uns zu unseren Plätzen führen soll.
 

Zu meiner Überraschung müssen wir einmal die Treppe hinauf. Verwundert stell ich fest, dass es hier oben so etwas wie Logen gibt. Jede für sich ist separat und bietet etwas Privatsphäre, wobei jede Loge an einer Brüstung aufgebaut wurde, so dass wir darüber in den Saal darunter blicken können. Man, das ist ja wie in einem Theater mit der Empore. Jedenfalls stell ich mir das so im Theater vor, weil ich noch nie in einem war.
 

Scheinbar haben wir den Tisch für uns vier alleine. Sehr gut. Das wird Seto und nicht zuletzt mir etwas Anspannung nehmen. Auch wenn Seto recht selbstsicher wirkt spür ich an Hand unserer verschränkten Finger seine Anspannung deutlich. Wir nehmen Platz und überlassen Mokuba und Isono die beiden Plätze mit der besten Sich nach unten.
 

Der Saal wird etwas verdunkelt und ein Mann tritt auf die vorbereitete Bühne und begrüßt alle Anwesende. Er dankt für das Erscheinen und dass niemand den stolzen Preis von etwas mehr als 6 Millionen Yen pro Gedeck gescheut hat. Ich spautz mein Mineralwasser einmal seitlich raus und verschlucke mich. Was zum Teufel... 6 Millionen Yen PRO Gedeck?
 

Seto legt mir seine Hand in den Rücken und beugt sich zu mir vor und fragt mich ob alles in Ordnung ist. Ich nicke nur, während ich mir die Stoffservierte vor den Mund halte. Doch der Mann redet weiter. Hofft, dass das Programm unterhaltsam sein wird und dass auch während dem Essen weiterhin fleißig gespendet wird. Dann stellt er das Projekt vor, von dem auch ich profitiert habe. Er verspricht noch mehr Informationen zwischen den einzelnen Gruppen, die uns mit ihren Einlagen unterhalten wollen. Dann wünscht er allen einen wundervollen Abend.
 

Mit der ersten Gruppe wird der erste Gang serviert. Es handelt sich dabei um einen Salat und mir schwant übles. Das Menü scheint wirklich vom Westen inspiriert zu sein. Doch scheinbar hat mein Drachen mit seinem Salat kein Problem, denn er beginnt Blatt um Blatt aufzuspießen und langsam sich einzuverleiben. Ich schiel danach, welche Gabel er und Mokuba verwenden und greife nach der, die ich meine erkannt zu haben.
 

Als erstes tritt eine Gruppe auf, die eine beeindruckende Darbietung von Wing Chun abliefern. Wir drei sind in unserem Training noch meilenweit von dieser Perfektion entfernt, die wir hier bewundern können. Nach der Darbietung tritt ein anderer Moderator auf und berichtet recht oberflächlich wo das Zentrum ist, wann es von wem gegründet wurde und was seine Leitmotive sind, ebenso, was für Dienste es anbietet.
 

Dann kommt die nächste Gruppe, die uns zeigt, was Kalarippayat ist, eine indische Kampfkunst. Zusammen mit dieser Gruppe wird der nächste Gang aufgetischt. Eine Miso-Suppe. Jetzt bin ich verwirrt. Hier wird das Essen in Gänge gereicht, aber die einzelnen Gänge sind japanisch. Schon der Salat eben war überwiegend mit regionalen Zutaten zubereitet worden und jetzt eine Miso?
 

Egal... wenigstens weiß ich, wie man diese isst. Ich bin gespannt, was uns noch so alles erwarten wird. Mokuba scheint es auf jeden Fall zu gefallen und ist Feuer und Flamme, sowohl für die Aufführungen, als auch für das Essen. Der Abend ist noch jung, mal schauen, wie er weiter gehen wird.

Einen Schritt der Begegnung

Der Abend war bislang nicht so unangenehm, wie ich im Vorfeld befürchtet hatte. Okay, wäre es nach mir gegangen wären wir nicht über den roten Teppich gelaufen. Ich hasse Fotografen. Auch wenn ich weiß, dass sie nur ihren Job machen.
 

Bei manchen der Reporter hab ich nichts gegen das Ablichten. Wie der Reporter am Ende des Teppichs, der unbedingt ein Foto von Isono und mir haben wollte und für das Forbes Magazin Japan arbeitet. Das Forbes Magazin Japan ist nicht sonderlich an meinem Privatleben interessiert, sondern eher an mir als Firmenchef - was ich ja nun nicht mehr bin - und als Entwickler und Erfinder.
 

Wenn man sich mir gegenüber professionell verhält und Grenzen einhält, dann kann man von mir erwarten, dass ich kooperiere. Doch für Boulevard-Zeitschriften und Zeitungen, die einem ständig etwas andichten und nur an Schmutz, Schmerz und Verzweiflung Interesse haben, hab ich kein Verständnis und keine Kooperation übrig.
 

Wie für diesen Möchte-Gern-Journalist Hayashi Takeo. Der hat in den letzten zwei Jahren 17 Klagen gesammelt. Seine Interviewpartner aus verschiedenen Rubriken reichten Klagen ein, weil er Antworten aus dem Kontext gerissen oder völlig auseinander genommen hatte, bis sie zu seiner Story, die er erzählen wollte, gepasst haben. Oft war das für die Betroffenen mit Ruf- und Imageschäden verbunden. Auch ihn hab ich am Teppich gesehen. Doch mit meinem Fukashi wird er kein gutes Foto von mir geschossen haben. Genau wie diese anderen Schmarotzer.
 

Der Fukashi ist eine kleine Erfindung von mir. Aktiviert stört er die Speicherfähigkeit der digitalen Kameras, mit denen ein Großteil der Journalisten heutzutage unterwegs sind, und verhindert somit das Entstehen von Bildern. Ich muss schmunzeln, wenn ich mir den Ärger der Möchte-Gern-Journalisten vorstelle, wenn sie zu Hause auf die Bilder zugreifen möchten und dann feststellen, dass diese nicht existieren.
 

Bislang hatten wir vier Darbietungen und eine Menge Werbung für das Zentrum, für das hier gesammelt wird und für das wohl Kai arbeitet. Mittlerweile hab ich mich erkundigt und weiß, dass es echt eine gute Sache ist. Es wurde vor mehr als 15 Jahren von 12 Ärzten gegründet. Vier Kinderärzte, drei Chirurgen, einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt, zwei Gynäkologen, sowie zwei Psychologen. Alle hatten damals ihr privates Vermögen in das Projekt investiert. Mittlerweile sind noch einige Ärzte, sowie Sozialpädagogen dazu gekommen.

Neben der ärztlichen und psychologischen Betreuung bietet das Zentrum drei Tagesgruppen an, in der Kinder nicht alleine auf den Feierabend ihrer Eltern warten müssen. Es versorgt Kinder, sowie Ausreiser mit Essen. Für viele Kinder die einzige Möglichkeit an ein warmes Essen am Tag zu kommen. Zum Zentrum gehören außerdem eine Sporthalle, zwei Spielplätze und ein Ferienprogramm.

Jetzt wollte das Zentrum seine Kosten für die nächsten fünf Jahre decken und gerne sein Angebot erweitern. Dafür brauchten sie einfach mehr Geld, als die Ärzte, die ihre Dienste an manchen Tagen im Zentrum kostenlos zur Verfügung stellten, von sich aus erbringen konnten.
 

Eine gute Sache. Daher hab ich Isono gebeten, neben der anonymen Spende heute Abend auch einen Weg zu suchen, wie die Kaiba Corp das Zentrum monatlich mit Geld und Gütern unterstützen kann. Natürlich ohne das klar ist, von wem diese Unterstützung kommt. Auch Jonouchi-san, Katsuyas Vater, den ich zufällig nach dem Gespräch mit Isono traf, wollte mal beim Zentrum vorbei schauen und gucken, wie er helfen kann.
 

Mir ist rätselhaft, warum ich nicht früher von diesem Zentrum erfahren habe. Die Kaiba Corp hat bereits mehrere Patenschaften für soziale Projekte, die vor allem Kinder und Jugendlichen helfen sollen. Aber ich kann mich nicht erinnern je von dem Zentrum eine Anfrage auf meinem Tisch gehabt zu haben. Sonst hätte ich es schon viel früher unterstützt. Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr. Ich habe diesen Fauxpas aus der Welt geräumt.
 

Ich muss mich später bei Isono bedanken. Er hat uns nicht nur vier Karten für dieses Event besorgt. Meine ehemalige rechte Hand hat auch darauf geachtet, dass unser Tisch in einer Loge steht und das Essen traditionell gehalten ist, auch wenn es im westlichen Stil in einzelnen Gängen serviert wird. Doch leider kann er mir das Spießrutenlaufen später nicht ersparen. Wenn die Darbietungen und das Essen durch sind wird - auch von mir - erwartet, dass sich die Gäste auf dem Parkette einfinden und sozial interagieren. Davor graust es mir.
 

Doch erst einmal gibt es eine kleine Pause zwischen den Darbietungen und den Essensgängen. Ich steh auf und entschuldige mich bei den Anwesenden, bevor ich die Loge verlasse und mich auf den Weg zu den Toiletten mache. Auf diesem Weg treffe ich auf Kei. Er blickt mich erstaunt an und fragt mich, wie die Gesellschaft es geschafft hat mich zum Kommen zu bewegen. Ich lächle formal und antworte ihm, dass die Gesellschaft sich diese Lorbeeren nicht verdient hat. Wenn einem die Ehre gebührt, dann Mokuba. Kei lacht amüsiert und nickt. Meint, dass er sich das hätte denken können.
 

Dann frag ich Kei, was er hier tut. Ob er nicht erzählt hat, dass er mit dieser 'gehobenen' Gesellschaft abgeschlossen hätte. Er nickt und meint, dass sein Dōjō angefragt wurde, hier eine Darbietung zu leisten. Das erklärt natürlich, warum er hier ist, in Mitten der Leute, die er zu tiefst verabscheut. Leuten, die meinen, dass sie sich alles erlauben können, nur weil sie reich sind und eine gewisse Macht inne haben.
 

Schließlich setze ich meinen Weg dann fort und erreiche die Toilette. Im ersten Moment werde ich von dem Prunk regelrecht erschlagen. Schwarzer Marmor, aus dem selbst die Pinkelbecken sind, Die Armarturen sind mindestens vergoldet. Was für eine Prunksucht. Am liebsten würde ich rückwärts wieder raus und nach der Angestelltentoilette fragen. Aber... die Natur betont noch einmal die Dringlichkeit. Also trete ich an das letzte Pinkelbecken, dass am weitesten von der Tür entfernt ist und tu, weswegen ich hier her gekommen bin.
 

Hinter mir höre ich die Tür. Es hat mich ohnehin gewundert, dass sonst niemand hier ist, bei der Anzahl an Menschen. Da ich nicht paranoid erscheinen will spar ich mir den Blick über die Schulter und konzentriere mich auf meine Angelegenheit. Dann tritt jemand an das Pinkelbecken neben mich. Nein, Mann! Komm schon. In jeder Gesellschaftsschicht gibt es das ungeschriebene Gesetz der Männertoilette, nämlich dass zwischen zwei Toilettengänger mindestens ein Pinkelbecken dazwischen Platz gelassen wird. Hier gibt es SIEBEN Becken und ich besetze nur eines. Warum also stellt sich der Typ genau neben...
 

Mein Blick fällt unwillkürlich, aber vor allem unauffällig aus dem Augenwinkel auf den Schritt des Mannes, der er sich gerade entblößt. Kaum ist dessen Glied draußen spüre ich, wie mein Blut gefriert. Ich muss nicht aufschauen, um zu wissen, wer da neben mir steht. Das erkenne ich an seinem Glied und dem auffälligen, einmaligen Muttermal. Ich schlucke und komm zum Ende. Vielleicht... vielleicht hat er mich nicht erkannt. Zügig betätige ich die Spülung, dreh mich so, dass ich nicht mein Gesicht zu ihm wenden muss und will so an ihm vorbei gehen.
 

Doch ein Stoß schleudert mich gegen die Wand und ein Arm in meinem Nacken beraubt mich meiner Bewegungsfreiheit gänzlich. Ich spüre einen heißen Atem an meinem Ohr, wie mir seine Stimme ein 'Hallo Seto' zuflüstert. Gier, Geilheit und Boshaftigkeit liegen in der Stimme von Daimon Kogoro. So wie es immer war. Wie ich ihn kennen und hassen gelernt habe. Spüre, wie seine Hand versucht meine Hose zu öffnen.
 

Selbstverteidigung, kommt es mir plötzlich in den Sinn. Hab ich nicht in den letzten Wochen jeden Sonntag so etwas wie ein Selbstverteidigungskurs gemacht. Doch jetzt, jetzt wo ich es wirklich bräuchte, ist mein Kopf leer. Da ist nicht eine Lektion mehr vorhanden. Keine Idee, wie ich mich aus dieser Lage befreien soll. Es ist, als wäre ich erstarrt. Ich kann mich nicht rühren. Kann nicht atmen. Dieses... dieses Monster hat mich überrascht, überrumpelt und wird gleich... Mein Inneres beginnt zu zittern, der Orkan zerrt an mir und droht mich mit sich zu reißen. Das... das... darf doch alles nicht wahr sein. Muss denn sonst niemand auf das verdammte Klo?
 

Er zerrt an meiner Hose und sie gibt nach. Rutscht über meine Hüfte. Ich kann sein Ding an mir spüren. Spüren, dass er bereits hart ist. Panik flammt in mir auf. Auf einmal kann ich meinen Körper wieder spüren und ich versuche mich irgendwie aus seinem schraubstockartigen Griff zu befreien. Doch er scheint mich mit Leichtigkeit halten zu können. Lacht nur über meinen Versuch. Lacht über meine Wehrlosigkeit und flüstert mir nur zu, dass das wie in alten Zeiten wäre.
 

Als mir die Hoffnungslosigkeit meiner Situation bewusst wird erstirbt meine Gegenwehr. Eine Träne perlt mir über die Wange und ich schließe meine Augen.
 

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Plötzlich verschwinden sein Arm aus meinem Nacken und ich höre ein lautes Poltern, während meine Beine nachgeben und ich zu Boden sacke. Bemüht meine Tränen zurück zu halten. Ich höre Worte wie 'du Schwein' und 'nie wieder'. Es poltert weiter und ich zwinge mich dazu, meine Augen wieder zu öffnen. Ich sehe, wie sich Keizo schützend vor mich aufgebaut hat, mit dem Rücken zu mir steht und vollkommen angespannt ist.
 

Vor ihm, in zwei, drei Metern Entfernung sehe ich Kogoro am Boden liegen. Süffisant grinst er vom Boden herauf zu Keizo hoch. Meint irgendetwas von 'wie in alten Zeiten'. Rafft sich langsam auf und klopft sich den nicht vorhandenen Staub vom Anzug. Als er auch nur den Anschein macht sich zu nähern macht Kei einen Schritt nach vorne und stößt ihn erneut fort. Sagt ihm, dass er verschwinden soll. In Keis Stimme liegt soviel Kraft und Selbstsicherheit vor dem Mann, der auch ihn... benutzt hat.
 

Kogoro hebt seine Hände abwehrend und geht rückwärts Richtung Tür. Bevor er die Tür öffnet nickt er mir zu und meint, dass wir uns sicherlich bald wiedersehen und dass wir dann unser 'Gespräch' fortsetzen werden. Dann verlässt er den Waschraum. Keizo geht ihm bis zur Tür nach, nur um sicher zu gehen, dass das Monster wirklich weg ist. Erst dann dreht er sich zu mir und kommt auf mich zu.
 

Mein Körper fühlt sich taub an. Kei fragt mich, ob irgendetwas passiert ist. Wie weit das Monster gegangen ist. Als sich unsere Blicke treffen ist das wie ein Weckruf für mich. Eilig raff ich mein Hemd und zieh mir die Hose halb hoch, versuche auf meine Füße zu kommen, rutsche auf dem glatten Boden mit meinen Schuhen ein, zwei Mal weg. Keizo greift nach mir und will mir helfen, doch seine Berührungen wären jetzt zu viel. Als ich endlich stehe stopf ich mir das Hemd in die Hose, schließe diese und richte meine Weste, bevor ich meine Jacke schließe.
 

Es ist so ähnlich, wie vor einigen Monaten, als mich Daimon Kogoro in meinem Konferenzraum überrascht hat. Ich lauf irgendwie auf Autopilot. Ich dreh mich zu Keizo und danke ihm formal für seine Hilfe. Dann wende ich mich zum Gehen. Er hält mich an meinem Arm fest und ich zische leise, dass er mich sofort los lassen soll. Fragt mich noch einmal, mehr als besorgt, ob ich soweit okay wäre. Ich befreie mich von der ungewollten Berührung und nicke nur.
 

Ich trete an das Waschbecken, wasche mir die Hände und trockne sie mir am Lüfter. Dann verlasse ich ohne ein weiteres Wort den Raum und lasse meinen Retter ohne gebührenden Dank einfach stehen. Meine Füße tragen mich zur Loge, doch ich kann nicht durch den Vorhang zu Katsuya, Mokuba und Isono treten. Also... laufe ich weiter.

Einen Schritt des bösen Erwachens

Ich schau auf meine Uhr. Meine neue Uhr, die mein Drache mir geschenkt hat und auf deren Display ein Black Eyes Dragon prangert. Ich muss schmunzeln. Wo Seto diese Uhr wohl her hat? Sie sieht nicht so aus, als könnte man sie so im normalen Handel kaufen.
 

Aber das ist nicht der Grund, warum ich jetzt auf sie schaue. Eigentlich frag ich mich, wo mein Drache bleibt. Er ist vor fünfzehn Minuten zur Toilette. Isono meinte, ich soll mir keine Gedanken machen, dass es manchmal bei solchen Events auf der Toilette zu Schlangen kommen würde.
 

Das war nach den ersten fünf Minuten. Bei Erreichen der zehn Minuten-Marke legte Isono wieder eine Hand auf meinen Unterarm und meinte, dass Seto sicherlich gleich zurück kommt. Mit Sicherheit ist er endlich an der Reihe und würde jeden Augenblick zurück kommen. Aber mein Drache lässt weiter auf sich warten.
 

Jetzt sind es schon fünfzehn Minuten und ich stehe auf. Dieses Mal hält mich Isono nicht zurück. Gerade als ich durch den Vorhang, der unsere Loge vom Gang trennt und uns so etwas Privatsphäre gönnt, schlüpfen möchte stoße ich gegen Keizo, der herein kommt. Suchend blickt er sich um.
 

Mokuba springt auf und begrüßt ihn freudig. Isono steht auch auf und an seinem Gesichtsausdruck kann ich ablesen, dass er jetzt auch besorgt ist. Keizo hält ein Smartphone in der Hand, dass ich sofort als das von Seto erkenne. Ich reiß es ihm förmlich aus der Hand und frage, was los ist. Er blickt sich weiterhin suchend um und fragt, ob Seto nicht da sei.
 

Unten im Saal steigt wieder der Moderator auf die Bühne. Die Pause ist zu Ende und er kündigt Keizos Gruppe als nächste an. Keizo, der hier vor uns steht und jetzt blass wird. Er meint nur, dass Seto auf der Toilette einen 'Zusammenstoß' mit Daimon Kogoro hatte. Eigentlich war Keizo davon ausgegangen, dass sich Seto zu uns zurück gezogen hätte.
 

Diese Loge ist nicht besonders groß und von dort, wo Keizo steht, gut einsehbar. Sieht das so aus, als wäre Seto hier? Ich dräng mich an ihm vorbei und frag, wo die Toilette ist. Keizo deutet in die Richtung und meint, er habe Seto in unsere Richtung gehen sehen. Isono fragt, wann der Vorfall war. Keizo zuckt mit den Schultern und antwortet, dass es vor zehn Minuten war.
 

Zehn Minuten? Wenn er nicht hier ist und nicht auf der Toilette... wo ist Seto dann? Ich eile zur Toilette und finde sie leer vor. Weiter hinten sehe ich etwas auf dem Boden liegen. Als ich näher trete sehe ich einen Manschettenknopf, der wie ein weißer Drache geformt ist. Zusammenstoß? Welcher Art war dieser Zusammenstoß. Er muss körperlicher Natur gewesen sein, dass dabei ein Manschettenknopf abfallen kann. Ich heb ihn auf und eil zurück zur Loge. Der Flur ist mittlerweile leer. Ich halte besorgt den Knopf hoch und Isono zückt sein Smartphone.
 

Als ich ihn frage, wen er anrufen möchte halte ich Setos Handy hoch. Kurz lässt er sein Telefon sinken. Doch dann drückt er eine Kurzwahltaste und telefoniert. Dabei geht er ein paar Schritte. Über die Brüstung hinweg kann ich Sportler aus dem Dōjō erkennen. Frag Keizo etwas zickiger, ob er nicht jetzt da unten sein müsste. Er blickt mich an und fragt, ob das mein Ernst sei. Wie er da unten eine Darbietung geben soll, wenn Seto verschwunden ist und keiner weiß, wo er ist. Ich schnaub nur kurz.
 

Mokuba fragt mich, was eigentlich los ist. Warum ich mich Keizo gegenüber so verhalte. Auch im Training wäre ihm das schon aufgefallen, dass es da ein Problem zwischen Seto, mir und Keizo gäbe. Ich versuche nur den Kleinen mit einem 'ist jetzt nicht wichtig' abzuspeisen. Doch er stampft auf und zischt mir entgegen, dass er es satt hat, dass Seto und ich ihn immer damit zum Narren halten wollen. Er sei fast vierzehn und nicht doof.
 

In diesem Moment kommt Isono zu uns zurück. Er berichtet das Fuguta Seto nach Hause gefahren habe und jetzt auf dem Rückweg wäre, um uns abzuholen. Seto sei auf der Fahrt irgendwie anders als sonst gewesen. Er habe bis auf die Anweisung, dass er nach Hause will, nichts gesagt und als sie dort angekommen seien vor wenigen Minuten habe er einfach das Auto verlassen und sei ins Haus gestürzt.
 

Er ist geflohen, wird mir klar. Ich trete einen Schritt auf Keizo zu und meine Stimme ist leise und gefährlich, als ich ihn nach dem 'Zusammenstoß' frage. Keizo blickt kurz zu Mokuba und dann seitlich weg. Dann offenbart er, dass er diesen Daimon dabei unterbrochen hätte, wie er gerade Seto auf der Toilette vergewaltigen wollte. Mokuba und mir fallen die Kiefer runter, während Isono es schafft die Fassung zu wahren. Jedenfalls äußerlich.
 

Zu viert eilen wir schnellen Schrittes durch den mittlerweile leeren Gang und die Treppe hinunter. Wir streben zum Hauptausgang als Isono stoppt und seine Arme ausbreitet, so dass Keizo auf der einen Seite und Mokuba und ich auf der anderen Seite stehen bleiben müssen. Dann meint Isono, dass wir nicht vorne raus können. Also leitet er uns zum Hinterausgang. Während wir dahin streben zückt er sein Handy und informiert Fuguta wo er uns einsammeln soll. Doch der steht in einem Rückstau, der sich auf Grund eines Unfalles gebildet hat.
 

Insgesamt stehen wir fast eine halbe Stunde hinter dem Gebäude, bis Fuguta ankommt. Jede Minute ist die reinste Folter, denn in mir wächst die Angst. Die Angst davor, was Seto in der Zeit alleine zu Hause machen könnte. Zwar hat er gute Fortschritte gemacht und eingesehen, dass Suizid keine Option ist, aber in einer Situation in der man verzweifelt ist hat die Vernunft selten die Oberhand.
 

Doch auch der Rückweg gestaltet sich alles andere als schnell. Wir geraden, obwohl Fuguta versucht die Unfallstelle zu umfahren, trotzdem in einen anderen, davon beeinflussten Stau. Schließlich ist fast eine Stunde vergangen, seit Fuguta meinen Drachen abgesetzt hat, als wir auch ankommen. Wir springen aus dem Auto. Ich renne zur Haustür, reiß sie auf und springe aus meinen Schnürschuhe. Mokuba ist gleichauf zu mir.
 

Wir rennen die Treppe hinauf und ich will zu unserem Schlafzimmer weiter, als Mokuba nach meiner Hand greift und mich stoppt. Da ich im vollen Lauf war ist der Ruck in der Schulter unangenehm schmerzhaft. Ich wende mich ihm zu und sehe, dass er in die Richtung starrt, in der früher ihre Zimmer lagen. Mittlerweile haben auch Keizo und Isono aufgeschlossen.
 

Am Ende sehen wir am Regal gelehnt Seto auf dem Boden sitzen oder viel mehr liegen. Er rührt sich nicht mehr. Verzweiflung durchdringt mich und für einen Moment will ich losheulen, weil das Bild, welches sich uns bietet so eindeutig wirkt. Doch dann renn ich los. Los zu meinem leblos am Boden liegenden Drachen. Auf den letzten Schritt lass ich mich auf die Knie nieder und rutsche zu Seto.
 

Meine Hände zittern, als ich nach ihm greifen will. In den Augenwinkel sehe ich Feuchtigkeit. Die Augen sind leicht geschwollen. Er muss geweint haben. Bitterlich geweint haben und ich war nicht da. Und dann... dann hat er in seiner Verzweiflung... Himmel, warum...? Warum hab ich ihn vorhin nicht auf die Toilette begleitet? WARUM?
 

Meine Sicht beginnt zu verschwimmen, als sich Tränen ihre Bahn erzwingen.

Einen Schritt zuviel

Meine Gedanken kreisen immer wieder darum, wie das alles nur passieren konnte? Wir waren doch an einem öffentlichen Platz. Wie kann es da jemand wagen zu versuchen jemanden... nein nicht jemanden! MEINEN BRUDER! Wie kann es also jemand wagen meinen Bruder auf der Toilette zu vergewaltigen.
 

Ein Glück das Keizo da war und das Schlimmste verhindert hat. Aber auch wenn dieser Daimon es nicht geschafft hat meinen Bruder zu vergewaltigen... er war nah dran. Keizo hat uns auf der Fahrt erzählt, dass Seto gegen die Wand gedrückt worden war und die Hosen bereits in der Kniekehle hing, während Daimon gerade dabei war die richtige Position zum finalen Stoß zu suchen.
 

Wieso hat sich Seto nicht gewehrt? Wir trainieren doch jetzt Selbstverteidigung. Wie hat es dieser Mann geschafft nur so nah an Seto ranzukommen? Nein... das sind die falschen Fragen. Das klingt ja fast, als würde ich meinem Bruder die Schuld dafür geben. Aber es liegt keine Schuld bei ihm. Ich hab in den letzten Wochen viele Bücher zu dem Thema gelesen. Ich weiß, dass Opfer manchmal, wenn sie noch einmal auf die Täter treffen, erstarren können. Vielleicht, war das bei Seto auch so.
 

Als wir die Treppe hoch kommen hab ich eher aus Reflex nach rechts in den Gang geschaut, in dem drei Jahre lang unsere Zimmer gegenüber gelegen haben. Und da hab ich ihn am Gangende vor dem Regal gesehen: meinen großen Bruder. Da hab ich ganz instinktiv nach Katsuyas Hand gegriffen und ihn festgehalten, während er schon zu ihrem Zimmer rennen wollte. Doch dann bleibt er neben mir stehen.
 

Wir beide starren zum Ende des Ganges, wo vor dem Regal auf dem Boden Seto sitzt oder viel mehr liegt. Sich nicht regt. In dem Moment geht mir die Frage durch den Kopf, was ich machen soll, wenn Seto... dass, was ihm damals nicht gelang, doch erfolgreich umgesetzt hat? Was ich ohne meinen großen Bruder tun soll. Diese Frage hat mir die Luft abgeschnürt. Die Tränen stiegen in mir hoch.
 

Erst ein paar Sekunde später und nachdem Isono und Keizo zu uns aufgeschlossen haben, rennt Katsuya los. Den Gang entlang zu meinem Bruder. Auch ich erwache endlich aus meiner Starre und renne hinterher. Katsuya rutscht auf den Knien das letzte Bisschen, was ihn von Seto trennt. Ich kann in seinem Gesicht sehen, dass er genau die gleiche Angst, wie ich, hat.
 

Ich knie mich auf die andere Seite meines großen Bruders. Einen langen Moment sieht es wirklich so aus, als sei er... nein! NEIN! Das kann absolut nicht sein. Er würde nicht... aber er hat es schon einmal versucht. NEIN! Das waren andere Zeiten. Heute würde er mich... uns nicht zurück lassen. Als ich zu Katsuya blicke sehe ich, wie Tränen über sein Gesicht rollen. Nochmal schau ich auf meinen Bruder und dann...
 

...stößt Seto auf. Ich kann den Alkohol ganz deutlich riechen und als mein Blick neben das Regal fällt seh ich eine leere, große, nichtssagenden Alkoholflasche, die aus der Bar in Setos Büro stammen muss. Er hat dort immer eine erlesene Auswahl an Alkohol, um etwaige Geschäftspartner, denen er gestattet hier her zu kommen, etwas anbieten zu können. Jedenfalls früher, als er noch so etwas gemacht hat.
 

Auf einmal kommt Bewegung in Seto. Schwer schlägt er seine Augen auf und einige Tränen, die unter den Lidern gefangen waren rollen ihm über das Gesicht. Er lallt etwas, was ich nicht zu verstehen vermag. Aber da ist auch unwichtig... er... er lebt! Mir fällt auf einmal ein schwerer Stein vom Herzen. Himmel... danke! Er lebt und ist... stock besoffen!
 

Noch nie hab ich erlebt, dass mein Bruder Alkohol konsumiert. Niemals. Eigentlich dachte ich immer, dass er Alkohol für sich kategorisch ablehnt. Wahrscheinlich weil Gozaburo und seine Spießgesellen immer einen 'erlesenen Tropfen' zu sich nahmen, wenn sich eine Gelegenheit bot.
 

Erleichtert will ich Seto umarmen, doch er zuckt panisch vor mir davon. Schreit ein 'Nicht'. Doch damit springt er Katsuya förmlich an, was ihn wiederum erschreckt und er erneut weinen muss, während er sich kurz beide Hände auf die Augen presst. Dann nimmt er sie wieder vom Gesicht und eine Hand tastet suchend über den Boden. Schließlich erreicht sie die Flasche und greift danach. Er will sich die leere Flasche an den Mund führen, doch Katsuya nimmt sie ihm verärgert ab und wirft sie gegen Setos alte Zimmertür, so dass sie zerspringt und die Scherben sich hinter ihm auf dem Boden verteilen.
 

Mein Bruder protestiert lallend. Fragt was das soll. Warum sein Streuner so wütend auf ihn sei und was ihm einfällt die Flasche kaputt zu machen. Dann fällt sein Blick auf Keizo und er fährt sich lasziv über das halb geöffnete Hemd und seine Brust. Ein bitteres Lächeln zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, während er Keizo fragt, ob er hier ist, um alte Zeiten aufzufrischen.
 

Entsetzt blick ich zu Keizo, dessen Blick schuldbewusst und schamvoll wird. Alte. Zeiten. Auffrischen? Was wird hier gespielt. Ich bin nicht doof. Mir war seit dem Abendessen vor ein paar Wochen klar, dass Seto und Keizo mir da etwas vorenthalten. Sie waren beide Opfer dieser Männer. Aber so, wie sich Seto gerade gebärdet könnte man meinen, dass Keizo nicht 'nur' Opfer war.
 

Plötzlich heult mein Bruder verzweifelt auf und verbirgt sein Gesicht wieder hinter seinen Händen. Zieht seine Beine an seine Brust und versucht sich klein zu machen. Ich... ich will ihm helfen, aber ich weiß nicht wie. Wenn ich ihn anfasse wird er sicherlich wieder panisch reagieren. Nicht einmal die Nähe von Katsuya scheint er im Moment zu ertragen.
 

Doch der Blonde schnauft nur kurz, als hätte er eine schwere Entscheidung getroffen. Dann zieht er Seto in seine Arme und an seine Brust. Dieser fängt auf einmal an laut und völlig panisch zu schreien an. Strampelt mit den Beinen und boxt immer wieder gegen Katsuyas Brust. Nicht einfach nur halbherzig. Mit voller Wucht. Doch Katsuya steckt alles schweigend ein, drückt ihn nur weiter an sich und hält ihn fest.
 

Es sind 'nur' fünf Minuten, die sich Seto so verzweifelt und lautschreiend wehrt, dann erstirbt seine Gegenwehr und er liegt weinend in den Armen seines Streuners. Klammert sich an dessen Weste und Anzugshemd. Katsuya streicht ihm durchs Haar und über den Rücken. Seto versteckt sein Gesicht an der Brust des Blonden. Dann ändert Katsuya ihre Position ein wenig, löst einen Arm und schiebt sie unter Setos Beine. Dann steht er mit Seto auf dem Arm auf und trägt ihn zu ihrem Zimmer.
 

Wir folgen. Ich bin mehr als betroffen. Noch nie hab ich Seto so verzweifelt, so verletzt und so gebrochen gesehen. Doch als wir an dem Zimmer ankommen dreht sich Katsuya zu uns um. Bitte uns um Privatsphäre. Nickt mir zu, dass ich zu ihnen kommen soll, wenn ich soweit wäre. Ich nicke zurück, dann schließt er mit einem Fuß hinter sich die Tür.
 

Für einen kleinen Moment blicke ich gegen die Tür, als könnte ich hindurch schauen. Dann wende ich mich zu Isono und Keizo. Letzteren funkel ich wütend an. Dann fordere ich Antworten. Isono tritt vor und meint... das ist mir eigentlich gerade in diesem Augenblick scheißegal, was Isono für das Beste hält. Ich wiederhole meine Frage scharf an Keizo gerichtet. Dieser nickt nur und meint dann, dass wir uns vielleicht irgendwo hinsetzen sollen. Also gehen wir ins Wohnzimmer und dann... wünsche ich mir, ich hätte eben auf Isono gehört.

Ein Schritt dem Chaos entgegen

Mein Drache braucht eine Abkühlung, damit er wieder etwas zu sich kommt. Also hab ich ihn in die Dusche gebracht und meine Hand unter seinen Beinen langsam weggenommen, so dass ich ihn zwar immer noch halte, aber er steht. Dann hab ich das kalte Wasser angedreht. Er schreit vor Schreck auf einmal auf und versucht sich dem Wasser zu entziehen. Doch ich halte ihn fest. Ich weiß, wie man mit volltrunkenen Personen umgeht. Aber ich hab es noch nie erlebt, dass sich jemand in nur einer Stunde so abgeschossen hat.
 

Andererseits... Seto wiegt nicht sehr viel und hat heute Abend kaum von dem Essen etwas zu sich genommen, obwohl es traditionell war. Wenn man sich auf praktisch nüchternem Magen so viel Alkohol einverleibt ist es kein Wunder, wenn man sich prompt abschießt. Wenn ich die Flasche richtig erkannt habe, dann war es einer der Hochprozentigen aus der Büro-Bar.
 

Was mir noch schleierhaft ist, ist warum er vor seinem alten Zimmer saß und sich besoffen hat? Warum ist er nicht im Büro geblieben oder ist ins Wohnzimmer oder in unser Schlafzimmer gegangen? Das ergibt doch gar keinen Sinn oder... vielleicht... hat er das getan, weil ein Teil seines Albtraums in diesem Zimmer stattgefunden hat? Ich denke nicht, dass ich jemals eine Antwort darauf erhalten werde. Im Moment ist Seto zu besoffen und sobald er nüchtern wird oder spätestens morgen früh wird er davon kaum noch was wissen.
 

Plötzlich spür ich eine Veränderung bei Seto und lass ihn los. Er stürzt, klatschnass, wie er ist, aus der Dusche, deren Wasser ich ausstelle, zur Toilette, klappt den Deckel hoch und beginnt sich zu übergeben. Ebenfalls klatschnass folg ich ihm, zieh ein großes Handtuch vom Halter und leg es ihm um die Schultern, während ich ihm sanft das Haar, dass etwas zu lang geworden ist, zurückhalte.
 

Nachdem er einen Großteil der konsumierten Flüssigkeit aus seinem Magen mit jeder Mengen Magensäure erbrochen hat, zieh ich ihn von der Toilette weg und spüle. Erschöpft bleibt er vor mir sitzen und lässt den Kopf mit den nassen Haaren hängen. Ich beginne ihn langsam aus seinem Anzug zu schälen. Hab irgendwie das Gefühl, dass die beiden Anzüge ruiniert sind. Egal... das spielt gerade so gar keine Rolle.
 

Als ich ihn endlich von Jacke, Weste und Hemd befreit habe rubble ich ihm mit einem zweiten Handtuch die Haare etwas trocken. Dabei fällt mir auf, dass er weint. Vorsichtig leg ich meine Finger unter sein Kinn und heb seinen Kopf ein wenig, so dass er mich anschauen muss. Doch das bringt ihn dazu noch heftiger zu weinen. Dann wirft er sich gegen meine nassen Klamotten. Ich halte ihn einfach im Arm und lass ihn weinen.
 

Einige Minuten später versiegen die Tränen schließlich und ich knöpf ihm die Hose auf, als er plötzlich panisch reagiert und laut schreit, ich soll aufhören. Ich halt ihn an den Armen fest und fordere von ihm, dass er mich anschaut. Es fällt ihm so schwer mich anzuschauen, doch als er es endlich tut, sag ich ihm, dass hier nur ich bin und er aus seiner nassen Hose raus muss. Weitere Tränen perlen ihm aus den Augen. Dann sag ich ihm, dass ich jetzt zu seiner Hose greife und den Knopf öffnen werde. Er lässt es einfach geschehen, während er seitlich wegschaut.
 

Nachdem er endlich aus den nassen Klamotten raus ist wickel ich das große Handtuch enger um ihn und reibe darüber, so dass es schneller die Feuchtigkeit von der Haut aufnimmt. Dabei halt ich ihn eng an meiner Brust. Kann sein Zittern spüren. Es ist sicherlich eine Reaktion auf die Angst, die in ihm vorherrscht und die Kälte, weil ich so lange gebraucht habe, ihn aus den Klamotten zu befreien.
 

Schließlich bring ich ihn zurück in unser Zimmer und setz ihn auf das Bett. Dann hol ich fix frische Sachen aus dem Ankleidezimmer. Als er endlich bequeme Kleidung trägt und die Handtücher nicht mehr notwendig sind bring ich ihn dazu, sich hinzulegen. Sanft streich ich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Er blickt zu mir und meint dann ganz ruhig zu mir, dass ich nass sei und sich eine Pfütze unter mir bilden würde. Ich blicke zum Teppichboden unter meinen Füßen und muss feststellen, dass mein Drachen Recht hat. Ich lächle sanft und verwende sein Handtuch dazu, um die Pfütze aufzusaugen, während ich mich selbst aus meinen nassen Klamotten schäle.
 

Nach zwei Minuten hab auch ich endlich trockene Sachen an und krabbel zu Seto ins Bett. Lege mich ganz langsam und mit Ankündigung hinter meinen Drachen. Er zuckt kurz zusammen, aber dann presst er seinen Rücken eng an meine Brust. Ich zieh ihn ein wenig weg von der Kante und mehr in die Bettmitte. Halte ihn sanft in meinen Armen. Wieder beginnt er zu weinen.
 

Ich streich ihm durch sein Haar und platziere sanft einen Kuss auf seiner Wange. Will ihm zeigen, dass er nicht alleine ist. Das ich bei ihm bin. Das sein Orkan - wie er seine Gefühle nennt - ihn nicht mitreißen kann. Weil ich ihn halte. Sein Anker bin. Wiederhole, dass er in Sicherheit ist und hier niemand an ihn rankommt. Ihm niemand weh tun kann. Niemand, der ihn zu irgendetwas zwingt.
 

Schließlich dämmert er vor Erschöpfung weg. Ich bin froh, dass morgen Samstag ist. Einerseits, weil wir dann nicht in die Schule müssen und damit auch nicht früh aufstehen müssen. Denn diese Nacht wird alles andere als erholsam werden. Sicherlich wird Seto mindestens einmal mit einem heftigen Albtraum aufwachen. Andererseits, weil Kai dann kommt. Klar, ich hätte ihn auch jetzt anrufen können und bin mir sicher, er wäre sofort gekommen. Aber ich will ihm diesen Abend nicht verderben.
 

Dann bemerke ich, wie die Tür langsam aufgeht und Mokuba reinschaut. Er sieht gar nicht gut aus. Er ist total blass und sieht aus, als ob auch er geweint hat. Ich winke ihn heran und langsam schleicht er näher. Auch der Kleine hat sich umgezogen. Er bleibt auf Setos Seite vor dem Bett stehen. Ich deute ihm, dass er zu uns krabbeln soll. Für einen kurzen Augenblick blickt er zur Seite, als müsste er echt darüber nachdenken.
 

Doch dann krabbelt er zu uns und legt sich vor seinen Bruder. Legt seine Hand sanft an dessen Wange. Mein Drache murmelt im Schlaf Mokubas Name und eine Entschuldigung. Mokuba rückt näher und legt auch einen Arm um seinen Bruder. Traurig lächelnd erwidert Mokuba leise, dass es nichts gibt, wofür sich sein Bruder entschuldigen müsste. Dann platziert er einen Kuss auf der Stirn seines großen Bruders und ich umfasse auch ihn, in meiner Umarmung.
 

Schließlich ist auch Mokuba eingeschlafen. Ich streiche dem Kleinen durch sein rabenschwarzes Haar und frage mich, was bei ihm wohl los ist. Das etwas los ist, dass merke ich schon eine ganze Weile. Hatte gehofft er würde von sich aus irgendwann zu mir kommen. Doch er kam nicht. Aber auch das werden wir lösen. Genauso, wie Setos Probleme und Ängste.
 

Aber wenn mir dieser Daimon irgendwann begegnet... dann... dann wird er sich wünschen, niemals geboren worden zu sein. Dieses dreckige Schwein... sich jahrelang an einem wehrlosen Kind vergehen und jetzt erneut versuchen, sich MEINEM Drachen zu bemächtigen. Ich werde ihm seine... Ich atme langsam ein und wieder aus... nein... ich werde nichts Dummes oder Unüberlegtes tun. Auch wenn es gerechtfertigt ist! Das würde meinem Drachen nichts nützen und mich in eines Situation bringen, in der ich ihm nicht länger zur Seite stehen kann.
 

Aber so kann es nicht weitergehen. Dieser Vergewaltiger muss von der Straße!

Einen Schritt näher ans Monster-Dasein

Immer wieder sehe ich sein Gesicht. Wie er mich süffisant angrinst. Diesen Blick, der mir offenbart, was er mit mir tun wird. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Presse meine Zähne fest aufeinander. Kann spüren, wie sie übereinander knirschen. Plötzlich werde ich an eine geflieste Wand gepresst.
 

Panik formt sich in mir. Spüre eine fremde Hand über meinen Körper wandern. Vor zu meinem Schritt. Die Hand legt sich grob über meinen Schritt, bevor sie sich wieder löst und den Knopf der Hose öffnet.
 

Die Panik wächst in mir. Will mich wehren, doch dieser Arm in meinem Nacken, der mich gewaltsam an die Wand drückt. Ich höre sein gehässiges Lachen. Es strotzt nur so vor Überlegenheit. Er schiebt meine Hose hinunter, bis sie mir in den Kniekehlen hängen bleibt. Drängt mir ein Bein zwischen die Beine und spreizt so gewaltsam meine Schenkel. Spüre, wie er nun seine Hose öffnet und kann seine Körperwärme spüren.
 

Die Panik in mir bricht aus. Doch ich kann nichts tun. Absolut nichts. Bin hilflos. Ihm ausgeliefert. Keine Chance ihn aufzuhalten. Kann nicht verhindern, was er vor hat. Spüre wie er sich hinter mir positioniert und seinen Schwanz zwischen meine Backen schiebt. Es wird geschehen. Das, was ich nie wieder zulassen wollte. Und dann hör ich nur noch jemand schreien. Laut. Anhaltend. Voller Schmerz. Voller Scham. Voller Selbstekel.
 

Er ist auf einmal verschwunden. Genauso die Wand. Ich habe keinen Abendanzug mehr an. Bin nicht mehr auf einer Toilette. Mein Atem geht schwer und abgehackt. Ich kann den Schweiß über meine Stirn rinnen sehen. Meine Stirn, hinter der ein Feuerwerk an Kopfschmerzen tobt. Alles um mich herum scheint sich zu drehen. Oder drehe ich mich? Wer schreit hier überhaupt so laut? Mein Schädel wird gleich bersten, wenn dieser Irre - wer auch immer er ist - nicht aufhört zu schreien. Dann hör ich jemand meinen Namen rufen.
 

Als ich versuche mich umzublicken stell ich fest, dass alles irgendwie verschwommen und undeutlich ist. Dann tauchen vor mir schwarze Haare auf. Langsam erkenn ich graublaue Augen, die mich besorgt anblicken. Das Schreien verstummt. Endlich. Ungehalten, dass alles so verschwommen ist, geh ich mit dem Handrücken über meine Augen und spüre Feuchtigkeit. Mir wird bewusst, dass ich Zuhause bin. In meinem Bett. Bei meinem Streuner und meinem kleinen Bruder.
 

Ich stocke auf einmal. Blicke entsetzt zu Mokuba. Was... was tut er hier? Er kommt nie, wenn ich einen Albtraum habe. Weil ich ihn bat, nicht zu kommen. Er soll mich nicht so sehen. Wenn ich die Kontrolle verliere und völlig von meinen Ängsten beherrscht werde. Das soll er nicht sehen. Doch hier ist er. Kniet vor mir auf der Bettdecke und blickt mich erschrocken und besorgt an.
 

Eilig versuche ich nach hinten wegzukommen und mich aus seinem Blickfeld zu entziehen. Doch ich stoße gegen jemand. Als ich mich umdrehe sehe ich blondes Haar und bernsteinfarbende Augen, die mich fürsorglich mustern. Ich hab keine wirkliche Kontrolle über die Handlungen meines Körpers. Er reagiert einfach. Reagiert auf die umschlingenden Arme mit hektischen Bewegungen. Versuche mich frei zu winden.
 

Dann spür ich auf einmal zwei warme Hände an meinen Wangen, die meinen Blick wieder zu Mokuba lenken. Wie er mich sanft lächelnd anblickt, obwohl ihm gar nicht danach zu Mute ist. Seine Augen sind gerötet und er ist blass. Was ist mit meinem kleinen Bruder? Warum schaut er so traurig? Er macht ein beruhigendes Geräusch und meine Gegenwehr lässt nach.
 

Warum ist er hier? Hat er meine Bitte ignoriert, als ich in der heutigen Nacht von einem Albtraum geplagt erwacht bin? Albtraum? Schön wär's. Es ist wirklich geschehen, oder? Nicht bis zum äußersten. Kogoro hat es nicht geschafft in mich einzudringen. Doch das war nicht mein Verdienst. Ich versuch mich daran zu erinnern, aber so wie meine Sicht vor Tränen verschwommen ist, ist auch meine Erinnerung nicht ganz klar. Doch dann blitzt vor meinem geistigen Auge das Gesicht von Kei auf.
 

Keizo. Stimmt er hat Kogoro von mir weggezogen. Verhindert, dass der Drecksack... Aber... wieso hat Kogoro... versucht... ich bin doch achtzehn. Kein Kind mehr. Wieso sollte er an mir überhaupt noch Interesse haben? Ich bin seinem Beuteschema doch entwachsen. Und dann in aller Öffentlichkeit. Wenn nicht Keizo, dann hätte jederzeit jemand anderes reinplatzen können. Wieso ging dieses Monster ein so gewaltiges Risiko ein? Das macht doch gar keinen Sinn.
 

Wieder fallen mir die tränennassen Augen meines kleinen Bruders auf. Langsam, wie in Zeitlupe, leg ich meine Arme um ihn und zieh ihn zu mir, während ich selbst noch weine. Drücke ihn fest an mich und versenke mein Gesicht in seiner Mähne. Mein starker, kleiner Bruder. Der etwas viel besseres als mich verdient hat. Einen großen Bruder, der sich und ihn schützen kann. Der kein seelisches und psychisches Wrack ist. Mit dem er eine unbeschwerte und glückliche Kindheit haben kann. Diese Gedanken fachen mein Weinen nur noch mehr an und ich schluchzte auf.
 

Katsuya hinter mir umschließt mit seinen Armen nicht nur mich, sondern auch Mokuba. Der mich ungewöhnlich fest umarmt. Was hat mein kleiner Bruder nur? Sonst klammert er sich doch nicht so verzweifelt an mich. Es ist fast so, wie nach meinen zwei Tagen Black out, als Mokuba erfahren hat, dass es nicht nur Gozaburo war, der mich benutzt hat. Da hat ihn sein Wissen auch verzweifeln lassen. Aber... warum ist er jetzt...
 

Da durchzieht mich ein weiteres Bild: Ich am Ende des Ganges. Auf dem Boden sitzend oder mehr liegend. Vor mir Keizo stehend. Ich fahre mir lasziv über das halb geöffnete Hemd und meine Brust. Spüre, wie ich bitter lächle und dann frage, ob Keizo hier ist, um alte Zeiten aufzufrischen.
 

Schlagartig verkrampft sich alle in mir und selbst meine Tränen hören auf. Was... was hab ich getan? Hab ich... hab ich meinem Bruder etwas eröffnet, was dieser niemals erfahren sollte? Völlig entgeistert blicke ich zu Katsuya, doch auch der Blick von meinem Streuner ist wenig hoffnungsvoll. Scheiße! Wenn ich in die Scheiße trete, dann richtig. Jetzt bin ich es, der seine Umarmung um Mokuba festigt und ihn fest an mich gedrückt hält.
 

Schuld breitet sich in mir aus. Ich wollte Mokuba nicht sein neues Idol nehmen. Und das war Keizo für meinen kleinen Bruder. Jemand, dem er nacheifern wollte. Doch durch meine unbedachten Worte im Suff (!) hat er dieses Ziel wohl aufgegeben. Wieder hab ich meinem Bruder ein Stück seiner Kindheit weggenommen und zerbrochen. Die Tränen zwängen sich jetzt doch wieder aus meinen Augen. Rollen heiß über meine Wange, bevor sie im schwarzen Haar meines Bruders landen.
 

Ich... ich bin genauso ein Monster geworden, wie mein 'Vater' es war... und diese Erkenntnis brennt tief in meinem Inneren. Diese und die Erkenntnis, dass ich Mokuba zerbrechen werde. Ich hätte ihn niemals so nah an mich ran lassen dürfen. Hätte ihm niemals zeigen dürfen, was Gozaburo und die anderen mir angetan haben. Als Bruder bin ich gescheitert... und keine Schönrederei wird daran etwas ändern!

Einen Schritt zur Selbstgeißelung

Ich sitze in meinem Wohnzimmer auf der Couch und blicke durch die Terrassentür hinaus in den Garten und beobachte, wie die Sonne aufgeht. Seit ich in der Nacht nach Hause gekommen bin, sitz ich hier. Wollte meine Frau nicht wecken. Vielleicht... vielleicht ist das aber auch nur eine Ausrede!
 

Tatsächlich kämpfe ich gegen die Dämonen meiner Vergangenheit an. Hätte ich mich hingelegt, dann wäre ich spätestens drei oder vier Stunden später schweißgebadet aufgeschreckt. Ich kenn das schon. Mein Therapeut hat mich damals darauf vorbereitet, dass sowas trotz erfolgreich abgeschlossener Behandlung vorkommen kann.
 

Schon als ich meinen alten Herr ins Pflegeheim gebracht habe wurde ich Wochen lang von Albträumen gequält. Von dem, was er mit mir gemacht hat. Jahrelang. Von den Erniedrigungen. Von den Beschimpfungen. Den Vergewaltigungen. Seiner Neigung, mich schreien hören zu wollen, wenn er mich quälte.
 

Doch ich fürchte, dass diese Albträume harmlos waren, im Gegensatz zu jenen, die mich dieses Mal erwarten. Denn in diesen Albträumen werde ich nicht allein das Opfer sein. Ich werde Täter sein. Werde mich sehen, wie ich mich in guter Absicht Seto aufdränge und ihn nehme. Wie er weint und schluchzt, weil ich in ihm bin und mich bewegen muss, weil sonst noch alles viel schlimmer werden würde. Daran wird auch nichts ändern, dass ich gestern Abend Seto zu Hilfe geeilt bin!
 

Ich sah, wie Seto aus der Richtung seiner Loge kam und zur Toilette ging. Dann fiel mir auf, wie sich jemand zielstrebig und etwas zu hastig ebenfalls in Richtung der Toilette schob. Erst als derjenige an der Toilettentür stehen blieb und sich noch einmal umschaute, erkannte ich Kogoro. Daraufhin sputete ich mich auch zur Toilette zu kommen, was bei der Masse an Menschen gar nicht so einfach war.
 

Als ich die Toilette endlich erreicht hatte hab ich eigentlich damit gerechnet, dass die Tür von innen zugesperrt sein würde. Doch das war sie nicht. Doch als ich rein kam blieb mir für einen Moment der Atem weg. Ich sah, wie Kogoro seinen Arm in Setos Nacken hatte und ihn gegen die Wand presste, während er sich wohl bereit machte in ihn einzudringen.
 

Zum Glück bin ich noch rechtzeitig gekommen. Bin ich das? Ich glaube, dass Seto das anders sehen würde. Zwar hab ich Kogoro daran gehindert einzudringen, doch er hatte Seto an der Wand festgekeilt, ihm die Hose herunter gelassen und sich selbst entblößt. Er hat ihm trotz allem Gewalt angetan. Frustriert schlag ich in ein Sofakissen. Wieso konnte ich mich nicht schneller durch die Menschenmasse pflügen? Dann hätte ich auch das verhindern können.
 

Kogoros Grinsen verfolgt mich. Dieses süffisante, ekelhafte Grinsen, als er vor mir auf dem Boden lag, sein Schwanz steif aufragte und er zu mir aufblickte. Wie in alten Zeiten, hallt es mir durch den Kopf. Ich weiß, was er damit meint. Er war damals gerne mit uns alleine. Genoss es zu sehen, wie es mich quälte, wenn er Seto verletzte und erniedrigte. Hörte gerne Setos Flehen und Betteln, wenn er mich benutzte und dabei würgte.
 

Das unterscheidet Kogoro von meinem Vater und Gozaburo. Kogoro hatte eine wahre Freude daran, andere mit ihrer eigenen Hilflosigkeit zu quälen. Ihnen zu zeigen, was sie erwarten würde, damit sie dann bettelten und flehten, wenn sie an der Reihe waren. Wie ich diesen Mann hasse.
 

Ihm gegenüber zu stehen hat mich eine Menge Kraft gekostet. Doch ich wusste, dass ich dieses eine Mal Seto wirklich davor bewahren konnte durch die Hölle zu gehen. Zumindest durch die ganze Hölle zu gehen. Dieses eine Mal war ich stark genug. Ließ mich von ihm und seinem Blick nicht einschüchtern, denn er konnte mir nichts mehr tun. Dann stand dieses Monster auf und schloss seine Hose. Dennoch war die Beule gut erkennbar. Er schloss seine Jacke darüber und für einen Moment befürchtete ich, dass er noch einen Versuch unternehmen würde.
 

Was war ich für einen Augenblick erleichtert, als er endlich abzog. Doch dann überkam mich sofort die Sorge um Seto. Erst reagierte er nicht. Erst als wir Augenkontakt herstellte schien er aus seiner Starre zu erwachen. Sofort zog er sich die Hose hoch, stopfte sein Hemd hinein und ging zu mir auf Distanz. Doch das ist in Ordnung. Etwas anderes hab ich gar nicht erwartet. Dennoch, hat es - aus welchen Gründen auch immer - weh getan. Manchmal verstehe ich mich selbst einfach nicht.
 

Warum hab ich ihn alleine weggehen lassen? Noch so ein Fehler von mir. Ich hätte ihn zur Loge begleiten sollen. Mich überzeugen sollen, dass er nicht allein wäre. Doch ich war so perplex, dass er plötzlich so distanziert und ruhig war. Das war einfach so dumm. Dumm. DUMM!
 

Nur gut, dass er bei dem Übergriff sein Handy verloren hat und ich dann doch noch hinter her bin. Ich wusste von Isono wo sie sitzen würden. Doch da war er schon weg. War nach Hause gefahren. Alleine. Hat sich besoffen. Dabei mag er gar keinen Alkohol. Warum hat er sich eine ganze Flasche einverleibt? Vor allem wie? Seto reagiert auf den Geschmack der meisten Alkohole sehr abwehrend. Es muss ihn eine große Überwindung gekostet haben, so viel in sich hinein zu pumpen.
 

Plötzlich sehe ich den entsetzten Blick von Mokuba, als er von mir die ganze Wahrheit erfährt. Die Wahrheit darüber, dass ich nicht 'nur' Opfer war. Das ich seinen Bruder ebenfalls vergewaltigt habe. Ich konnte sehen, wie etwas in dem Kleinen zerbricht. Seine Tränen - jede einzelne, die er daraufhin vergossen hatte - schmerzte mich tief in meiner Seele. Genauso seine Reaktion, als ich ihn trösten wollte. Er schreckte vor mir zurück. Dann flüchtete er sich in Isonos Arm. Ich kann es ihm nicht verdenken.
 

Monster, hallt meine innere Stimme durch meinen Kopf. Früher war sie mein ständiger Begleiter. Um sie zum Schweigen zu bringen hab ich damals mit den Drogen angefangen. Seto hab ich damals erzählt, dass die Drogen es mir erträglicher machen, den Scheiß über mich ergehen zu lassen. Doch in Wahrheit... in Wahrheit wollte ich einfach diese Stimme nicht mehr hören, die mir immer wieder klar machte, was ich diesem Jungen antat.
 

Nachdem ich den Entzug hinter mir hatte und die Therapie gemacht habe verstummte sie immer mehr. Mein Psychologe meinte, dass das ein gutes Zeichen sei. Ein Zeichen, dass die Therapie anschlug. Ich aufhörte mich selbst zu zerfleischen und zu geißeln. Aber... vielleicht war das falsch...?
 

Trotz allem, was ich Seto angetan habe, hab ich einen Weg gefunden mit mir zurecht zu kommen. Hab mir ein Ziel gesucht. Mich verliebt. Geheiratet. Ein Kind bekommen. Bin glücklich. Mit welchem Recht? Seto leidet. Leidet unter der Vergangenheit, deren Teil ich bin. Ich bin sogar ein Teil seines Leidens.
 

Plötzlich spüre ich eine warme Hand an meiner Wange. Als ich in das Hier und Jetzt zurück kehre sitzt Megumi neben mir und lächelt mich sanft an. Sagt mir, dass ich meiner inneren Stimme keinen Glauben schenken darf. Oh... ich liebe meine Frau. Sie weiß immer was in mir vorgeht. Erst jetzt registriere ich, dass ich geweint haben muss. Mein Gesicht ist feucht. Ich lass mich langsam nach vorne fallen, so dass mein Kopf auf ihrer Schulter zur Ruhe kommt. Dann erzähle ich ihr vom Abend, von der Suche nach Seto und wie wir ihn fanden. Erzähle ihr von seiner Andeutung und dass ich Mokuba alles erzählt habe. Als ich zu seiner Reaktion komme bricht meine Stimme zusammen und ich kann nur noch weinen.
 

Ich bin ein Monster, so wie es mein Vater vor mir war. Dafür gibt es keine Ausrede. Keine Beschönigung. Keine Entschuldigung. Keine Vergebung.

Einen Schritt durch die Konfusion

Während Seto und Katsuya im Bad sind bin ich in mein Zimmer, um mich zu duschen und anzuziehen. So einen Albtraum mal wirklich zu sehen war etwas ganz anderes, anstatt ihn durch die geschlossene Tür mitzuerleben. Diese Angst, Panik und den Schmerz in Setos Gesicht zu sehen. Zu sehen, wie er weint und um seine Fassung kämpft.
 

Letztes Jahr hab ich ihn noch dafür verdammt, dass er mich ausgesperrt hat und mir verweigert hat, ihn so zu erleben. Heute... bin ich dafür dankbar. Ich glaube vor ein paar Monaten hätte ich diesen Anblick nicht ertragen. Egal was ich damals geglaubt habe. Heute... wundert es mich, dass er überhaupt Nächte hat, in denen er scheinbar keine Albträume hat.
 

Ich bewundere meinen großen Bruder. Schon immer hab ich ihn für stark gehalten, doch seit diesem Erwachen weiß ich erst, wie stark er wirklich ist. Trotz all dem Schrecken, dem er ständig ausgesetzt ist, steht er jeden Morgen auf. Bewältigt seinen Tag. Versucht mit Katsuya glücklich zu werden. Und das hat er sich wirklich verdient: glücklich werden!
 

Vor allem spiegelt sich seine Stärke im Umgang mit Keizo wieder... ich weiß nicht, ob ich die Kraft oder die Stärke hätte jeden Sonntag mit einem meiner Vergewaltiger so etwas wie ein Kampfsporttraining zu bewältigen. Ich mein, ich bin nicht doof. Immer wieder hab ich bemerkt, wie Seto Keizos Berührungen auswich und vermied mit diesem Übungen zu machen. So ergibt es auch endlich Sinn, dass er am Anfang nicht wollte, dass auch ich mit Keizo im Rahmen der Übungen körperlichen Kontakt habe.
 

Aber... aber wenn Keizo ihn vergewaltigt hat... wie lässt sich erklären, dass er zunächst seinen Widerstand gegen die Übungen zwischen Keizo und mir aufgegeben hat und letzte Woche sogar selbst mit diesem... mir fällt keine passende Bezeichnung für Keizo ein. Aber er hat letzte Woche selbst eine Übung mit Keizo absolviert. Diese Wurftechnikübung. Ist das kein Widerspruch?
 

Nein. Keizo selbst hat es mir doch gestern Abend eingestanden und als Vergewaltigung bezeichnet. Und so jemanden hab ich bewundert und nachgeifert. Ich lehne meine Stirn an die Fließe, während heißes Wasser auf mich herab prasselt. Das alles passt nicht zusammen. Es passt nicht... es erklärt einiges und wirft doch gleichzeitig wieder Fragen auf. Würde eine Frau wirklich einen Vergewaltiger heiraten, mit ihm ein Kind bekommen und täglich zusammenleben? Weiß seine Frau überhaupt etwas davon. Ich glaube nicht. Vielleicht sollte ihr jemand mal die Augen öffnen?
 

Oh man, ich spür, wie die Wut in mir aufwallt. Die gleiche Wut, die mich gestern weinen ließ, als Keizo mir endlich die Wahrheit erzählt hatte. Warum... warum hat mir Seto nicht alles erzählt? Warum denkt er immer wieder, dass er mir was vorenthalten oder etwas entschärfen müsste für mich. Obwohl... ich hätte gut darauf verzichten können, davon zu erfahren. Ach ich bin so verwirrt... ich weiß langsam selbst nicht mehr, was ich denken oder fühlen soll. Nur bei einem bin ich mir sicher: Ich liebe meinen Bruder und er ist für mich der stärkste Mensch auf der Welt!
 

Aber wie soll es nur weitergehen? Morgen haben wir wieder Training. Wird Keizo mit seiner Frau zusammen kommen und so tun, als wäre nichts gewesen? Und falls ja, wie soll ich dann reagieren? Auch so tun, als wäre alles wie immer? Oder soll ich mich weigern mit diesem Vergewaltiger zu trainieren. Ich könnte auch mit ihm trainieren und richtig zuschlagen, damit er mal ansatzweise spürt, was für ein Schmerz er Seto zugefügt hat.
 

Vielleicht sollte ich mit Seto darüber reden. Doch... als er bemerkt hat, dass ich es wohl weiß, wie auch immer er das gemerkt hat, hat er richtig doll geweint. Ich hebe meinen Kopf und schau zur Badezimmertür. Nicht... nicht das sich Seto wieder Selbstvorwürfe macht und glaubt, er sei ein schlechter Bruder oder so... Eilig trete ich aus der Dusche und trockne mich ab. Na ja... ich... ist auch egal. Noch total feucht zieh ich mir eilig Sachen an und eile aus meinem Zimmer zurück in das meines Bruders. Im Vorraum kann ich schon Katsuyas Stimme hören, wie er meinem Bruder den Kopf wäscht. Ihm energisch sagt, dass er kein schlechter Bruder sei und er aufhören soll in Selbstmitleid zu versinken.
 

Sofort stürm ich rein. Seto blickt mich erschrocken und mit immer noch geröteten Augen an. Dann schling ich auch schon meine Arme um ihn und spüre, wie er mich sanft umarmt. Ich wiederhole, was ich ihm schon einmal gesagt habe, nämlich dass er der beste Bruder auf der Welt ist und ich ihn lieb hab. Bitte ihn aufzuhören, sich selbst runterzumachen oder an sich zu zweifeln.
 

Er stemmt mich ein wenig von sich und blickt mich an. Wieder laufen ihm dicke Tränen über die Wange. Ich hebe meine Hände an sein Gesicht und streiche mit den Daumen die Tränen von den Wangen. Dann versuch ich ihn anzulächeln. Sage ihm, dass wann immer ich ihn brauche, er für mich da ist und er sich immer gut um mich gekümmert hat, egal ob es im Waisenhaus oder später bei Gozaburo war. Das ich nur so eine schöne Kindheit haben konnte, weil er mir das ermöglicht hat und die Grausamkeit des Alten auf sich gezogen hat. Und das er genug geopfert hat. Das es nun an mir ist, ihm etwas zurück zu geben, denn so ist das bei Brüdern. Es ist ein Geben und Nehmen und wenn man gerade nicht geben kann, dann ist nichts dabei zu nehmen.
 

Für einen langen Moment blickt er mich mit seinen blauen Augen an und lächelt mich dann sanft an. Dann drückt er mich wieder fest an sich und flüstert mir ein 'Danke' ins Ohr. Nicht dafür, Seto... Dann ist es an mir, nach einer kleinen Weile mich etwas von ihm weg zu stemmen und ihn ernst anzuschauen, bevor ich anfange zu erklären, dass er aufhören muss schlimme Dinge vor mir zu verstecken. Dass es nicht länger geht, dass er mir nur die Hälfte erzählt oder Sachverhalte verharmlost, nur weil er denkt, dass ich es nicht ertragen kann. Jetzt schau ich ihn lange und eindringlich an und er hält meinem Blick stand. Dann nickt er und streicht mir durch mein viel zu nasses Haar.
 

Dann hör ich ihn fragen, ob es okay wäre, wenn er später mit in meine Sitzung käme, dann könnten wir gemeinsam über Keizo reden. Erstaunt blick ich ihn an. Das ist das erste Mal, dass Seto mit mir - freiwillig und vor allem von sich aus - mit mir eine Therapiestunde absolvieren möchte. Ich kann vor lauter Staunen nur nicken. Ist das endlich ein Schritt vorwärts, auf den ich schon seit Monate warte?
 

Ich will ihn schon fragen, ob wir dann auch über das reden können, was gestern Abend geschehen ist, aber ich will nicht so wirken, als ob ich mit dem kleinen Finger nicht zufrieden wäre. Vielleicht ergibt sich ja dieser Teil vom Gespräch ganz von selbst, denn wenn wir über Keizo reden, dann wird Kai sicherlich wissen, wie ich jetzt an die Wahrheit gekommen bin.
 

Schließlich legt mir Katsuya eine Hand auf meinen Rücken und zieht sie sofort wieder weg. Das Wasser aus meinen Haaren hat das Shirt hinten völlig durchtränkt. Daher schickt mich der Blonde wieder in mein Zimmer. Ich soll mein Haar etwas frottieren, mich abtrocknen und mir trockene Sachen anziehen. Ich nicke nur und will mich schon abwenden. Da greift Seto noch einmal nach meinem Handgelenk, zieht mich zu sich und drückt mich noch einmal - ungeachtet der Nässe - richtig fest an sich.
 

Diese Umarmung erwidere ich lange. Ich habe so lange darauf gewartet, dass ich meinen großen Bruder länger als ein paar Sekunden umarmen darf und dass er jetzt von sich aus mich so umarmt... hätte ich mir nie erträumen lassen.

Einen Schritt gemeinsam durch die Vergangenheit

Eigentlich wollte ich den beiden etwas Zeit für sich gönnen und gar nicht mit in die Sitzung gehen. Doch als Seto sich vor mich stellte und diesen flehenden Blick aufsetzte, mir sagte, dass er mich und meine Kraft, die ich ihm durch meine Anwesenheit schenke, braucht... da konnte ich nicht nein sagen. Wie auch?
 

Also hab ich mich von ihm mit in den Wintergarten ziehen lassen. Hab hinter mir die Verbindungstür zum Wohnzimmer geschlossen und die Außenpanelle geöffnet, damit die herrliche frühsommerliche Luft hinein strömt. Während Seto und Mokuba auf dem Rattan-Zweisitzer Platz nehmen und Kai in dem dazugehörigen Sessel setze ich mich am Rand auf einen Gartenstuhl.
 

Kai scheint sichtlich erstaunt zu sein, dass die beiden gemeinsam zur Sitzung gekommen sind und schaut zwischen ihnen hin und her. Dann fängt er wie üblich mit etwas Smalltalk an, ohne scheinbar zu ahnen, dass der Smalltalk direkt zum Thema führt. Denn er erzählt von gestern Abend der Gala und dass er eigentlich gehofft hatte uns dort anzutreffen. Mein Drache senkt seinen Blick und als er etwas erwidern möchte ist seine Stimme brüchig und sehr leise.
 

Nur langsam erzählt Seto Kai - und Mokuba, sowie mir - was sich gestern zugetragen hatte. Wie er auf Toilette ging, jemand herein kam und sich direkt neben ihn stellte. Dass er anhand eines Muttermals Kogoro erkannt hatte und sich dann unauffällig von ihm entfernen wollte. Das dieses Arschloch - Seto sagt natürlich nicht Arschloch... er drückt sich gewählter aus - ihn auf einmal gegen die Wand presste, die Hose öffnete und herunter schob. Wie dieser Kerl sich hinter ihm positionierte und wie machtlos er sich fühlte. Das Kogoro ihn fast erneut benutzt hätte - hm... scheinbar kann sich Seto immer noch nicht so richtig überwinden das Wort 'vergewaltigt' zu benutzen. Und wie Keizo ihn gerettet und Kogoro vertrieb.
 

Als mein Drache Keizo erwähnt beginnt Mokuba mit den Zähnen zu knirschen. Kai blickt zu ihm und fragt, was los sei. Doch Mokuba winkt ab. Will, dass Seto erst zu Ende erzählt. Doch Seto macht es kurz und beendet seine Erzählung in drei Sätzen. Mein Drache legt sanft einen Arm um Mokubas Schulter und zieht seinen kleinen Bruder näher an sich heran. Drückt ihn sanft an seine Brust und küsst ihn ins Haar, bevor er abschließend meint, dass er im Suff Mokuba förmlich auf die Wahrheit mit Keizo gestoßen habe und er sich schuldig fühlt, weil er Mokuba damit ein Idol zerstört hat.
 

Mokuba dreht sich etwas seinem Bruder zu und legt eine Hand an dessen Wange. Schüttelt den Kopf. Erwidert nur, dass er auf einen Vergewaltiger als Idol verzichten kann. Kai fragt, warum Mokuba Keizo einen Vergewaltiger nennt. Mokuba keift völlig außer sich fragend, wie er sonst jemand nennen soll, der sich einem anderen aufzwingt und ihn zum Sex zwingt.
 

Jetzt ist es Seto, der energisch einwirft, dass es nicht so einfach sei. Mokuba blickt ihn fragend mit großen Augen an. Setzt dem entgegen, dass Keizo es nicht beschönigt hat und ihm sehr klar erzählt hat, was er getan hat. Das sich Keizo selbst als Vergewaltiger deklariert hat. Jetzt schaut Seto mit großen Augen zu seinem kleinen Bruder.
 

Dann, ganz langsam, schüttelt er den Kopf. Er zieht seinen Bruder auf seinen Schoss und lehnt seine Stirn an die des Schwarzhaarigen. Leise setzt Seto schließlich an. Erzählt Mokuba, wie es damals wirklich war. Wie Keizo sich vor ihn stellte, oft davor bewahrte, dass ihn der Vorstand verletzte und dafür selbst oft nichts anderes als Schmerz und Leid kassierte. Das Keizos Vater und Gozaburo irgendwann auf die Idee kamen, dass Keizo Seto nehmen sollte. Mein Drache erzählt mit brüchiger Stimme, wie Keizo sich beim ersten Mal weigerte und dafür böse zusammen geschlagen wurde, so dass er fast zwei Wochen brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen und Oshita Senior sich ihm dann annahm. Seto geht da nicht sehr ins Detail. Muss er auch nicht. Schon gar nicht vor Mokuba.
 

Plötzlich drängen sich Mokuba Tränen aus den Augen. Er weint. Einmal wegen dem, was sein Bruder erleiden musste, aber auch wegen Keizo glaub ich. Er erkennt, dass bei diesem Mann ein schwarz-weiß-Denken nicht möglich ist. Hat Keizo sich meinem Drachen aufgezwängt? Ja, das hat er. Wollte er es oder hat er es genossen? Nein. Er tat es, weil er keine andere Wahl hatte.
 

Seto drückt seinen Bruder sanft an seine Brust, während er ihm sanft über das Haar strich und ihn tröstete. Es vergehen einige Minuten, in denen mein Drache sein Gesicht in dem weichen, voluminösen Haar seines kleinen Bruders versteckte. Ich bin mir sicher, dass auch er ein, zwei Tränen vergisst. Er wollte nie, dass Mokuba das alles so ausführlich erfuhr, wobei es noch recht oberflächlich war.
 

Ich will schon aufstehen und zu den beiden gehen, als Kai mir ein Zeichen gibt dort zu bleiben, wo ich bin. Also tu ich, wie man mir wortlos aufträgt und warte. Nach fast zwanzig Minuten lösen die beiden Brüder sich etwas von einander und schauen sich tief in die Augen. Seto streich Mokuba ein paar Tränen weg, während dieser mit dem Daumen meinem Drachen die Feuchtigkeit von den Wangen wischt.
 

Mokuba fragt schließlich, warum Seto ihm das nicht von Anfang an erzählt hat. Seto senkt seinen Blick und meint, dass er manchmal der Meinung ist, dass gewisse Details Mokuba zu sehr belasten könnten und das möchte er nicht. Alles was er für seinen kleinen Bruder will ist, dass er sorgenfrei aufwachsen kann und seine Kindheit und Jugend genießen kann.
 

Da bekommt Mokuba einen ernsten Blick und kontert, dass er das nicht kann, wenn mein Drache Geheimnisse vor ihm hat und ihn so oft im Ungewissen lässt. Er sei stark, vor allem für seinen großen Bruder und Seto soll aufhören ihn wie ein Kleinkind zu behandeln. Schließlich will er meinem Drachen doch nur helfen und das kann er nicht, wenn er in der Dunkelheit herum tapst.
 

Nur langsam nickt Seto und sucht den Blickkontakt zu seinem Bruder. Dann gibt er zu, dass er oft vergisst, wie groß Mokuba schon ist und er oft in ihm eben seinen kleinen Bruder sieht, den er beschützen muss. Mokuba lächelt ihn an und schüttelt dann sanft den Kopf. Dann drückt Seto seinen kleinen Bruder wieder an sich und küsst ihn auf die Wange. Flüstert ihm zu, dass er in Zukunft Mokuba mehr einbeziehen und auf seine Kraft bauen wird. Mokuba beginnt überglücklich zu strahlen.
 

Schließlich lösen sie sich erneut von einander und blicken zu Kai. Der lächelt stolz. Fragt, wozu die beiden ihn überhaupt brauchen. Dann schaut er zu Seto und fragt, ob es okay wäre, wenn sie den Übergriff von gestern Abend mit Mokuba zusammen aufarbeiten. Ich kann meinem Drachen am Gesicht ablesen, wie unwohl er sich bei dem Gedanken fühlt. Dennoch nickt er. Dann schaut er zu mir. Bittend. Fast flehend. Ich schau zu Kai. Der nickt. Also steh ich auf und geh zu ihm. Setz mich neben ihn und lege einen Arm um ihn.
 

Dann gehen wir zusammen mit Kai noch einmal das Geschehene durch und widmen uns immer wieder dem Thema, was Seto gefühlt hat. Ja, so kenn ich die Therapie auch von mir selbst. Es ist das erste konkrete Erlebnis, dass Kai mit Seto komplett durcharbeiten kann. Und mein Drache...? Macht mit... muss hier und da seinen eigenen Widerwillen überwinden, doch er versucht nicht einmal das Thema abzubrechen oder zu wechseln. Mokuba lehnt sanft an seiner Brust und Seto hält ihn fest, während ich Seto kraule.
 

Gerade als wir fertig werden klopft es an der Verbindungstür und Isono kommt rein. Komisch seit wann ist er da? Er entschuldigt sich für die Störung und kommt zu uns. Er stellt sich vor Seto und meint, dass da zwei Polizisten wären, die mit ihm sprechen wollen. Mit einem entsetzten Blick schaut Seto hoch zu Isono und erstarrt.

Einen Schritt in die Schuld

Ich versuche nach außen ruhig zu wirken, während ich langsam durch das Wohnzimmer Richtung Eingangshalle gehe. Was will die Polizei von mir? An einem Samstag? Wäre es irgendetwas wegen der Firma würden sie unter Woche kommen und sich auch eher an Isono wenden, seit er offiziell die Geschäftsführung und die Verantwortung trägt. Ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus. Es ist ein Gefühl das ich oft habe, bevor ich mich übergeben muss.
 

Katsuya, Mokuba, Isono und Kai folgen mir. Ich spüre ihre Anwesenheit und ich fühle mich zerrissen. Einerseits hab ich den Horror davor mich dieser Situation alleine zu stellen. Andererseits möchte ich sie aber auch nicht dabei haben. Vielleicht muss ich lügen oder mein altes Arschlochsein ausgraben. Beides, was ich nicht gern vor Menschen mach, deren Meinungen mir so wichtig geworden sind.
 

In der Eingangshalle stehen eine Frau und ein noch recht junger Mann. Sie lächelt mich sanft an und wendet sich ganz zu mir. Sie verbeugt sich ein wenig zur Begrüßung. Wenigstens will sie mir nicht die Hand geben. Die Frau stellt zuerst ihren Partner als Detective Fujimura vor, dann sich selbst als Detectiv Nagasato. Ich nicke ihnen nur zu und frage dann, was sie her führt.
 

Die Frau tritt einen Schritt auf mich zu, bevor sie kurz hinter mich zu meiner Begleitung blickt und dann wieder zu mir zurück. Sie fragt, ob wir irgendwo ungestört miteinander reden können. Etwas harsch sag ich ihr, dass sie ihr Anliegen vorbringen oder gehen soll. Noch einmal blickt sie hinter mich bevor ihr Gesichtsausdruck milder wird. Diese Reaktion bei ihr beunruhigt mich ungemein.
 

Sie zieht etwas aus ihrer Jackentasche und hält es vor sich. Wenn ich mich nicht irre ist es ein Foto, dessen Rückseite ich sehe. Dann räuspert sie sich und meint, dass sie heute Morgen Daimon Kogoro verhaftet haben. Es kostet mich all meine restliche Selbstbeherrschung nicht zurück zu weichen. Wie viel Macht dieser Name alleine hat. Der Drecksack muss nicht mal anwesend sein, damit das Adrenalin mich flutet.
 

Isono fragt sie, weswegen Daimon Kogoro verhaftet worden ist. Er hat wohl gemerkt, dass ich in diesem Augenblick meine Stimme einfach nicht gebrauchen kann oder ihr zumindest nicht das nötige Vertrauen entgegenbringe. Es ist gut, dass dieser Mann mich so gut kennt und weiß, wann er aktiv werden muss, um mir eine Peinlichkeit zu ersparen. Mein Herz rast. Da spür ich, wie Mokuba neben mich tritt und meine Hand nimmt. Auf der anderen Seite schließt Katsuya auf und legt seinen Arm um meine Hüfte.
 

Dann beantwortet Detective Nagasato Isonos Frage und ich hab das Gefühl, dass mein Herz gleich stehen bleibt. Denn sie sagt nur ein Wort: Vergewaltigung. Ich spür den Bedarf zu schlucken, doch das will ich nicht. Die Angst, dass dieses Schlucken verräterisch wäre, ist zu groß. Ich schau die Detective nur mit großen Augen an und wage es nicht zu blinzeln.
 

Mühevoll und mit trockener Kehle frag ich, was das mit mir zu tun hat. Ich will gleichgültig und genervt klingen. Doch ich fürchte, dass gelingt mir nicht. Sie schaut mich an. Nach wie vor hält sie dieses Foto vor sich und scheint es mir noch nicht zeigen zu wollen. Da ist wieder dieser milde Gesichtsausdruck bei ihr, als sie mir erklärt, dass man heute Morgen Kogoros Haus durchsucht hat. Dabei sei sie auf eine Kiste mit Fotos gestoßen. Jetzt löst sie das Foto von ihrem Bauch und reicht es mir.
 

Als ich danach greife merke ich, wie meine Bewegung immer langsamer wird, als würde jemand auf die Zeitlupentaste des Lebens drücken. Mein Herz wummert mittlerweile bis zum Hals und ich hab das Gefühl, dass man es an meiner Brust heftig schlagen sehen kann. Dann erreich ich das Foto zieh es zu mir und schau darauf. Sofort press ich die Fotographie an mich. Bemüht keine Regung von mir zu geben. Halte sogar den Atem an.
 

Detective Nagasato fragt mich schließlich, als wäre es nicht offensichtlich genug, ob ich das auf der Fotografie bin. Ihre Stimme klingt, als würde es aus weiter Ferne zu mir heran dringen. Ich kenne diesen Effekt! Und ich weiß, wohin er mich beim letzten Mal geführt hat. Ich kämpfe dagegen an und blinzle und schlucke endlich. Dann heb ich meinen Blick zu ihr.
 

Wut wallt in mir auf. Nicht auf den Detective. Sondern auf Kogoro... was hat dieser Trottel gemacht, dass er wegen Vergewaltigung angezeigt werden konnte. Und warum... WARUM hat er solche Fotos nicht besser versteckt. Ich kann dieser Frau nicht sagen, was so offensichtlich ist. Zich Szenarien rauschen mir durch den Kopf, was geschieht, wenn dieses oder ähnliche Bilder öffentlich werden.
 

Der Fluchtinstinkt erwacht in mir. Ich will weg. Weg aus der Eingangshalle. Weg von dieser Frau. Weg von dieser sich gerade formenden Realität, die mir absolut nicht gefällt. Für die ich nicht bereit bin. Doch Mokuba und Katsuya halten mich. Lassen nicht zu, dass ich mich einfach umdrehe und weggehe. Nochmal schlucke ich. Sie erwartet immer noch eine Antwort auf eine Frage, die rhetorischer nicht sein kann.
 

Doch dann überrascht sie mich, indem sie erneut das Wort ergreift. Sie sagt mir, dass es da noch mehr Bilder gibt. Bilder mit mir. In... eindeutigeren Posen, als auf diesem einen Bild, dass sie mir gegeben hat. Ich weiß wovon sie redet und ich wünschte, sie würde den Mund halten, denn damit öffnet sie eine Tür, die ich noch geschlossen halten wollte vor Katsuya, Mokuba und Kai. Isono - da bin ich mir sehr sicher - weiß von den Fotos. Da mach ich mir gar keine Illusion mehr.
 

Dann fragt mich Detective Nagasato, ob ich in den kommenden Tagen auf dem Revier vorbei schauen könnte, um eine Aussage zu den Bildern zu machen. Ich blinzle einige Male schnell hintereinander, bevor ich zu einer Antwort ansetze. Sag ihr, dass ich keine Zeit für so ein Schnickschnack habe. Ich nicht mal wüsste, wozu ich eine Aussage machen soll. Dabei geb ich ihr das Foto zurück.
 

Die Frau schaut mich etwas perplex an. Behutsam meint sie, dass sie weiß, wie schwer es für Männer ist, über solche Vorkommnisse zu sprechen. Aber mit meiner Aussage, sowie der Vergewaltigung vom gestrigen Abend könne man Kogoro lange Zeit wegsperren. Vergewaltigung vom gestrigen Abend? Sie kann unmöglich von dem wissen, was er getan... nein... versucht hat. Sie legt ihren Kopf etwas schief und fragt sanft, ob ich nicht auch gestern auf der Gala-Veranstaltung war. Ich bin verwirrt.
 

Isono grätscht rein und fragt, wen Kogoro vergewaltigt haben soll. Noch immer hat sie ihren Blick auf mich gerichtet als sie antwortet. Davon erzählt, dass Kogoro wohl am Angestelltenzugang eine rauchen war, als ein Küchenjunge Müll rausbrachte. Der 16jährige wäre von ihm an eine Hauswand gedrängt und dann brutal vergewaltigt worden. Erst gegen Mitternacht habe eine andere Küchenhilfe den verängstigten und zu tief verstörten Jungen zwischen den Müllcontainer gefunden.
 

Kogoro hat einen Küchenjungen vergewaltigt? Nachdem er es bei mir versucht und keinen Erfolg gehabt hatte? Hat dieses Monster sich an dem Jungen vergangen, weil ich mich ihm entzogen habe? Ist das meine Schuld?
 

Ich spüre, wie ich den Halt verliere und nur Katsuya hab ich es zu verdanken, dass ich nicht unsanft auf den Boden sacke. Kai schreitet ein und weißt Katsuya und Mokuba an, mich ins Wohnzimmer zu bringen. Verdutzt schauen mir die Polizistin und ihr Kollege hinterher. Mir ist so flau im Magen und ich hab das Gefühl, dass sich jeden Augenblick mein Inneres nach außen stülpt.
 

Dieser Gedanke, dass das meine Schuld ist, lässt mich einfach nicht mehr los und ich spüre, wie mir Tränen über das Gesicht laufen. Alles dreht sich. Und dann... nichts mehr.

Einen Schritt, um die Hilflosigkeit abzuschütteln

Ich kann es nicht glauben. Diese Mistkerle haben meinen Drachen nicht nur vergewaltigt. NEIN! Sie haben auch noch Fotos von seinen Erniedrigungen gemacht. Diesen kindlichen Seto in dieser eindeutigen und vielsagenden Pose zu sehen verpasst mir einen Stich in mein Herz. Zu hören, was sie ihm angetan haben ist eine Sache. Es dann zu sehen... eine ganz andere.
 

Meine Wut peitscht einen Augenblick hoch und ich will am liebsten sofort loslaufen, diesen widerlichen Mistkerl suchen und ihn würgen, bis er blau anläuft und dann noch ein wenig länger zu drücken. Doch ich hätte keine Chance an ihn heran zu kommen. Immerhin ist er in Polizeigewahrsam, wenn ich der Polizistin - dieser Detective Nagasato - glauben darf.
 

Als ich wahrnehme, wie Setos Beine nachgeben verraucht meine Wut sofort und alle meine Sinne und Gedanken sind nur noch auf ihn gerichtet. Ich fang ihn auf und zieh ihn an meine Brust. Kai - der sich bislang im Hintergrund gehalten und beobachtet hat - kommt zu uns und sagt mir, ich soll Seto ins Wohnzimmer bringen. Ich nicke und führe ihn weg. Ich schicke Mokuba einen Eimer holen. Ich kenne meinen Drachen... dieser emotionale Stress und die Konfrontation mit dem, was gestern Abend wohl geschehen ist, werde ihn sich gleich erbrechen lassen.
 

Mokuba läuft los, während ich Seto vorsichtig auf der Couch absetze. Er ist völlig weiß geworden und sein Blick trieft vor Schuldgefühle. Er kippt kurz zur Seite, doch ich fang ihn auf. Setz mich hinter ihn und zieh ihn zu mir, so er vor mir zwischen meinen Beinen sitzt und sich an meine Brust lehnen kann. Leise sprech ich mit ihm und versuch ihn im hier und jetzt zu halten. Doch sein Blick hat sich geleert.
 

Ich kann hören, wie die Haustür geht und dann kommen Kai und Isono zu uns ins Wohnzimmer, dicht gefolgt von Mokuba, der einen Eimer mit etwas Wasser vor die Couch stellt. Sanft lächle ich den Jüngeren an, der auf Setos Schoss krabbelt und seine Stirn an die seines Bruders legt. Leise flüstert er meinem Drachen zu, dass er keine Schuld trägt. Erstaunlich, wie selbstsicher der Kleine genau erkennt, was in seinem Bruder vorgeht.
 

Langsam beginnt Seto wieder zu blinzeln und blickt zu Mokuba auf. Dann - wie in Zeitlupe - hebt er seine Arme und schlingt sie vorsichtig um seinen kleinen Bruder, den er fest an seine Brust zieht und dann sein Gesicht an dessen Halsbeuge verbirgt. Mokuba tut es ihm gleich, schließt seine Arme um ihn und streicht dem Älteren sanft und beruhigend über das Haar und seinen Rücken.
 

Wieder flüstert Mokuba Seto ins Ohr, dass er dafür keine Verantwortung trägt. Das er keine Schuld hat und er aufhören muss, beides zu übernehmen. Seto festigt seine Umarmung kurz, bevor er sie langsam lockert und sich aufrichtet. Er blickt mit feuchten Augen seinen kleinen Bruder an. Dieser legt seine Hände an Setos Gesicht und fragt, ob der Ältere ihn verstanden hat. Dabei klingt der Wuschelkopf sehr bestimmend und als ob er keine Widerrede dulden wird.
 

Mein Drache streicht seinem Bruder sanft eine Strähne hinter das Ohr und nickt. Er versucht sogar zu lächeln, aber richtig gelingen will es ihm nicht. Mokuba wiederholt noch einmal seine Predigt und jetzt nickt Seto mit mehr Überzeugung. Erst jetzt scheint der Jüngere zufrieden zu sein und umarmt meinen Drachen sanft wieder. Plötzlich geht ein Ruck durch Seto. Mokuba springt von seinem Schoss, gerade noch rechtzeitig, bevor Seto sich nach vorne beugt, den Eimer sieht und ihn heran zieht. Dann kommt, worauf ich eigentlich die letzten Minuten gewartet habe: Die Stressreaktion in Form von Erbrechen.
 

Nach ein paar Minuten beruhigt sich Setos Magen wieder. Mokuba hält ihm eine Wasserflasche hin und mein Drachen spült sich den Mund damit aus. Danach verschwindet der Eimer außer Sicht. Langsam lässt sich Seto wieder gegen meine Brust sinken, während ich meine Arme um ihn schließe. Mein Kopf ruht neben seiner auf seiner Schulter. Wieder schluckt er. Sanft nehme ich seine Hände in die meinen und streiche mit dem Daumen sanft über den Handrücken.
 

Isono ergreift das Wort und meint, dass er mit den Detectives vereinbart hat, dass wir Montagnachmittag zu ihnen auf das Revier kommen. Sofort richtet sich Seto wieder auf und schüttelt den Kopf. Er sei nicht bereit eine Aussage zu irgendetwas zu machen und er möchte, dass Isono sich schlau macht, ob es einen rechtlichen Weg gibt, damit die Polizei seine Bilder nicht verwenden darf und ihm aushändigen muss.
 

Relativ baff blicken Isono und Kai meinen Drachen an. Doch dann nickt Kai und meint, dass sie nichts tun werden, womit Seto nicht einverstanden ist. Das führt dazu, dass Isono Kai fassungslos anblickt. Doch das war genau das, was Seto jetzt in diesem Augenblick hören musste. Nur langsam entspannt er sich wieder und lehnt sich an mich an. Sanft platziere ich einen Kuss auf seiner Wange.
 

Derweil kann Isono seinen Blick von Kai lösen und wendet sich wieder uns zu. Möchte gerade etwas sagen, als Kai eine Hand auf den Unterarm des Geschäftsführers legt. Isono hält inne und nickt dann leicht. Lenkt ein und überlässt Kai die Wortführung. Hat scheinbar Vertrauen darauf, dass Kai – trotz seiner Bekundung eben – Seto doch noch in die Richtung der Kooperation mit der Polizei führen wird.
 

Das kann ich auch nur hoffen. Mein Drache muss diesen Kotzbrocken einfach aus dem Verkehr ziehen, damit er seine Ruhe zurück gewinnt und seine Vergangenheit bewältigen kann. Doch mein Drache wird es uns da nicht leicht machen. Er wird sich anfangs mit Händen und Füßen dagegen wehren. Uns nicht glauben, wenn wir ihm versichern, dass er sich danach – wenn Kogoro erst einmal weggesperrt wurde – besser fühlen wird. Wenn Kogoro eingeknastet werden würde, dann wären drei von fünf Monster weg… und dann… dann könnten wir uns den restlichen zwei widmen.
 

Da kommt mir in den Sinn, was mir Seto einmal im Affekt erzählt hatte… das es nicht nur diese fünf waren. Es gibt noch ein Dutzend mehr Männer… ehemalige Geschäftspartner von Gozaburo, die von ihm gewisse 'Vorzüge' genießen durften. Genießen… schön, sie haben es genossen und für Seto war es die Hölle. Für meinen Drachen war es ein weiteres Stück Kindheit, dass man ihm geraubt hat und dafür müssen alle diese Männer zahlen. Das Problem ist einfach nur, dass viele dieser Männer aus anderen Ländern kommen. Selbst wenn wir sie identifiziert bekommen würden wir sie rechtlich wohl kaum zu fassen bekommen.
 

Ich spüre wieder Wut in mir aufkommen. Jeder einzelne von denen muss bestraft werden. Muss vor der Welt als das entlarvt werden, was sie sind: Vergewaltiger. Kinderschänder. Monstren!
 

Doch wie soll man das bei einer internationalen Herkunft hinkriegen? Selbst wenn diese Männer irgendwie wieder hier einreisen würden, würden sie überhaupt angeklagt und verurteilt werden? Hat mein Drache eben nicht nach einem Anwalt verlangt? Ein Anwalt wäre jetzt genau das, was ich brauche, um meine Fragen zu beantworten. Aber wahrscheinlich spinn ich eh gerade herum, weil ich diese Hilflosigkeit, die ich sonst verspüre, einfach nicht ertragen will.
 

Aber was soll ich sonst tun? Was kann ich tun? Eigentlich nur hier sitzen, meinen Drachen sanft umarmen und ihm Kraft und Mut spenden. Hoffen, dass er noch einmal überdenken wird, dass er nicht kooperieren möchte. Und die ganze Zeit hab ich dieses Bild im Kopf. Das Bild von einem kindlichen Seto in dieser eindeutigen und vielsagenden Pose. Mit all den hässlichen, grausamen und unaussprechlichen Details.

Einen Schritt zur Erlösung

Das Ticken der Uhr macht mich wahnsinnig. Tick – Ich bin noch immer da. Tack – Ich bin immer noch ein Monster, welches schreckliche Dinge tat, von dem es sich nie wieder reinwaschen kann. Tick – Wie sehr ich auch versuche all das hinter mir zu lassen, es holt mich doch wieder ein. Tack – Und wenn das Monster dann einen Spiegel vorgehalten bekommt und erkennt was es ist , legt es eine atemberaubende Feigheit an den Tag. Tick – ich greife nach dem Scheißwecker und schleuder ihn quer durch das Schlafzimmer.
 

Als der Wecker die Wand erreicht zerschellt er durch die Wucht des Aufpralls und seine Einzelteile fallen zu Boden. Doch das Ticken… das Ticken geht weiter. Verdammtes Uhrwerk… Also press ich mir mein Kissen auf das obere Ohr und hoffe, dass es das unliebsame Geräusch etwas dämpft. Tut es natürlich nicht. Aber wer weiß, vielleicht gehört das Ticken zu meiner Strafe.
 

Ja, so muss es sein. Ich lass das Kissen locker. Akzeptiere diese Strafe. Die Einzige, die ich scheinbar je erhalte. Vielleicht… vielleicht sollte ich zur Polizei gehen und mich selbst anzeigen. Megumi ist eine starke Frau und würde sicherlich auch gut alleine zurecht kommen, während ich im Gefängnis sitze und endlich ganz offiziell bestraft werde. Doch ich bin zu feige. Hab mich an dieses bequeme Leben gewöhnt. War sogar so dreist eine Familie zu gründen.
 

Seit Megumi mich gestern Morgen auf der Couch gefunden und dann ins Bett geschickt hat liege ich hier schon. Hatte einfach keine Kraft aufzustehen. Komisch, wie die eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten in den Hintergrund treten können. Hunger. Toilettendrang. Nichts davon ist mehr wirklich relevant oder wahrnehmbar. Aber auch das ist egal.
 

Megumi hat Hoshi zu ihrem Vater gebracht, wie jeden Sonntag, wenn wir zu Seto und Mokuba zum Training gehen. Heute musste sie alleine gehen. Sie hat versucht mich zum Aufstehen zu bewegen. Versucht mich zu überzeugen, dass ich mitkommen soll. Noch einmal das Gespräch suchen. Doch… was gibt es da noch zu reden? Es wurde alles gesagt und ich könnte die Abscheu in den Augen des Kleinen nicht noch einmal ertragen. Die Abscheu, mit der er mich Freitagabend angeschaut und mich Vergewaltiger nannte.
 

Er hat Recht und ich nehme ihm weder seinen Blick noch seine Wortwahl übel. Ich spüre in mir das Bedürfnis den in mir herrschenden Schmerz mit irgendetwas betäuben zu wollen. Koks… Heroin… irgendetwas, was meinen Verstand endlich mundtot macht und mich für eine Weile vergessen lässt. Hm… normalerweise wäre so ein Gedankengang ein Grund zu einem Meeting zu gehen und mich dort mitzuteilen. Doch da ich es nicht schaffe aufzustehen lauf ich wohl kaum Gefahr mir etwas zu besorgen. Es sei denn der Dealer würde jetzt hier in mein Schlafzimmer spaziert kommen.
 

Doch ich bleibe einfach liegen. Höre das Ticken des kaputten Weckers, der an der Wand zerschellt ist und frag mich, wie lange er wohl noch weiterticken kann. Da hör ich die Haustür. Eigenartig. Megumi kann unmöglich schon fertig mit dem Training sein. Mein Blick fällt auf meinen Nachttisch, wo bis vor einigen Minuten noch der Wecker stand. Ironie des Schicksals. Hätte ich den Wecker nicht gegen die Wand geworfen könnte ich jetzt auf ihm ablesen, wie spät es ist. Vielleicht bin ich zwischen meinen Gedanken ja weggedämmert ohne es zu merken und es ist schon mehr Zeit vergangen, als ich denke.
 

Ja, so wird es sein. Ich höre sie die Treppe hinauf kommen. Dabei klingen ihre Schritte ungewohnt laut. Normalerweise bewegt sich Megumi nahezu lautlos durch das Haus. Oder ist das Hoshi? Quatsch… sie kann gerade mal krabbeln. Aber wer soll es sonst sein? Vielleicht der Dealer, der Hausbesuche macht und meinen Wunsch nach unerlaubte Betäubungsmittel aufgeschnappt hat? Schwachsinn.
 

Dann hör ich hinter mir die Tür, wie sie langsam aufschwingt. Die Schritte tragen jemanden in das Schlafzimmer, am Bett vorbei zum Fenster. Schließlich werden die Vorhänge nach hinten geschlagen, das Fenster geöffnet und Sonnenlicht, sowie frische Luft fluten das Zimmer. Ich werde geblendet und kneife meine Augen zu.
 

Erst nach einer langen Weile habe ich mich an die Lichtverhältnisse gewöhnt und ich hebe ein wenig meinen Kopf. Mein Blick fällt fast sofort auf den Rattansessel, der in der Ecke des Zimmers zwischen Fenster und Kommode steht und nicht leer ist. Mein Blut gefriert und glaube, dass ich jetzt wirklich meinen Verstand verloren habe. Dennoch stemme ich mich mühevoll auf, bis ich sitze.
 

Dann höre ich seine Stimme, wie er mich scheinheilig fragt, ob er mich stört. Ja! Das tut er. Mich stören. Was… was zum Teufel tut er überhaupt hier? Wie ist er ins Haus gekommen? Ein schiefes Grinsen zeichnet sich auf seinem Gesicht ab, als könnte er meine Gedanken lesen. Dann streut sich Bitternis in dieses Grinsen und er beugt sich etwas vor, so dass er mit seinen Ellenbogen sich auf seine Knie stützen kann. Sein Gesicht schiebt sich so ins Sonnenlicht und seine blauen Augen scheinen regelrecht zu strahlen.
 

Erst jetzt fällt mir auf, dass er seinen Trainingsanzug an hat. Verwirrt frag ich ihn, was er hier will. Er wirkt so anders, als sonst. Selbstbewusster. Direkter. Furchtlos. Ohne Umschweife antwortet er, dass wir reden müssen. War klar… natürlich wird auch er mir noch einmal schön ins Gesicht sagen, was er von mir hält und dass ich mich von ihm und seinem kleinen Bruder fern halten soll.
 

Dazu steht er sogar aus dem Sessel auf und tritt an mich heran. Was jetzt? Will er mir eine reinhauen? Ich würde es ihm nicht verdenken und mich auch nicht wehren. Doch stattdessen geht er plötzlich vor mir in die Knie und blickt von unten zu mir herauf. Lächelt sanft.
 

Verwirrt blicke ich Seto an. Wieso lächelt er mich auf diese Art und Weise an. Da ist nichts in seinem Blick, was ich da erwarten würde. Keine Schuldzuweisung. Kein Hass. Kein Ekel. Keine Abscheu… wie ist das nur möglich? Und dann… dann glaub ich meinen Ohren nicht. Die Worte rauschen an mir vorbei ohne, dass ich die Chance habe, sie zu verarbeiten. Doch dann… wiederholt er sie nochmals.
 

Er. Vergibt. Mir!
 

Auf einmal verschwimmt meine Sicht und als ich die Feuchtigkeit auf meinen Wangen spüre wird mir klar… dass ich weine. Er wiederholt die Worte noch einmal und auf einmal ist es so, als würde man mir etwas Schweres vom Herzen nehmen. Etwas, was seit jener Zeit auf mir lastete und ich niemals los werden konnte. Auch nicht durch die Therapie. Lange hab ich es ignoriert, doch durch den erneuten Kontakt mit Seto drängte es sich immer weiter in den Vordergrund.
 

Und jetzt…? Jetzt war es einfach verschwunden. Er steht wieder auf und meint dann zu mir, dass ich jetzt ins Bad gehen und mich frisch machen soll, während er uns einen Tee aufbrüht. Denn wir müssen da noch mehr klären. Ich nicke und wische mir mit dem Ärmel meines Pullis über das Gesicht. Dann nickt Seto und verlässt das Zimmer.
 

Er vergibt mir, hallt es ein weiteres Mal durch meinen Kopf und noch immer trau ich mich nicht, es wirklich zu glauben. Doch mein Herz ist da anders. Es hat die Vergebung sofort und ohne Zweifel angenommen. Also will ich meinem Herz vertrauen, stehe auf und gehe ins Bad, um mich kurz zu duschen und mir etwas Frisches anzuziehen.
 

Dann spute ich mich in die Küche.

Einen Schritt der Unnachgiebigkeit

Der Schultag war irgendwie anstrengend. Seit dieser Detective mir am Samstag das Bild von mir aus einer längst vergangenen Zeit gezeigt hat erwarte ich, dass es in irgendeiner Zeitung erscheint oder Reporter mir auflauern und mich dazu befragen wollen. Ich fühle mich entblößt und wünschte, ich könnte all diese Fotos von mir löschen, verbrennen und vernichten.
 

Klar wusste ich, dass es diese Bilder gibt… aber, dass sie bei Kogoro waren war auch für mich neu. Hätte nicht gedacht, dass dieses Monster jemand ist, der Bildmaterial braucht, um sich an all das zu erinnern, woran er selbst beteiligt war. Oder geilt er sich nach wie vor daran auf? An seinen Fantasien mit mir, die er zumindest teilweise mit mir ausgelebt hat? Ich spüre wieder dieses flaue Gefühl in meiner Magengegend.
 

Da geht die Schulklingel und bekundet das Ende des heutigen Schultages. Wir packen unsere Sachen zusammen und in Begleitung der Clique machen wir uns auf den Weg zu unseren Spinden im Eingangsbereich. Dort wechseln wir unser Schuhwerk und verlassen dann das Schulgebäude. Nach ein paar Schritten bleibe ich stehe und kann nicht glauben, was ich sehe.
 

Am Schultor steht diese Detective Nagasato. Ihr Kollege steht neben ihr und sieht wie ein Schluck Wasser aus, der vor seinem eigenen Schatten Angst hat. Als Katsuya die beiden bemerkt bittet er seine Freunde schon mal vor zu Burger World zu gehen. Er hat noch was vergessen und muss nochmal zurück. Sie grinsen und nicken, bevor sie ihren Weg fortsetzen. Wir bleiben einfach stehen.
 

Der Schulhof leert sich immer mehr und nach ein paar Minuten sind wir die einzigen, die hier noch stehen. Wir können nicht ewig hier stehen bleiben, das ist mir bewusst. Doch ich will auch kein Gespräch mit diesen beiden führen. Dennoch scheint das unausweichlich zu sein. Also gehen wir schließlich unseren Weg weiter.
 

Kaum haben wir das Schulgelände verlassen spricht uns Detective Nagasato tatsächlich an. Sie grüßt uns beide freundlich. Dann meint sie, dass sie gehört habe, dass ich nun doch nicht auf das Revier kommen will, um eine Aussage zu machen. Ich bestätige, was sie gehört hat und will mit Katsuya weiter. Doch sie schiebt sich vor mich und meint mit bedächtiger Stimme, dass sie weiß, wie schwer es ist, über sowas zu sprechen. Gerade wenn man ein Mann ist und dazu noch in der Öffentlichkeit steht.
 

Ich kann nicht anders als sie böse anzustieren. Versucht sie da gerade mich zu manipulieren. Will es nicht hoffen. Denn das kann ich gar nicht leiden. Dann lächelt sie mich sanft an und eröffnet mir, dass sie ein Problem haben. Das Opfer von Freitagabend verweigert die Aussage. Nach etwas Recherche haben sie heraus gefunden, dass Kogoro ihm wohl eine ordentliche Summe Geld gezahlt hat und das Opfer damit ausgesorgt habe. Jedenfalls finanziell.
 

Alles was ich darauf erwidern kann ist 'Pech', bevor ich an ihr vorbei ziehe. Dieses Mal versucht sie sich nicht wieder vor mich zu schieben. Sie bleibt stehen und als ich ein paar Schritte gegangen bin, meint sie, dass es wirklich Pech sei, aber dass sie dieses 'Pech' nicht zum ersten Mal hätten. Kogoro ist aktenkundig. Es gab in den letzten drei Jahren sieben Anzeigen wegen sexueller Übergriffe, Missbrauch und Vergewaltigung. Aber in jedem Fall waren die Opfer plötzlich zu Geld gekommen und waren nicht mehr kooperativ, wodurch ein Ermittlungsverfahren gegen ihn jedes Mal gegen die Wand gefahren war.
 

Ohne es mir bewusst zu sein bin ich stehen geblieben. Ich neige nur meinen Kopf etwas nach hinten. Er war schon öfters im Fadenkreuz der Polizei wegen solcher… Vergehen? Aber wieso haben sie dann erst bei diesem Mal die Bilder gefunden? Kann es sein, dass Kogoro sie eigentlich gut versteckt hatte und aus irgendeiner 'nostalgischen' Anwandlung erst kürzlich wieder rausgeholt hat? Nein! Nein, das kann nicht sein… oder doch?
 

Dann hör ich etwas, was mir die Brust abschnürt. Nagasato meint, dass ich ihre einzige Hoffnung sei, Kogoro endlich wegschließen zu können. Denn ich sei finanziell unabhängig und mich kann der Drecksack nicht mit Geld zum Schweigen bringen. Ich, die einzige Hoffnung? Ich hoffe, sie blufft. Denn wenn ich tatsächlich die letzte Hoffnung für sie in dieser Angelegenheit bin, dann ist sie verloren. Ich… ich werde nicht in die Scheißöffentlichkeit treten und mich selbst als Opfer deklarieren. Werde nicht öffentlich erzählen, was dieses Monster mit mir alles gemacht hat. Nicht offenbaren, dass es noch mehr Monstren gibt.
 

Plötzlich höre ich mich fragen, warum sie Kogoro nicht wegen Kinderpornographie dran kriegt. Immerhin hat sie doch zahlreiche Bilder sichergestellt. Da meint sie mit einem etwas zynischen Unterton, dass die Bilder… verschwunden sind. Die gesamte Kiste sei einfach von gestern auf heute weg gewesen und alle Scans der Bilder, die schon angefertigt worden waren, seien gelöscht gewesen.
 

Jetzt dreh ich mich zu ihr um. Sie schaut mich prüfend an, scheint dann zu erkennen, dass ich von dieser Info ebenso überrascht bin, wie sie, als sie davon erfahren hat. Ich bin mir unsicher, ob Isonos Kontakte wirklich so weit reichen und er mir diesen Wunsch erfüllt hat oder ob Kogoro, der mit Sicherheit auf Kaution raus ist, das bewerkstelligt hat. Spielt das eine Rolle? Hauptsache die Bilder sind nicht mehr bei der Polizei und können nicht mehr veröffentlicht werden. Wie oft hört man schließlich davon, dass undichte Stellen bei der Polizei zu unangenehmen Leaks bei der Presse führen.
 

Tatsächlich tritt sogar eine gewisse Erleichterung über diese Nachricht bei mir ein. Falls es Kogoro war wird er diese Bilder nicht veröffentlichen. Sie würden ihn nur selbst belasten. Er will mich auf andere Weise demütigen und erniedrigen. Hm… aber wenn er wirklich wieder draußen ist, sollte ich wohl weniger erleichtert sein, oder? Ich zieh mein Handy, drück eine Schnellwahltaste und bitte Fuguta mich abzuholen. Fragend blick ich zu Katsuya, der seine Finger mit meinen verschränkt und nickt. Ich korrigiere mich: Uns abholt.
 

Nagasato tritt wieder auf mich zu und reicht mir ihre Visitenkarte. Nur zögerlich nehme ich sie an. Sie meint, falls ich es mir anders überlege oder darüber reden möchte, kann ich sie jederzeit anrufen. Egal, zu welcher Tageszeit. Ich nicke nur und schau dann zu, wie sie und ihr Partner sich abwenden und davon geht. Diese Geste… dass sie sich nicht direkt in mich verbissen hat und mich dazu zwingt mitzukommen… die rechne ich ihr hoch an. Das ist nicht selbstverständlich.
 

Mein Blick wandert von ihrem Rücken zu ihrer Visitenkarte. Da fällt mir zum ersten Mal auf, von welcher Abteilung sie kommt: Sondereinheit für Sexualdelikte. Das, womit ich auch noch heute zu kämpfen habe, ist ihr Alltag. Sie hat jeden Tag mit Opfern dieser Art der Gewalt zu tun. Daher weiß sie, dass sie mit Zwang nicht bei mir weiter kommt. Aber das sagt mir auch, dass sie nicht aufgeben wird. Sie wird wieder kommen und mich noch einmal fragen.
 

Plötzlich fährt neben uns mein Wagen und Fuguta will schon aussteigen, als ich ihm mit einer Geste zu verstehen gebe, dass er sitzen bleiben soll. Er fährt uns nach Hause. Auf dem Weg telefoniert Katsuya zwei Mal. Einmal mit seinen Freunden. Dann mit seinem Chef. Sagt ihm, dass er heute nicht kommen kann. Sein Chef hat immer sehr viel Verständnis dafür, wenn Katsuya so plötzlich absagt. Ich weiß, mein Streuner macht das mir zu Liebe, damit ich heute nicht alleine bleiben muss.
 

Nachdem er sein Telefon wieder weggesteckt hat lehne ich mich langsam an ihn. Was würde ich nur ohne Katsuya tun?

Einen Schritt der Heuchelei entgegen

Als der Wagen vor der Haustür zum Stehen kommt blicke ich auf und erkenne sofort, dass zumindest Seto schon zu Hause ist. Scheiße. Gerade jetzt hab ich den Wunsch, dass ich alleine sein könnte. Schon ironisch, hab ich noch vor gar nicht allzu langer Zeit im Wohnzimmer gesessen und habe den TV laut laufen lassen, weil ich die Einsamkeit nicht ertragen konnte. Und heute? Da hätte ich nichts dagegen, wenn ich mal zwei, drei Stunden alleine daheim sein könnte.
 

Aber es hilft alles nichts. Ich muss aussteigen und ins Haus gehen. Kann nur hoffen das Seto in seinem Büro ist und in irgendeinem Projekt versunken ist. Dann hört er mich vielleicht nicht reinkommen und ich kann in mein Zimmer huschen und mich den Rest vom Tag unsichtbar machen. Sicherlich werden die beiden früher oder später vor meiner Zimmertür auftauchen und nach dem Rechten sehen wollen, aber ich muss sie ja nicht rein lassen. Immerhin bin ich ein Teenager und die sind doch bekannt für ihre Bockigkeit.
 

Doch es kommt alle anders. Als ich die Haustür reinkomme schwingt die Küchentür auf und Katsuya steht plötzlich vor mir. Als ich ihn anblicke kann ich seinen Schock im Gesicht sehen. Seine Augen weiten sich und er will mein Kinn zwischen seine Finger nehmen, um sich mein Gesicht genauer anzusehen. Doch ich befreie mich unwirsch aus der Berührung und will die Treppe hochrennen, als er mich am Arm festhält und ich vor Schmerz nur noch Sterne sehe.
 

Vorsichtig zieht er mich zu sich zurück und streift meinen Blazer von meinen Schultern und knöpft mein Hemd auf. Als er auch das von mir streifen will zucke ich zurück. Doch sein Blick… flößt mir Respekt ein und meine Gegenwehr erstirbt im Ansatz. Schließlich sieht er den großen Bluterguss an meinem Arm, der vom Ellenbogen bis fast zur Schulter reicht. Und auch den Bluterguss auf dem Rücken, der davon kommt, dass ich gegen den Sportspind gestoßen wurde.
 

Er legt einen Arm um mich und zieht mich mit in die Küche. Dort schiebt er mich auf einen Hocker am Tresen der Kücheninsel und geht zum Kühlschrank. Dort holt er ein vakuumiertes Steak heraus und reicht es mir. Ich will es mir schon so auf das Auge und die Wange pressen, als er es mir noch einmal wegnimmt, die Verpackung öffnet und es mir dann – ohne Verpackung – wieder reicht. Verwirrt schau ich ihn an, doch er nickt mir nur zu.
 

Okay, ich weiß nicht was das bringen soll, aber ich leg es mir auf das Gesicht. Währenddessen wendet er sich noch einmal ab und holt etwas aus dem Kühlschrank. Dann geht er zum Herd und nimmt ein kleines Töpfchen. Nach einer kurzen Weile dreht er sich wieder zu mir und stellt mir eine dampfende Tasse vor, in der Marshmallows in heißer Schokolade zergehen. Ich lege das Steak zur Seite, lächle Katsuya dankbar an und nehme einen Schluck von der Schokolade.
 

Der Geschmack und die Wärme des Getränks tun mir gut. Mir ist gar nicht aufgefallen, dass ich beim Trinken die Augen schließe. Doch als sie wieder aufgehen sitzt Katsuya neben mir und schaut mich fragend an. Möchte wissen, ob ich über irgendetwas reden möchte. Ich schaue wieder auf meine Tasse, in der die weiße Schaumzuckerware langsam ihre Form verliert.
 

Dann spüre ich, wie der Blonde mir seinen Arm um die Schulter legt und ich blicke zu ihm auf. Spüre, wie meine Augen brennen. Das linke pocht jetzt sogar ziemlich heftig und die Haut beginnt zu spannen. Dann legt Katsuya seine Hand an meinen Hinterkopf und zieht mich an seine Schulter. Ich kann nicht anders, als mich an ihn klammern und zu weinen. Seit Wochen versuch ich diese Kinderkacke, die in der Schule abläuft von den beiden fern zu halten, da sie doch so viel gewichtigere Probleme als das haben, an denen sie arbeiten. Doch jetzt, wo ich erwischt wurde… bin ich fast erleichtert.
 

Katsuya streichelt mir tröstend über den Rücken und lässt mich einfach eine Weile weinen. Erst als ich mich ausgeweint habe und von mir selbst wieder in eine etwas aufrechtere Position setze fragt er noch einmal, was in der Schule los sei. Und dann… dann erzähle ich ihm alles. Davon, wie es mit dem Bild nach dem Valentinstag anfing. Wie mich meine Mitschüler immer wieder beschimpfen, runter machen und wie manche mich stoßen und anrempeln. Ich erzähle, wie das alles schon am Abflauen war, als dann die Bilder von ihm und Seto wieder in der Zeitung aufkamen, als es darum ging, dass Seto als Geschäftsführer zurück getreten ist. Das da die Rempler schlimmer wurden und ich gelegentlich auch gegen Spinde gestoßen wurde. Dann halte ich inne und meinen Blick weiterhin gesenkt.
 

Noch ehe ich was sagen kann führt dann der Blonde fort, dass es heute eskaliert sei, weil in einer der Zeitungen das Bild von Isono, Seto, mir und ihm abgelichtet war. Wieder rollt mir eine Träne über die Wange. Ich keif förmlich, dass es mir egal sei, was die anderen sagen. Dass ich das ignorieren könnte, aber… heute haben mir die Raufbolde aufgelauert, nachdem die Schule fertig war, und während zwei mich festhielten hat mich einer geschlagen. Mich immer wieder als abartig und pervers beschimpft und mir AIDS gewünscht.
 

Wieder zieht mich der Blonde in eine Umarmung. Dann meint er zu mir, dass er mit Seto darüber reden muss. Sofort spring ich auf und fleh ihn an, das nicht zu tun. Doch er meint nur stoisch, dass er gar keine andere Wahl hat, denn spätestens beim Abendessen würde er meine Verletzungen sehen und dann alles erfahren. Doch ich schüttle nur den Kopf. Erwidere, dass wenn er meinem Bruder alles erzählt, mein Bruder sicherlich den Mut verlieren würde zumindest in der Öffentlichkeit zu ihm zu stehen.
 

Sanft lächelt mich der Blonde an und streicht mir über die unverletzte Wange. Meint, dass – wenn das so wäre – schon okay sei, wenn sich meine Mitschüler dafür wieder einkriegen würden. Doch ich schüttle immer weiter den Kopf und er zieht mich wieder an sich und hält mich fest. Wieder muss ich weinen, weil ich meinem Bruder das alles nicht madig machen möchte. Ich will, dass er seine Beziehung mit Katsuya genießt und frei ausleben kann. Er soll nicht wegen mir das Gefühl haben, sich verstecken zu müssen…
 

Doch Katsuya ist nicht umzustimmen. Ist bereit ein Stück seiner Beziehung zu opfern. Mir zu liebe. Aber wie kann ich so ein Opfer akzeptieren. Niemand sollte dazu gezwungen sein etwas von seiner Liebe zu opfern, nur damit sich bonierte, hinterwäldlerische Vollidioten wieder einkriegen. Warum sind das Leben und unsere Gesellschaft nur so ungerecht?
 

Da flüstert mir Katsuya ins Ohr, ich soll Mut haben. Es würde schon alles gut werden. Dann geht er mit mir hoch in mein Zimmer und lässt sich die anderen Blutergüsse zeigen, wie den, an meinen Rippen, den ich vom Sportunterricht habe. Da hat man mir ein Bein gestellt und als ich am Boden war täuschte einer vor, dass er mir im Fallen ausweichen musste und mich zufällig mit dem Fuß dort getroffen hat.
 

Katsuya versorgt meine Verletzungen soweit, tastet meine Rippen ab, ob sie irgendwie angeknackst seien und trägt mir dann eine Heilsalbe auf, die den Schmerz etwas lindern und die Heilung der Einblutungen beschleunigen soll. Dann fragt er mich, ob ich mit zu Seto kommen möchte. Ich zögere für einen Moment, doch dann kommt mir in den Sinn, dass ich von Seto verlange, dass er mich ohne Scheu in alle einbezieht und aufhört mich vor Details zu schützen. Wäre es da nicht heuchlerisch, wenn ich Katsuya alleine vorschicke und ihm das aufbrumme, was eigentlich meine Aufgabe wäre?
 

Nein! Ich will kein Heuchler sein, also rutsch ich vom Hocker. Vorsichtig. Schließe mein Hemd wieder und blicke ihn entschlossen an. Er lächelt mich stolz an. Dann gehen wir zu meinem Bruder. Man hab ich Muffensausen. Doch was muss, das muss eben.

Einen Schritt voraus sein

Ich sitze in meinem Büro und schau aus dem Fenster anstatt etwas Produktives zu tun. Meine Konzentration hat mich ohnehin im Stich gelassen. Stattdessen kreisen meine Gedanken um die Sache mit den Detectives und den neuen Informationen, die ich Dank Detective Nagasato bekommen habe. Ich muss wissen, ob das alles wirklich so ist, wie die Frau es mir erzählt hat oder ob sie mir ein Märchen erzählt hat, um meine Mitarbeit zu erzwingen.
 

Daher betreibe ich ein wenig Recherche – was in meinem Fall bedeutet, dass ich mich in den Server der Polizei einhacke - und meine Vermutung wird bestätigt: Kogoro wurde heute Morgen auf Kaution entlassen. Als wenig später die Polizei den sechszehnjährigen Daira Emon im Krankenhaus befragen wollten war dieser auf Wunsch der Eltern bereits entlassen worden. Als die Polizei dann versuchte bei der Familie Daira Zuhause – eine Bruchbude in einer sozialschwachen Gegend – mit dem Jungen zu sprechen verweigerten die Eltern dies. Sie seien nicht daran interessiert das unsittliche Treiben ihres Sohnes publik zu machen. Als ob es die Schuld des Jungen sei.
 

Im Laufe des Vormittags haben die beiden Detectives scheinbar die zwei Konten der Eltern gecheckt und heraus gefunden, dass auf das Konto des Vaters eine erhebliche Summe eingezahlt worden war. Die Herkunft des Geldes konnte nicht geklärt werden. Sicher ist nur, dass das Geld von einem Konto auf den Cayman Island stammt. Aber wem dieses Konto gehört… ist nicht zu ermitteln.
 

Ich könnte meinen Arsch darauf verwetten, dass es Kogoro gehört. Er hatte schon immer mehrere Quellen für Einkünfte. Manche waren legal und wurden versteuert, andere waren es nicht. Die Gewinne aus solchen Geschäften mussten ja schließlich irgendwo bleiben. Verdammt. Und ich hatte wirklich gedacht, dass ich ihn endlich losgeworden wäre. Vor allem nach dem, was er auf der Gala versucht hat. Allein bei diesem Gedanken wird dieses flaue Gefühl in meinem Magen wieder stärker. Aber ich werde mich jetzt nicht übergeben!
 

Tatsächlich ergeben meine 'Nachforschungen', dass er in den letzten drei Jahren, seitdem ich ihn als Vorstandsmitglied der Kaiba Corp. entlassen habe, mehrfach angezeigt worden ist. Doch nie ist etwas passiert. Immer wurden die Anzeigen kurze Zeit später wieder zurück gezogen. Und immer konnte die Polizei feststellen, dass die Opfer zu Geld gekommen sind.
 

Natürlich lass ich es mir nicht nehmen mir die Akte von Kogoro näher anzuschauen… und ich bereue meine Neugierde direkt. Mir läuft es kalt den Rücken runter, als ich mir die Fotos der Opfer ansehe: Die sieben Opfer sind alle zwischen 15 und 17 Jahre alt. Alle haben einen recht hellen Teint, eine schlanke Figur und braunes Haar. Die Augen variierten von grau über graublau, bis zu blaugrün. Als die Fotos nebeneinander aufgehen stockt mir der Atem. Sie alle… haben eine gewisse Ähnlichkeit zu mir.
 

In einem Bericht von Nagasato steht, dass sie vermutet, dass es sich bei den Opfern nur um Stellvertreter handle. Weiter heißt es, dass sie vermutet, dass das eigentliche Objekt von Kogoros Begierde außerhalb seiner Reichweite liegt. Allerdings geht sie davon aus, dass dieses Objekt tot ist. Nein. Ich bin nicht tot… auch wenn es eine Zeit gab, in der ich es gerne gewesen wäre.
 

Ich will die Akte schon schließen, als ich Zeuge davon werde, wie die Akte geupdatet wird. Ein Hoch auf die Vernetzung und das Zeitalter des Internets. Da ich mich nur als 'Leser' eingeschmuggelt habe, kann man meine Anwesenheit nicht bemerken. Scheinbar bringt Nagasato die Akte auf den neusten Stand. Komisch. Die Akte schien mir doch recht aktuell. Dann sehe ich, dass ein neues Foto hochgeladen wird. Himmel… bitte lass es kein weiteres Opfer sein. So dämlich kann Kogoro doch gar nicht sein, dass er direkt nach der Entlassung sich ein weiteres Opfer gesucht hat.
 

Als das Foto oben ist klicke ich an und schrecke von meinem Schreibtisch zurück, so dass mein Stuhl wegrollt und gegen die Wand knallt, während ich mit wackligen Beinen und vorgehaltener Hand da stehe und nicht glauben kann, was ich sehe. Das neue Foto wurde vor alle anderen Opfer eingeschoben und zeigt mich! Mich in Schuluniform aus der ersten Klasse der Oberschule. Wie… wie ist Detective Nagasato da ran gekommen?
 

Es gibt auch einen neuen Akteneintrag. Ich hol meinen Stuhl zurück und setz mich. Mit zittrigen Fingern öffne ich den Eintrag und spüre, wie mir das letzte bisschen Farbe aus dem Gesicht weicht. Nagasato schildert ihren Verdacht, dass ich Opfer Null bin. Sie führt die – mittlerweile verschwundenen – Bilder als Beweis für ihre Mutmaßung an. Die Bilder seien alle vor dem ersten bekannten Opfer entstanden und zeigen mich in eindeutig sexuellen Posen, teilweise unbekleidet, teilweise gänzlich nackt. Neben eindeutigen Posen seien auch Fotographien vorhanden gewesen, die wohl direkt nach einem Missbrauch entstanden seien. Mir stockt der Atem. Was?
 

Ich spüre, wie die Übelkeit in mir aufsteigt und ich weiß, dass ich sie dieses Mal nicht unterdrücken oder aufhalten kann. Also trenne ich die Verbindung zum Polizeiserver, stehe auf und spüre, dass ich mich beeilen muss. So stürz ich in das Badezimmer und übergebe mich. Scheiße! Das ist alles, was mir gerade durch den Kopf geht. Wie konnte dieser Arsch nur so unvorsichtig sein und diese Bilder so… so… dämlich verstecken, dass sie so leicht zu finden waren?
 

In meinem Inneren weiß ich, dass Nagasato nicht mehr locker lassen wird. Sie wird sich in mich verbeißen und erst nachlassen, wenn ich das tue, was ich nicht will: Eine Aussage. Zusammen mit einer Anzeige gegen Kogoro. Dem wird eine Gerichtsverhandlung folgen und jeder wird davon erfahren. Erfahren, was ich so mühevoll versteckt habe. Wieder muss ich würgen.
 

Wenn es alle erfahren… dann sicherlich auch das Jugendamt… Mokuba! Was, wenn der Idiot von Sachbearbeiter diese Schwäche dazu nutzen will mir das Sorgerecht für Mokuba wegzunehmen? Wieder würge ich und übergebe mich. Ich kann nix dagegen tun. Dieser Gedanke… diese meine größte Angst… kombiniert mit meinem Albtraum, der mich scheinbar immer wieder einholt und mein Leben droht zu ruiniere, ist kaum zu ertragen.
 

Nach ein paar Minuten lässt das Erbrechen endlich nach. Ich spüle die Toilette, steh langsam auf und wanke an das Waschbecken. Dort seh ich im Spiegel, wie scheiße ich aussehe. Also dreh ich das Wasser auf und wasche mir das Gesicht. Dann öffne ich das Schränkchen, welches sich hinter dem eleganten, neuen Spiegel verbirgt und hole eine Zahnbürste und Mundwasser hervor. Ich putze Minutenlang die Zähne, bevor ich dann scheinbar endlos immer wieder gurgel.
 

Als ich ein Klopfen aus meinem Büro höre spucke ich das Mundwasser aus, trockne mein Gesicht und die Hände und verlasse dann das Badezimmer. In meinem Büro stehen Katsuya und Mokuba. Was wollen die beiden hier?
 

Erst als ich noch ein paar Schritte gehe, sehe ich den offensichtlichen Grund und bleibe in der Bewegung stehen. Fassungslos mustere ich das völlig lädierte Gesicht meines kleinen Bruders und gehe zögerlich auf ihn zu. Die Gedanken, die mich ins Badezimmer getrieben haben spielen auf einmal gar keine Rolle mehr. Alles was ich wissen will ist, wer das war. Wer hat es gewagt eine Hand an meinen Bruder zu legen?
 

Nur zögerlich erzählt mir Mokuba von seinen Problemen, die er seit Februar hat… Himmel, das sind fast drei volle Monate… warum hat er mir das nicht schon früher erzählt? Doch er kontert nur damit, dass es keinen Unterschied gemacht hätte. Klar, ich kann jetzt das Gespräch mit seiner Schule suchen und sie zwingen ein Programm gegen Mobbing umzusetzen. Doch den anderen Kindern würde das am Arsch vorbei gehen. Keiner würde sich durch so ein Programm in Frage stellen und seine Handlungen überdenken. Das einzige, was das alles zur Folge hätte, wäre, dass die anderen Kinder noch viel heftiger auf ihn reagieren würden.
 

Ich denke einen Moment über seine Worte nach und muss erkennen, dass er Recht hat. Nichts desto trotz fordere ich eine Antwort von ihm. Will wissen, wer ihn verprügelt hat. Nur widerwillig rückt mein kleiner Bruder mit den Namen heraus. Dann zieh ich ihn zu mir in den Arm und versichere ihm, dass ich mich darum kümmern werde.
 

Das werde ich… ich werde erst das Gespräch mit den Eltern suchen und sollte das nichts bringen, werde ich wohl mal mein altes Ich auskramen. Mal schauen, wo die Eltern der drei Jungs, die Mokuba so heftig drangsalieren, arbeiten. Wozu hab ich so viel Geld? Wenn sie ihre Kinder nicht zur Räson bringen wollen oder können, werde ich mal schauen, ob sie mehr zustande bringen, wenn ich ihr Chef bin und mit Kündigung drohe. Und sollte das auch nichts helfen, dann werde ich sie schon 'überzeugen', dass ihre Bratzen auf einer anderen Schule besser aufgehoben seien.
 

Warum soll ich Mokuba von der Schule nehmen, wo er sich so gut macht, Klassenbester ist, mittlerweile einem Sportclub angehört und sich einbringt? Seh ich gar nicht ein, das mein Bruder das alles aufgeben muss, nur weil irgendwelche Eltern mit ihren Kindern überfordert sind und scheinbar nicht erziehen können?
 

Als ich mich von meinem kleinen Bruder löse lächle ich ihn sanft an und verspreche ihm, dass alles gut werden wird. Er schaut mich mit seinen großen, kindlichen Augen traurig an und nickt dann schließlich. Jetzt umarmt er mich noch einmal feste und ich erwidere diese Umarmung. Eine Umarmung, die ich ihm früher nicht schenken konnte, weil ich keine Nähe, egal von wem, ertragen habe. Ich will verdammt sein, wenn mir irgendein Schreibtischhengst das wegenehmen will.
 

Für einen Moment hab ich das Gefühl, dass Mokuba noch etwas sagen will, doch dann entscheidet er sich anders. Katsuya lächelt mich nur stolz an und nickt mir zu. Scheinbar hab ich etwas verpasst, denn ich verstehe nicht so recht, worauf Katsuya stolz ist. Aber ich erwidere sein Lächeln und nicke zurück. Dann verlassen die beiden mein Büro, wobei mein Streuner anmerkt, dass es in einer Stunde Essen gibt.
 

Als die beiden mein Büro wieder verlassen haben gehe ich zurück zu meinem Schreibtisch, greife nach meinem Telefon und drücke eine Schnellwahltaste. Ich muss mich vorbereiten. Auf was? Auf alles! Einfach alles! Ich kann das nicht alles einfach so auf mich zukommen lassen. Muss gewappnet sein, um mich gegen jeden möglichen Angriff wehren zu können. Immer drei Schritte den Gegnern voraus sein, hallt es durch meinen Kopf und so sehr ich die Stimme, die die Worte formuliert, hasse… so sehr muss ich einräumen, dass sie Recht hat.

Einen Schritt der Wiederentdeckung

Nachdem das Gespräch mit Seto besser verlaufen ist, als Mokuba und ich erwartet haben, haben wir das Büro wieder verlassen und sind zurück in die Küche gegangen. Natürlich ist mir aufgefallen, dass Seto blass war. Auch Mokuba ist es aufgefallen. Doch wir beide haben uns dazu entschieden in dem Moment nicht nachzuhaken. Mokuba hakte nicht nach, weil er nicht wirken wollte, als würde er vom Thema ablenken wollen. Wobei ich mir vorstellen könnte, dass ihm das gerade gelegen gekommen wäre. Ich hab das Thema nicht gewechselt, weil ich Mokuba nicht das Gefühl geben wollte nicht wichtig zu sein.
 

Wir mussten darüber nicht sprechen. Ein Blick genügt und wir wissen, dass wir das Gespräch dazu beim Essen suchen werden. Ich trete zurück an den Herd, um das Essen fertig zu machen. Da tritt Mokuba neben mich und schaut an mir vorbei. Leise merkt er an, dass er japanisches Essen toll findet, aber sich auch mal wieder über etwas anderes freuen würde. Erst durch diese Bemerkung kommt mir der Gedanke, dass Mokuba gar nicht weiß, warum mein Drache westliches Essen so ablehnt. Also frage ich mich selbst, ob das der richtige Ort und die richtige Zeit sind, um ihm das zu erklären.
 

Gerade als ich ansetzen möchte tritt der Hausverwalter herein und bittet mich kurz, ihm zu folgen. Ich nicke ihm zu und beauftrage Mokuba damit, auf das Essen zu achten. Der Kleine hat mir schon so oft zugeschaut, dass er schon zurecht kommen wird. Also folge ich dem Hausverwalter nach draußen und die Treppe hinauf. Er führt mich in unser Zimmer und in das Ankleidezimmer. Dort hängen unsere beiden Anzüge. Als wären sie gerade vom Schneider geholt worden.
 

Ich bin erstaunt, dass sie doch noch zu retten waren. Darunter stehen unsere Schuhe, die zu den Anzügen passen und auf einer daneben stehenden Kommode liegen einige offene Schatullen. In einer prangert meine Uhr, die mir Seto an dem Abend geschenkt hat. In der zweiten befinden sich meine Manschettenknöpfe. Doch die dritte ist leer. Der Hausverwalter nimmt die leere Schatulle und meint, dass das Dienstmädchen versichert, es habe die Manschettenknöpfen nicht entwendet und sie könne nicht sagen, wo sie abgeblieben seien. Als sie sich um die Anzüge kümmerte, waren sie wohl schon nicht mehr da.
 

Verwirrt blicke ich ihn an und frage mich, was er von mir will. Dann fragt er mich, wie mit dem Mädchen verfahren werden soll. Meine Verwirrtheit nimmt zu. Er erläutert, dass er der Meinung sei, dass das Mädchen die Manschettenknöpfen entwendet habe und eine Entscheidung gefällt werden muss. Als ich ihn frage, warum er mich fragt, blickt nun er mich verwirrt an. Dann erklärt er mir, dass er von meinem Drachen die Weisung erhielt, dass wenn er unpässlich sei, ich ebenfalls entscheidungsbefug sei.
 

Gleich fallen mir meine Augen aus dem Kopf. Jedenfalls fühlt es sich so an. Mein Drache… hat… hat dem Hausverwalter gesagt, dass ich auch entscheidungsbefugt in solchen Angelegenheiten bin? Wieso… hat er mir das nicht gesagt? Was… wie… ich und Entscheidungen treffen, die das Leben eines anderen Menschen verändern können? Das kann ich nicht! Also versichere ich dem Hausverwalter, dass ich seine Vermutung nicht teile und nehme ihm die Schatulle ab. Bitte ihn, mir etwas Zeit zu lassen. Sicherlich finden sich die Knöpfe wieder.
 

In seinen Augen kann ich den Widerwillen sehen, den meine Bitte bei ihm auslöst. Doch er nickt und geht wieder. Ich lass mich auf die Sitzbank fallen und atme tief ein. Seto hat mir Entscheidungsbefugnis innerhalb der Villa gegeben… Warum? Dann kommt mir da ein Gedanke: Will er mir damit beweisen, dass wir gleichberechtigte Partner sind, egal wer den Unterhalt für die Villa beisteuert? Will er so meiner Angst, dass er denken könnte, ich sei nur wegen seinem Geld bei ihm, entgegen wirken?
 

Das benötigt auf jeden Fall noch ein Gespräch, soviel steht fest. Aber gleichzeitig fühl ich mich leicht und beschwingt. Mein Drache hat mir Entscheidungsbefugnisse zugesprochen. Ich kichere kurz und als mir das bewusst wird, räuspere ich mich, als sei ich nicht alleine. Dann steh ich auf.
 

Als ich meinen Drachen am Freitag ausgezogen habe, hatte ich gar keine Acht auf diese Dinger… hatte er die Manschetten noch an, als ich ihn ausgezogen habe? Ich glaube nicht. Das Hemd ließ sich ohne Widerstand ausziehen. Also weiter denken. Hatte er die Knöpfe noch, als ich ihn unter die Dusche stellte? Will ich nicht hoffen, denn ansonsten könnte es sein, dass ich sie den Abfluss runter gespült habe. Himmel… diese Manschetten waren sicherlich nicht gerade billig. Aber nein… ich glaube, da hatte er auch schon keine. Also weiter zurück denken.
 

Instinktiv hab ich unser Zimmer verlassen und gehe den Flur entlang. Schaue aufmerksam links und rechts neben dem Teppich, der sich mittig über den Boden zieht. Vielleicht sind sie beim Tragen abgefallen, doch ich kann keine finden und komme irgendwann am anderen Ende des Ganges an. Dort, wo wir am Freitag Seto an das Regal gelehnt sitzend fanden und ich die Flasche gegen die Wand geworfen habe. Von dem Fleck des Restalkohols war nichts mehr zu sehen oder zu riechen. Auch die Scherben waren alle verschwunden.
 

Okay, es hätte mich auch gewundert, wenn das Mädchen hier nicht sauber machen würde. Also eher unwahrscheinlich, dass ich die Knöpfe hier finden werde… oder? Ich geh auf alle viere und taste den Teppich ab. Schwachsinn. Es ist ja kein Flokati, der dafür prädestiniert wäre Kleinkram zu verschlucken und in eine Zwischendimension der verlorenen Gegenstände zu schleusen.
 

Gerade als ich mich aufsetzen möchte funkelt mir etwas ins Auge. Ich taste mit meiner Hand etwas unter das Regal und tatsächlich finde ich hier den Manschettenknopf und den dazugehörigen Verschluss. Jackpot. Also taste ich weiter und finde noch den zweiten Verschluss… aber egal wie sehr ich weiter taste, den zweiten Drachen kann ich nicht finden. Also beug ich mich wieder weiter vor, so dass mein Gesicht mit der Wange auf dem Teppich liegt und versuche unter dem Regal etwas zu erkennen.
 

Tatsächlich funkelt weiter hinten etwas. Der zweite Drache scheint weiter gekullert zu sein und hinter dem Regal an der Wand zu liegen. Unmöglich, dass ich ihn so ohne Hilfsmittel erreiche. Also setze ich mich auf und schau mich um. Vielleicht hat das Mädchen irgendwo einen Staubwedel oder sowas liegen lassen. Doch ich kann auf den ersten Blick nichts finden. Dann mustere ich das Regal. Es ist eigentlich – bis auf eine Hand voll Büsten – leer.
 

Bevor ich weiter dumm rum suche beschließe ich pragmatisch zu sein. Ich öffne die Tür zu dem Zimmer, dass Seto noch bis vor einigen Monat bewohnt hatte und beginne die Figuren und Büsten aus dem Regal dort auf die Kommode zu stellen. Als das Regal soweit leer ist heb ich es vorsichtig etwas an und schieb es nach vorne weg, so dass ich die Manschette endlich aufheben kann.
 

Kaum hab ich das Regal nach vorne geschoben entdecke ich eine Tür. Oder sollte ich besser sagen: wiederentdecke ich eine Tür. Jetzt fällt es mir wieder ein. Ich hatte diese Tür schon einmal entdeckt und wollte eigentlich schon da nachschauen, was sich dahinter verbirgt. Doch dann ist so viel passiert und ich war so konzentriert auf meinen Drachen, seine Fortschritte und Entwicklungen, dass ich die Tür schlichtweg wieder vergessen habe.
 

Aber dieses Mal nicht. Ich hebe den Manschettenknopf auf, tu ihn zu den anderen Teilen des Sets in die Schatulle und stecke diese in meine Hosentasche. Dann leg ich meine Hand an die Klinke und öffne die Tür.

Einen Schritt in das verborgene Zimmer

Vor mir tut sich auf einmal ein Verbindungszimmer oder Durchgang auf, wie es auch unser Zimmer hat. Schon hier kann ich an Hand der dicken Staubschicht auf der Kommode mit dem reich verschnörkelten Spiegel darüber erkennen, dass hier schon ewig niemand mehr drin war. Hätte auch nicht gedacht, dass das zierliche Dienstmädchen auf die Idee kommt das Regal wegzurücken, nur um hier sauber zu machen. Scheinbar ist das Regal aufgestellt worden, um zu verbergen, dass es hier noch ein Zimmer gibt. Aber warum?
 

Ich gehe durch die nächste Tür und finde dahinter genau das Spiegelzimmer zu Seto und meinem wieder. Hatte ich damals, als ich die Tür zum ersten Mal entdeckte, nicht darüber sinniert, das alles in dem Haus scheinbar symmetrisch gebaut wurde. Also warum wundert es mich dann, dass ich hier ein Schlafzimmer vorfinde? Okay, dieses Schlafzimmer sieht so richtig extravagant aus. Als wolle jemand mit seinem Reichtum über gewisse Unzulänglichkeiten hinweg täuschen.
 

Direkt vor mir steht ein megagroßes Himmelsbett zwischen den beiden Fenstern. Neben der Tür, durch die ich eben eingetreten bin steht ein antiker Sekretär mit Schrankaufbau, der geschlossen ist. Ein merkwürdiges Klacken kommt aus ihm. Aber das interessiert mich gerade nicht. Die Luft hier drin ist furchtbar trocken und staubig, reizt meine Atemwege ungemein und ich muss mich echt zusammenreisen, um nicht husten zu müssen.
 

Als ich nach links durch die Tür gehe finde ich das Badezimmer. Klar… die Räume dieser Suite sind spiegelverkehrt, da ich auf der anderen Seite des Hauses bin. Dieses Badezimmer ist genauso ausgestattet, wie unseres. Auf dem Waschbecken stehen noch Rasiersachen… ein altmodischer Nassrasierer, ein Pinsel in einem Becher um Rasierschaum aufzuschlagen und eine Dose Rasierschaum.
 

Auf der anderen Seite des Waschbeckens stehen noch ein Becher mit Zahnbürste und eine angebrochen Tube Zahncreme, daneben steht ein kleines Döschen mit Zahnseide. Würde nicht überall eine dicke Staubschicht drauf liegen würde man meinen können, dass hier noch jemand lebt. Bei der Toilette liegen auf einer Ablage alte Magazine herum. Als ich mich nähere stell ich fest, dass es Wirtschaftsjournale sind. In mir formt sich langsam eine Ahnung, wer hier mal gewohnt hat.
 

Ich verlasse das Badezimmer wieder. Wenn also auf dieser Seite das Badezimmer liegt, muss auf der anderen Seite das Ankleidezimmer liegen. Meine Neugierde treibt mich rüber und tatsächlich find ich mich im Ankleidezimmer wieder. Auf den Stangen vor mir hängen zahlreiche, teure Maßanzüge, Hemden, mehrere Dutzend Paar Schuhe in einem Schuhregal. Daneben in einer Art Vitrine finden sich mehrere Kästen, in denen unzählige unterschiedliche Uhren, die alle bestimmt nicht günstig waren, aufgebahrt sind. Sie funktionieren sogar noch. Ebenso andere Accessoires, wie etliche Manschettenknopfpaare, Armbänder, Ketten, Anstecker, die Partei- und Clubzugehörigkeiten oder einfach nur den eigenen Nazismus widerspiegeln. Krass.
 

Langsam drehe ich mich wieder zur Tür und erstarre. Die Wand hinter der Tür, die ich beim Reinkommen gar nicht gesehen habe, ist mit einem Gitter versehen. An dem Gitter wurden Reitgerten, Peitschen, Riemen, Seile, Padel, Knebel, Fessel und noch mehr Fetischkram angeordnet. Unter dem Gitter stehen zwei Schubladenkommoden. Eigentlich will ich das jetzt gar nicht tun, aber irgendetwas in mir lässt nicht zu, dass ich einfach so dieses Zimmer verlasse ohne mir Gewissheit zu verschaffen. Also öffne ich die Schubladen, eine nach der anderen und bin mehr als entsetzt.
 

In jeder Schublade finde ich hochwertige Toys. Das ist ein umfangreiches Sortiment, welches wirklich jede Sparte bedient. Es gibt hier nichts, was es nicht gibt, in jeder Farbe, Größe und verschiedenen Umfängen. Mit zittrigen Händen schieb ich die Schubläden wieder zu. Es war ein großer Fehler, dass ich diese Räumlichkeiten erkunde, kommt es mir plötzlich in den Sinn. Denn was das hier ist, wird mir immer klarer. Das hier ist das Zentrum und die Quelle all des Schmerzes, den mein Drache aushalten musste und unter dem er noch heute furchtbar leidet.
 

Gerade als ich das Schlafzimmer wieder verlassen will dringt wieder dieses Klack – Klack – Klack aus dem Sekretär an mein Ohr. Also bleibe ich noch einmal stehen und öffne ihn. Als ich die Tischplatte herunterlasse erkenne ich, dass dahinter Schranktürchen sind. Also öffne ich diese und erschrecke so sehr, dass ich zwei Schritte nach hinten stolpere.
 

In dem Sekretär sind sechs Monitore angebracht. Auf drei erkenne ich Räume aus der Villa, darunter das alte Schlafzimmer von Seto, dann dieses hier und dann den Raum, den ich in einen Trainingsraum umgewandelt habe. Die anderen drei Monitore zeigen offensichtlich Räumlichkeiten in der Kaiba Corp. Das erkenne ich aber auch nur daran, dass auf einem Monitor Isono zu sehen ist, wie er gerade telefoniert.
 

Das Geräusch, welches meine Aufmerksamkeit auf den Sekretär gelenkt hat ist ein altmodisches Filmband, dessen Ende durch die Umdrehung immer wieder an die zweite Spule schlägt. Die gesamte Überwachungsanlage scheint noch immer zu funktionieren. Daneben finde ich ein Aufbewahrungsregal für eben diese Bänder. Die meisten Fächer sind belegt und beschriftet. Sie tragen Namen, die mir im Große und Ganzen nichts sagen zusammen mit Datumsangaben.
 

Diese Daten sind verteilt über fast drei Jahre und wenn ich das richtig deute, waren es Gozaburos letzte drei Jahre. Ich nehme das Band, welches immer wieder sein Ende an die benachbarte Spule schlägt und zieh es von seiner eigenen Spule. Diese stoppt ihre Drehbewegung, als hätte sie gemerkt, dass sie nun leer ist. Ich lege es vor mich auf den Tisch. Erst jetzt fällt mir auf, dass in den Tisch auch ein Monitor eingelassen ist. Als ich ihn antippe bewegt er sich in eine etwas aufrechte Schräge, so dass man bequemer drauf schauen kann.
 

Auf dem Monitor sehe ich eine grafische Oberfläche, die keinem Betriebssystem ähnelt, dass ich kenne. Aber was ich sehe sind ganz offensichtlich Dateien, die eine numerische Bezeichnung besitzen. Es vergeht einen Augenblick, bis ich erkenne, dass diese Bezeichnung verschiedene Daten darstellen. Ein Datum sticht dabei besonders hervor: Es scheint Sylvester vor vier Jahren zu sein. Nachdenklich fahr ich mit dem Finger über das Datum und plötzlich öffnet sich die Datei. Da wird mir bewusst, dass es ein Touchscreen ist. Das erklärt natürlich, warum es keine Tastatur oder Maus gibt.
 

Ich wünschte, ich hätte das vorher gewusst. Was ich in dem Video sehe raubt mir den Glauben an die Menschheit. Das ist einfach unbeschreiblich… unbeschreiblich grausam. Widerwärtig. Aber es erklärt so vieles. Erklärt warum mein Drachen Sylvester nicht genießen kann… erklärt, warum mein Drachen darauf besteht, dass das Licht auch in der Nacht an sein muss. Schon nach ein paar Augenblicken stoppe ich das Video. Das ist mehr, als ich jetzt verkraften kann.
 

Dann fällt mein Blick auf die Schubfächer des Sekretärs. Ich ziehe an der obersten Schublade und mir fällt ein kleiner Flyer in die Hände. Er gehörte wohl zu diesem Sylvester und auf ihm stehen drei Regeln: 1. Entferne nicht den Knebel. 2. Entferne nicht die Augenbinde. 3. Hab so viel Spaß mit mir, wie du willst. Übelkeit steigt in mir auf. Monstren… Wut wallt wieder in mir auf.
 

Ich schließe die Schublade und öffne die nächste. Darin befindet sich eine Art Kartei mit Bildern, die wieder nach Namen und Daten sortiert sind. Eine Kartei, die sich auch über die nächsten zwei Schubladen erstreckt. Ich schau mir die Bilder nicht an. Ich kann mir schon vorstellen, was darauf zu sehen ist.
 

Als ich aufstehe, um zu gehen, bleib ich erschrocken stehen. In der Tür steht Seto.

Einen Schritt zurück zum Ursprung

Nachdem ich mein Telefonat beendet habe wollte ich zu Mokuba und Katsuya in die Küche. Doch als ich eintrete finde ich nur Mokuba vor. Ich frag ihn, ob mein Streuner auf der Toilette ist, doch er schüttelt nur den Kopf. Meint, dass unser Hausverwalter ihn vor einer halben Stunde nach draußen bat und er ihn seit dem nicht mehr gesehen hat.
 

Also verlasse ich die Küche und schau mich kurz um. Dann beschließe ich zuerst oben nachschauen zu gehen. Als ich oben ankomme will ich aus einem Reflex in die Richtung meines alten Zimmers, bevor ich mich umdrehen will. Doch mitten in der Bewegung erstarre ich. Das Regal, das ich vor Jahren am Ende aufstellen gelassen habe ist leer und steht schräg im Flur.
 

Verwirrt darüber blinzle ich einige Male schnell hintereinander, bevor ich mich besinne und zögerlich einen Schritt in die Richtung des Regals setze. Jemand hat es weggeschoben, um an die dahinter liegende Tür zu kommen. Die Tür zu SEINEM Reich. Jenes Reich, zu dem nie wieder jemand Zugang haben sollte. Wieso also steht die Tür offen?
 

Ich schlucke ein paar Mal, bevor ich es wage die Schwelle zu überschreiten. Noch im Verbindungszimmer kann ich Geräusche hören. Ich kenne diese Geräuschkulisse. Es sind Menschen, die feiern. Sie stoßen mit Gläsern an. Motivieren einander und feuern an. Jubeln, grölen und gratulieren sich gegenseitig. Stöhnen durchzieht immer wieder die Musik und die Ausgelassenheit der Anwesenden. Keuchen. Wimmern. Mein. Wimmern.
 

Kann nicht weiter gehen. Muss stehen bleiben. Kann mich dem nicht stellen. Kämpfe gegen die aufsteigenden Erinnerungen – die mich sonst nur an Sylvester heimsuchen – an. Mein Inneres erbet und auf einmal spür ich den Orkan in mir, wie er wieder beginnt an mir zu zerren und zu reißen. Plötzlich stoppen die Geräusche. Ich weiß, dass das, wo diese Geräusche drauf gebannt ist, noch lange nicht am Ende ist. Das war der Anfang und das Band geht fast sechs Stunden lang. Weiß es… musste es mir einmal anschauen, als ER mich bestrafen wollte.
 

Dann dringen Geräusche an mein Ohr, wie vom Öffnen und Schließen von Schubladen. Ich trete einen Schritt näher und sehe meinen Streuner. Er ist blass. Entsetzt. Ungläubig. Wird er sich nun auch die Fotos anschauen? Nein. Er schließt die letzte Schublade wieder und steht auf. Dann sieht er mich und erstarrt.
 

Wortlos drehe ich mich um und gehe wieder. Verlasse das Vorzimmer, schieb mich am Regal vorbei und ohne es mir bewusst zu werden beginne ich schneller zu gehen. Als ich die Treppe erreiche laufe ich bereits. Nachdem ich dann die Haustür geöffnet und durchschritten habe renne ich. Ich renne einfach los. Weg. So schnell ich kann. Einfach nur… weg!
 

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Ich weiß nicht, wie lange ich gerannt bin. Meine Lunge brennt und ich spüre meine Beine kaum noch. Meine Sicht ist total verschwommen. Erst nach und nach wird mir bewusst, dass ich weine. Ich stolpere durch den Wald. Wald? Wie komme ich in den Wald. Meine nackten Füße wissen offensichtlich, wo sie hin wollen. Ich lass sie einfach machen und finde mich dann nach einigen wenigen Schritten schließlich auf dem Waldspielplatz nahe dem Park des Familienviertels wieder, in dem ich als Kind gelebt hatte. Damals, als alles noch in Ordnung war.
 

Die Rutsche beherbergt unter sich ein kleines Häuschen. In das verkriech ich mich. Wenn es noch wie früher ist, wird dieser Spielplatz kaum genutzt und ist ein Geheimtipp. Jedenfalls hoff ich, dass es immer noch so ist. Das er dennoch in einem so gutem Zustand ist… liegt wohl daran, dass ich ihn alle drei Monate von einer Firma pflegen lasse. Ja, ich bin nostalgisch und dieser Ort meiner Kindheit… muss bewahrt werden. Denn wenn er verrottet und irgendwann entfernt werden würde, würde der letzte Teil meiner Kindheit, der noch unschuldig ist, einfach so mit verschwinden. Davon bin ich vollkommen überzeugt.
 

Aber ich schwafle. Dann hör ich plötzlich ein Kinderlachen. Nein! Bitte… ich will nur alleine sein. Mit mir, meinen Gedanken und meiner Scham. Das Kind gluckst und gibt weitere merkwürdige, glücklich klingende Geräusche von sich. Ich kann mich kaum beherrschen und mein Weinen nicht unterdrücken. Schließlich tritt jemand vor den Zugang zu diesem Spielhaus. Als der Mann - natürlich ist es ein Kerl - sich etwas vorbeugt, um in mein Versteck lugen zu können, erkenne ich zu meiner Überraschung Keizo.
 

Seine Augen weiten sich überrascht. Dann richtet er sich auf und geht weg. Spricht mit jemandem. Ich verstehe die Worte, doch kann ihren Sinn nicht begreifen. Schließlich entfernt sich das Lachen des Kindes wieder. Gut! Dann kann ich mich endlich alleine meinem Selbstmitleid ergeben. In der trügerischen Einsamkeit leg ich meine Stirn gegen meine angezogenen Knie und umfasse meine Beine noch fester.
 

Als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre schrecke ich zusammen und blicke entsetzt hoch. Keizo ist in das - für uns viel zu kleine - Häuschen gekommen und schaut mich besorgt an. Aber wenn schon einer da sein muss, dann ist es gut, dass es Kei ist. Er ist der einzige Mensch auf dieser Welt, der weiß, wie es war. Der weiß, wie es ist, mit solchen Erinnerungen leben zu müssen. Mich besser kennt als jeder andere. Besser als Isono. Als Mokuba. Oder Katsuya.
 

Langsam - wie in Zeitlupe - zieht er mich an seine Brust und legt den zweiten Arm um mich. Für gewöhnlich würde ich ihn nun von mir stoßen, weil ich seine Nähe nicht ertragen kann, doch stattdessen lasse ich mich verzweifelt an seine Brust fallen und weine hemmungslos. Weine meinen Frust und meine Verzweiflung heraus. Kei tut nichts, außer mich zu halten.
 

Erst als nach einer ganzen Weile meine Tränen endlich weniger werden und ich ein Stück meiner Selbstkontrolle zurück gewinnen kann, stemmt Kei mich ein wenig von sich und streicht mir die Feuchtigkeit von der Wange. Er versucht mich anzulächeln und fragt mich dann behutsam was los sei… Fragt, ob ich mich mit Katsuya gestritten hätte oder ob ich mit irgendetwas anderem Probleme habe.
 

Nur langsam schaue ich zu ihm. Und dann, ich weiß selbst nicht wieso, erzähle ich ihm von Kogoro und seiner Tat am Freitagabend, nachdem Keizo ihn von mir vertrieben hat. Berichte ihm von den Detectives, die Samstagmittag in mein Haus kamen und mir Bilder zeigten, die nicht existieren sollten. Von der Entwicklung mit dem Jungen, der dann doch keine Anzeige erstatten möchte, weil Kogoro ihm Schweigegeld gezahlt hat… und zuletzt erzähl ich ihm, wie ich Katsuya im alten Schlafzimmer von Gozaburo gefunden habe, als er gerade eine der unzähligen Videodateien angeschaut hat.
 

Verständnisvoll legt Kei nur seinen Kopf schief und überlegt. Fragt mich, was ich nun vorhabe. Ich zucke mit den Schultern, denn ich weiß es schlicht nicht. Die Gedanken und Gefühle wirbeln in unendlichem Chaos in mir herum. Früher hätte ich sie hinter meine Mauer gesperrt und wäre zur Tagesordnung übergegangen. Aber diese Mauer existiert nicht mehr. Dennoch… weiß ich einfach nicht, wie ich mit all dem umgehen soll. Bin schlicht und ergreifend ratlos.
 

Dann fragt mich Kei behutsam und in einem sehr vertrauten Ton, ob ich nicht mit Katsyua sprechen möchte… doch ich schüttle nur heftig den Kopf. Auf gar keinen Fall. Plötzlich spüre ich etwas, was ich in Bezug auf meinen Streuner noch nie gespürt habe. Jedenfalls nicht in diesem Ausmaß: Angst! Es ist die Angst davor, dass er sich nun doch noch angewidert von mir abwenden wird. Etwas erzählt zu bekommen ist eine Sache. Es dann aber wirklich zu sehen, eine ganz andere. In meinen Erzählungen konnte ich das eine oder andere Detail weglassen. Handlungen entschärfen. Doch dieses Video… es zeigt die ganze, ungeschönte Wahrheit… wie es wirklich war…
 

Kei verneint. Er glaubt nicht, dass Katsyua so reagieren wird. Doch er hat nicht diesen Blick von meinem Streuner gesehen. Dieses Entsetzen und den Ekel. Das hat mir so große Angst gemacht, dass ich nur noch weglaufen konnte. Einfach weg… so schnell es mir möglich war. Ungeachtet dessen, dass ich mein legeres Hausoutfit an habe. Hab nicht mal dran gedacht Schuhe anzuziehen.
 

Auf einmal hör ich die Stimme meines Streuners durch die Wand, an der ich mittlerweile lehne. Wie er meinen Namen haucht. Mit einer Stimme, die ich so nicht kenne. Brüchig. Ängstlich. Der jedes Selbstbewusstsein fehlt. Ich blick erschrocken zur Wand. Nein, sicherlich spielt mir mein Verstand einen Streich. Woher sollte er auch schon wissen, dass ich hier bin? Nicht einmal ich habe gewusst, dass ich hier landen würde, als ich los gerannt bin.
 

Doch dann kann ich wieder Katsuyas Stimme hören und es bleibt keinen Zweifel übrig, dass er auf der anderen Seite der Wand steht.

Einen Schritt auf der Suche

Seto war so schnell fort, so schnell bin ich gar nicht hinterher gekommen. Als ich an der Treppe ankam konnte ich nur noch die offene Haustür sehen. Unten an der Haustür… gab es keine Spur mehr von meinem Drachen. Als hätte er seine Flügel entfaltet und wäre davon geflogen. Scheiße!
 

Auf einmal kommt Mokuba aus der Küche und fragt, was ich an der offenen Tür mache. Nur langsam kann ich mich zu ihm drehen und sofort erkennt der Kleine, dass etwas nicht stimmt. Er fragt mich direkt wo Seto ist und ich… habe keine Antwort. Alles was ich sagen kann ist 'fort'. Der Schwarzhaarige stürmt an mir vorbei zur Haustür und läuft die paar Stufen zum Wendehammer herunter und schreit Setos Namen aus vollem Leib.
 

Ich folge ihm, lege meinen Arm um seine Brust und zieh ihn dann wieder ins Haus. Er zetert nur, dass wir Seto suchen müssen. Ja, wir müssen ihn suchen. Aber nicht kopflos und vor allem nicht alleine. Also kram ich in meiner Hosentasche nach meinem Telefon und beginne eine Nummer zu wählen. Mokuba will wissen, wen ich da jetzt anrufe. Wieder antworte ich nur mit einem Wort: Hilfe.
 

Nach kaum zehn Minuten kommt eine gehobene Mittelklassenlimousine den Weg hinauf gefahren. Als sie anhält gehen sowohl Fahrer- als auch Beifahrertür auf. Isono hat glücklicherweise auf dem Weg hier her Honda aufgelesen. Während Isono zu Mokuba eilt und ihn in den Arm nimmt, kommt Honda zu mir und schaut mich belämmert an. Wir gehen rein und ich führe sie nach oben, wo das leere Regal immer noch schräg im Flur steht.
 

Mokubas Augen werden groß, während Honda einen Schritt vorgehen möchte. Ich halte ihn am Unterarm fest und schüttle den Kopf. Das was hinter dieser Tür liegt… ist für niemanden von uns bestimmt. Honda nickt verstehend und ich lasse ihn los. Dann geh ich zum Regal und rücke es wieder zurecht, bevor ich aus dem alten Zimmer meines Drachens die Büsten und Figuren hole und sie wieder auf den Regalböden verteilt aufstelle.
 

Schließlich drehe ich mich zu den drei wieder um. Mir ist zum Heulen zu Mute, doch jetzt ist nicht die Zeit sich gehen zu lassen. Wir müssen Seto finden. Nur gut, dass er nicht weit sein kann. Isono schaut mich fragend an und will wissen, wie ich zu dieser Annahme komme. Also erklär ich ihm, dass die Männer an der Zufahrt ihn sicherlich aufgehalten hätten, wenn er barfuß an ihnen vorbei gewetzt sei. Dann bekommt der frischgebackene Geschäftsführer einen komischen Blick. Was entgeht mir hier?
 

Dann eröffnet uns Isono, dass Seto nicht zwangsläufig noch auf dem Grundstück sein muss… Es gibt wohl in dem kleinen Wäldchen am See einen geheimen Tunnel – einen klassischen Fluchttunnel – der einem ermöglicht ungesehen das Gelände zu betreten und wieder zu verlassen. Großartig! Einfach nur großartig. Wer hat auf seinem Grundstück schon einen Fluchttunnel?
 

Aber es nützt gar nichts, sich jetzt darüber zu ärgern, also schlag ich vor, dass Honda zusammen mit Mokuba das Grundstück der Villa absuchen und Isono und ich Richtung dieses Fluchttunnels gehen und schauen, ob wir eine Spur von Seto finden. Alle nicken einverstanden und wir teilen uns auf.
 

Isono und ich reden kein Wort, als wir uns auf den Weg zum See machen. Er führt mich am See vorbei in das Wäldchen und tatsächlich… hinter einem Busch finden wir den Zugang zum Tunnel. Wie in einem schlechten Film, geht es mir durch den Kopf. Und wir erhalten Gewissheit. Die Gittertür ist offen! Seto muss hier durch gekommen sein. Fahrig geh ich mir durchs Haar.
 

Warum ist mein Drache nur davon gelaufen? Ich mein, ich verstehe, wenn er wütend ist oder sich vielleicht von mir betrogen fühlt, weil ich möglicherweise etwas gesehen habe, was er mir niemals zeigen wollte… aber warum hat er mich nicht angeschrien und aus dem Zimmer gezerrt? Warum… warum hat er nicht ein Ton gesagt, sondern hat sich umgedreht und ist einfach fortgelaufen? Warum?
 

Mit Isono an meiner Seite mach ich mich auf den Weg durch diesen Fluchttunnel. Er ist wahnsinnig lang und ich frage schließlich meine Begleitung, wie lang der Tunnel wohl sein mag. Prompt bekomme ich eine exakte Antwort: Der Tunnel ist 850 Meter lang und endet im Waldgebiet von Domino City. Großartig… einen fast einen Kilometer langer Tunnel, der im Nirgendwo endet und wo ein völlig aufgelöster Seto noch leichter verloren gehen kann.
 

Da legt mir Isono eine Hand auf die Schulter und stoppt mich. Reumütig lächelt er mich an und meint, es sei nicht meine Schuld. Klar doch… mein Drache ist auf und davon, weil… er absolut gar keinen Grund dazu hat. Ich spüre, wie die Wut auf mich selbst in mir wütet. Warum hab ich nicht zuerst mit ihm darüber gesprochen… darüber gesprochen, dass ich auf der Suche nach seinen Manschettenknöpfen diese Tür gefunden habe. Wir hätten gemeinsam da rein gehen sollen, dann, wenn mein Drache soweit gewesen wäre. Stattdessen hab ich meiner Neugier nachgegeben und ihn damit zutiefst verletzt.
 

Isono schüttelt den Kopf und meint, wenn einer Schuld daran habe, dann er. Immerhin habe er das Regal gekauft, gebaut und aufgestellt, damit Seto nicht jedes Mal, wenn er in sein Zimmer geht, daran erinnert wird, was hinter dieser Tür lag. Baff blicke ich Isono an. Er hat das Regal da platziert, um die Tür zu verbergen? Für Seto? Dann senkt der Ältere seinen Kopf und meint, dass er es nicht nur für Seto getan hat, sondern auch für Mokuba. Er wollte verhindern, dass der jüngere Kaiba alleine in dieses Zimmer stolpert und von Dingen erfährt, die Seto in eine unangenehme Lage gebracht hätte.
 

Jetzt bin ich derjenige, der eine Hand auf die Schulter des Älteren lege. Sanft lächle ich ihn an und meine, dass er nur aus den besten Absichten heraus gehandelt habe und er aufhören soll, sich Vorwürfe zu machen. Er blickt mich an und meint, dass er damit aufhöre, wenn ich meinen eigenen Vorschlag beherzigen würde. Ich muss grinsen. Gewiefter Fuchs…
 

Endlich erreichen wir das Ende des Tunnels. Auch hier ist die Gittertür offen. Wir treten ins Freie und Isono deutet auf einmal in eine bestimmte Richtung. Ich schau ihn nur erstaunt an und frage, wieso ausgerechnet in diese Richtung. Er deutet mir auf einen abgebrochenen Ast und meint, dass hier vor kurzem jemand durch sei. Was zum… Isono kann Spuren lesen? Irgendwann muss ich ihn mal nach seinem Lebenslauf fragen.
 

Doch fürs Erste folg ich ihm und wir schlagen uns durch das Dickicht. Wenn mein Drache hier durchgekommen ist, dann sicherlich nicht unversehrt. Tatsächlich finde ich ein paar Meter weiter ein Stück Stoff das wohl von seinem Shirt abgerissen ist. Ich seufzte laut und spüre wieder, wie meine Tränen nach oben drängen wollen. Alles was ich will ist meinen Drachen finden und wieder in meine Arme schließen.
 

Da klingelt auf einmal Isonos Handy. Er bleibt stehen, zieht das Telefon und nimmt das Gespräch an. Mit einem sanften Lächeln begrüßt er Megumi. Ist das Keizos Frau? Warum ruft sie Isono an? Er wechselt einige Worte mit ihr und ich frag mich, warum er nicht zu einem späteren Zeitpunkt mit ihr Smalltalk betreiben kann? Ich will schon weiter, als er mich an der Schulter festhält, einige weitere Worte wechselt und Megumi dann dankt. Er beendet das Gespräch und meint dann, dass er nun weiß, wo Seto ist.
 

Wie jetzt? Hat Megumi eine Kristallkugel, hat gesehen, dass ich Seto verloren habe und hat dann mal geschaut, wo mein Drache abgeblieben ist? Dann erzählt mir Isono von dem Waldspielplatz, auf dem wir Keizo zur ersten Aussprache getroffen hatten, und dass Seto dort wäre. Megumi und Keizo hätten ihn dort gefunden, als sie mit Hoshi, ihrer kleinen Tochter, spielen gehen wollte. Keizo wäre noch bei ihm, damit Seto nicht wieder verschwindet.
 

Ich atme erleichtert auf und bin froh, dass Seto gefunden wurde. Also ruft Isono Fuguta an, damit er uns am nächsten Sträßchen abholt. Ein paar Minuten später sitzen wir im Wagen und sind auf dem Weg zum Waldspielplatz. Auf dem Weg geben wir auch bei Mokuba und Honda Entwarnung. Ich kann am anderen Ende hören, wie Mokuba erleichtert anfängt zu weinen.
 

Dann kommen wir endlich an dem Spielplatz an. Mir kam die Fahrt irre lange vor. Wir steigen aus und ich schau über den Spielplatz, der völlig verlassen vor uns liegt. Doch dann nehme ich eine Regung in dem Häuschen unter der Rutsche wahr. Ich geh rüber und stell fest, dass ich auf der falschen Seite bin und der Eingang wohl auf der anderen liegt.
 

Doch ich kann durch die aus halben Baumstämmen grob gezimmerte Wand die verzweifelte Stimme meines Drachens hören. Höre, wie er Keizo erzählt, dass er Angst davor hat, dass ich mich nun doch angewidert von ihm abwenden könnte. Das es das eine sei, etwas erzählt zu bekommen, aber etwas anderes, es selbst zu sehen, weil es die ganze, ungeschönte Wahrheit zeigt.
 

Keizo verneint und versucht meinen Drachen davon zu überzeugen, dass ich mich niemals von ihm abwenden würde. Doch wieder kontert mein Drache damit, dass er nicht meinen Blick gesehen habe, mit all dem Entsetzen und dem Ekel. Ja! Ich war entsetzt und angeekelt, aber nicht von meinem Drachen… sondern von diesen Monstren, die so scham- und gnadenlos ein Kind vergewaltigt haben und dabei auch noch Spaß hatten und sich gegenseitig angeheizt und angestachelt haben.
 

Vorsichtig ruf ich meinen Drachen durch die Wand. Wenn er immer noch so voller Angst ist, dann könnte das ein Fehler sein. Es könnte ihn dazu bringen wieder die Flucht anzutreten. Also lausch ich, ob Hektik ausbricht. Scheinbar nicht. Als nach einem endlos scheinenden Augenblick immer noch keine Antwort kommt, ruf ich noch einmal sanft nach ihm. Ich will ihm so viel sagen, doch jetzt in diesem Augenblick sind all die Worte weg, die ich mir auf der Fahrt zurecht gelegt habe. Also sag ich nur das einzige, was wirklich wichtig ist: Ich entschuldige mich dafür, dass ich diesen Vorstoß gewagt habe, ohne mit ihm vorher darüber zu sprechen.
 

Kaum rede ich erst einmal, kommen die Worte zurück. Also stelle ich richtig, dass mein Entsetzen und Ekel nicht ihm gegolten hat. Das ich aus Versehen diese Videodatei gestartet habe und von dem, was ich da gesehen habe, einfach so geschockt war. Das ich mir nichts mehr wünsche, als in der Zeit zurück zu diesem Abend zu reisen und ihn da raus zu holen. Ihn davor zu beschützen, was sie mit ihm da gemacht haben.
 

Auf einmal hör ich ein verzweifeltes Aufschluchzen. Eilig taste ich mich an dem Häuschen auf die richtige Seite und sehe, wie Seto in der Ecke in sich zusammengesunken ist. Ich will schon in das Spielhäuschen rein krabbeln, als Keizo mich bittet, ihn erst raus zu lassen. Ich trete also zur Seite, lasse Keizo raus kommen und krabbel dann hinein, nur um sofort zu meinem Drachen aufzurücken und ihn in meinen Arm zu nehmen. Sanft zieh ich ihn zu mir und platziere einen Kuss auf seiner Stirn. Er klammert sich verzweifelt an mich.
 

Ich bin erleichtert. Endlich halte ich meinen Drachen wieder in meinen Armen. Fest an mich gedrückt. Streiche ihm sanft über sein Haar und den Rücken. Die letzten Tagen waren wieder enorm anstrengend für ihn… dass merkt man jetzt ganz deutlich. Aber das ist auch nicht schlimm, dafür hat er ja mich… wir werden jetzt erst einmal nach Hause fahren und dort machen wir es uns gemütlich… Das wird schon alles wieder werden.

Einen Schritt zum Erwachsenwerden

Ich hüpfe von einem Fuß auf den anderen und kann meine Nervosität einfach nicht verbergen. Als wir vorhin Bescheid bekamen, dass Katsuya und Isono meinen Bruder gefunden haben ist mir so ein großer Stein vom Herz gefallen, dass ich nicht anders konnte als weinen. Honda zog mich in seinen Arm und hat mir Trost und Halt gespendet und dafür bin ich auch jetzt noch dankbar.
 

Dennoch hab ich jetzt Angst. Seit die Nachricht eingetroffen ist, dass sie sich nun zu viert auf den Heimweg machen, hab ich das Gefühl auf Toilette zu müssen. Und da war ich jetzt schon zwei Mal… Warum hat man überhaupt so ein Gefühl, wenn man gar nicht muss? Warum führt einen der eigene Körper derartig in die Irre? Aber ich schweife schon wieder gedanklich ab. Da spüre ich eine Hand auf meiner Schulter und schaue auf. Honda lächelt mich verständnisvoll an.
 

Dann hör ich draußen einen Wagen über den Kiesweg die Auffahrt hochkommen. Ich öffne die Tür und springe heraus. Tatsächlich kommt eines unserer Autos hochgefahren. Kann am Steuer Fuguta erkennen. Es ist ein etwas größeres Mittelklassenauto, dass hinten Raum führ mehr als nur die obligatorischen drei Personen bietet. Aber es ist keine Stretchlimo… wäre sicherlich auch viel zu unhandlich für den Waldspielplatz gewesen.
 

Die Tür geht auf und als erstes steigt Isono aus. Ihm folgt Keizo. Ich schau ihn schuldbewusst an. Es steht noch eine Entschuldigung von mir an ihn aus. Dann steigt Katsuya aus, der stehen bleibt und jemand seine Hand reicht. Dann sehe ich endlich meinen Bruder. Ich lauf an allen vorbei und spring meinem Bruder in die Arme. Schlinge meine Arme um ihn, als würde er sonst direkt wieder verschwinden, wenn ich ihn nicht fest genug an mich presse. Auch er schließt seine Arme um mich. Dann bittet er mich flüsternd um Verzeihung.
 

Verwirrt blicke ich zu ihm auf und werde wütend. Also boxe ich ihm gegen die Schulter und schau ihn streng an. Keif ihm entgegen, dass er das nie wieder tun soll. Frage ihn, warum er einfach so weggelaufen ist. Gebe ihm gar keine Möglichkeit zu antworten, als ich frage, ob er weiß, wie ich mich dabei gefühlt habe, als er einfach so verschwunden ist und mich alleine zurück gelassen hat. Will schon die nächste Frage nachlegen, als er mein Gesicht zwischen seine zittrigen Händen nimmt und mich mit tränennassen Augen anschaut. Ich schlinge wieder meine Arme um ihn und sag ihm, dass er ein dummer, großer Bruder sei…
 

Ich hör ihn kurz auflachen, als auch er wieder seine Arme um mich schließt und mir verspricht, dass das nie wieder vorkommen wird. Nie wieder? Wie kann er das versprechen? Wer weiß, was noch so alles in unserem Leben geschehen wird… da kann er mir doch unmöglich so ein Versprechen geben… Doch er hält immer seine Versprechen und daher beruhigen mich seine Worte. Schmiege mich enger an ihn und sage ihm, dass ich glücklich bin, dass Katsuya und Isono ihn gefunden haben und er jetzt wieder zuhause ist.
 

Da meint er zu mir, dass ihn eigentlich Keizo gefunden habe und dieser dann Isono und Katsuya informiert hat. Ich blicke zu Keizo. Dann spüre ich Setos Hand auf meiner Schulter, wie er mich langsam von sich löst und mich dann an alle anderen vorbei zurück ins Haus führt. Im Haus überlegt er kurz in welches Zimmer er soll, bevor sein Blick auf seine Füße fällt. Auch ich blicke runter und sehe erstaunt, dass er barfuß unterwegs ist. Seine Füße sind ganz schmutzig und hier und da sogar blutig. Dann führt er mich Richtung Küche und die anderen folgen uns.
 

Wir setzen uns an den Küchentisch, während Katsuya einerseits Teewasser aufsetzt, andererseits ein wenig Milch erwärmt. Dann kommt er mit dem frisch aufgebrühten Tee, sowie zwei Tassen Schokolade zurück. Eine stellt er vor mich, die andere vor meinen großen Bruder. Seto schmunzelt wieder und nimmt dann einen Schluck von der Schokolade. Ich tu es ihm gleich. Nehme einen großen Schluck aus meiner Tasse und genieße den Geschmack der Zartbitterschokolade.
 

Dann frag ich Seto, was ihm am alten Schlafzimmer dieses Monsters so viel Angst gemacht hat, dass er nicht anders konnte, als wegzulaufen. Er schaut mich mit großen Augen an und sagt, dass es nicht das Zimmer an sich ist, das ihm Angst macht, sondern dass, was sich darin befindet und wovon Katsuya vorhin einen kleinen Teil gesehen hat.
 

Fragend schaue ich zu dem Blonden, der kurz traurig und tief getroffen in seinen Teebecher schaut, bevor er eine Hand auf Setos Unterarm legt. Sanft streichelt der Blonde meinen Bruder und mein Bruder lächelt ein weiteres Mal, während er seine Hand auf die seines Freundes legt. Eine große Träne löst sich aus dem Auge meines Bruders und gerade als sie über die Wange rollen will wisch ich sie vorsichtig fort. Er schaut mich an.
 

Ohne irgendetwas voran zu stellen oder einleitende Worte offenbart mir Seto, dass Gozaburo die meisten Übergriffe mit versteckten Kameras aufgezeichnet hat. Ich bin völlig fassungslos und schau meinen großen Bruder mit offenstehendem Mund an, der weitererzählt. Mir erzähl, wie dieses Monstrum ihn hin und wieder zwang bestimmte Aufnahmen anzuschauen, um ihn zu demütigen oder zu bestrafen. Erklärt aber gleich auch, dass die meisten Aufnahmen als Versicherung und Druckmittel erstellt worden waren. Damit er sich gegen seine Komplizen absichern und bei Geschäftsverhandlungen eine bessere Position erpressen konnte.
 

Moment mal… Geschäftsverhandlungen mit dem eigenen Vorstand? Seto senkt seinen Blick auf seine Tasse mit der Schokolade, während seine Stimme kaum mehr als ein brüchiges Flüstern darstellt. Ich muss mich anstrengen, um ihn zu hören und als er fertig ist, wünsche ich mir… dass ich nicht so klein und machtlos wäre. Es war also nicht nur Gozaburo, der Vorstand und Keizo, die ihn vergewaltigt haben… Gozaburo hat ihn auch noch anderen Männern – "Geschäftspartnern" – angeboten… eben um heimlich diese Videos zu machen und diese Männer in der Hand zu haben.
 

Immer wenn ich denke, dass ich endlich voll im Bilde bin erfahre ich etwas Neues, was mir den Teppich unter den Füßen wegzieht und mir das Gefühl gibt, dass ich falle. Wie muss sich da erst Seto fühlen, der das alles erlebt hat? Ich schlinge meine Arme erneut um ihn und ziehe ihn eng an mich. Langsam legt auch er seinen Arm um mich und versenkt sein Gesicht an meinem Hals. Ich kann die Feuchtigkeit von Tränen spüren und ich schiebe eine Hand in sein Haar.
 

Einerseits bin ich völlig entsetzt von dem, was ich heute erfahren habe. Andererseits… hat Seto nicht versucht es vor mir zu verheimlichen und mich mit irgendeiner Ausrede abzuspeisen… er nimmt mich wohl endlich für voll und bezieht mich ein… Ich hätte nie gedacht, dass wirklich mal zu erleben.
 

Nach einer ganzen Weile lösen wir uns wieder von einander und er lächelt mich dankbar an. Das verwirrt mich, denn ich wüsste nicht, was ich getan habe, wofür mein großer Bruder dankbar sein muss. Ich sitze doch nur hier und höre mir an, was er mir erzählt. Dann steht Katsuya langsam auf und legt eine Hand auf Setos Schulter und meint, dass es ein langer und anstrengender Tag war und sein Drache – er nennt ihn wirklich so – etwas Ruhe braucht.
 

Langsam steht Seto auf, schaut in die Runde und umarmt mich noch mal herzlich. Dann entschuldigt er sich bei allen für sein Verhalten und die Unannehmlichkeiten, die er verursacht hat. Isono steht auf und geht zu ihm. Schüttelt den Kopf. Versichert ihm, dass er sich keine Gedanken machen muss. Das genau dafür doch eine Familie da sei… um einen aufzufangen, wenn man einen nicht ganz so guten Tag hat.
 

Dann nickt Seto kraftlos und blickt zu Keizo. Dieser ist auch aufgestanden und steht etwas abseits. Auch bei ihm entschuldigt sich Seto noch einmal dafür, dass er ihm den Nachmittag mit seiner Tochter kaputt gemacht hat. Doch Keizo winkt nur peinlich berührt ab und meint, es gibt nichts, wofür sich Seto entschuldigen muss. Und dann… geht Seto zu ihm und umarmt ihn.
 

Ich kann das nicht verstehen. Klar, Seto hat am Samstag mein wenige Stunden altes Bild von Keizo zurechtgerückt, aber das er ihn trotz allem, was gewesen war, so umarmt… dass ist für mich eine Unvereinbarkeit. Wenn es für mich schon so schwer ist, dass gedanklich auf die Reihe zu kriegen, wie muss das erst für Seto sein?
 

Dann lässt sich mein großer Bruder von Katsuya aus der Küche führen. Ich bleibe mit Isono und Keizo zurück. Wo… wo ist denn eigentlich Honda abgeblieben? Er ist vorhin mit vor die Tür getreten, das weiß ich. Dann sind wir an ihm vorbei, als mich Seto wieder ins Haus geführt hat, aber er ist nicht mit in die Küche gekommen. Katsuya ist als letztes in die Küche nachgekommen… kann es sein, dass der Blonde seinen besten Freund verabschiedet und nach Hause geschickt hat? Ich hab mich gar nicht bei Honda dafür bedankt, dass er mir beigestanden hat. Noch etwas, auf meiner to-do-Liste, dass ich tun sollte.
 

Mein Blick fällt wieder auf Keizo, der sich leise und drucksend verabschiedet und die Küche verlässt. Dabei meidet er den Blick zu mir. Es wird Zeit, dass ich etwas von meiner to-do-Liste abarbeite, nicht weil es drauf steht, sondern weil Keizo es verdient. Also eile ich ihm nach und schieb mich vor ihn, gerade als er nach der Haustür greifen möchte. Verwundert blickt er mich an.
 

Ich schiebe ihn ein wenig von mir zurück, dann verbeuge ich mich tief und bitte ihn für mein voreiliges Urteil um Verzeihung. Sage ihm, dass Seto mir mittlerweile gesagt hat, wie es wirklich war und mir meine Worte, die ich Freitagnacht Keizo an den Kopf geworfen habe, leidtun.
 

Da spüre ich plötzlich Keizos Hände an meiner Schulter, wie er mich aus der Verbeugung zieht und wieder aufrichtet. Er blickt mich mit Schmerz und Bewegtheit. Er sagt mir, dass es nichts zu verzeihen gibt und das Seto nicht nur mir den Kopf gewaschen hat. Auch ihm hat er am Vortag ordentlich eingeschenkt und sein Blick auf alles zurechtgerückt. Er offenbart mir, dass mein Bruder ihm verziehen hat.
 

Überrascht davon, dass Seto ihm vergeben hat, blicke ich an ihm vorbei und sehe an der oberen Brüstung Seto mit Katsuya stehen. Seto lächelt mich sehr stolz an und nickt. Ich schlucke… wenn… wenn mein Bruder diesem Mann verzeihen kann, wer bin ich dann, dass ich nachtragend bin.
 

Ich trete also bei Seite und sage Keizo, dass ich ihn dann Sonntag zusammen mit seiner Frau Megumi zum Training erwarte. Er lächelt mich zaghaft an und nickt schließlich. Dann verlässt er das Haus und Katsuya bringt Seto weiter Richtung ihres Zimmers. Da tritt Isono auf mich zu, legt mir beide Hände auf die Schulter und meint, dass er sehr stolz auf mich ist und diese Entschuldigung ein großer Schritt Richtung Erwachsenwerden gewesen sei. Dann nimmt er mich in den Arm und drückt mich fest an sich.

Einen Schritt zurück, um nichts zu bereuen

Als mich Katsuya die Treppen hinauf führt und wir den oberen Treppenabsatz erreichen bleib ich kurz stehen. Ich blicke in die Richtung des Schlafzimmers, welches ich so mühevoll hinter einem Regal für immer verstecken wollte. Das Regal steht wieder ordentlich an seinem Platz und ist genauso eingeräumt, wie immer.
 

Dann führt mich Katsuya in die andere Richtung… dort wo unser Zimmer liegt, als unten erst Keizo zur Haustür strebt und dann von Mokuba eingeholt wird. Mokuba entschuldigt sich in aller Form bei Keizo für sein voreiliges Urteil über ihn. Meine Brust schwellt vor Stolz an und am liebsten würde ich jetzt die Treppe wieder hinunter laufen und Mokuba in meine Arme schließen. Wie erwachsen er doch geworden ist.
 

Keizo reagiert genau so, wie ich es von ihm kenne: Mit Güte und Wohlwollen. Dann erzählt er Mokuba davon, dass ich ihm gestern den Kopf zurechtgerückt und ihm vergeben habe. Überrascht blickt mein kleiner Bruder zu mir hoch und ich nicke ihm zu, damit er weiß, dass es wirklich so ist. Dann spüre ich, wie Katsuya den Weg mit mir fortsetzen möchte und ich lasse mich von ihm führen.
 

Als wir an unserem Zimmer ankommen öffnet Katsuya die Tür und lässt mich zuerst eintreten. Ich bin total K. O. und fühle mich müde und erschöpft. Mir tut alles weh und ich spüre Muskeln, deren Existenz ich nicht einmal geahnt habe. Alles was ich will ist mich ins Bett legen und schlafen. Doch statt zum Bett zieht mich Katsuya zum Badezimmer.
 

Im Badezimmer setzt er mich auf den Schemel, auf dem man normalerweise sitzt, wenn man sich wäscht, bevor man in die Badewanne steigt. Er geht vor mir in die Knie und beginnt mich auszuziehen. Ich will schon aufbegehren, dass ich kein kleines Kind mehr sei… doch ich kneif es mir. Einerseits, weil mein Verhalten heute alles andere als erwachsen war. Anderseits, weil ich es irgendwo genieße, dass sich mein blonder Streuner so um mich kümmert.
 

Nachdem ich dann völlig nackt auf dem Hockerchen sitze steht er auf und lässt in den kleinen Holzeimer warmes Wasser laufen, nimmt einen unserer Schwämme und beginnt mich zu waschen. Erst jetzt spüre ich den ganzen Dreck auf meinem Körper: Der Schweiß vom Laufen, der Staub und der Sand vom Spielplatz, die Hitze des Tages, obwohl es erst Mai ist.
 

Vorsichtig wäscht mich Katsuya mit dem Schwamm, seift mich ein und spült den Schaum Kelle für Kelle mit dem Wasser aus dem kleinen Eimer ab. Das Wasser rinnt über meinen Körper und verschwindet im Bodenabfluss. Dann steht Katsuya auf, füllt den Eimer mit frischem Wasser und lässt mich dann den Kopf weit in den Nacken legen. Dann macht er mir auch die Haare nass und wäscht sie. Als letztes, nachdem er das Shampoo aus meinem Haar gespült hat und hinter mir kniet wäscht er mir meinen vernarbten Rücken. Ich lasse ergeben den Kopf nach vorne sacken, so dass er mit dem Kinn auf meiner Brust ruht.
 

Schließlich legt sich von hinten ein großes Handtuch um meine Schulter, während mein Streuner wieder vor mich krabbelt. Er hat den Erste-Hilfekasten in der Hand und hebt dann einen meiner Füße hoch. Fachmännisch begutachtet er die Blasen, Abschürfungen und kleinere Verletzungen. Da wo es notwendig ist sprüht er Desinfektionsmittel drauf, anderswo trägt er eine Heilsalbe auf. Am Ende bandagiert er mir den Fuß vorsichtig. Mit dem anderen Fuß verfährt er ebenso.
 

Als er zu mir aufschaut lächelt er mich hinreisend an. Meint, dass ich erst einmal versorgt sei. Er hilft mir auf und schlingt das Handtuch etwas enger um mich. Dann führt er mich aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer zurück und setzt mich dort auf die Bettkante ab. Er will schon wieder weggehen, als ich ihn festhalte und zu mir ziehe. Müde lehn ich mich mit meinem nassen Haar gegen seine warme Brust. Kann sein Herzschlag aufgeregt pochen hören. Da kommt mir zum ersten Mal in den Sinn, was für ein unglaubliches Glück ich habe, dass so ein Mann sich von nichts, was er über mich erfahren hat, abschrecken lässt und nach wie vor an meiner Seite verweilt.
 

Ich blickte hoch und sehe, dass er mich wieder auf diese Art und Weise anlächelt, von der er scheinbar gar nicht weiß, wie hinreisend er damit aussieht. Er meint, dass er mir nur schnell frische Unterwäsche und Nachtwäsche holen will. Doch ich schüttle langsam mein Kopf und mein, dass das nicht notwendig ist. Dann setz ich mich ein wenig gerade hin, so dass das Handtuch von meinen Schultern rutscht und mich gänzlich entblößt.
 

Ich weiß nicht wieso, aber ich spüre, wie sich meine Wangen röten. Er hat mich schon oft nackt gesehen… immer dann, wenn wir uns gegenseitig erkunden oder wir duschen gehen. Aber das hier… das fühlt sich anders an. Wesentlich intimer und ich bin ein weiteres Mal darüber überrascht darüber, wie so etwas simples, wie nackt vor meinem Freund sitzen, sich so intim anfühlen kann.
 

Katsuya beugte sich zu mir herunter und küsst mich sanft. Ich schließe meine Augen und genieße diesen Kuss. Erst als der Kuss endet und ich meine Augen öffne stell ich fest, dass ich auf meinem Rücken auf dem Bett liege, Katsuya halb über mir und zwischen meinen Beinen liegt und mich verzückt anschaut. Auch fällt mir erst jetzt auf, dass mein Herz viel schneller als gewöhnlich schlägt.
 

Plötzlich purzeln aus meinem Mund Worte, von denen ich nicht glauben kann, dass ich sie wirklich laut sage. Worte, die kitschiger nicht sein können und dennoch meinen innersten Wunsch ausdrücken, der mir seit gut zwei Wochen bewusst ist: Lass es uns tun!
 

Erstaunt blickt Katsuya mich an, lächelt mich sanft an, während er mir über meine Wange streicht und dann… den Kopf schüttelt. Er… schlägt meine Bitte aus und alles in mir beginnt zu erstarren. Ich setz mich auf meine Ellenbogen auf und blicke ihn forschend und fragend an. Er setzt sich auf meinen Schoss, weil er wohl befürchtet, dass ich sonst gleich weglaufen würde… und diese Furcht ist berechtigt.
 

Die gesamten Gefühle, die mich zu diesen Worten getrieben haben, sind verschwunden. Was zurück bleibt ist Peinlichkeit und der Wunsch im Erdboden zu versinken. Doch Katsuya nimmt mein Gesicht zwischen seine Hände und zwingt mich, ihn anzuschauen. Er lächelt mich immer noch an und küsst mich kurz. Dann meint er, dass er nur zu gerne meinen Wunsch erfüllen wird, wenn die richtige Zeit gekommen ist.
 

Die richtige Zeit? Das klingt wie eine lausige Ausrede und ich kann mich nicht dagegen wehren, dass sich Enttäuschung in mir breit macht. Dass ich unter ihm und völlig nackt liege fördert die Scham, die zusammen mit der Enttäuschung aufsteigt. Dann spür ich, wie die erste Frustträne über meine Wange rollt.
 

Sanft streicht mir Katsuya sie weg und flüstert mir ins Ohr, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er mir diesen Wunsch erfüllen wird… aber nicht heute, nachdem meine Gefühle so eine wilde Achterbahn gefahren sind… denn er will nicht, dass ich morgen aufwache und irgendetwas bereue, was ich getan habe, als ich nicht völlig bei mir war.
 

Ich lehne mich an seine Brust und umschlinge ihn mit meinen Armen. Das Wissen, dass er Recht hat und das er das aus Liebe tut kann meinen Frust aber nicht stoppen. Also folgen der ersten Träne noch weitere. Katsuya schließt mich fürsorglich in seine Arme und krault mir Nacken und Haare, während ich mich meinem Frust ergebe.

Einen Schritt in die Vergangenheit

Diese Akte hab ich schon so oft in den letzten drei Jahren vor mir gehabt, dass ich jedes Detail auswendig kenne. Es ist eine Akte, die so viel Schmerz und Grauen in sich birgt, dass jeder meiner Kollegen, die mit mir daran gearbeitet haben, nach kurzer Zeit sich lieber in eine andere Abteilung haben versetzen lassen, als auch nur einen Tag länger daran zu sitzen.
 

Es ist die Akte über einen Mann,… nein… ein Monster, dass glaubt, dass es sich alles erlauben kann, nur weil es reich ist. Denn wann immer eines seiner Opfer den Mut hat ihn anzuzeigen kauft er sich dessen Schweigen und wir landen auf dem Bauch. Wer weiß, wie viele Opfer es tatsächlich gibt. Sicherlich haben sich einige auf Grund der Scham gar nicht erst gemeldet.
 

So wie dieser junge Mann: Kaiba Seto. Wir haben nur von ihm erfahren, weil wir bei der letzten Hausdurchsuchung bei diesem Mistkerl Fotos von ihm gefunden haben. Fotos, die einen der berühmtesten Stadteinwohner und erfolgreichsten Geschäftsmann seiner Generation in eindeutig sexualisierten Posen nackt zeigen. Und zwar, als dieser eindeutig jünger war. Eines der Fotos war datiert. Seine Entstehung liegt fast fünf Jahre zurück. Es war extrem abgegriffen… scheint ein Lieblingsfoto von diesem Scheißkerl gewesen zu sein.
 

Kann ich es da diesem jungen Mann verdenken, dass er sich so sträubt mit mir darüber zu sprechen? Wer weiß, wie lange er diesem Monster ausgesetzt war. So genau lässt sich das an Hand der Bilder nicht sagen. Bis auf dieses eine Datum haben die anderen nämlich keinen Zeitstempel gehabt. Sie zeigten Kaiba Seto als Kind und Jungendlicher… als Heranwachsender, mal alleine und manchmal war da noch ein älterer Junge bei ihm.
 

Vielleicht gehört Kaiba Seto aber auch zu jenen Opfer, die all ihre schrecklichen Erinnerungen genommen und bei Seite geschoben haben, damit sie weiterhin funktionieren können. Was, wenn seine abwehrende und ablehnende Haltung ein Resultat der Verdrängung sind? Nein… ich hab schon mit Opfern gearbeitet, die verdrängt haben. So kam mir der Oberschüler nicht vor.
 

Plötzlich spür ich die Wärme eines Pappkaffeebechers, der mir vor das Gesicht gehalten wird. Ich schaue hoch und sehe meinen neusten Partner vor meinem Schreibtisch stehen, wie er mir den Becher hinhält und mich anlächelt. Ich lächle zurück und nehme danken den Becher entgegen. Dann setzt er sich mir gegenüber und schaut mich enthusiastisch an. Oh ja, diesen Ausdruck haben sie alle am Anfang, wenn sie noch glauben, sie können etwas bewegen. Doch das ist das erste, was sie verlieren.
 

Doch scheinbar ist er nicht grundlos enthusiastisch. Denn er hält eine Akte vor seiner Brust und fragt mich dann, ob ich wisse, was das für eine Akte sei. Ich schüttle nur meinen Kopf und nippe dann an dem Kaffee, den er von meinem Lieblingsstand geholt hat. Er reicht mir die Akte und ich lege sie über die Akte des Monsters. Als ich sie aufschlage sehe ich das gleiche Foto, dass ich gestern in die Datenbank hochgeladen und meiner digitalen Fallakte hinzugefügt habe.
 

Kaiba Seto – in Schuluniform – mit kaltem, arrogantem Blick. Komisch, diesen Blick hatte er weder am Samstag, noch gestern. Sein braunes Haar fällt ihm über die Augen, als wolle er sich dahinter verstecken. Nun ja… auch wenn ich die Fotos aus dem Haus des Mistkerls nicht mehr habe, kann ich mich ganz gut daran erinnern, warum er sich vielleicht hinter seinen Haaren verstecken will.
 

Dann klapp ich das Bild hoch und mehrere Dokumente kommen zum Vorschein. Zuoberst ein Zeitungsartikel, der von einem Autounfall erzählt und dass bei diesem ein Paar ums Leben gekommen ist. Was hat dieser Unfall mit meinem Opfer zu tun? Ich überfliege den Artikel und bleibe an einer Stelle hänge, an der berichtet wird, dass das Paar zwei Kinder hatte: Seto – 8 Jahre – und Mokuba – 3 Jahre. Aber der Familienname ist anders.
 

Ich blättere auf die nächste Seite: Eine Seite aus der Akte des Jugendamtes, das protokolliert, wie zwei Kinder von einem Verwanden zum nächsten gereicht wurden, bis sie schließlich im Heim gelandet sind. Immer wieder dazwischen Anmerkungen von den Sachbearbeiterinnen. Die eine spricht davon, dass die ersten Vormünder sich das Vermögen der Kinder angeeignet haben und dann Änderungen 'in den Lebensumständen Probleme bei der Betreuung der Kinder' aufwarfen. Daher haben sie die Kinder dann weiter gereicht.
 

Die letzte Notiz spricht von körperlicher Gewalt gegen den älteren, der beiden Jungs. Der Vormund schildert Verhaltensprobleme und Aufmüpfigkeit des älteren Bruder – Seto – ihm gegenüber. Er würde nicht gehorchen und wäre höchst eigensinnig. Danach wollte kein Verwandter die Kinder mehr aufnehmen, so wurden sie in ein Heim gebracht. Ich zähle die Verwandten, bei denen sie waren: Sieben in drei Monaten. Ich schnaufe fassungslos. Im Schnitt waren es etwas weniger als zwei Wochen pro Station, bevor die beidem dann im Heim landeten. Heftig.
 

Als ich weiterblättere sehe ich die Kopie einer Adoptionsurkunde, zwei Jahre nach dem Tod der Eltern ausgestellt. Seto – 10 Jahre – und Mokuba – 5 Jahre – wurden von Kaiba Gozaburo adoptiert. So sind die beiden also an einen so einflussreichen Namen gelangt. Als ich weiterblättere liegt mir wieder eine Seite aus einer Jugendamtakte vor: Aus ihr geht hervor, wann die beiden aus dem Heim zu ihrem Adoptivvater gezogen sind. Hm… keine Adoptivmutter? Nein… wieder finde ich eine handschriftliche Anmerkung: Schach-Genie schlägt Wirtschaftsmagnat – Wunderkind?
 

Was soll das heißen? Die Antwort finde ich eine Seite weiter. Ein Zeitungsausschnitt der von dem Besuch des Wirtschaftsmagnat Kaiba Gozaburo in einem Kinderheim berichtet und wie er auf einem Rundgang von einem der Kinder heraus gefordert worden ist. Ich schau mir das schlechte Bild auf der Kopie des Artikels genau an. Das könnte mein Opfer sein, bevor sein Albtraum begonnen hat. Nicht weit davor, aber in seinen Augen sehe ich einen Glanz und den Ausdruck von kindlicher Unschuld.
 

In dem Artikel heißt es weiter, dass der Junge als Einsatz die Einwilligung des Kapitalisten forderte, dass er seinen kleinen Bruder und ihn adoptieren müsse, wenn er das Schachspiel gewinnen würde. Nur widerstrebend hätte der alte Kaiba der Herausforderung nachgegeben und dann beim Spiel verloren. Der Junge habe ihn in einem spannenden Spiel geschlagen, in dem er aber stets überlegen wirkte. Ein Mittvierziger unterliegt in einem Schachspiel einem Zehnjährigen. Man, dass muss den Alten echt gefuchst haben.
 

Ich blättere weiter und finde schließlich einen weiteren Zeitungsausschnitt, der vom Selbstmord des Alten erzählt und wie Seto mit 15 Jahren das Erbe antritt. Er feuert den gesamten Aufsichtsrat auf einmal und strukturiert dann die Firma – die vorher Kriegswaffen produziert hatte – um. Mein Blick fällt auf das Bild des Artikels, dass eine Gruppe von Männern zeigt… Moment mal… ich nehme meine Lupe zur Hand und schau mir das Bild genauer an. Die Bildunterschrift ist kaum zu entziffern, doch dann gelingt es mir doch und ich kann nicht glauben was ich erfahre:
 

Der Mistkerl war bis zu jenem Tag im Vorstand der Kaiba Corp und wurde von Seto rausgeworfen. Wenn das nicht eine direkte Verbindung ist… Danach folgen einige Zeitungsausschnitte und Magazinartikel über das Wunderkind der Wirtschaft: Kaiba Seto – eiskalter Geschäftsmann, Erfinder, Entwickler und Genie auf verschiedenen Sachgebieten.
 

Danach kommt eine Seite aus seiner Schülerakte: Einschulung in die Oberschule. Bestnoten in allen Fächern. Aber auch zahlreiche Anmerkungen, wie arrogant er selbst Lehrern gegenüber auftritt. Wie wenig Respekt er ihnen zollt. Dass er im Unterricht meist mit Laptop an etwas ganz anderem sitzt, aber bei Aufrufen stets die richtige Antwort parat hat. Er ist ein Einzelgänger. Einer seiner Lehrer hat sogar 'Psychopath?' an den Rand gekritzelt.
 

Hm… Oberschule? Aber wieso hab ich nichts von der Mittelschule oder der Grundschule seit der Adoption gelesen? Ich blättere noch einmal zurück, doch kann nichts von den beiden Schulformen finden. Als ich meinen Junior-Partner danach frage antwortet er nur mit einem Wort: Privatlehrer. Scheiße! Schulakten geben immer einen guten Einblick in die Psyche eines Opfers.
 

Dann macht mich mein Partner auf die letzten Seiten in der Akte aufmerksam. Also schlage ich zurück und finde wieder eine Seite aus einer Akte vom Jugendamt. Dieser kann ich entnehmen, dass Seto die Vormundschaft über seinen jüngeren Bruder nach dem Tod ihres Adoptivvaters beantragt hat und man versucht hat, ihm allerlei Steine in den Weg zu legen. Doch schlussendlich konnte Seto die Vormundschaft ergattern.
 

Verdammte Scheiße! Plötzlich wird mir klar, dass es Seto gar nicht um sich selbst geht. Er scheut die Zusammenarbeit aus Angst, dass man ihm die Vormundschaft aberkennen und Mokuba wegnehmen könnte. Auch wenn er das Opfer in dieser Angelegenheit ist könnte tatsächlich ein Beamter der alten Schule so verquer denken und das veranlassen.
 

Aber ich brauche Seto. Er ist das einzige, lebende Opfer von dem ich weiß, dass unempfänglich für Bestechung seitens dieses Monsters ist. Oder dieser andere, etwas ältere Junge… der könnte mir auch weiterhelfen, oder? Nein, sicherlich würde dieser auch für die Bestechungen empfänglich sein und mich als Zeugen hängen lassen. Verdammt… was sollen wir jetzt tun? Ich schau fragend zu meinem Junior-Partner… Der meint nur, dass da noch ein paar Seiten übrig seien.
 

Als ich weiterblättere und spüre, wie der Frust mir den Tag versauen wird, sehe ich wieder einen Zeitungsartikel mit einem großen Bild. Auf dem Bild beugt sich Seto über einen kleinen Tisch in einem Restaurant zu diesem blonden Jungen herüber, der sowohl Samstag, als auch heute nach der Schule bei ihm war, und küsst ihn. Die beiden sind ein Paar! Klar… sie hielten ja auch Händchen. Wieso ist mir das nicht gleich aufgefallen.
 

Ich blättere auf die letzte Seite, ein Artikel aus einer Wirtschaftszeitung, von vor zwei Wochen, die davon berichtet, dass Kaiba Seto als CEO zurück getreten ist und seiner langjährigen, rechten Hand die Geschäftsführung überantwortet hat. Seto würde sich in Zukunft wieder der Forschung und Entwicklung widmen. Doch in den letzten Absätzen steht, dass – wenn auch die Begründung für seinen Rücktritt logisch und nachvollziehbar wäre – ein Restzweifel bestehen bleibe, ob nicht doch seine Beziehung zu einem Mann ihn zu diesem Rücktritt gezwungen haben könnte.
 

Hm… langjährige, rechte Hand… und neuerdings in einer schwulen Beziehung… vielleicht kann ich bei einem von beiden ansetzen und mehr erfahren. Ich schlage die Akte zu, lehne mich lächelnd nach hinten und genehmige mir noch einen Schluck von meinem Kaffee… diese Akte war mehr als aufschlussreich und vielleicht schaff ich ja doch noch, dass Gespräch mit Seto zu eröffnen… vielleicht wenn ich ihm zusichere, dass am Anfang noch alles inoffiziell bleiben wird.
 

Zeit meine Freundin beim Jugendamt anzurufen. Vielleicht kann ich eine bindende Zusicherung vom Amt kriegen, dass, wenn er sich in dem Fall kooperativ zeigt, niemand versuchen wird ihm seinen kleinen Bruder wegzunehmen?
 

Das sind drei gute Ansätze, mal schauen, welcher zu einem Ergebnis führt.

Einen Schritt der Befreiung

Wieder ein Schultag rum. Endlich kann ich heim. Ich spute mich vom Klassenzimmer zu den Garderoben. Zieh meine Schulschlappen aus und schlüpfe in meine Turnschuhe. Gerade als ich mir die Schnürsenkel binde verpasst mir jemand von hinten einen Stoß und ich stolpere mit der Schulter voraus an die Garderobe. Schmerz durchzieht mich, da es nicht das erste Mal in der letzten Zeit ist, dass ich auf diese Schulter falle oder mit ihr gegen etwas stoße. Ich sehe kurz Sterne, verkneife mir aber mit einem Biss auf die Unterlippe ein Schmerzschrei.
 

Dann höre ich Getsus Stimme hinter mir. Hagiwara Getsu ist im gleichen Schuljahrgang wie ich und ist in der Parallelklasse. Er wird von vielen an der Schule gefürchtet, denn er ist der, der um die Ecke lauert und dich gezielt zu Boden schickt, nur um dir dein Mensageld abzuknöpfen. Manchmal denk ich, dass auch der ein oder andere Lehrer Angst vor ihm hat. Aber Getsu kann einem mit seiner Statur auch schon Angst machen, denn er ist größer als die meisten und hat bereits jetzt breite Schulter und einige Muskeln zu bieten.
 

Er ist nie alleine. Bei ihm sind seine zwei Anhängsel, die ihm immer nach dem Mund reden und keinen eigenen Gedanken haben: Asada Hideji und Okuda Kobo. Manchmal glaub ich, dass Getsu sie irgendwann mal um ihr Mensageld erleichtern wollte und ihnen eines zu fest auf die Rübe gegeben haben, so dass sie seit dieser Zeit an ihm kleben. Wenn einer von den beiden Mal einen eigenen Gedanken hätte würde er ihn niederschreiben und das Blatt Papier aus Angst vor Getsu aufessen.
 

Getsu war es, der im Februar das Coming Out von Seto dazu benutzt hat, mich aufzuziehen und lächerlich zu machen. Er hat praktisch die halbe Schule gegen mich aufgehetzt und die Spitznamen für mich vorgegeben. Mit der Zeit haben die anderen das Interesse daran verloren mich zu ärgern, doch Getsu und seine zwei Lakaien haben sich wie Bulldoggen an mir festgebissen.
 

Seit gestern hetzt er wieder die anderen Schüler gegen mich auf. Mit dem Bild von Isono, Katsuya, Seto und mir vor der Benefits-Veranstaltung. Wie hat er es gestern genannt: Der Club der Schwuchteln. Und so fragt er mich auch jetzt, für wen von den drei ich am liebsten auf die Knie gehe… sicherlich für meinen Bruder und das wir ja schon immer eine unheimliche Nähe gehabt hätten. Dann verpasst er mir einen Tritt gegen meinen Hintern und ich stolpere erneut nach vorne. Nur das ich mich dieses Mal nicht halten kann und auf die Knie falle.
 

Schon witzelt er weiter, dass das wohl meine Lieblingspose sei und ich mich ihm nicht so schamlos anbieten soll. Dass er nicht vom anderen Ufer sei und er mich echt ekelhaft findet, wie ich da rumkriech. Dann spuckt er mir ins Haar. Ich spring auf und will ihm eine reinhauen, doch er ist schneller. Seine Faust landet in meinem Magen und ich krümme mich hustend nach vorne.
 

Ein Schwanzlutscher, wie ich, kann ihm nicht das Wasser reichen, faucht er mich an, während er mich an meiner schmerzenden Schulter hochzieht und gegen die Garderobe donnert. Die anderen Schüler um uns kriegen davon – wie üblich – nichts mit. Nun ja, das ist nicht ganz richtig. Sie kriegen es schon mit, aber sie tun einfach so, als wäre alles in Ordnung. Sie ignorieren entweder aus Angst oder aus Ignoranz, wie ich gerade Prügel beziehe. Schon wieder. Elende Feiglinge!
 

Dann leert sich das Foyer und ich bleibe mit Getsu, Hideji und Kobo alleine zurück. Die beiden Speichellecker halten mich an den Armen fest, während Getsu noch einmal ein, zwei Schläge nachlegen will. Ich zerre an meinen Armen und versuche mich irgendwie zu befreien. Doch Hideji und Kobo sind zu stark für mich. Also hab ich gar keine andere Wahl als die Schläge einzustecken.
 

Getsu holt aus und… plötzlich steht Seto hinter ihm, hält seinen Arm auf. Erschrocken blickt Getsu ihn an und versucht sich energisch aus dem Griff meines großen Bruders zu befreien. Doch Fehlanzeige. Seto scheint ihn eisern festzuhalten, was mich überrascht. Woher nimmt er auf einmal die Kraft dafür?
 

Mit eisiger Stimme befielt er Hideji und Kobo mich loszulassen, was diese prompt tun. Dann fragt mein großer Bruder mit der gleichen Stimme, was hier los sei. Jetzt scheint Getsu aus seinem Schock wieder zu erwachen und schreit Seto an, dass er – als Schwuchtel – seine Drecksgriffel von ihm nehmen soll. Doch Seto legt nur seinen Kopf etwas schief und mustert ihn.
 

Dann nennt er ihn beim vollen Namen. Ebenso seine zwei Mitläufer. Und dann… dann meint er zu den dreien, dass er weiß, wo deren Eltern arbeiten. Doch Getsu lässt sich davon nicht beeindrucken. Dann fragt ihn mein Bruder, ob er gerne auf diese Schule geht oder ob er sonderlich versessen drauf wäre noch im Abschlussjahr der Mittelschule die Schule wechseln zu müssen.
 

Aber Getsu lacht nur spöttisch. Meint, dass die Lehrer ihn fürchten und nicht wagen werden, gegen ihn vorzugehen. Was Seto als schon groß machen will… Da bekommt Seto ein fieses Grinsen, was selbst mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Es ist ein Grinsen, welches ich schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in seinem Gesicht gesehen habe. Dann stößt er den Möchtegernschläger gegen die Garderobe und meint, er solle ihm die Mühe ersparen die Firmen, in denen seine Eltern beschäftig sind, zu kaufen, nur um sie dann wegen seinem Verhalten feuern zu lassen. Fragt ihn, was er wohl denkt, wie lange er noch auf dieser Schule bleiben wird, wenn seine Eltern ihr Haus verkaufen und in ein anderes Viertel ziehen müssen.
 

Der Arsch vom Dienst schaut meinen Bruder an. Versucht zu ergründen, ob er das ernst meint. Noch letztes Jahr hätte ich das mit einem klaren 'verlass dich drauf' geantwortet. Aber mein Bruder von heute ist längst nicht mehr das Arschloch, welches er bis Ende letzten Jahrs vorgegeben hat zu sein. Er hat sich geändert. Ist menschlicher geworden. Was ich Zuhause wirklich begrüße und schön finde, aber in der Berufswelt hat ihn das schon einiges gekostet.
 

Doch dann scheint Getsu etwas zu sehen, was ihm Angst macht. Er bittet kleinlaut um Entschuldigung und dass er mich nie wieder anrühren wird. Mein Bruder beugt sich ein wenig zu ihm und zischt ihm zu, dass das nicht reicht! Entsetzt sieht Getsu ihn weiterhin an. Wird bleich. Dann meint Seto zu ihm, dass er von jetzt an dafür sorgt, dass mir keiner mehr zu nahe kommt und es weder böswillige Gerüchte, noch irgendwelche Geschichte über Mokuba an dieser Schule geben wird. Getsu nickt heftig mit dem Kopf und für einen Moment hab ich Angst, dass ihm der Kopf runterfällt.
 

Dann löst sich Seto ein wenig von ihm und schaut zu mir. Fordert Getsu und seine Spießgesellen auf, sich bei mir zu entschuldigen. Alle drei verbeugen sich tief vor mir und entschuldigen sich. Scheiße… mein Bruder hat es immer noch drauf… er kann alleine mit seinem Blick anderen solche Angst einjagen, dass sie danach alles tun, was er will, nur damit er ihnen nichts tut.
 

Auf einmal merke ich, dass nicht nur Seto sich geändert hat. Früher hätte ich es genossen, dass die drei vor mir kriechen. Hätte den Spieß umgedreht und sie genauso behandelt, wie sie mich behandelt haben. Doch… tatsächlich ist es mir extrem unangenehm, dass sie jetzt so buckeln. Ich nehm also nur meinen Rucksack und frag Seto leise, ob wir gehen können. Er nickt, hält mir seinen Arm hin und legt mir, als ich zu ihm aufschließe, seine Hand in den Rücken.
 

Mein Bruder passt immer auf mich auf. Ist immer für mich da. Er ist mein Held.

Einen Schritt in SEINE Richtung

Mir war heute einfach danach Mokuba von der Schule abzuholen. Ich wollte mit ihm mal wieder etwas Zeit verbringen, vielleicht in eine Spielarkade gehen, was wir früher gelegentlich gemacht haben und etwas gegeneinander zocken. Das hat meinem kleinen Bruder früher immer großen Spaß gemacht. Ich hoffe nur, dass er daran noch Gefallen findet, wo er in den letzten Monaten so erwachsen geworden ist.
 

Ein kleines Schuldgefühl meldet sich wieder in meinem Inneren. Mir ist klar, dass Mokuba nur deshalb so schnell erwachsen geworden ist, weil ich und meine Vergangenheit ihn dazu gezwungen habe. Ja, ich habe mittlerweile verstanden, dass ich nichts dazu kann, was Gozaburo und all die anderen mit mir gemacht haben. Aber ich habe Katsuya Recht gegeben und aufgehört Mokuba davon fernhalten zu wollen. Und der Preis dafür war eben, dass mein kleiner Bruder, der eigentlich nichts anderes als Videospiele spielen und mit seinen Freunden Sammelkarten tauschen sollte, jetzt schon so erwachsen ist.
 

Also möchte ich mit ihm heute einen schönen Tag verbringen. Nur wir zwei - nicht dass Katsuya stören würde, aber abgesehen davon, dass er ohnehin arbeiten muss, braucht man als großer Bruder hin und wieder einfach mal Zeit für seinen Bruder. Wenn einer dafür Verständnis hatte, dann war es Katsuya, der selbst ein großer Bruder war.
 

So hab ich mich von Fuguta abholen und zu Mokubas Schule bringen lassen. Dort angekommen steig ich aus und bin an das Tor getreten als die Schulglocke ertönt. Keine Minute später öffnen sich die Türen der Schule und die Schüler und Schülerinnen wirken auf mich wie eine Flut. Doch nirgends kann ich Mokuba entdecken.
 

An mir laufen zwei Mädchen vorbei, von deren Gespräch ich nur ein Satz mitbekomme, nämlich, dass sie es eine Schande finden, dass niemand einschreitet und Mokuba zu Hilfe kommt. Mokuba zur Hilfe kommen? Sofort mach ich mich auf den Weg über den Schulhof zum Eingang der Schule. Als ich reinkomme höre ich eine wütende Stimme. Sie bezeichnet jemand als Schwanzlutscher und Schwuchtel. Als ich endlich die richtige Garderobenreihe finde sehe ich, wie zwei Schüler meinen Bruder festhalten, während ein Dritter sich vorbereitet auf ihn einzuschlagen.
 

Schnell überwinde ich die Distanz und fang die Faust, die in den Magen meines Bruder herab sausen soll, ab. Der Arsch versucht sich energisch aus meinem Griff zu befreien, doch ich halte ihn wie ein Schraubstock fest. Mir wird er sich nicht entziehen. Ich spüre das Adrenalin durch meine Adern fließen. Es belebt mich regelrecht und gibt mir einen ungeheuren Kraftschub.
 

Dann blicke ich zu den beiden, die Mokuba festhalten. Mit meiner 'Ich bin Kaiba Seto und du bist ein unwürdiges Nichts'-Stimme befehle ich ihnen meinen Bruder sofort los zu lassen. Prompt kommen sie meiner Forderung nach. Ich schein es immer noch drauf zu haben, stell ich überrascht fest. Also frag ich nach, was hier los ist. Doch da muckt wieder der Schläger auf und schreit mich an, dass ich Schwuchtel, meine Drecksgriffel von ihm nehmen soll.
 

Ich lege meinen Kopf schief und mustere den Möchte-Gern-Schwulenklatscher. Wo hat er nur so eine Wortwahl gelernt? Das ist ja traurig. Und diese traurige Gestalt macht also seit Monaten meinem Bruder das Leben zur Hölle? Wie kann ich das Mobben nur abstellen. Ihn zum Rektor zu schleifen wird nichts bringen, da bin ich mir sicher. Also kram ich in meinem Gedächtnis nach seinem Namen. Als Mokuba in diese Klasse kam hab ich 'recherchiert' und mir angeschaut, wer alles in seinem Jahrgang ist und aus welchen Verhältnissen sie stammen.
 

Hagiwara Getsu. Seine Eltern sind beide berufstätig und bei der gleichen Firma angestellt. Der Vater ist Schichtführer, seine Mutter die Sekretärin des Vorstandes. Das typische 'Wir haben uns bei der Arbeit kennengelernt'-Paar. Verdienen nicht schlecht, wieso hat dieser Braten dann keine Manieren? Also spreche ich ihn mit seinem Namen an, ebenso die anderen beiden, die eben noch meinen Bruder festgehalten haben, damit Hagiwara zuschlagen konnten. Auch diese stammen eigentlich aus gutbürgerlichen Familien. Warum machen sie also bei so einem Scheiß mit?
 

Um klar zu machen, dass das folgende ernst gemeint ist nenne ich die Firmen, bei denen ihre Eltern beschäftigt sind. Doch der kleine Wichser, den ich immer noch festhalte, scheint davon nicht sonderlich beeindruckt. Also frag ich ihn, ob er gerne auf der Schule ist oder ob er darauf versessen ist noch während des laufenden Jahrs die Schule wechseln zu müssen.
 

Da lacht der Drecksack spöttisch. Meint nur, dass die Lehrer ihn fürchten und nicht gegen ihn vorgehen werden. Ich spüre Wut in mir aufsteigen, dass Lehrer sich so etwas gefallen lassen. Doch nach Außen lass ich meine Wut nicht dringen. Ich beginne zu grinsen, denn mit seiner Argumentation beweist er mir, dass er keinen blassen Schimmer hat, worauf ich eigentlich hinaus möchte. Scheinbar macht ihm mein Grinsen angst, denn er wird plötzlich blass... gut so! Fürchte mich!
 

Ich stoße ihn gegen die Garderobe und sag ihm, er soll mir doch die Mühe ersparen, mit meinem unendlichen Vermögen die Firma aufzukaufen, in der seine Eltern beschäftig sind, nur damit ich diese dann entlassen kann. Aaah, da ist der Groschen der Erkenntnis ja endlich, als er versteht, worauf ich hinaus will. Dennoch verbalisiere ich - um auf Nummer sicher zu gehen - Pseudofrage an ihn, nämlich was er wohl denkt, wie lange er noch auf dieser Schule bleiben wird, wenn seine Eltern ihr Haus verkaufen und in ein anderes Viertel ziehen müssen.
 

Der kleine Penner blickt mich forschend an. Scheinbar will er heraus finden, ob ich es ernst meine. Ein kleiner Teil von mir hofft, dass er mich nicht ernst nehmen wird und ich meine Drohung dann umsetzen kann. Scheinbar hat er diese Hoffnung irgendwo aufgeschnappt, denn auf einmal bittet er kleinlaut um Entschuldung und verspricht mir, dass er Mokuba nie wieder anrühren wird. Enttäuschend. Irgendwie... Und da sich bei mir keine wirkliche Genugtuung einstellen möcht, beug ich mich zu ihm und zisch ihm zu, dass das zu wenig ist... das reicht einfach nicht als Buße.
 

Dann hab ich eine zündete Idee. Also fordere ich von dem aufgeblasenen Möchtegern, dass er in Zukunft dafür sorgen wird, dass niemand meinem Bruder mehr zu nahe kommt und es keine böswilligen Gerüchte mehr über Mokuba geben wird. Sofort nickt Hagiwara schnell und heftig. Ich lass ihn los und dann fordere ich alle auf, sich bei meinem Bruder zu entschuldigen. Das machen die drei sofort und ohne Gegenwehr. Moki scheint das irgendwie unangenehm zu sein.
 

Da merke ich erst, was ich getan habe. Ich... ich habe meine Machtposition dazu verwendet die drei dazu zu zwingen zu tun, was ich wollte. Auf einmal fühle ich mich unendlich schuldig und schmutzig. Es fühlt sich an, als hätte jemand mir eine Tonnenschwere Last auf die Schulter gewuchtet. Ich... ich bin wie ER! ER ist ein Monster und ich... ich auch!
 

Mokuba geht an seinen Mitschülern vorbei und fragt mich leise, ob wir gehen können. Ich nicke, halte meinen Arm einladen meinem Bruder entgegen und als er zu mir aufschließt, leg ich meine Hand in seinen Rücken. Wir verlassen gemeinsam das Schulgebäude, steigen in den Wagen und... eigentlich wollte ich mit ihm irgendetwas furchtbar ungesundes essen gehen und dann in die Spielhalle in der Arkade. Doch im Moment fühl ich mich nicht mal mehr stark genug aufrecht zu sitzen. Also fahren wir nach Hause.
 

Als wir zuhause ankommen umarmt mich Mokuba auf einmal und dankt mir erleichtert, während er mich fest drückt. Nur zögerlich erwidere ich die Umarmung. Dann steigt er aus und ich... bleibe noch sitzen. Blicke ihm hinterher. Wie... wie konnte ich so werden wie ER? Und wieso hab ich das nie bemerkt?

Einen Schritt ins rechte Licht

Ich will mich gerade auf den Weg zur Arbeit machen, als Mokuba ins Haus kommt. Komisch, dachte mein Drachen wollte ihn abholen und mit ihm einen schönen Nachmittag machen? Also geh ich zu Mokuba, der mich fröhlich begrüßt und irgendwie anders wirkt, als in den letzten Wochen. Wieder fröhlicher und mehr der Junge, den ich kenne. Als sei etwas Schweres von ihm genommen worden.
 

Dann frag ich ihn, ob er seinen Bruder verpasst hat. Er schaut mich mit großen Augen an und verneint. Dabei strahlt er mich regelrecht an. Dann erzählt er mir, was in der Schule geschehen ist und wie sein großer Bruder ihm diese Quälgeister vom Hals geschafft hat. Wow... geht es mir nur durch den Kopf. Das was Mokuba erzählt klingt wie der alte Seto, mit dem ich mir in der Schule ein Wortgefecht nach dem anderen geleistet habe.
 

Nachdem Mokuba mit seiner flammenden Erzählung fertig ist frag ich ihn, wo er Seto dann gelassen hat? Er blickt zur Haustür, die er angelehnt offen gelassen hatte und zieht die Stirn kraus. Niedlich, wie sich da eine kleine Denkerfalte bildet, doch dann legt sich eine Sorge über sein Gesicht. Ich frag ihn, was los ist. Doch er läuft bereits wieder zur Haustür und ich folge ihm.
 

Unten an den drei Stufen der Eingangstreppe steht immer noch das Auto, mit dem Mokuba wohl nach Hause gekommen ist. Dann steigt Fuguta aus dem Wagen. Komisch, normalerweise parkt er das Auto doch in der Garage weiter vorne. Warum steigt er also jetzt aus und lässt den Wagen stehen. Er kommt die paar Stufen zu uns hoch und wendet sich direkt an mich. Meint, dass irgendetwas mit meinem Drachen nicht stimmt.
 

Ist Seto etwa in dem Wagen? Ich schau zu Mokuba und sag ihm, dass ich etwas zum Essen vorbereitet habe und er doch schon mal anfangen soll, bis sein großer Bruder nach kommt. Dann nehm ich die Treppe nach unten und steige hinten in das Auto an. Da sitzt tatsächlich mein Drache und stiert nur seine Hände an. Als ich versuche ihn anzusprechen reagiert er nicht.
 

Vorsichtig lege ich meine Hand über seine und auf einmal scheint er aus seiner Starre zu erwachen. Er blickt mich an und ich kenne diesen Blick von ihm schon. Diesen Blick bekommt er immer, wenn er denkt, dass er Gozaburo ähnelt, also leg ich meine zweite Hand an seine Wange und zieh ihn sanft zu mir.
 

Plötzlich murmelt er, dass er ein Monster sei. Ein Monster wie ER... ich weiß schon von wem er spricht. Sanft schieb ich meine Hand in sein Haar und verneine. Sag ihm, dass er für seinen Bruder ein Held ist, weil er ihn endlich von dieser Geisel befreit hat. Er blickt mit tränennassen Augen zu mir auf. Zweifelnd. Ich lächle ihn nur an und nicke.
 

Mein Drache stottert nur, dass er seine Macht benutzt habe, um diese drei Querulanten dazu zu bringen etwas zu tun, was sie nicht wollten. Das wäre doch genau das gleichen, was Gozaburo mit ihm gemacht habe. Ich schüttle sanft meinen Kopf. Erkläre ihm, dass es einen Unterschied gibt zwischen ihm und diesem Mann: Während Gozaburo es nur gemacht hat, weil er meinen Drachen demütigen und erniedrigen wollte, hat mein Drache es getan, um jemanden zu beschützen, den er über alles liebt.
 

Wieder schaut er zu mir auf und fragt mich, ob die Motivation wirklich ausreicht? Immerhin habe er sich ganz ähnlicher Methoden bedient, wie einst Gozaburo. Ich lächle ihn wieder sanft an und meine, dass Seto diese Jungs nicht unter Druck gesetzt habe, um sie leiden zu lassen und sich selbst daran zu ergötzen. Er wollte einfach seinen Bruder beschützen und diese Drecksäcke in ihre Schranken verweisen. Da wäre es schon okay, wie er gehandelt hat, denn anders kommt man solchen Kids nicht bei.
 

Immer noch seh ich in seinen Augen einen Zweifel, doch er lächelt mich langsam und zaghaft an. Dann drückt er sein Gesicht gegen meine Brust. Atmet tief ein und beginnt endlich sich zu entspannen. Sanft streichle ich ihm über den Rücken und lege meinen Kopf auf sein Haar. Halte ihn fest, denn das braucht er jetzt einfach. Die Gewissheit, dass ich da bin und ihn halte. Dass er bei mir jederzeit Schutz und Geborgenheit finden kann.
 

Nach einem langen Augenblick setzt er sich wieder auf und schaut mich an. Dann schiebt er sich wieder zu mir und legt seine Lippen auf meine. Ich schließe genießerisch die Augen, während mein Daume über seine Wange streicht, während die zweite Hand ihn näher zieht. Hm... ich weiß es klingt kitschig, aber die Lippen meines Drachens schmecken nach Erdbeeren.
 

Als unser Kuss endet lächle ich ihn einfach glücklich an. Denn in diesem Moment, in dem Seto noch die Augen zu hat und von dem Kuss einfach hin und weg ist, sieht er unglaublich verführerisch aus. Und wäre die Situation anders, dann würde ich ihn jetzt ins Schlafzimmer ziehen und hemmungslos mit ihm ein wenig Bettsport treiben. Doch die Situation ist nicht anders und Seto ist noch lange nicht soweit, um bis zum Äußeren zu gehen, auch wenn er das anders sieht.
 

Ich möchte, dass unser erstes Mal etwas ganz Besonderes wird. Romantisch. Sinnlich. Schön. Es soll nicht wie bei den meisten ersten Male sein, wo beide nicht genau wissen, wie was funktioniert. Ich werde meinen Drachen ganz behutsam dahin bringen und sein erstes Mal zu etwas Besonderem machen. Zu etwas unvergesslichem.
 

Da spüre ich in meinem Bauch ein Kribbeln. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass mich der Gedanke an den Sex mit Seto nicht irgendwo nervös machen würde. Weniger, weil ich Angst vor dem Sex an sich habe. Ich hatte schon Sex... weiß, wie beängstigend es bei den ersten Male sein kann. Bei mir und meinem damaligen Freund hat es ein paar Anläufe gebraucht, bis ich mich dabei entspannen und es genießen konnte.
 

Doch das wird bei Seto anders sein. Wir haben da ja mal ausgelotet, welche Stellung ihm zu sagen würde. Dabei haben wir rausgefunden, dass ich wohl auf seinem Schoss sitzen werde und er in mich eindringt. Ehrlich - damit hab ich kein Problem. Irgendwo freu ich mich darauf auch schon... aber dennoch ist da diese Nervosität... Ich will nichts falsch machen.
 

Dieses Mal trage ich die Verantwortung für Seto, die sein sexuelles Leben für immer prägen wird. Stell ich mich zu dusselig an, könnte es sein, dass Seto Sex als... lästig oder unangenehm abtut. Es muss für ihn einfach ein überwältigendes und schönes Erlebnis werden. Eines, wonach er den Spaß am Sex, den man damit haben kann, erkennt und es gerne tun will.
 

Uffz... auf einmal hab ich das Gefühl, dass hier im Wagen die Temperatur gestiegen ist. Ist... ist das Schweiß auf meiner Stirn? Mein Herz flattert aufgeregt. Und genauso sind meine Handinnenflächen auf einmal feucht.
 

Jetzt ist es Seto, der seine Hand an meine Wange legt und mich fragt, ob alles in Ordnung mit mir sei. Ich nicke und grinse, um seine Sorge zu zerstreuen. Er mustert mich ausgiebig und prüfend. Ich schraub mein Grinsen zu einem Lächeln zurück und lehn meine Stirn an seine. Mein nur, dass es nichts Wildes ist... nur etwas was mir gerade klar geworden ist.
 

Dann steig ich aus dem Auto und zieh meinen Drachen hinterher und zurück zum Haus. Er fragt mich, ob ich nicht zur Arbeit muss. Ich wink ab und mein nur, dass ich anruf und sag, dass ich heute nicht komme. Insgeheim denk ich mir nur, dass ich mit meiner Nervosität mehr kaputt machen, als meinem Chef helfen würde. Erleichtert lächelt mein Drache mich dann an und küsst mich noch einmal sanft.

Einen Schritt in den Alltag eines CEO

Ich massiere mir die Nasenwurzel und schaue aus dem Fenster des Besprechungsraum, während an dem Tisch hinter mir sieben Abteilungsleiter sich gerade darüber zanken, wer für welche Investition am ehesten Geld bekommen sollten. Dass sich Erwachsene zu Kindergartenkinder zurück entwickeln, wenn man ihnen Geld in Aussicht stellt hätte ich eigentlich wissen müssen.
 

Seto-sama hatte das immer ganz gut im Griff. Immerhin hat er diesen jährlichen, firmeninternen Wettbewerb vor drei Jahre ins Leben gerufen. Alle Abteilungen können sich bewerben und ihren Sonderbedarf anmelden, müssen ihn aber begründen, warum ausgerechnet ihre Abteilung ausgewählt werden soll, um den Extraetat bewilligt zu bekommen. Sieben Abteilungen hatten es in die engere Auswahl geschafft. An diesem Punkt hat Seto-sama sie immer diskutieren lassen, bis sich diese sieben Abteilungen einigten, wer das Geld bekommen soll. Bei ihm waren diese Diskussionsrunden immer recht sachlich und in einem gemäßigten Ton geblieben.
 

Ganz anders als es jetzt bei mir ist. Die Abteilungsvertreter schreien sich an, beschimpfen sich teilweise sogar als borniert und ignorant und wollen ihre Abteilung mit aller Macht zum Sieg prügeln. Das Moderieren hab ich bereits vor einer viertel Stunde aufgegeben. Wie hat Seto-sama sie nur gebändigt? Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Sie hatten Angst vor ihm. Er war ein strenger, fordernder Chef, der keine halbherzige Leistung geduldet hat und schon gar nicht so ein Auftreten. Sie wussten, wenn sie sich so vor ihm aufführen würden, wären sie die längste Zeit bei Kaiba Corp angestellt gewesen.
 

Es ist nicht so, dass mich die Herrschaften nicht respektieren würden. Das tun sie. Aber sie haben vor mir keine Angst. Die Frage ist doch jetzt: Sollte ich das ändern oder nicht und kann ich ihr Verhalten in die gewünschte Form bringen ohne das sie mich fürchten? Wieder schreit die Personalabteilung quer über den Tisch und bezichtigte die Lohnbuchhaltung, der Insubordination.
 

Es wird mir zu bunt und ich schlage mit der flachen Hand auf den Tisch. Das so entstanden Geräusch würgt auf der Stelle jede Diskussion ab und die Vertretung der Personalabteilung, die sich halb über den Tisch gebeugt hat, setzt sich langsam wieder. Alle schauen mich geschockt an. Ich sehe sogar einen Funken Angst. Komisch… wenn sie früher Seto-sama so angeschaut hatten, hat mich der Ausdruck in ihrem Gesicht nie gestört. Aber jetzt, wo sie mich so anschauen… stört es mich. Ich möchte nicht mit Furcht und Angst diese Firma leiten.
 

In ruhigem Ton, der kaum lauter ist, als bei einer normalen Konversation, bei der ich meinem Gesprächspartner sehr, sehr nahe sitze, informiere ich die Teilnehmer dieser Diskussionsrunde, dass der nächste, der seine Stimme über die Maßen erhebt, damit seine Abteilung disqualifiziert. Fragend blicken sich die sieben nun gegenseitig an, dann nicken sie. Das Gespräch geht weiter und scheinbar… ist ein zivilisierter Umgang miteinander doch möglich.
 

Doch dann sagt die Lohnbuchhaltung etwas, was der Personalabteilung nicht passt und sich wieder über den Tisch stemmen lässt, um im Eifer laut ihren Vorwurf der Insubordination zu wiederholen. Die Lohnbuchhaltung lässt sich vom Eifer mitreisen, stemmt sich auch auf und kontert lautstark. Ich grinse. Das ist wie im Kindergarten. Demnach sind das hier Kinder. Kinder brauchen Grenzen und Konsequenzen. Wenn sie nur einmal merken, dass man bei der Androhung einer Strafe blufft lassen sie sich davon nie wieder beeindrucken. Also schick ich Lohnbuchhaltung und Personalabteilung zurück zu ihren Kollegen. Sie sind raus aus dem Rennen.
 

Bleiben noch fünf. Da ertönt die Sprechanlage. Die drücke den Empfangsknopf und die Stimme meiner Assistentin ist zu hören, die mich davon in Kenntnis setzt, dass mein 16.00 Uhr-Termin gerade eingetroffen ist. Ich schau auf meine Armbanduhr und stelle entsetzt fest, dass dieser Kindergarten schon zwei Stunden geht. Ich sag ihr, dass ich gleich komme und stehe auf.
 

Die fünf Vertreter der übrigen Abteilungen stehen auf und ich schau sie kritisch an. Frage, wohin sie wollen. Verdutzt schauen sie sich gegenseitig an und dann zu mir, bevor sie sagen, dass das Gespräch sicherlich vertagt ist, wenn ich jetzt weg muss. Oooh nein, ich werde nicht noch einen Termin damit verschwenden Kinder beim Streiten zuzuhören. Also sag ich ihnen, dass sie schön hier bleiben und weiter diskutieren.
 

Damit geh ich an ihnen vorbei und lege meine Hand auf die Türklinke. Bevor ich sie herunter drücke und öffne, drehe ich mich nochmal zu ihnen um. Ich erinnere sie noch einmal an die neue… an MEINE Regel. Wer schreit, disqualifiziert sich und seine Abteilung. Dann deute ich zur Überwachungskamera und meine, dass ich mich jederzeit davon überzeugen kann, wie hier der Tonfall ist. Sie schauen mich mit großen Augen an. Hm… ich denke etwas Furcht und Angst kann nicht schaden, bis sie gelernt haben, dass in meinen Besprechungen nicht geschrien wird. Somit verlasse ich den Raum.
 

Eine Minute später komme ich vor meinem Büro an, in dessen Vorzimmer eine Frau Mitte dreißig sitzt, deren Haar gepflegt hochgesteckt ist. Als sie mich sieht steht sie sofort auf und neigt zur Begrüßung ein wenig ihren Kopf. Detective Nagasato ist mir noch ein Begriff von Samstagvormittag, als sie in die Villa von Seto-sama kam und ihm Bilder zeigte, die so nicht existieren sollten. Ich grüße sie zurück und bitte sie in mein Büro.
 

In meinem Büro bitte ich sie auf der Couch Platz zu nehmen und frage sie, ob ich ihr etwas zu Trinken anbieten darf. Sie bittet mich um ein Wasser und ich hol ihr aus dem Schrank eine kleine Wasserflasche, die ich mit dem Öffner entkrone und mit einem gekühlten Glas kehre ich zu ihr zurück. Ich stelle das Glas auf einen Untersetzer und fülle es zur Hälfte, bevor ich die Flasche neben das Glas stelle.
 

Sie dankt mir und nimmt einen Schluck. Derweil frage ich sie, was mir ihren Besuch beschert. Detective Nagasato schaut mich einen langen Augenblick an und mustert mich ausgiebig. Es scheint ein wenig, als wolle sie prüfen, welche Strategie bei mir wohl am Ehesten zum Erfolg führt. Schließlich richtet sie ihr Wort an mich und fragt mich, in welcher Beziehung ich zu Seto-sama stehe. Jetzt mustere ich sie. Natürlich hab ich nach der Begegnung am Samstag Erkundigungen über die Frau eingeholt.
 

Detective 2nd Grade Nagasato Yuki, 34 Jahre alt, Studium in Kriminologie, sowie in Psychologie, Ausbildung an der Polizeiakademie, hat sich in Rekordzeit ihre goldene Dienstmarke und den Rang des Detective erarbeitet. Ihre Dienstakte ist makellos, glänzt durch vier Belobigungen, zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich für die Opfer einsetzt und hartnäckig an jedem Fall arbeitet, den man ihr zuweist. Sie hat eine recht hohe Aufklärungsquote… der einzige Fleck, der ihr die Quote versaut, ist der Fall von Daimon Kogoro.
 

Auch diese Akte hab ich mir angeschaut und festgestellt, dass ich nicht der Erste war, der sich in das System des Polizeireviers eingehackt hatte. Ich kann mir schon vorstellen, wer die Person vor mir war. Aber das tut jetzt nichts zur Sache. Die Akte von diesem Mann… hat es mir kalt den Rücken runter laufen lassen. Er hinterlässt eine Spur der Zerstörung, kein Wunder, dass Detective Nagasato diesen – ihren – weißen Wal zur Strecke bringen möchte.
 

Also beantworte ich ihre Frage: Ich habe mich seit Seto-samas Kindheit um ihn gekümmert. Wir stehen uns nah. Tatsächlich sehe ich in ihm einen Teil meine Familie, die ich um jeden Preis beschützen werde. Sie lächelt mich – scheinbar erleichtert – an und sagt, wie froh sie sei, dass zu hören, denn sie braucht meine Hilfe. Ich neige neugierig den Kopf und bitte sie, mir das auszuführen.
 

Detective Nagasato kommt direkt zum Punkt und erklärt mir ihre Situation: Sie kann Daimon Kogoro nicht Ding fest machen. Jedes Opfer, dass es gewagt hat, diesen Mann anzuzeigen hat wenig später die Anzeige wieder zurück gezogen. Bei Nachforschungen entdeckte sie, dass den Opfern immer eine enorm hohe Summe zuteil geworden war. Sie vermutet, dass Daimon Schweigegeld in Verbindung mit einer Veschwiegenheitsvereinbarung zahlte.
 

Ich zucke mit der Schulter und blicke sie fragend an. Was erwartet sie nun von mir? Sie beugt sich ein wenig mehr zu mir, als wolle sie vermeiden, dass uns irgendwer belauscht. Eröffnet mir, dass Seto-sama ihre Hoffnung sei dieses Monster endlich aus dem Verkehr zu ziehen. Ich blicke sie nachdenklich an. Warum ausgerechnet Seto-sama ihre letzte Hoffnung ist, will ich wissen. Und dann eröffnet sie mir, dass Seto-sama durch seinen Reichtum nicht bestechlich ist. Wenn er eine Anzeige gegen Daimon aufgeben würde, könnte dieser Drecksack – meine Worte, nicht ihre – sich nicht mehr mit Geld freikaufen. Er würde vor Gericht landen und wenn sie bedenkt, was sie auf den Bildern gesehen habe, würde der Mann einfahren.
 

Sie setzt sich wieder etwas gerader hin. Meint zu mir, sie weiß, wieso Seto-sama sich bislang sträubt. Sicherlich denkt sie, dass er aus Scham nicht kooperiert. Doch dann überrascht sie mich und eröffnet mir, dass sie versteht, dass Seto-sama unter gar keinen Umständen Gefahr laufen möchte, dass Sorgerecht für Mokuba zu verlieren. Die Dame hat ihre Hausaufgaben gemacht und ich verstehe langsam, wieso sie vier Belobigungen in ihrer Akte hat.
 

Dann eröffnet sie mir, dass sie mit einer befreundeten Sachbearbeiterin beim Jugendamt gesprochen hat. Eine Garantie, dass das Jugendamt durch diesen Fall nicht aktiv wird, kann sie nicht versprechen, aber ihre Freundin hätte ihr versichert, dass es dem Jugendamt fern liegen würde, ein Opfer sexualisierter Gewalt zu bestrafen oder unter Druck zu setzen, solange es davon überzeugt ist, dass das Opfer sich weiterhin gut und angemessen um den Schutzbefohlenen kümmert.
 

Ich lächle sie sanft an. Dann äußere ich eine Bitte. Sie schaut mich überrascht an, bevor ich meine Bitte äußern kann. Als ich meine Bitte gänzlich geäußert hat schaut sie mich baff an. Dann nickt sie und dankt mir. Sie steht auf, verbeugt sich respektvoll vor mir… daran werde ich mich nie gewöhnen… das die Leute sich jetzt vor mir verbeugen. Dann verabschiede ich sie und sie verlässt, mit mehr Zuversicht, mein Büro.
 

Langsam lehne ich mich in dem Sessel, in dem ich Platz genommen habe, zurück und versuche zu entspannen. Da klopft es auch schon wieder an meiner Bürotür und ich steh wieder auf, während ich darum bitte einzutreten. Meine Assistentin kommt charmant lächelnd – wie immer – herein und erinnert mich – sehr zu meinem Leidwesen – dass ich noch im Besprechungsraum benötigt werde.
 

Ich stöhne innerlich auf und verdrehe mental meine Augen. Am liebsten würde ich jetzt nach Hause gehen und die fünf Streithähne einfach da sitzen lassen. Ob sie bis morgen früh da sitzen würden? Ich könnte es ja so handhaben, dass die Abteilung den Bonus bekommt, deren Vertreter als letztes geht. Doch dann schüttle ich den Kopf, bitte meine Assistentin um eine Aspirin und ein Glas Wasser, bevor ich mich zurück in die Schlacht werfe.

Keinen Schritt eigenmächtig wagen

Ich lieg im Bett, dessen Laken total zerwühlt ist. Der Geruch von Sex hängt schwer in der Luft. Mein Arm ist hinter meinem Kopf unter das Kissen geschoben und ich schau an die Decke. Meine Gedanken wabern wieder zu Kaiba... Seto.
 

Zu Seto und der mittleren Katastrophe, die die Woche eingeläutet hatte: Als er die Fliege gemacht hat. Mokuba war völlig außer sich vor Sorgen. Hatte das Schlimmste im Kopf immer wieder durchgespielt. Selbst als der erlösende Anruf kam, dass sie Seto gefunden hatten, musste der Kleine weinen. So groß war seine Erleichterung gewesen.
 

Aber gänzlich aufatmen konnte Moki erst, als sein Bruder aus dem Wagen ausgestiegen war. Da war alles und jeder andere vergessen. Und genauso gehört sich das auch. In so einem Moment zählt nur das Sorgenkind. Also hab ich mich unauffällig von Jou verabschiedet und bin nach Hause gegangen.
 

Erst als ich ein paar Tage später im Conbini vorbei geschaut habe hat Jou mir erklärt was vorgefallen war. Hat mir von dem geheimen Zimmer erzählt und dem, was er darin gefunden und gesehen hat. Auch davon, wie Seto ihn dabei erwischt hat und dann, aus Panik, davon gelaufen ist. Aus Panik, dass er seinen Drachen von sich weisen könnte.
 

In mir gärt diese Wut auf den Mann - den Adoptivvater von Seto - der so abgrundtief grausam und ekelhaft war. Nicht nur, dass er ein Kind vergewaltigt hat. Nein, er hat es rumgereicht, um heimlich Videos und Bilder zu machen, damit er diese widerwärtigen Mistkerle, die mitgemacht haben, damit erpressen konnte. Er kann froh sein, dass er schon tot ist, sonst würde ich ihn mir vornehmen. Widerlicher Mistkerl.
 

Immer noch in meinen Gedanken vertieft spüre ich nur am Rande, wie Ryuji wieder ins Bett zurück kommt und sich halb über mich beugt. Erst als seine Lippen auf meinen liegen und er mich küsst kehre ich in das Hier und Jetzt zurück. Ich genieße den Kuss von meinem Liebsten, der mir damit sein Begehren ausdrückt. Diese Begierde, die man nur für denjenigen empfinden kann, den man über alles liebt.
 

Als unser Kuss endet liegt er halb auf meiner Brust und schaut mir in die Augen. Fragt mich, wo ich eben gedanklich war. Ich zucke mit meiner einen Schulter und versuche mit einem 'Nirgendwo' das Thema abzuwürgen. Gern würde ich es ihm sagen, doch dazu müsste ich ihm Dinge erzählen, die man mir im Vertrauen offenbart hat. Würde ich es ihm also sagen, würde ich dieses Vertrauen, dass ich mir vor allem von Seto schwer erarbeitet habe, zerstören und verlieren. Auch wenn ich Ryuji zutraue diskret zu sein würde Seto es sofort merken.
 

Er setzt sich wieder auf und für einen Augenblick wirkt er verstimmt, bevor er mich wieder anlächelt und sagt, dass er meine Diskretion bewundert. Denn auch wenn es ihm nicht passt, dass da was zwischen uns steht, so weiß er, dass auch was immer er mir anvertraut sicher bei mir aufgehoben ist. Dann küsst er mich wieder sanft.
 

Wir liegen also in seinem Bett. Nackt. Er mit dem Kopf an meinem Bauch. Meine Finger in seinem Haar. Da fragt er mich auf einmal, was ich in der Golden Week[1] vorhabe. Ich schau ihn verdutzt an zucke wieder mit meiner Schulter. Hier, bei ihm sein und mir das Hirn raus vögeln lassen? Er grinst nur und fragt dann, ob wir nicht wegfahren wollen. Überrascht blicke ich ihn an und frag ihn, ob das sein Ernst ist. Er nickt nur, bevor er sich aufsetzt und kurz das Bett verlässt.
 

Als er zurück kommt hat er seinen Laptop dabei, den er aufklappt und direkt eine Seite öffnet, über die er ganz augenscheinlich immer seine Urlaube bucht. Doch egal worauf wir klicken, alles ist schon ausgebucht. Klar, so knapp vor der Golden Week kriegt man nichts mehr Schönes gebucht. Enttäuscht lässt er seinen Kopf wieder auf meine Brust sinken, blickt bedauernd auf und entschuldigt sich bei mir. Er wollte mich nicht enttäuschen. Ich zieh ihn hoch zu mir und küsse ihn sanft.
 

Dann durchzieht mich auf einmal ein Geistesblitz. Ich setz mich auf und meine, dass Mokuba mir mal erzählt hat, dass sie eine Ferienhütte in einer schönen Gegend besitzen. Ryuji blickt mich skeptisch an. Fragt mich, ob ich wirklich glaube, dass Kaiba uns die Hütte ausleihen oder vermieten würde? Ich zucke mit den Schultern und mein eher beiläufig, als wirklich ernst gemeint, dass wir die drei doch mitnehmen können. Ich meine, wer zu zweit beziehungsweise zu dritt in einer Villa lebt, dessen Ferienhütte wird bestimmt nicht nur einen Raum umfassen.
 

Wieder schaut mich mein Freund prüfend an. Ich kann ihm ansehen, dass es nicht das ist, was er sich unter einem Urlaub mit mir vorgestellt hat, doch dann grinst er und nickt. Meint ein Versuch sei es wert und er kann ja Campingsachen mitnehmen. Nur für den Fall der Fälle, falls wir dort unsere Ruhe nicht haben, dann suchen wir uns eine Lichtung und wird mir dann dort das Hirn raus vögeln. Ich muss auflachen, bevor er mich wieder heiß und inniglich küsst.
 

Dann stehen wir aber auch auf. Wir müssen noch duschen und uns dann auf den Weg machen... denn dieses Wochenende sind wir wieder bei Seto und Mokuba eingeladen. Sicherlich um die Stimmung etwas aufzulockern, die in letzter Zeit teilweise so enorm angespannt ist. Irgendwas muss da noch vorgefallen sein. Etwas, was mir Jou noch nicht erzählt hat...
 

Oder? Mir schien Seto schon am Montag in der Schule angespannt und nervös. Als sie uns dann nach der Schule vorgeschickt haben und dann nicht nachgekommen sind war auch ungewöhnlich. Aber auch das wollt mir Jou irgendwann mal noch erklären. Hab gestern nur nicht mehr dran gedacht, als ich ihn im Conbini erwischt habe und mit ihm ein wenig geplaudert habe. Okay... unser Gespräch hat kaum eine halbe Stunde gedauert. Ich wollte ihn auch nicht so sehr bei der Arbeit stören... nicht das sein Chef ihn noch rauswirft.
 

Witzig... noch vor ein paar Monaten wusste ich gar nicht, dass er überhaupt jobbt. Geschweige denn, dass er drei Jobs gleichzeitig machte. Erst dieser Schmierfinken, der Jou erpressen wollte um an Infos zu Seto zu kommen, hat mir die Augen geöffnet. Tatsächlich hat sich da einiges zusammen gefügt, was vorher nicht so recht passen wollte: Warum Jou jeden Tag so punktgenau los musste. Warum er so oft so müde in der Schule war. Warum er nicht mal für eine Arbeit gelernt hat...
 

Seit er mit Seto zusammen ist hat sich vieles auch für Jou verändert und verbessert. Dieser Druck für seinen Vater und sich sorgen zu müssen ist fort. Daher kann er sich jetzt auch mal entspannen. Er hat nur noch einen Job und muss nicht mehr bis in die Nacht hinein arbeiten und früh morgens Zeitungen austragen. Da er nicht mehr für Miete und alles andere aufkommen muss kann er sich hier und da auch mal etwas leisten.
 

Ich denke sowohl Seto, als auch Jou profitieren enorm von ihrer Beziehung... und von einander... nur mir gefällt es nicht so, dass ich etwas hab, worüber ich nicht mit Ryuji reden kann. Ob... ob ich Seto fragen kann, ob ich Ryuji einweihen darf? Aber es ist ihm schon sehr schwer gefallen Vertrauen zu mir aufzubauen... Kann mich noch gut daran erinnern, wie er im Wohnzimmer mir vorwarf den anderen von seinen Narben erzählt zu haben. Vielleicht... vielleicht frag ich erst einmal Jou, was er davon hält.
 

Dann zieht mich Ryuji auch schon unter die Dusche und die Gedanken an Seto und Jou verschwinden. Machen etwas anderem... etwas Sinnlicherem Platz. Etwas, dass ich sichtlich mehr genieße.
 

***** ***** ***** ***** *****
 

[1] Die Golden Week (Goldene Woche) ist in Japan ein wichtiger Bestand des Ferienkalenders. Die meisten Arbeitnehmer versuchen, die Tage zwischen den Feiertagen und den Wochenenden frei zu bekommen, viele Unternehmen schließen auch ein oder merhere verbleibende Werktage ganz. Die Golden Week liegt in der beliebtsten Jahreszeit, mit zuverlässig gutem Wetter und sehr angenehmen, aber noch nicht zu hohen Temperaturen, die eine große Vielfalt an Aktivitäten zulässt.

Einen Schritt, um eine Bitte vorzubringen

Wir sitzen gerade alle im Wohnzimmer und genießen einen Cotton Cheesecake, den ich versucht habe zu backen. Er ist nicht so gut, wie der meines Vaters, aber auch nicht schlecht. Beim nächsten Mal, wenn wir uns wieder zum Kochen und Backen treffen, muss ich nochmal genauer aufpassen. Damit ich seinem Rezept irgendwann gerecht werde und es nicht verloren geht. Denn mein Dad versprach mir, dass dieses Rezept nur innerhalb der Familie weitergegeben wird und er es nicht seinen Azubis, die er jetzt hat, lehren wird.
 

Honda beugt sich vor und nimmt sich noch ein Stück. Der Kuchen kommt an und das freut mich. Dann wendet sich mein bester Freund an meinen Drachen. Der ist davon überrascht, dass merk ich ihm an, auch wenn er wie immer wirkt. Dann fragt Honda, ob es stimmt, dass Seto irgendwo eine Hütte hätte.
 

Mokuba springt direkt grinsend auf und nickt heftig. Erzählt von der Großartigkeit der Hütte und der Ausstattung. Beiläufig fragt mein bester Freund, wo die Hütte liegt und bekommt von Mokuba nur eine nichtssagende 'in den Bergen'-Antwort. Nicht das ein Großteil Japans Berge wären... aber okay. Ich muss über diese kindliche Antwort einfach schmunzeln.
 

Da fragt Seto, warum Honda nach der Hütte fragt. Honda erzählt, dass Otogi und er eigentlich in der Golden Week wegfahren wollten, aber sie wohl mit Reservierung zu spät dran waren. Sofort strahlt Yugi über das gesamte Gesicht und sagt, dass er die Idee großartig findet. Seto blickt mich an. Ich ihn. Gerade schein ich irgendetwas verpasst zu haben. Dann springt auch Ryou auf und fragt Seto, ob das möglich wäre. Immer noch schaut mich mein Drache an.
 

Schließlich fragt er mich, was ich von der Idee halte. Idee? Welcher Idee? Da jubelt aber Mokuba bereits, dass das bestimmt toll wird, wenn wir zu siebt für eine Woche in die Hütte fahren. Oh! Diese Idee! Es könnte hier und da vielleicht Situationen geben, die danach eine Erklärung bedürfen, aber generell hätte ich schon Lust mit meinem Drachen mal aus der Stadt zu kommen. Also zuck ich mit einem sanften Schmunzeln mit den Schultern und steure ein 'Warum nicht' bei.
 

Setos versucht sein Gesichtsausdruck neutral und nichtssagend zu halten, aber ich sehe, dass er sich ebenfalls Gedanken über mögliche Situationen macht, die dann eine Erklärung notwendig machen könnten. Doch ich lege meine Hand auf seine und lächle ihn weiterhin sanft an. Dann nickt er zustimmend und meint nur, dass wir dann wohl über die Golden Week in die Hütte fahren. Alle freuen sich darüber wahnsinnig.
 

Dann werden direkt Pläne gemacht, denn die Golden Week fängt schon kommenden Freitag an. Also, nein, sie fängt nicht dort an, aber nächste Woche können wir schon losfahren und uns neun schöne Tage in der Hütte machen. Alle sind sich scheinbar einig, dass ich für das Kochen zuständig sein werde. Okay, ich seh das mal als Ehre und Kompliment an und nicht als Schwarzer Peter.
 

Honda meint, er kann seinen Vater fragen, ob wir die Familienkutsche kriegen können, darin hätten wir alle, unser Gepäck und etwaige Vorräte ausreichend Platz. Wieder breite Zustimmung. Daraufhin meint Otogi, dass er dann für die Vorräte sorgen wird und gibt mir ein Zeichen, dass wir dann mal drüber reden sollen, was ich kochen möchte, damit er entsprechend einkaufen lässt. Darauf melden sich Yugi und Ryou, dass sie dann für Spiele sorgen, nur für den Fall, dass das Wetter vielleicht doch nicht ganz so gut ist - was zwar unwahrscheinlich ist, aber okay.
 

Dann kommt die Frage auf, was man bei der Hütte denn so machen kann. Mokuba beginnt wieder zu schwärmen: Eine tolle Region zum Wandern, erzählt von einem Abenteuerpark im Wald mit Seilrutschen und Klettereinlagen, Baumhäusern und Hängebrücken, mit denen man von Baumhaus zu Baumhaus kommen kann. Schwärmt von einer Lichtung an einem bildhübschen Wasserfall und von heißen Quellen.
 

Als er von heißen Quellen spricht springt Yugi wieder auf und meint, dass wir unbedingt alle diese Quellen besuchen müssen. Ich kann spüren, wie sich Setos Hand unter meiner in seinen Hosenstoff krallt. Der Gedanke, splitterfasernackt mit den anderen eine Quelle zu besuchen, so dass diese möglicherweise seinen vernarbten Rücken sehen können, macht ihm unglaublich Angst. Aber daran werden wir arbeiten.
 

Es wird weiter geplant und nur langsam entspannt sich Seto wieder. Als er sich einigermaßen wieder gefangen hat steh ich auf und meine, dass ich mal Nachschub an Getränke hole. Also mach ich mich auf in die Küche. Kaum bin ich in der Küche und such die verschiedenen Getränke zusammen hör ich noch jemand herein kommen. Ich dreh mich um und sehe Honda.
 

Er fragt, ob er mir helfen kann. Ich verneine. Honda sieht nicht so aus, als wäre er nur hier, um mir seine Hilfe anzubieten. Also dreh ich mich ganz zu ihm und frage was los ist. Unsicher kratzt sich Honda am Hinterkopf und tritt noch näher zu mir, bevor er in sehr vertrautem Tonfall fragt, wie es denn mit Setos Therapie so voran geht.
 

Von der Frage überrascht antworte ich ihm, dass es auf und ab geht, derzeit aber mehr aufwärts. Er lächelt und tritt noch einen Schritt näher an mich. Jetzt kommt es, dass hab ich im Urin. Prüfend blickt er zur Küchentür und als er feststellt, dass diese immer noch geschlossen ist, fragt er mich endlich seine eigentliche Frage: Ob Seto ihm wohl erlauben würde Otogi ins Vertrauen zu ziehen.
 

Okay, damit hab ich nicht gerechnet. Ich schau ihn fragend an und frage, warum er danach fragt. Honda erklärt mir, dass er immer gerne bereit ist uns ein Ohr zu leihen oder zu helfen, wie als Seto krank war. Aber... dass es ihm auch schwer fällt allein damit zurecht zu kommen und öfters darüber nachdenkt. Wenn dann Otogi bei ihm ist und fragt, was er hat muss er immer abwiegeln. Das tut ihm, aber auch seiner Beziehung nicht gut.
 

Ich verstehe meinen besten Freund. Weiß, dass sowas belasten kann, vor allem, wenn man niemand zum Reden hat. Also versichere ich ihm, dass ich Seto danach fragen werde. Honda lächelt erleichtert und dankt mir. Dann hilft er mir die Flaschen und frischen Gläser ins Wohnzimmer zu tragen.
 

Um zu wissen, wie mein Drachen auf die Frage reagieren wird, brauch ich nicht einmal eine Kristallkugel. Er wird sich erschrecken. Die Scham wird ihn erst nein sagen lassen. Also werde ich Argumente brauchen, warum er Otogi genauso vertrauen kann, wie Honda. Aber je nachdem, in welcher Stimmung er ist, wird er sich mit dem Gedanken schwer tun.
 

Dennoch... Honda hat auch jemand verdient, mit dem er darüber reden kann. Außerdem schulde ich meinem besten Freund einfach den Versuch. Und wenn es noch jemand weiß, könnte das Seto helfen seine Scham zu überwinden und vielleicht irgendwann öffentlich darüber reden, was man ihm angetan hat. Damit all diese Widerlinge ihre gerechte Strafen kriegen werden.
 

Dann kann Setos Seele endlich ausheilen.

Einen Schritt nach hinten, um 'nein' zu sagen

Ich stehe neben meinem Streuner – wobei diese Bezeichnung längst nicht mehr zutreffend ist. Seit den Winterferien ist er mein ständiger Begleiter und ist sogar hier eingezogen, um jederzeit für mich da zu sein. Er streunt also längst nicht mehr umher. Aber dieser Kosename ist geblieben und ich würde ihn nicht missen wollen. Wie sollte ich ihn sonst bezeichnen? Das ist ein Name, den nur ich verwenden darf. So wie nur er mich seinen Drachen nennt. Aber ich schweife ab…
 

Ich stehe also neben meinem Streuner im Badezimmer, an dem Doppelwachbecken und wir putzen uns gerade die Zähne. Wollen gleich ins Bett. Doch irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Ist anders als sonst. Seit dem frühen Abend. Das fing an, als er die Getränke aufstocken gegangen ist. Honda war ihm gefolgt und als die beiden ins Wohnzimmer zurück kamen, war da etwas… etwas worüber mein Streuner nachdachte. Die ganze Zeit über.
 

Also frag ich ihn jetzt einfach, worüber er so eifrig nachdenkt. Er blickt mich auf diese verdutzte Weise an, wie nur er es kann. Mit diesen großen Augen und die Zahnbürste im Mundwinkel. Schaum von der Zahncreme, die aus seinem Mund quillt und langsam an seinem Kinn herunter läuft, während er mich weiter nur anschaut und dann undeutlich fragt, wovon ich rede.
 

Derweil hab ich meinen Mund ausgespült und greife nach einem Handtuch. Trockne kurz Hände und Mund, bevor ich mit einer sauberen Ecke des Handtuches ihm den Schaum vom Kinn wische. Da erst scheint ihm bewusst zu werden, dass er noch mitten drin ist. Er schrubbt schnellt fertig und spült seinen Mund auch aus. Als er fertig ist und sich gerade mit seinem Handtuch das Gesicht abtrocknet erläutere ich ihm meine Beobachtung.
 

Er hält plötzlich inne und schaut mich – weiterhin mit großen Augen – an. Aber der Ausdruck in den Augen hat sich gewandelt. Von der Ahnungslosigkeit ist nichts mehr übrig. Dafür scheint gerade etwas Panik in ihm aufzusteigen. Wenn es etwas ist, was meinem Streuner in die Panik treibt, muss es etwas Schlimmes sein. Also trete ich einen Schritt näher auf ihn zu und lege meine Arme locker um seine Hüfte. Frage sanft ein weiteres Mal, was los ist. Er schluckt.
 

Dann meint er zu mir, dass er vorhin in der Küche mit Honda ein Gespräch hatte und im Zuge dieses Gespräch hat Honda eine Bitte geäußert. Es geht um Honda? Warum hat mein Streuner dann solche Panik? Ich hake also nach, um was für eine Bitte es sich gehandelt hat und Katsuya eröffnet mir, dass sich die Bitte eigentlich an mich richtet. Jetzt bin ich es, der mit großen Augen dreinblickt. Wenn Honda eine Bitte an mich hat, warum trägt er sie dann meinem Freund und nicht mir direkt vor?
 

So schnell, wie ich diese Frage geäußert habe, beginnt es mir zu dämmern. Es geht darum, was er über mich weiß. Katsuya legt eine Hand an meine Wange. Sanft lächelt er mich an. Er weiß bereits, dass ich ahne, um was es geht. Schließlich sagt er mir ohne weiteres Zögern, dass Honda gefragt hat, ob er Otogi ins Vertrauen ziehen darf.
 

Ich erstarre. Es ist nicht so, dass das eine bewusste Reaktion ist. Es ist nur diese Vorstellung, dass es noch jemand erfahren könnte, die mich für einen langen Moment inne halten lässt. Noch vor einem knappen halben Jahr hat es mich in Panik versetzt, dass irgendwer – egal wer – etwas davon erfährt. Dann kam mir Katsuya zu Hilfe. Durch ihn gewann ich das Selbstvertrauen meinem Bruder von dem Scheiß zu erzählen. Dann die Erkenntnis, dass Isono mehr wusste, als ich dachte. Schließlich – durch Notwendigkeit – Honda, der einen Blick hinter meine Fassade warf.
 

Die anderen von Katsuyas Freunde wissen auch mehr, als sie sollte. Sie wissen von den Albträumen und den Schreien, wenn es ein besonders heftiger Traum ist. Durch… meine Paranoia erfuhren sie von meinen Narben. Jetzt soll ich einen von ihnen auch noch hinter meine Fassade lassen. Wie… wie stellt Katsyua sich das vor? Und dann noch Otogi? Otogi sehe ich von allen aus der Clique als den mir am ähnlichsten. Als Kollege und Rivale. Und dem soll ich meine Vergangenheit anvertrauen? Was, wenn er dieses Wissen nutzt um mich irgendwann zu diskreditieren, um sich einen Vorteil zu verschaffen?
 

Nein… das ist die Angst, die aus mir heraus spricht. Sie ist ein schlechter Berater und hat mich in der Vergangenheit schon öfters fehlgeleitet. Also frage ich meinen Streuner, ob er Otogi für vertrauenswürdig hält. Scheinbar hat er diese Reaktion nicht von mir erwartet. Schön, dass ich meinen Freund tatsächlich hin und wieder mal überraschen kann. Das kommt selten vor.
 

Mein Streuner antwortet, wie es typisch für seine Clique ist: Er vertraut Honda und Honda vertraut Otogi, also vertraut er auch Otogi. Ja,… toll… nicht hilfreich. Damit wende ich mich ab und verlasse das Badezimmer, um ins Schlafzimmer zu gehen. Er folgt mir, greift nach meiner Hand und bleibt stehen. Dadurch muss ich auch stoppen und werde durch meine Bewegungsenergie und der Fixierung an unseren Händen zu ihm umgedreht. Ich setze meinen 'auf gar keinen Fall'-Blick auf.
 

Also frag ich ihn, ob er Otogi vertrauen würde, wenn Honda nicht mit ihm zusammen wäre. Daraufhin meint er, dass der 'Würfelfreak' ihn für einen Tag in ein Hundekostüm gesteckt habe und er dennoch mittlerweile Teil seines Freundeskreises ist. Was mir das sagt, will er schließlich wissen. Ich seufze und tu mich immer noch schwer mit diesem Gedanken. Daher schüttle ich den Kopf. Schon jetzt fühl ich mich zu oft wie auf dem Präsentierteller. Wenn es jetzt noch einer weiß… warum dann nicht auch noch Yugi und Bakura sagen? Die beiden wären schließlich die letzten beiden, die es dann nicht wüssten.
 

Wieder streicht Katsuya mir sanft über die Wange, während er mich näher zu sich zieht und mich anlächelt. Ganz behutsam meint er dann zu mir, dass sie es sowieso früher oder später erfahren werden. Perplex schau ich ihn an. Dann meint er, dass ich Kogoro nicht einfach davon kommen lassen kann… dass ich mit Detective Nagasato zusammen arbeiten sollte, um ihn Ding fest zu machen.
 

Gequält will ich mich wegdrehen, doch das lässt mein Streuner nicht zu. Flüstert mir zu, dass Mokuba, Isono, Honda und er hinter mir und an meiner Seite stehen werden. Sie mich dabei unterstützen und mir den Rücken stärken werden. Dann meint er, dass auch die anderen aus der Clique das tun würden, wenn ich ihnen die Chance geben würde. Ein mulmiges Gefühl steigt in mir auf. Wenn ich es der Clique erzähle, dann ist es nicht mehr aufzuhalten. Wenn auch nur einer – sei es nur aus Wut – sich bei einem anderen, der nicht zur Clique gehört, Luft machen würde… und der es dann weiter erzählt, dann würde es bald wirklich jeder wissen.
 

Also heb ich abwehrend meine Hände und schüttel erneut den Kopf. Nein zu Otogi. Nein zur Clique. Und entschieden nein zu Detective Nagasato. Meine Privatsache, bleibt meine Privatsache. Und dennoch… hab ich bereits einen Notfallplan in die Wege geleitet, für den Fall, dass alles über mich herein bricht. Denn ich muss vorbereitet sein. Muss… die Kontrolle behalten.
 

Sanft küsst mich Katsuya und scheint weder böse, noch enttäuscht zu sein. Das kann ich nicht verstehen. Wenn ich mir gegenüber stehen würde, dann wäre ich vermutlich am laufenden Band enttäuscht von mir. Doch mein blonder Streuner… nicht. Er ist ein ganz besonderer Mensch und ich wüsste nicht, wo ich heute wäre, wenn er nicht gewesen wäre oder was ich ohne ihn tun würde.
 

Und da wird mir eines sehr deutlich klar: Ich will, dass er für immer an meiner Seite bleibt!

Einen Schritt, der neues Vertrauen sprießen lässt

Ich hab Nein gesagt, also warum kann ich mich von Hondas Frage nicht lösen und das Wochenende, soweit es geht, genießen? Immer wieder erwische ich mich dabei, dass ich Otogi beobachte. Beobachte, wie er sich so gibt, reagiert und mit den anderen interagiert. Wieder fällt mein Blick auf die Narbe unter seinem Auge, die er mit einem Kajal zu vertuschen sucht.
 

Allerdings hat er nicht davor zurück geschreckt uns allen seine Narbe zu offenbaren, nachdem der Kindergarten mich nach meinem paranoiden Outing versucht hat zu beruhigen. Yugi war es gewesen, der mit seiner Blinddarmnarbe anfing. Er hat mir – und allen anderen, die da waren – sein Geheimnis anvertraut. Hat Vertrauen bewiesen. Ich nicht! An diesem Abend saß ich völlig… blamiert da und wusste nicht weiter. Katsuyas Freunde haben mich schließlich aufgefangen und der Situation die Peinlichkeit genommen.
 

Und dennoch: Wenn ich auch nur daran denke ihnen von Gozaburo oder den Big Fives oder generell alles zu erzählen, bekomme ich ein extrem unangenehmes Gefühl in der Magengegend. Dann spüre ich, dass ich mich gleich übergeben muss, wenn ich nicht sofort dieses Thema von mir weise. Wie sollte ich dann überhaupt noch mit ihnen umgehen? Mit Honda kann ich nur umgehen, weil er nichts fragt und ich einfach versuche zu verdrängen, dass er es weiß.
 

Am meisten Angst hab ich jedoch davor, dass sie mich anblicken und mich für den Schwächling halten, der ich bin. Das sie zu dem Schluss kommen, dass so einer wie ich ihre Freundschaft nicht wert ist. Ich habe nie viel Wert auf diese Freundschaft gelegt und bis letztes Jahr hab ich alles getan, um sie von mir fern zu halten. Doch jetzt, wo sie sich doch entwickelt hat und sie mich irgendwie doch in ihren Kreis aufgenommen haben, will ich sie nicht wieder verlieren. Möchte ich nicht wieder ausgeschlossen werden.
 

Seit wann fürchte ich mich eigentlich so sehr davor, alleine zu sein? Etwas in mir antwortet mir mit einem 'Schon immer'. Wirklich? Hab ich mich schon immer vor dem Alleinsein gefürchtet? Vielleicht hat diese Stimme Recht. Im Waisenhaus war ich froh, dass ich Mokuba hatte. Er hat mir mehr Mut und Kraft gegeben, als ich ihm. Ob er das weiß? Vermutlich nicht. Als wir zu Gozaburo kamen hab ich all den Scheiß nur ertragen, weil ich wusste, dass da Mokuba war, dem ich damit Möglichkeiten eröffnen konnte, die ich nie hatte… dass ich ihn so beschützen konnte. Nach Gozaburos Tod bin ich nicht zusammengebrochen und habe mich dem Schmerz in mir ergeben, weil da Mokuba war, der mich gebraucht hat.
 

Eigentlich hab ich mir seit der Einschulung auf die Oberschule gewünscht mit jemanden befreundet zu sein… doch meine Erfahrungen und Ängste haben mich isoliert… es hat erst die Art meines Streuners gebraucht meine Isolation aufzubrechen und mir die Angst vor den Menschen zu nehmen. Vor diesen Menschen… dem Kindergarten. Was ich früher mit Hohn und Spott ausgesprochen habe, benutze ich heute in einem positiveren Tonfall. Als einen Kosenamen, wenn man so will.
 

Aber es ist nur eine Frage der Zeit, dass sie es erfahren. Detective Nagasato hatte sich zwar seit Montag nicht mehr blicken lassen, aber ich bin mir sicher, dass das nicht von Dauer sein wird. Und je öfters sie auftaucht, desto mehr werden die anderen Fragen haben. Wer sie ist und was sie will. Oder sie werden etwas von ihren Fragen und Bitten aufschnappen. Dann werden sie sich ihren Teil zusammenreimen.
 

Da spüre ich, wie mich zwei Arme umschlingen und schon am Geruch erkenne ich meinen Streuner. Augenblicklich entspanne ich mich und genieße die Wärme von Katsuya. Ganz am Anfang, als wir den anderen gezeigt haben, dass wir ein Paar sind, hab ich noch darauf bestanden ein gewisses Bild zu wahren. Ich wollte wirken, als wäre ich die treibende Kraft in der Beziehung und würde den Ton angeben. Doch schnell ist mir klar geworden, dass das falsch ist. Es war weder ehrlich dem Kindergarten gegenüber, noch gerecht für Katsuya, der mich gewähren ließ und sich nie beklagt hat. Also… hab ich dieses Schauspiel aufgegeben.
 

Mein Streuner küsst mich auf die Wange und fragt mich, worüber ich so angestrengt grüble. Ich lächle ihm zu und mein nur, dass es nichts Wichtiges ist. Sein Lächeln wird etwas spitzbübischer und ich merke, dass er mich durchschaut hat. Denn er meint nur zu mir, dass ich dafür, dass es nichts Wichtiges ist, doch recht intensiv darüber nachzudenken scheine. Ihm kann ich einfach nichts vor machen.
 

Ohne es zu merken landet mein Blick wieder auf Otogi. Damit schein ich seine Frage zufriedenstellend zu beantworten. Denn er lächelt mich wieder sanft an, bevor er mich fragt, ob ich doch in Erwägung ziehe Otogi ins Vertrauen zu ziehen. Just in dem Moment zieht sich in mir etwas zusammen und mir wird übel. Ich schüttle den Kopf und hoffe, dass das Gefühl weggeht. Doch das tut es nicht. Es wird noch heftiger.
 

Also steh ich auf. Vielleicht kann ich es mit Bewegung vertreiben. Aber das will auch nicht funktionieren. Ich kann fühlen, wie sich dieser Zug von meinem Magen in die Brust hochschiebt. Doch auch da verbleibt er nicht. Es wandert weiter nach oben… in den Hals. Erst jetzt erkenne ich, dass ich kurz davor bin mich übergeben zu müssen. Also eile ich aus dem Wohnzimmer und will schon die Treppe hoch rennen, als mich jemand am Handgelenk packt und aufhält.
 

Als ich herum wirble, um mich zu befreien seh ich meinen Streuner, der meint, dass ich das nicht mehr schaffe. Dann zieht er mich auch schon auf die Gästetoilette. Eigentlich vermeide ich es, mich so nah am Kindergarten zu übergeben. Denn für gewöhnlich bleibt das nie unbemerkt und löst bei den anderen Sorgen und Fragen aus. Doch Katsuya hat Recht. Bis in unser Zimmer schaff ich es nicht mehr. Schon häng ich über der Toilette und erbreche Magensäure. Immer und immer wieder.
 

Erst nach einigen Minuten kann ich aufgeben. Mir ist furchtbar schwindelig und ich lasse mich nach hinten fallen, nur um festzustellen, dass mein Streuner hinter mir kniet und mich auffängt. Seine Arme schließen sich wieder eng um mich und eine seiner Hände streicht mir das Haar aus dem schweißnassen Gesicht. Das fühlt sich so gut an. Eine Träne, die sich beim Erbrechen gebildet hat, läuft mir über die Wange. Katsuya küsst sie mir weg.
 

Sanft sagt er mir, dass ich diese Übelkeitsattacken nur dann los werden kann, wenn ich den Grund dafür tilge. Der Grund? Der Grund war der Gedanke Otogi ins Vertrauen zu ziehen. Wie soll ich diesen Grund tilgen, ich hab doch schon Nein gesagt. Ich kann ja schlecht Otogi tilgen.
 

Mein Streuner kichert und meint scherzhaft, dass man es ja mal versuchen könnte. Doch dann wird er wieder etwas ernster und flüstert mir ins Ohr, dass vielleicht das ins Vertrauen ziehen helfen könnte. Verwirrt blicke ich ihn an. In meinem Kopf ergibt das keinen Sinn. Wenn ich Angst vor Spinnen hätte, dann würde es mir garantiert nicht helfen mich in einen Raum voller Spinnen zu setzen.
 

Katsuya streicht mir weiter sanft über mein Haar und meint zu mir, dass das zwar paradox klingt, aber es genauso funktionieren könnte. Noch ehe ich etwas darauf erwidern kann klopft es an der Tür und ich höre Honda fragen, ob alles in Ordnung sei. Genau deswegen vermeide ich es sonst, mich hier unten zu übergeben. Das zieht einfach zu viel Aufmerksamkeit auf mich.
 

Ich richte mich langsam wieder auf und schick mich an aufzustehen, dabei zieh ich den Toilettenabzug. Währenddessen steht Katsuya auch auf und öffnet die Tür. Honda blickt mit genauso besorgtem Blick zu mir, wie seine Stimme schon klang. Er mustert mich, während ich an das Waschbecken gehe, dass kühle Nass aufdrehe und mir einerseits den Mund ausspüle, andererseits das Gesicht wasche. Als ich mich wieder aufrichte kann ich über den Spiegel an Honda vorbei schauen und kann Otogi sehen. Er steht ein, zwei Meter entfernt von Honda am Absatz der Treppe und scheint auch besorgt zu sein. Scheiße!
 

Als ich mir das Gesicht abgetrocknet habe kommt Honda einen Schritt ins Badezimmer und fragt, ob es wieder geht. Ich nicke nur. Vertraue gerade nicht so sehr auf meine Stimme. Die ist immer sehr angeschlagen, wenn ich erbreche. Und ich will mir nicht noch mehr die Blöße vor Otogi geben. Am liebsten würde ich mich jetzt gerne zurück ziehen, bis dieses Gefühl von Peinlichkeit abflaut, doch Katsuya verschränkt seine Finger mit meinen und meint dann, dass er uns einen Tee aufkocht. Mit diesen Worten zieht er mich hinter sich her in die Küche und Honda, sowie Otogi folgen uns.
 

Während mein Streuner mich am Tresen platziert nimmt neben mir Otogi Platz, während Honda Katsuya zur Hand geht. Wozu braucht es zwei Personen, um einen Tee aufzubrühen? Otogis Finger lassen einen Würfel umherwandern. Ich komm mir vor wie auf dem Präsentierteller. Als würden Katsuya und Honda erwarten, dass ich jetzt ganz beiläufig Otogi mal so eben einweihe und von meinen schmerzlichsten Erinnerungen erzähle.
 

Doch dann höre ich tatsächlich meine Stimme. Sie fragt Otogi, wie er zu der Narbe gekommen ist. Katsuya und Honda halten inne und schauen kurz über ihre Schultern zu uns, während Otogi mich überrascht anstarrt. Dann grinst er kurz schmerzlich und schaut wieder auf seinen Würfel. Für einen Moment glaub ich schon, dass Otogi meine Frage übergehen und ignorieren wird und mich in meiner Meinung bestärkt, dass ich ihm nichts von mir erzählen will. Warum soll ich auch jemand etwas anvertrauen, der mir nichts anvertraut.
 

Aber dann beginnt Otogi zu erzählen. Dabei klingt er ruhig und bedächtig, nicht so wie sonst, wenn er sich regelrecht selbst präsentiert und inszeniert. Seine Stimme hat auf einmal etwas Wahrhaftiges. Schmerz schwingt in seiner Stimme mit. Nur langsam setzt er an und erzählt uns, wie herrisch sein Vater gewesen war und wie er ihn von klein auf von ihm für seine Rache instrumentalisiert wurde. Keine Widerrede geduldet hat. Noch so ein Dreckskerl von Vater, geht mir durch den Kopf.

Kurz bevor Otogi damals auf die Domino High wechseln sollte hatte er das Gespräch mit seinem Vater gesucht. Ihn gebeten seine Pläne aufzugeben. Ihm offenbart, dass er den Plan seines Vaters nicht umsetzen wollte. Daraufhin habe sein Vater ihn - nicht zum ersten Mal - erst geschlagen und ihm dann eine Lektion erteilt, die er niemals wieder vergessen sollte. Dabei deutet Otogi mit seiner Hand auf die Narbe, bevor er mich wieder anschaut und lächelt. Auch dieses ist anders, als sein Grinsen, dass ich von ihm gewohnt bin. Es hat etwas Trauriges an sich. Bedauern. Und ich erwidere es.
 

Ich kann Katsuyas Blick auf mir spüren. Als wolle er sagen, dass ich Otogi vertrauen kann und ihm von mir erzählen soll. Aber das wird nicht geschehen. Nicht heute. Nicht hier. Gerade als ich das Thema wechseln möchte fängt alles um mich herum an sich zu drehen und für einen Moment hab ich das Gefühl zu fliegen. Ich sehe, wie mein Streuner und sein bester Freund sich erschrocken zu mir drehen und sich mit Hastigkeit auf mich zubewegen, als ich zwei Arme spüre, die mich umfangen. Erst da wird mir bewusst, dass ich vom Hocker gefallen bin.
 

Doch diese Arme gehören nicht Katsuya. Denn den sehe ich auf mich zueilen, als es langsam dunkel wird und ich wegdrifte.

Einen Schritt, um sich zu bewegen

Was bin ich dankbar dafür, dass Otogi zur Stelle war. Honda und ich hätten es nicht mehr geschafft Seto vor einem Sturz auf den Boden zu bewahren. Dazu waren wir einfach zu weit weg. Wir waren erst zur Stelle, als Otogi Seto sanft auf den Boden gleiten ließ. Geschockt und fragend blickte der Würfelfreak mich an. Ich lächelte ihn nur stumm an. Was hätte ich sagen sollen: Die Wahrheit hätte Setos Wunsch verletzt, dass Otogi nichts von ihm erfahren sollte. Eine Lüge hatte der Schwarzhaarige nicht verdient.
 

Vorsichtig hob ich Seto auf meine Arme und stand dann auf. Der Stress der vergangenen Monaten hatten ihre Spuren hinterlassen: Seto hatte noch nie viel gegessen. Als das letztes Jahr begann hatte Mokuba mir erzählt, wann und was Seto so aß: So gut wie gar nichts. Kein Frühstück, kein Mittagessen, selten ein Abendessen, wenn es hochkam eine Kleinigkeit, wenn er mitten in der Nacht aus der Firma kam. Dadurch hatte Seto natürlich nie irgendwelche körperliche Reserven angelegt.
 

Ich hab natürlich versucht seine Essgewohnheiten zu verbessern. Aber immer wieder lief ich gegen eine Wand, wenn ich etwas nicht-japanisches auftischen wollte. Dann hatte mein Drachen sein Teller demonstrativ von sich gewiesen oder war wortlos aufgestanden und verließ die Küche. Erst durch Keizo verstand ich, wieso Seto solche Probleme mit nicht-japanischem Essen hatte.
 

Diese ganze Problematik wird dann auch noch dadurch verschärft, dass Seto sich bei Stress öfters übergeben muss. Da kann ich ihm vorher auftischen was ich möchte und er so viel essen, wie er nur kann… dass alles verpufft, wenn er sich dann erbricht. Und Stress… daran mangelt es ihn leider gar nicht.
 

Doktor Akari kommt und untersucht kurz meinen Drachen. Er bestätigt mir, dass es 'nur' ein Schwächeanfall ist, weil Seto in letzter Zeit vermehrt unter Stress steht und sich dadurch immer wieder übergeben muss. Also trägt er mir auf, dafür zu sorgen, dass mein Drache mehr isst, um das, was beim Erbrechen verloren geht, auszugleichen und zu versuchen, die Situationen zu vermeiden, die erst zum Erbrechen führen.
 

Ich nicke zwar, aber der Mann kann mir auch gleich auftragen zu Fuß zum Fuji zu marschieren, um in den rauchenden Schlot einen Ring zu werfen. Aber ich will es trotzdem versuchen. Nicht das mit dem Ring. Das mit dem Essen und dem weniger Stress. Der jetzige Stress kommt von Setos Zerrissenheit, weil er einerseits nicht noch jemand einweihen möchte, andererseits dennoch darüber nachdenkt.
 

Der Ältere spritzt Seto ein Präparat, welches einige Mangelerscheinungen ausgleichen soll und verabschiedet sich wieder von mir, bevor er das Zimmer verlässt. Durch die sich kurz öffnende Tür seh ich Honda und Otogi auf dem Flur stehen und warten. Dann wird die Tür durch Doktor Akari wieder geschlossen. Ich krabble zu meinem Drachen ins Bett und nehm ihn sanft in meinen Arm. Streichle ihm über die Unterarme und das braune Haar.
 

Nach einer Weile regt sich mein Drache wieder und kuschelt sich enger an mich. Sucht Wärme und Schutz. Die geb ich ihm gerne. Dann, ganz langsam, fängt er an seine Augen zu öffnen und mich anzuschauen. Etwas Fragendes liegt in seinem Blick. Ich lächle ihn sanft an, streich ihm eine braune Strähne aus dem Gesicht und sag nur zwei Worte: Zuviel Stress. Grummelnd presst er sich gegen mich und ich streich ihm noch einmal sanft durch sein Haar.
 

Als er wieder zu mir aufblickt, fragt er mich, wo Honda und Otogi sind. Mit einem Nicken deute ich auf die Zimmertür. Frag ihn, ob ich sie rein holen soll. Doch er schmiegt sich wieder an mich und schüttelt seinen Kopf. Wieder streiche ich ihm sanft über den Rücken und gebe ihm die Zeit, die er braucht.
 

Schließlich meint er zu mir, dass es Honda gegenüber nicht fair ist, ihm seine Bitte zu verweigern und fügt fragend ein 'oder' an. Fair? Nein. Immerhin ist Honda eher zufällig über die Vergangenheit meines Drachens gestolpert. Daher ist es nur logisch, dass er nicht darauf vorbereitet war und jemand zum Reden braucht. Jemand, der nicht - wie ich - so tief in allem drin steckt.
 

Ich sehe, wie mein Drache mit sich ringt. Er will Honda gegenüber nicht unfair sein, aber die Vorstellung, dass Otogi dann auch Bescheid weiß, quält ihn. Er weiß nicht, wie er dann mit Otogi umgehen soll. Also flüstere ich ihm zu, dass sich nichts zwischen ihnen ändern wird. Rein gar nichts. Vermutlich wird Otogi ihn niemals darauf ansprechen. Er ist einfach nur für Honda ein Zuhörer.
 

Die Hand meines Drachens krallt sich in mein Shirt und ich seh, wie er sich auf die Lippe beißt, während er die Augen kurz zusammenkneift. Dann presst er mit aller Mühe hervor, dass es okay sei. Das Honda mit Otogi sprechen soll, wenn er das Bedürfnis hat. Aber er will damit nichts zu tun haben. Nicht darauf angesprochen werden. Keine mitleidigen Blicke von dem anderen Industriellen. Und vor allem soll Otogi mit sonst niemand darüber sprechen. Das betont mein Drache ausdrücklich.
 

Diese Erlaubnis - trotz der zahlreichen Bedingungen - hat ihn viel Kraft gekostet. Sanft nicke ich und streichel ihm durch das Haar. Drück ihn fest an mich. Flüstere ihm zu, dass er diese Entscheidung nicht bereuen wird. Doch er will mir das erst einmal nicht glauben. Wahrscheinlich rechnet er damit, dass dann die Tage ein umfangreicher Zeitungsartikel erscheinen wird, der sich über ihn auslassen wird.
 

Auf einmal setzt sich Seto auf und geht sich selbst durch das Haar. Er muss mal ins Bad um sich frisch zu machen, meint er sanft zu mir. Dann rückt er vom Bett und verschwindet. Ich bleib noch einen Moment liegen, bevor ich auch aufstehe und das Bett wieder richte. Als ich die Zimmertür zum Vorzimmer öffne hör ich Otogi Honda fragen, was mit Seto nicht stimmt. Sorge ist aus seiner Stimme zu hören. Vielleicht waren Otogi und Seto irgendwann mal Konkurrenten, aber das liegt lange zurück und ist nun eine Freundschaft.
 

Dann öffne ich die zweite Tür und schau die beiden an. Otogi steht gegen die Wand gelehnt da, während er Honda eng an sich gezogen hat, so dass dieser förmlich auf seiner Brust liegt. Beide schauen mich überrascht an. Honda grinst nur verlegen, während bei Otogi eher so etwas wie stolz durchscheint. Auch ich muss grinsen, bevor ich Honda in das Schlafzimmer bitte und mich bei Otogi entschuldige, weil er noch einen Moment länger warten muss.
 

Im Schlafzimmer und nachdem ich sicher gegangen bin, dass beide Türen geschlossen sind, setze ich Honda von Setos Entscheidung - und damit seiner Erlaubnis - in Kenntnis. Honda lächelt mich erleichtert und dankbar an. Ich erkläre ihm noch die Bedingungen, die er auch an Otogi heran tragen muss und Honda nickt nur. Selbstsicher verkündet er, dass er das hinkriegt. Ich glaub ihm das. Immerhin kenn ich ihn schon seit der Mittelschule. Dann umarmt er mich noch einmal eilig, bevor er das Zimmer verlässt.
 

Aus dem Bad ist länger schon kein Waschbecken mehr zu hören. Also geh ich zur Badezimmertür und klopfe vorsichtig an, bevor ich sie ein wenig öffne. Seto sitzt an der hinteren Wand, die Beine an die Brust gezogen und die Hände in seinen eigenen Haaren verkrallt. Er blickt mich nur zögerlich an. Beißt sich wieder auf die Unterlippe. Ich geh zu ihm, knie mich langsam vor ihn und zieh ihn behutsam zu mir. Mein nur, dass es notwendig war und er keine Angst haben brauch. Bewegung ist nichts Schlimmes. Im Gegenteil. Manchmal muss man sich einfach bewegen, auch wenn man es im ersten Moment nicht will.

Einen Schritt am Rand entlang

Wochenmitte. Noch zwei Tage Schule und dann eine Woche frei. Golden Week und wir fahren in eine Hütte 'in den Bergen'. Nur nicht so, wie ich es mir gedacht habe: Statt in trauter Zweisamkeit Hiroto in einer idyllischen Berghütte das Hirn raus zu vögeln fahren wir mit der ganzen Clique. Gruppenausflug. Yeah. Sarkasmus. Ich mag die anderen, aber deswegen müssen wir doch nicht immer alle aufeinander hocken. Dennoch freu ich mich auf die Woche. Einfach mal raus aus der Stadt. Klimawechsel. Der wird uns allen gut tun.
 

Ein weiteres Mal wandert mein Blick zu Kaibas Platz, der dort sitzt und die Aufgaben von der Tafel löst. Es ist seit Anfang der Woche nicht das erste Mal, dass mein Blick auf ihn fällt und ich mich nicht von ihm lösen kann. Sonntagabend, als wir nach Hause gekommen sind, hat mir Hiroto von Seto erzählt. Von dessen Narben. Von dem, was er während Setos Erkrankung alles erfahren hat. Von einem Kaiba, der so anders war, als jener Mensch, den wir seit fast drei Jahren kennen. Dem ängstlichen Kind, dem schon das Vertrauen zu anderen so unglaublich schwer fällt.
 

Nicht verwunderlich, nachdem was Hiroto mir erzählt hat: Er erzählte mir von Missbrauch. Durch den Adoptivvater. Von Vergewaltigungen. Durch Geschäftspartner des Adoptivvaters. In der Villa. In der Firma. Bei anderen Gelegenheiten. Und das alles im Alter von 10 bis 15 Jahren. Kaiba hatte niemals einen Ort, an dem er sich sicher fühlen konnte. Von dem er wusste, wenn er dort war, würde ihm nichts Schlimmes geschehen. Daneben hohe Erwartungen, die er erfüllen musste und wenn er das nicht konnte drakonische Bestrafungen.
 

Ich spüre erneut, wie mich das alles eiskalt erwischt, genauso wie am Sonntagabend, als ich es das erste Mal hörte. Spüre diese Traurigkeit in mir für das Kind, das Kaiba einmal gewesen ist und welches man so gnadenlos zu Grunde gerichtet hat. Es gezwungen hat schneller erwachsen zu werden, als es für das kindliche Verständnis möglich gewesen ist. Kein Wunder, dass ihm Vertrauen immer so schwer fällt. Das er uns immer wieder von sich stieß und den Abstand wahrte.
 

Dass Kaibas Kindheit alles andere als rosig gewesen war wussten wir ja schon länger. Mokuba hat uns in den vergangenen Monaten immer wieder ein bisschen was erzählt. Von Schlägen, Demütigungen, Trennung von seinem Bruder. Doch das was Hiroto mir erzählt hat, übersteigt einfach alles an Grausamkeit, was man sich vorstellen kann. Und immer wieder frage ich mich, wie man zu sowas im Stande sein kann. Warum es immer wieder Eltern gibt, die derartig ungeeignet sind.
 

Das ganze hat mich natürlich auch an meinen Vater erinnert. Von seiner Rachsucht getrieben sah er mich seit meiner Geburt nur als Mittel zum Zweck. Seit ich denken konnte hat mein Vater von nichts anderem gesprochen. Einmal hab ich mich gegen ihn aufgelehnt und widersetzt. Dafür hat er mir eine bleibende 'Lektion' verpasst. Unbewusst berühre ich die Narbe, die ich so geschickt unter einem Kajal-Strich verberge.
 

Scheinbar habe ich mehr mit Kaiba gemein, als ich gedacht habe. Doch Hiroto erzählte mir auch von den Bedingungen, unter denen er mich einweihen durfte. Dazu gehört auch, dass Kaiba nicht darauf angesprochen werden möchte. Warum erlaubt er Hiroto einerseits mir alles zu erzählen und distanziert sich andererseits von den Erlebnissen und will nicht darüber reden?
 

Noch ehe ich weiter darüber nachdenken kann läuft es mir kalt den Rücken runter. Mir wird auf einmal bewusst, dass Kaiba zurück schaut. Sein Blick ist vernichtend. Ein wenig empört darüber, dass ich mich nicht an alle Bedingungen halte. Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass mein Blick mitleidig war. Eher besorgt. Doch ich bin mir sicher, dass er es anders sieht. Für ihn wird mein Blick voller Mitleid und vielleicht Geringschätzung sein. Er wird mich sicherlich anblaffen und versuchen stark zu wirken. Mich von sich stoßen und das vielleicht auch als Gelegenheit nutzen vor Hiroto zurück zu weichen.
 

Also geb ich klein bei und lass meinen Blick zurück an die Tafel schweifen. Aber so wirklich kann ich mich auf die Aufgaben nicht konzentrieren. Ich merke nur, wie mein Blick langsam wieder zu Kaiba gleitet und dann... zuck ich schmerzhaft zusammen und blicke in die andere Richtung. Neben mich. Zu meinem Freund. Der mich böse anfunkelt. Mit den Lippen formt er zwei Worte: 'Lass es!'. Hm, scheinbar ist mein Blick nicht nur Kaiba aufgefallen. Schuldbewusst senk ich den Kopf.
 

Endlich klingelt es und wir haben eine zehn Minuten-Pause. Also steh ich auf und möchte in den Waschraum. Mir das Gesicht ein wenig waschen und versuchen den Kopf frei zu kriegen. Ich hab mir gerade ein paar Spritzer ins Gesicht geworfen und richte mich wieder auf, als ich im Spiegel Kaiba sehe und mich im ersten Moment halb zu Tode erschrecke. Hastig wende ich mich zu ihm um und greif mir gleichzeitig an die Brust. Dann lach ich ihn erleichtert an und sag ihm, dass er mich erschrocken hat. Nicht das das nicht offensichtlich war.
 

Kaiba steht mit verschränkten Armen vor der Brust vor mir und funkelt mich eisern an. Okay... ich schätze, er ist hier, um mir klar zu machen, dass ich aufhören soll ihn anzuschauen. Aber ich kann das einfach nicht. Immer wieder spür ich in mir diese Traurigkeit. Die Traurigkeit darüber, dass ich in der Zeit nicht zurück gehen und Kaiba trösten kann. Aus den Fängen seines Adoptivvaters befreien kann. Es zerreißt mich innerlich, dass er versucht all den Schmerz, den er mit sich trägt, zu verbergen oder zu verleugnen.
 

Doch er sagt nichts. Er wendet sich plötzlich ab und will den Waschraum wieder verlassen. Eilig stürz ich an ihm vorbei und lehn mich gegen die Tür. Frag ihn, was er wollte. Aber er schaut mich nur weiter eiskalt an. Knirscht... mit den Zähnen? Dann meint Kaiba nur, dass er einfach nur hier raus möchte. Wenn er hier raus möchte, warum ist er dann erst rein gekommen? Er war nicht auf Toilette und nicht an einem der Waschbecken. Also... wo ist da die Logik?
 

Mir fällt auf, wie er sich auf einmal anfängt anzuspannen. Jede Sekunde die verstreicht scheint ihn mehr anzuspannen. Dann rutscht mir etwas heraus, was ich für mich behalten wollte: Ich sag ihm, dass wir uns gar nicht so unähnlich sind. Er nicht allein mit der Erfahrung ist, dass jemand, der ihn eigentlich lieben und beschützen sollte, dass versäumt und noch schlimmer, sein größter Albtraum geworden ist. Kaibas Blick wird vernichtend, während er näher zu mir aufschließt und sich vor mir regelrecht aufbaut. Ich solle gefälligst den Mund halten und mich an die Abmachung halten. Dann schiebt er mich unsanft von der Tür, reißt sie auf und verlässt den Waschraum mit eiligen Schritten.
 

Toll gemacht, Ryuji, sag ich mir selbst gedanklich. Ich hätte auch einfach einen Holzhammer nehmen und damit die Tür einschlagen können. Das hätte nicht weniger verschreckend auf Kaiba wirken können. Ich weiß, wie er sich fühlt. Na ja, zumindest ansatzweise. Aber er will... Ich halte plötzlich inne und klatsch mir die Hand an die Stirn. Ja... ich weiß, wie Kaiba sich fühlt und mich würde es wahnsinnig machen, wenn man mich immer wieder dumm von der Seite anstarren würde. Ich würde mich entblößt und peinlich berührt fühlen. Wie konnte ich das nur vergessen? Also nehm ich mir vor die letzten beiden Stunden nicht zu ihm zu schauen. Ihn nicht noch mehr das Gefühl zu geben, dass er ein Außenseiter mit seinen Erfahrungen ist. Er weiß, wie es mir mit meinem Vater ergangen ist. Wenn er reden will... nein... das wird er nicht wollen. Jedenfalls nicht mit mir. Und ich kann es ihm nicht verdenken.
 

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Einen Schritt, um abzulenken

Ein Fehler. Genau das ist es gewesen. Ein Fehler. Warum hab ich nur nachgegeben? Ich hab genau gewusst, dass der Würfelfreak sich nicht an die Bedingungen hält. Tagelang stiert er mich an. Mit einem vor Mitleid triefender Blick. Und dann spricht er mich auch noch darauf an. Am liebsten würd ich ihn auf den Mond schießen. Punk. Würfelfreak.
 

Warme Arme umfangen mich auf einmal. Ich schaue über meine Schulter in die braunen Augen meines Streuners. Er lächelt mich mild an. Fragt, worüber ich grüble. Worüber? Darüber, wo ich eine Zeitmaschine herbekomme. Dann würde ich sofort einsteigen, in der Zeit zurück reisen und mich selbst ohrfeigen, damit ich ja nicht auf die Idee komme der Bitte nachzugeben. Aber das sag ich Katsuya nicht. Jedenfalls nicht so direkt.
 

Doch das brauch ich gar nicht. Von ihm kommt nur fragend 'Otogi' und ich nicke. Ich bin für den Blonden einfach ein offenes Buch. Das war ich von Anfang an und ich bezweifle, dass sich das jemals ändern wird. Würde ich auch nicht wollen. Katsuya meint nur sanft, dass ich mir darüber keinen Kopf mehr zerbrechen muss. Fragend schau ich zu ihm, während er sich langsam um mich bewegt und sich dann an meine Brust drückt. Er hat das geregelt, meint er leise zu mir.
 

Er? Geregelt? Wie? Katsuya lächelt nur spitzbübisch und meint, dass er seine Mittel und Wege hat. Der Würfelfreak wird mich nicht noch einmal so nervig anglotzen, wie in den letzten Tagen. Das verspricht mir mein Streuner und ich will ihm glauben. Also beug ich mich zu ihm und küsse ihn sanft. Meine Hand an seiner Wange.
 

Als der Kuss - viel zu früh - endet blickt er mir noch einen langen Moment in die Augen. Fragt dann, ob ich bereits weiß, was ich für die Woche einpacken möchte. Er redet von der Golden Week zu der wir am Freitag schon mit dem Kindergarten aufbrechen wollen. In die Berge zu unserer Hütte. Mir graut es echt davor. Am liebsten würde ich hier bleiben. Doch eine ganze Woche auf meinen Streuner verzichten, dass überlebe ich nicht und meinem Streuner den Trip kaputt machen, dass will ich auch nicht. Also muss ich mitfahren.
 

Meine Antwort ist so viel-, wie nichtssagend: Zeug halt. Er schmunzelt sanft. Dann zieht er mich aus meinem Hausbüro heraus, in das ich mich nach unserer Rückkehr aus der Schule zurück gezogen habe. Zieht mich ins obere Stockwerk und in unser Schlafzimmer. Von dort in das Ankleidezimmer, in dem bereits ein Koffer und eine Sporttasche liegt. Isono, schießt es mir durch den Kopf. Obwohl er jetzt mehr als je zuvor zu tun hat findet er immer noch Zeit hin und wieder den guten Geist zu spielen und Sachen, die ich brauche, mit weiser Voraussicht zu besorgen.
 

Dann tritt Katsuya an meine Hälfte des Zimmers und schaut durch. Doch scheinbar missfällt ihm, was er sieht. Er wendet sich zu mir und sagt, dass ich legere Sachen brauch, die Alltagstauglich sind. Ich wende ein, dass ich legere Sachen habe und zieh die Stoffhose und den Pulli raus, den er mir im Dezember mehrfach rausgesucht hat. Er winkt ab und meint nur, dass ich mich darin totschwitzen werde.
 

Nachdenklich schau ich auf die Sachen und dann zu ihm. Dann, ohne dass einer von uns etwas sagt, beginnt mein Streuner erst zögerlich und dann immer breiter zu grinsen. Mir schwant übles. Katsuya beginnt in einer Singsang-Stimme zu trällern, dass wir dann wohl mal einkaufen müssen. Innerlich schrei ich auf. Ich... kaufe nicht ein. Niemals. Nicht in einem Bekleidungsgeschäft.
 

Tatsächlich... hab ich bislang immer Isono gesagt, was ich brauche und am nächsten Tag hatte ich etwas Passendes im Schrank. Doch seit ich meinen CEO-Posten an ihn abgetreten habe sehe ich ihn eher selten. Ihn dann noch zu bitten mir das eine oder andere zu besorgen... das würde sich komisch anfühlen.
 

Doch mein Streuner lässt sich nicht aufhalten. Er angelt nach meiner Hand und kaum hat er sie, zieht er mich wieder aus dem Ankleidezimmer, den Gang zur Treppe, die Treppe hinunter und zur Haustür. Durch die kommt gerade Mokuba, der mit großen, fragenden Augen uns beiden anschaut. Katsuya schnappt sich auch seine Hand und zieht uns beide aus dem Haus und zum Auto.
 

Mokuba findet die Idee mit mir Klamotten zu kaufen richtig gut und strahlt sofort über das gesamte Gesicht. Ich... bin da nicht so begeistert. Es gibt einen Grund, warum ich für gewöhnlich eher hochgeschlossene und langärmlige Kleidung bevorzuge, selbst wenn es draußen 40° Celsius sind und ich das Gefühl habe in einer Sauna zu sitzen. Aber das scheint gerade gar keine Rolle zu spielen. Wir fahren - unbeirrt - zur Mall, in der mich Katsuya jetzt zusammen mit Mokuba in eines der gehobenen Bekleidungsgeschäfte zerren.
 

Kaum sind wir dort, fangen die beiden an Klamotten zusammen zu suchen. Dann schicken sie mich in die Umkleide. Ich probiere drei, vier Outfits an, aber nichts davon gefällt mir. Also zieh ich meine Sachen wieder an und verlasse die Umkleide. Enttäuschte Blicke schlagen mir auf einmal entgegen. Was? Was hab ich falsch gemacht? Da meint Mokuba, dass sie gehofft hatten, dass ich ihnen die Sache vorführe. Bin ich Modell?
 

Doch Mokuba hört nicht auf zu beteuern, dass das doch gerade der Teil ist, auf den sie sich gefreut haben. Der Teil, der Spaß macht. Ich seufze, lass meine Schultern hänge und geh zurück in die Umkleide. Zieh noch einmal die Klamotten an, geh raus, dreh mich einmal um mich selbst, kassiere lapidare Kommentare und wir kommen - dieses Mal zu dritt - zu der Erkenntnis, dass nichts davon mir steht.
 

Eigentlich hab ich die Hoffnung, dass ich diesen Punkt jetzt endlich abgehakt habe, doch als ich rauskomme - wieder in meiner eigenen Kleidung - stehen die beiden schon mit neuen Outfits vor mir. Ein Angestellter nimmt mir die Kleidung, die ich eben anprobiert habe ab und gibt mir so - die nicht erwünschte - Möglichkeit, die neuen Outfits entgegen zu nehmen.
 

Fünf Stunden später und kurz vor Ladenschluss bezahlen wir endlich. Wir verlassen das Geschäft mit mehr als sechs prall gefüllten Tüten mit Anziehsachen für die Golden Week. Ich seufze erschöpft. Katsuya verschränkt seine Finger mit den meinen und lächelt mich an. Er dankt mir, dass ich den Spaß mitgemacht habe. Spaß? Meine Augenbraue zuckt kurz nervös. Doch während ich meinem lachenden Streuner zuschau, wie er sichtlich Spaß hat kann ich nicht anders, als auch zu lächeln.
 

Ich lege einen Arm um Mokubas Schulter und frag, ob wir nicht noch irgendwo eine Kleinigkeit essen gehen möchten. Irgendein kleines, gutbürgerliches Restaurant mit japanischer Küche. Mokuba strahlt mich an und nickt begeistert. Er meint, er habe die Tage ein schönes, kleines, familiäres Lokal entdeckt. Also zieht er uns aus der Mall, nachdem wir unsere Tüten im Wagen verstaut haben, und zieht uns die Straße entlang. Nach fünf Ecken erreichen wir eine ruhige Gegend der unteren Mittelschicht. Weiter vorne kann ich das Schild des Restaurants sehen.
 

Auf einmal bleibt Katsuya wie vom Blitz getroffen stehen und geht keinen Schritt mehr. Das Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden. Ich dreh mich zu ihm und frag ihn, was los ist. Dann grinst er mich auf diese dümmliche Art und Weise an, wie er es früher auch schon gemacht hat, wenn er etwas ins Lächerliche gezogen oder runter gespielt hat. Er weicht einen Schritt zurück und meint, er habe vergessen, dass er heute Schichtim Conbini hat. Schnell drückt er mir einen Kuss auf und löst sich dann von mir, bevor er in die entgegengesetzte Richtung davon läuft.
 

Ratlos und verwundert blicke ich Katsuya hinterher. Eigentlich... liegt das Conbini in die Richtung, in die wir ohnehin unterwegs waren.
 

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Einen Schritt und man steht auf der anderen Seite

Ich zittere immer noch am ganzen Leib und frag mich, wie ich so die Kontrolle verlieren konnte. Meine Therapie war doch schon abgeschlossen, also warum... hab ich so reagiert?
 

Mich hätte dort sicherlich keiner mehr erkannt. Immerhin haben sie mich das letzte Mal vor zehn Jahren gesehen. Ich hab mich doch schon sehr verändert, während ich vom Kind zum Mann wurde. Also ja, mich hätte dort keiner mehr erkannt. Oder? Aber was wenn sie die Bilder noch an den Wänden haben? Nein... Mokuba sagte, er habe das Lokal letzte Woche oder so entdeckt. Dann war er sicherlich dort. Er hätte uns davon erzählt, wenn er in irgendeinem Lokal Bilder von mir an der Wand entdeckt hätte.
 

Dennoch kann ich das Zittern nicht von mir abstreifen, während ich im Lager des Conbini sitze und alles versuche, um meine Tränen zurück zu halten. Ich war vorhin gut zehn Blocks gerannt, bevor mir bewusst wurde, dass ich in die falsche Richtung laufe. Über einen Riesenumweg hab ich mich dann zum Conbini durchgeschlagen. Kimochi-san hat überrascht aufgeschaut und gesehen, dass etwas nicht mit mir stimmt, als ich an ihm vorbei und ins Lager gehetzt bin. Hab mich zwischen zwei Palette gequetscht. Mein Chef war einmal bei mir, doch hat er erkannt, dass mir nicht zum Reden zu Mute war. Also ließ er mich wieder allein.
 

Wenn ich ehrlich bin, hab ich keinen Plan, wie lang ich eigentlich hier schon sitze. Es muss schon eine ganze Weile sein und mir ist richtig kalt. Weder draußen noch hier im Lager ist es wirklich kalt, aber ich fühle mich wie die ganzen Winter in den letzten Jahren, wenn ich nur in meiner dünnen, nicht gefütterten Freizeitjacke mit den anderen im dicksten Schnee unterwegs war. Meine Zähne klappern aufeinander und mein ganzer Körper zittert.
 

Da legt sich eine große, warme Hand an meine Wange. Erschrocken zuck ich erst zurück und blicke dann auf. In die warmen, besorgten Auge meines Vaters. Ich bin irritiert. Wo kommt mein Vater auf einmal her? Woher weiß er, dass ich hier bin? Im gleichen Moment, in dem mir die Fragen durch den Kopf gehen befinde ich sie für unwichtig. Wichtig ist nur, dass er hier ist und mich an sich zieht. Anfangs tu ich mich schwer doch dann press ich mich gegen seine Brust. Seine Arme umschließen mich und geben mir Halt.
 

Die Tränen, die ich die ganze Zeit zurückgehalten habe, brechen sich Bahn. Mein Inneres bebt einfach. Mein Vater... sagt nichts. Er hält mich einfach nur fest im Arm, streicht mir über mein Haar und spendet mir Wärme und Geborgenheit. Ist der Vater, den ich mir in den letzten Jahren so sehr gewünscht habe. Ist der, der er einmal war, bevor er ins Gefängnis gemusst hatte.
 

Nach einer weiteren Weile beruhige ich mich wieder. Nur zögerlich schau ich auf und mein Vater lächelt mich sanft an. Fragt mich, was los ist. Ich erzähl ihm von der Shoppingtour und wie wir etwas essen gehen wollten. Wie Mokuba uns durch die Stadt gelotst hat und mir erst viel zu spät bewusst wurde, wohin wir gehen würden. Wie mich dann auf einmal die Panik und der Schmerz ergriffen hat und ich nur noch weglaufen konnte.
 

Mit sanfter Stimme sagt er mir, dass ich meinem Drachen einen Heidenschrecken eingejagt hab. Auch dem kleinen Drachen. Bei dieser Formulierung blick ich ihn irritiert an. Dann wird mir bewusst, dass er mit 'kleinen Drachen' Mokuba meint. Schuld regt sich in mir. Tiefe Schuld. Und Scham. Fahrig geh ich mir durch das Haar. Scheiße... wenn ich etwas falsch mache, dann so richtig.
 

Doch mein Vater lächelt mich nur an und meint, dass ich aufhören soll mich zu zermartern. Sanft streicht er mir über die Wange, dann steht er auf und zieht mich mit auf meine Füße. Langsam führt er mich aus dem Lager in den Verkaufsraum und mein Chef schaut besorgt zu mir, lächelt aber sanft. Ich entschuldige mich bei ihm für mein Auftreten und meinen Zusammenbruch und er meint, ich brauche mich nicht entschuldigen. Dann zieht mein Vater mich aus dem Conbini und... zu meiner Überraschung steht vor dem Laden Setos Limousine und mein Drache davor.
 

Etwas ängstlich blickt er mich an, dann löse ich mich von meinem Vater und eile zu meinem Drachen. Der schließt mich sofort in die Arme und drückt mich an sich. Auch ihm hauch ich mehrfach Entschuldigungen in die Ohren. Aber davon will er nichts hören. Er ist nur froh, flüstert er mir zu, dass er mich wiedergefunden hat.
 

Als wir uns lösen dreh ich mich zu meinem Vater, der mich nur warmherzig anlächelt. Noch einmal drückt er mich. Ich danke ihm. Doch er winkt ab und sagt, dass dafür Väter doch da seien. Er lächelt Seto sanft an, legt eine Hand auch an dessen Wange und zieht ihn dann vorsichtig kurz an sich. Mein Drache soll gut auf mich acht geben, meint er zu ihm. Dann legt er mir die Hand an die Wange und mahnt mich, mich nicht meiner Panik hinzugeben. Bevor er sich dann umdreht und weggeht erinnert er uns beide daran, dass wir ihn jederzeit anrufen können.
 

Wir sehen meinem Vater hinterher, bis dieser bei der nächsten Ecke abbiegt. Dann meint mein Drache, dass es Zeit wird nach Hause zu fahren. Ich nicke und wir steigen an. Fuguta sitzt hinter dem Steuer und fährt los, nachdem die Tür zu ist. Während der Fahrt schweigen wir. Seto hat einen Arm um mich gelegt und hält mich fest an sich gedrückt. Ich muss ihn wirklich sehr erschrocken haben.
 

Der Wagen biegt auf das Grundstück der Villa und hält vor der großen Tür. Wir sind noch nicht ausgestiegen da wird die Tür aufgerissen und der kleine Wirbelwind stürmt auf mich zu, wirft sich mir an den Hals und bittet mich in schneller Abfolge um Entschuldigung. Ich umfang ihn mit meinen Armen und sag ihm, dass es nichts gibt, was ich ihm entschuldigen müsste.
 

Dann gehen wir in das Haus und suchen das Wohnzimmer auf. Als wir schon ein oder zwei Minuten da sitzen beginne ich den beiden zu erzählen, dass das, wo wir vorhin hin wollten das Restaurant desjenigen war, der mich missbraucht hatte. Wir reden noch eine ganze Weile darüber und das mich die Panik vorhin kalt erwischt hat und ich völlig kopflos gehandelt habe.
 

Doch die beiden Brüder begegnen mir mit so viel Verständnis und Liebe, dass die Schuldgefühle tatsächlich immer mehr nachlassen. Schließlich sind sie ganz verschwunden und - weil wir immer noch nichts gegessen haben - wechseln wir vom Wohnzimmer in die Küche. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass die beiden mich so nehmen wie ich bin. Doch Seto bleibt die ganze Zeit stets ganz nah bei mir, als wolle er sicher gehen, dass ich nicht noch einmal plötzlich davon laufe.
 

Daher dreh ich mich ein wenig zu ihm, küss ihn sanft und geb ihm mein Wort, dass ich das nie wieder tun werde. Dass ich fortan für immer an seiner Seite bleiben werde, egal wohin uns unsere Wege auf führen mögen. Er lächelt mich glücklich und dankbar an. Dann küsst er mich noch einmal eindringlicher und intensiver, bevor Mokuba nur meint, dass wir - wenn wir so weiter machen wollen - uns doch ein Zimmer nehmen sollen. Ich kann nicht anders als lachen.
 

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Einen Schritt durch die Nacht

Noch immer spült Panik und Angst durch meinen Körper. Ich liege im Arm meines Streuners und kann nicht schlafen. Was heute passiert ist spukt mir noch im Geiste herum. Als er heute Nachmittag auf einmal weggelaufen ist, hat mir das einen gehörigen Schrecken eingejagt. Dieses abrupte Stehenbleiben, Zurückweichen, Umdrehen und Weglaufen ging einfach so unglaublich schnell.
 

Zum ersten Mal ist mir wirklich bewusst, wie sich das wohl für Katsuya und Mokuba angefühlt haben muss, als ich neulich in Panik davon gelaufen bin. Ich hab selbst danach, nachdem mein Kopf endlich wieder klar gewesen war, nie gedacht, dass so ein Schreck noch so lang nachwirken kann. Eben ist mein Streuner noch an meiner Seite und auf einmal ist er weg. Wäre ich mit ihm alleine unterwegs gewesen wäre ich ihm hinterher gestürzt, aber Mokuba hatte mich an der Hand.
 

Wieso hab ich auch nicht nachgeforscht, in welchem Restaurant er seine schlimmen Erfahrungen gemacht hat? Dann hätte ich sofort erkannt, wohin es gehen soll und hätte das abwenden können. Aber das hab ich nicht. Ich war nachlässig. Das wird mir nicht noch einmal unterlaufen. Also werde ich nach der Golden Week mir das ganze noch einmal im Detail anschauen. So etwas wird mir auf keinen Fall noch einmal passieren.
 

Plötzlich zuckt mein Streuner und ich blicke fragend zu ihm auf. Für gewöhnlich bin ich es, der von Albträumen gequält wird und dann schreiend aufwache, nur um mich dann in seine Arme zu flüchten und von ihm trösten zu lassen. Noch vor sechs Monaten war das völlig undenkbar für mich. Doch mein blonder Streuner... er hat mich verändert. Da... er zuckt noch einmal zusammen. Was soll ich tun? Was tut er bei mir?
 

Alles was mir einfällt ist ihm ein 'sssh' zuzuflüstern. Ihm sanft über die Brust zu streichen. Doch scheinbar reicht das nicht aus oder hat die gegenteilige Wirkung, denn er schreckt auf einmal hoch und bleibt schwer atmen neben mir sitzen. Wenn ich so aufwache rutscht er vorsichtig hinter mich. Also werde ich das jetzt auch tun. Langsam. Behutsam. Lege meine Arme um seine Hüfte und zieh ihn an meine Brust. Dankbar lehnt er sich an mich. Braucht einige Minuten, bis sich sein Atem beruhigt hat. Dann blickt er mich an und entschuldigt sich dafür, dass er mich geweckt hat.
 

Ich sag ihm, dass es nichts gibt, wofür er sich entschuldigen muss. Streich ihm eine Strähne aus dem schweißnassen Gesicht. Er schmiegt sich mehr in meinen Arm. Scheinbar ist das genau was er gerade braucht. Halt. Schließlich zieht er die Decke wieder höher und um uns herum. Langsam lass ich uns nach hinten gleiten, bis wir wieder liegen, mit dem Unterschied, dass er nun in meinem Arm liegt. Sein Kopf liegt auf meiner Brust. Ob er meinen Herzschlag hören kann?
 

Wenn ich aus einem Albtraum schrecke gibt mir Katsuya immer etwas Zeit und fragt mich dann, was ich geträumt habe. Wann ist der richtige Moment dafür? Doch bevor ich etwas sagen kann beginnt mein Streuner von ganz alleine zu reden. Erzählt mir, dass er wieder in diesem Keller war und sich neben der Kühltruhe versteckt hatte. Doch der Alte habe ihn trotzdem gefunden. Er war wütend auf ihn und hat ihn geohrfeigt. Dann hätte er ihn... Ich spüre, wie mein Hemd an einer Stelle etwas feucht wird, also streiche ich ihm sanft durch das Haar, bis er dann weitererzählt. Wie schlussendlich sein Vater sie erwischte und dass er sich genauso ängstlich fühlt, wie damals.
 

Da ich nicht weiß, was ich sagen soll, hör ich einfach nur zu. Mir fällt auf, wie schwer es ist jemand tröstende Worte oder etwas anderes aufbauendes zu sagen. Wie macht das Katsuya nur seit Monaten immer wieder bei mir? Woher nimmt er nur die Weisheit, die man dafür braucht? Er blickt schließlich zu mir auf und dankt mir fürs Zuhören. Dann streckt er sich etwas und gibt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich wieder in meinen Arm kuschelt.
 

Nach einem weiteren Moment durchbricht er wieder die Stille und stellt fest, dass ich noch gar nicht geschlafen habe. Überrascht schau ich zu ihm und frag mich, woher er das weiß. Dann fragt er mich, ob mich sein Weglaufen noch beschäftigt. Unglaublich, was er für ein Gespür hat. Bin ich so gläsern oder ist er einfach so durchschauend? Ich nicke aber. Behutsam legt er mir eine Hand an die Wange und streicht mir sanft über die Haut. Entschuldigt sich auch dafür noch einmal. Ich leg meine Hand auf seine und wiederhole, dass es nichts gibt, wofür er sich entschuldigen muss. Er lächelt schwach. Schmiegt sich wieder mehr an mich.
 

Dann - nach weiteren Minuten der Stille - meint er ganz ohne Kontext, dass er wohl mal wieder ein paar Gespräche mit Kai braucht. Erstaunt blick ich zu ihm. Das er von sich aus das erkennt und sich vornimmt... ich hab am Anfang alles getan, damit ich mich nicht mit diesem Mann unterhalten muss. Doch Katsuya... er scheint in Kai eine große Stütze zu finden. Jemand, dem er voll und ganz vertraut. Ich hingegen überlege manchmal immer noch sehr angestrengt, was ich diesem Mann anvertrauen kann und was ich lieber für mich behalte. Ohne Katsuya würde ich die Gespräche gar nicht wahrnehmen, obwohl... es mir mittlerweile besser geht.
 

So ist das halt: Mein Streuner ist einfach mutiger als ich. Weiser als ich. Intuitiver als ich... Wenn ich so darüber nachdenke, dann muss ich sagen, dass ich eigentlich gar keine Intuition habe. In der Geschäftswelt, wenn es ums Business geht oder die niederen Beweggründe von Männern, die meinen ihnen gehöre die Welt und sie dürfen sich alles erlauben, dann hab ich auch Intuition... aber bei allem anderen... muss ich mich auf Mokuba oder Katsuya verlassen.
 

Ich sag meinem Streuner, dass ich das für eine gute Idee halte. Er nickt und zieht mit seinem Finger Kreise auf meiner Brust. Langsam beug ich mich zu seinem Haar und küss ihn auf den Kopf. Er blickt wieder zu mir auf mit diesen honigbraunen Augen. Diese warmherzigen, weisen braunen Augen, die mich nie täuschen würden. Mich nie hintergehen... und denen es immer noch unendlich leid tut, dass sie vorhin vor mir weggelaufen sind.
 

Dann herrscht wieder Stille im Zimmer. Nach und nach verlier ich mich in meinen Gedanken und dämmer weg. Mein letzter Gedanke, bevor ich mich in der Bewusstlosigkeit des Schlafs verliere, ist, dass mein Streuner hoffentlich nie wieder weglaufen und mich alleine lassen wird. Nie wieder möchte ich mich so einsam und verloren fühlen.
 

Bin ich deswegen egoistisch?
 

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Einen Schritt des Aufbruchs

Endlich Freitag. Das war eine sehr besch... bescheidene Woche. Erst, dass Otogi sich nicht einmal an eine simple Regel halten kann und meinen Drachen zur Wochenmitte so gegen sich aufbringt, dass dieser selbst Zuhause noch aufgebracht in seinem Büro sicherlich einige Kilometer gelaufen ist.
 

Dann hab ich mich triggern lassen. Dachte eigentlich, dass ich mich besser im Griff habe. Tja... so kann man sich täuschen. Die letzten zwei Nächte war ich es, der Albträume gehabt habe. Aber das mein Drache mich liebevoll und voller Verständnis auffing und mir zugehört hat, dass hat sich gut angefühlt.
 

Getoppt wurde diese Woche durch unseren Wirtschaftslehrer, der uns heute eine Arbeit zurück gegeben hat und mir eine glatte Sechs gegeben hat, weil ich laut seiner Meinung nach abgeschrieben haben muss. Anders würde sich dieser Notensprung von einem Mangelhaft auf Gut seiner Meinung nach nicht erklären lassen.
 

Na ja, wie soll der Mann auch verstehen, dass wenn man Zeit zum Lernen hat nicht wie der Ochs vorm Berg bei einer Arbeit dar steht? Aber ihm Einzelheiten aus meinem Leben zu erzählen... dazu hatte ich dann auch kein Bock. Ich wollte schon resigniert hinnehmen, dass ich an der Note nichts ändern kann, als Seto sich einmischte. Er hat dem Lehrer sowas von dem Takt gegeigt, dass dem Hören und Sehen verging. Aber die Note geändert hat er trotzdem nicht. Stattdessen darf ich nach der Golden Week vor dem Rektor erklären, wieso ich auf einmal ein Gut in der Arbeit hinbekommen habe.
 

Egal... jetzt stehen erst einmal zehn Tage Urlaub auf dem Programm, auch wenn ich mir da immer noch Gedanken darüber mache, ob das für meinen Drachen so entspannend sein wird. Er scheut schon das Schlafengehen, wenn meine Freunde über das Wochenende da sind, vor allem, nachdem sie nach Weihnachten seinen Schrei gehört haben. Die Hütte ist sicherlich kleiner als die Villa, also könnte das ziemlich Druck auf ihn ausüben.
 

Doch bislang wirkt Seto gelassen. Wir stehen an einem Van und laden gerade unsere Taschen ein. Fuguta hilft uns beim platzsparenden Verstauen und wird wohl auch als Fahrer fungieren. Da seh ich, wie die Oberklassen-Limousine auf das Grundstück fährt, gefolgt von Otogis Flitzer. Die Limousine fährt hinter den Van und bleibt stehen. Dann springen Yugi und Ryou aus dem Wagen und strahlen über das gesamte Gesicht.
 

Auch wenn wir uns erst vor weniger als zwei Stunden an der Schule getrennt haben begrüßen wir uns, als hätten wir uns Wochen nicht gesehen. So ist das halt bei uns. Immer herzlich und überschwänglich. Otogi parkt hinter der Limousine und steigt dann zusammen mit Honda aus. Warum er mit dem eigenen Auto hier ankommt ist mir ein Rätsel, denn eigentlich wollen wir alle zusammen mit dem Van fahren. Nur zögerlich folgt Otogi Honda zu uns.
 

Ich begrüß meinen besten Freund bevor ich Yugis und Ryous Taschen verstau. Während die beiden zusammen mit Mokuba sich schon einmal Plätze im Van sichern frag ich Honda, was mit seiner besseren Hälfte los ist. Er meint nur, dass Otogi gewisse Probleme mit der Einhaltung der Bedingungen hat und sie vorhin einen kleinen Streit gehabt haben. Das Otogi überlegt hat, nicht mitzufahren, weil er Seto kein Unbehagen bereiten will. Ich seufze.
 

Dann geh ich zu Otogi, begrüß ihn eher formal. Klar, wir sind irgendwie befreundet, aber unsere Freundschaft war doch immer recht formal. Also frag ich ihn, was sein Problem ist. Er schaut mich lange an und meint dann, dass er eben nicht so tun kann, als wüsste er von nichts. Das ihn das, was er erfahren hat schon recht unvorbereitet getroffen hat und er sich Seto jetzt näher fühlt, als dieser es wohl zulassen möchte. Dieser Widerspruch macht ihn kirre.
 

Kurz blicke ich zu Seto, der gerade einige Worte mit Honda wechselt. Zwischen ihnen hat sich durchaus etwas wie eine Freundschaft etabliert. Immerhin bat er Honda um seine Hilfe für mein Geburtstagsgeschenk, akzeptierte Hondas Hilfe als er selbst krank war und plaudert gelegentlich einfach so mit ihm. Ich wende meinen Blick wieder auf Otogi, der seine Hände tief in den Taschen der Lederhose steckt. Ich sag ihm, dass ich versuchen werde meinen Drachen für ein Gespräch mit ihm zu erwärmen. Vielleicht hilft ihm das ja.
 

Otogi nickt dankbar, dann geht er zurück zu seinem Auto. Ich frag ihn, ob er ihn parken geht. Er verneint. Meint nur, dass er uns hinterher fahren wird. Als ich ihn frage, warum er mit dem eigenen Wagen fahren möchte, meint er nur, dass er mit Honda während der Woche hier und da was unternehmen möchte - zu zweit. Ich grinse, als ich verstehe. Dann gesell ich mich wieder zu Seto und Honda, die gerade über Baseball reden.
 

Baseball? Seit wann interessiert sich mein Drachen für Sport im Allgemeinen und Baseball im Besonderen? Ich bin völlig baff und erst nach einigen weiteren Momenten blickt mich Seto fragend an. Was ich habe, will er wissen. Ich lächle nur glücklich und zieh ihn in meine Arme. Mein nur, dass er mich immer wieder überrascht. Dann küss ich ihn sanft. Dann meint Honda, dass er zurück zu Otogi gehen wird und wir uns dann an der Hütte sehen werden.
 

Fragend blickt Seto Honda hinterher und will wissen, warum die beiden nicht mit uns im Van fahren. Ich erklär ihm, dass Otogi mit Honda wohl den ein oder anderen romantischen Ausflug geplant hat. Von meinem Drachen kommt nur ein verlegenes 'Oh', dann zieht er mich zur seitlichen Tür des Vans und blickt hinein. Ryou, Yugi und Mokuba haben sich über die zwei Bänke verteilt und den Zweisitzer gegenüber der Schiebetür für uns freigelassen. Leise hör ich meinen Drachen brummen. Er hätte den Sitz ganz hinten eher vorgezogen, aber ohne ein Wort zu verlieren setzt er sich dann.
 

Als ich einsteige zieh ich die Tür hinter mir zu. Ich bin aufgeregt. Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich für einen Ausflug aus der Stadt rausgekommen bin. Glaub, das letzte Mal war im vergangenen Sommer, als wir an einen See zelten waren. War eine schöne Woche, ging aber nur, weil ich die Wochen davor ordentlich rangeklotzt habe, um die Woche finanziell zu überbrücken. Ich hab die halbe Zeit nur gepennt, weil ich so fix und fertig gewesen bin. Doch dieses Mal... wird das anders. Ich werde tatsächlich was von den zehn Tagen haben.
 

Seto legt seinen Arm um meine Schultern und zieht mich näher zu sich, so dass ich mich an ihn lehnen kann. Er lächelt mich an und ich seh ihm an, dass auch er nervös ist. Scheinbar hat er so etwas noch nie gemacht: Mit Freunden wegfahren, um eine gute Zeit zu haben. Das wird schon werden. Immerhin hat er einen weiten Weg hinter sich und ist längst nicht mehr so distanziert zu meinen Freunden, wie noch an Weihnachten. Er taut immer mehr auf und da gehört so etwas einfach als nächster Schritt in der Entwicklung dazu.
 

Dann steigt auch Fuguta ein, erkundigt sich, ob alles in Ordnung bei uns sei und alles verstaut ist. Als wir praktisch im Chor ja rufen nickt er und fährt langsam los. Honda und Otogi folgen uns. Die Freude in mir explodiert förmlich und ich bin ganz hibbelig. Das wird eine tolle Zeit, da bin ich mir sicher.
 

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Einen Schritt durch den Ärger

Anderthalb Stunden fahren wir jetzt. Genervt schau ich aus dem Fenster des Flitzers und wünsche mir, dass wir endlich ankommen. Die Stille erdrückt mich förmlich. Ryuji straft mich immer mit Schweigen ab, wenn wir uns streiten.
 

Eigentlich war geplant, dass wir mit den anderen im Van mitfahren. Aber nach der Schule meinte Ryuji einfach, dass wir separat mit seinem Flitzer fahren werden, den er sich zu seinem 18. Geburtstag im Februar geleistet hat. Als ich wissen wollte, warum, meinte er nur 'Weil'.
 

'Weil' ist nie eine sehr gute Antwort. Man verwendet diese Art der Antwort meist, wenn man den eigenen Willen durchsetzen möchte und keine plausiblen Gründe hat, um andere zu überzeugen. Vor allem kann man ein 'Weil' so schlecht nachvollziehen, was meist der Grund dafür ist, dass kleine Kinder bei so einer Antwort bocken. Und so hab auch ich gebockt.
 

Aber das war nur der Auftakt zu etwas, was sich seit Mitte der Woche schon anbahnt und ehe ich mich versah waren wir mitten in einem Streit. Einem Streit über Seto und die Bedingungen, die ich für Ryuji eingegangen bin, damit ich ihn ins Vertrauen ziehen durfte. Warum fällt es ihm nur so schwer die paar wenigen Bedingungen einzuhalten? Wieso kann er sich nicht ganz normal benehmen, wie bislang auch?
 

Nein, er hat den Bedingungen nicht zugestimmt und von daher sieht der Herr Spielentwickler sich auch nicht dazu genötigt sie einzuhalten. Dafür hat er am Mittwoch erst von Seto und dann von Jonouchi was zu hören bekommt. Und als er sich bei mir am Nachmittag darüber beklagte, hab ich ihn gefragt, was er erwartet hat. Sofort hat er mir da schon unterstellt, dass ich auf Setos und Jonouchis Seite stehe und ich mich gegen ihn stelle.
 

Blödsinn. Völliger Blödsinn. Hier gibt es keine Seiten. Es heißt nicht die gegen uns. Warum versteht Ryuji das nicht? Er hat Wochen lang verlangt von mir zu erfahren, was mich so beschäftigt. Jetzt hab ich es ihm erzählt und es ist alles schlimmer als zuvor. Dabei hab ich versucht Ryuji zu besänftigen. Klar zu machen, dass die Bedingungen sich bestimmt bald lockern werden und dann in Wohlgefallen auflösen werden, wenn Seto sich erst einmal daran gewöhnt hat, dass Ryuji jetzt auch Bescheid weiß. Aber darauf zu warten hat der Herr ja keine Lust.
 

Während ich, selbst wenn ich mich über ihn ärgere, ihn nicht brüskiere und statt im Van mit ihm fahre, lässt er mich eiskalt auflaufen. Warum tut er das? Wieso versteht er nicht, dass man mit Seto sehr vorsichtig umgehen muss, was dieses Thema betrifft? Seto hat gerade Mal angefangen seine Vergangenheit nach und nach aufzuarbeiten. Wenn man jetzt progressiv ihn damit nervt wird er nur dicht machen. Möglicherweise sein Vertrauen in mich - oder noch schlimmer - in Jonouchi verlieren.
 

Doch Ryuji ist nicht dieser Ansicht. Seto ist schließlich ein taffer Hund, meint mein Freund mit einem Tonfall, der mir gar nicht gefallen hat. War er in den letzten Monaten blind, taub und isoliert? Er hat doch miterlebt, welche Veränderung Seto durchgemacht hat. Wie er von seiner ablehnenden Haltung abgerückt ist, zaghaft zu uns Bindungen aufgebaut hat. Er ist in der Geschäftswelt doch bewandert, da hat er doch mitbekommen, dass Seto als CEO zurück getreten ist und mit dem Business nichts mehr zu tun hat. Hat er nicht am letzten Wochenende Seto aufgefangen, als dieser vor Stress vom Stuhl gekippt ist?
 

Und dann wird die Stille doch durchbrochen. Ryuji fragt mich, warum ich sein Bedürfnis mit Seto über alles zu reden nicht verstehen kann. Ich schau ihn langsam an und muss überlegen. Antworte schließlich mit einer Gegenfrage und möchte wissen, was es da zu reden gibt? Kurz blickt er mich an, bevor er sich wieder auf die Straße konzentriert. Dann antwortet Ryuji seinerseits wieder mit der Frage, ob ich nicht denken würde, dass er von allen in unserem Freundeskreis der ist, der am ehesten Seto verstehen kann. Immerhin weiß er, wie ein Leben mit einem sadistischen Psychopath als Vater ist.
 

Da fällt bei mir der Groschen: Ryuji sieht in Seto jemand, mit dem er sich über das, was Väter ihren Söhnen antun können, austauschen kann. Der genau nachvollziehen kann, wie man sich fühlt, wenn man sich nicht wehren kann und einem Erwachsenen vollkommen ausgeliefert ist. Immerhin war Ryujis Vater so fertig, dass er nur als Clown verkleidet rumgerannt ist.
 

Wie konnte ich meinen Freund nur so missverstehen und ihm irgendeinen Scheiß unterstellen? Betroffen senk ich meinen Kopf und entschuldige mich bei Ryuji. Er winkt nur ab und meint, dass alles gut sei. Aber auch wenn ich endlich verstanden habe, worum es ihm geht, bezweifle ich, dass Seto jemals bereit sein wird mit ihm über irgendetwas aus diesem Bereich zu reden. Selbst mit mir redet Seto kaum darüber, was er erlebt hat. Eigentlich gar nicht. Die einzigen, mit denen er wirklich redet ist Jonouchi und sein Therapeut.
 

Ryuji zuckt kurz mit der Schulter und grinst dann sanft. Meint, dass es doch mal eine interessante Herausforderung sei. Ich zieh nur meine Augenbrauen in die Höhe. Herausforderung? Seto dazu zu bekommen, mit einem zu sprechen? Da kann man aber auch gleich anfangen einen Berg zu versetzen. Das würde man eher schaffen, als das Seto sich einem auf diese Art und Weise öffnet.
 

Dann biegt der Van vor uns plötzlich von der Straße ab und wir folgen auf einen Waldweg. Es wird ziemlich holprig, jedenfalls für uns, da der Flitzer recht dicht über den unebenen Boden rollt, während der Van mehr Spiel unter dem Bodenblech hat und scheinbar auch bessere Stoßdämpfer.
 

Nach etwas mehr als zehn Minuten lichtet sich der dichte Wald um uns herum auf einer Seite und gibt den Blick auf einen großen - nicht zu sagen riesigen - See frei, der idyllisch vor einer Hügelkette liegt. Dann tauchen wir wieder in den Wald ein und es geht etwas bergauf. Nach weiteren zehn Minuten kommen wir scheinbar an und ich... bin völlig baff.
 

Irgendwann werde ich mit Seto mal über Definitionen sprechen, denn das da... ist keine Hütte. Das ist ein dreistöckiges Haus, welches wie ein kleines Wellness-Hotel mitten im Wald im rustikalen Look und dennoch modern wirkt. Das Erdgeschoss hat sogar einen Wintergartenanbau, der nach hinten weggeht, und scheinbar ist dieses Haus sogar unterkellert. Der Van fährt in eine große Doppelgarage, in der auch noch Platz für Ryujis Flitzer ist.
 

Als wir aussteigen und vor die Garage treten stellen wir fest, dass es noch ein Nebengebäude gibt. Ein Gebäude, welches die Bezeichnung Blockhütte wirklich verdienen würde. Und ich sehe auch eine Wald-Holztreppe, die von hier aus nach unten führt, doch wohin seh ich nicht, denn sie endet nach einigen Stufen auf einem Stück Waldweg, der nach rechts wegführt, bevor ich erneut ein hölzernes Treppengeländer ausmache.
 

Seto und Jonouchi kommen entspannt aus der Garage, bevor Mokuba mit Yugi und Ryou rausgelaufen kommen und scheinbar noch viel zu viel Energie über haben. Scheinbar hat auch mein bester Freund nicht sowas hier erwartet. Ich grins. Gut, dass nicht nur ich total überrascht bin.
 

Ich bin gespannt, welche Überraschungen uns drinnen erwarten werden.
 

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Einen Schritt in die Golden Week

Hütte? Das ist doch keine Hütte. Das... ist eine Villa. Eine Villa mit Holzfassade, aber definitiv eine Villa. Ungläubig blicke ich einfach nur an der Fassade hinauf und bin erschlagen von der Höhe des Hauses. Seto schmiegt sich eng an mich und fragt mich, was ich davon halte. Ja... ähm... was halt ich von diesem Monster von Haus? Das einzige Wort, was mir einfällt ist: Überwältigend.
 

Sanft zieht mich Seto die drei Stufen auf die vordere Veranda hoch und vor die zweiflüglige, kunstvoll geschnitzte Holztür mit dem Glaseinsatz. Er schließt die Tür auf und uns eröffnet sich ein wundervoller Wohnraum, auf der linken Seite ist eine Küche mit Essbereich eingerichtet, dabei ist sowohl die Einbauküche, als auch der Esstisch mit den Stühlen sehr rustikal gehalten.

Direkt vor uns liegt ein großzügiges Wohnzimmer, das scheinbar über zwei Etagen hoch ist. Dort findet sich eine bequem wirkende Couchlandschaft mit Fernseher und Kamin. Der Fernseher wirkt modern und hängt wie ein Gemälde über dem Kamin. Zum Glück ist der Kamin kein Prunkbau, der besonders hoch wäre, sondern eher niedrig und ohne viel Schnörkel.

Auf der uns gegenüberliegenden Seite befindet sich ein zweitüriger Durchgang zum Wintergarten. Von hier aus kann ich die Rattan-Gartengarnitur erkennen, die Seto auch Zuhause auf der Terrasse und im Wintergarten stehen hat.

Der Style ist einheitlich und abgerundet. Dem Kamin gegenüber führt eine Treppe über einen höher gelegenen Absatz in den ersten Stock, den ich schon von hier unten über die offene Gestaltung teilweise einsehen kann.
 

Als die anderen mit ähnlicher Maulsperre, wie ich, sich das Erdgeschoss anschauen, beginnt Seto bereits mit der Zimmereinteilung. Mokuba hat hier wohl ein eigenes Zimmer, jedenfalls beachtet er die Zimmereinteilung nicht groß und stürmt bereits die Treppe zum ersten Stock hoch. Doch bei der Einteilung gibt es auch keine großen Überraschungen.
 

Wir folgen Mokuba also, der sein Zimmer am Ende des Ganges zu haben scheint. Das erste Zimmer ist eines mit einem großen, breiten Bett. Hier quartiert Seto Honda und Otogi ein, wobei er Otogi mit keinem Blick würdigt. Zwischen diesem 'Elternschlafzimmer' und Mokubas Zimmer liegt ein großes Badezimmer. Auf der anderen Flurseite quartiert er in zwei Einzelzimmer Yugi und Ryou, die ihm danken und dann ihre Taschen in die Zimmer bringen.
 

Fragend schau ich Seto an. Es gibt in dem Gang keine weiteren Türen und dennoch... sind wir noch übrig. Er versteht erst nicht, warum ich ihn so fragend anschaue, bevor er sanft lächelt. Behutsam nimmt er meine Hand in seine und führt mich den Gang entlang. Am Ende zeigt sich, dass es eine Nische gibt, in der eine Treppe höher führt. Dann steigen wir hinauf.
 

Hinter einer Tür finden wir einen kleinen Durchgangsbereich, der mit einem schweren Vorhang von einem weiteren Raum abgetrennt ist. Ich schiebe den Vorhang bei Seite und dahinter eröffnet sich ein großes Schlafzimmer mit einem überwältigenden Doppelbett, dass wesentlich breiter ist, als das, was wir in der Villa besitzen. An der einen Seite führen zwei Türe weiter: Einmal in einen begehbaren Wandschrank und in ein großzügig und luxuriöses Badezimmer. Auf der anderen Seite ist eine große Glasfront, die auf einen Balkon führt.
 

Völlig baff geh ich zum Balkon und schieb die Tür auf. Sofort umfängt uns die frische, frühsommerliche Abendluft. Ich trete auf - nein, Balkon kann ich dazu einfach nicht sagen, denn es ist viel mehr eine Terrasse. Also trete ich auf die Terrasse heraus und habe von hier eine beeindruckenden Blick über die Baumspitze des abschüssigen Geländes nach vorne und den See, der gar nicht so weit von uns entfernt ist, wie ich dachte. Tatsächlich führen einige Stufen in einer Zickzack-Anordnung nach unten zum Seeufer. Dort ist sogar ein Steg angelegt.
 

Sanft umfängt mich Seto von hinten und schmiegt sich an mich, während er sein Kopf auf meiner Schulter bettet. Fragt mich, was ich jetzt von der Hütte halte. Es ist einfach traumhaft hier. Ich spüre Setos Lippen an meinem Hals und bin glücklich. Es war ein weiter Weg, bis Seto von sich aus solche Zärtlichkeiten mit mir ausgetauscht hat und mir schwillt die Brust vor Stolz.
 

Also dreh ich mich in seinem Arm so, dass ich den Kuss erwidern kann. Lege sanft meine Hand an seine Wange und zieh ihn in meinen Bann. Während wir uns küssen spür ich, wie etwas bei meinem Drachen an Festigkeit gewinnt, bevor er überhastet plötzlich den Kuss abbricht. Verlegen dreht er sich weg und will wieder ins Schlafzimmer, doch ich halte ihn auf. Dreh ihn wieder zu mir und suche seinen Blick. Doch das ist gar nicht so einfach, da er immer noch seitlich wegschaut.
 

Also wiederhole ich unser Mantra, dass ich schon lange nicht mehr aufsagen musste: Es gibt nichts, was meinem Drachen peinlich sein muss oder wofür er sich schämen muss. Setos Wangen röten sich und ich muss schmunzeln. Er sieht einfach so bezaubernd aus, wenn er nicht recht weiß, wie er mit etwas umgehen soll. Ganz langsam und behutsam lege ich meine Hand in seinen Schritt und spüre deutlich die Härte. Etwas entgeistert blickte er mich an.
 

Es ist das erste Mal seit Anfang April, dass ich ihn an einer intimen Stelle berühre. Vor ein paar Wochen war alles etwas eskaliert. Die Benefits-Skala auf der Daimon Kogoro versucht hatte meinen Drachen auf der Herrentoilette zu vergewaltigen.

Die Offenbarung für Mokuba, dass Kei nicht nur Opfer, sondern in gewisser Weise auch Täter gewesen war. Die Aufarbeitung für beide zu diesem Thema und der Schritt Kei zu vergeben.

Die Entdeckung von Gozaburos Schlafzimmer, in dem ich so viele Grausamkeiten entdeckt habe. Seto, der mich in diesem Zimmer erwischt hat und weggelaufen war. Die Suche nach ihm und sein 'Lass es uns tun', was ich damals abgelehnt habe, weil ich wusste, dass es nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit meinem Drachen den nächsten Schritt in Sachen Intimität zu machen.
 

Seitdem sucht mein Drache nach Wege Situationen zu vermeiden, die zu Intimität führen können. Und ich hab ihn gewähren lassen. Er hat einfach die Zeit gebraucht das Geschehene aufzuarbeiten und zu verarbeiten. Aber ich hab auch Angst davor, dass er denkt, dass ich ihn nicht mehr wollen würde nachdem ich dieses Video der Silvesterparty von vor vier Jahren teilweise gesehen habe.
 

Ich flüstere ihm zu, dass ich ihn liebe und will. Seine Augen werden noch etwas größer, bevor er seinen Blick etwas senkt. Sanft lege ich meine freie Hand an seine Wange. Er schließt seine Augen und öffnet seinen Mund einen Spalt weit, um tiefer einatmen zu können. Ich kann sehen, wie er sich langsam entspannt. Mittlerweile hat er diese Atemtechnik wirklich gut drauf.
 

Als er wieder die Augen aufmacht ist das Entgeisterte fort. Unsicher lächelt er mich an. Sanft lass ich meine Hand von seinem Schritt zu seiner Hand wandern und zieh ihn wieder ins Schlafzimmer und dort zum Bett. Doch Seto bleibt auf einmal stehen. Schüttelt kurz den Kopf und meint zu mir, dass die anderen sicherlich auf uns warten. Ich lächle ihn liebevoll an und sag ihm, dass sie dann eben warten müssen. Dann erst lässt er sich weiter zum und auf das Bett ziehen. Wir sitzen uns eine Weile schweigend gegenüber, bevor Seto zu mir aufrückt und mich küsst.
 

Ein guter Anfang.
 

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Einen Schritt, um weiter zu gehen

Wann immer ich Katsuya küsse verliert die Welt um uns herum an Bedeutung und tritt in den Hintergrund. Dann kann ich alles vergessen und egal, wie sehr der Orkan in mir tobt, hat er keine Macht mehr über mich. Ich fühl mich dann wie Wachs in den Händen meines Streuners.
 

Als er mich zum Bett führt bin ich nervös. Wir schlafen zwar jede Nacht zusammen in einem Bett, küssen uns und gelegentlich streicheln wir uns gegenseitig, aber seit meiner mehr als lächerlichen Aufforderung es einfach 'zu tun' haben wir die Bereiche um unsere primären erogenen Zonen ausgespart. Mir ist schon klar, warum Katsuya mich damals nicht wollte. Einerseits, weil ich wirklich emotional in einer zweifelhaften Verfassung gewesen war. Andererseits... es ist sicherlich schwer zu ignorieren, was er damals auf diesem Video gesehen hat, auch wenn er nicht alles sah. Bei weitem nicht alles. Aber scheinbar mehr als genug.
 

Nein, ich denke nicht, dass mich Katsuya nicht will. Oder sollte ich das denken? Quatsch... wenn ich mir in einem Punkt sicher bin, dann das Katsuya mich liebt. Aber... etwas erzählt zu bekommen ist was ganz anderes, als es wirklich zu sehen. Die Bilder... die brennen sich tief ins Gedächtnis und lassen einen nicht mehr so schnell los. Immer wenn man die Augen schließt kommen sie wieder hoch. Ich kenn das von mir. Sicherlich sieht mein Streuner wann immer er mich anschaut diese Bilder. Sowas macht Intimität völlig unmöglich. Jedenfalls auf dieser Ebene.
 

Auf dem Bett schauen wir uns lange an, bevor ich mich nach vorne beuge und ihn küsse. Ja, ich habe versucht diese Situation zu vermeiden, weil ich dachte, es wäre für Katsuya angenehmer, wenn es nicht soweit kommt. Doch er lehnte den Ausweg, den ich ihm bot ab, also...
 

Ich spüre seine Hand an meiner Seite, wie sie nach oben fährt, nur um gleich darauf wieder nach unten zu fahren. Er lässt sie auf meinen Rücken gleiten und legt sie beim erneuten Runterfahren um meinen Hintern. Eine Gänsehaut durchläuft mich und ich keuche in unseren Kuss. Spüre, wie Katsuya lächeln muss.
 

Katsuya schiebt seine Hand wieder hoch und lässt sie unter mein Hemd gleiten, dass er damit etwas hoch schiebt. Wieder keuch ich in den Kuss. Ich liebe es, wenn er mich berührt. Seine warme Hand über meine kalte Haut gleiten lässt. Nach ein, zwei Mal holt er seine Hand wieder unter dem Hemd hervor und innerlich seufzte ich traurig.
 

Doch dann spür ich, wie er mein Hemd vorne beginnt aufzuknöpfen, bis er es endlich geschafft hat und es mir über die Schulter streift. Also zerr ich auch an seinem Shirt, doch um es über seinen Kopf heben zu können, müssen wir den Kuss unterbrechen. Kaum ist das Shirt drüber verwickelt mich Katsuya direkt wieder in einen Kuss, der so hungrig und gierig ist, dass man meinen könnte, dass er am Verhungern sei.
 

Aber ich beschwer mich nicht. Mir geht es nicht anders. Es ist, als sei plötzlich irgendetwas verschwunden, was mich die ganze Zeit gehindert hat, dass in dieser Art und Weise wirklich zu genießen. Etwas, was ständig zwischen uns stand und mir wiederholt die Brust zugeschnürt hat, wenn ich mich ihm annähern wollte. Mit ihm intim werden wollte.
 

Seine Hände fahren mir unter den Hosenbund und umgreifen meinen blanken Hintern und ich keuche überrascht erneut auf. Katsuya beginnt mein Gesäß zu massieren und irgendwie kribbelt mein ganzer Körper. Schließlich spür ich plötzlich die weiche Matratze unter mir und Katsuya zieht den Kuss von meinen Lippen weg. Meine Hände liegen an seiner freien Brust. Spüren die warme Haut und den Herzschlag unter ihnen.
 

Ich bin so betört von meinem Streuner, der mich kess anlächelt und dessen Augen golden glänzen. Dann fummelt er an meiner Hose und als der Knopf offen ist zieht er mir den Stoff von den Hüften und von den Beinen. Schnell entledigt er sich auch seiner Hose, so dass wir beide nackt sind.
 

Dann schiebt er sich wieder über mich zu mir hoch und küsst mich noch einmal leidenschaftlich. Meine Hände streichen ihm über den Rücken und ... nein, am Ende kann ich seinen knackigen Arsch doch nicht umgreifen und massieren, so wie er es mit meinem tat. Also fahr ich seine Wirbelsäule entlang wieder nach oben in das blonde Haar.
 

Beim nächsten Mal stopp ich wieder an der Hüfte und will meine Hände schon wieder nach oben steuern, als Katsuya den Kuss unterbricht und mich anblickt. Er bittet mich, keinen Rückzieher zu machen. Meine Hand verweilt auf seiner Hüfte. Dann legt er seine auf meine und schiebt sie weiter nach unten.
 

Meine eigene Unsicherheit ist etwas, was ich wirklich hasse. Ich war so lange von mir selbst überzeugt, dass Situationen, in denen ich kein Plan habe, mich stark verunsichern. Situationen, wie diese, wenn meine Hand von Katsuya auf dessen Hintern geschoben wird und er mir zuflüstert, dass ich zupacken soll.
 

Also pack ich zu und er lächelt mich stolz an. Dann schwingt er ein Bein über meine Beine und sitzt auf meinem Schoss. Schlagartig wird mein Ständer noch härter. Ich schließ die Augen und versuch die aufkommende Erregung wieder zurück zu drängen. Doch da hör ich wieder die Stimme meines Streuners, der nur 'nicht' flüstert.
 

Ich öffne meine Augen und schau ihn fragend an. Er küsst mich wieder - dieses Mal aber nur kurz. Dann lässt er seine Hüfte auf mir kreisen und sein Schoss reibt gegen meinen. Hastig zieh ich Luft in mich und meine Hände an seinem Hintern krallen sich in das straffe Muskelgewebe.
 

Plötzlich hör ich mich selbst, wie ich erregt brumme und stöhne, während wir uns Haut an Haut reiben. Katsuya lässt seine Finger in mein Haar gleiten und streicht mir über die Kopfhaut. Das erzeugt bei mir ein weiteres Wohlgefühl und ich kann nicht anders, als genussvoll meine Augen zu schließen.
 

Mein Streuner fragt mich, ob mir das gefällt und ich nicke nur. Wie... könnte mir das nicht gefallen, wenn er mir so nah ist. Sein Geruch ist so betörend. Seine Wärme umschmeichelt mich. Wieder bewegt er sich auf mir. Diese Hitze in mir... sie droht mich zu verbrennen, wenn ich sie nicht raus lasse. Aber ich will sie noch nicht raus lassen.
 

Er fragt mich, was los ist. Ich schüttle nur meinen Kopf, um ihm zu signalisieren, dass nichts los ist. Wieder bewegt er sich auf mir und ich droh die Kontrolle zu verlieren. Warum... tut er das nur mit mir? Er weiß doch, wie sehr ich auf diese Pose reagiere und jetzt... sind wir auch noch beide nackt.
 

Es ist alles okay, hör ich ihn sagen. Ich blicke zu ihm auf. Wieder bewegt er sich auf mir und ich kann nicht länger aufhalten, was sich schließlich Bahn bricht. Ich bette meine Stirn an seiner Brust, während ich laut aufstöhne und mich ergieße. Mein Streuner hält mich fest in seinen Armen. Gibt mir den Halt, den ich brauche, weil mich dieses Gefühl... immer noch immens verunsichert und ängstigt.
 

Doch mein Streuner lindert diese Gefühle. Lässt es mich trotz dieser Gefühle genießen. Ich blicke zu ihm auf und er beugt sich zu mir, doch hält inne. Überlässt mir die Entscheidung. Doch wie könnte ich ihn nicht küssen? Also streck ich mich ein wenig und küsse Katsuya. Liebevoll, zärtlich und voller Glück.
 

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Einen Schritt, der vor sich hin geschoben wurde

Seto und ich haben uns nach einer Dusche doch noch dazu entschlossen nach unten zu gehen. Vor allem, weil ich meinem Drachen versprach ihm ein paar Onigiri zu machen. Wie er mich angeschaut hat, als er mich ganz schüchtern darum bat, war einfach nur süß.
 

Für uns beide ist es wohl so, als hätte endlich jemand den Stöpsel gezogen, damit es zwischen uns endlich wieder normal laufen kann. Das erleichtert mich ungemein. Dabei hat er gar nicht gezetert oder hat versucht wegzulaufen. Es macht mich stolz, dass er mir soweit vertraut und sich von mir führen lässt.
 

Wir sind noch auf der Treppe als wir Yugis Stimme hören. Sie kommt aus der Küche und er fragt irgendjemand, was mit ihm diese Woche los ist. Dann erklingt Otogis Stimme und Seto bleibt abrupt stehen. Da wir Hand in Hand gehen muss ich auch stehen bleiben. Er zieht mich eng an sich, als wären wir in einem schlechten Agentenfilm, in dem sich die beiden Agenten in eine dunkle Gasse drängen, um ihren Verfolgern zu entgehen.
 

Otogis Stimme klingt gleichgültig, als er mit einer Gegenfrage antwortet. Hm, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten ist nie ein guter Stil, aber gut, lassen wir das. Yugi ist mit dieser Art der Antwort auch nicht sehr zufrieden und fragt, ob es etwas damit zu tun hat, dass ich Otogi in der Mitte der Woche gegen die Wand gestoßen und angefaucht habe.
 

Mein Drache schaut mich überrascht an. Ich grins nur verlegen. Ja, ich hab ihm gesagt, dass ich mich um Otogi gekümmert habe, aber nicht, WIE ich das tat. Ich hab Otogi nur abgepasst und gefragt, warum er sich nicht an eine simple Abmachung halten kann. Er hat doch sonst immer so ein gutes Pokerface und kann so tun, als wär alles okay. Also warum bei Seto nicht. Und es hat geholfen, möchte ich kurz anmerken.
 

Die Stimme des Schwarzhaarigen wird süffisant und meint, dass er sich von einem daher gelaufenen Straßenköter sicherlich nicht einschüchtern lässt. Daher gelaufener Straßenköter? Ich will schon was keifen, als Seto mir ein Finger auf den Mund legt und mir bedeutet still zu sein. Denn Yugi setzt erneut nach und wiederholt seine Frage, was denn nun zwischen uns los sei.
 

Der Würfelfreak seufzt und meint nur, dass nichts los sei. Sicherlich hofft er, dass Yugi es endlich darauf bewenden lässt, doch da kennt er Yug nicht gut. Denn der hakt nur weiter nach, ob Otogi und Honda deshalb im eigenen Auto, statt wie verabredet im Van hier hoch gefahren sind. Doch da mischt sich Honda plötzlich ein. Sagt, dass alles bestens sei und sie aufhören sollen zu fragen. Man, ich kann Yugis Unmut bis hier spüren.
 

Dann ertönt Ryous Stimme. Er versucht wohl das Thema zu wechseln, um die Stimmung zu retten und ich denk schon, dass wir endlich zu den anderen hinzustoßen können. Doch dann meint er nur, dass Seto und ich ein erstaunlich gutes Paar darstellen. Yugi stimmt ihm sofort zu und meint, dass es manchmal gespenstig ist, wie gut ich meinen Drachen deuten kann und scheinbar immer genau weiß, was dieser braucht.
 

Verlegen senk ich meinen Kopf ein wenig, während aber Seto seine Finger unter mein Kinn legt und mein Gesicht damit zu sich hebt, bevor er mich sanft küsst. Ryou meint schließlich, dass er mir ein solches Einfühlungsvermögen gar nicht zugetraut hat, weil ich bis letztes Jahr immer so locker und sorglos drauf war, als wäre alles nur ein Spaß.
 

Doch Otogi merkt an, dass man sich vom Schein nicht täuschen lassen soll. Immerhin hätt ich letztes Jahr drei Jobs parallel gehabt, um genügend Geld für Miete und Lebensunterhalt zu verdienen und keiner von ihnen etwas davon vermutet hat. Yugi stimmt ihm zu und kann so etwas wie Traurigkeit aus seiner Stimme hören.
 

Das schlechte Gewissen vom letzten Jahr befällt mich erneut, das sich in mir geregt hatte, nachdem dieser schmierige Reporter - dessen Namen ich längst wieder vergessen habe - mein gut gehütetes Geheimnis einfach auf dem Schulhof ausgeplaudert hat. Aber ich konnte ihnen einfach damals nicht sagen, dass ich mir den Buckel wundschufte und deshalb immer so müde war.
 

Dann hör ich aber, wie die Unbeschwertheit in Yugis Stimme zurückkehrt als er meint, dass mir Seto genauso gut tut, wie ich meinem Drachen. Und er hat auch in diesem Punkt recht. Seit ich mit Seto zusammen bin, bin ich weniger aufgedreht und hektisch, hab nicht mehr das Bedürfnis alles ins Lächerliche zu ziehen oder mich ständig selbst rund zu machen.
 

Plötzlich hören wir wieder Ryou, ernst und in sich gekehrt, wie er fragt, ob ich ihnen vielleicht noch etwas verschwiegen haben könnte. Ich erstarre auf einmal. Yugi fragt nur, was ich denn verschwiegen haben soll und Ryou kontert mit einem 'Ich weiß nicht'. Klar, wenn er es wüsste, hätte er ja die Frage nicht in den Raum gestellt. Auf einmal wird es still in der Küche. Auf einmal meint Ryou nur, dass Honda doch etwas wüsste. Dieser wiegelt sofort ab, ist dabei aber nicht sehr überzeugend. Nicht mal für mich und ich seh ihn nicht mal.
 

Die Unbeschwertheit von Yugi ist wieder aus seiner Stimme gewichen. Er fragt Honda eindringlich nach dem was er weiß. Ich weiß, dass Honda nichts sagen wird. Er ist mein bester Freund und ich vertrau ihm. Aber er ist auch in der Klemme. Also lös ich mich von Seto, geh die paar letzten Stufen um die Ecke nach unten und stell mich in den Durchgang zur Küche.
 

Alle blicken mich ertappt an. Ich sag nur, dass wenn jemand Fragen an mich hat, er sie mir selbst stellen soll. Nicht irgendwelchen Freunden, die mit solchen Fragen möglicherweise in eine unmögliche Lage gebracht werden. Dabei blick ich streng in die Runde. Honda lächelt mir erleichtert zu.
 

Yugi tritt auf mich zu. Ich weiß, er wird mir die Frage direkt stellen. So ist der Bunthaarige einfach: Direkt. Er fragt mich behutsam, aber ohne Umschweife, ob es etwas gibt, was ich ihnen noch nicht gesagt habe. Und ich nicke. Ich weiß selbst nicht warum ich nicke. Vielleicht, weil mir Setos Worte durch den Kopf gehen, die er mir vor einer Weile mal an den Kopf geknallt hatte: Er versteht nicht, warum er sich nicht schämen braucht, unseren Freunden zu zeigen, wie er wirklich ist... was in seiner Vergangenheit liegt, aber ich... ich nach wie vor an meinem Geheimnis festhalte.
 

Tief und lang atme ich ein, geh weiter in die Küche und setz mich an den Tresen auf einen freien Hocker. Ich blicke zu Honda, der mich sanft anlächelt. Er kommt zu mir und setzt sich neben mich. Yugi und Ryou schauen mich unsicher an. Otogi lehnt sich an die Anrichte mit der Spüle.
 

Dann beginn ich zu erzählen. Von meinem Vater und seinem Traumberuf. Von dem kleinen, familiären Restaurant. Dem 'netten', alten Restaurantbesitzer. Und dem, was der Mann, der wie ein Großvater zu mir war, schließlich mit mir gemacht hat. Erzähle, wie er mir in den Schritt griff, mich auszog und mich vergewaltigte. Wie er meiner immer wieder habhaft wurde, sich an mir austobte und sich meine Angst zu Nutzen machte um mich zu kontrollieren.
 

Yugi und Ryou schauen mich mit herzzerreisendem Blick an, sind den Tränen nahe und können es kaum fassen. Auch Otogi steht da und wirkt mehr als betroffen. Yugi und Ryou haben sich längst neben mich gesetzt und der Bunthaarige umarmt mich immer wieder.
 

Ich erzähle weiter, wie mein Vater uns in Flagranti erwischt hat, mich schnappte und in ein Krankenhaus brachte, während er zu dem Alten zurück ging und ihn getötet hat. Das Detail mit der Kastration klammer ich aus. Das... wäre vielleicht etwas zu viel für die beiden. Erzähle, wie mein Vater ins Gefängnis kam, mir aber trotzdem den besten Kinderpsychologen besorgt hat, mit dem ich alles aufarbeiten und verarbeiten konnte. Dann schließe ich meine Offenbarung und atme lang gezogen aus. Wieder nimmt mich Yugi fest in den Arm. Drückt mich, als würde ich im Sterben liegen.
 

Die ganze Situation ist vollkommen anders, als die, in der ich Seto oder Honda davon erzählt habe. Also beginn ich zu grinsen und strahl alle an. Jetzt wissen sie alle alles über mich, mein ich überschwänglich und fall fast vom Hocker, als ich mich nach hinten lehne. Doch da ist auf einmal mein Drache, der hinter mir steht und mich auffängt. Der seine Arme eng um mich schließt und mich am Hals küsst. Das übertriebene Grinsen schwindet und hinterlässt nur ein seichtes, fast schüchternes Lächeln, während ich mich an ihn schmieg.
 

Dann dankt Yugi mir auf einmal. Ich schau ihn verwirrt an. Wofür dankt mir der Bunthaarige. Er scheint mir meine Frage anzusehen und meint, dass er es ganz mutig von mir findet, dass ich so offen geantwortet habe. Er umarmt mich noch einmal, was Seto ungehalten aufbrummen lässt. Ich muss mir ein Kichern verkneifen, denn Seto wirkt tatsächlich ein wenig so, wie ein Drache, der nicht ein Münze aus seinem Schatz mit jemanden teilen möchte.
 

Auf einmal fragt Otogi, was wir zu Abend essen wollen und alle schauen ihn ob des schmerzhaften Themenwechsels irritiert an. Dann müssen wir lachen und machen uns gemeinsam dran, etwas zu kochen. Mein Drache zieht mich noch einmal zur Seite und küsst mich sanft, bevor er mir lange in die Augen schaut und mir dankt. Ich leg meine Hand an seine Wange und mein, dass ich mich eher bei ihm bedanken muss. Immerhin hat er mir bewusst gemacht, dass ich diesen Teil meiner Vergangenheit vor meinen Freunden versteckt habe.
 

Noch einmal zieht er mich zu sich und küsst mich noch einmal. Dieses Mal länger und mit mehr Leidenschaft und Otogi ruft irgendwann, dass wir uns ein Zimmer nehmen sollen, schließlich hätte diese 'Hütte' mehr als genug davon.

Einen Schritt zum See

Gemütlich sitzen wir am Frühstückstisch und reden über unsere erste Nacht hier draußen. Die Betten hier in der Hütte sind echt bequem. Ja, klar, bei uns daheim sind die Betten auch komfortabel und bequem, aber hier zu schlafen fühlt sich einfach anders an. Der Meinung sind auch die anderen, bevor Ryou plötzlich anfängt von den Sternen zu schwärmen. Stimmt ja, er hat ein Zimmer mit Dachfenster über dem Bett.
 

Wenn man in einer Stadt lebt sieht man vom Sternenhimmel leider oft nicht viel. Wenn überhaupt gerade mal die hellsten Sterne, der Rest wird von der Lichtverschmutzung der Stadt geschluckt. Schade eigentlich, denn gerade hier draußen, weit weg von der nächsten Ansammlung von Häusern oder Straßenlaternen, kann man den Sternenreichtum ungehindert sehen und der ist - für Stadtkinder, wie wir es sind - einfach überwältigend.
 

Ich schau zu meinem Bruder und stell fest, dass er mit dem reichhaltigen Angebot auf dem Frühstückstisch nicht wirklich viel anfangen kann. Das mag daran liegen, dass es ein überwiegend westliches Frühstück ist. Doch Katsuya steht bereits am Herd und scheint etwas Traditionelleres zu kochen. Schließlich kommt er mit einer Schale Miso-Suppe, etwas gekochtem Reis, angebratenem Gemüse, sowie ein ordentliches Stück Fisch, dass er eben etwas gegrillt hat, zurück und stellt es Seto vor. Der schaut dankbar zu seinem Geliebten und schmunzelt.
 

Dann fragt Yugi auf einmal, warum Seto eigentlich nie etwas Moderneres isst und ich stutze. Moderneres? Okay, so hab ich das noch nie betrachtet, dass man einheimische Küche als altmodisch betrachten könnte. Doch Seto blickt völlig ertappt mit großen Augen über den Tisch zu dem Bunthaarigen und ist völlig erstarrt. Die Suppenschale hat er in beiden Hände und wollte sie eben zum Mund führen, doch jetzt hängt sie so zwischen Tisch und Mund.
 

Katsuya beginnt über das gesamte Gesicht an zu grinsen und meint, dass Seto eben weiß, was gut und gesund ist, er ihn aber vor allem mit seinen Kochkünsten für sich gewonnen hat. Otogi lacht kurz, bevor er merkt, dass das kein Scherz ist. Es kommt nur ein entgeistertes 'Du kannst auch noch kochen' und alle anderen müssen lachen. Na ja, alle außer Seto. Der betont nur, dass sein Streuner hervorragend kochen kann.
 

Die Gespräche gehen weiter und Yugis Frage scheint vergessen. Seto trinkt seine Suppe und stellt das leere Schälchen schließlich wieder ab. Dann beginnt er etwas Gemüse zu essen, wechselt zu etwas Fisch oder nimmt sich etwas vom Tamago, während er immer wieder dazwischen Reis aufnimmt. Maaan, selbst beim Essen hält Seto die gesellschaftlichen Konventionen ein.
 

Das Frühstück nähert sich dem Ende, als Ryou vorschlägt, dass wir doch mal runter an den See gehen könnten. Einerseits, um ihn uns anzuschauen, andererseits, um darin baden zu gehen. Mein geschultes Auge bemerkt, wie Seto sich auf einmal versteift und verkrampft, während Yugi dem Vorschlag zustimmt. Honda und Otogi sind da zurückhaltender und schauen fragend zu Katsuya und meinem Bruder. Das führt dazu, dass Yugi und Ryou nur die Stirn kraus ziehen und so langsam checken, dass sie irgendetwas verpasst haben.
 

Dann kommt - überraschenderweise - von meinem Bruder das Okay für den Vorschlag. Yugi und Ryou jubeln und sind ganz aus dem Häuschen. Also wird der Tisch eilig abgeräumt und alle streben in ihre Zimmer, um sich Badeklamotten einzupacken. Alle, bis auf Seto und Katsuya. Die bleiben in der Küche zurück und ich warte einen Moment auf der Treppe um die Ecke. Doch mehr, als dass Katsuya ein paar Sandwiches machen möchte und schon einige Flaschen aus dem Kühlschrank holt, hör ich nicht.
 

Also möchte ich auch in mein Zimmer verschwinden, als ich an der halb geschlossenen Tür von Yugi vorbei komme, der sich in ihm mit Ryou unterhält. Wie ich mir schon dachte, haben die beiden bemerkt, dass sie etwas nicht wissen, was mit Seto zu tun haben, was aber alle anderen scheinbar schon wissen. Lautlos seufze ich. Am liebsten würde ich reinlaufen und den beiden erzählen, was es ist, was ihnen fehlt. Doch ich reiß mich zusammen. Ohne Setos Erlaubnis würde ich das niemals tun. Also geh ich weiter in mein Zimmer und zieh mich um.
 

Zehn Minuten später sammelt sich die Clique am Hauseingang. Katsuya hat mittlerweile die Getränke und die Sandwiches, so wie eine Decke und ein paar Handtücher in einen großen Korb gepackt, den er mit beiden Händen vor sich trägt. Komisch, der Blonde und mein Bruder sehen nicht so aus, als hätten sie sich umgezogen.
 

Doch da geht schon die Tür auf und wir verlassen das Haus. Seto führt uns zu den gemütlichen Stufen, die über mehrere Etappen nach unten führen. Schließlich erreichen wir das Ufer und die Treppen münden auf einem recht breiten und langen Steg. Links und rechts kann man auf das Ufer treten, doch da ist es recht dicht bewachsen. Der Steg weißt mehrere Leiter auf, die aus dem Wasser an einigen Pfähle, die den Steg tragen, auf den Steg führen.
 

Katsuya breitet die Decke aus und legt einige Handtücher an die Decke, drapiert auf der Decke schließlich die Flaschen und einige Pappbecher. Dann setzen Seto und er sich auf die Decke, während alle anderen ihre Shirts abstreifen, achtlos auf dem Steg verteilen und jauchzend zum vorderen Ende des Stegs rennen und ins kühle Nass springen. Ich muss grinsen und kann es kaum erwarten auch in das Wasser zu springen.
 

Aber vorher lege ich meine Hand auf Setos Schulter und frag, ob er nicht auch mitmachen möchte. Doch er schüttelt nur den Kopf und meint, dass er sich nicht so viel aus Wasser machen würde, ich mich aber nicht abhalten lassen soll. Prüfend schwenkt mein Blick zu Katsuya, der mich nur sanft anlächelt und zunickt. Also lös ich mich, zieh mir mein Shirt über den Kopf und leg es neben die beiden ab.
 

Dann lauf ich eher zögerlich und immer mal wieder zurück blickend den Steg entlang. Als ich vorne ankomme steigen Otogi und Honda bereits aus dem Wasser. Sie lachen und als sie mich sehen stürmen sie auf mich zu. Ich bleib abrupt stehen, weich zwei, drei Schritte zurück, doch da packen die beiden mich auch schon. Sie heben mich hoch, schwingen mich zwei, drei Mal, bevor sie mich ins Wasser werfen.
 

Ich kann nicht anders als zu jauchzen. Kaum tauch ich auf platschen die beiden neben mich ins Wasser. Auch Ryou und Yugi kommen zu uns geschwommen und lachen. Für den Moment vergesse ich meine Sorgen um meinen Bruder und genieße das Planschen. Genau wie alle anderen um mich herum auch. Das Wasser ist auch zu herrlich und gar nicht wirklich kalt.
 

Immer wieder klettern wir die Leiter nach oben zum Steg, der gut einen Meter über der Wasseroberfläche liegt, nur um direkt wieder in den See zu springen. Hier und da kann ich sogar Fische im Wasser sehen oder spüre die Wasserpflanzen, die mich an der Fußsohle kitzeln. Das ist was ganz anderes, als in einem Pool zu schwimmen.
 

Nach einer ganzen Weile klettern wir schließlich aus dem See und laufen zurück zu Seto und Katsuya. Katsuya begrüßt uns lachend und reicht jedem etwas zum Trinken, während Seto hinter ihm sitzt und ihn im Arm hält. Hm... die beiden so rum zu sehen ist total ungewohnt für mich. Zuhause hält Katsuya Seto immer.
 

Wir setzen uns alle und Honda fragt Katsuya, ob er bei der nächsten Runde mit ins Wasser kommt. Doch dieser schüttelt nur den Kopf. Honda will schon was nachsetzen, als sein Blick auf Seto fällt, er schmunzelt und es dabei bewenden lässt. Doch Yugi und Ryou, die nicht im Bilde sind, verstehen Katsuya Zurückhaltung nicht und betteln ihn regelrecht an, dass er doch mitkommen soll.
 

Ich seh, wie schwer es Katsuya fällt weiterhin bei seinem Nein zu bleiben, als Seto seine Lippen an sein Ohr schiebt und sagt, dass er ruhig mit seinen Freunden schwimmen und Spaß haben soll. Er glaubt leise genug gewesen zu sein, damit nur Katsuya ihn hört, doch weit gefehlt, denn auf einmal ergreift Otogi das Wort. Der Schwarzhaarige schaut mit seinen grünen Augen Seto an und meint, dass sie IHRE Freunde seien, nicht nur Katsuyas und dass Seto doch mitkommen soll.
 

Seto schaut ihn giftig an, genauso wie Katsuya. Doch Otogi lächelt sie nur an und rückt ein wenig näher. Meint dann zu Seto, dass er doch sein Shirt an lassen kann. Da scheint es bei Yugi und Ryou klick zu machen. Yugi fragt auf seine ganz eigene, naive Art, ob es hier um Setos Narben geht. Seto versteift sich wieder schlagartig. Doch schließlich nickt er. Yugi rückt auch näher und meint, dass mein Bruder sich von den Narben nicht vom Spaß abhalten lassen soll und dass Otogis Vorschlag mit dem Shirt doch ganz brauchbar klingt.
 

Katsuya hat den Kopf etwas in den Nacken gelegt und schaut Seto fragend an. Fragt ihn, was sein Drachen davon hält. Unschlüssig, sich aber der Übermacht schließlich ergebend nickt Seto schließlich, steht auf und meint, dass er sich dafür aber erst umziehen muss, genauso wie Katsuya. Dann dreht er sich um und stapft vom Steg, Katsuya folgt ihm.
 

Na ob die beiden nochmal wieder kommen?

Einen Schritt ins Wasser?

Ich such in meiner Tasche nach meiner Badehose. Ich bin mir sicher, ich hab welche eingesteckt. Die Frage ist nur, wo sie in dieser großen Tasche hin gerutscht sind. Oder hab ich sie in die Seitentasche gestopft? Also schau ich geschwind nach, werde aber wieder nicht fündig. Also räum ich meine Tasche ganz aus. So können sie sich nicht länger verstecken und tatsächlich werde ich fündig. Ganz unten haben sie sich verkrochen.
 

Als ich meine sauberen Sachen wieder zurück in die Tasche stopfe fällt mein Blick auf meinen Drachen, der ruhig auf dem Bett sitzt und mir zuschaut. Ich grinse verlegen und mein nur, dass die Badehose meinte, dass ich sie ganz unten nicht finden würde. Ich will schon ins Badezimmer, als Seto sich immer noch nicht rührt. Ich geh zu ihm und setz mich neben ihn. Vorsichtig leg ich meine Hand auf seine. Frag, warum er seine Badehose nicht raussucht.
 

Die Antwort ist so ernüchternd, wie auch logisch: Seto hat gar keine Badehose eingepackt. Genau genommen besitzt er gar keine. Ich schau ihn mit großen Augen an und frag ihn, warum er denn keine Badehose besitzt. Er zuckt nur mit den Schultern und antwortet mit einer Gegenfrage, wann er schon Mal Zeit zum Schwimmen hat. Trocken mein ich nur, dass er doch einen Pool daheim hat. Erneut zuckt er mit den Schultern.
 

Dann wird mir klar, dass Yugi gar nicht mal so verkehrt liegt: Seto hat das Schwimmen Zuhause gemieden, weil er nicht Gefahr laufen wollte, dass Mokuba seinen Rücken sieht. Das hätte nur noch mehr Fragen aufgeworfen. Wird aufwerfen, wird mir auf einmal bewusst. Mokuba hat die Narben auf dem Rücken noch nicht gesehen.
 

Ich steh auf und geh zu meiner Tasche zurück. Fragend schaut mein Drache mich an und will schon was sagen, als ich meine zweite Badehose find und triumphierend in die Luft halte. Egal, was Seto gerade sagen wollte, es ist ihm im Halse stecken geblieben und dafür sind seine Augen größer geworden. Mit zwei, drei freudigen Sprüngen steh ich vor ihm und halt ihm beide hin. Die eine ist Schwarz mit roten Streifen an der Seite und liegt relativ dicht an. Das andere ist eine hellblaue Schwimmboxer mit kleinen gelben Inseln mit einer einsamen Palme.
 

Mein Drache nimmt die schwarze Schwimmradler, dann zieht er seine Hose und Unterwäsche vor mir aus und schlüpft in die Radler. Himmel, denk ich nur bei mir und verschwinde kurz im Badezimmer. Dort lehn ich mich gegen die geschlossene Tür, während ich in meinem Schritt schaue. Scheiße. Instant hart geworden. Die Radler steht ihm aber auch verboten gut.
 

Nach ein paar Minuten verlass ich das Badezimmer. Ich hab mich derweil umgezogen und bin meine Erektion los geworden. Wie? Bleibt mein Geheimnis. Hauptsache, ich beherrsche mich jetzt, sonst kann ich gleich wieder ins Badezimmer eilen. Was für ein Klischee, dass ich da gerade mit meiner Reaktion bediene.
 

Seto steht direkt vor mir und mustert mich. Ich mustere zurück und frage, ob er das anlassen will. Dabei deute ich auf sein weißes Hemd. Er fragt, was daran verkehrt sei. Daraufhin klär ich ihn auf, dass das Hemd durchsichtig wird, wenn es nass wird. Ungläubig schaut er mich an, also zieh ich ihn ins Badezimmer und befeuchte den Ärmel mit etwas Wasser. Sofort wird er transparent und man kann die Narbe am Handgelenk deutlich sehen. Von meinem Drachen kommt nur ein 'Oh', bevor er sich umdreht und zu seinem Koffer eilt.
 

Natürlich ist Setos Koffer feinsäuberlich sortiert und aufgeräumt. Sind das vier Hemden, die er sich da eingepackt hat? Ich frag ihn daher, ob er auch was Legeres hat. Er schaut mich an und zieht ein Poloshirt hervor. Also nein! Ich schmunzle, geh zu meiner Tasche und zieh ein schwarzes T-Shirt heraus. Das reiche ich ihm. Skeptisch schaut er mich an, dann zieht er es sich über, nachdem er das Hemd ausgezogen hat.
 

Endlich können wir wieder zu den anderen. Wir verlassen das Haus, steigen die Treppen hinunter zum Steg und können schon das vergnügte Grölen der anderen hören, die bereits wieder im Wasser sind und sich gegenseitig jagen, tunken und nassspritzen. Gerade als wir einen Fuß auf den Steg setzen wollen bleibt mein Drachen unvermittelt stehen und weil wir unsere Finger miteinander verschränkt haben werde ich unsanft mitten im Schritt nach hinten gezogen.
 

Fragend blick ich Seto an, während er verlegen zur Seite schaut. Sanft frag ich ihn, was er denn hat und auf einmal schaut er mich mit seinen blauen Augen an. Was er dann sagt, ist so leise, dass ich es kaum verstehe: Er hat zwar als Kind Schwimmunterricht gehabt, aber nach der Adoption bis heute war er nicht mehr schwimmen. Verdutzt schau ich ihn an. Okay, das kriegen wir auch gelöst.
 

Also mach ich einen Schritt zur Seite auf die Seeböschung und zieh meinen Drachen sanft mit. Vorsichtig geh ich Schritt für Schritt zum Wasser und dann schließlich hinein. Führe meinen Drachen soweit, dass er bis zu den Knien im angenehm temperierten Wasser steht. Erst nach einem langen Augenblick zieh ich ihn weiter ins Wasser bis es uns auf der Höhe der Taille umfließt. Ich geh kurz in die Knie, damit mich das Wasser einmal vollständig benetzen kann. Seto macht es mir nach.
 

Sanft bitte ich meinen Drachen noch einmal in die Knie zu gehen und sich dann auf den Rücken zu legen. Verwirrt blickt er mich an. Ich mach ihm also vor, was ich meine, so dass ich auf dem Rücken liegend auf der Wasseroberfläche treibe. Seto versucht es auch und... geht unter. Hastig sucht er seinen Stand und schiebt sich dann wieder aus dem Wasser. Ich muss mir ein Grinsen verkneifen.
 

Die anderen sind mittlerweile auf uns aufmerksam geworden und schwimmen neugierig in unsere Richtung. Seto sieht das und weicht zwei Schritte zurück. Da ergreif ich seine Hand und sag ihm, dass er jetzt nicht weglaufen wird. Er schaut mich flehend an und meint, dass er sich nicht lächerlich machen will. Langsam zieh ich ihn zu mir und küss ihn sanft. Versichere ihm, dass daran nichts lächerlich sein wird.
 

Als die anderen uns erreichen ist es Yugi, der fragt, warum wir nicht zu ihnen gekommen sind. Ich lächle sanft und dreh mich zu dem Bunthaarigen, der mich mit seinen violetten Augen fragend anschaut. Noch bevor ich was sagen kann, presst Seto hervor, dass er vergessen hat, wie man schwimmt. Dabei schaut er grimmig und beschämt zur Seite weg und würde jetzt seine Arme vor der Brust verschränken, wenn meine Hand nicht noch immer seine halten würde.
 

Alle schauen ihn kurz prüfend an, um wohl abzuwägen, ob er einen Scherz macht. Mein Drache will sich schon wieder umdrehen und weglaufen, als Ryou meint, dass man auf die Atmung achten soll. Sie erleichtere nicht nur das Schwimmen, sondern verleiht auch mehr Sicherheit im Wasser. Er macht ein paar Atemzüge vor. Seto ist stehen geblieben und dreht sich wieder zur Gruppe um. Unsicher mustert er alle. Doch keiner lacht über ihn, im Gegenteil.
 

Nach Ryou gibt auch Otogi einen Ratschlag zum Besten, dann Honda, schließlich meint Yugi, dass sich Seto doch einfach mal auf meine ausgestreckte Arme legen soll, um ein Gefühl für das Wasser und den eigenen Körper im Wasser zu bekommen. Für einen Moment herrscht angespanntes Schweigen, dann fragt mich mein Drache, ob ich das für ihn tun würde. Ich lächle ihn sanft an und nicke.
 

Und so lernen wir alle, wie man einem Drachen das Schwimmen beibringt.
 

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Einen Schritt loslösen

Es ist einfach ein geiler Tag. Ich hab ja nicht gedacht, dass Seto den Vorschlag, an den See zu gehen, wirklich akzeptieren wird und wirklich mit runter geht. Noch weniger hab ich gedacht, dass er dem Drängen der anderen nachgeben wird, sich Schwimmsachen anzuziehen und ins Wasser zu kommen. Umso überraschter bin ich gewesen, dass Seto gar nicht schwimmen kann oder zumindest nicht mehr genau weiß, wie man schwimmt.
 

Ich weiß noch, wie ich das Schwimmen mit sieben gelernt habe. Er ist mit mir in den Pool, hat mich gehalten und mir erklärt, wie es geht. Hat mir Tipps gegeben, wenn etwas nicht klappen wollte. Zeigte mir verschiedene Schwimmstile. Das er jetzt so unsicher im Wasser ist und scheinbar nicht mal mehr weiß, wie man als 'toter Mann' auf dem Wasser treibt wirkt auf mich irgendwie surrealistisch. Genauso der Umstand, dass er sich wirklich von den anderen helfen lässt.
 

Vor allem Otogi versuchte meinem Bruder wirklich zu helfen. Was von meinem Bruder gar nicht begrüßt wird. Was ist denn zwischen den beiden in den letzten Tagen los? Seto war schon immer Otogi gegenüber eher distanziert, aber irgendwas scheint sich verändert zu haben. Nur was...?
 

Als Seto ihn erneut wortlos zurückweist zieht sich Otogi zurück. Honda folgt ihm. Er nimmt ihn in den Arm und ich hör nur - weil ich mich vielleicht etwas in ihre Richtung habe treiben lasse -, dass Seto noch Zeit braucht sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Otogi jetzt auch Bescheid wüsste.
 

Otogi weiß Bescheid? Ich verliere die Anspannung und tauch kurz unter. Als ich hustend wieder hoch komme schauen mich beide streng an und ich grinse verlegen. Sofort entschuldige ich mich dafür, dass ich gelauscht habe. Honda grinst nur und meint, dass es schon okay sei. Ich schwimm richtig zu ihnen und frag dann vorsichtig, worüber Otogi genau Bescheid weiß. Otogi schaut fragend zu Honda und der antwortet mir, dass er über alles im Bild ist.
 

Das überrascht mich vollends. Seto hat Otogi ins Vertrauen gezogen? Honda schüttelt seinen Kopf und meint, dass er ihm erlaubt hatte Otogi einzuweihen, aber er jetzt wohl ein Problem damit hat. Ich lass mir schildern, wie sich dieses Problem äußert. Otogi meint zu mir, dass er ihn jetzt möglichst auf Abstand hält und jedes Gespräch mit ihm verweigert. Nachdenklich schau ich zu meinem Bruder, der gerade sang und klanglos untergeht und nach Luft schnappend wieder auftaucht.
 

Langsam lös ich mich von den beiden und schwimm zu Seto rüber. Halt ihn, obwohl er auf der anderen Seite bereits von Katsuya gehalten wird. Er schaut zu mir und ich lächle ihn sanft an. Irgendwas unter seinem Shirt irritiert mich. Prüfend lass ich meine Hand über seinen Rücken fahren, doch Seto dreht sich mit dem Rücken weg und schaut mich ganz an. Fragt mich, ob ich noch einen Tipp für ihn hätte. Also geb ich zum Besten, was er mir damals sagte und es geschehen noch Wunder: Seto bekommt es endlich hin und kann schwimmen. Na ja, er kann paddeln und über Wasser bleiben.
 

Wir steigen aus dem See und setzen uns wieder auf den Steg, um uns etwas zu erholen und Kraft zu tanken. Setos Shirt trieft vor Wasser und tropft in kleinen Bächen nun auf die Decke, auf der er und Katsuya sitzen. Ich knie mich neben ihn und lehn mich an ihn. Er schaut fragend zu mir, bevor er einen Arm um meine Schulter legt. Langsam und vorsichtig frag ich ihn, ob ihm mit dem nassen T-Shirt nicht kalt ist. Doch er schüttelt nur den Kopf. Lügner... ich seh doch, wie er friert. Doch Katsuya kommt ihm zu Hilfe und legt ihm ein Handtuch über die Schultern.
 

Nachdem wir eine halbe Stunde mit essen, trinken und trocken werden verbracht haben stürzen sich Honda, Otogi, Yugi und Ryou wieder in den See. Ich bleib noch bei Seto und Katsuya sitzen. Als ich sicher bin, dass die anderen uns nicht mehr hören können - allein weil sie laut am Grölen sind - frag ich meinen Bruder sanft, warum er Honda erlaubt hat, Otogi einzuweihen, wenn er das eigentlich nicht wollte. Für einen langen Moment starrt er mich an, bevor er etwas trinkt und scheinbar seine Antwort gedanklich vorformuliert.
 

Dann setzt er ab und schaut mich wieder an. Er antwortet mir, dass Honda ihn darum bat, Otogi davon erzählen zu dürfen, da er zunehmend Probleme damit hätte. Er habe nur gewollt, dass sein Vorbelastung nicht so schwer auf Honda lastet und er dafür eigentlich strickte Regeln aufgestellt habe, aber Otogi scheinbar nicht daran interessiert sei, sich daran zu halten.
 

Hmmm... vielleicht hat Otogi jetzt seinerseits Bedarf mit meinem Bruder darüber zu sprechen, werf ich sanft ein. Katsuya schaut mich sanft schmunzelnd aus dem Augenwinkel heraus an. Seto senkt den Kopf und blickt auf die Decke. Meint dann leise, dass er aber keinen Bedarf daran habe. Langsam rutsch ich vor ihn und leg meine Arme um seinen Nacken. Schau ihn liebevoll an. Ich wiederhole, dass ich sehr stolz auf ihn bin und es nichts gibt, wovor er sich fürchten muss. Otogi wird schon nicht nach Details fragen.
 

Seto lächelt mich nur so halb leidend, halb entgegenkommend an. Ich spüre, dass er das nicht will, aber dass er mich auch nicht enttäuschen möchte und daher schließlich zustimmt. Ich lächle ihn aufmunternd und ermutigend an, bevor ich mich an ihn lehne und sofort zurück schrecke. Das Shirt ist immer noch furchtbar nass. Doch bevor ich etwas sagen kann streift sich Seto das Handtuch von den Schultern, schnappt sich meine Hand, springt auf und zieht mich mit zur Stegkante, wo er sich mit mir im Arm ins Wasser fallen lässt.
 

Ich quiek vor Schrecken regelrecht auf, doch als wir beide auftauchen, muss ich lachen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Seto sich mal mit mir ins Wasser stürzen würde. Mittlerweile hat er auch so viel Übung, dass er nach dem Untertauchen wieder auftauchen kann ohne panisch zu wirken. Sanft zieht mich Seto zu sich und drückt mich liebevoll. Dann landet Katsuya mit einem Jauchzen neben uns im Wasser und spritzt uns nass.
 

Es ist einfach unglaublich. Nie hätte ich gedacht meinen Bruder jemals so losgelöst erleben zu dürfen. So unbeschwert und entspannt. Obwohl wir nicht unter uns sind, sondern die anderen um uns herum sind. Ein großartiger Fortschritt, wie ich finde. Ich bin richtig stolz auf Seto.
 

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Einen Schritt straucheln

Hab ganz vergessen wie anstrengend es sein kann so zu tun, als sei alles in Ordnung. Sich nicht anmerken zu lassen, dass jede Berührung eine zuviel ist. Peinlichkeiten so zu drehen, dass man mir nicht anmerkt, dass ich am liebsten im Erdboden versinken möchte. Warum hab ich auch nur nachgegeben. Ich hätte einfach sagen sollen, dass ich kein Interesse an dieser profanen Zeitverschwendung habe.
 

Okay,... mag sein, dass diese profane Zeitverschwendung mich daran erinnert hat, dass ich früher sehr gern schwimmen gewesen bin. Damals... bevor unsere Eltern gestorben sind. Da war ich oft mit meinen Freunden in einer Schwimmhalle. War - glaub ich jedenfalls - sogar in einem Schwimmverein. Aber da bin ich raus gewachsen.
 

Mag auch sein, dass ich es heute ein wenig genossen habe mein Wissen aufzufrischen und mit Mokuba rumzutollen. Aber darum geht es nicht. Ganz und gar nicht. Oder...?
 

Ich bin einfach nur platt. Wann hab ich mich das letzte Mal so lange am Stück bewegt und körperlich betätigt? Klar, wir trainieren wöchentlich mit Kei und seiner Frau, aber... das Training geht zwei Stunden, nein, eher anderthalb Stunden. Das heute war vom frühen Vormittag, bis zum frühen Abend. Und ich kann jeden Muskeln in meinem Körper spüren. Beim letzten Rausklettern dachte ich schon, dass mich die Schwerkraft gleich zu Mus zerquetschen wird. Dieses Gefühl von Schwerelosigkeit im Wasser ist... Ich sollte aufhören über Wasser und Schwimmen zu sinnieren, das führt doch zu nichts.
 

Daher wühl ich weiter in meinem Koffer und suche meinen Bademantel. Mein Streuner tritt neben mich und fragt mich, ob mir bewusst sei, dass ich eine Pfütze unter mir produziere. Ein Blick bestätigt seine Aussage. Dieses vermaledeite T-Shirt hat sich komplett mit dem Seewasser vollgesogen und entlässt nun dieses Wasser Tropfen für Tropfen wieder. Direkt auf den hölzernen Boden unter mir. Ich seufze und zieh mir das Shirt aus, Katsuya nimmt es mir sanft schmunzelnd ab und bringt es ins Badezimmer.
 

Gerade als ich ihn fragen will, ob er meinen Bademantel gesehen hat, geht die Tür schwungvoll auf und ich dreh mich erschrocken halb um. Leider nicht ganz, wie mir schmerzlich bewusst wird, als ich in das schockierte Gesicht meines Bruders schaue. Also hol ich das schleunigst nach und versuche die Situation, die ich um jeden Preis eigentlich vermeiden wollte, im Keim zu ersticken. Ich maßregel Mokuba, was ihm einfällt einfach so in ein fremdes Zimmer zu stürmen. Dabei dräng ich ihn rückwärts aus dem Zimmer und schließe die Tür dann, so dass Mokuba vor der Tür steht.
 

Er... er hat meinen Rücken gesehen. Mein... kleiner Bruder hat meine Narben auf dem Rücken gesehen. Tränen drängen sich in mir hoch, während ich meine Stirn an die Tür lehne. Der Orkan in mir zerrt wieder heftig an mir und ich hab das Gefühl, dass sich etwas um meine Brust zusammenzieht. Wie... wie konnte ich nur so unvorsichtig sein?
 

Ich spüre Katsuyas Wärme, als er neben mich tritt und seine Hand an meine Wange legt, während ich meine Lippen fest aufeinander presse, um nicht laut meinen Frust und mein Entsetzen rauszuschreien. Langsam, fast wie in Zeitlupe lasse ich mich in Katsuyas Arme ziehen und klammere mich wie ein Ertrinkender an ihn. Was soll ich jetzt nur tun? Ich kann es nicht ungeschehen machen.
 

Da hör ich leise die Stimme meines Bruders, wie er meinen Namen nennt und nach mir ruft. Ich hör schon an der Stimme, dass er weint. Das zerreißt mir das Herz. Also löse ich mich von Katsuya. Mit zittriger Hand greif ich nach dem Türknauf. Halte nochmal innen. Da hör ich Mokuba schluchzen. Er wiederholt immer wieder, dass es ihm leid tut.
 

Eilig reis ich die Tür auf und Mokuba weicht erschrocken mit Tränen im Gesicht zurück. Ich greif nach ihm und zieh ihn an meine Brust. Drück ihn fest an mich während ich ihn umarme. Sag ihm, dass ihm nichts leid tun muss, dass ich aber meine Reaktion von eben bedaure. Es war nicht seine Schuld, sondern meine Unaufmerksamkeit. Er schaut mit verweinten Augen zu mir auf und ich fürchte, was ich in seinem Blick sehen könnte. Doch da ist keine Herablassung oder Ekel zu sehen. Nur Trauer.
 

Katsuya schubst uns zum Chaiselongue, der in unserem Zimmer steht. Dort setz ich mich mit Mokuba hin. Mir ist egal, dass meine Badehose noch nass ist und sich das Polster der Sitzgelegenheit jetzt mit Seewasser vollsaugt. Mokuba fällt mir noch einmal weinend um den Hals und ich versenke meine Hände in seinem ebenfalls noch nassen Haar. Ich tröste ihn, so gut ich kann. Nur langsam beruhigt er sich wieder.
 

Schließlich steht er langsam auf und schaut mich lange an. Dann geht er um den Chaiselongue auf dessen Ende ich sitze und tritt hinter mich. Mein erster Impuls wäre aufzuspringen und mich sofort ihm zuzuwenden. Doch ich unterdrücke ihn mit aller Kraft. Ich schließe die Augen und bleibe einfach ruhig sitzen. Wieder schluchzt Mokuba auf, als er auf meinen Rücken schauen kann. Ich lasse meinen Kopf hängen. Dann spüre ich seine Finger, wie sie beginnen mir über den Rücken zu streichen und die Narben nachzufahren. Meine Hände krallen sich um meine Knie und ich presse meinen Kiefer fest zusammen.
 

Mokubas Finger verschwinden von meinem Rücken und einen Augenblick später spüre ich zwei Hände, die mein Gesicht nehmen. Mein Inneres zittert und bebt. Nur langsam öffne ich meine Augen und blicke auf in das Gesicht meines Bruders, der noch trauriger schaut. Dann drückt er mich fest an seine Brust und versenkt sein eigenes Gesicht in meinem Haar, während er laut aufschluchzt. Ich lege meine Arme um ihn. Sag ihm, dass doch alles gut sei. Doch Mokuba lässt sich nicht beruhigen.
 

Sanft tritt Katsuya hinter meinen Bruder und legt seine Arme um ihn. Eine meiner Hände löst sich von Mokuba und greift nach dem Blonden. Krallt sich in den Stoff seiner Badehose. Er legt eine Hand auf mein Haar in das Mokuba sein Gesicht drückt und weint. So verbleiben wir... lange... bis Mokuba aufhört zu weinen. Dann sinkt er vor mir auf die Knie und schaut mich aus den geröteten Augen von unten herauf an.
 

Ich rechne mit allem. Wut, Unverständnis, Enttäuschung. Doch von meinem kleinen Bruder kommt mit weicher, warmherziger Stimme ein 'Ich hab dich lieb, Seto' und ich schau ihn ungläubig an. Weiß nicht, warum er so geduldig mit mir ist. Warum er mir keine Vorwürfe macht, dass ich meinen Rücken so lange vor ihm verborgen habe. Dann zwingt er sich zu einem Lächeln. Sanft streichle ich ihm über seine Wange, versuche das Lächeln zu erwidern. Doch ich schaff es nicht.
 

Mokuba fragt mich, ob ich meinen Rücken vor ihm verstecke oder ob mir die Narben peinlich sind. Ich antworte ehrlich, dass es ein wenig von beiden ist. Mokuba schaut mich immer noch verständnisvoll an. Meint, dass ich meinen Rücken nun nicht länger vor ihm verstecken muss und es nichts gibt, was mir daran peinlich sein muss. Verblüfft schau ich ihn an. Und dann befreien sich meine Tränen doch noch und laufen mir über das Gesicht und nun ist es Mokuba, der mich tröstet. Der mir sagt, dass alles gut ist und ich mich nicht länger verstecken muss.
 

Wieder einmal fällt mir auf, wie erwachsen mein kleiner Bruder geworden ist. Und wie stolz ich auf ihn bin.
 

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Einen Schritt zu weit?

Ich sitze mit Seto in der Badewanne, die mit heißem Wasser gefüllt ist. Er lehnt sanft mit seinem Rücken an meiner Brust, den Kopf in den Nacken gelegt und neben meinem eigenen Kopf. Behutsam hab ich meine Arme um seinen Bauch geschlungen und meine Finger sind mit seinen verschränkt. Seit Mokuba gegangen ist, um ins Bett zu gehen, haben wir kein Wort miteinander gewechselt. Immer wieder perlen Tränen über Setos Wangen.
 

Das Mokuba Setos Rücken entdeckt hat war nicht nur für den Jüngeren ein Riesenschock, der noch nachhallen wird. Es war auch eine emotionale Katastrophe für meinen Drachen. Vor allem, weil die ganze Situation ihm jegliche Kontrolle geraubt hat. Vorsichtig lehn ich meinen Kopf an den meines Drachens. Wir sind schon ganz schrumpelig, aber das ist egal.
 

Nur ganz leise hör ich meinen Drachen meinen Namen sagen. Ich reagiere mit einem liebevollen 'hm'. Dann fragt er mich, ob ich Mokubas Ansicht bin. Da ich im ersten Moment nicht genau weiß, worauf er sich bezieht, frag ich nach, was er meint. Dann wiederholt er Mokubas Worte, dass er seinen Rücken nicht länger verstecken muss und es nichts gibt, was ihm daran peinlich sein muss. Sanft schmunzle ich und nicke nur. Ja, ich bin da ganz Mokubas Meinung.
 

Seto löst eine Hand aus unserer Verschränkung und hebt sie über das Wasser. Betrachtet sich die faltige Haut seiner Fingerkuppe und meint dann überraschend, dass er für einen Tag mehr als genug im Wasser war. Also steht er auf, was die Wasseroberfläche erst einmal krass absenkt, da es jetzt weniger Verdrängung in der Wanne gibt. Er steigt aus der Wanne und reicht mir eine Hand. Ich zieh noch schnell den Stöpsel, dann gehen wir uns abduschen und das Haar waschen.
 

Nachdem ich ihn in seinen Bademantel gesteckt und ihm das braune Haar trocken gerubbelt habe und ich mir selbst ein Handtuch umgebunden und das Haar etwas frottiert habe, bringe ich ihn zu unserem Bett. Erschöpft lässt er sich auf die Bettkante fallen. Ich geh vor ihm in die Knie und nehm seine Hand in meine. Sanft dreh ich sie so, dass sein Handgelenk nach oben scheint und damit die Narbe seines versuchten Suizids deutlich erkennbar ist. Vorsichtig küsse ich diese Narbe, bevor ich zu ihm auf sehe.
 

Mein Drache muss sich für nichts schämen, was ihm widerfahren ist oder er hinnehmen musste. Es macht ihn nicht schwach oder weniger zu dem Mensch, der er heute ist. Und so wie meine Freunde mir mit Verständnis und Wohlwollen begegnet sind, als ich ihnen von meinem Horrorjahr erzählt habe, so werden sie auch meinem Drachen begegnen. Denn mein Drache ist längst Teil unserer Clique und dass er den anderen vertrauen kann weiß er doch längst.
 

Er lächelt mich erschöpft an, bevor noch einmal zwei, drei Tränen über sein Gesicht kullern. Ich nehme sein Gesicht zwischen meine Hände, streck mich etwas und küsse ihn voller Liebe. Seto schließt vertrauensvoll die Augen und lässt sich nach hinten fallen, zieht mich dabei mit, so dass ich schließlich auf ihm liege. Sein Gürtel löst sich etwas und der Bademantel öffnet sich einen Spalt weit. Sanft legte ich meine Hand auf Setos Brust und streiche ihm über die Seite langsam nach unten. Gleite an seiner Hüfte weiter nach unten und streicht den äußeren Oberschenkel entlang.
 

Ein Brummen kommt von meinem Drachen. Ein genussvolles Brummen. An seinem Knie hak ich kurz ein und er stellt sein Bein angewinkelt auf. Dann lass ich meine Hand langsam zurück gleiten, nur dass sie bei seiner Hüfte langsam von der Seite abweicht und in die Mitte wandert. Unser Kuss hält weiterhin an. Schließlich streicht meine Hand durch das kurze, krause Haar von Setos Schambehaarung, bevor die Fingerspitzen über den Schaft wandern.
 

Durch Setos Körper geht eine kurze Anspannung, die er nutzt seinen Rücken ins Hohlkreuz zu drücken und seine Hüfte mir entgegen zu drängen. Ich spüre, wie ich selbst immer mehr in Flammen aufgehe und das Verlangen nach meinem Drachen in mir steigt. Es ist schwer mich zurück zu halten. Da spüre ich Setos Hände, wie sie über meinen Rücken gleiten, bis sie an mein Handtuch stoßen. Hastig lösen sie das Handtuch von meiner Hüfte, so dass es von mir rutscht und aus dem Bett fällt. Sanft knetet er meinen Hintern und meine Selbstbeherrschung schmilzt dahin.
 

Völlig betört von der Situation lass ich mich dazu hinreisen ein Bein über Setos Schoss zu schwingen, so dass ich auf ihm sitze. Prompt spür ich, wie er hart wird. Ich weiß, dass ihn diese Stellung anturnt. Bei unserem kleinen Feldversuch, welche Position ihm am ehesten zusagt, hatte er trotz Klamotten ganz ähnlich reagiert. Im Eifer des Gefechts bewege ich meine Hüfte und reiz meinen Drachen damit noch etwas mehr.
 

Plötzlich löst Seto den Kuss und ich lächle ihn provokant an. Frag ihn, ob er mich will. Er schaut mich an. Ich sehe das Feuer in ihm und sein Verlangen nach mir. Doch er schüttelt auf einmal den Kopf. Noch einmal lass ich provokant meine Hüfte über seinen Schoss kreisen und frage, ob er sicher ist. Doch er packt mich auf einmal unter den Armen, hebt mich von sich runter, so dass ich rücklings auf dem Bett lande, und springt regelrecht vom Bett auf, während ich mich aufsetze.
 

Leise stammelt er, während er sich hastig Klamotten anzieht, dass er noch mal einen kurzen Spaziergang machen wird. Dann ist er auch schon aus dem Zimmer und lässt mich dumm dreinblickend zurück. Ich schnaufe frustriert und leicht verärgert. Frustriert, weil ich gerade enorm... geil bin. Verärgert, dass ich eine Grenze überschritten habe, die ich nicht überschreiten wollte, bevor mein Drachen dazu bereit ist. Ich streich mir durch mein Haar und lass mich wieder rücklings aufs Bett fallen. Scheiße... hoffentlich hab ich ihn nicht zu sehr verschreckt.

Einen Schritt der Erkenntnis

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt auf einem langen Weg

Ich lieg auf unserem Bett. Immer noch nackt. Noch immer hart. Seit Seto weggestürmt ist versuche ich an etwas anderes zu denken, in der Hoffnung, dass meine Standfestigkeit endlich nachlässt. Aber immer wieder sehe ich Seto, wie er mich leidenschaftlich anblickt. Wie er da liegt und nur durch meine Berührung an seiner Seite entlang langsam hart wurde.
 

Das ist nicht sehr konstruktiv bei dem Versuch abzuschlaffen, tadel ich mich selbst in Gedanken und leg meine Hände auf meine Augen. Aber dieses Gefühl seiner Haut unter meinen Fingerspitzen. Das war so extrem sinnlich. Sein Vertrauen in mich, dass ich nie etwas tun werde, was er nicht möchte. Und ich? Ich juckele auf ihm rum, wie eine notgeile Töle. Etwas mehr Selbstbeherrschung wäre nicht ganz verkehrt gewesen. Kein Wunder, dass er fluchtartig das Zimmer verlassen hat.
 

Plötzlich geht die Zimmertür auf und ich schrecke hoch. Hoffentlich ist das nicht Mokuba, geht es mir durch den Kopf und prompt wird mir meine eigene Nacktheit noch bewusster. Eilig zieh ich eine Decke an mich heran, als die Tür aufschwingt und Seto herein kommt.
 

Seto. Völlig außer Atem. Total verschwitzt. Mit einer riesigen Erektion in der Hose. Meine Augen weiten sich ungläubig, während er die Tür hinter sich eilig ins Schloss schlägt, zu mir läuft und vor dem Bett in die Knie geht. Das seine Hose nicht instant aufplatzt kommt mir wie ein Wunder vor. Er blickt mich aus seinen azurblauen Augen an und fragt mich, ob das vorhin mein Ernst war. Perplex blinzle ich verwirrt ein, zwei Mal. Dann meint Seto, meine Frage, die ich ihm stellte, als ich auf ihm saß.
 

Was hab ich denn da gefragt? Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Leise wiederhole ich meine Frage von vorhin. Frage, ob er mich will. Und er nickt. Prüfend blick ich ihm weiter in diese blauen Augen, die mich wie zwei tiefe Seen anfunkeln. Streich ihm sanft über die Wange, während sein Atem immer noch schnell geht.
 

Dann reckt er sich zu mir hoch und küsst mich leidenschaftlich, während er sein Hemd eilig aufknöpft und abstreift. Dann bewegt er sich mir entgegen, so dass ich wieder zurück in eine liegende Position wechseln muss. Er folgt mir auf das Bett und schüttelt seine Hose ebenso hastig ab, wie zuvor sein Hemd. Seine Hand legt sich an meine Wange, während er den Kuss immer intensiver werden lässt und mich erneut in Feuer und Flamme versetzt.
 

Auf einmal geht ein Ruck durch uns, der von Seto kommt und wir tauschen die Positionen. Er liegt unter mir, ich breitbeinig auf ihm. Der Kuss wird leidenschaftlicher, seine Hände gleiten nun über meinen Rücken und die Seite, was meinerseits mich noch härter werden lässt. Sanft umfasst er meinen Hintern. Massiert ihn wieder, während ich hier und da meine Hüfte über seine Erregung kreisen lasse. Er keucht und stöhnt in den Kuss.
 

Ich spüre, wie seine Finger langsam über meine Hinter und dann zwischen die Backen gleiten. Noch nie hat er solche Initiative bei unserem Heavy Petting gezeigt. Immer musste ich ihn etwas anleiten, nachdem ich ihm Mut gemacht habe. Heute braucht er das nicht. Dann spüre ich, wie er sanft mit einer Fingerspitze über meinen Muskel streicht und nun bin ich es, der in unseren Kuss stöhnt.
 

So kenn ich meinen Drachen gar nicht und natürlich formt sich in meinem Kopf die Frage, was sich zu vorhin verändert hat. Doch nicht lange. Denn als Seto mich erneut reizt fegt es alle aktiven Gedanken einfach fort. Zurück bleibt einfach eine unbändige Lust und Geilheit. Nur mit Mühe und Not kann ich mich für einen Moment von Seto lösen, beuge mich zu meinem Nachttisch hin und öffne eine Schublade. Allzeit bereit. Ich weiß nicht, woher dieser Ausspruch kommt, aber ich hab ihn zu meinem Leitmotto gemacht. Daher zieh ich eine Tube Gleitgel und ein Kondom hervor.
 

Hungrig zieht er mich wieder zu sich und küsst mich erneut so leidenschaftlich und verlangend, wie noch nie zuvor. Vorsichtig öffne ich blind die Kondomverpackung und stülpe ihm geübt das Gummi über. Dabei stöhnt er auf und räkelt sich ein wenig unter mir. Dann öffne ich das Gleitgel und reibe damit seine Finger ein, mit denen er mich immer wieder anheizt und reizt.
 

Natürlich lass ich auch etwas vom Gleitgel über das Gummi fließen und verteil es gut, was gar nicht so einfach ist, wenn man sich so nah ist. Ich lieg fast wieder auf seiner Brust, als sich plötzlich etwas verändert. Unter meinen Fingern, die sanft an Setos Seite hochwandern nachdem sie mit der Vorbereitung fertig sind, spüre ich, wie seine Muskeln plötzlich beginnen zu zucken und sich zu versteifen.
 

Seto unterbricht just im gleichen Moment den Kuss und ich schau ihn fragend an. Da seh ich die Panik in seinen Augen, die sich schnell hin und her bewegen. Schließlich ergreift das Zittern seinen ganzen Körper und ich steig so schnell es geht von ihm herunter. Setz mich neben ihn. Sprech ihn an, doch er zittert und zieht immer wieder schnell und flach die Luft in sich hinein. Er hechelt fast schon. Und dann kommen die Tränen und das Schluchzen.
 

Ein so tiefes und verzweifeltes Schluchzen. Er packt sich selbst an den Oberarmen und hält sich so fest, dass unter seinem Griff die Haut weiß wird und an den Händen die Knöchel ebenso hervor treten. Sanft zieh ich ihn in meine Arme und er presst sich eng an mich, während er hemmungslos weint.
 

Da haben wir wohl einen Trigger erwischt, geht es mir durch den Kopf, während ich ihm sanft durch das Haar streiche und er eine seiner Hände löst und sich an meine Schulter klammert. Beruhigend streichle ich ihm über den Rücken. Lass ihn weinen. Meine Worte würden ohnehin in diesem Stadium der Angstattacke kaum zu ihm durchdringen. Bin einfach nur für ihn da und halte ihn.
 

Ich zieh eine Wolldecke - die gleiche, die ich mir vorhin übergeworfen habe - heran und decke uns zu. Er verschwindet fast gänzlich unter ihr. Aber in der Vergangenheit hat ihm eine Decke schon oft geholfen, sich wieder zu beruhigen. Also geb ich ihm die Zeit, die er jetzt braucht und schimpf mich gedanklich gleich doppelt so hart, wie vorhin.
 

Dass mein Drache noch nicht so weit ist hab ich doch schon vorhin gemerkt. Wie konnte ich da glauben, dass nur weil er hier angewetzt kommt, sich in kaum einer halben Stunde irgendetwas geändert hat? Es war ein einfach zu hohes Tempo, welches wir heute an den Tag gelegt haben.
 

Aber seine Reaktion überrascht mich eigentlich gar nicht. Immerhin war es damals zwischen Emon - meinem ersten Freund - und mir ähnlich, nur dass ich in Setos Haut gesteckt habe. Ein paar missglückte Anläufe, ein paar, von denen Seto nicht so recht weiß, was er von ihnen halten soll, bevor er beginnen wird sich dabei zu entspannen und es genießen zu können. Doch bis dahin... ist es noch ein langer Weg.
 

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Einen Schritt, um sich langsam zu öffnen

Als ich wach werde fühle ich mich, wie schon lange nicht mehr: Erschlagen, ausgelaugt, benommen. Mein Kopf ruht auf etwas Warmen, was sich auf und ab bewegt. In einem ruhigen Takt. Wärme umfängt mich. Ein Geruch, den ich liebe und gern in mich einsaug. Mein Streuner. Doch da ist auch ein anderer Geruch. Einen, den ich kenne und nicht mag. Dieser typische Geruch von Gleitgel.
 

Sofort katapultiert mich diese Erkenntnis in eine sitzende Position, wodurch ich die Decke wegreiße und Katsuya ein unwilliges Brummen entlocke, der auch schlagartig wach ist und sich aufsetzt. Besorgt fragt er, ob ich einen Albtraum hatte. Doch ich kann mich auf seine Worte gerade nicht konzentrieren. Wo kommt nur dieser ekelhafte Geruch her?
 

Ich blicke mich suchend um, bis mein Blick auf den Papierkorb fällt. In den ist eine Plastiktüte eingespannt und darin liegt ein schlaffes Kondom. Ekel überkommt mich erneut. Ich nehm den Korb, steh aus dem Bett aus und stell fest, dass ich nackt bin. Egal. Ich muss diesen Geruch loswerden. Also öffne ich die Terrassentür und stell den Korb nach draußen. Doch noch immer ist der Geruch so penetrant und dominant. Weiter blicke ich mich suchend um.
 

Mein Streuner ist auch aufgestanden, kommt zu mir und stellt sich mir in den Weg. Fragend schau ich ihn an. Sanft legt er seine Hand an meine Wange und für einen Moment möchte ich mich in die Berührung legen, doch dann schau ich ihn wieder fragend an. Er fragt mich, was ich hab und ich erkläre ihm mein Problem. Erkennend nickt er und dann nimmt er mich an die Hand und zieht mich in das Badezimmer. Sagt mir, ich solle meine Hände waschen. Verwirrt tu ich, was er mir sagt und tatsächlich lindert es den Geruch.
 

Nur langsam fällt mir wieder ein, dass Katsuya mir Gleitgel auf die Finger gegeben hatte, als wir gestern heftig zugange waren. Aber dennoch... der Geruch ist immer noch - wenn auch nicht mehr so penetrant - in der Luft. Da zieht mich Katsuya auch schon unter die Dusche. Seift mich mit meinem - oder vielmehr unserem - Duschgel ein, bevor er auch sich einseift. Dann spült er den Schaum vorsichtig von meinem Körper, bevor auch er sich davon befreit.
 

Als wir die Dusche wieder verlassen lächelt er mich an und schlingt ein großes Badehandtuch um mich. Dann meint er sanft, dass ich noch ein paar Minuten im Bad bleiben soll, bevor er dann aus selbigem verschwindet. Verdutzt schau ich ihm hinterher, während ich mich langsam abtrockne. Der unangenehme Geruch ist verschwunden. Zumindest hier im Badezimmer kann ich ihn nicht mehr wahrnehmen. Nur der Geruch von unserem Duschgel.
 

Nach ein paar Minuten öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer und Katsuya steckt seinen Kopf durch den Spalt. Er lächelt mich an und öffnet die Tür weiter, so dass ich endlich das Badezimmer verlassen kann. Draußen find ich das Bett frisch bezogen und die Fenster auf Kippstellung vor. Der Geruch ist auch hier gänzlich verschwunden. Dankbar blicke ich meinen Streuner an und lehn mich an ihn. Sofort schließt er seine Arme um mich und hält mich.
 

Ein langer Augenblick vergeht, bevor er mich fragt, ob das Gleitgel schlimme Erinnerungen in mir weckt. Ich nicke. Dann fragt er mich, ob ich ihm davon erzählen möchte. Nein, möchte ich nicht, dennoch setz ich mich mit ihm hin und überlege wie ich anfangen soll. Nach einem quälend langen Augenblick erzähl ich ihm von Gozaburo, den Big Five und das Spiel mit dem Gleitgel, als ich sie einmal angefleht habe, etwas zu benutzen, damit es nicht so weh tut.
 

Sanft streicht mir mein Streuner tröstend über den Rücken. Einerseits fühl ich mich - wie fast immer, wenn ich etwas von mir Preis gebe - leichter, andererseits schäm ich mich dafür, dass ich so etwas nicht überwinden kann. Das mir solche Erinnerungen immer wieder schöne Momente mit meinem Geliebten zerstören. Katsuya lehnt seine Stirn an meine und lächelt sanft. Möchte dann wissen, was mich am Gleitgel ekelt. Der Geruch offensichtlich, aber wie sei es mit der Konsistenz.
 

Irgendetwas in mir braust auf einmal auf. Lässt mich aufspringe und meinen Streuner ankeifen, warum das wichtig ist. Ich verstehe die Frage nicht. Katsuya bleibt sitzen und schaut mich verständnisvoll an. Dann erklärt er mir, dass er nur wissen möchte, ob ein anderes Gleitgel, welches nach etwas anderem riecht eine Alternative ist oder ob generell kein Gleitgel in Frage kommt. Ich fühl mich wie ein Idiot, während ich mich wieder neben ihn setze und den Kopf traurig hängen lasse. Sanft legt er wieder einen Arm um mich und lehnt sich an mich.
 

Alternativen, geht es mir durch den Kopf. Was für eine Alternative gibt es bitte zu Gleitgel? Da klopft es und ich höre Mokuba durch die Tür, wie er meint, dass das Frühstück fertig sei und wenn wir noch etwas haben wollen, uns sputen müssen, denn Yugi und Ryou würden gerade wieder mächtig zuschlagen.
 

Katsuya ruft ihm zu, dass wir gleich runter kommen und dann hör ich ihn weggehen. Wie lang er wohl vor der Tür stand? Da ist wieder dieses merkwürdige Gefühl in mir, dass ich all den Scheiß von meinem kleinen Bruder fern halten sollte. Und dennoch... gelingt mir das einfach nicht. Mein Streuner bewegt sich schließlich, steht auf und lenkt meine Aufmerksamkeit von meinen Gedanken auf ihn. Sanft lächelt er mich an, während er aus meiner Tasche frische Unterwäsche und was zum Anziehen rausholt.
 

Dankend nehm ich die Sachen entgegen und zieh mich an. Am Ende steh ich in einer legeren, schwarzen Stoffhose, einem schwarzen Poloshirt und einem ebenso schwarzen, neuen Schweißarmband da. Es ist so ungewohnt etwas Kurzärmliges zu tragen, aber nach gestern ist das schon okay. Nachdenklich geh ich mir über das Schweißarmband. Eigentlich nicht nötig, denn die anderen haben sicherlich gestern meine Narbe bereits gesehen, aber so fühl ich mich doch selbstsicherer. Als ich aufblicke steht mein Streuner, der mich so gut kennt und einschätzen kann, in Jeans und einem weiß Shirt mit blauem Kasten auf der Brust vor mir und lächelt mich an.
 

Dann verlassen wir das Schlafzimmer und steigen die zwei Treppen ins Erdgeschoss hinunter. Die meisten sitzen um den Esstisch, zu dem auch Katsuya sofort strebt und sich hinsetzt. Mich zieht es in die offene Küche, in der ich überraschend auf Otogi stoße, der sich gerade eine Tasse Kaffee aufbrüht. Als er mich sieht bekommt er ein schiefes Grinsen.
 

Schlagartig bricht sich das Bild von ihm, nackt auf Hondas Schoss, auf und ab bewegend, Bahn. Schamesröte schlägt sich sofort auf meine Wange. Ich merk das an dem brennenden Gefühl. Doch ich seh gar nicht ein mich davon nun unterkriegen zu lassen. Also stell ich mich neben ihn, nehme mir auch eine Tasse und ein Pad für die Kaffeemaschine und warte. Während der Kaffee lautstark in die Tasse läuft kommt mir eine Idee. Schnell schau ich kurz über meine Schulter zum Tisch. Die anderen sitzen alle um ihn und flachsen miteinander rum. Also schau ich wieder vor mich.
 

Otogi nimmt seine Tasse und will zum Tisch, als ich nach seinem Unterarm greife und ihn aufhalte. Fragend blickt er mich an. Ich stell meine Tasse unter die Ausgabe, legte das Pad ein und drücke auf Start. Laut läuft das Wasser aus dem Tank durch das Pad in die Tasse. Ich atme tief ein und frage Otogi, der gerade an seinem Kaffee nippt, so laut wie nötig, aber so leise wie möglich, ob ihm eine Alternative zu Gleitgel einfällt.
 

Der Würfelfreak verschluckt sich prompt an seinem frisch gebrühten Kaffee, spautzt einen Teil des Kaffees hustend aus, während der anderer Teil durch seine Nase läuft. Erschrocken blick ich ihn genauso an, wie er mich. Die Gespräche am Tisch sind sofort verstummt und alle schauen zu uns. Wie... peinlich!

Einen Schritt, um den eigenen Standpunkt zu erkennen

Ich bin immer noch dabei den Kaffee aus meiner Luftröhre heraus zu husten, als sich Kaiba seine Tasse nimmt, sich abwendet und davon geht, als sei nichts gewesen. Aber was, bei allen Himmeln, war das jetzt für eine Frage? War die Frage ernst gemeint oder wollte er mich nur foppen? Als Revanche wegen gestern Abend.
 

Als ich gestern mit Hiroto am See war und wir Sex miteinander hatten, hab ich Kaiba bemerkt. Eigentlich dachte ich, dass er sich sofort verlegen abwenden würde, wenn ich ihn direkt anschaue. Doch das tat er nicht. Also hab ich mich lasziver bewegt und das schien ihm ungemein gefallen zu haben. Trotz des Schattens, in dem er stand, konnte ich deutlich sehen, wie er einen Mortzständer bekommen hat.
 

Wie kommt man sonst von 'Ich ignoriere dich, weil du mehr von mir weißt, als es mir recht ist' auf 'Hey, was für eine Alternative zu Gleitgel fällt dir ein?'? Wenn das eine ernst gemeinte Frage war, hätte ich eher erwartet, dass er sich damit an Hiroto wendet. Immerhin scheint es zwischen denen mehr Freundschaft zu geben, als zwischen ihm und mir und unserem Aneinandergeraten in der vergangenen Woche.
 

Nachdem ich mich endlich wieder eingekriegt habe schau ich auf mein Hemd, welches ich heute Morgen angezogen habe, und stell fest, dass es mehr vom Kaffee abbekommen hat, als ich selbst. Ich stell also meine Tasse wieder ab und steig die Treppe hoch, um mir schnell ein frisches Hemd anzuziehen.
 

Ich pfeffer mein mit Kaffee getränktes Hemd in meinen Koffer auf die 'getragen'-Seite und schau meine mitgebrachten Sachen durch. Dann entschließ ich mich zu einem schwarzen Hemd. Da spür ich, wie sich Hände von hinten an meiner Seite zur Brust schieben und sich Hiroto an meinen Rücken lehnt.
 

Er fragt mich mit besorgter Stimme, ob alles in Ordnung ist. Ich nicke, bevor mir bewusst wird, dass er das wohl kaum sehen kann. Also wiederhole ich meine Antwort verbal. Seine Hände streichen mir über die Brustmuskeln und ich schließe meine Augen. Ich könnt ihn jetzt auf das Bett werfen und vernaschen, aber wir sind keine wilden Tiere. Also reis ich mich zusammen.
 

Hiroto hakt nach, warum ich mich so verschluckt habe. Ich überlege kurz, ob ich ihm von der Frage erzähle. Er gehört immerhin zu Kaibas innerem Kreis - wenn er so etwas hat - also müsste es doch okay sein, wenn ich ihm das erzähle. Er löst sich von mir und stellt sich vor mich. Ich ziehe mir das frische Hemd über und wiederhole Kaibas Frage und meine Gedanken dazu.
 

Auf einmal wird Hiroto knallrot im Gesicht, was mich verwundert. Verwirrt frage ich, was los ist und bekomme als Antwort die Frage, wie ich das meine, Kaiba hätte uns gestern beim Sex gesehen. Oh, stimmt ja, das habe ich Hiroto gar nicht erzählt gehabt. Ich grinse verlegen, bevor ich meine Arme um seine Hüfte schling, ihn zu mir zieh und sanft küsse. Doch ihm ist gerade nicht danach geküsst zu werden. Er boxt mich gegen die Schulter und fragt mich dann, warum ich Kaiba dann noch mit lasziven Bewegungen provoziert habe.
 

Warum? Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht. Mir war einfach danach ihm zu zeigen, dass Sex einfach die geilste und schönste Sache auf der Welt sein kann. Und es hat mir irgendwie geschmeichelt, dass er so interessiert zugeschaut hat und dann noch voll den Ständer bekam. Noch einmal boxt mich Hiroto gegen die Schulter, was mich ungehalten maulen lässt. Er soll mich nicht boxen. ICH hab nichts Falsches getan. Er seufzt nur und setzt sich auf das Sofa, dass in unserem Zimmer an der Wand steht.
 

Dann meint mein Liebster, dass er nicht glaubt, dass Kaiba diese Frage als Revanche für meine Provokation gestellt hat. Das würde ihm nicht ähnlich sehen. Nicht? Kaiba ist einer der schlagfertigsten Menschen, die ich kenne. Er hat nie eine Gelegenheit ausgelassen, um sich - egal ob im positiven oder negativen Sinne - zu revanchieren. Hiroto nickt und meint zu mir, dass das aber sein öffentliches Ich ist. Seine Maske, die Kaiba trägt, damit niemand sieht, wie verletzlich er doch ist. Die Worte sacken langsam bei mir. Hab ich eben noch gedacht, dass Hiroto im inneren Kreis von Kaibas Vertrauten ist, wird mir bewusst, dass ich das ja jetzt auch bin. Auch wenn es Kaiba gar nicht recht ist, dass ich das bin.
 

Langsam knöpf ich mein Hemd zu und meine, dass ich Kaiba dann wohl noch eine Antwort schulde. Ich beuge mich zu Hiroto und küsse ihn sanft. Als wir uns von einander lösen schmunzelt er mich an. Er hat aber auch ein umwerfendes Lächeln. Ein Lächeln, dass nur für mich bestimmt ist und ich mit niemanden teilen will.
 

Schließlich gehen wir gemeinsam wieder runter. Das allgemeine Geschnatter der anderen ist bereits wieder im Gange, als sich mein Geliebter zu ihnen gesellt. Ich geh wieder an die Kaffeemaschine und brüh mir einen neuen Kaffee auf. Während ich warte, dass das Wasser als Kaffee in meiner Tasse landet schau ich mich kurz suchend um. Kaiba ist nicht da.
 

Doch Jonouchi scheint zu wissen, wen ich suche und nickt mit dem Kopf in Richtung der Terrassentür. Mit einem knappen Nicken zurück dank ich ihm. Nachdem die Maschine endlich fertig ist meinen zweiten Kaffee in die Tasse laufen zu lassen folge ich Kaiba. Als ich die Terrassentür erreiche kann ich ihn schon sehen, wie er dort vor der hölzernen Brüstung steht und dem abschüssigen Berg zum See hinab schaut.
 

Ich schiebe die Tür auf, trete hindurch und schließe sie wieder. Die Luft ist angenehm, nicht zu warm, aber auch nicht kühl. Die Vögel in der Umgebung sind klar zu hören und auch andere, typische Geräusche erfüllen die Luft. Ein laues Lüftchen weht und umspielt meine blanken Arme. Erst jetzt fällt mir auf, dass auch Kaiba etwas Kurzärmliges trägt.
 

Hm, merkwürdig. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihn jemals vorher in etwas Kurzärmligen gesehen habe. Aber was mir auffällt ist, dass sein Handgelenk, welches er sonst immer mit irgendetwas bedeckt, nackt ist. Keine übliche Armschiene, kein Schweißband. Die Narbe gut sichtbar. Beeindruckt mustere ich kurz seinen Rücken.
 

Dann, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, stell ich mich neben ihn und nippe an meinem frischen Kaffee, ohne das ich mich dieses Mal verschlucke. Ohne das er seine Frage noch einmal stellt oder ich sie wiederhole meine ich zu ihm nur 'Aloe Vera oder Kokosöl'. Überrascht blickt er mich aus dem Augenwinkel an. Nach einem längeren Moment nickt er nur.

Einen Schritt, um das Eis zu brechen

Aloe Vera oder Kokosöl, geht es mir immer wieder durch den Kopf, während ich durch die Gänge des kleinen Ladens wandere. Wenn man eine halbe Stunde dem Waldweg folgt kommt man zu einem Ferienort, in dem man in eine der zahlreichen Herbergen absteigen kann, wenn man keine Ferienhütte hier oben hat. Obwohl es nur ein kleiner Laden ist, ist er doch gut sortiert und hat ein umfangreiches Sortiment, welches mir jetzt erschwert zu finden, was ich suche.
 

Kokosöl? Das, das man auch zum Kochen verwenden kann? Oder ist das eher eine Art Massageöl? Warum hab ich Otogi auch vorhin nicht danach gefragt? Hm... vielleicht weil die ganze Situation schon peinlich genug war? Das ich in solchen Sachen einfach nicht so belesen bin ist die eigentliche Peinlichkeit. Ich bin ein homosexueller Mann, da sollte ich mich auch auskennen. Also zück ich mein Smartphone und rufe meinen Browser auf. Dort such ich nach Kokosöl + Gleitgel ein und werde von Werbung gänzlich erschlagen, bevor ich einige Erfahrungsberichte finde. Was ich lese ist nicht so berauschend. Also bleibt noch die Alternative.
 

Es kostet mich wieder ein paar Minuten Zeit, bevor ich vor einem Regal mit Pflegeprodukte stehe. Tiegel und Tuben mit Cremes und Pflegemittelchen, die Feuchtigkeit spenden sollen. Die Auswahl hier ist noch einmal um einiges größer als bei dem Kokosöl. Also nehm ich verschiedene Produkte in die Hand und schau mir ihre Inhaltsstoffe an. Doch irgendwie ist mir nicht ganz ersichtlich, welches davon wohl am besten für das geeignet ist, wozu ich es benutzen möchte.
 

Plötzlich hält mir jemand einen relativ großen, weißen Tiegel mit braunem, Packpapier imitierenden Etikettaufkleber hin. Erschrocken blick ich auf und seh in das grinsende Gesicht des Würfelfreaks. Sofort spüre ich, wie mein Gesicht in Flammen aufgeht und ich fühle mich auf einmal, als sei ich bei etwas sehr intimen erwischt worden. Ich nehm den Tiegel in die Hand und lese den Text auf dem Etikett: Einzigartige Rezeptur, aus dem Inneren des Aloe Vera Blattes hergestellt, ideal für trockene Haut, feuchtigkeitspendend, kann direkt auf Gesicht und Körper aufgetragen werden. Gekauft.
 

Ich gehe zur Kasse und bemerkte, dass mir Otogi folgt. An der Kasse nimmt er sich zwei Wasserflaschen aus dem Kühlregal und stellt sich dann hinter mich. Ungerührt bezahle ich die Aloe Vera und verlasse den Laden mit dem Stoffbeutel, der mir vom Verkäufer in die Hand gedrückt wurde. Warum mich der Verkäufer wohl so angegrinst hat? Ob er weiß, wozu ich die Aloe Vera brauche? Vielleicht ist dieses Aloe Vera Gel sowas wie Kondome. Himmel, ich hoffe nicht. Das wäre mehr als peinlich.
 

Der schwarzhaarige Würfelfreak schließt zu mir auf und reicht mir eine der Wasserflaschen. Fragend blick ich ihn an und bereue das sofort. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ihn, nackt, auf Honda sitzend, auf und ab wippend. Sofort brennt mein Gesicht wieder fürchterlich. Und er... er grinst mich nur dumm an. Immer noch hält er mir die Wasserflasche hin und ich nehme sie mit einem kaum zu verstehenden Danke an.
 

Nachdem wir wieder auf dem Waldweg sind und ich ein, zwei Schlucke Wasser genommen habe höre ich ihn fragen, warum ich denn eine Alternative zu Gleitgel brauche. Ich schau ihn nur aus dem Augenwinkel an und dann auf die andere Seite, auf der das Wasser des Sees im Sonnenschein durch die Bäume und das Gestrüpp glitzert. Ich ringe immer noch mit mir, während ich überlege ob und was ich antworten soll, als ich seine Stimme erneut höre, die fragt, ob mich Gleitgel an etwas Schlimmes erinnert.
 

Was soll das nur? Er weiß doch, was die Bedingungen dafür sind, dass Honda ihm das alles von mir erzählen durfte. Warum hält dieser Würfelfreak sich einfach nicht daran? Wut flammte in mir auf und ich bin kurz davor zu explodieren, als er weiter redet. Mir erzählt, dass er auf Gleitgel meist allergisch reagiert. Er bekommt dann einen unangenehmen Juckreiz dort, wo er sich nur schwer kratzen kann, deshalb habe er sich eine Alternative gesucht.
 

Warum erzählt er mir das? Das sind Informationen, die ich gar nicht wissen will. Mein Unverständnis und meine Wut ringen miteinander, wer sich nun Bahn brechen darf. Da haut mir Otogi mit der flachen Hand auf meine Schulter und meint, wenn ich es ausprobiert habe, solle ich ihm doch sagen, wie ich es finde. Ob es für mich auch eine Alternative ist oder ob ich eine Alternative zur Alternative brauche.
 

Ich schau in die Richtung aus der wir gekommen waren. Niemand auf dem Weg. Ich schau nach vorne, wohin wir wollen, auch da kommt uns niemand entgegen. Wir sind also ganz alleine auf dem Waldweg. Wenn ich ihn jetzt erwürge könnte ich ihn dort im Wald vergraben und keiner würde ihn jemals finden oder mir etwas anlasten können. Doch dann schüttle ich den Kopf, schließe meine Augen, massiere mir die Nasenwurzel und seufzte. Nettes Gedankenspiel, aber was ich damit Honda antue wäre unverantwortlich.
 

Dann hör ich Otogi fragen, wie ich die Showeinlage gestern fand. Ich reis meine Augen auf und schau aus dem Augenwinkel zu ihm. Steine liegen hier am Wegrand genug, um ihn umzuhauen, kommt es mir in den Sinn, während er mich nur weiterhin stolz angrinst. Macht er das eigentlich absichtlich oder was bezweckt er mit all dem Gelaber und der Fragerei? Ich hab noch nicht zu einer Antwort angesetzt, da kommt von ihm, dass es mir ganz gut gefallen haben muss, nachdem was er in meiner Hose gesehen hat.
 

Fauchend weiße ich ihn zurecht und meine, dass meine Erregung nichts mit ihm oder Honda zu tun hatte. Das ich an etwas anderes gedacht habe, als ich gestern Abend die beiden gesehen habe. Von Otogi kommt nur ein 'ja, klar', so als ob ich es nötig habe zu lügen. Da platzt es aus mir heraus, dass ich mir vorgestellt habe, dass ich Hondas Platz inne hatte, während Katsuya Otogis Platz einnahm und ich nur deshalb so hart geworden bin.
 

Erst als ich meine eigenen Worte laut höre, wird mir bewusst, dass ich Otogi auf den Leim gegangen bin. Dieser lächelt zufrieden. Nicht bösartig oder überlegen, als hätte er mich gerade bloß gestellt, sondern wirklich zufrieden. Ein 'na endlich' kommt von ihm. Dann fragt er in einem völlig anderen, wesentlich vertrauteren Tonfall, wie weit ich mit Katsuya denn schon sei. Ob wir schon einmal Sex gehabt haben oder was das Problem ist.
 

Perplex bleib ich stehen und schau ich ihn nur an. Was ist da eben passiert? Er bleibt auch stehen und lächelt mich an. Meint, dass wir jetzt endlich vernünftig reden können, denn das ich mich vorher auf gar keinen Fall auf ein derartiges Gespräch eingelassen hätte. Und er hat Recht. Hätte ich nicht und jetzt fühlt es sich eigenartig an, als ob da jetzt kein Vorhang oder keine Mauer mehr zwischen Otogi und mir gäbe.
 

Er stellt die Schlussfolgerung auf, dass Katsuya und ich es noch nicht miteinander getan haben. Als ich frage, wie er darauf kommt, meint der Würfelfreak nur, dass ich sonst wohl schon vorher nach Alternativen zu Gleitgel recherchiert hätte und ihn nicht hätte fragen müssen. Also, meint er weiter, dass wir wohl erst gestern das erste Mal so richtig versucht haben miteinander zu schlafen und es am Gleitgel gescheitert ist. Dann wiederholt er noch einmal seine Frage von vorhin, ob ich mit Gleitgel an etwas Schlimmes erinnert wurde.
 

Ich nicke nur. Das Gespräch ist auf einmal gar nicht mehr unangenehm oder peinlich, wie noch vor ein paar Minuten. Und so entsteht ein unbefangenes Gespräch, während wir zur Hütte zurück spazieren.

Einen Schritt falsch verstehen

Ich tigere die ganze Zeit in der Küche auf und ab. Es sind jetzt fast schon zwei Stunden, seit Seto sich auf den Weg zu diesem mysteriösen Dorf gemacht hat. Er wollte etwas besorgen, hat er zu mir gesagt und ehe ich sagen konnte, dass ich mitkomme, war er auch schon weg. Die anderen sind noch einmal runter zum See gegangen, um den Sonntag genauso zu verbringen, wie den gestrigen Tag. Aber ich kann nicht einfach so im Wasser rumtollen, wenn ich nicht weiß, wo mein Drachen abgeblieben ist.
 

Als mir das in der Küche tigern zu doof wird beschließe ich meinem Drachen entgegen zu laufen. Wenn man in einer neuen Umgebung ist, dann ist es doch nur natürlich, dass man sich diese auch etwas anschauen möchte, oder? Jap, das klingt überzeugend. Wenn ich dabei zufällig auf Seto stoße, dann ist das eben genau das: Zufall.
 

So mach ich mich auf den Weg. Mag sein, dass ich gerade nicht am Spazieren als eher am Walken oder Laufen bin. Aber ich mach mir tierisch Sorgen, dass irgendetwas meinen Drachen aus dem Konzept bringt und er in einer Kurzschlussreaktion dann planlos rumrennt, wie es damals war, als ich das Schlafzimmer des alten Kaibas entdeckt habe. Da ist er auch einfach losgerannt und war Stunden lang verschwunden, bis Keis Frau uns anrief und mitteilte, wo wir meinen Drachen finden können.
 

Ich bin noch keine fünf Minuten auf dem Weg, da kann ich weiter vorne Seto sehen, wie er neben... Otogi (?) läuft. Alter, hab ich dem Würfelheini nicht klar und deutlich gesagt, dass er sich von meinem Drachen fern halten soll? Schwer von Begriff oder was? Na warte, dem werde ich das gleich etwas erinnerungswürdig einbläuen... Moment... irgendwas ist da gerade echt komisch. Seto wirkt gar nicht genervt. Eher so, als würde er sich mit Otogi nett (?) unterhalten.
 

Ohne wirklich darüber nachzudenken hüpfe ich hinter den mächtigen Stamm eines Baumes, der hier im Wald zufällig wächst. Danach verpass ich mir selbst einen Facepalm, eine Hand gegen die Stirn, und frage mich selbst, warum ich jetzt hinter einem Baum stehe? Mein Drache weiß doch, dass ich immer hibbelig bin, wenn wir nicht zusammen sind. Also...
 

Die beiden kommen in Hörreichweite und tatsächlich hat mich mein Eindruck nicht getäuscht. Die beiden reden ganz entspannt mit einander. Ich schein irgendetwas verpasst zu haben, denn noch vorgestern hätte sich mein Drache lieber die Zunge heraus gerissen, als mit Otogi auch nur zwei Worte zu wechseln. Ob das etwas damit zu tun hat, dass Otogi heute Morgen seinen Kaffee durch die Nase noch einmal gefiltert hat?
 

Da schlägt Otogi meinem Drachen vor, dass sie sich vielleicht kurz auf die Bank an dem großen Baum setzen sollen. Mein Drache setzt sich doch nicht mit Mister Dungeon Dice Monsters auf eine Bank und... doch da höre ich bereits seine Zustimmung und mir fällt die Kinnlade förmlich herunter. Ich höre ein Rascheln, wie von einer Stofftüte und dann meint Otogi zu Seto, dass sie vielleicht mal checken sollten, wie Seto auf DAS reagiert. Das? Was? Auf was soll mein Drache reagieren?
 

Ich hör irgendetwas, was ich nicht ganz zuordnen kann. Als nächstes scheinen beide zu schweigen, bevor Otogi das Schweigen bricht und meinen Drachen mit einem 'und' fragt. Und was? Um was geht es überhaupt? Lange scheint mein Drache nichts zu sagen, bevor ich seine Stimme höre und die klingt so, wie er sonst nur mit mir spricht, wenn wir unter uns sind. Er meint, dass es wohl in Ordnung sei.
 

Doch dann hör ich Otogi vorschlagen, dass Seto ES mal anfassen soll. Hey, geht es noch? Wenn mein Drache hier irgendetwas anfasst, dann bin ich das. Ich will schon hinter dem Baum hervor springen, als ich Seto sagen höre, dass die Konsistenz ähnlich, aber anders sei. Flüssiger. Weniger klebrig. Was ich höre, kann ich kaum glauben. Soll... soll das heißen, er hat ihn angefasst? Ihn? Und dann vergleicht er ihn noch mit mir?
 

Die ganze Welt scheint auf einmal verkehrt herum zu sein. Wieso sollte mein Drachen Otogi anfassen und dann noch ihn mit mir vergleichen. Vor allem klingt Otogi nicht gerade so, als hätte mein Drache gerade Hand an ihn gelegt. Ich weiß, wie der Würfelheini danach klingt, denn an den Wochenende, an denen sie bei uns in der Villa übernachten sind sie nicht gerade dezent und zurückhaltend. Oft verschwinden Otogi und Honda mal kurz, um... Scheiße... Honda... den wird das völlig aus den Latschen kippen, wenn ich ihm davon erzähle.
 

Ich rutsche am Baumstamm nach unten in die Hocke und frag mich, wie ich meinem besten Freund erklären soll, wessen ich gerade Zeuge geworden bin? Dann hör ich Otogi sagen, dass Seto ES anfangs vielleicht zum Massieren benutzen soll, damit er sich an den Geruch und die Konsistenz gewöhnt. Hey, geht's noch? Wie ekelhaft ist das denn jetzt? Soll Seto sich Otogis Zeug jetzt in ein Döschen füllen oder was? Jetzt reicht es, denk ich mir und steh wieder auf. Gerade als ich hinter dem Baum hervor kommen möchte höre ich Seto fragen, was er machen soll, wenn es mir nicht so gefällt? Das ich vielleicht den Geruch nicht abhaben kann oder mich sonst etwas daran stören könnte.
 

Darauf kann er aber einen lassen, dass mir das nicht so gefällt und ich den Geruch nicht abhaben können werde. Wieso sollte es mich schon stören, wenn mein Freund mit 'nem anderen...
 

Da meint Otogi, dass Aloe Vera eigentlich für jeden angenehm riecht und er niemand kennt, der sich an dem Geruch stört. Aloe Vera? Was jetzt? Hä? Irgendwas scheint mal wieder an mir vorüber zu gehen ohne das ich es gecheckt habe. Dann kommt etwas, was mich erstarren lässt. Otogi meint, wir könnten mich auch einfach fragen, wenn ich damit fertig sei, mich hinter dem Baum zu verstecken.
 

Ich kann regelrecht hören, wie mein Drache sich kerzengerade aufsetzt und verwundert versucht durch den Baumstamm durchzuschauen. Nur langsam schieb ich mich hinter dem Stamm vor und werde sofort von beiden angeschaut. Dabei grinst der Würfelheini vergnügt, bevor er aufspringt und meint, er würde sich mal zu den anderen tummeln. Dann läuft er den Waldweg weiter zu unserer Hütte, um dort die Treppe nach unten an den See zu nehmen.
 

Seto blickt mich weiter total geschockt an. In der Hand ein großer, weißer Tiegel. Was... was ist das? Ich versuche um den Baum zu laufen und stolpere über das Geäst am Boden und leg mich der Länge nach hin. Sofort springt mein Drache auf, stellt den Tiegel auf der Bank ab und eilt zu mir. Vorsichtig hilft er mir aufzustehen und hebt mich dann aus dem Dickicht, in dem ich gelandet bin.
 

Nachdem er mich raus gehoben hat stehe ich immer noch an seiner Brust, während er mich sanft umarmt hält und mir in die Augen schaut. Was ich denn hinter dem Baum gemacht habe, will er wissen. Das ist eine gute und berechtigte Frage, wie ich finde. Aber eine wirkliche Antwort darauf hab ich nicht. Es war einfach so ein Impuls, der mich überkam, als ich sah, wie Seto mit Otogi so locker entlang spaziert gekommen ist. Irgendwie wollte ich nicht wie die Glucke vom Dienst wirken. Dass die beiden sich dann auf die Bank vor dem Baum setzen, hinter dem ich mich versteckt habe, damit konnte ich ja wohl echt nicht rechnen.
 

Mein Drache mustert mich lange und eingehend, bevor er dann anfängt zu kichern. Wie jetzt... lacht er mich jetzt auch noch aus. Doch sein Kichern ist so losgelöst und kommt von Innen heraus, das ich nicht anders kann, als auch zu kichern. So lassen wir uns auf die Bank nieder und Seto zeigt mir, was er gekauft hat. Ich werde knallrot und kann nicht glauben, dass ich das so derb missverstanden habe. Seto muss bei meinem Anblick noch mehr lachen und zieht mich mehr in seine Arme. Was für ein herrlicher Augenblick, geht es mir nur durch den Kopf, bevor ich mich anlehne und genieße, meinen Drachen so zu erleben.

Einen Schritt der Ankündigung

Ich sitze an meinem Schreibtisch im Kaiba-Tower und lege die letzten Papiere, die ich noch abarbeiten musste, zur Seite. Zufrieden schweift mein Blick über den fast leeren Schreibtisch. Die Golden Week hat so ihre Vorteile. Viele Firmen haben in dieser Woche geschlossen und so konnte ich endlich die Oberhand in meinem Papierkrieg gewinnen. Ich hatte schon fast vergessen, wie produktiv ich sein kann, wenn nicht alle zwei Minuten das Telefon klingelt oder es alle fünf Minuten an meiner Tür klopft.
 

Langsam dreh ich meinen Chefsessel zur großen Fensterfront und blicke über die erwachende Stadt, die sich um den Kaiba-Tower schmiegt. Leicht erschöpft lehn ich mich in den Sessel und genieße den Moment und das Gefühl alles erledigt zu haben. Beobachte, wie die Sonne aufgeht und der Verkehr auf den Hauptstraßen langsam begann voluminöser zu werden.
 

Es ist Montag und ich hab jetzt schon nichts mehr an Arbeit, um mich von der Tatsache abzulenken, dass Seto ohne mich außerhalb Domino City unterwegs ist. Das ist das erste Mal, dass er die Stadt verlässt und ich nicht an seiner Seite bin. Aber ich will auch nicht die überbesorgte Glucke sein. Er ist alt und reif genug, um mit Freunden eine schöne Woche in der Waldhütte zu verbringen und... außerdem ist Fuguta ja bei ihnen. Der wird sich schon melden, wenn etwas sein sollte und dann schaff ich die Strecke in neunzig Minuten statt zwei Stunden. Wenn der Verkehr nicht allzu heftig ist vielleicht sogar in 70 Minuten.
 

Als es klopft bin ich erst überrascht. Doch als ich auf die Uhr schaue stell ich fest, dass ich länger meinen Gedanken nachgehangen habe, als mir tatsächlich bewusst ist. Ich steh auf, streich meinen Anzug glatt und geh zur Tür. Als ich sie öffne lächelt mich Detective Nagasato an und nickt mir als Ersatzverbeugung respektvoll zu, bevor sie mir einen Kaffeebecher aus dem teuersten und edelstem Kaffeehaus der Stadt reicht. Dankend nehm ich den Becher entgegen, erwidere ihr freundliches Lächeln und bitte sie dann in mein Büro. Ich deute auf die Sitzecke und wir nehmen auf der bequemen Eckcouch Platz.
 

Sie fragt mich, was sie für mich tun kann. Mein Schmunzeln wird etwas breiter. Da mein ich zu ihr, dass ich sie davon in Kenntnis setzen möchte, dass Seto bereit ist mit ihr zu sprechen. Nicht sofort, denn im Moment ist er in der Golden Week, und auch nicht nächste Woche. Doch am letzten Schultag vor den Sommerferien.
 

Verblüfft schaut sie mich an und fragt mich, warum erst dann. Ich erkläre ihr, dass Seto mit einen Mediensturm auf seine Person rechnet und er hofft, dass dieser noch während des Sommers abebbt, so dass er nach den Ferien unbehelligt bleibt, wenn er zur Schule geht oder nachmittags wieder nach Hause. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hofft Seto, das der Großteil seiner Schulkameraden dann im Urlaub ist und nichts von all dem mitbekommen, was dann möglicherweise bekannt wird.
 

Detective Nagasato nickt nur zustimmend und meint dann zu mir, sie habe eine Freundin beim Jugendamt. Diese habe sie wegen Setos Befürchtungen angerufen und den Fall rhetorisch durchgesprochen. Ich winke direkt ab und lächle sie weiterhin an. Das Sorgerecht für Mokuba sei kein Thema mehr, sag ich ihr sanft. Wieder schaut sie mich verblüfft an und erwartet wohl, dass ich erkläre, warum Setos Angst kein Thema mehr sei.
 

Ich nippe an dem Kaffee, der nicht durch Milch oder Zucker verfälscht ist, und genieße kurz das perfekte Aroma. Dann schau ich ihr in die Augen und teile ihr mit, dass Seto die Vormundschaft seines Bruders nicht länger verlieren kann, da er sie offiziell nicht mehr inne hat. Er hat mir die Vormundschaft übertragen und ich bin mehr als geeignet die Vormundschaft - egal was kommen mag - zu halten. Genauso wie ich die Vormundschaft für Seto halte.
 

Ihre gesamte Mimik ist von der Überraschung dieser Nachricht geprägt. Ungläubig fragt sie noch einmal nach, ob sie das richtig verstanden hat: Ich halte die Vormundschaft über beide Brüder? Jawohl, so ist es. Auch wenn Seto sich nach dem Tod seines Adoptivvaters für mündig erklären gelassen hat, so hat er nun alle notwendige Schritte eingeleitet, dass die Vormundschaft bis zu seinem 20. Geburtstag in meinen Händen liegt. Damit ist das Jugendamt endgültig komplett raus.
 

Mir ist durchaus bewusst, was das für ein erneuter Vertrauensbeweis von Seto ist. Erst zu Weihnachten hat er mich zum Miteigentümer dieser Firma gemacht. Im Februar mir die Leitung übertragen, damit er sich auf seine Therapie konzentrieren konnte. Nun die Vormundschaft über ihn. Wenn ich je dachte, dass ich nicht mehr als ein bloßer Angestellter sei, ist nun von diesem Gedanken nichts mehr übrig. Seto sieht in mir wirklich jemand, der zu seiner Familie gehört.
 

Der Detective ist immer noch sprachlos. Ich leg ihr eine Hand auf die Schulter und lächle sie wieder an. Wir werden dieses Schwein kriegen. Dieses und die anderen, wenn sie bereit ist, diesen Kampf wirklich aufzunehmen. Jetzt lächelt auch sie mich wieder an und nickt. Sie ist schon lange bereit dieses Schwein endlich Ding fest zu machen.
 

Sie will schon aufstehen, als sie sich entschließt doch noch etwas sitzen zu bleiben und schaut mich prüfend an. Ich frage, was ihr auf dem Herzen liegt. Sie scheint ihre Worte etwas abzuwiegen, doch dann erzählt sie mir, dass sie an einem Sonntag mal bei Seto in der Villa war und er gerade Training in irgendeinem Kampfsport hatte. Ich nicke, da das nichts Neues für mich ist. Worauf will sie nur hinaus? Der Trainer, meint sie dann plötzlich und mir wird bewusst, worum es ihr geht. Sie ist eine gute Beobachterin.
 

Noch ehe sie ihr Anliegen oder ihre Frage stellen kann, nicke ich und eröffne ihr die Wahrheit über Oshita Keizo. Erzähle ihr, dass er lange vor Seto Opfer der gleichen Männer geworden ist und wie er versucht hatte Seto zu schützen und wie das schief und von den Monstern pervertiert wurde. Ich mache deutlich, dass Keizo ein Opfer und zwar ausschließlich ein Opfer ist.
 

Nachdem ich fertig mit meinen Ausführungen bin nickt sie nur und dankt mir für die Offenheit. Dann fragt sie, ob auch Keizo bereit wäre öffentlich zu machen, was er erlebt hat. Ich zucke mit den Schultern und schlage ihr vor, dass ich mit ihm reden und fragen werde. Wieder nickt sie mir dankbar zu, bevor sie dann aufsteht. Dieses Mal verbeugt sie sich wirklich vor mir und dankt mir erneut. Irgendwann ist dann aber auch mal gut mit der Dankbarkeit, maßregel ich sie sanft. Sie grinst verschmitzt und geht dann.
 

Ich gehe zurück zur Fensterfront und schaue wieder auf die Stadt hinab, die vor Leben nur so pulsiert. Was ich Detective Nagasato nicht erzählt habe ist, dass Mokuba von dieser Lösung anfänglich gar nicht angetan war. Er wollte gar nicht, dass ich seine Vormundschaft übernehme. Doch nachdem Seto ihm alles erklärt hatte, hatte Mokuba dann doch - wenn auch widerwillig - zugestimmt. Ich weiß, dass Mokubas Weigerung nicht gegen mich ging. Er wollte eigentlich nur damit Seto zeigen, dass er voll hinter ihm steht. Dass der Kleine mich gut leiden kann, vielleicht sogar in gewisser Weise liebt, weiß ich schon lange. Immerhin war ich lange Zeit sein wichtigster Bezugspunkt.
 

Obwohl wir alles wasserdicht geregelt haben spür ich in mir ein mulmiges Gefühl. Ist das normal und liegt es daran, dass wir vorhaben etwas, was bislang nur sehr wenige Menschen wussten, publik zu machen? Oder haben wir irgendwo etwas übersehen? Ich nehm mein Smartphone zur Hand und wähl die Nummer eines befreundeten Anwalt, dem ich voll und ganz vertraue und verabrede mich zum Abendessen mit ihm. Da er Seto und mich bei der Übertragung der Vormundschaft beraten hat, werde ich mit ihm das Szenario noch einmal durchgehen. Vielleicht fällt ihm ja noch etwas auf.
 

Sicher ist sicher.
 

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Einen Schritt, der endlich loslöst

Scheiße. Wer hatte diese Schnapsidee eigentlich? Als wir heute Morgen zum Frühstückstisch kamen wurde bereits aufgeregt über das Tagesprogramm für diesen Montag gesprochen. Die Stimmung ist regelrecht enthusiastisch. Irgendwer hat im Dörfchen einen Prospekt gefunden, dass es in der Nähe einen Waldkletterpark gibt. Und natürlich waren gleich alle Feuer und Flamme dort heute hinzugehen und etwas Spaß zu haben.
 

Ich hab kein Problem mit der Höhe. Die macht mir wirklich nichts aus. Immerhin ist mein Büro... war mein Büro wesentlich höher angesiedelt, als diese Plattformen auf den Bäumen. Was hab ich am Eingang gelesen. Die höchste Plattform befindet sich in 14 Meter Höhe? Lächerlich.
 

Aber so wie das bei den anderen Gästen dieses Kletterparks aussieht ist wohl viel Körperkontakt notwendig. Für teambildende Maßnahmen gibt es sogar ein Paar-Parcours und ein Gruppen-Parcours. Und natürlich will der Kindergarten einmal den Adventure- und einmal den Gruppen-Parcours machen. Aber nicht mit mir.
 

Durch das gesamte Parkgebiet sind Seile, Hängebrücken, Seilbahnen, Holzplanken oder Baumstämme installiert, über die oder unter denen man sich bewegen kann und so von Plattform zu Plattform kommt. Es gibt mehrere Sprünge, zwei sogenannte Tarzan-Sprünge, einen Banana-Sprung an eine riesige, aufblasbare Banane, sowie Strickleiter und Netze um hier und da auf die Plattformen zu kommen, sowie ein Kletterlabyrinth, welches zwischen mehrere Bäume gespannt ist.
 

Mokuba steht plötzlich vor mir und schaut mich breitgrinsend an, dann will er mich zum Anfang des Adventure-Parcours ziehen. Doch ich sträube mich. Mit allem was ich habe. Ich will nicht. Will nicht in eine Situation geraten, in der ich gezwungen bin... Daher lächle ich Mokuba nur an und bitte ihn, einfach mit den anderen Spaß zu haben, während ich sie von hier aus beobachte.
 

Die Enttäuschung ist Mokuba deutlich ins Gesicht geschrieben. Er will nicht, dass ich hier stehe und ihnen zu schaue. Ich soll mitmachen und mich nicht so haben. Alles hier sei doch sicher. Man würde zweifach gesichert und manche der Abschnitte haben sogar eine dritte Sicherung. Scheinbar glaubt mein kleiner Bruder, dass ich mich nicht traue, weil ich der Sicherheit nicht vertraue. Doch wenn dem so wäre, würde ich ihn erst recht nicht da rauf lassen.
 

Plötzlich taucht mein Streuner hinter mir auf, während links von mir Honda und rechts von mir Otogi erscheinen. Alle drei grinsen mich verschwörerisch an. Dann beugt sich Katsuya über meine Schulter und flüstert mir ins Ohr, dass vor mir Honda und Otogi mit Mokuba und hinter mir nur er sein werden. Prüfend blick ich ihn an und erkenne, dass diese vier mich auf gar keinen Fall in Ruhe lassen werden, bis ich mit ihnen nach da oben gehe.
 

Mein Blick fällt auf Yugi und Bakura, die sich bereits einweisen lassen. Beide blicken zu mir zurück und lachen mich glücklich an. Yugi winkt sogar. Ich seufze. Scheiße, geht es mir erneut durch den Kopf. Wer zum Teufel hat diesen Prospekt nur gefunden? Mit dem würd ich gern beim Haus kurz in den Wald gehen und alleine wieder zurück kommen.
 

Mokuba beginnt wieder an meine Hand zu ziehen und... ich kann mich nicht noch mal dem Bitten und Drängen und Betteln meines kleinen Bruders widersetzen. Also lass ich mich zum Einweiser ziehen. Dieser lächelt uns alle freundlich an und erklärt uns dann, wie wir den Sicherheitsgurt anlegen sollen.
 

Bei Honda legt er kurz selbst Hand an, um die Gurte zu richten. Wenn ich Otogi wäre, würde ich dem Typen jetzt aber was erzählen. Manche dieser Handgriffe sind schon verdächtig nah an sensible Stellen. Würde der das bei Katsuya machen, dann würde ich ihm damit drohen, ihm die Hände zu brechen. Aber scheinbar haben weder Honda noch Otogi damit ein Problem.
 

Ich kämpf mir mit diesem Verbund an Gurten einen ab, die einfach nicht da sitzen wollen, wo sie eigentlich hingehören. Da kommt der Einweiser zu mir und will helfen, doch ich fauch ihn nur an. Erschrocken springt er zwei Schritt zurück und schaut mich überrascht an. Katsuya lächelt ihm entschuldigend zu und hilft mir dann in den Gurt zu steigen, ihn richtig zu platzieren und zu schließen. Der Einweiser beobachtet die Handhabung und scheint dann zufrieden zu sein.
 

Dann erklärt der Einweiser, warum wir zwei Sicherheitsleinen haben. So soll gewährleistet sein, dass wir immer gesichert sind, selbst wenn ein Aushaken und erneutes Sichern notwendig ist, aber es von diesen Stellen nur drei Stellen gibt, an denen sogenannte Guides stehen, die das machen. Dann erklärt er uns noch, dass am Ende jedes Parcours eine spannende Seilbahnfahrt auf uns wartet. Davon sei die Seilbahn am Ende des Adventure-Parcours die längste Seilbahn im Land. Toll. Wirklich. Super Interessant. Ich sollte aufhören so sarkastisch zu sein.
 

Der Einweiser zeigt auf eine mehrstufige, dennoch recht niedrig wirkende Holztreppe, die zur Startplattform führt, auf der der erste Guide steht. Was? Wir beginnen in einer Höhe von gerade mal einem Meter mit dem 'Kletter-Parcours'? Doch als ich nach Yugi, Bakura, Mokuba, Honda und Otogi an der Reihe bin stell ich fest, dass der Baum doch höher als ein Meter ist. Das wir praktisch von einem Vorsprung auf die Plattform gestiegen sind.
 

Nach und nach werden wir mit den zwei Leinen gesichert und dann dürfen wir über die Seilbrücke zur zweiten Plattform laufen. Als ich dran komme und der Guide nach den Gurten greift zuck ich kurz zurück. Verdammt. Wieso konnte ich diese Reaktion nicht unterdrücken?
 

Otogi war auf der Seilbrücke noch einmal stehen geblieben und hatte sich zu mir gedreht. Was er wohl so glotzt? Nein... ich weiß es doch mittlerweile besser: Otogi will sich nicht über mich lustig machen oder wartet darauf, dass ich mir eine Blöße gebe. Dann kommt der Schwarzhaarige zu uns zurück und greift nach den beiden Gurten an meinem Sicherheitsgeschirr und hakt sie ein. Scheinbar ist der Guide damit zufrieden.
 

Dann grinst mich der Würfelfreak an und meint, ich soll aufhören mich so zu zieren und meine Höhenangst endlich überwinden. Ich will schon fragen, von was er da redet, als es bei mir Klick macht. Damit will er für mich den Schein vor dem Guide wahren und somit mein Zurückzucken erklären. Schließlich muss ich auch leicht grinsen und nick ihm zu. Ein Schritt und ich bin auch auf der Seilbrücke. Jetzt bin ich es, der mich umdreht und zu meinem Streuner blicke, der gerade eingehakt und gesichert wird. Er lächelt mir sanft zu und steigt dann zu mir hoch. Gemeinsam laufen wir über diese Eigenwillige Brücke hinüber zur zweiten Plattform.
 

Wir haben schon sieben oder acht Plattformen hinter uns gebracht, als der erste Sprung ansteht. Yugi und Bakura schwingen sich von der Plattform und schreien vor Vergnügen, bevor sie mittig auspendeln. Der Guide auf der anderen Plattform zieht sie dann zu sich rauf, bevor der nächste sich schwingen kann. Der nächste ist Mokuba und mir wird ganz flau im Magen. Doch als ich nach unten schau seh ich das gespannte Netz. Das beruhigt mich doch etwas, auch wenn ich mich frage, ob schon mal etwas passiert ist, was dieses Netz notwendig macht.
 

Doch da schwingt sich Mokuba mit einem waschechten Tarzanschrei von der Plattform und kommt punktgenau drüben an. Er grinst gewinnend und springt mit erhobenen Armen auf und ab. Ich kann ihm seinen Stolz regelrecht ansehen und den Spaß den er empfindet wirkt ansteckend. Dann versucht Honda es nachzumachen und... scheitert. Ich muss grinsen. Tja... so leicht kann man das meinem Bruder nicht nachmachen. Otogi, der unmittelbar vor mir dran ist will es Mokuba nachmachen, rutscht beim Absprung aber aus und fällt einfach nur nach vorne. Nichts mit Schwingen oder Tarzanschrei. Sein Schrei klingt eher panisch und überrascht.
 

Dann bin ich dran und alle, die schon drüben sind schauen zu mir. Mokuba wirkt gespannt wie ein Flitzebogen. Also spring ich und schwinge perfekt rüber zur Platzform, setze meine Fußspitze auf sie und... schwinge wieder nach hinten. Während ich auspendel muss ich einfach nur lachen. Ich weiß gar nicht warum. Früher hätte mich so etwas tierisch geärgert. Doch ich häng hier und muss lachen, während mich der Guide hochzieht. Mein Streuner hingegen steht Mokuba in nichts nach, schwingt sich - ohne Schrei zwar - aber ansonsten gekonnt über das Sicherheitsnetz und kommt standsicher bei uns an. Stolz zieh ich ihn zu mir und küss ihn kurz.
 

Es dauert fast zwei Stunden, bis wir mit dem Adventure-Parcours durch sind und am Ende die Seilbahn uns nahe an der Startposition wieder auf festen Boden zurück bringt. Ich fühl mich irgendwie richtig großartig. Es hat tatsächlich Spaß gemacht und ich könnt glatt noch einmal. Da hör ich Otogi vorschlagen, dass wir erst an dem Restaurant, welches weiter hinten steht, etwas essen gehen könnten, bevor wir zum Gruppen-Parcours aufbrechen.
 

In mir krampft sich plötzlich alles zusammen. Restaurant? Essen? Ich konnte in einem Restaurant nie wirklich essen. Dennoch scheint die Gruppe dafür zu sein, also geh ich murrend mit. Doch das Restaurant wirkt so ganz anders, als jene, in die ich meine Geschäftspartner begleitet habe. Die Atmosphäre ist locker, wie in einem Cafe und die Karte präsentiert sich überraschend traditionell. Kein westlicher Fraß. Also bestellen wir ein Gruppenmenü, mit Sushi in verschiedensten Ausführungen und Variationen und tatsächlich... kann ich etwas davon essen, ohne das mir schlecht wird. Allerdings schmeckt das, was sonst Katsuya so für uns macht, wesentlich besser als das hier. Aber schlecht ist es auch nicht.
 

Wir lassen uns Zeit beim Essen, dann geht es zum Gruppen-Parcours, der ganz anders als der Adventure-Parcours ist. Der neue Parcours ist dazu ausgelegt, dass man als Gruppe zusammenarbeiten muss, damit man voran kommt. Viel Hand in Hand oder mit vereinten Kräften. Nach den anfänglichen Bedenken geht das auch ganz gut, selbst wenn ich mit Yugi oder Bakura zu tun habe. Irgendwann schein ich meine Scheu vor den Berührungen des Kindergartens verloren zu haben. Vielleicht beim gestrigen und vorgestrigen Schwimmen? Egal... es macht erstaunlich viel Spaß mit anderen auf ein gemeinsames Ziel zusammenzuarbeiten.
 

Himmel, das von mir, der immer alleine arbeitet und selbst Partner- oder Gruppenarbeiten in der Schule stets umgangen hat. Ich erkenn mich kaum selbst noch wieder. Aber... ich muss sagen, dass es mir tatsächlich gefällt mich gerade nicht alleine durch diesen Kletter- und Hindernisparcours zu kämpfen. So in meine Gedanken versunken merk ich nicht, wie ich beim Lauf über einen Baumstamm daneben trete und dann falle.
 

Doch auf einmal sind da Hände, die nach mir greifen und mich halten. Erschrocken blick ich auf. Auf der einen Seite hab ich Katsuya, der mich anlächelt. Auf der anderen Seite Otogi, der mich freundschaftlich angrinst. Beide helfen mir wieder in den sicheren Stand auf den schwankenden Baumstamm, bevor wir gemeinsam den Rest davon überqueren. Dort lass ich mich auf die Plattform nieder und muss erst einmal durchatmen. Das Adrenalin rauscht durch meinen Körper und ich fühl mich so lebendig. Klar, mir wäre nichts passiert. Unter dem Baumstamm war ein Netz und von oben war ich immer noch an den zwei Gurten gesichert. Dennoch...dieses Gefühl zu fallen...
 

Yugi hält mir auf einmal sein Wasser in einer Sportflasche hin. Danken nehm ich sie an und nehme ein Schluck. Dann geb ich sie ihm lächelnd zurück und er strahlt stolz. Warum ist der Punk auf einmal so stolz? Es irritiert mich, doch dann machen wir uns dran, den Rest des Parcours zu bewältigen.
 

Was für ein Tag, geht es mir noch einmal durch den Kopf, als wir auf dem Heimweg im Auto sitzen. Ich bin fix und alle. Alles was ich jetzt noch möchte ist eine heiße Dusche, ein Abendessen und dann ins Bett. Und fast geht mein Wunsch auch in Erfüllung, nur das wir auf der hinteren Terrasse grillen und noch lange zusammen sitzen und gemeinsam den Tag Revue passieren lassen. Scheinbar hat nicht nur mir der Ausflug zum Wald- und Kletterpark gefallen.
 

Also lehn ich mich entspannt an Katsuya, der sein Arm um mich legt. Etwas, was ich eigentlich immer vermeide, wenn die anderen dabei sind. Sie sollen nicht den Eindruck gewinnen, dass ich schwach bin oder... ach was soll der Scheiß... sie wissen, dass ich Katsuya über alles liebe und ich so meine Probleme habe. Sie haben mich an Weihnachten schreien hören und haben nicht über mich gespottet.
 

Außerdem... sehe ich wie Honda sich zwischen Otogis Beine setzt und sich an ihn lehnt. Also scheint da gar nichts dabei zu sein. Ich denk einfach zu viel. Dann schließ ich meine Augen und hör den anderen noch ein wenig zu, wie sie von den Parcours schwärmen. Langsam dämmer ich weg. Etwas, was ich sonst auch um jeden Preis vermeide...
 

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Einen Schritt zurück zum Familienglück

Ich sitz schon eine ganze Weile auf der Couch im Wohnzimmer und starr die Treppe an. Warte darauf, dass Seto langsam mal runter kommt. Früher hat Seto niemals so lange geschlafen. Da ist Seto immer - egal welcher Wochentag war - spätestens um sechs Uhr aufgestanden. Jetzt haben wir schon fast acht Uhr. Die anderen schlafen auch noch alle.
 

Der gestrige Tag war erstaunlich... erfrischend gewesen. Das Seto wirklich beide Parcours mit uns machen würde hätte ich nie im Leben gedacht. Aber mein Bruder hat immer eine Überraschung im Gepäck. Aber das war schon eine enorme Leistung für ihn, der sonst immer einen gewissen Abstand zu allen aus der Clique suchte.
 

Plötzlich höre ich ein Quietschen aus dem oberen Flur. Eine der Dielen ist lose und knarze, wenn man auf sie tritt. Sofort setze ich mich kerzengerade hin und warte gespannt. Dann kann ich Füße sehen, gefolgt von den Knien und allein an der Hose erkenne ich meinen Bruder. Also spring ich auf, laufe in die Küche, lass fix Kaffee durchlaufen und eile Richtung Treppe.
 

Gerade als Seto in die Küche kommen mag halte ich ihm die Tasse entgegen aus der das Aroma von frischgebrühtem Kaffee empor steigt. Er lächelt mich an und nimmt die Tasse dankend entgegen, bevor er mich auf die Stirn küsst. Sanft zieh ich ihn zur Couch zurück, was ihn etwas verwundert. Das seh ich ihm an. Dennoch setzt er sich neben mich und nippt an seinem Kaffee.
 

Unruhig und nervös rutsch ich hin und her, bis Seto mir eine Hand auf die Schulter legt und mich fragt, was los sei. Ich blick ihn ertappt an und grinse wieder aufgeregt. Er mustert mich und fragt, ob etwas passiert ist. Schnell schüttle ich den Kopf. Daraufhin meint er nur 'gut' und nippt ein weiteres Mal an seine Tasse. Murmelt, dass er nicht mehr genau weiß, wie er ins Bett gekommen ist. Da muss ich nun kichern. Wieder blickt er fragend zu mir.
 

Also erzähl ich ihm, wie er gestern auf der Terrasse in Katsuyas Arm eingeschlafen sei, während wir uns noch ein wenig unterhalten haben und so gegen zwei Uhr in der Früh beschlossen haben ins Bett zu gehen. Sein Blick ist immer noch verwirrt, denn meine Schilderung erklären in keiner Weise, wie er nun ins Bett gekommen ist. Ich lächle ihn nur an und mein, er muss nicht alles wissen.
 

Ein Anflug von Empörung tritt auf sein Gesicht und ich rechne schon damit, dass er gleich lautstark eine Antwort fordert. Doch dann entspannt sich seine Mimik wieder und er legt einen Arm um meine Schulter. Zieht mich an sich heran. Vor noch sechs Monate hab ich mir das mehr als alles andere in der Welt gewünscht. Doch damals ertrug Seto kaum eine Umarmung von mir. Und es lässt mich erneut sehr, sehr stolz auf ihn werden. Nach einem erneuten Schluck Kaffee stimmt er mir zu und verblüfft nun mich und ich muss glücklich grinsen.
 

Es vergehen ein paar Minuten und selbst jetzt, um halb neun, ist in den oberen Stockwerken noch alles ruhig. Meine Finger knibbeln wieder aneinander rum, denn eigentlich möchte ich Seto etwas fragen, hab aber vor seiner Antwort oder seiner Reaktion mächtig Angst. Doch er scheint zu spüren, dass mir etwas auf der Seele liegt und fragt mich sanft, was es ist.
 

Nur zögerlich schau ich zu ihm und fang an rum zu stottern. Ich bekomm kaum ein Wort, noch ein Satz raus. Da stellt Seto seine Tasse weg und legt seine freie Hand auf meine. Dann hebt er sie, legt sie mir an die Wange und bringt mich dazu ihn ganz anzuschauen. Er lächelt mich auf eine Art und Weise an, wie ich sie schon lange nicht mehr bei ihm gesehen habe. Er ist völlig losgelöst.
 

Wenn nicht jetzt, wann dann, geht es mir durch den Kopf. Also raff ich all meinen Mut zusammen und frage Seto endlich, ob er mir etwas von unseren Eltern erzählen könnte. Seit ich weiß, dass wir mal in einem netten Vorstadthaus an einem großen Park gelebt haben frag ich mich, wie das Leben damals mit ihnen war. Ich hab leider kaum eine Erinnerung an diese Zeit.
 

Setos Mimik erstarrt und er atmete einmal tief ein, bevor er nickt. Er nimmt seine Tasse wieder in die Hand und nippt erneut daran. Dann fragt er mich, ob ich etwas Bestimmtes wissen möchte. Wie jetzt? Echt jetzt? Ich hab mit mehr Widerstand oder sogar Ablehnung gerechnet. Das er jetzt wirklich so einfach einwilligt trifft mich jetzt völlig unvorbereitet. Aber wenn ich das jetzt nicht nutze, dann könnte der Moment vergehen und beim nächsten Mal könnte Seto unwillig sein, mit mir darüber zu sprechen. Dennoch... mir fällt auf seine Frage nichts ein.
 

Traurigkeit, dass ich diesen Moment einfach so verschwendet habe, breitet sich schon in mir aus, als Seto plötzlich anfängt zu erzählen. Das Mama und Papa immer glücklich miteinander waren. Sie sich nie gestritten haben oder zumindest er nie einen Streit mitbekommen habe. Das Papa nach einem langen Tag in der eigenen kleinen Firma nach Hause kam und sich zu ihm an das Bett gesetzt hat. Sich die Zeit nahm und sich angehört hat, wie Setos Tag so gewesen war.

Davon, wie die beiden Mal zusammen nach Hause kamen und ihm erzählten, dass er bald einen Bruder bekommen würde. Wie sie ihn in die Schwangerschaft einbanden und ihm schon vor meiner Geburt Aufgaben übertrugen, die mit mir zu tun haben, damit er sich wie ein großer Bruder fühlen konnte.

Als es dann soweit war seien sie mit ihm zusammen ins Krankenhaus gefahren und unser Papa habe mit ihm vor der Tür gewartet, während Mama mich geboren hat. Als sie dann zu Mama rein durften hatte Papa ihn hochgenommen und war mit ihm ans Bett getreten, wo Mama mich ihm richtig formell vorgestellt hat. Wie sie mich ihm in den Arm legten und ihm damit ihr Vertrauen bewies.

Schließlich wurde Seto auch in meine Namensgebung einbezogen und hat das letzte Wort dabei gehabt. Jedenfalls erinnert er sich so daran. Ich muss breit schmunzeln. Von da an sei er nicht mehr von meiner Seite gewichen und Mama und Papa hätten ihn in alles bei mir einbezogen. Vom Windelwechseln über das Füttern bis ins Bett bringen.

Und obwohl ein neugeborenes Baby viel abverlangt hätten sich beide immer wieder Zeit für ihn alleine genommen, doch das endete meist so, dass er unbedingt wieder zu mir wollte. Maaan, wenn ich das so höre, könnte ich fast glauben, dass Seto meine Mutter gewesen ist. Mein Schmunzeln wird einfach noch breiter und ich genieße die Erzählungen über unsere Eltern, unser Zuhause und den Alltag, den wir einmal hatten.
 

Dann dringt von oben Leben zu uns heran und Seto, der mich fast das gesamte Gespräch über angeschaut hat, blickt zur Treppe. Fragt mich, ob wir schon einmal den Frühstückstisch vorbereiten wollen. Ich nicke, doch bevor ich aufspringe umarm ich ihn noch einmal enthusiastisch und überglücklich. Er schließt seine Arme auch um mich und hält mich fest an sich gedrückt. Dann danke ich ihm, dass er mir das erzählt und er meint, dass ich ruhig fragen kann, wenn ich noch etwas wissen möchte oder erzählt bekommen mag. Ich grinse ihn wie ein grenzdebiles Honigkuchenpferd an, nicke und spring dann auf.
 

Seto folgt mir und hilft mir beim Vorbereiten eines japanischen Frühstücks, bevor die Meute schließlich in den Wohnraum einfallen, wie die Horden Dschingis Khan in China, und sich über das halb fertige Frühstück hermachen, während Katsuya zu uns kommt und uns hilft den Rest schnell fertig zu machen. Dieser Tag kann doch nur gut werden. Mal schauen, was dieser Dienstag noch so alles für uns bereit hält.
 

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Einen Schritt in der Dunkelheit

Ich sitze auf der Dachterrasse und lese in einem Buch, wobei das Lesen zunehmend schwer wird, da es langsam dunkel wird. Die mich umgebende Stille ist herrlich. Niemand der mich anspricht oder anschaut oder etwas von mir will. Ich nippe an meinem Tee, der neben mir auf einem Hocker steht und schaue dabei von meinem Buch auf. Lasse meinen Blick über die Baumspitzen zum See gleiten und bin von dem Anblick beeindruckt.
 

Dann hör ich ein Lachen. Ich schau nach unten und kann sehen, wie Yugi und Bakura gerade vom See hoch kommen. Klatschnass. Ob die beiden wissen, dass es da eine praktische Erfindung namens Handtuch gibt? Aber selbst wenn, dann würde es sie sicherlich nicht jucken. Sie würden trotzdem tropfnass in das Haus rennen und Seewasser auf dem empfindlichen Holzboden verteilen, bevor sie die Treppe in ihr Zimmer hochstürmen.
 

Seufzend klappe ich mein Buch zusammen, füge vorher noch schnell das Lesezeichen ein und steh auf. Ich leg das Buch auf den Nachttisch und steige dann die Treppen hinunter um das Wasser aufzuwischen. Wasserflecken mindern den Wert und können ernste Schäden an einem Boden wie hier in der Hütte anrichten. Und tatsächlich: Eine Spur aus Pfützen von der offenstehenden Verandatür bis vor ihr Schlafzimmer.
 

Aus einer Abstellkammer hol ich den Mopp und fang an die Spur aufzuwischen. Das tut dem Boden ganz gut, nach der Überbeanspruchung der letzten Tage. Als ich unten ankomme hör ich, wie oben die Tür wieder aufgeht und Yugi und Bakura rauskommen. Vielleicht sollte ich ihnen sagen, dass ich gerade gewischt habe und es... es ist zu spät. Manchmal komm ich mir vor wie in einer Slapstick-Komödie.
 

Yugi und Bakura stolpern lautstark die Treppe herunter, fallen auf die Knie und rutschen bis vor meine Füße. Den Mopp immer noch in der Hand schau ich auf sie runter, während beide verlegen lachend zu mir hochschauen. Innerlich seufze ich kurz, bevor ich Yugi meine Hand hinhalte, um ihm beim Aufstehen zu helfen. Er schaut mich verdutzt an, doch dann lässt er sich strahlend von mir aufhelfen. Die gleiche Höflichkeit entbiete ich auch Bakura.
 

Als beide wieder stehen, fragen sie mich, warum ich putze. Ich berichtige sie und sage, dass ich nicht putze, sondern aufwische. Beide lächeln wieder verlegen, als ihnen der Kontext scheinbar klar wird. Dann meinen sie, dass sie mich zum Dank auf eine Pizza einladen. Ich will ablehnen, doch sie lassen ein Nein nicht gelten und fragen, was für eine Pizza ich denn haben möchte.
 

Wieder seufze ich innerlich und dann... dann stelle ich fest, dass ich keine Antwort habe. Tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, wann ich jemals eine Pizza gegessen habe. Jetzt bin ich es, der verlegen lächelt. Beide beginnen zu grinsen und mir wird ein wenig mulmig zu Mute. Dann meinen sie nur, ich soll mich überraschen lassen und sie rufen in der Pizzeria im nahen Ort an. Während Yugi dem Mann seine Pizza beschreibt verlier ich irgendwann den Faden. Wie kann etwas, wie Pizzabestellen, plötzlich so kompliziert klingen?
 

Ich bring den Mopp weg. Als ich wieder komme haben sie ihr Gespräch beendet. Also bitte ich die beiden mich zu rufen, wenn die Pizza kommt, doch da springen beide vor mich. Erschrocken weiche ich einen Schritt nach hinten und tadle mich mental selbst. Beide lachen mich an und meinen, ob ich nicht mit ihnen ein Gesellschaftsspiel spielen möchte. Nein. Definitiv nei...
 

Ehe ich mich versehe sitz ich am Esstisch und die beiden bauen ein Gesellschaftsspiel auf. Wo kommt das eigentlich her? Ich wusste gar nicht, dass wir sowas hier haben. Da lacht Ryou und meint, er habe einige Gesellschaftsspiele mitgebracht und sie doch morgen, wenn alle dabei sind, 'Treatment' spielen können. Mir sagt das Spiel nicht und ich zucke nur gleichgültig mit den Schultern. Innerlich fluche ich ja ein wenig, dass Katsuya mich hier mit den beiden alleine gelassen hat. Nein... Nein! So etwas sollte ich nicht denken. Immerhin hab ich immer betont, dass es mir wichtig ist, dass Katsuya auch mit seinen Freunden etwas unternimmt, vor allem wenn Otogi und Honda Mokuba ins Kino begleiten.
 

Kino. Darum konnte ich mich erfolgreich - dank Katsuya - drücken. Zwei Stunden in einem dunklen Raum voller fremder Menschen. Klar, und danach haben wir Spaß dabei mich in eine Klapse einzuliefern, weil ich in eine Schockstarre verfallen bin. Aber immerhin hätte ich mir dann um nichts mehr Sorgen machen müssen.
 

Als meine Gedanken wieder in das Hier und Jetzt zurück kehren seh ich vor mir ein Spielbrett, welches scheinbar den Grundriss eines Hauses darstellt. Ich werde gebeten mir eine Spielfigur auszusuchen und mir werden ein kleiner Block und ein Bleistift in die Hand gedrückt, bevor Bakura mir die Spielregeln erklärt. Mir ist nie aufgefallen, was für eine ruhige, angenehme Stimme Bakura hat und wie geduldig er beim Erklären wirkt. Anders wie Yugi, der mir oft zu schrill rüberkommt. Schließlich fangen wir endlich mit diesem Krimi in Gesellschaftsspielform an.
 

Nach drei Runden und einer wirklich guten Pizza beklagt sich Yugi lautstark, dass es doch nicht sein kann, dass ich schon wieder vor ihm weiß, wer der Mörder ist. Ich ertappe mich dabei, wie ich doch etwas stolz die Brust nach vorne schiebe und mir das Spiel 'Tipedo' großen Spaß macht. Ich bin schon dabei die Karten durchzumischen, um ein neues Szenario vorzubereiten, als es schlagartig dunkel wird.
 

Sofort flutet Adrenalin meinen Körper und ich versteife mich. Unmerklich hab ich meinen Atem fast angehalten. Von Yugi und Bakura kommt nur ein 'Oh'. Ist das alles, was den beiden dazu einfällt? Ein verdammtes 'Oh'? Erst jetzt, wo wir in tiefster Finsternis hier sitzen, fällt mir auf, wie spät es eigentlich schon ist. Draußen ist es stockdunkel und der Mond versteckt sich hinter einer Wolke. Großartig. Wirklich großartig. Mein Herz rast. Fühlt sich an, als würde es jeden Augenblick aus meiner Brust springen.
 

Da spüre ich eine Hand auf meinem Unterarm. Erschrocken spring ich auf, stoße den Stuhl dabei um und fang an, um mich herum zu schlagen. Dabei stolpere ich immer weiter durch den Wohnraum, bis mich etwas zu Fall bringt, dem ein Klirren folgt. Panisch schieb ich mich rückwärts über den Boden. Meine Zähne fest aufeinander gepresst. Bis ich die Wand im Rücken habe.
 

Mein Blut rauscht seit die Dunkelheit uns umhüllt hat furchtbar laut in meinen Ohren. Nur schwach dringt eine Stimme durch das Rauschen zu mir, während ich meine Arme schützend um meinen Kopf schlinge und meine Beine an die Brust anziehe. Licht... ich brauch Licht. Muss sehen können, wer da um mich herum ist und was die tun und...
 

Plötzlich sind da wieder Hände an meiner Schulter. Ich höre jemand panisch schreien und immer ist da diese Stimme. Es ist nicht die Stimme meines Streuners. Aber... ich kenne diese Stimme. Versuche mich auf sie zu konzentrieren. Da erkenn ich sie endlich: Bakura. Bakura, der mir versichert, dass alles gut sei. Das es nur ein Stromausfall ist. Mich fragt, ob ich weiß, wo der Sicherungskasten ist.
 

Der Sicherungskasten? Ein elektrischer Verteiler, in dem Sicherungs- und Schaltelemente zur Verteilung von elektrischer Energie im Bereich des Niederspannungsnetzes untergebracht sind, sprudelt es aus mir heraus. Bakura bestätigt mir, dass sie genau den suchen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die Pläne für diese Hütte und suche ihn. Zwischen Waschküche und Garage, kommt es mir dann plötzlich in den Sinn und Bakura wiederholt, was ich sage, nur viel lauter.
 

Das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen hab ich nicht plötzlich. Es ist von der ersten Sekunde an da, doch im ersten Moment war die Panik zu dominant, als das mir das bewusst war. Doch jetzt hab ich einen Grad meiner Panik erreicht, an dem ich anfang zu hyperventilieren. Bakura redet beruhigend auf mich ein. Bittet mich, seiner Stimme zu folgen. Mit ihm zu atmen. Ich versuche mich auf seine Worte zu konzentrieren. Zu meiner Überraschung... hilft es... mein Atem wird wieder ruhiger. Bakura lobt mich. Der Schweiß läuft mir von der Stirn. Aus dem Haar über den Nacken den Rücken hinunter. Mir wird auf einmal eiskalt.
 

Und dann wird alles wieder in warmes, gelbes Licht getaucht. Yugi kommt stolz grinsend wieder aus der Waschküche, doch Bakura kniet immer noch vor mir und lächelt mich sanft an. Fragt, wie ich mich fühle, jetzt wo das Licht wieder an ist. Ich nicke nur und versuche ziemlich hastig wieder auf die Beine zu kommen. Doch meine Beine fühlen sich wie Wackelpudding an. Bakura stützt mich und bringt mich zurück zum Esstisch, an dem Yugi bereits mein Stuhl wieder aufgestellt hat. Dort setzt mich Bakura vorsichtig ab, während Yugi eine Schippe und einen Handfeger holt. Ich schau ihm nach und sehe, wie er die Überreste einer Vase auffegt. Stimmt, da war etwas zu Bruch gegangen.
 

Nachdem die Panik abflaut flutet mich nun die Scham. Bislang hat diese Reaktion nur Katsuya von mir gesehen. Ich brauch meine ganze, restliche Kraft die Tränen zurück zu halten. Diese Blöße spar ich mir, nehm ich mir für mich selbst vor. Bakura ist vor mir in die Knie gegangen und schaut mich sanft und verständnisvoll an. Fragt mich, ob ich deswegen nicht mit den anderen ins Kino gegangen bin, weil ich die Dunkelheit nicht ertragen kann.
 

Ich bin dem Weißhaarigen für seine Formulierung dankbar. Er spricht nicht von 'Angst' oder 'Panik'. Das lässt die Scham etwas abmildern, aber nicht ganz verschwinden. Alles was ich im Moment tun kann, weil ich meiner eigenen Stimme nicht ganz traue, ist zu nicken. Bakura nickt und versichert mir, dass es nichts ist, wofür man sich schämen muss. Warum tu ich es dann?
 

Yugi kommt mit einer frischen Tasse Tee und stellt sie mir hin. Ich nicke ihm dankend zu und beginne den Tee zu trinken. Er tut mir unglaublich gut und wärmt mich von Innen heraus. Vertreibt die Kälte der Panik aus mir. Kann aber nichts gegen meine Sehnsucht nach meinem Streuner tun. Als die Tasse leer ist entschuldige ich mich bei den beiden für mein Verhalten. Sie winken beide ab, doch ich bestehe auf die Entschuldigung. Dann zieh ich mich in Katsuyas und mein Zimmer zurück.
 

Dort setz ich mich in eine Zimmerecke und warte... warte darauf, dass mein Streuner endlich wieder zurück kommt. Wie lang kann so ein Film denn dauern? Die vier sind schon Stunden lang weg. Selbst der längste Film hätte in der Zeit zwei Mal aufgeführt werden können. Und dann... dann laufen mir doch die Tränen über das Gesicht.
 

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Einen Schritt, um zu beruhigen

Müde versuche ich einen Fuß vor den anderen zu setzen und nicht über irgendetwas, wie eine Wurzel zu stolpern. Der Waldweg wirkt in der Dunkelheit ganz anders, als am Nachmittag, als wir ihn entlang geschlendert sind, um in den Ferienort zu kommen. Mokuba wollte unbedingt in diesen Film und mein Drache hat mich mitgeschickt. Wie hat er es genannt: Zeit mit deinen Freunden verbringen. Nicht das ich sooo wenig Zeit mit ihnen verbringen würde. Aber okay... er wollte etwas Zeit für sich, also bin ich mit gegangen.
 

Der Film war ganz unterhaltsam. Popcorn. Rumalbern mit den Jungs. Danach sind wir noch in den Diner und haben Burger gemampft. Eigentlich sollte es danach dann nach Hause gehen, doch Mokuba war so begeistert von dem Film, dass wir dann doch noch ein zweites Mal rein sind. Beim zweiten Mal war ich schon weniger lockerer. Ich lasse meinen Drachen einfach nicht gern so lang alleine. Klar, wenn ich arbeiten muss sind das auch immer sechs Stunden, die ich ihn alleine lassen muss, aber meist sorg ich dafür, das Honda oder mein Vater bei ihm sind.
 

Ich frag mich ja, ob Seto mich wirklich ständig um sich braucht, oder ob ich das brauche, ständig in seiner Nähe zu sein. Brauchen wir beide die Nähe des anderen so intensiv? Oder erträgt Seto es nur, um mich nicht vor den Kopf zu stoßen? Man, wo kommen diese Gedanke gerade her. Seto ist niemand, der mit seiner Meinung und seinem Willen hinterm Berg halten würde. Wenn es ihn stören würde, dann würde er es sagen. Ganz bestimmt. Sicher. Oder?
 

Endlich kann ich das Haus sehen. Noch nie hab ich mich so gefreut endlich nach Hause zu kommen, wie in diesem Augenblick. Meine Schritte werden etwas schneller und dann bleib ich mit dem Fuß an etwas hängen und falle. Doch Honda ist zur Stelle und fängt mich auf. Meint, ich solle vorsichtiger sein, wenn wir in der Dunkelheit vom Weg nicht viel sehen. Ich muss kichern. Hat so nicht vor etlichen Monaten das ganze mit Seto angefangen? Da bin ich auch ausgerutscht und beinahe in eine Riesenschlammpfütze gefallen. Doch Seto hatte mich aufgefangen und gemeint, ich müsse mehr aufpassen, denn er wäre nicht immer da, um mich aufzufangen.
 

Als wir durch die Haustür kommen sehen wir Yugi und Ryou aufräumen. Drei große Pizzakartons stapeln sich auf der Küchentheke, während Ryou die Teile von 'Tipedo' wegräumt. Beide lächeln uns zur Begrüßung an. Yugi fegt gerade Scherben zusammen. Ich frag die beiden, was los war. Da meint Yugi nur, dass sie etwas ungeschickt waren und dabei die Vase zu Bruch gegangen sei. Hm, das wird Seto gar nicht gefallen, geht mir durch den Kopf.
 

Da ist doch noch etwas? Ich schau zwischen Yugi und Ryou hin und her, während Honda und Otogi sich auf die Couch fallen lassen und Mokuba gut gelaunt Yugi zur Hand geht. Ich frag, wo Seto sei und von Yugi und Ryou kommt simultan die Antwort, er sei oben. Als ich die Treppe hinaufsteige holt mich Ryou im ersten Stock ein. Hält mich kurz fest und meint, er müsse mir noch etwas sagen, was er jetzt nicht unten raus plappern wollte.
 

Oh, je... wenn es schon so los geht. Sicherlich haben die beiden Seto genervt und er ist aus der Haut gefahren. Als Ryou mir dann aber erzählt, wie der Abend war und dann vom Stromausfall und Setos Panikattacke berichtet weiß ich nicht was ich sagen soll. Ryou hat meinen Drachen händeln können? Wie? Scheinbar bin ich doch nicht so unersetzlich, wie ich mir immer eingebildet habe. Ich danke Ryou für die Diskretion und für das, was er für Seto getan habe und steige die zweite Treppe hinauf.
 

Als ich in das Zimmer komme höre ich bereits ein leises Schluchzen. Als ich die Tür schließe sehe ich direkt Seto. Vorsichtig geh ich vor ihm in die Knie und spreche ihn sanft an. Sofort springt er mich förmlich an und schlingt seine Arme um mich. Wenn ich eben noch Zweifel daran gehabt habe, dass Seto meine Nähe nur mir zu Liebe erträgt, ist er jetzt gänzlich verschwunden. Er klammert sich an mich und presst sein Gesicht fest an meine Halsbeuge. Vorsichtig streiche ich ihm über den Rücken. Leise schluchzt er, dass er schon geglaubt habe, dass ich gar nicht mehr wieder kommen würde.
 

Leise erwidere ich, dass ich immer zurück kommen würde und wenn ich dafür zu Fuß durch eine Wüste oder die Hölle oder was auch immer müsste. Langsam beruhigt er sich und kuschelt sich enger an mich. Dann erzählte er mir von dem Abend und dem Stromausfall. Lässt seine Panik, als jemand - wohl Ryou - in der Dunkelheit nach seiner Hand griff, nicht aus und wie er sich mit seinem Verhalten blamiert hat.
 

Behutsam versichere ich ihm, dass er sich nicht blamiert hat. Ryou und Yugi würden sich nie über eine Panikreaktion lustig machen oder sie herum erzählen. Sag ihm, er kann ihnen vertrauen. Fragend blickt er plötzlich zu mir hoch. Warum, fragt er mich. Warum? Was warum, frag ich verwirrt.
 

Warum alle ihm gegenüber so sind. So rücksichtsvoll, so verständnisvoll und nachgiebig. Immerhin habe er sie früher wie den letzten Dreck behandelt. Keine Gelegenheit ausgelassen sich über sie zu erheben und sie spüren zu lassen, wie wenig er von ihnen hält. Warum haben sie ihn trotz all dem in ihren Kreis aufgenommen und sind, wie sie sind?
 

Ein Schmunzeln bildet sich auf meinem Gesicht. Ich erkläre ihm, dass niemand von ihnen nachtragend ist und wir ihn schon immer als Teil unserer Clique gesehen haben, auch wenn er sich so vehement dagegen gesträubt hat. Es vergeht ein langer Augenblick, bevor Seto nickt und meint, dass ich da echt gute Freunde habe. Ich berichtige ihn: WIR haben da echt gute Freunde. Er stimmt nicht zu. Aber er widerspricht auch nicht. Ein weiterer Fortschritt.
 

Stolz. Ich bin einfach so stolz auf meinen Drachen. Ich hatte am Anfang schon befürchtet, dass er die ganze Zeit im Zimmer bleiben würden, doch er hat einen großen Schritt nach dem anderen gemacht, seit wir hier sind. Er hat mit uns im See herum getollt. Hat zugegeben, dass er beim Schwimmen etwas eingerostet ist. Ist mit uns in den Kletter-Park, hat dort zwei Parcours mit uns zusammen bewältigt und hat einen Abend mit Yugi und Ryou verbracht. Scheinbar hatte er - bis zu dem Stromausfall - dabei sogar etwas Spaß.
 

Vorsichtig heb ich ihn vom Boden, stehe mit etwas Mühe auf und bringe uns ins Bett. Nachdem ich ihn sanft ins Bett gelegt habe entledige ich mich fix meiner Jeans und dann zieh ich ihn eng an mich heran. Streichel ihm sanft über den Rücken und helfe ihm dabei, sich etwas zu entspannen.
 

Als es klopft ist er eigentlich fast schon eingeschlafen, doch er hebt den Kopf und sagt 'herein'. Mokuba streckt seinen Wuschelkopf durch einen Türspalt und lugt zu uns. Sanft streckt Seto seine Hand nach ihm aus und Mokuba beginnt zu lächeln. Er kommt rein, schließt die Tür und kuschelt sich zu seinem Bruder. Und so schlafen wir dann schließlich alle ein.

Einen Schritt, der jemanden kränk

Ich verstehe wirklich nicht, was das Problem ist. Wenn sie alle 'Treatment' spielen wollen, dann spielen wir halt 'Treatment'. Doch mein Streuner scheint das mehr als aufzuregen. Er ist strickt dagegen, dass ich mit den anderen dieses Spiel spiele. Es ist doch nur ein Wissenspiel.
 

Doch er nimmt mich zur Seite, schaut mich ernst an und verneint erneut. Es sei nicht nur ein Wissenspiel. Es gäbe an jeder Ecke ein 'Behandlungszimmer'. Kommt man da rauf muss man sich recht persönlicher Fragen stellen und sich von den anderen einschätzen lassen, während man sich selbst einschätzt. Haben die anderen einen richtig eingeschätzt, kann man weiter ziehen, wenn die anderen falsch liegen wiederholt sich dieser Zug.
 

So langsam beginne ich zu verstehen und frage ihn, was das für Fragen seien. Katsuya zuckt nur mit den Schultern. Er meint, dass sind so Fragen a la 'Wie selbstsicher würdest du dich auf einer Skala von 1 bis 10 selbst einschätzen' und so. Na, wenn es nichts weiter ist, dann muss ich doch nur in meiner Rolle bleiben. Doch Katsuya hält es immer noch nicht für eine gute Idee. Doch da kommt Bakura zu uns und zieht uns zum Tisch. Jeder von uns bekommt eine kleine Plastikcouch auf der wir insgesamt sechs Stifte - einen aus jedem Teilgebiet des Spieles - sammeln müssen und dann in die Mitte vordringen sollen. Klingt einfach.
 

Nach fast einer Stunde verstehe ich endlich, warum Katsuya so vehement dagegen war, dieses Spiel zu spielen. Seit einer geschlagenen halben Stunde häng ich in so einer Privatpraxis fest und diese dämlichen Fragen rauben mir den Nerv. Da steht Otogi auf, holt sechs Gläschen und eine Flasche Alkohol an den Tisch. Er füllt die Gläschen und dann stellt er vor jedem so ein Tropfen Alkohol. Vor jedem, außer Mokuba. Scheinbar hat der Würfelfanatiker erkannt, dass mein Bruder mit seinen fast 14 Jahren etwas arg jung für Alkohol ist. Er grinst in die Runde und meint, dass wir jetzt mal das Spiel etwas auflockern.
 

Ich bin wieder dran und ich hab Panik vor der nächsten Frage. Yugi zieht und ließt sie vor: Nun sag mir, wer hier in der Runde hat das größte schauspielerische Talent? Ja, woher soll ich das wissen? Ich blicke in die Runde, während Yugi bereits auf seinen Zettel eine Antwort kritzelt. Ich seufze. Dann schreib ich meine Antwort auf den Zettel vor mir. Als wir beide fertig sind zeigen wir den Zettel. Bei mir steht Katsuyas Name, auf Yugis meiner.
 

Tatsächlich bin ich etwas sprachlos. Dann fragt Bakura den kleinen Punk, wie er auf mich kommt. Der schaut dann schüchtern zu mir, als würde ich mich gleich über den Tisch beugen und ihn auffressen. Ich massiere mir die Nasenwurzel, während Yugi erklärt, dass ich immer selbstbewusst und selbstsicher wirken würde. Ja... und? Ich bin selbstbewusst und selbstsicher. Jedenfalls... war ich es mal, füge ich mental hinzu. Alle blicken mich an. Otogi beginnt zu grinsen und meint, dass wir beide jetzt unser Glas leeren müssen. Großartig. Ein Psycho-Spiel und Alkohol. Was gibt es für eine schlechtere Kombination.
 

Yugi kippt sein Gläschen auf Ex runter und... nichts. Er muss nicht mal vom Alkohol husten. Also setz auch ich an und stürz den Tropfen hinunter. Ich hasse den Geschmack von Alkohol. Aber an und für sich hab ich schon härteren Alkohol getrunken... wie nach der Benefizgala, nachdem Kogoro... ich verdränge diesen Gedanken schleunigst wieder. Das Spiel geht weiter.
 

Nach einer weiteren geschlagenen Stunde sitze ich immer noch auf diesem verdammten Feld fest. Wieder zieht Yugi eine Karte und ließt - mehr lallend, als wirklich verständlich - die nächste Frage vor: Nun sag mir... Boa wie ich diesen Satzanfang hasse, denn fast jede Frage fängt mit diesen Worten an. Nun sag mir, wer in der Runde hat wohl als erstes sexuelle Erfahrungen gesammelt.
 

Ich blicke ihn entgeistert an, während der Punk kichert. Mühevoll scheint er zu versuchen die richtigen Namenskanji aufs Papier zu bringen. Doch ich verschränke nur meine Arme vor der Brust. Ich weigere mich, diese Frage zu beantworten. Nicht, weil ich die Antwort nicht kennen würde. Im Gegenteil. Ich bezweifle das irgendjemand jünger als Katsuya mit seinen sieben Jahre war, als er erste sexuelle Erfahrungen gesammelt hatte. Aber dennoch muss ich diese Information ja nicht im Rahmen eines so lächerlichen Spiels präsentieren, auch wenn er am Wochenende den anderen von sich erzählt hat.
 

Also kipp ich den Drink runter und steh dann auf. Gebe mich geschlagen. Alle schauen mich schockiert an und dann ruft Yugi 'Halt'. Alle Blicke wenden sich zu ihm, als er verlegen lacht und meint, dass er diese Frage ja gar nicht stellen dürfte. Wie jetzt? Was heißt hier nicht stellen dürfen? Ich blicke fordernd zu Honda und Otogi, bevor ich Katsuyas Blick suche. Auch dieser schaut interessiert und überrascht zu den beiden.
 

Dann fängt Honda an rumzudrucksen. Wie ich das liebe, wenn Leute so rumeiern. Einfach sagen, was Sache ist, ist das wirklich so schwer? Langsam erklärt Katsuyas bester Freund, dass sie alle Fragen rund um Sex eigentlich aus dem Spiel entfernt und abgemacht haben, dass wenn sie eine Karte übersehen hätten, diese Frage nicht zu stellen sei. Um auf Katsuya Rücksicht zu nehmen.
 

Wieder wandert mein Blick zu meinem blonden Streuner, dem die Verlegenheit ins Gesicht geschrieben steht. Doch er lächelt plötzlich und dankt Honda für seine Rücksichtnahme. Mir kommt die Frage mit dem schauspielerischen Talent wieder in den Sinn. Ob Yugi - sofern er nüchtern wäre - jetzt immer noch meinen Namen auf den Zettel schreiben würde?
 

Dann steht Katsuya auf, streckt sich gekünstelt und meint zu den anderen, dass der Tag ziemlich anstrengend war. Immerhin seien wir ja heute recht viel gewandert und deshalb würde er jetzt schlafen gehen wollen. Ohne auf eine Antwort oder Reaktion zu warten nimmt er mich an der Hand und zieht mich mit sich. Den ganzen Weg die zwei Treppen hinauf grummelt mein Streuner.
 

Mir wird klar, dass er sich vorhin nicht wegen mir so vehement geweigert hat dieses Spiel zu spielen. Kaum fällt hinter uns die Tür unseres Zimmers ins Schloss murmelt Katsuya etwas. Er flucht, was für ein beschissenes Spiel das sei, während er meine Hand los lässt und zu seiner Tasche geht, um irgendetwas darin zu suchen.
 

Behutsam trete ich hinter ihn, schling meine Arme um ihn und drück ihn sanft an mich. Platziere einen Kuss in seinem Nacken. Er lässt schlagartig seine Schultern sinken und wird wieder etwas entspannter. Langsam wende ich ihn zu mir. Als er mir in die Augen schaut meint er nur, dass er dieses Spiel einfach nicht mag. Früher habe er sich immer irgendwie durch geschummelt und die Fragen so beantwortet, wie er dachte, dass seine Freunde ihn einschätzen würden. Doch das sie jetzt noch auf diese Art und Weise auf ihn 'Rücksicht' nehmen wollen, dass ärgert ihn maßlos.
 

Sanft kraul ich ihm den Nacken und küss ihn dann liebevoll. Er gibt sich dem Kuss voll hin und ich werde etwas mutiger. Als der Kuss endet schau ich in diese bernsteinfarbenden Augen und verspreche ihm, dass ich niemals falsche Rücksicht auf ihn nehmen werde. Er lächelt mich sanft an und kuschelt sich dann an meine Brust, bevor er leise ein 'Danke' flüstert.
 

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Einen Schritt der Offenbarung

Wir befinden uns gerade auf dem Heimweg zur Hütte, als wir den Ferienort erreichen. Honda hat im Internet einen Freiluft-Kletterpark gefunden. Also sind wir nach einer kurzen Einweisung der Trainer und gut gesichert den halben Tag an verschiedenen Sandsteinwänden hochgekraxelt.
 

Ich hab mich ja schon immer gewundert, warum diese Griffe immer so bunt sind, die an solchen Kletterwänden angebracht sind. Seit heute weiß ich, dass man beim Klettern gar nicht alle benutzt. Man überlegt sich am Anfang wie schwer das Klettern sein soll, dieser Schwierigkeitsgrad entspricht einer Farbe und dann sollte man nur die Griffe dieser Farbe verwenden.
 

Plötzlich deutet Yugi auf einen traditionellen Hauseingang, der an einer Felswand angebracht wurde und irgendwie, wie eine Schauspielkulisse wirkt. Auf einem Schild über dem Eingang steht in großen Kanji Onsen - heiße Quelle. Die anderen lassen sich prompt vom Enthusiasmus anstecken, außer mir und Seto. Als ich gerade prüfend zu ihm schaue wird er bereits von Mokuba mit zum Eingang gezogen. Also folge ich auch.
 

Als wir eintreten ziehen wir unsere Schuhe aus und stellen sie in das Schuhregal, wobei wir drauf achten, dass unsere Schuhe alle nebeneinander stehen. Dann betreten wir den Vorraum und entrichten eine Gebühr. Dann erst dürfen wir in die Umkleide, in der sich Regal mit Kleiderkörben befinden. In den freien Fächern liegt im Körbchen ein Tenugui, ein traditionelles japanisches Handtuch aus dünnem Baumwollstoff.
 

Erst jetzt fällt mir auf, dass der Boden mit flachem Naturstein gefliest ist. Während die anderen es kaum erwarten können sich auszuziehen, lass ich mir etwas Zeit und Seto... mein Drache sitzt auf der Bank und betrachtet den Deko-Bambus, der hier in großen Töpfen angepflanzt wurde. Als die anderen bereits unbekleidet sind nicke ich ihnen zu und signalisiere ihnen, dass sie schon mal in den Waschraum weiter gehen sollen.
 

Erst als sie alle im nächsten Raum sind rutsche ich eng neben meinen Drachen. Leg eine Hand auf seine. Er blickt mich an und ich lächle liebevoll. Sag ihm, dass er nicht mit rein muss. Er nickt nur. Beugt sich zu mir und küsst mich sanft. Nach diesem Kuss schau ich ihm in die blauen Augen und frage, ob ich bei ihm bleiben soll. Er schüttelt nur den Kopf und meint, dass ich mir die Onsen nicht entgehen lassen soll. Nur schweren Herzens nicke ich und ziehe mich restlos aus, bevor ich den anderen folge.
 

Der kühle Steinboden fühlt sich gut an und als ich in den Nebenraum komme stelle ich erfreut fest, dass mit niedrigen Bambuswänden die Waschplätze in kleinen Zellen von einander abgetrennt sind. Ich setz mich in einer freien Waschzelle auf einen Hocker und beginne mich zu waschen, als ich Mokuba fragen höre, wo Seto bleibt. Ich sag nur so sachlich, wie möglich, dass Seto nicht kommen wird.
 

Sofort schnappt Mokubas Kopf hinter der niedrigen Wand hoch und schaut mich entsetzt an. Etwas maßregelnd blick ich den Jüngeren an, der seinen Fauxpas sofort bemerkt und sich wieder auf seinen Schemel setzt. Ich hör ihn fragen, warum Seto nicht kommen wird und ich frage zurück, ob er es sich nicht denken kann. Stille. Scheinbar ist der Groschen bei dem Jüngeren endlich gefallen. Einen langen Augenblick - Yugi und Ryou sind bereits fertig - kommt von Mokuba nur schuldbewusst, dass er daran nicht mehr gedacht habe.
 

Wow... nachdem ich das erste Mal Setos vernarbten Rücken gesehen habe, hab ich diesen Anblick tagelang nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Mokuba hat es am Wochenende zum ersten Mal gesehen und so schockiert reagiert, dass ich erwartet hätte, dass er wesentlich länger damit zu kämpfen gehabt hätte. Aber dem ist scheinbar nicht so.
 

Schließlich haben wir uns alle gründlich genug gewaschen und verlassen nackt den Waschraum. Durch eine weitere Tür mit Stoffstreifen treten wir dann endlich in den Außenbereich und ich bleibe erstaunt stehen. Der Außenbereich ist anfangs noch der Teil einer Naturhöhle, in die das Gebäude gebaut worden war. Nach zwei, drei Metern öffnet sich die Naturhöhle zu einem offenen Gebiet, in dem sich mehrere Becken tummeln, die alle durch Bambus und Sträuchern von einander getrennt sind und somit etwas Privatsphäre bieten.
 

Von hier aus hat man einen weitläufigen Blick auf den tiefer gelegenen Teil der Ortschaft und den großen See, an dessen Ufer auch die Hütte irgendwo im Wald steht. Was für eine schöne Gegend, geht es mir kurz durch den Kopf und ich spüre, wie auch die anderen kurz ergriffen sind. Dann deutete Otogi auf eines der Naturbecken, welches etwas weiter hinten und an der Kante liegt. Erst jetzt merkt Mokuba, dass in einem anderen Becken Mädchen sitzen und er hält sich verlegen sein Tenugui vor den Schritt. Ich muss über diese Verlegenheit etwas kichern. Dann machen wir uns auf den Weg zu dem auserkorenen Becken.
 

Wir sitzen noch keine drei Minuten in dem heißen Wasser, als Yugi lächelt, mich anstößt und in Richtung des Eingangs nickt. In diesem steht Seto. Nackt. Etwas verlegen. Dennoch versucht er Selbstsicherheit vorzutäuschen. Die anderen Becken sind leer und unwillkürlich frag ich mich, wo die Mädels hin sind. Vielleicht lag die Verlegenheit nicht nur bei Mokuba und sie sind raus geeilt, nachdem wir an ihnen vorbei waren.
 

Mein Drache entdeckt uns und kommt dann in unsere Richtung. Ich bin regelrecht baff, hab ich nicht erwartet, dass er doch nicht draußen wartet, sondern zu uns kommt. Er muss das Becken einmal umrunden, um zum Einstieg zu kommen und das bedeutet... Yugi keucht kurz auf, als er Setos Rücken sieht. Auch Ryous Augen weiten sich schockiert. Otogi bewahrt besser sein Pokerface, für Honda ist der Anblick von Setos Rücken nichts Neues. Mokuba blickt kurz betroffen auf die Wasseroberfläche.
 

Dann erreicht Seto den Einstieg und steigt in das Becken, bevor er zu uns kommt. Er schmiegt sich eng an mich und ich kann ein seichtes Zittern spüren. Erkenne, was für eine Überwindung es ihn gekostet hat, sich so zu offenbaren. Auch wenn er seine Maske trägt, die deutlich sagt, dass es ihm egal ist, ob er Blicke auf sich zieht. Unter dem Wasser angelt er nach meiner Hand und ich verschränke meine Finger mit den seinen.
 

Yugi hat sich gefangen und lächelt Seto an. Meint sanft zu ihm, dass es ihn freut, dass er doch noch zu uns gekommen ist. Seto stiert ihn nur stumm an. Für manche könnte der Blick abschätzig und missbilligend wirken, doch ich seh, wie er die Zähne aufeinander presst und gezwungen ruhig durch die Nase atmet. Dann wendet sich Yugi von der Gruppe ab und deutet auf die Aussicht. Er schwimmt - nicht wirklich, aber tatsächlich kommt man mit einigen Schwimmbewegungen der Arme leichter durch das Wasser - zum Rand und setzt sich dort auf die Sitzstufe unter Wasser, verschränkt seine Arme und legt sie auf dem Rand ab. Ryou folgt ihm.
 

Sanft zieh ich Seto mit mir neben Yugi, damit auch wir uns dorthin setzen können. Ich hoffe, dass das heiße Wasser Setos Anspannung löst, wenn wir ruhig irgendwo sitzen. Und tatsächlich beginnt sich Seto langsam zu entspannen. Auch Mokuba, Honda und Otogi sind an den Rand gekommen und haben sich neben uns gesetzt. Seto scheint es nicht zu stören, dass Honda und Otogi neben ihm sitzen. Das heiße Wasser umspült unsere Schultern.
 

Wir sitzen vielleicht zehn Minuten als Seto leise beginnt etwas zu sagen. Er sagt, dass wir - er meint wohl eher Yugi und Ryou, will sie aber scheinbar nicht vor den Kopf stoßen - es ohnehin bald erfahren werden. Yugi fragt naiv von was Seto spricht. Mein Drache blickt nur nachdenklich auf die Wasseroberfläche. Dann antwortet er, dass er am letzten Tag vor den Sommerferien auf der Polizei eine Aussage machen wird, die möglicherweise große Wellen schlagen wird. Alle schauen ihn verwirrt an. Mokuba und ich nicht. Wir wissen davon schon längst und ich streichle unter Wasser mit dem Daumen über Setos Handrücken. Dann holt er tief Luft, hebt seinen Blick und meint zu den anderen, dass er jahrelang von seinem Adoptivvater und dessen Vorstand missbraucht und misshandelt wurde.
 

Stille. Absolute, betroffene Stille. Mokuba kuschelt sich an Seto. Honda und Otogi wussten es ja schon, haben aber wohl nicht erwartet, dass Seto es einmal so offen ansprechen wird. Yugi und Ryou sind regelrecht von dieser Information erschlagen. Seto erzählt, dass eine Polizistin ihn um Hilfe bat, weil einer dieser Männer wohl andere Jungs und junge Männer missbraucht und diese mit Geld zum Schweigen gebracht hat.
 

Ja, mir fällt auf, dass Seto nur von Missbrauch redet, nicht von Vergewaltigung. Aber ich lass ihn. Allein das er gerade offen mit den anderen darüber spricht, ist schon ein Wunder. Da will ich jetzt nicht kleinlich sein, denn eigentlich bin ich mächtig stolz auf Seto.
 

Wieder vergeht ein langer Moment der Stille. Dann fragt Yugi, warum er erst in sechs Wochen diese Aussage machen will? Noch ehe Seto anfangen kann hakt Otogi ein und meint nur: Öffentliches Interesse. Yugi versteht erst nicht. Doch Ryou und er erklärt Yugi, dass die Verhaftung eines so einflussreichen Mannes auch in der Presse landen wird und dann könnte bekannt werden, dass und was Seto ausgesagt hat. Das könnte ihn wiederrum in den öffentlichen Fokus rücken.
 

Dann meint Seto - weiterhin ganz leise - dass er in den Sommerferien zu Hause bleiben und die neugierigen Fragen der Reporter an seiner Grundstücksmauer abprallen lassen kann. Das er hofft, dass das Interesse an ihm bis zum ersten Schultag nach den Ferien abgeflaut ist und möglicherweise ein Teil der Klasse von all dem nichts mitbekommt hat.
 

Honda legt eine Hand auf Setos Schulter und meint, dass sie alle hinter ihm stehen werden. Seto blickt ihn nur mit so einem Blick á la 'Was soll mir das jetzt bringen?' an und ich muss schmunzeln. Schließlich meint Yugi, dass es ihm zu heiß im Wasser wird und wartet dann Richtung Ausstieg. Ryou folgt ihm wieder und schließlich auch Honda und Otogi. Nur Mokuba, Seto und ich bleiben noch einen Moment.
 

Wir beobachten, wie die anderen durch den Ausgang den Außenbereich verlassen und weil sonst niemand da ist zieh ich Seto sanft zu mir, küss ihn auf die Stirn und lächle stolz. Er legt seinen Kopf an meine Schulter, umschlingt mich mit seinen Armen und ich spüre, wie seine Anspannung von ihm fällt und er kurz mit sich ringt. Mokuba schmiegt sich von hinten an ihn ran und will ihm Kraft leihen. Sanft löst Seto eine Hand von mir und schiebt sie über seine Schulter in den Wuschelkopf seines Bruders. Dann rafft er sich wieder etwas und drängt seine Gefühle zurück.
 

Ein Drache bleibt ein Drache.

Einen Schritt zur Akzeptanz

Der Weg von der Onsen zur Hütte zieht sich ewig. Jedenfalls kommt es mir so vor. Wieso hab ich das nur getan? Ich saß in der Umkleide und hätte doch nur wieder raus gehen müssen. Gegenüber dem Eingang war doch eine Steinbank, auf der ich bequem auf die anderen hätte warten können. Doch irgendwas in mir hat das nicht zugelassen und auf einmal stand ich nackt und nass im Eingang zum Außenbereich...
 

Mir fällt es gerade so schwer die Fassung zu wahren. Nur weil Katsuya mich an der Hand hält und Mokuba sich an mich kuschelt kann ich mich überhaupt zusammenreisen. So... mein Geheimnis ist also kein Geheimnis mehr. Zumindest in diesem Kreis hier nicht mehr. So fühlt sich das also an. Bald werden noch viel mehr Leute mein Geheimnis erfahren. Ob sich das dann genauso anfühlen wird?
 

Endlich erreichen wir das Haus und ich trete - mit Katsuya und Mokuba im Schlepptau - etwas zügiger hinein. Yugi eilt uns hinterher und schiebt sich vor uns, bevor ich zur Treppe gehen kann. Er lächelt mich sanft an und dafür könnte ich ihn jetzt schlagen. Ich weiß, er meint es nicht böse, aber diese Art des Lächelns... ertrag ich jetzt einfach nicht.
 

Yugi fragt mich, ob ich mir etwas zum Essen wünschen möchte. Ich schüttle nur stumme den Kopf. Daraufhin meint er, dass er mich dann halt überraschen wird. Dann hüpft er davon. Nur kurz schau ich ihm hinterher, bevor ich Katsuya die Treppe hinauf schiebe und Mokuba uns folgt. Nach einer weiteren Treppe erreichen wir unser Zimmer und Mokuba schlüpft mit hinein. Fragend blicke ich ihn an und mein zu ihm, dass er Yugi beim Kochen helfen soll, nicht das der kleine Punk uns die Hütte noch abfackelt. Doch Mokuba schüttelt den Kopf und antwortet, dass er bei mir bleiben wird.
 

Kurz lächle ich ihn an und spüre, wie die erste Träne sich Bahn bricht. Katsuya zieht mich zum Bett und mittig darauf. Mokuba folgt uns. Während Katsuya mich in den Arm nimmt und sanft im Nacken krault, schmiegt sich Mokuba dicht hinter mich, wie schon in dem Onsen. Und dann kann ich die Fassade nicht länger aufrecht erhalten. Ich lasse meinen Tränen freien Lauf.
 

Der Gedanke, dass die Offenbarung ein furchtbarer Fehler gewesen sein könnte, lässt mich nicht mehr los. Was bin ich nur für ein dummer, dummer Drache. Ich stocke kurz. Seit wann denk ich von mir selbst als Drache?
 

Mokuba streichelt mich sanft, während ich mich an Katsuya klammere. Der flüstert mir zu, dass alles in Ordnung ist und er sehr stolz auf mich ist. Stolz? Worauf ist er denn bitte stolz? Darauf, dass ich mich selbst so lächerlich gemacht habe?
 

Mokuba erklärt mir, dass er stolz auf mich sei, weil ich den Mut hatte mich unseren Freunden endlich zu offenbaren. UNSEREN Freunden? Das sind nicht meine Freunde... Katsuya Freunde, ja. Mokubas Freunde, ja. Meine Freunde? Ich habe keine Freunde. Doch Katsuya widerspricht mir. Seit Weihnachten hätte ich aufgehört sie von mir zu stoßen und zugelassen, dass sie auch meine Freunde werden konnten. Und das sei etwas Wunderbares. Ist es das?
 

Da klopft es auf einmal. Ich dreh meinen Kopf noch weiter zu Katsuya und versuche mich in seinem Arm regelrecht zu verstecken. Wer immer da klopft, ich will ihn nicht sehen oder von ihm gesehen werden. Mokuba steht auf und geht zur Tür. Spricht leise mit jemandem. Ich kann hören, wie er sagt, dass das jetzt kein guter Zeitpunkt sei. Dann schließt er die Tür wieder und kommt zurück zu mir.
 

Leise frage ich ihn, wer das war. Mokuba meint, dass es Yugi war, der wissen wollte, ob alles in Ordnung sei und mit mir sprechen wollte. Mit mir sprechen wollte? Was gäbe es schon, was der kleine Punk mit mir besprechen muss? Mir fällt nichts ein. Katsuya streichelt mir weiter sanft über das Haar und Mokuba kuschelt sich wieder eng an mich. Langsam wird alles um mich herum dunkel.
 

Als ich wieder wach werde ist es draußen immer noch hell. Immer noch liege ich in Katsuya Armen und Mokuba liegt hinter mir. Beide streicheln mich immer noch. Katsuya fragt mich sanft, ob ich mich ein wenig besser fühle und tatsächlich: Als ich in mich hinein höre ist meine Panik etwas abgeflaut und meine Gedankenwelt ruhiger. Also nicke ich. Dann fragt mich Mokuba, ob ich mich dann bereit fühlen würde gleich mit ihnen hinunter zum Abendessen zu gehen.
 

Ich stocke. Doch dann nicke ich wieder. Langsam setze ich mich auf und rutsche zur Bettkante. Ich will mich nur fix etwas frisch machen. So husche ich ins Badezimmer und gehe duschen. Lange stehe ich unter der Dusche, lasse das Wasser auf mich herab nieseln und hadere immer noch mit mir selbst. Ein Rückzieher kommt nicht in Frage, denn das würde bedeuten meinen kleinen Bruder zu enttäuschen. Also muss ich meine Scham jetzt einfach runterschlucken und meine Maske aufsetzen.
 

Nachdem ich mich angezogen habe angelt Katsuya wieder nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger. Mokuba kuschelt sich wieder an meine Seite und ich leg einen Arm um seine Schultern. Dann verlassen wir meinen sicheren Rückzugsort. Steigen die erste Treppe hinunter und finden einen verlassenen, ruhigen Stock. Als wir an die zweite Treppe kommen hören wir Stimmen von unten. Sicherlich werden sie über mich sprechen. Darüber was für eine Lüge der große Kaiba Seto doch in Wirklichkeit ist. Doch tatsächlich hören wir nur so etwas wie: Gib mir mal die Frühlingszwiebeln. Oder: Brauchst du das große Messer noch?
 

Langsam und geräuschlos steigen wir die zweite Treppe hinunter. Die vier anderen stehen in der Küche und scheinen echt mit kochen beschäftigt zu sein. Otogi schaut kurz über seinen Rücken und lächelt uns zu. Es ist ein ganz normales Lächeln und an uns alle gerichtet. Keines aus Mitleid. Okay... er hatte vorher von Honda ja schon alles erfahren gehabt und das Thema Mitleid hatten wir noch in der Schule geklärt. Dann spricht er mich an und fragt mich, ob ich nicht mal die Tonkatsu - also die panierten Schnitzel - kleinschneiden könnte.
 

Nur langsam löse ich mich und trete neben ihn, wo ich unter einem umgedrehten Teller die frisch ausgebackenen Schnitzel finde. Die sehen gar nicht mal schlecht aus, aber nichts für mich. Zu westlich. Dennoch schneide ich sie in handliche Mundstücke, die dann auf fertiges Ramen geschoben werden. Am Ende bleibt eine Schüssel übrig, für die scheinbar kein Schnitzel übrig ist. Verwirrt blick ich mich um, als ich ein Zischen hör.
 

Honda steht am Herd und brät etwas an. Ich kann nicht genau sehen, was er anbrät, doch nach einer Minute nimmt er es aus der Pfanne, lässt es kurz auf Küchenpapier abtropfen und legt es dann in die letzte Schale: Es sieht aus wie in feine Streifen geschnittene Rinderlende. Er garniert sie noch mit Frühlingszwiebel und einem Ei und reicht mir die Schale dann mit einem sanften Lächeln.
 

Verwirrt nehme ich die Schüssel an und wir gehen zum Tisch. Katsuya und Mokuba haben in der Zeit noch schnell einen Mango-Avocado-Salat zubereitet, den sie verteilen. Dann sitzen alle am Tisch und wir wünschen uns gegenseitig guten Appetit. Ich... hätte nicht gedacht das Honda sich die Mühe machen würde, beim Kochen auf mich und meine Ticks Rücksicht zu nehmen.
 

Vielleicht... haben Katsuya und Mokuba ja doch Recht, wenn sie sagen, dass es -mittlerweile - auch meine Freunde sind. Ich blick noch einmal unauffällig in die Runde. Tatsächlich stiert mich keiner von ihnen an, witzelt über mich oder reagiert geringschätziger mir gegenüber. Ja... sie sind scheinbar auch meine Freunde. Dieser Gedanke lässt mich schmunzeln.

Einen Schritt mehr Richtung Freundschaft

Poker ist nicht mein Spiel. Würden wir um echtes Geld spielen wäre ich jetzt abgebrannt. So schnell bin ich noch nie aus einer unserer Poker-Runden rausgeflogen, die wir von Zeit zu Zeit machen. Irgendwer hatte sowas mal in einem Film oder einer Serie oder so gesehen und es auch bei uns eingeführt. Dumm nur, dass wir die Regeln nur rudimentär kennen.
 

Egal. Ich steh auf und lass die anderen Mal in Ruhe weiter spielen. Durch die offene Verandatür kann ich Kaiba draußen stehen sehen. Also geh ich in die Küche, füll mein Glas auf und nehm ein zweites, dass ich fülle. Mit beiden Gläsern geh ich dann auch raus und halt Kaiba eines hin. Er schaut erst etwas irritiert auf das angebotene Glas, bevor er es mir abnimmt und mir leise dankt. Dann nimmt er einen Schluck.
 

Wir stehen einige Minuten schweigend nebeneinander und schauen auf die Wipfel der Bäume, die durch den Hang tiefer stehen, als das Haus. So können wir auch etwas vom See sehen. Echt ein wunderschöner Flecken Erde. Kaiba schaut mich an und lächelt dann. Stimmt mir zu. Es überrascht mich ein wenig, dass er wirklich reagiert hat. Vielleicht bietet er mir hier einen Ansatzpunkt für ein Gespräch, also möchte ich ihn nutzen. Frage, wie er diesen Flecken gefunden hat.
 

Kaiba erzählt mir, dass Isono ihm den Gedanken ins Ohr gesetzt hat, dass er einen Rückzugsort braucht. Einen Ort, von dem sonst niemand weiß und wo er einfach mal die Seele baumeln lassen kann. Also habe er Isono gebeten sich mal mit der näheren Umgebung der Stadt zu beschäftigen. Schließlich kam Isono und hat ihm von diesem Stück Land erzählt. Nach einem Ausflug, um sich einen Eindruck zu verschaffen, hatte er das Haus im Kopf und hat es aufs Papier gebracht. Ein Architekt hat dann seinen Wünschen entsprechend alles umgesetzt.
 

Wow. Kaiba hat also dieses Haus entworfen? Ich blicke über meine Schulter und die Fassade hinauf. Dann frag ich, warum dieses Haus so groß ist, wenn es nur für ihn und Mokuba bestimmt war. Er grinst und nippt erneut an seinem Glas. Meint, dass er schon damals damit gerechnet hat, dass Mokuba mit Freunden hier mal her kommen möchte. Also brauchten sie etwas mehr Platz.
 

Ein Lächeln zeichnet sich auf meinem Gesicht ab. Frag ihn, wie er die Woche mit uns findet. Er schaut weiter gerade aus zum See. Ich rechne schon gar nicht mehr mit einer Antwort, als er meint, dass er sie sich wesentlich schlimmer vorgestellt habe. Da erwidere ich, dass er uns diese Woche aber auch das eine oder andere Mal überrascht hat. Jetzt schaut er mich - wenn auch nur aus dem Augenwinkel heraus - an und fragt mich, womit er uns überrascht hat.
 

Mein Lächeln wird breiter. Dann sag ich ihm, dass die erste Überraschung war, dass er tatsächlich mit uns im See geplanscht hat. Dicht gefolgt davon, dass er offen zugegeben hat, dass das letzte Mal, als er Schwimmen war, schon etwas her war und er eine Auffrischung benötigt. Das hat mich wirklich sehr beeindruckt. Er schnaubt nur. Murrt etwas, wie, was daran schon beeindruckend gewesen sein soll. Mein Lächeln wird zum Grinsen. Ja, dass ist Kaiba. Man macht ihm ein Kompliment und er schmettert es ab.
 

Doch davon lass ich mich nicht aus dem Konzept bringen und sag ihm, dass die zweite Überraschung der Kletterpark am Anfang der Woche war. Auch da hab ich nie gedacht, dass Kaiba mitmachen würde. Wieder hab ich mich getäuscht. Doch das macht mir gar nichts aus, falsch zu liegen. Nicht in diesem Punkt. Wieder schnaubt Kaiba nur sachte. Sagt aber sonst nichts dazu.
 

Dann senk ich meinen Ton und frag, wie es mit der Aloe Vera so funktioniert. Sofort legt sich eine seichte Röte auf Kaibas Gesicht und ich kicher etwas. Hab ich jetzt doch endlich mal eine Reaktion von ihm bekommen, geht es mir durch den Kopf. Nur zögerlich meint er, dass er es angenehmer findet. Vor allem der Geruch sei besser. Vorsichtig hak ich nach, ob sie das Aloe Vera schon 'ausprobiert' haben. Kaiba senkt verlegen den Kopf, doch dann blickt er mich direkt an und deutet auf die Holzbank vor der Veranda.
 

Also setzen wir uns. Er erzählt mir, dass er daran gerochen habe, sich aber noch keine passende Gelegenheit ergeben hätte es 'auszuprobieren'. Na, aber bitte... Gelegenheiten gibt es doch wie Sand am Meer. Er meint nur ruhig, dass es bei Menschen wie Hiroto und mir wohl so einfach ist, aber bei Menschen wie Jonouchi und ihm... Der Satz bleibt unvollendet.
 

Sanft stups ich ihn mit dem Ellenbogen an und er schaut wieder zu mir. Ich lächle ihn an und meine, dass man doch nicht gleich Sex haben muss, um das Aloe Vera auszuprobieren. Man kann es immerhin auch gut zum Massieren benutzen. Schulter. Nacken. Rücken. Beine. Entgeistert blickt er mich an und muss dann Grinsen. Seine Haltung wird zunehmend entspannter, als er sich mit der Hand durch das Haar geht und kurz lacht. Scheinbar hat er daran gar nicht gedacht. Aber sowas kann schon mal vorkommen.
 

Wir sitzen also da und lachen ein wenig - ja, im Ernst: Kaiba lacht - und lehnen uns dann entspannt zurück. Nach einem weiteren entspannten Augenblick frag ich Kaiba dann, ob Jonouchi immer noch auf ihm sitzen soll, wenn sie irgendwann soweit sind, miteinander zu schlafen. Seine Finger, die miteinander verschränkt in seinem Schoss ruhen, fangen an sich nervös gegenseitig zu streicheln. Kaiba schaut weiterhin gerade aus und nickt dann.
 

Dann vertraut er mir an, dass sie Mal verschiedene Stellungen als Trockenübung ausprobiert haben, das aber die einzige Position gewesen sei, bei der er reagiert habe. Dabei beißt er sich kurz unsicher auf die Unterlippe. Ich weiß es ist eine empfindliche Situation gerade. Ein falsches Wort und sie verpufft in einer Rauchwolke. Andererseits wirken wir gerade wie echt gute, alte Freunde. Also riskiere ich es: Empfehle ihm mit Jonouchi mal den YabYum Sitz auszuprobieren. Ist eigentlich keine Sex-Pose, schieb ich hinterher. Er schaut mich nur fragend an.
 

Also erklär ich ihm, dass es eine Position aus dem Tantra ist und sowohl angezogen, als auch nackt vollzogen werden kann. Diese Pose soll die Verbindung miteinander stärken und eignet sich auch gut, wenn man miteinander meditieren möchte. Und beim Sex ist man sich wirklich nah. Hat mich Kaiba eben noch interessiert angeschaut, scheint der letzte Satz ihn wieder etwas zu verschrecken und er schaut zurück zum See.
 

Ach komm schon, Kaiba... wir sind doch nur zwei Freunde, die den ausklingenden Abend mit einem lockeren Gespräch über Sex und Tantra-Positionen abrunden. Nichts was einem peinlich sein muss. Sanft stoß ich ihn wieder mit dem Ellenbogen an und er schaut wieder zu mir. Verlegen lächelt er wieder. So langsam versteh ich schon, warum Jonouchi so auf ihn abfährt. Sein Lächeln ist umwerfend... Aber ich bleib bei meinem Hiroto... der hat nämlich auch ein umwerfendes Lächeln wenn er volltrunken vom Sex in meinem Arm liegt und sich an mich kuschelt.
 

Freunde, wiederholt Kaiba da, bevor er nickt. Und dann trau ich meinen Ohren nicht, als er sagt, dass wir das vielleicht sind. Ich starr ihn überrascht an. Während er jetzt amüsiert grinst. Dann genießen wir schweigend, wie es langsam dunkel wird und die Hitze des Tages von uns weicht.

Einen Schritt endlich schaffen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt, um zurück zu blicken

Ich bin schon eine Weile wach. Draußen ist es noch dunkel. In meinem Arm liegt mein Drache und ich streiche ihm liebevoll über den Rücken. Er ist total fix und alle. Verdenken kann ich es ihm nicht. Ein Schmunzeln schleicht sich auf mein Gesicht. Er hat seine erste sexuelle Erfahrung gemacht, frei von Zwang und Schmerz.
 

Ich hab dafür zich Anläufe gebraucht und die Hälfte davon musste ich aus Panik abbrechen. Mein Drache hat es beim zweiten, wenn man den Versuch vor einigen Tagen als zwei zählt, beim dritten Anlauf geschafft und musste nicht mal abbrechen. Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn. Also küss ich ihn zärtlich auf die Stirn. Er brummt genüsslich und kuschelt sich enger an mich.
 

Ein bittersüßes Lächeln zeichnet sich auf meinem Gesicht ab, als ich unwillkürlich bei dem Thema an Dazai Emon denken muss. Emon war damals mein Freund und Captain der Schul-Volleyballmannschaft. In meinem ersten Jahr an der Oberschule war er bereits in der Abschlussklasse. Auch wenn ich da schon unsterblich in meinen Drachen verliebt war hatte ich mir keine Hoffnungen ausgerechnet. Da kam mir die Ablenkung mit Emon ganz recht.
 

Ich war wochenlang um das Volleyball-Team herum geschlichen, hatte mich mit einigen Team-Mitgliedern angefreundet und war zu ihren Spielen gefahren. Durch 'gemeinsame' Freunde hatte ich dann auch Emon näher kennengelernt und irgendwann hatte ich ihn dann gefragt, ob er mal mit mir eine Pizza essen gehen würde. Er hatte gegrinst und gemeint, nur wenn er mich vorher ins Kino einladen dürfte.
 

Im Kino hatte er mich dann geküsst. Schließlich knutschten wir den halben Film nur und hatten uns danach bei der Pizza besser kennengelernt. Nach unserem vierten Date hatte er mich dann zu sich eingeladen. Seine Eltern waren - wie so oft, wie ich später erfuhr - auf Geschäftsreise. Der Vater hatte in einem großen Konzern gearbeitet und seine Frau begleitete ihn immer.
 

Wir hatten es uns auf der Couch bequem gemacht und geknutscht, als er seine Hand unter mein Shirt und dann in meine Hose schob, um meinen Arsch fest zu umgreifen. Hatte mich auf seinen Schoss gezogen, so dass ich breitbeinig über ihm kniete und dann hatte ich das erste Mal Panik bekommen. Oh man, ich bin damals wie ein aufgescheuchtes Huhn von ihm gesprungen, hab mir meine Sachen gegriffen und hab das Weite gesucht.
 

Viele hätten sich an dem Punkt gekränkt gefühlt und das ganze beendet. Doch Emon nicht. Am nächsten Tag war er in der Schule zu mir gekommen und hatte mich in einen leeren Raum gezogen. In seiner Hand meine Jacke, die ich in meiner Eile bei ihm liegen gelassen hatte. Vorsichtig zog er mich in seine Arme und entschuldigte sich bei mir. Ich war total verwirrt, denn ich verstand damals nicht, wofür er sich entschuldigte.
 

So ähnlich lief es eine Weile. Zwar kamen wir bei jedem Versuch etwas weiter, doch immer hatte ich irgendwann Panik bekommen und hatte die Flucht ergriffen. Schließlich hatte ich Kai aufgesucht, damit er mir half, dass alles zu verstehen und zu überwinden. Er war es, der mir empfahl Emon zu erzählen, was mir zugestoßen war. Erst hatte ich mich gesträubt. Die Angst, dass Emon das jemand erzählen konnte und ich irgendwie als Opfer deklariert werden könnte, war so überwältigend. Doch dann hab ich mich doch dazu durchgerungen.
 

Emon nickte nur und meinte dann, dass wir uns einfach mehr Zeit nehmen würden. Tja, und irgendwann nach meinem 16. Geburtstag - nach elendig vielen Anläufen - hatten wir das erste Mal Sex. Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie verwirrt ich von meinen Gefühlen war: Glück mischte sich mit Ekel, Schuld mit dem Nachhall meines Orgasmus. Ich war in die Dusche geflüchtet und hatte mich abgeschrubbt. Doch von da an wurde es besser und nach zwei Monaten genoss ich es mit Emon Sex zu haben. Mit Kais Hilfe waren die ganzen Widersprüche verschwunden. Und dann endete unsere Beziehung. Emon machte seinen Abschluss und wechselte an eine Uni in Tokyo. Aber vor allem meinte er damals zu mir, dass ich meinem Herz folgen müsse. Er hatte gemerkt, dass ich Gefühle für Seto hatte. Doch er war mir deswegen nicht böse, hatte er mir schließlich in einem Brief geschrieben. Er hätte sich nur gewünscht, dass er eine Chance auf eine dauerhafte Beziehung mit mir gehabt hätte.
 

Dass ich Emons große Liebe gewesen war hätte ich damals nie auch nur zu glauben gewagt. Klar, wir hatten was für einander empfunden, sonst wären wir ja nicht zusammen gekommen. Aber dass seine Gefühle so tief waren... das hatte mich enorm überrascht, als ich seinen letzten Brief an mich gelesen hatte.
 

Aber das Herz will, was das Herz begehrt. Und mein Herz begehrte vom ersten Moment an Seto. Ich dreh mich ein wenig und schmieg mich etwas enger an meinen Drachen. Lege meinen zweiten Arm auch um ihn. Ich hoffe inständig, dass Emon glücklich geworden ist, denn ich bin es. Mein Drachen macht mich mehr als nur glücklich. Er komplettiert mich in einer Art und Weise, die ich nie für möglich gehalten habe. Es ist ein wenig so, als wenn wir die zwei Hälften eines Ganzen sind.
 

Und ich habe nicht vor meine andere Hälfte jemals wieder zu verlieren.

Einen Schritt durch die Unsicherheit

Langsam lichtet sich die Schwärze um mich herum. Ich spüre Katsuyas Wärme und wie er mir sanft über den Rücken streicht. Wie ich das liebe, wenn er mir solche Zärtlichkeit zuteil werden lässt. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal so genießen kann. Sein Geruch umhüllt mich und ich atme ihn tief in mich ein. Dann öffne ich langsam meine Augen, lass meine obere Hand sanft über Katsuyas Brust streichen und ich höre sein wohliges Brummen.
 

Dann nehm ich diesen unterschwelligen Geruch, der in der Luft liegt, wahr. Sofort setz ich mich auf und bin hellwach. Katsuya rutscht eng hinter mich und schlingt seine Arme um meine Brust und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Fragt mich, was los ist. Ich sag ihm, dass ich mir nicht ganz sicher bin und erwähne den Geruch. Sanft meint mein Streuner, dass es vielleicht der After-Sex-Geruch sein könnte. Der bitte was? Mein Gesicht schwappt sofort zu ihm und dann erinnere ich mich: Wir hatten Sex.
 

Was als Massage begann wurde dann doch recht leidenschaftlich und plötzlich waren wir nackt und Katsuya saß auf meinem Schoss und bewegte sich. Mein Gesicht geht in Flammen auf. Wir... wir hatten richtigen Sex. Ich war in Katsuya. Ich spüre wie mein Herz mir bis zum Hals schlägt und allein die Vorstellung von ihm auf mir mich hart werden lässt. Das ist völlig unangebracht, maßregel ich mich gedanklich selbst.
 

Von meinem Streuner kommt mit einem sanftem Lächeln nur ein 'Aaah', als er sieht, dass ich mich erinnere. Drückt mir liebevoll einen Kuss auf die Wange und meint, dass es nichts gibt, was mir peinlich sein muss. Weder vor ihm, noch vor andere, die möglicherweise etwas gehört haben. Das facht die Verlegenheit sofort mehr an und ist wenig hilfreich. Was meint Katsuya damit, dass andere etwas gehört haben? Waren... waren wir so laut?
 

Ich kram in meiner Erinnerung, wo alles irgendwie noch verschwommen ist. Plötzlich dröhnt ein lautes, erfülltes, erregtes, ekstatisches Keuchen durch meinen Schädel. Himmel, ich war völlig hemmungslos und in dem Moment war es mir scheißegal, dass man uns hören könnte. Ich schlag die Hände vor mein Gesicht. Die Heimfahrt kann ich mir in die Haare schmieren. Sicherlich werden sie die ganze Zeit mich anstarren oder mich löchern, wie es war.
 

Da spüre ich sanft die Lippen von Katsuya auf meiner Haut am Nacken. Dieser Kuss fegt alle meine Bedenken zur Seite und facht meine Härte weiter an. Nein. Nein, ich kann das jetzt nicht noch einmal. Nicht, solange der Kindergarten irgendwo im Haus ist. Ich rücke nach vorne weg und Katsuya muss amüsiert kichern, bevor er nachrückt. Doch ich hebe meine Hand und signalisiere klar, dass ich das im Moment nicht will. Sofort hält er inne und wahrt den Abstand.
 

Leise und beruhigend erklärt er mir, dass mir nichts peinlich sein muss. Meint, dass die anderen sicherlich nichts gehört haben. Immer waren die doch bei Musik unten noch am Pokern. Und so laut sei ich nun auch nicht gewesen. Aber meine Verlegenheit wird und wird einfach nicht besser. Dass mein Glied unter der Decke gerade salutiert macht es auch nicht einfacher.
 

Dann kommt mir noch etwas in den Sinn und mein Blick schnappt sofort zu Katsuya. Wie ein Trottel stotter ich mir einen zusammen, während ich versuche ihn zu fragen, ob er auch gekommen sei. Mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht schüttelt er nur den Kopf und meint, dass das aber voll okay sei. Voll okay? Will er mich verarschen? Wir... wir hatten Sex - das erste Mal wohlgemerkt - und er fand es so scheiße, dass er nicht mal gekommen ist.
 

Sofort verneint mein Streuner. Er fand es nicht scheiße. Ganz im Gegenteil. Es war angeblich eine seiner schönsten, sexuellen Erfahrungen überhaupt. Ja, klar... und weil es sooo schön war ist er nicht gekommen. Schon klar. Ich wende mich wieder beschämt ab und frage mich, was ich meinem geliebten Streuner da nur angetan habe. Katsuya rückt jetzt doch zu mir auf und legt eine Hand an meine Wange. Meint sanft, dass man nur selten gemeinsam kommt. Das es eigentlich mehr eine romantische Wunschvorstellung sei, die man oft in kleinen Geschichten präsentiert bekommt.
 

Da fällt mir wieder ein, dass er mir mal erzählt hat, dass er bereits Erfahrungen gemacht hat. Kommt daher sein Wissen. Wie ich wohl im Vergleich zu dem anderen gewesen war? Na ja, nicht wirklich gut, immerhin kam Katsuya ja nicht. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Immer wieder höre ich diese kleine Stimme in mir sagen, dass Katsuya bestimmt nie wieder Sex mit mir haben wird... womöglich sich sogar trennt, weil ich so schlecht gewesen bin.
 

Auf einmal spür ich Katsuyas Lippen auf den meinen. Wann ist er vor mich gekrabbelt? Ich starr ihn mit weit aufgerissenen Augen an, bevor ich beginne mich langsam zu entspannen und den Kuss zu erwidern. Meine Augen schließen sich langsam wieder. Eine Träne läuft mir über die Wange, bis sie auf Katsuyas Hand trifft, deren Daumen sie wegstreicht.
 

Als der Kuss endet legt Katsuya seine Stirn an meine und blickt mir mit seinen haselnussbraunen Augen tief in meine Augen. Sagt mir, wie wundervoll er es gestern Abend fand und das er dankbar dafür ist, dass ich ihm so sehr vertraue und mit ihm mein erstes, freiwilliges Mal erlebt habe. Flüstert mir zu, dass er es kaum erwarten kann, dass wir es wiederholen.
 

Die Verwirrung nimmt zu. Meint mein Streuner das wirklich alles ehrlich und ernst? Aber er ist doch nicht gekommen. Er grinst mich verlegen an und meint, manchmal sei das halt so. Aber beim nächsten Mal, verspricht er mir, wird er auch kommen. Mein Innerstes beruhigt sich langsam wieder. Die Angst, dass Katsuya mich verlassen könnte, verblasst allmählich.
 

Es wird ein nächstes Mal geben und bei diesem Gedanken hüpft mein Herz aufgeregt. Also vielleicht bin ich doch nicht so scheiße? Katsuya schüttelt nur sanft den Kopf und bekräftigt noch einmal, wie gut es ihm gefallen hat. Küsst mich noch einmal und legt dann seine Hand auf die Decke unter der mein Glied weiter fleißig stramm steht. Ich muss diese Militärallegorie irgendwie los werden.
 

Katsuya hilft mir zärtlich mit meinem Ständer, während wir uns langsam wieder hinlegen. Nach ein paar Minuten schlafft auch dieser endlich ab und ich fühle mich gleich viel wohler, während ich atemlos in Katsuya Arm liege, der mich sanft hält. Nach dieser halben Panikattacke fühle ich mich jetzt eigentlich richtig gut... bin glücklich... solange Katsuya bei mir ist.
 

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Einen Schritt, um sich auf den Heimweg zu machen

Wir sind gerade beim Einräumen der Autos. Die Golden Week ist leider so gut wie rum. Heute noch Wochenende und morgen schon wieder Montag und Schule. Mit diesem Gedanken schließe ich den Kofferraum von Otogis Auto. Da sehe ich Jou aus dem Haus kommen, schwer bepackt mit Setos Koffer und seiner Reisetasche. Ich eile zu ihm und nehme ihm die Reisetasche ab. Er ist dankbar für die helfende Hand und meint, dass Seto gerade noch Mokuba hilft dessen Koffer zuzubekommen.
 

Ich grinse nur und wink mit der Hand ab. Es ist schließlich kein Umstand meinem besten Freund beim Tragen zu helfen. Auch Jou lächelt mich an und wir verstauen die beiden Gepäckstücke in dem Auto, mit dem die anderen hier hoch gefahren wurden. Weiter vorne sehe ich den Fahrer, dessen Namen mir glatt entfallen ist. Egal. Als wir alles neben Ryous und Yugis Zeug verstaut haben setzen wir uns auf die Kofferraumschwelle.
 

Das war eine ereignisreiche Golden Week. Jou nickt nur und geht sich kurz durch die Haare. Dann frag ich ihn, ob Seto das alles so geplant hat. Mein Kumpel schaut mich fragend an. Weiß offensichtlich nicht, worauf ich mich beziehe. Na ja... die Offenbarung im Onsen... als Seto der Gruppe nicht nur seinen Rücken gezeigt hat, sondern auch den anderen von seiner Vergangenheit erzählt hat.
 

Etwas Stolzes liegt in Jous Lächeln als er den Kopf schüttelt. Verneint. Geplant war es nicht, meint er sanft zu mir und ich kann den Stolz aus seiner Stimme hören. Oh ja, ich bin auch stolz auf Seto. Er hatte sich damals, als er krank war, so schwer damit getan mich zu akzeptieren. Hatte sich mit Händen und Füßen gesträubt, als ich gefragt hatte, ob ich es Ryuji erzählen darf. Und dann... kaum anderthalb Wochen nach seiner Zustimmung öffnet er sich der gesamten Gruppe gegenüber.
 

Und dann will er in anderthalb Monaten, wenn die Sommerferien beginnen, mit der Polizei über alles reden. Einen dieser Kinderschänder anzeigen. Das wird sicher eine schwere Zeit für ihn. Vor allem... kann ich seine Angst vor der Presse und der Öffentlichkeit verstehen. Er ist immerhin der jüngste und erfolgreichste Geschäftsmann Japans. Zählt auf manchen Gebieten als Genie. Wunderkind.
 

Dann schau ich entsetzt Jou an und er erwidert den Blick fragend. Wenn Seto das alles öffentlich machen wird, könnte das Jugendamt... ihm nicht Mokuba wegnehmen? Doch der Blonde schüttelt nur den Kopf und lächelt sanft. Beugt sich zu mir und erzählt mir, dass Seto die Vormundschaft für sich und Mokuba Isono übertragen hat. Und dem kann das Jugendamt diese nicht einfach so entziehen. Immerhin ist Isono seit ihrer Adoption eine wichtige Bezugsperson.
 

Mir fällt ein Stein vom Herz. Der Gedanke, dass ein kurzsichtiges Amt die Brüder auseinanderreisen würden hat mich wirklich gerade geängstigt. Und dann kommt mir die Knülleridee, die ich sofort Jou unterbreite: Wie wär es, wenn wir den Sommer hier verbringen würden? Dann könnte sich die Welt ihr Lästermaul zerreißen und Seto wäre hier vor all dem Dreck geschützt.
 

Doch Jou schüttelt wieder den Kopf und sieht etwas belämmert aus. Das geht nicht, meint er leise zu mir. Aber warum nicht? Da erklärt mir Jou, dass es mit einer Aussage nicht getan ist. Seto muss erst eine umfassende Aussage machen und Anzeige erstatten. Dann wird die Polizei aktiv, die dann den Kinderschänder verhaften und sein Haus nochmals durchsuchen darf.
 

Schließlich muss Seto immer wieder alles erzählen. Vor allem die Staatsanwaltschaft würde das bestimmt ein dutzend Mal mit ihm durchgehen, damit Seto das vor Gericht - falls der Kinderschänder nicht geständig wäre und damit sei nun mal nicht zu rechnen - ebenfalls noch einmal wiederholen kann. Und dann hätte der Anwalt des Kinderschänders ein Anrecht auf ein Kreuzverhör.
 

Jetzt geh ich mir fahrig an der Seite meiner Frisur entlang und schnaufe erschöpft. Wenn mich das schon in der Theorie erschöpft, wie schwer und kräftezehrend wird es dann erst für Seto? In dem Moment seh ich Seto und Mokuba aus dem Haus kommen, dabei trägt Seto einen Koffer... und eine Reisetasche? Sie kommen zu uns und wir stehen auf. Sofort nimmt Jou Seto den Koffer ab und verstaut ihn.
 

Dann erklärt Seto, dass sein kleiner Bruder leider eine weitere Tasche - die dieser zufällig im Koffer hatte - für seine Klamotten gebraucht hat. Er wüsste aber nicht wo und wie sich die Klamotten des Kleinen vermehren konnte. Wir kichern alle und Mokuba schaut etwas verlegen in die Runde, bevor er mault, dass er nun mal nicht immer in den gleichen Klamotten rumrennen kann, wie sein großer Bruder, der modisch eine Vollkatastrophe wäre. Schließlich findet auch die Reisetasche ihren Platz im Auto.
 

Seto meint, er würde noch einmal einen Rundgang durch das Haus machen, ob alles soweit abgeschaltet, gesichert und sauber wäre. Dann verschwindet er wieder im Haus. Jou und ich setzen uns wieder auf die Kofferraumschwelle, auch wenn wir die Klappe eigentlich schließen könnten, da jetzt alles eingeladen ist.
 

Mokuba drängt sich plötzlich zwischen und legt ein Arm um Jou, während ich aus einer Flasche Wasser trinke. Dann fragt er meinen besten Freund so unverblümt, wie es dem Kleinen nun mal zu eigen ist, ob sie am gestrigen Abend Sex gehabt hätten. Ich filtere mein Mineralwasser durch die Nase und muss husten. Beide schauen mich plötzlich erschrocken an. Ich wink ab und signalisiere, dass alles okay sei. Dann schau ich interessiert zu Jou.
 

Jou grinst nur etwas verlegen, was kein deutlicheres 'Ja' sein könnte und auch Mokuba erkennt es als Antwort an, denn er beginnt auf einmal unheimlich vor Freude an zu kichern. Aufgeregt springt er auf und ab und fragt, wie es war... ob es Seto gefallen hat... ob alles gut gelaufen sei dabei... ob...
 

Ich unterbreche den Wirbelwind und mein, er könnte Jou ja mal antworten lassen. Sofort nickt er heftig und ich hab schon Angst, dass ihm gleich der Kopf von den Schultern rollt. Er hüft aufgeregt auf und ab. Man, was für ein energiegeladenes Bündel. Doch Jou meint nur, dass ein Gentleman genießt und schweigt.
 

Von Mokuba kommt ein ungläubiges und entsetztes 'Was' und Jou meint sanft, dass das 'Wie bitte' heißen müsste. Mokuba steht vor lauter Neugierde tierisch unter Dampf und will Details hören. Doch Jou schüttelt nur den Kopf und meint, dass Mokuba sich mit seinen Fragen an dessen Bruder wenden soll. Voller Unmut zischt Mokuba schließlich ab. Ich bezweifle ja, dass er wirklich Seto danach fragen wird.
 

Doch ich lass mich nicht so leicht abwimmeln. Sanft stoß ich mit meinem Ellenbogen in Jous Seite und grinse verstohlen. Doch er nimmt mir nur die kleine Wasserflasche aus der Hand, meint, mir wird er auch nichts dazu sagen und nimmt einen Schluck aus der Flasche. Ich zieh meine Stirn kraus als Ryuji zu uns kommt. Er nimmt Jou die Wasserflasche ab und nimmt einen Schluck. Als er geschluckt hat fragt er Jou nur, ob mit dem Tipp alles gut gelaufen sei. Jou nickt nur und dankte Ryuji dafür. Tipp? Was für einen Tipp? Beide schauen mich an, grinsen kurz und winken dann ab. Was läuft'n hier?
 

Seto kommt aus dem Haus, sperrt die Tür sorgfältig ab und ruft dann alle dazu auf ins Auto zu steigen. Ryuji nimmt mich an der Hand und zieht mich zu seinem Auto, während ich immer noch fragend zu Jou blicke, der aufsteht, die Heckklappe schließt und zu den anderen geht, um einzusteigen.
 

Ich schaue streng Ryuji an und meine nur zu ihm, dass wenn er mir auf der Fahrt das jetzt nicht erklärt, er eine ziemlich lange Durststrecke vor sich haben wird. Ryuji blickt mich entgeistert an und versucht zu ergründen, ob ich das ernst meine und ich grinse.

Einen Schritt weiter auf Keizo zu

Katsuya und ich sind gerade dabei unser Reisegepäck aufzumachen und auszusortieren. Wir sind kaum eine halbe Stunde zu Hause, aber Katsuya wollte die lästigen Pflichten sofort angehen. Löblich, wie ich finde. Ich hätte die Tasche jetzt einfach stehen gelassen bis morgen unsere Haushälterin sie sich holen würde. Doch Katsuya findet, dass wäre zu bequem und etwas mehr Eigenverantwortung würde Mokuba und mir nicht schaden.
 

Als die Klingel durch die offenen Zimmertüren zu hören ist, denk ich sofort an den Kindergarten. Sicherlich hat einer der Jungs etwas vergessen und ist noch mal zurück gekommen, um es zu holen. Ich drücke Katsuya noch einmal einen Kuss auf und verlasse das Zimmer schließlich, um ins Erdgeschoss hinunter zu steigen und zu sehen, welcher Schussel uns beehrt.
 

Doch als ich die Tür öffne blicke ich völlig baff Kei ins Gesicht, der mich freundlich lächelnd grüßt und sich an mir vorbei schiebt. Erst als ich seine Trainingstasche sehe wird mir bewusst, dass wir ja Sonntag haben und er wegen dem Training hier ist. Letzte Woche hatte ich ihm abgesagt gehabt, weil wir ja schon Freitag davor losgefahren waren. Aber an heute habe ich gar nicht mehr gedacht.
 

Kei ist nicht dumm und merkt mir meine Überraschung an. Er fragt, ob er wieder gehen soll, doch da kommt vom Treppenabsatz oben ein freudiges Quicken und als wir nach oben schauen, sehen wir gerade noch Mokuba wegrennen. Dann dringt auch schon seine Stimme durch das ganze Haus, als er im Rennen nach Katsuya ruft, um ihm lautstark mitzuteilen, dass Kei da ist.
 

Ich denke, dass mit dem Ausfallen lassen hat sich erübrigt. Kei lächelt nur wieder breit und ich frag ihn, wo denn seine Frau ist. Da erzählt er mir, dass ihr Kind heute etwas Fieber hat und sie deswegen daheim geblieben ist. Ich nicke nur. Hoffentlich ist es nichts Ernstes. Daher frag ich, ob sie einen guten Kinderarzt haben. Kei lächelt dankbar und meint, dass sie Bestens versorgt sind. Ich nicke wieder nur.
 

Da kommt auch schon Mokuba wieder zurück gehetzt. Er hat seine Trainingsklamotten an und rennt die Treppe hinunter. Dann scheucht mein Bruder mich nach oben, ich soll mich gefälligst umziehen gehen und nicht trödeln. Also überlasse ich Mokuba Kei und steige die Treppe hinauf. Als ich bei uns im Zimmer ankomme sehe ich, dass Katsuya sich bereits umgezogen hat. Er möchte auf mich warten, doch ich schick ihn nur vor.
 

Als ich zehn Minuten später in den Trainingsraum komme seh ich, dass alle bei den Aufwärmübungen sind. Also gesell ich mich zu ihnen und wärm mich auch auf. Dann beginnt unser Training und wir wiederholen das, was wir bislang gelernt haben. Erst jetzt spür ich, dass die Golden Week rein körperlich echt gut gewesen war.
 

Dann zeigt uns Kei etwas neues, dass wir dann in endlosen Wiederholungen üben, bis es schließlich bei Mokuba und Katsuya sitzt. Gelegentlich legt Kei Hand an einen der beide an und korrigiert die Haltung oder die Bewegung etwas. Bei mir will die Bewegung nicht sitzen. Kei läuft um mich herum und versucht mir hier und da zu sagen, was ich besser machen soll. Doch das ist wenig effektiv, also sag ich ihm, er soll einfach meine Haltung korrigieren, wo er es für notwendig hält.
 

Ursprünglich hat Kei seine Frau mit zum Training gebracht, weil ich mich von ihm nicht berühren lassen wollte. Daher schaut er mich etwas überrascht an und tritt einen Schritt auf mich zu. Fragt, ob das wirklich okay sei. Ich nicke. Immerhin haben wir doch auch schon den einen Wurf gemeinsam geübt.
 

Keizo zögert kurz und merkt an, dass das aber vor Daimons Versuch war. Doch ich schüttle nur den Kopf und sag ihm, dass alles gut sei und er mein Trainer wäre, er sich also nicht länger zurück halten soll. Er nickt und ich seh ihm an, wie er sich gerade wünscht, dass seine Frau da wäre. Sicherlich fürchtet er, dass ich erneut vor ihm zurück schrecken werde. Ich such seinen Blick und form mit den Lippen erneut die Worte, dass ich ihm vergeben habe.
 

Er bittet mich die Pose erneut einzunehmen und dann korrigiert er sie mit behutsamen Berührungen. Es ist komisch diese Berührungen zu spüren. Ein Teil von mir wäre vor ein paar Wochen noch völlig außer sich geraten. Doch seit ich ihm gesagt habe, dass ich ihm vergeben habe hat sich auch bei mir etwas geändert. Dieser Zwiespalt in mir bezüglich Kei ist verschwunden. Er hat viel auf sich genommen, um mir gewisse Dinge zu ersparen. Und das möchte ich einfach mehr gewichten, als das, zu dem diese Männer ihn gezwungen haben.
 

Auch Keizo ist überrascht davon, dass ich nicht zusammenzucke oder mich von ihm abwende, weil ich die Berührungen doch nicht ertrage. Er wird mir gegenüber etwas sicherer bei den Korrekturen und nach einer halben Stunde klappt die neue Bewegung auch bei mir zufriedenstellend.
 

Schließlich endet die Stunde und wir danken und verabschieden uns - als Schüler - von Keizo - als unser Lehrer. Keizo geht in den Waschraum, um sich umzuziehen. Mokuba eilt dann direkt davon, um duschen zu gehen. Katsuya wendet sich auch ab, bleibt dann aber stehen, als er merkt, dass ich verweile. Ich schau ihn sanft an und mein zu ihm, dass er schon einmal vorgehen soll. Er nickt und verlässt dann auch die Trainingshalle.
 

Nach einer viertel Stunde kommt Keizo aus dem Waschraum und ist überrascht mich zu sehen. Er schultert seine Tasche und kommt zu mir. Scheinbar erwartet er, dass ich etwas zu den Berührungen seinerseits sage, doch ich frag ihn, ob wir uns noch mal hinsetzen können. Er nickt und folgt mir dann ins Wohnzimmer. Wir setzen uns auf die Couch, jeweils an die unterschiedlichen Enden. Dann schau ich zu ihm auf.
 

Direkt und ohne Umschweifen erzähl ich Keizo, was ich am letzten Schultag vor den Sommerferien vor habe. Immerhin wird das auch ihn betreffen. Er lässt meine Worte lange auf sich wirken und fragt mich dann, ob ich das wirklich für eine gute Idee halte. Ich nicke nur. Habe lange drüber nachgedachte und alles geregelt, dass uns nichts geschehen kann.
 

Keizo blickt mich lange an und nickt dann. Meint, dass er hinter mir steht und mich unterstützt, egal was das für ihn bedeuten wird. Verwirrt blick ich ihn an, dann wird mir bewusst, was er meint. Ich stelle noch einmal klipp und klar fest, dass Kei für mich kein Täter ist und ich versuchen werde ihn komplett da raus zu halten.
 

Dann steht Kei auf und lächelt mich nur dankbar an, meint dann aber, dass Megumi mit dem Essen auf ihn wartet. Also bring ich ihn dann zur Tür. Ich will die Tür schon öffnen, als ich mich noch einmal zu ihm wende. Überrascht schaut er mich an und ich seh, wie er sich fragt, was ich nun wieder vorhabe. Das ist eine gute Frage und erst nach einem Moment wird mir selbst bewusst, dass ich das Bedürfnis habe, mich bei ihm noch einmal zu bedanken.
 

Als verbeug ich mich respektvoll vor ihm. Nur kurz. Dann lass ich den völlig verwunderten Kei gehen.

Einen Schritt der erneuten Veränderung

Ich weiß nicht, ob es am Muskelkater liegt oder daran, dass wir eine Woche frei hatten, aber dieser Montag ist mir schwer gefallen. Jedenfalls am Morgen aufzustehen, duschen zu gehen, sich für die Schule fertig zu machen und dann zu ihr zu gehen. Wäre Seto nicht gewesen wäre ich wohl liegen geblieben.
 

Schon erstaunlich, wie man verweichlicht, wenn man mal sechs Monate lang nicht mehr gezwungen ist in aller Früh' aufzustehen, um Zeitungen auszutragen und bis weit in die Nacht in irgendeinem Restaurant für den halben Mindestlohn Teller abzuwaschen. Nein, ich darf mich wirklich nicht beklagen. Mein Leben hat sich enorm verändert und verbessert:
 

Mein Dad hat einen Entzug gemacht, hat seinen Tremor in Angriff genommen und beseitigen lassen und hat seitdem einen festen Job. Alles dank meinem Drachen. Meinem Drachen, der sich auch enorm entwickelt hat. Der seine Vergangenheit angepackt hat und nun auf dem besten Weg ist sie zu bewältigen. Ich kann gar nicht stolzer sein.
 

Gerade als der Wagen, der von Fuguta gesteuert wird, die Auffahrt hochrollt sehen wir, dass da bereits ein Auto steht, dessen Kofferraum weit offen steht. Auch die Haustür steht weit offen. Was ist hier los? Dann seh ich Isono aus dem Haus kommen. Er trägt - wie immer - einen Anzug. Warum ist er nicht in der Firma? Doch die Frage stellt sich hinten an, denn er geht zum Kofferraum und holt eine Kiste heraus. Als er sich umdreht sieht er uns und lächelt etwas, während er die Kiste auf seinem Knie abstellt und mit der freiwerdenden Hand winkt. Dann trägt er die Kiste in die Villa.
 

Fragend blicke ich zu Seto, der nur schmunzelnd neben mir sitzt, in alter Manier die Arme vor der Brust verschränkt hat und so tut, als wäre gar nichts. Der Wagen bleibt stehen und wir steigen aus. Bedanken uns bei Fuguta fürs Abholen und Fahren - wie jeden Tag -, der daraufhin wendet und den Wagen in die Garage fährt.
 

Da kommt Isono erneut aus dem Haus gelaufen und geht zu dem Kofferraum. Wir schließen zu ihm auf und begrüßen ihn freundlich. Dann frag ich ihn, was er um die Zeit hier tut. Als Antwort bekomme ich nur ein 'schon ein paar Kisten herbringen'. Verwirrt seh ich ihn an und er stockt. Dann schaut er zu Seto und stemmt seine Hände in die Seite.
 

Seto grinst wie ein Spitzbube und meint, dass Isono heute einzieht. Einzieht? Wie einzieht? Wo einzieht? Warum einzieht? Mein Drache deutet mit einem Blick nur auf die Villa. Okay, das war das Wo, aber das Warum steht immer noch offen. Doch da hakt schon Isono ein: Es geht um die Vormundschaft, die er für Mokuba, als auch für Seto übernommen habe. Damit das Amt das auch nicht anzweifelt haben Seto und er beschlossen, dass er hier einzieht.
 

Da macht es endlich Klick bei mir und ich lächle. Ich beug mich zum Kofferraum und greif nach einer der Kisten, bevor ich frage wohin damit. Er sagt in sein Zimmer im Erdgeschoss, doch Seto wiegelt sofort ab. Das kommt gar nicht in Frage, wirft mein Drache plötzlich ungehalten ein. Die Räume im Erdgeschoss sind ausschließlich für Bedienstete.
 

Isonos Anspannung, die schlagartig da war, als Seto seine Zimmerwahl ablehnte, blickt nun wieder etwas entspannter zu ihm. Meint, dass das schon okay sei. Doch wieder schüttelt Seto den Kopf und sagt Isono, dass er sich oben eines der Zimmer aussuchen soll. Er kann jedes freie Zimmer haben, außer sein altes oder das des alten Kaiba.
 

Also wählt Isono das erste Zimmer nach der Treppe. Scherzt, dass er da dann gut hören kann, wenn einer der Jungs sich nachts wegschleichen möchte. Dann lacht der sonst so reservierte Mann. Ich glaube sogar, dass es das erste Mal ist, dass ich Isono lachen sehe. Wir holen dann auch noch nach und nach die bereits rein getragenen Kisten wieder aus seinem bisherigen Zimmer und tragen diese die Treppe hinauf. Am Ende bedankt sich Isono bei mir, wobei mir auffällt, dass er mich immer noch bei meinem Familiennamen nennt. Also sag ich ihm, dass er ruhig auch Katsuya sagen darf. Verblüfft schaut er mich an, dann lächelt er und verbeugt sich vor mir. Als er sich wieder aufrichtet meint er, dass ich ihn dann im Gegenzug Akito nennen soll.
 

Akito? Hä? Dann fällt auch in diesem Punkt der Groschen bei mir: Das ist Isonos Vorname. Mental klatsch ich mir voll gegen die Stirn. Natürlich hat Isono auch einen Vornamen. Wieso überrascht mich das jetzt so vollkommen? Als ich ihn anlächeln möchte seh ich, dass er mich relativ besorgt mustert. Ich frag ihn, ob alles in Ordnung ist und er erwidert nur, dass er mich das fragen wollte. Erst jetzt wird mir bewusst, dass der Stirnklatscher gar nicht so mental war, wie ich dachte.
 

Verlegen grins ich Iso... Akito an und winke ab. Mein nur, dass ich einen dicken Schädel hab und mir sowas nichts ausmacht. Er nickt nur und erwidert das Lächeln reservierter. Langsam dreh ich mich um und geh in Richtung unseres Schlafzimmers. Jetzt ist es amtlich, Iso... - verdammt - Akito hält mich für gänzlich bescheuert.
 

Im Schlafzimmer setz ich mich in eine Ecke, schlag mir die Hände vor das Gesicht und stöhn genervt auf. Durch die Spalten meiner Finger seh ich, wie mein Drache seinen Kopf aus dem Bad reckt und mich verwundert anschaut. Dann kommt er in Unterwäsche zu mir, kniet sich vor mich und fragt, was ich habe. Ich sag nur, dass ich gerade mal wieder demonstriert habe, was für ein Trottel ich bin.
 

Seto schmunzelt mich an, meint zu mir, dass er das nicht glaubt und selbst wenn ich ein Trottel bin, ich sein Trottel bin, den er über alles liebt. Ich blick erstaunt hoch und seh einen Drachen mit geröteten Wangen, der mich voller Liebe anblickt und schmunzelt. Dieser Anblick... ich zieh ihn sofort zu mir und küsse ihn leidenschaftlich. Wenn es nicht noch mitten am Tag wäre, dann würde ich ihn mit mir zum Bett ziehen und...
 

In dem Moment zieht mich Seto auf meine Füße und zum Bett weiter. Auf dem Weg schiebt er mir eilig meine Schuluniformsjacke über die Schultern und knöpfte hastig mein Hemd auf. Okay, ich wollte wenigstens etwas Anstand an den Tag legen, aber spätestens jetzt verabschiedet sich der Rest davon und ich tu es meinem Drachen gleich, nur um Minuten später auf seinem Schoss zu sitzen und mich mit ihm eins zu fühlen.

Einen Schritt, der mit der Realität konfrontiert

Ich habe Kai schon lange nicht mehr so sprachlos gesehen. Er versucht professionell neutral zu bleiben, doch ich kenn ihn schon lange und seh ihm an, dass er nicht begeistert ist. Seto und ich sitzen ihm im Wintergarten wie immer gegenüber und mein Drache hat ihm gerade eröffnet, dass er in ein paar Wochen am letzten Tag vor den Sommerferien bei Detective Nagasato eine Aussage zu Daimon Kogoro machen wird.
 

Der Rothaarige muss sich etwas räuspern, bevor er fragt, wie Seto zu diesem Entschluss gekommen sei. Seto schlägt ein Bein über das andere und bettet seine Hand auf das Knie, während die Finger der anderen Hand mit meinen verschränkt sind. Er versucht den Blick zu Kai zu halten und wirkt seit langem wieder etwas mehr wie früher, bevor seine Fassade zusammen gebrochen ist. Seine Ruhe ist schon fast etwas beängstigend, die er gerade demonstriert. Doch ich spüre, wie seine Hand schweißnass wird.
 

Seto beantwortet Kais Frage damit, dass die Polizistin Recht hat: Er ist in Bezug auf diesen Mistkerl - natürlich sagt Seto nicht Mistkerl, wäre schließlich unter seinem Niveau - unbestechlich. Der Scheißkerl - auch nicht Setos Wortwahl, sondern meine - kann sein Schweigen nicht erkaufen. Und er trüge eine Verantwortung gegenüber potentiellen Opfern, dass dieser Widerling - wieder meine Ausdrucksweise - endlich aus dem Verkehr gezogen wird.
 

Lange mustert Kai meinen Drachen. Behutsam setzt er schließlich an und sagt, dass Seto in dieser Angelegenheit in erster Linie alleine sich selbst verantwortlich ist. Niemandem sonst. Er gibt zu bedenken, dass Seto bei seiner Aussage alles erzählen muss. Aus den ganzen fünf Jahren. Jedes Detail. Und das nicht nur für die Erlebnisse alleine mit diesem Täter. Es gab immerhin einige Erlebnisse, da waren neben dem Besagten auch andere beteiligt. Seto wird alles offen legen müssen.
 

Besorgt schau ich zu meinem Drachen. Ich weiß, dass er stark ist, aber er verarbeitet seine Vergangenheit gerade mal ein paar Monate und noch kratzen Kai und er nur an der Oberfläche. Schon damit tut sich mein Drache immer mal wieder extrem schwer. Oder wenn er einen heftigen Albtraum hat... dann kann er manchmal kaum mit mir über den Inhalt sprechen.
 

Doch scheinbar beunruhig das Seto überhaupt nicht. Dann eröffnet er Kai und mir, warum ihn das nicht beunruhigt: Gozaburo war ein Kontrollfreak. Er hat alles - wirklich ALLES - aufgezeichnet. Es gibt hunderte - wenn nicht tausende - Fotografien, fein säuberlich sortiert in zahllosen Fotokästen. Listen, auf denen alle Namen stehen, die sich jemals in diesen Kreisen bewegt haben und straffällig geworden sind. Mit allen Gefälligkeiten und Gegenleistungen.
 

Seto spricht von dem Missbrauch und den Vergewaltigungen, die er erlebt hat, so distanziert und sachlich, als würde das alles ihn gar nicht betreffen. Das mehrt die Sorge von Kai nur, dass seh ich ihm an. Er legt sogar seine Stirn in Falten. Etwas, was er sonst immer sorgfältig zu vermeiden sucht, denn man könnte es als Patient missinterpretierten.
 

Als Kai fragt, ob sie erst gemeinsam diese Aufnahmen, sei es Videos oder Fotografien, sichten können verneint Seto ohne Zögern. Auf die Nachfrage, warum nicht, gerät Seto ins Straucheln. Meint schließlich aber, dass sie für die Aufarbeitung nicht relevant sind.
 

Jetzt blick ich ihn völlig entgeistert an. Nicht relevant? Für die Aufarbeitung seiner Erlebnisse? Bilder und Videos, die genau das thematisieren? Mein Drache blickt mich nur ruhig an und dann seh ich die Scham in seinen Augen. Ich kann mich noch gut an seine Reaktion erinnern, als ich das Schlafzimmer von seinem Adoptivvater gefunden habe... Die Gegenstände darin... die Überwachungsanlage... die Videos... Bilder... Es hat ihn dazu getrieben barfuß durch den Wald davon zu laufen.
 

Er möchte nicht, dass wir dieses Material sehen, weil er unsere Reaktionen fürchtet. Das wir ihn dann mit anderen Augen sehen werden. Unser Verhalten sich ändern könnte. Diese Furcht ist nicht ganz unberechtigt. Es ist eine Sache von etwas erzählt zu bekommen, eine ganz andere sie auch wirklich zu sehen oder zu erleben. Vorsichtig leg ich seine Hand, die mit meiner verschränkt ist, in meine andere Hand und lege meinen Arm um seine Schultern.
 

Doch Kai ist nach wie vor nicht begeistert. Mit der Übergabe dieses Bildmaterials sei es nicht getan, meint er in einem besorgten Unterton. Er weiß von was er spricht, immerhin hat er schon mit einigen seiner Patienten bei dem Weg zur Anzeige, durch die Untersuchungen, hin zur Anklage und durch den Prozess begleitet. Vorsichtig schildert er Seto die Abläufe. Die ständigen Wiederholungen. Erzählt von den Gefahren, wenn Seto Material vorenthält oder möglicherweise bearbeitet, um andere Opfer unkenntlich zu machen und Daimon das Material mit seinen eigenen 'Andenken' ergänzt, nur um Seto eines auszuwischen. Damit spielt er auf Keizo an.
 

Setos Fassade bekommt langsam Risse. Er beißt sich kurz auf die Unterlippe, bevor er sich fängt und Kai sagt, dass er das alles bedacht hat. Deshalb habe er Isono die Vormundschaft von Mokuba übertragen, genauso wie seine eigene. Er habe auch schon mit Kei darüber gesprochen, ebenso habe er unsere Freunde - er sagt wirklich UNSERE - in Kenntnis gesetzt. In Kenntnis gesetzt... als ob es um eine Bekanntmachung eines neuen Turniers oder so etwas gehen würde.
 

Dann meint Kai mit etwas mehr Strenge in der Stimme, dass Distanzierung keine Lösung sei und diese Vermeidungstaktik Seto nicht da durch helfen wird. Ich kann ein seichtes Zittern in seiner Hand spüren. Kai fügt hinzu, dass er Seto bei allem was er entscheidet begleiten und unterstützen wird, aber dazu gehört eben auch die Aufarbeitung all dieser Erlebnisse, die Seto so leichtfertig der Polizei in Bild und Ton übergeben möchte.
 

Auf einmal braust mein Drache auf und erinnert einmal mehr daran, warum er diesen Spitzname trägt. Er faucht Kai an, warum dieser es ihm so schwer macht, immerhin würde er doch nur versuchen das Richtige zu tun. Kai lässt den Drachenodem über sich hinweg ziehen, bleibt ruhig und blickt Seto ungerührt an. Als Seto auf eine Antwort wartet erklärt Kai gelassen, dass das Richtige aus den falschen Gründen zu tun falsch ist. Das facht Setos Rage erst recht an. Schreiend fragt er Kai, ob er dieses Monster - diesmal seine Wortwahl - einfach weiter Unheil verbreiten lassen soll, nur weil er 'noch nicht so weit ist'?
 

Der Rothaarige bittet ihn sich etwas zu beruhigen und sich wieder hinzusetzen. Vorsichtig zieh ich Seto an dessen Hand, die ich noch immer halte. Seto fällt es unglaublich schwer sich jetzt wieder hinzusetzen. Hinfort sind die Ruhe, die Kontrolle und die Beherrschung. Dann erklärt Kai, dass es von Detective Nagasato nicht richtig war Seto diese Bürde aufzuerlegen. Vor allem nicht, da sie erst am Anfang der Aufarbeitung stehen und Seto noch so viel nicht angegangen ist.
 

Plötzlich meint Seto, dass sie ja noch ein paar Wochen Zeit haben und das alles angehen können. Verblüfft blickt Kai ihn an und weiß wieder nicht, was er darauf erwidern soll. Auch ich bin etwas baff, denn diese Reaktion zeigt deutlich, dass Seto sich nicht darüber bewusst ist, wie langwierig so ein Entwicklungsprozess sein kann. Wie viel Schmerz dieser aufwühlen wird und dass man so etwas nicht im Eiltempo absolvieren kann.
 

Dann blickt Seto mich verzweifelt an und meint nur, dass er Kogoro nicht einfach weiter machen lassen kann. Sanft zieh ich ihn zu mir, so dass er sich an mich lehnen kann und ich ihm liebevoll über Kopf, Nacken und Rücken streicheln kann. Wir werden uns etwas einfallen lassen.

Einen Schritt, um sich im Kreis zu drehen

Seit ich mich von diesen ... Monstern befreit habe, habe ich nichts mehr gewollt, als alles, was sie mir angetan und mir genommen haben, zu vergessen. Genauso ging es mir, als diese Nagasato hier auftauchte und mir dieses wirklich alte Foto von mir zeigte. Ich weiß noch, dass ich zusammengesackt bin und nur Katsuya zu verdanken hatte, nicht auf den kalten Steinboden gefallen zu sein. Danach hat Kai mich ins Wohnzimmer bringen lassen.
 

Sie wollte eine Aussage zu diesem und anderen Fotos, die sie bei einer Hausdurchsuchung bei Kogoro gefunden hatten. Diese Fotos sind dann aber wohl irgendwie verschwunden. Also gibt es nichts, wozu ich eine Aussage machen kann. Dennoch bat sie mich wiederholt, mit ihr zu sprechen, bis Isono das geregelt hatte. Danach hat sie sich nicht mehr bei mir direkt gemeldet.
 

Jetzt... will ich ihr helfen dieses Monster aus dem Verkehr zu ziehen und Kai... Nein... ich muss ihm dankbar sein. Er hat einige Dinge aufgeworfen, die ich nicht bedacht habe. Und allein das zeigt doch, dass ich nicht in der besten Verfassung bin. In der Verfassung irgendetwas zu entscheiden.
 

Ich dachte, wenn ich Detective Nagasato einige der Aufzeichnungen und Kopien der Bilder überlasse wäre das genug Munition, damit sie Kogoro abschießen kann. Doch wenn so ein hochrangiger Mann der Domino City-Gesellschaft vor Gericht kommt, dann wird das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wecken.
 

Natürlich ist mir bewusst, dass dort, wo Menschen involviert sind auch Lecks entstehen können. Jeder ist käuflich und hat einen Preis. Kurz halte ich inne und korrigiere mich: Fast jeder ist käuflich und hat einen Preis. Aber jene, die es nicht sind, sind selten und davon hab ich gleich eine Handvoll in meinem Umfeld. Also wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Glückssträhne weiterhin anhalten wird? Das weder bei der Polizei, noch bei Gericht jemand ist, der meine Aufnahme und Bilder an die Presse rausgibt? Sicher hab ich damit gerechnet, aber scheinbar nicht mit allen Konsequenzen.
 

Der Monitor meines Heimcomputers ist an, also geh ich zu meinem Schreibtisch, setz mich an die Tastatur und beginne eine Recherche. Ich kann nicht glauben, dass bei eindeutigen Fällen die... Leidtragenden irgendwie beschuldigt oder sogar angegangen werden. Doch schon nach wenigen Minuten stell ich fest, dass dieser Glaube mehr als naiv ist.
 

Mehrere Fälle der vergangenen Jahrzehnte geh ich durch und stell fest, dass die Betroffenen sich mit ihrer Anzeige und ihren Aussagen angreifbar machten. Ihrem Wort wurde nicht geglaubt, sie wurden der Lüge bezichtigt. Manche schrecken nicht mal davor zurück zu sagen, dass die Geschädigten das alles inszeniert haben, um sich in den Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Um Geld damit zu machen.
 

Scheinbar spielt bei solchen Meinungen und Berichten das Alter der Ankläger zum Tatzeitpunkt gar keine Rolle. Selbst wenn sie noch Kinder waren wird ihnen unterstellt, dass sie kokettiert und den Täter verführt haben. KINDER. ERWACHSENE. VERFÜHRT?
 

Geschockt lass ich mich nach hinten gegen die Lehne meines Chefsessels fallen. Schlage mir geschockt die Hand vor den Mund. Bei den Fällen, die ich bis jetzt recherchiert habe waren alle Leidtragenden vorher nicht medial bekannt gewesen. Erst durch ihr Verschwinden oder durch ihr Auftauchen und ihre Anzeige wurden sie in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.
 

Ich bin seit Jahren medial präsent. Wunderkind. Genie. Jungunternehmer. Gewissenlos. Kaltherzig. Gnadenlos. Unbarmherzig. Das sind nur einige Worte, mit denen ich immer wieder bedacht werde. Was für Worte würde man wohl nach einer Offenlegung meiner Vergangenheit für mich finden?
 

Bislang hab ich mich davor gefürchtet, dass man mich als Opfer bezeichnen oder traumatisiert nennen würde. Das mich das Mitleid der Menschen umspülen und drohen würde, mich zu ersäufen. Hatte Angst davor, dass das Jugendamt versucht mir Mokuba wegzunehmen oder eine psychologische Untersuchung fordern könnte. Oder irgendetwas in der Art. Aber... das man mir unterstellen könnte, dass ich das alles gewollt und provoziert habe...
 

Die Übelkeit kommt so schnell und überraschend, dass sie mich fast lähmt. Ich springe auf, stürze in meinen Waschraum und übergebe mich in das Waschbecken. Für die Toilette reicht es einfach nicht mehr. Die Galle brennt in meiner Speiseröhre und ich hasse ihren bitteren Geschmack auf der Zunge. Dennoch kann ich dem Drang nichts entgegen setzen.
 

Doch ich kann ihn nicht einfach weitermachen lassen. Er hat schon so viele Leben zerstört. Jemand muss ihn aufhalten und wie hat Nagasato gesagt: Ich bin die einzige Hoffnung für sie Kogoro endlich wegschließen zu können. Aber um welchen Preis? Oder ist es meine Pflicht mich zu opfern, damit er nie wieder jemanden das antun kann, was er mit mir so oft gemacht hat?
 

Meine Beine geben nach und ich sacke vor dem Waschtisch zu Boden. Etwas tropft zwischen meinen Beine auf die Fliesen. Da wird mir erst bewusst, dass ich weine. Spüre, wie der Sturm in mir mich längst mitreist. Umher schleudert. Ich will nicht, dass jeder von mir und meinem Weg erfährt. Aber ich will auch nicht, dass Kogoro weiter macht. Will nicht für noch mehr Leid verantwortlich sein, weil ich etwas tun kann und es nicht tue. Doch dann muss ich über alles reden. Alles.
 

Ich lege mir meine zitternde Hand über die Augen und versuche meine Lippen so fest aufeinander zu pressen, damit ich nicht schluchze. Es liegt in meinen Händen ihn aufzuhalten. Wenn ich nichts tue, wird er weiter machen.
 

Auf einmal spüre ich eine Wärme, die mich umfängt. Als ich zwischen den Fingern über meinen Augen durchschaue sehe ich die besorgten Gesichter von Katsuya, Mokuba und Isono. Ich klammere mich an Katsuya und dann hör ich ein herzzerreißendes Schluchzen ohne zu erkennen, dass es mein eigenes ist. Fest zieht er mich an sich und hält mich sicher in seinen Armen, während Mokuba und Isono mich von hinten fest umarmen.
 

Immer wieder kreisen meine Gedanken darum, dass ich nicht öffentlich dazu stehen möchte, was ich fünf lange Jahre erlebt habe. Aber diesem folgt sofort der Gedanke, dass jedes weitere Opfer Kogoro dann auf meine Rechnung geht. Was soll ich nur tun?

Einen Schritt über eine Grenze hinweg

Ich stehe neben Setos Bett und schaue auf mein Mündel, welches ruhig in dem Bett liegt. Das Beruhigungsmittel scheint endlich seinen Dienst zu tun und Seto die Ruhe zu verschaffen, die er selbst nicht mehr gefunden hat, nachdem er sich in seinen Zwiespalt gesteigert hat. Eine letzte, verlorene Träne löst sich aus seinem geschlossenen Auge und rinnt ihm über die Wange. Ich wische sie vorsichtig weg, bevor ich eine lose Strähne aus seiner Stirn hinter das Ohr streiche.
 

Dann blicke ich zu Katsuya und lächle ihn aufbauend an, auch wenn ich mich selbst gar nicht so fühle. Dennoch liegt es nun mal bei mir den jungen Leuten irgendwie zu versichern, dass alles wieder gut werden wird. Der Blonde lächelt zu mir zurück, bevor er sich vorsichtig neben Seto ins Bett legt, diesen sanft zu sich in seine Arme zieht und dann beginnt ihn liebevoll zu streicheln und zu kraulen.
 

Es macht mich wahnsinnig glücklich, dass Seto jemand wie Katsuya gefunden hat, der unablässig an seiner Seite ist und auf ihn Acht gibt. Der ihn führt und leider aus eigener Erfahrung oft genau weiß, wie Seto sich fühlt. Aber dadurch weiß er auch immer genau, was mein Mündel braucht. Was er wann hören muss, um sich nicht völlig in seiner Panik, Verzweiflung oder Depression zu verlieren.
 

Mein Blick geht weiter zu Doktor Akari, der gerade seine Utensilien wieder in die Arzttasche räumt, die er immer dabei hat. Ich wüsste nicht, wie wir es bis hier her geschafft hätten, wenn dieser Mann nicht gewesen wäre. Wir verdanken ihm so viel, dass ein einfaches 'Danke' schon fast wie eine Beleidigung wirkt. Doktor Akari hat sich immer väterlich um Seto gekümmert. Hat vieles vor dem alten Kaiba verheimlicht, um Seto vor ihm zu schützen. So wie den Suizidversuch.
 

Doktor Akari verabschiedet sich von Katsuya und ich begleite den Älteren aus dem Zimmer und zur Haustür. Wir schweigen beide. So ist das immer, wenn Doktor Akari für einen Notfall hier im Haus war. Denn er gehört zu der Art Mensch, die schon allein durch ihre ruhige Art einem Mut zusprechen und Kraft leihen. Einem das Gefühl geben, nicht alleine zu sein und das man nur durchhalten muss, damit sich alles zum Besseren wendet.
 

An der Tür verbeug ich mich vor Doktor Akari und danke ihm von ganzen Herzen. Er lächelt mich nur väterlich an, legt mir dann eine Hand auf die Schulter und meint, dass ich ihm nicht so formal danken muss. Das wir praktisch zur Familie gehören und ich mich melden soll, um ihn wegen Seto auf dem Laufenden zu halten. Dann verlässt er das Haus, geht zu seinem Auto, steigt ein und fährt los. Alles ohne sich nicht einmal umzuschauen.
 

Nachdem ich das Auto nicht mehr sehe schließe ich die Tür und schau die Treppe hinauf. Doch dann zieh ich mein Handy, betätige die Schnellwahltaste Nummer fünf und gehe in mein altes Zimmer, indem ich einquartiert wurde, wenn ich hier übernachtet habe. Es klingelt kaum zwei Mal, als dann ihre Stimme fragt, ob alles in Ordnung sei. Einen Moment lang herrscht Stille, dann bitte ich sie in die Villa zu kommen. So etwas kann man nicht am Telefon besprechen.
 

Es ist kaum eine halbe Stunde vergangen, da trifft sie auch schon ein. Ich öffne ihr die Tür und bitte sie herein. Dann geh ich mit ihr in die Lounge, ein kleines Wohnzimmer in dem der alte Kaiba Gäste empfing, wobei 'klein' relativ ist. Ich schließe hinter ihr die Schiebetüren und biete ihr Platz und etwas zum Trinken an.
 

Detectiv Nagasato blickt mich lange und forschend an, während ich ihr etwas zum Trinken mache und ihr dann schließlich ein Glas reiche. Dann nehme ich gegenüber von ihr Platz. Sie nippt an ihrem Cocktail, zieht überrascht die Brauen hoch und nickt dann anerkennend. Als Mädchen für alles war ich stellenweise auch Barkeeper für den Alten. Sie schaut mich erstaunt an. Jemand, wie mir, der auf einer renommierten Universität Betriebswirtschaft studiert hätte, hätte sie jetzt andere Aufgaben zugeschrieben, statt als Barkeeper verbrannt zu werden. Ich schmunzle amüsiert. Dann eröffne ich ihr, dass ich viele Aufgaben im Dienste des alten Kaibas hatte: Assistent, Barkeeper, Laufbursche, Kindermädchen, Krankenschwester... Ich werde mit jedem Punkt ernster.
 

Sie hakt bei Krankenschwester ein und ich erzähle, dass der alte Kaiba nicht gerade sanft mit Seto umgesprungen ist. Viel Prügel. Viele Züchtigungen. Sie ergänzt fragend, ob auch viel Missbrauch stattgefunden hätte. Ich halte ihren bohrenden Blick schweigend, bevor ich nicke. Scheinbar hat sie entweder nicht damit gerechnet, dass ich antworten oder nicht verneinen würde. Geschockt blickt sie mich an.
 

Schließlich erzähle ich dem Detectiv von Setos Zeit unter Gozaburo. Wie er den Jungen misshandelt, vergewaltigt und an andere weiter gereicht hat. Erzähle ihr von den wirklich schlimmen Events, an denen der Alte Seto zwang teilzunehmen. Detectiv Nagasato ist nicht erst seit gestern in ihrer Abteilung, aber selbst sie ist schockiert von meinen Erzählungen. Ich schenke ihr zwei Mal nach und nehme mir selbst etwas. Das brauchen wir beide.
 

Am Ende erzähle ich ihr dann davon, wie Seto sich von all dem befreit hat und von den Verdrängungsmechanismen, mit denen er sein Leid und sein Schmerz in Zaum gehalten hat. Drei lange Jahre. Und wie Katsuya in das Leben meines Mündels trat und die Mauer, die dieser um seine Gefühle errichtet hatte, eingerissen und alles frei gelegt hat. Erzähle ihr von der erst wenige Wochen laufenden Therapie.
 

Scheinbar wird ihr jetzt erst wirklich bewusst, dass sie einen Fehler gemacht hat. Sie war scheinbar davon ausgegangen, dass Seto das schon vor Jahren überwunden und therapiert hätte und nur aus Angst vor einem Imageschaden die Zusammenarbeit verweigert hatte. Auf einmal sieht sie mich geschockt an, als ihr klar wird, was ihre Worte an Seto angerichtet haben könnten.
 

Ich würde ihr gern sagen, dass sie sich nicht sorgen soll, doch ich muss ihr von Setos Zwiespalt erzählen, an dem sie nicht ganz unschuldig ist. Also erzähle ich ihr, von Setos ursprünglichem Plan, für den ich sie ja um Geduld gebeten hatte. Aber auch, dass er erst vorhin realisiert hat, was da alles mit dran hängt. Erzähle von dem so entstandenen Zwiespalt und dem daraus resultierenden Ergebnis.
 

Nagasato beugt sich nach vorne, stützt ihre Ellenbogen auf ihre Schenke und legt das Gesicht in die Hände. Sie sagt, dass sie das nicht gewollt hat. Das ihr der Fehler unglaublich leid tut, den sie begangen hat. Fragt, ob sie Seto sehen darf. Ich verneine. Erstens würde Seto sie sofort rauswerfen, sobald er erkennt, dass sie nun alles weiß, zweitens wurde er ruhig gestellt. Sie ist mehr als geschockt.
 

Es ist jetzt nicht die Zeit in Selbstmitleid zu zerfließen. Für einen Moment schaut sie mich empört an, nickt dann aber zustimmend. Fragt mich, warum ich ihr das überhaupt alles erzählt habe. Ich nehme noch einen Schluck aus meinem Glas und antworte ihr, dass ich mir Hilfe von ihr erhoffe. Dass ich genau wissen muss, was sie brauchen würde, um erst einmal Kogoro aus dem Verkehr zu ziehen ohne das Seto eine Aussage machen muss.
 

Sie überlegt lange. Dann meint sie, dass ihr am meisten jemand helfen würde, der ein Opfer von Kogoro war, der seine Therapie schon hinter sich hat und bereit wäre Anzeige zu erstatten. Ansonsten könnte man es auch mit Bildern oder Videoaufnahmen versuchen, aber bei diesen würden sie erst einmal versuchen die Opfer zu identifizieren und ausfindig zu machen. Ein Geständnis wäre natürlich das i-Tüpfelchen, wenn Kogoro einfach alles gestehen würde.
 

Ich seufzte. Nichts davon scheint mir einfach mal so umsetzbar. Also danke ich ihr, dass sie her gekommen ist und lasse sie von Fuguta nach Hause fahren. Auf einmal fühl ich mich ungemein leicht. Es ist das erste Mal, dass ich mit jemand über ALLES gesprochen habe. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr mich all das all die Jahren wirklich belastet und runter gedrückt hat. Vor allem bin ich mir sicher, dass Detectiv Nagasato vertrauenswürdig ist. Sie wird nichts von dem, was ich ihr anvertraut habe irgendwie verwenden oder gegen uns gebrauchen.

Einen Schritt zur Alternative?

Ich sitze auf dem Boden unseres Spielzimmers und schau meiner Tochter Hoshi zu, wie sie versucht verschiedenfarbende Ringe der Größe nach auf einen Stab zu stecken. Dabei gluckst sie vergnügt und schaut immer wieder fröhlich lachend zu mir. Das sind die Momente im Leben, an denen ich unsagbar glücklich bin. Aber auch dankbar.
 

Dankbar dafür, dass Isono mich damals von der Straße geholt und in einen Entzug gebracht hat. Das ich danach dank meinem Betreuer in dem Dōjō Kampfsport begonnen habe zu trainieren, was mir einige Monate später den Job als Trainer einbrachte. In dem Dōjō hab ich meine spätere Frau kennengelernt, die sich von meinem Hintergrund nicht hat abschrecken lassen und meine Frage, ob sie mich heiraten würde trotz allem mit einem Ja beantwortet hat. Die mir unsere wunderschöne Tochter geschenkt hat. Was möchte man mehr im Leben?
 

Ich sehe im Augenwinkel, wie Megumi in den Türrahmen der offenen Tür tritt. Ich hebe mein Blick und möchte stolz verkünden, dass wir das beste, schönste und schlauste Baby auf der ganzen Welt haben, als ich ihren betretenen Gesichtsausdruck sehe. Etwas stimmt nicht. Sie kommt herein, kniet sich neben mich, küsst mich kurz und beschäftigt sich dann mit Hoshi, die sie sanft auf ihren Schoss zieht und dann nach einem Bilderbuch greift.
 

Da bemerke ich eine weitere Bewegung im Türrahmen. Als ich wieder hinsehe steht da Isono mit einem beklommenen Gesichtsausdruck. Sofort erstirbt mein Lächeln. Ich gebe meiner Tochter und meiner Frau noch einen Kuss, stehe dann auf und geh zu ihm. Ich begrüße ihn kurz und frage dann, was los ist. Er bittet mich um ein Gespräch unter vier Augen und ich führe ihn in die Küche. Biete ihm trotz der späten Stunde einen Kaffee oder Tee an. Ein Tee lehnt er nicht ab, also koche ich Wasser.
 

Als der Tee fertig ist setzen wir uns an den kleinen, runden Esstisch und dann schau ich zu, wie Isono seine Hände um die heiße Tasse legt, als wolle er sich an ihr festhalten. Sein Blick ist auf die Flüssigkeit in seiner Tasse gerichtet und es sieht so aus, als müsse er sich zu dem, was er sagen möchte, durchringen. Also frage ich, ob es Seto gut geht. Er schüttelt den Kopf und mein Griff um die Tasse festigt sich. Dann frag ich ihn, was geschehen ist. Ich habe vor der Antwort wirklich Angst, denn ich befürchte das Schlimmste. Doch dafür wirkt Isono mir zu gefasst.
 

Isono beginnt langsam und bedächtig darüber zu sprechen, was Seto am letzten Schultag vor den großen Ferien vor hatte und ich nicke. Das weiß ich schon, er hat nach dem letzten Training mit mir darüber gesprochen. Der Ältere nickt und erzählt mir dann davon, dass Setos Therapeut ihm davon abrät und Seto nun in einem Zwiespalt ist, der ihn am Nachmittag hat zusammenbrechen lassen.
 

Seto ist zusammengebrochen? Jetzt hat Isono meine volle Aufmerksamkeit. Alles andere, auf das ich eben noch nebenbei geachtet habe, tritt schlagartig in den Hintergrund. Sofort frage ich, ob ich etwas tun kann? Für gewöhnlich kommt jetzt ein Kopfschütteln, doch Isono blickt erst noch einmal zu seiner Tasse, bevor er mich erneut anschaut und nickt. In der Tat gibt es etwas, was ich tun kann, aber das würde auch ein erhebliches Opfer bedeuten. Ich zieh für einen Moment meine Stirn kraus und kann mir nicht zusammenreimen, was er damit meint.
 

Dann erzählt mir Isono davon, dass er sich mit dieser Detectiv Nagasato getroffen und ihr alles erzählt hat. Meine Augen weiten sich. Das wird Seto nicht gefallen. Ganz und gar nicht. Isono lässt kurz seinen Blick wieder sinken und nickt. Das ist ihm also bewusst. Dann kommt er zu der Stelle, an der er mir erzählt, was Detectiv Nagasato braucht. Da wird mir klar, warum Isono hier ist und was er damit meint, dass mich meine Hilfe erhebliche Opfer kosten wird.
 

Kurz gesagt möchte er, dass ich Anzeige gegen Daimon Kogoro erstatte und somit Seto das Handeln abnehme. Im ersten Moment bin ich fassungslos. Diese Bitte überrumpelt mich und Isono setzt sofort hinterher, dass er weiß, was er da von mir verlangt. Ich schüttle den Kopf. Bezweifel, dass er wirklich weiß, was er verlangt. Resigniert lässt er die Schultern hängen.
 

Ein Schweigen entsteht zwischen uns und dann frage ich ihn, ob er weiß, warum ich niemals rechtlich gegen diese Mistkerle vorgegangen bin. Isono blickt zu mir auf und schüttelt den Kopf. Meint, dass er immer dachte, dass ich das hinter mir lassen wollte. Jetzt schüttle ich meinen Kopf. Tatsächlich war ich auf der Polizei und wollte diesen Drecksverein anzeigen, in das Licht der Öffentlichkeit zerren und aller Welt zeigen, was sie tun.
 

Doch der Polizist, der meine Anzeige aufnehmen sollte riet mir davon ab. Weil ich ein ehemaliger Junkie war, der in den Jahren nachdem das alles angeblich geschehen sei und vor meinem Entzug mich auch immer mal wieder prostituiert habe. Ich bin darauf nicht stolz, aber ich war abhängig und wenn ich Geld für Stoff brauchte, hab ich alles dafür getan. Alles.
 

Bestürzt blickt mich Isono an. Wieder zieh ich kurz meine Stirn kraus. Frag ihn, was er geglaubt hat, wo ich mein Geld für die Drogen her hatte. Er zuckt unschlüssig mit den Schultern, aber ich sehe, wie ihm klar wird, dass es gar nicht anders sein konnte. Entmutigt fällt er gegen die Rückenlehne des Stuhls und scheint jegliche Hoffnung fahren zu lassen.
 

Nach einem langen Augenblick, indem keiner von uns etwas sagt, frag ich ihn, ob er eine Karte von der Polizistin hat. Überrascht blickt er mich an, nickt dann und zieht seine Visitenkarten-Mappe aus der Innentasche seines Jacketts. Er blättert durch einige Visitenkarten und findet dann die von Detectiv Nagasato. Vorsichtig zieht er sie heraus und reicht sie mir. Ich nehme sie und lege sie behutsam auf den Tisch. Dann blick ich wieder zu Isono.
 

Ich verdanke ihm und Seto mein Leben. Mein Glück. Aber diese Entscheidung, ob ich Isonos Wunsch entsprechen kann, muss ich mit meiner Frau zusammen treffen, denn es ist auch ihr Leben, welches davon betroffen sein wird. Isono nickt. Er hat dafür Verständnis. Aber ich werde mich auf jeden Fall bei diesem Detectiv Nagasato melden und mit ihr besprechen, ob und wie ich ihr da helfen kann. Wieder nickt Isono dankbar.
 

Er steht auf und meint dann noch zu mir, dass er nicht weiß, ob es sinnvoll wäre, morgen zum Training zu kommen. Ich erhebe mich ebenfalls von dem Stuhl und meine, dass wir das dann morgen sehen werden. Ein kurzes Lächeln huscht über Isonos Gesicht, dann begleite ich ihn zur Tür. Bevor er unser Haus verlässt dreht er sich noch einmal zu mir und verbeugt sich etwas. Diese Geste überrascht und überwältigt mich. Er dankt mir, dass ich seine Bitte überhaupt in Erwägung ziehe.
 

Nur mit Mühe gelingt es mir ihn wieder aufzurichten und sag ihm, dass er mir noch nicht danken soll... immerhin weiß ich ja nicht, ob daraus irgendetwas wird. Ich weiß, dass meine Frau mir den Rücken stärken und mich auf diesem Weg begleiten wird. Immerhin hatte sie mich vor ein paar Jahre ermutig zur Polizei zu gehen. Aber wer weiß, wie dieser Detectiv auf mich reagieren wird... so wie der, bei dem ich damals war?
 

Dann geht Isono.

Einen Schritt, der enttäuscht

Einatmen. Ausatmen. Die Dunkelheit lichtete sich und lässt gedämpftes Licht in mein Bewusstsein. Wärme umfängt mich. Vor mir. Hinter mir. Einatmen. Ich kenne diesen Geruch, an dem ich ruhe. Die Erinnerung an diesen Geruch flutet mich mit einigen schönen Gefühlen. Sicherheit. Geborgenheit. Liebe. Katsuya. Ausatmen. Spüre eine Hand, die über meinen Oberarm streichelt. Kleine Hand. Sanft. Behutsam. Mokuba.
 

Das Atmen beginnt immer mehr wieder unbewusst zu funktionieren. Das gibt mir die Möglichkeit darüber zu sinnieren, warum ich an einem Sonntagmorgen in den Armen von Katsuya und Mokuba im Bett liege. Mein Körper fühlt sich schwer an. Meine Bewegungen finden versetzt statt. Als ob ich normal denke und mein Körper in einer Zeitlupe gefangen ist.
 

Spüre, wie Katsuya seine Position etwas ändert, um mir ins Gesicht schauen zu können. Er lächelt erleichtert. Warum ist er so erleichtert? Spüre, wie Mokuba sich fester an mich drückt. Als würde ich verblassen, wenn er mich nicht hält. Würde ich verblassen? Nein. Menschen können nicht so einfach verschwinden, wie in einer Zaubershow. Sowas ist physikalisch völlig unmöglich, da bin ich mir sicher.
 

Katsuya fragt mich, wie ich mich fühle und allein die Frage verwirrt mich. Wie soll es mir denn am Morgen gehen? Ich bin ein Frühaufsteher, der nicht mehr früh aufsteht. Ein Workaholic, der nicht mehr arbeitet. Ein Drache, der kein Feuer mehr speit. Kurz stopp ich meinen Gedankengang. Habe ich mich gerade selbst als Drache bezeichnet? Ich seufze. Soweit ist es schon mit mir gekommen.
 

Sanft streicht mir Katsuya durch das Haar. Genießerisch schließe ich noch einmal meine Augen. Warum fühle ich mich so träge? Hatte ich etwa einen Schlaganfall? Ich öffne meine Augen wieder und versuche mich aufzusetzen. Alles beginnt sich um mich herum zu drehen. Spüre, wie Katsuya sich hinter mich kniet und mich stütz, während ich mir die Hand an die Stirn lege. Mokuba krabbelt vor mich. Sagt mir, ich solle langsam machen. Noch langsamer und ich bewege mich rückwärts.
 

Dann lässt der Schwindel nach. Leise frage ich... Himmel, mein Hals fühlt sich wie Schleifpapier an. Rau und kratzig und jeder Ton, den ich von mir geben möchte reizt mich zum Husten. Katsuya hält mir vorsichtig einen Becher mit Wasser hin. Dankbar nehm ich einen Schluck und spüre, dass mir im Magen recht flau ist. Dennoch schaff ich es schließlich zu fragen, was eigentlich los ist.
 

Mokuba erklärt mir, dass ich am Vortag einen Zusammenbruch hatte. Sie haben mich weinend und übergebend im Waschraum meines Büros gefunden. Er erzählt, dass ich immer wieder gestammelt habe, dass ich IHN nicht weiter machen lassen kann, ich aber auch nicht in die Öffentlichkeit möchte.
 

Plötzlich öffnet sich meine Erinnerung wieder. Die Bilder nach der gestrigen Sitzung mit Kai fluten mich und ich spüre, wie die Verzweiflung wieder nach mir greift. Doch mein Streuner flüstert mir ins Ohr, dass ich nicht alleine bin und es sicherlich mehr als nur diese zwei Wege gibt. Ich will ihm glauben. Ehrlich. Doch... welchen Weg soll es denn da noch geben? Entweder ich tu etwas oder eben nicht. Es gibt kein halbes Tun.
 

Vorsichtig ziehen mich die beiden wieder in eine liegende Position. Erklären mir, dass ich mir darum jetzt erst einmal keine Gedanken machen muss. Wenn nicht jetzt, wann dann? Es gibt keine Probleme, nur Lösungen, die man noch nicht gefunden hat. Also warum soll ich nicht nach ihnen suchen? Doch die beiden reden behutsam auf mich ein, dass ich erst einmal wieder meinen Ruhepol finden muss, denn sonst laufe ich Gefahr, dass ich wieder zusammenbreche.
 

Na ja, vielleicht... vielleicht haben sie Recht. Ich kuschel mich an Katsuya und zieh Mokuba mehr in meinen Arm. So liegen wir einfach eine weitere Weile im Bett und lassen die Welt Welt sein. Warum auch nicht? Es ist Sonntag und es wird schon keine Katastrophe geschehen.
 

Kaum hab ich das gedacht klopft es und in meinem Magen zieht sich etwas zusammen. Ich öffne meine Augen und blicke zur Tür, die sich langsam öffnet. Dann tritt Isono ein. Oh je,.. er sieht aus, als hätte er nicht ein Auge zu gemacht. Er wirkt ein wenig, wie ein geprügelter Hund. Schließlich erreicht er das Bett und setzt sich auf die Bettkante, während wir uns langsam aufsetzen. Es wäre irgendwie komisch einfach liegen zu bleiben.
 

Isono fragt mich besorgt, wie es mir geht. Ich zucke unschlüssig mit der Schulter und antworte, dass es mir nicht gut, aber auch nicht schlecht geht. Er nickt und versucht mich anzulächeln. Fragt nach, ob wir schon gefrühstückt haben. Wir verneinen. Ob wir dann zusammen frühstücken möchten. Ich nicke, bevor Katsuya und Mokuba was sagen können. Keine Ahnung, ob ich jemals mit Isono gefrühstückt habe. Sicherlich, er war bei den Mahlzeiten oft dabei, aber wir haben nicht zusammen gegessen. Wird Zeit, dass sich das ändert.
 

Also stehen wir auf und ich merke, dass meine Beine irgendwie wacklig sind. Erstaunt fragt Isono, ob das Beruhigungsmittel immer noch anhält. Sofort sehe ich ihn an. Beruhigungsmittel? Erschrocken schaut er mich an und nickt. Ob ich mich nicht erinnern würde, dass Doktor Akari gestern noch gekommen war, um mir eine Spritze zu geben, weil ich mich einfach nicht beruhigen konnte. Ich schüttle nur den Kopf. Das... ist mir wohl entgangen.
 

Nachdem wir kurz alle im Bad waren - alle, außer Isono - und uns frisch gemacht, so wie etwas legeres für den Tag angezogen haben, steigen wir ins Erdgeschoss und treten in die Küche. Dort hat Isono bereits mit den Vorbereitungen des Frühstücks angefangen. Katsuya und Mokuba führen mich zur Theke und setzen mich auf einen der Hocker ab. Während Mokuba sich neben mich setzt eilt Katsuya zu Isono, um diesem zur Hand zu gehen. Fast wie eine richtige, kleine Familie, geht es mir durch den Kopf. Dieser Gedanke lässt mich tatsächlich schmunzeln.
 

Es dauert nicht lange, dann ist das Frühstück fertig. Mokuba und ich decken schon einmal den Tisch, wobei Mokuba das Meiste macht. Ich fühle mich, als hätte ich Betonklötzen an den Füßen, die jede Bewegung schwer macht, gleichzeitig scheinen meine Beine aber mein Gewicht kaum tragen zu können. Was ein obskurer Widerspruch. Doch dann sitzen wir endlich alle am Tisch und können das Frühstück von Isono und Katsuya genießen. Dabei unterhalten wir uns ein wenig.
 

Als das Thema auf meine Optionen bezüglich Kogoro zurückfällt wird Isono auf einmal ganz still und schaut in seine fast leere Schale. Irgendetwas stimmt nicht. Ich runzel die Stirn und spreche ihn direkt an. Frage was los ist. Isono schluckt, schafft aber nicht zu mir aufzuschauen. Das heißt, dass da jetzt gleich was kommt, was mir nicht gefallen wird. Durch das Thema habe ich eine vage Vorstellung davon, was jetzt kommen könnte.
 

Nur langsam schafft es Isono mich anzuschauen. Dann deutet er mit dem Kopf nur eine demütige Verbeugung an und dann platzt aus Isono heraus, dass er gestern mit Detectiv Nagasato gesprochen hat. Das flaue Gefühl in meinem Magen kehrt augenblicklich zurück. Er schaut wieder zu mir und meint, dass er und sie nun nach einer Alternative zu meinem Vorhaben suchen.
 

Das ist aber nicht alles. Ich spüre das. Bohrend blicke ich ihn an. Etwas, was er mir noch nicht gesagt hat. Dann formt sich eine Gewissheit in mir. Ich weiß nicht, woher diese kommt. Vielleicht ist es Paranoia. Aber ist es wirklich Paranoia, wenn es sich als wahr heraus stellt? Meine Lippen formen Worte, ohne dass ich aktiv darüber nachdenke. Es ist auch keine Frage, eher eine Feststellung. Isono hat Nagasato alles erzählt.
 

Für einen Moment schauen wir uns nur gegenseitig an, dann nickt Isono. Er beginnt gerade zu erklären, dass er es musste, damit Nagasato versteht, was ihre Worte bei mir ausgelöst haben, da stehe ich bereits auf. Meine Füße tragen mich von selbst aus der Küche, ohne dass ich noch einmal zurück blicke. Ich höre, wie Stühle hastig nach hinten geschoben werden, während die anderen aufspringen. Doch das ist mir egal.
 

Ich steige einfach die Treppe hinauf. Spüre wie Katsuya zu mir aufschließt. Langsam schreite ich durch den langen Gang zu unserem Schlafzimmer und krabbel dort zurück in unser Bett. Ziehe Katsuya mit mir und presse mich dann eng an ihn. Er schließt seine Arme fest um mich und dann muss ich weinen. Isono habe ich immer vertraut, selbst als ich mir Vertrauen gar nicht leisten konnte. Nie hat er mich enttäuscht. Hab mich niemals von ihm verraten gefühlt. Doch jetzt... ich weiß es selbst nicht. Ich weiß nur, dass etwas in mir zerbrochen ist und darüber weine ich jetzt.
 

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Einen Schritt, um die Bürde abzunehmen

Megumi steht neben mir und hat ihre Hand mit meiner verschränkt. Wir haben gestern Abend noch lange über Isonos Bitte gesprochen. Wieder einmal habe ich gemerkt, wie viel Glück ich habe, so eine Frau, wie sie, zu haben. Die endgültige Entscheidung überlässt sie mir, aber sie wird - egal, wie ich entscheide - hinter mir stehen und mit mir gemeinsam diesen Weg beschreiten. Das bedeutet mir wirklich sehr viel.
 

Ich betätige die Klingel der Villa und der Klang dieser lässt auch dieses Mal meine Nackenhärchen sich aufrichten. Früher hab ich diese Klingel immer gehört, bevor ein Wochenende voller Schmerz und Erniedrigung begann. Ich verstehe ohnehin nicht, warum Seto noch immer hier wohnt? Wem möchte er damit etwas beweisen? Ich weiß, dass auch er hier viel Schmerz und Leid erfahren hat. Also warum bleibt er hier?
 

Noch ehe ich dieser Frage weiter nachhängen kann wird die Tür vor uns geöffnet und Mokuba schaut mich beklommen an. In seinen Augen sehe ich, dass er mit uns jetzt nicht gerechnet hat. Aber auch generell sieht er uns sehr bestürzt an. Wir begrüßen ihn und dann kommt mir Megumi zuvor und fragt den jüngsten Hausbewohner, ob etwas nicht in Ordnung ist.
 

Mokuba lässt uns reinkommen, schließt hinter uns die Tür und meint, dass Isono Scheiße gebaut hat und Seto darauf sehr schlecht reagiert hat. Oh-uh... Isono hat Seto erzählt, dass er mit diesem Nagasato über alles gesprochen hat? Das... kommt früh. Sicherlich hat Seto getobt und geschrien. Doch Mokuba verneint nur. Ich zieh die Stirn kraus. Wie hat er dann reagiert, möchte ich von dem Schwarzhaarigen wissen. Alles was ich als Antwort bekomme sind die Worte 'aufgestanden und weggegangen'.
 

Das ist nicht gut. Ich kann mir vorstellen, dass Isono mit viel gerechnet hat, aber sicherlich nicht mit so einer Nicht-Reaktion. Das ist für ihn sicherlich viel schlimmer, als jeder Tobsuchts- und Schreianfall. Im Wohnzimmer seh ich Isono in einem Sessel sitzen. Er versucht die Fassung zu wahren und für jemand, der ihn nicht oder kaum kennt würde er normal wirken. Doch allein das er da sitzt und ins Leere starrt zeigt mir, wie sehr diese Nicht-Reaktion ihn getroffen hat.
 

Ich bitte Mokuba Megumi zu Isono zu bringen und frage ihn, ob Seto immer noch in seinem alten Zimmer am Ende des Gangs wohnt. Mokuba schüttelt den Kopf und sagt, dass sie jetzt im anderen Flügel ihre Zimmer haben und das Master-Schlafzimmer Setos und Jonouchis Zimmer ist. Dann frage ich, ob es okay wäre, wenn ich mal hoch gehen würde, um nach ihnen zu sehen. Mokuba nickt nur und bringt dann meine Frau zu meinem Lebensretter.
 

Für einen langen Moment schau ich die lange Treppe nach oben nur an. Ich muss mich mental daran erinnern, dass wir uns in einer anderen Zeit befinden. Keiner dieser Drecksäcke ist hier oder wird zurück kommen. Also setz ich mich endlich in Bewegung und steige die Treppe ins Obergeschoss hoch. Dort schau ich kurz in die Richtung, in der Gozaburos Schlafzimmer lag. Doch da steht jetzt ein Regal. Kurz irritiert mich das, doch dann wird mir bewusst, dass Seto wohl nach Gozaburos Tod dessen Schlafzimmer nie wieder betreten hat und es auch niemals wieder sehen wollte. Ich kann es ihm nicht verdenken.
 

Also wende ich mich in die Richtung, die mir Mokuba genannt hat. Ich geh diesen elend langen Flur mit seinen unzähligen Türen entlang, bis ich an die etwas breitere Tür des Master-Schlafzimmers komme. Ich klopfe, bekomme aber keine Antwort. Ich klopfe erneut, doch wieder kommt keine Reaktion. Vorsichtig öffne ich die Tür und stell fest, dass sie in einen Durchgang führt, der noch einmal mit einer weiteren Tür vom eigentlichen Schlafzimmer getrennt ist. Wie bei Gozaburos Schlafzimmer, geht es mir durch den Kopf und ich schaudere kurz.
 

Ich trete in den Durchgang, schließe hinter mir die Tür und klopfe an der zweiten. Jetzt vernehme ich ein gedämpftes 'Herein', aber nicht von Seto. Es muss Jonouchi sein, der mich rein bittet. Vorsichtig öffne ich die Tür und späh in das überwältigende Schlafzimmer. Dieser Raum hat eine Fläche, die der Hälfte des Erdgeschoss meines Hauses entspricht. Warum überrascht mich das überhaupt?
 

In Jonouchis Blick seh ich Überraschung. Aber auch etwas Enttäuschung. Scheinbar hat er mit jemand anderem gerechnet. Dennoch winkt er mich zu sich. Erst beim näher kommen sehe ich, dass Seto dicht an Jonouchi gekuschelt unter einer Decke liegt. Jonouchi hat seine Arme um ihn geschlossen. Ich muss ein wenig schmunzeln. Klar, ich weiß, dass die beiden zusammen sind. Aber wie sehr Seto Jonouchi vertraut wird mir erst jetzt wirklich klar.
 

Vor dem Bett knie ich mich hin. Mich auf die Bettkante zu setzen fühlt sich für mich falsch an. Außerdem hab ich genug Zeit in den Betten dieses Hauses verbracht. Nein, es ist schon okay so. Also begrüß ich erst Katsuya und dann Seto verbal, so dass der Brünette erkennt wer hier ist. Erst nach einem Moment kommt Bewegung in den anderen, der sich etwas von Jonouchi löst und sich zu mir dreht. Fragend blickt er mich an und ich sehe, wie sehr es ihn getroffen hat, dass Isono ohne Rücksprache mit ihm jemand von allem erzählt hat.
 

Vorsichtig lächle ich ihn an und sag ihm, dass ich gehört habe, was geschehen ist. Von ihm kommt erst mal keine Reaktion. Scheinbar weiß er nicht, was er auf diese Information erwidern soll. Also fahr ich fort. Erzähle Seto, dass Isono am gestrigen Abend bei mir war und mir von der derzeitigen Situation erzählt hat. Davon, in welch schlechter Verfassung Seto nach dem Gespräch mit seinem Therapeuten war. Offenbare, dass Isono mir schon gestern Abend gestand, dass er mit diesem Detectiv über alles gesprochen hat.
 

Seto nimmt seinen Blick von mir und richtet ihn an die Zimmerdecke. Dann entschuldige ich mich bei ihm, was seine Aufmerksamkeit wieder auf mich zieht. Ich kann seine Frage in seinen Augen sehen: Wofür entschuldige ich mich? Tatsächlich dafür, dass ich letzte Woche, als Seto mir von seinem Vorhaben erzählt hat, es einfach nur hingenommen habe. Nein, nicht nur einfach hingenommen. Ich war erleichtert, dass Seto etwas gegen eines dieser Monster tun möchte. Ich war stolz und erleichtert, dass ein anderer ihnen endlich Einhalt gebieten möchte. Und das war falsch.
 

Rückblickend hätte ich Seto schon da anbieten müssen, mit ihm gemeinsam Anzeige zu erstatten. Doch durch meine Erfahrungen bei meinem eigenen Versuch Anzeige zu erstatten war ich verschreckt, so dass ich diese Option schlicht und ergreifend nicht mal in Betracht gezogen habe.
 

Doch damit ist jetzt Schluss. Ich habe mich lang genug hinter meinem Glück und mein Leben, indem sich seit dem Entzug alles so wunderbar gefügt hat, versteckt. Ich werde morgen diesen Detectiv Nagasato kontaktieren, einen Termin ausmachen und dann sehen wir, ob ich dieses eine Mal Seto die schwere Bürde abnehmen kann.
 

Die Augen meines Gegenübers weiten sich überrascht und schockiert. Mit Mühe schüttelt er seinen Kopf und meint, dass das nichts an seiner Situation ändern wird. Selbst wenn ich Anzeige erstatte, würde er in die Öffentlichkeit gedrängt. Doch ich schüttle nur meinen Kopf und lächle zuversichtlich. Verwirrung macht sich in seinen Augen breit.
 

Lange bevor Seto und Mokuba von Gozaburo adoptiert und in diese Kreise hineingestolpert sind gab es diese Spiele schon. Mit den gleichen Beteiligten. Diese Zeit werde ich zur Anzeige bringen. So bleibt Seto in Bezug auf diese ganze Thematik außen vor, bis er irgendwann so weit ist, seine Peiniger anzuzeigen. Eine Träne löst sich aus Setos Augen und rinnt ihm langsam über die Wange zum Ohr. Doch ich lächle ihn nur zuversichtlich an, bevor ich aufstehe und die beiden wieder alleine lasse.
 

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Einen Schritt zur Zuversicht

Nur langsam trete ich in das Wohnzimmer, in dem vor dem Kamin Akito in einem Ohrensessel sitzt und mit seinen Gedanken scheinbar ganz weit weg ist. Ich kann ihm ansehen, dass für ihn eine Welt zusammengebrochen ist. Vorsichtig gehe ich vor ihm in die Knie und lege eine Hand auf die seine, die auf der Armlehne ruht.
 

Es dauert einen langen Moment, bevor er scheinbar merkt, dass er nicht mehr alleine ist. Noch einen längeren Moment, bis er aus der Ferne hier her zurück kehrt. Ich lächle ihn tröstend an und er erwidert mein Lächeln sanft, aber mit einem bittersüßen Ausdruck. Dann schaut er zum Türrahmen des Wohnzimmers, der ihm den Blick in die Halle erlaubt. Mokuba ist verschwunden. Wo er wohl hin ist?
 

Akito fragt mich, warum wir heute hier sind. Sanft antworte ich, dass wir eigentlich für das wöchentliche Training gekommen sind. Er nickt kurz und verliert seinen Blick im Hier und Jetzt für einen Moment. Dann schaut er mich wieder an und entschuldigt sich dafür, dass wir den Weg umsonst hier raus gekommen sind. Ich schüttle kurz den Kopf und erwidere, dass der Weg hier her nie umsonst ist. Wieder lächelt er mir kurz zu.
 

Dann frag ich ihn, was geschehen ist. Natürlich hat Mokuba uns eben schon in Kenntnis gesetzt, aber ich denke, es wird Akito gut tun darüber zu sprechen. Sein Blick bekommt einen unendlichen, tiefen, schmerzlichen Ausdruck, bevor er seinen Kopf hängen lässt. Er erzählt mir von dem gemeinsamen Essen, seinem Geständnis und Setos Reaktion. Ich warte einen Moment und erst als ich mir sicher bin, dass er von sich aus nicht weiter erzählen würde, frage ich behutsam nach, was er empfindet.
 

Erneut senkt er seinen Blick. Ich glaube er braucht gerade seine gesamte Kraft, damit ihm keine Träne entkommt. Es tut weh, ihn so zu sehen. Den Mann, dem ich meinen Mann zu verdanken habe, so gebrochen zu sehen. Der sonst immer alles unter Kontrolle zu haben scheint. Daran erinnert gerade nichts mehr. Er schluckt, bevor er seinen Blick wieder hebt.
 

Dann antwortet er mir mit einem Satz: Schuld und Erleichterung. Das lässt mich meine Stirn kurz kraus ziehen. Die Schuld kann ich nachvollziehen, immerhin hat er einen Vertrauensbruch begannen und wurde dabei erwischt. Doch die Erleichterung? Er scheint meine Frage zu spüren. Denn auf einmal sagt er, dass es gut tat nach so langer Zeit endlich mit jemand völlig Unbeteiligtem über all den Horror, der in diesem Haus und in der Firma stattgefunden hat, zu sprechen.
 

Ich kann das nachvollziehen. Auch meinem Mann hat es damals sehr gut getan, mit mir über all das, was in seiner Kindheit und Jugend geschehen war, zu sprechen. Und genau wie damals meinem Mann gegenüber begegne ich nun auch Akito mit Verständnis. Doch ich kann meine Sorgen und Angst nicht hinter dem Verständnis verstecken.
 

Akito legt mir seine Hand plötzlich an die Wange und fragt, was ich habe. Ich lächle ihn wieder sanft an und berichte ihm, dass Kei und ich gestern sehr lange über seinen Besuch und sein Anliegen gesprochen haben. Er neigt seinen Kopf auf einmal vor mir und bittet mich um Entschuldigung dafür, dass er uns in diese Situation gebracht hat. Meint leise, er habe eingesehen, dass er Kei niemals darum hätte bitten dürfen. Jetzt bin ich es, der ihm eine Hand an die Wange legt.
 

Langsam sag ich ihm, dass ich Kei morgen zu Detectiv Nagasato begleiten werde, wenn er mit ihr über sich und seinen Vater, sowie den Vorstand der Kaiba Corp sprechen wird. Akito legt sorgenvoll seine Stirn in Falten. Will sogar den Kopf schütteln als ich ihm eröffne, dass Kei beschlossen hat nur über die Zeit zu sprechen, bevor Seto und Mokuba adoptiert worden sind. Prüfend blickt mich Akito an und scheint abzuwägen, ob er das, was ich ihm erzählt habe wirklich glauben kann oder vielleicht falsch verstanden hat. Also nicke ich nur bestätigend.
 

Akito fragt, ob wir uns sicher sind und alle Eventualitäten durchdacht haben. Was wenn unsere Tochter davon erfahren wird, wenn sie älter ist. Oder mein Vater. Unsere Freunde. Die Schüler. Kollegen. Doch ich lächle nur die ganze Zeit.
 

Mein Vater wusste bereits vor mir von Keis Vergangenheit. Vielleicht nicht im Detail, aber grob. Auch einige unserer Freunde wissen davon, dass Kei als Kind misshandelt und missbraucht worden ist und das überlebt hat. Vor den Schülern macht Kei auch kein Geheimnis daraus und bindet seine eigenen Erfahrungen im Training ein, indem er ihnen immer wieder sagt, dass es nicht okay ist, wenn jemand etwas tut, was sie nicht wollen. Das sie immer das Recht haben 'nein' zu sagen. Sie solche Erlebnisse nie für sich behalten sollen, sondern immer mit jemand darüber reden sollen. Kei bietet immer ein offenes Ohr und Hilfe an.
 

Akito scheint davon tief beeindruckt zu sein. Auch ich bin immer wieder von meinem Ehemann beeindruckt. Warum soll ich mir also Gedanken darum machen, dass unsere Tochter später einmal davon erfahren wird. Ich bin mir sogar sehr sicher, dass sie es von Kei selbst erfahren wird, sobald sie alt genug ist, dass zu verstehen. Oh ja, ich bin auf meinen Ehemann mehr als stolz, dass er seine traumatische Kindheit mittels einer Therapie angegangen ist und offen damit umgeht. Er möchte diese Thematik enttabuisieren. Ein Bewusstsein in der Gesellschaft dafür schaffen. Deshalb unterstützen wir auch das Jugend- und Sozialzentrum.
 

Ich sehe, wie mein Gegenüber kurz stolz schnauft und lächelt. Leise meint er, dass er sich auch für Seto wünschen würde, dass dieser mit dem eigenen Missbrauch offen und enttabuisiert umgehen würde, doch er einfach noch nicht soweit sei. Sanft lege ich wieder meine Hand auf seine und sag ihm, dass ich mir sicher bin, dass Seto auch irgendwann so weit sein wird. Und dann wird er Akito an seiner Seite brauchen und wollen.
 

Wieder bekommt Akitos Lächeln etwas bitteres, als er meint, dass verzeihen nicht in Setos Natur liegt. Dazu hätten die Monster zu viel in ihm zerbrochen. Aber ich lächle ihn ungebrochen weiter an und mein, dass das gar nicht sein kann. Immerhin hat er auch Kei verziehen. Und das war für meinen Mann wirklich sehr wichtig, um auch seine letzte Schuld ablegen zu können, die er selbst nach der Therapie noch immer mit sich herum getragen hatte.
 

Da sehe ich etwas wie Hoffnung in Akitos Augen aufglimmen. Man sollte niemals die Hoffnung aufgeben. Denn Menschen können sich entwickeln und ändern und das sieht man an Seto wunderbar. Nicht wahr?
 

Akito nickt nur, sieht aber gleich viel zuversichtlicher aus. So ist es gut, mein ich, während ich aufstehe. Auch er steht auf und wir gehen gemeinsam in die Küche, wo wir uns einen Tee aufbrühen und wir dann darüber reden, was mir Sorgen und Angst macht.
 

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Einen Schritt zum schwersten Gang

Als ich an diesem Morgen in die Küche komme sitzen Katsuya, Mokuba und Seto bereits am Tisch und frühstücken. Katsuya und Mokuba schauen zu mir auf und lächeln mich begrüßend an. Katsuya fragt mich, wie ich geschlafen habe. Wie man es hier in Japan gewohnt ist, beantworte ich die Frage mit einem typischen 'gut, danke der Nachfrage', bevor ich mich auch an den Tisch setze.
 

Seto würdigt mich keines Blickes. Er tut so, als läge seine ganze Aufmerksamkeit auf der Zeitung, die er rechts von sich auf dem Tisch hält. Doch ich kenne ihn sehr gut. Ich weiß, wann er wirklich etwas liest und wann er nur so tut. Denn beim 'Nur-so-tun,-als-ob' verweilt Seto länger auf einer Zeitungsseite, als wenn er sie wirklich lesen würde. Doch ich sage nichts dazu. Ich habe ihn enttäuscht und so lässt er mich das spüren. Dazu hat er alles Recht dieser Welt.
 

Schließlich schlägt er seine Zeitung zu und obwohl er sein Frühstück nicht einmal angerührt hat, steht er auf und meint zu Mokuba und Katsuya, dass es Zeit für die Schule wird. Mokuba will schon aufspringen, als der Blonde Seto wieder auf dessen Stuhl manövriert und sagt, er soll relaxen und sie in Ruhe fertig frühstücken lassen. Dann deutete er auf das unberührte Frühstück vor Seto und verlangt, dass er zumindest eine Kleinigkeit davon essen soll.
 

Doch der Brünette trägt seinen Beiname - der Drache - nicht zum Spaß. Er verschränkt seine Arme vor der Brust, schlägt ein Bein über das andere und lehnt sich nur auf seinem Stuhl zurück. Dabei schaut er aus dem Küchenfenster hinaus in den Garten. Katsuya schnauft nur und wendet sich dann an mich. Fragt mich, ob heute in der Firma viel anstehen wird.
 

Nach einem kurzen Moment, in dem ich überlege, ob ich dem Versuch ein Gespräch in Gang zu bringen, widerstehen soll, schüttle ich nur den Kopf. Ich teile mit, dass ich erst später in die Firma fahren werde, da ich Keizo zugesichert hatte ihn und Megumi zu Detective Nagasato zu begleiten. Der Blonde zieht überrascht die Augenbrauen hoch und lächelt dann anerkennend. Von Mokuba kommt nur mit vollem Mund, dass ich ihn auf dem Laufenden halten soll. Ich nicke und bemerke, dass Seto mich missbilligend anschaut.
 

Gerade als ich ihn ansprechen möchte steht er erneut auf und wiederholt, dass es Zeit für die Schule sei. Dann verlässt er mit zügigen Schritten die Küche. Jonouchi seufzt schwer und blickt dann entschuldigend zu mir. Meint, dass sein Drache wohl noch ein, zwei Tage Zeit braucht. Ich lächle nur milde, denn ich weiß, dass das eine wirklich äußerst optimistische Einschätzung ist. Meine Schätzung - oder eher meine Hoffnung - bewegt sich nicht mit der Zeiteinheit Tag, sondern eher im Bereich von Monaten und Jahre.
 

Dann stehen die beiden auf, verabschieden sich von mir und folgen Seto aus der Küche. Ich schau ihnen noch einen langen Moment hinterher. Mariko kommt zu mir und legt mir nur schweigend eine Hand auf die Schulter. Ich schaue zu ihr auf und sie lächelt aufmunternd. Meint dann schließlich, dass sich das alles schon einrenken wird und ich mich schlicht und ergreifend gedulden muss. Ich nicke nur. Was bleibt mir sonst anderes übrig, als abzuwarten?
 

Also stehe ich auch auf und verlasse die Küche und das Haus. Als ich das Haus verlasse sehe ich sie noch wegfahren. Wieder erwische ich mich dabei, wie ich ihnen hinterher sehe, als würde ich sie nie wieder sehen. Erst nach einem weiteren Moment, in dem ich mich merkwürdig fühle, gehe ich zu meinem Auto, steige ein und fahre los Richtung Innenstadt zum Polizeipräsidium von Detective Nagasato. Dort bin ich mit Keizo und Megumi verabredet.
 

Dank dem Morgenverkehr hab ich für eine zwanzig Minuten Strecke fast eine Stunde gebraucht. Wäre ich ordentlich durchgekommen wäre ich zwar viel zu früh da gewesen, aber dafür hätten Keizo und Megumi nicht auf mich warten müssen. So stehen sie schon vor dem Eingang des Präsidiums und ich stelle fest, dass Keizo in der Nacht wohl auch kein Auge zugemacht hat.
 

Megumi schenkt mir ein bezauberndes Lächeln und reicht mir dann einen Becher Kaffee. Ich danke ihr, nehme einen Schluck davon und bin überrascht. Der Kaffee schmeckt wirklich richtig gut und anders, als der Kaffee, den man bei irgendwelchen Franchise-Ketten erwerben kann.
 

Ich frage Keizo noch einmal, ob er das wirklich tun möchte und er schaut mich ernst an, bevor er nickt. Dann meint er, dass es an der Zeit ist, dass diese Monstren nie wieder einem Kind Leid zufügen können. Zustimmend nicke ich und trinke meinen Kaffee aus. Keizo greift nach einer Umhängetasche, die prall gefüllt zu sein scheint. Dann drehen wir uns zum Eingang und beginnen Keizos schwersten Gang.
 

An der Rezeption frage ich nach Detective Nagasato. Die Dame in Uniform telefoniert kurz und nickt uns dann zu. Sie reicht uns drei Besucherausweise und deutet dann auf die Aufzüge. Weist uns an, dass wir in die sechste Etage fahren sollen, dort würde Detective Nagasato dann auf uns warten. Wir heften uns die Ausweise an und folgen der Beschreibung.
 

Keizo atmet noch einmal tief ein, bevor er vor dem Aufzug stehen bleibt. Da fällt mir wieder ein, dass der junge Mann ein Problem mit diesen hat und ich biete ihm an, dass wir auch die Treppe nehmen können. Doch er winkt ab, verschränkt seine Hand mit der seiner Frau, die ihn beruhigend anlächelt und tritt über die Schwelle. Die Fahrt über ist Keizo enorm angespannt und nimmt seinen Blick nicht einen Moment von der Stockwerksangabe. Mit einem leisen Bing erreichen wir unser Ziel und die Türen gleiten auseinander.
 

Yuki steht bereits vor dem Aufzug und lächelt, als sie mich sieht. Ich nicke ihr begrüßend, aber reserviert zu und stelle dann Keizo und Megumi vor, die beide davon überrascht sind, dass Detective Nagasato eine Frau ist. Fragend blickt mich Yuki weiterhin an und fragt mich dann, was los sei. Dabei klebt ihr Blick an Keizo, dem das durchaus bewusst und unangenehm ist.
 

Mit gedämpfter Stimme sag ich ihr, dass sie meinte, dass ihr jemand helfen würde, der ein Opfer von Kogoro gewesen war. Überrascht weiten sich ihre Augen und sie schaut mich an, als hätte ich so eben etwas herbei gezaubert, was sie für völlig unmöglich gehalten hat. Doch dann besinnt sie sich auf ihre Professionalität und führt uns in einen etwas abgelegenen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können. Ich hoffe - inständig - dass Yuki mit Keizos Hilfe endlich etwas bewirken kann.
 

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Einen Schritt, um einen Stein ins Rollen zu bringen

Mein Jackett hängt über dem Stuhl, auf dem ich gefühlt eine Ewigkeit sitze. Meine Speicherkarte hatte sich bereits zwei Mal gefüllt und ich lege gerade die dritte in. Dabei fällt mir auf, dass es draußen bereits schon wieder dunkel ist. Überrascht blick ich auf meine Armbanduhr und stell fest, dass es schon nach 21.00 Uhr ist. Sitzen wir wirklich schon fast zwölf Stunden hier?
 

Ich mustere prüfend die zwei Personen, die auf der anderen Seite des Tisches sitzen: Oshita Keizo und seine Frau Megumi. Seit heute Morgen sind sie hier bei mir im Gespräch und Keizo erzählt mir von seiner Kindheit und Jugend. Von seinem sadistischen Vater. Von dem, was dieser seiner Mutter angetan hatte und danach ihm.
 

Er erzählt von den Freunden und Geschäftskollegen. Von Tauschhandeln mit Kindern, Sexparties und Pornographie. Ich kann es erst gar nicht glauben, doch je länger und detaillierter er erzählt, desto glaubwürdiger wird die Schilderung einer schrecklichen Schattenseite der feinen Gesellschaft dieser Stadt. Von der Langweile derer, die alles haben. Die mit ihrem Geld Menschen kaufen und sich an ihrem Leid ergötzen, dass sie jenen entweder selbst antun oder antun lassen.
 

Korruption schützt diese Seite der Gesellschaft. Es fallen Namen von Menschen, die damals oder heute hohe Positionen in der Politik oder anderen Organisationen, wie dem Polizeiapparat, bekleiden. Namen, die mir geläufig sind. Die immer noch viel Macht und Einfluss haben. Ich wusste schon immer, dass die Jagd nach Daimon Kogoro - meinem weißen Wal - weite Kreisen ziehen würden, aber das... das sprengt förmlich meinen Horizont.
 

Was der junge Herr Oshita mir schildert ist ein pilzartiges Krebsgeflecht, dass sich durch die gesamte Stadt und darüber hinaus erstreckt. Es ist so verzweigt und verwurzelt, dass es schwer werden wird, es auszumerzen. Ich vertraue meinem Captain. Der Mann hat mehr als einmal bewiesen, dass er selbst gegen die Obrigkeit uns gegenüber integer ist. Wie oft ist er schon durchs Feuer gegangen, um einen von uns den Arsch zu retten, als einer der Schreibtischtäter die Versetzung oder Entlassung gefordert hat? Aber kann er einschätzen, welcher Staatsanwalt ebenso vertrauenswürdig ist und nicht zu diesem Krebsgeschwür der Gesellschaft gehört?
 

Da reißt mich ein Räuspern aus den Gedanken und ich schau zu Akito, der seit Beginn dieses Gespräches in der Ecke auf einen Stuhl sitzt und einfach nur da ist. Gelegentlich steht er auf und fordert von Herrn Oshita, dass er ein paar Minuten pausiert. Er scheint ihm gegenüber eine ähnlich fürsorgliche Stellung eingenommen zu haben, wie gegenüber dem Herrn Kaiba.
 

Das ist beeindruckend, wenn man bedenkt, durch welche Hölle diese beiden jungen Männer gegangen sind und was für ein beachtliches Problem mit Nähe und Vertrauen sie haben müssen, wobei Herr Oshita wesentlich gefasster wirkt. Wenn ich raten müsste, würde ich mutmaßen, dass Herr Oshita bereits eine Bewältigungstherapie hinter sich hat. Auch seine Frau gibt ihm ganz offensichtlich den Halt und die Stärke, die er für dieses Gespräch braucht.
 

Auch jetzt steht Akito auf und legt dem jungen Mann vor mir eine Hand auf die Schulter. Ich frage, ob wir für heute aufhören sollen, doch sofort schlägt mir von Herrn Oshita ein energisches 'Nein' entgegen. Doch Akito wendet ein, dass wir zumindest eine kurze Pause einlegen sollen. Dann fragt er, ob er etwas zu Essen holen gehen soll. Herr Oshita sieht nicht so aus, als würde er jetzt etwas essen können, dennoch nickt seine Frau und dankt Akito. Dieser nickt und verlässt mit seinem Mantel über den Arm den Raum.
 

Derweil möchte Herr Oshita weitersprechen. Also beende ich den Wechsel der Speicherkarte und schalte das Diktiergerät erneut ein. Er berichtet weiter. Davon, wie man ihn herumreichte, auslieh, vermietete... wie er begann sich mit Drogen zuzuballern, damit er nichts mehr spürte. Aus der Hölle zumindest gedanklich ausbrechen zu können. Anfangs mit Tabletten, dann mit Pülverchen, die er sich in die Nase zog, schließlich jene Substanzen, die man sich spritzte. Die Konsequenzen des Konsums waren ihm damals egal gewesen, erzählt er mir ungewöhnlich offen.
 

Nach einer halben Stunde kommt Akito mit zwei Plastiktüten zurück, in dem eine Menge kleinere Pappschachteln waren. Scheinbar hat er einmal die Karte eines chinesischen Restaurants hoch und wieder runter bestellt. Er packt alles aus, reicht jedem ein Paar Einwegstäbchen und verteilt dann noch einige Getränke. Dann reicht er Herr Oshita eine Pappschachtel und als der Jüngere diese öffnet staunt er und zum ersten Mal am heutigen Tag seh ich ihn lächeln. Scheinbar hat Akito nicht wahllos bestellt, geht mir durch den Kopf.
 

Wir legen also eine Pause zum Essen ein, bevor es weiter geht. Gegen Mitternacht fällt mir auf, dass sich auch diese Speicherkarte langsam gefüllt hat. Ich kündige an, sie erneut zu wechseln, doch Herr Oshita hebt die Hand und meint, dass wir endlich am Ende angekommen seien. Ich bin verwundert und ziehe meine Stirn kraus. Nach meinen Notizen, die ich parallel zum Diktiergerät gemacht habe, sind wir bei der Erzählung erst bei Herrn Oshitas vierzehntes Lebensjahr angekommen.
 

Als ich ihm das mitteile lächelt er mich unerwartet sanft an. Er meint, dass ab diesem Zeitpunkt es nicht mehr nur alleine seine Geschichte ist und er versprochen habe, darüber kein Wort zu verlieren. Erst verstehe ich nicht, doch dann erinnere ich mich an das Bild, auf dem Herr Kaiba von einem kaum älteren Jungen missbraucht wurde.
 

Mein Gesprächspartner setzt noch ein letztes Mal an und erzählt, dass er mit sechzehn schließlich zu alt für die Kreise wurde und man ihn einfach in einer Gosse aus einem Wagen gestoßen habe. Völlig weggedröhnt. Er erzählt mir, wie er sich fortan mit Gelegenheitsprostitution über Wasser gehalten hat und mit Drogen seine Erinnerungen unterdrückt hatte. Bis zu jenem Tag an dem Akito ihn gefunden und in eine Entzugsklinik gebracht hatte. Dort war er clean geworden und hatte sein Leben geändert. Im Rahmen des Programms hatte er einen Job in einem Dōjō gefunden und in dem Meister dort einen Ziehvater. Und schließlich, als die Tochter des Meisters vom Studium wieder in die Heimat zurück kam, eine Frau.
 

Ich wünschte, jedes Kind würde so ein Happy End erfahren. Mir ist klar, dass es nicht immer leicht in einer Beziehung mit einem so vorbelasteten Menschen sein kann. Doch eine Ersatzfamilie, einen Traumjob und dann eine Frau fürs Leben zu finden... was für ein Glück.
 

Zum ersten Mal an diesem Tag lehnt sich Herr Oshita zurück gegen die Rückenlehne seines Stuhls und wirkt auf einmal erleichtert. Schließt für einen Moment die Augen und atmet tief durch. Seine Frau küsst ihn auf die Wange und könnte nicht stolzer aussehen. Dann fragt er mich, ob ich mit all dem, was er mir nun erzählt hat, etwas anfangen könne. Ich überfliege meine zwei Notizblöcke, die ich vollgeschrieben habe und runzle die Stirn.
 

Das war eine bewegende Erzählung, aber im besten Fall steht das Wort des Herrn Oshita gegen das Wort der Männer, die er beschuldigt. Als er das hört nickt er nur, greift neben sich auf den Boden und holt diese übervoll Ledertasche hoch. Er holt mehrere Behälter aus ihr und ich runzle wieder die Stirn. Vorsichtig greife ich nach den Behältern, öffne sie und... bin entsetzt.
 

Hunderte, wenn nicht tausende von Bildern eröffnen sich mir, die genau das dokumentieren, was mir der junge Mann in seinen eigenen Worten geschildert hatte. In einer Kassette finde ich Speicherkarten, auf denen wohl Videomaterial enthalten sein soll. Ich bin völlig baff.
 

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Einen Schritt mit unerwarteten Gefühlen

Mir war gar nicht klar gewesen, dass das, was diese Männer mit Seto getan haben schon lange vor dessen Adoption begonnen hatte. Wie naiv von mir, zu glauben, dass Keizo und Seto die einzigen Opfer dieser Männer gewesen waren. Aber woher hätte ich das wissen sollen. Ich hatte erst kurz vor der Adoption angefangen für diesen Mann - dieses Monster - zu arbeiten.
 

Als ich vor das Präsidium ins Freie trete atme ich tief ein und lasse für einen Moment die klare Abendluft auf mich wirken. Sie wirkt der Übelkeit entgegen, die sich auf Grund der sehr plastischen Beschreibung Keizos gebildet hatte. Diese Übelkeit wird von dem Ekel genährt, den all diese Gräueltaten verursachen.
 

Ich werde nie verstehen, wie man ein Kind - ein so zerbrechliches Wesen - nehmen und es wissentlich und absichtlich mit all dem Schmerz und den Erniedrigungen zerstören kann. Ein Kind... ich meine... Oh, wäre dieser Mistkerl nur noch nicht tot... Meine Hände ballen sich zu Fäusten und dann schling ich meinen Mantel enger um mich, bevor ich die Straße runter gehe.
 

Mein Handy vibriert, wie schon einige Male zuvor. Daher greife ich in meine Manteltasche und ziehe es hervor, um zu sehen, wer mir auf die Mailbox gesprochen hat. Als ich auf mein Display schaue stocke ich. 17 Nachrichten sind auf meiner Mailbox eingegangen. Ob etwas geschehen ist?
 

Eilig ruf ich meine Mailbox auf und höre sie ab. Es ist Mokuba. Erst möchte er wissen, wie es auf dem Präsidium gelaufen ist. Dann macht er sich Sorgen, weil ich nicht zurück gerufen habe. Dann hör ich ihn, wie er mir erzählt, er habe gerade erfahren, dass ich heute gar nicht in der Firma war und schließlich wird der Junge panisch und fleht regelrecht um einen Rückruf.
 

Also sammle ich mich ein wenig und rufe ihn an. Es ist kurz nach neun Uhr am Abend, er müsste noch wach sein. Es hat kaum geklingelt da hör ich ihn bereits panisch in den Hörer rufen, ob bei mir alles in Ordnung sei und wo ich sei. Also sag ich ihm, dass ich nach wie vor auf dem Präsidium bin und entschuldige mich, dass ich mich erst so spät melde.
 

Mokuba ist erstaunt, dass wir immer noch bei der Polizei sind. Möchte wissen, ob es irgendwelche Probleme gegeben hat. Ich verneine und meine nur, dass Keizo viel zu erzählen hat und wir gelegentlich mal eine Pause machen müssen, damit die Emotionen nicht unkontrollierbar werden und er seine Aussage abbrechen muss. Sonst müsste er sich noch einmal diesem Stress aussetzen. Mokuba beginnt zu verstehen. Dann fragt er, wie es Keizo geht.
 

Was soll ich dem Jungen darauf antworten? Ich kann ihm nicht erzählen, wie sehr Keizo bei seiner Aussage leidet, auch wenn er versucht den Schein zu wahren und stark zu wirken. Einige Erzählungen haben die Gefühle von damals wieder an die Oberfläche gezerrt. Doch er will sich diesen Gefühlen nicht ergeben und kämpft weiter. Also mein ich nur, dass es Keizo den Umständen entsprechend geht.
 

Mental klopfe ich mir selbst auf die Schulter. Es entspricht doch ziemlich der Wahrheit und ist schön schwammig. Genau die richtige Antwort für einen fast 14-Jährigen, der nicht wissen muss, wie mitgenommen Keizo von seiner eigenen Aussage ist. Der sowas nicht für seinen Bruder fürchten soll, obwohl es wohl bei Seto noch schlimmer sein könnte, wenn er irgendwann hier sitzt und seine Geschichte zu Protokoll gibt.
 

Ich bitte Mokuba zeitig schlafen zu gehen und nicht auf zu bleiben und auf mich zu warten. Verspreche ihm, dass ich ihn morgen nach der Schule abhole und ihm dann alles erzähle. Bis dahin werd ich dann hoffentlich auch wissen, was genau ich Mokuba erzählen werde. Im Moment könnte ich das nämlich nicht. Denn im Moment wundert es mich wirklich, dass Keizo all das überlebt hat und sich nicht selbst ins Jenseits befördert hat. Er muss ein wirklich guten Therapeuten gehabt haben, der ihm dabei geholfen hat, das alles zu verarbeiten. Vielleicht sollte ich da mal nachforschen.
 

Mokuba verabschiedet sich und sagt dann abschließend, dass er mich lieb habe. Ich bin im ersten Moment so perplex, dass ich nicht weiß, was ich erwidern soll. Klar, hab ich ihn auch lieb, immerhin kümmere ich mich um ihn und Seto seit acht Jahren. Doch ist es angebracht, Mokuba zu sagen, dass ich ihn auch lieb hab? Ich umschiff das Wort 'lieb' und erwidere nur 'ich dich auch'. Dann kann ich ihn tatsächlich lächeln hören, bevor er auflegt.
 

Ich steck das Handy weg, betrete ein chinesisches Restaurant, welches eine vorzügliche Qualität hat und bestelle einmal die Karte rauf und runter, bevor ich gesondert für Keizo etwas ordere, was man nicht überall bekommen kann. Es ist nicht das Essen an sich, sondern die Zubereitung, die es besonders macht. Soweit ich weiß ist dieses Restaurant das einzige in der Region, welches es so zubereitet.
 

Nach zwanzig Minuten kehr ich zum Präsidium zurück. Fast drei Stunden später ist das Gespräch nach fast fünfzehn Stunden zu Ende und ich fahre Megumi und Keizo nach Hause. Auf dem Weg frage ich, ob wir noch die Kleine irgendwo abholen sollen, doch Megumi verneint. Hoshi ist bei ihrem Großvater, der ganz vernarrt in seine Enkelin ist. Ich lächle und fahr sie zu ihrem Haus. Dort steig ich aus und helfe Megumi mit dem völlig erschöpften Keizo. An der Haustür bedankt sich Megumi bei mir und ich verabschiede mich. Gerade als ich mich wegdrehe kommt noch einmal Leben in Keizo, der mich fest in seine Arme zieht und mir dankt. Erst nach einem langen Augenblick löst er sich von mir und lässt sich von seiner Frau ins Haus bringen.
 

Für einen weiteren Moment bleibe ich in der Dunkelheit vor dem Haus stehen, bevor ich zu meinem Auto zurück gehe. Kurz erwäge ich in meine alte Wohnung zu fahren und dort zu schlafen. Einerseits, weil sie näher ist. Andererseits, um nicht Setos Unmut weiter zu schüren. Vielleicht tut uns etwas Abstand gut. Doch irgendetwas in mir verbietet mir es mir so einfach zu machen. Ich hab Bockmist gebaut und ich werde Setos Wut und Ignoranz stoisch ertragen, wie ich es früher auch schon tat. Also mach ich mich auf den Weg zur Villa.
 

Es ist fast zwei Uhr, als ich meinen Wagen in der Garage parke, aussteige und leise zur Haustür gehe. Ich schließe sie auf, schlüpfe aus meinen Schuhen, hänge meinen Mantel an die Garderobe und möchte mich dann zur Treppe wenden, als mir auffällt, dass im Wohnzimmer noch Licht brennt. Verwirrt geh ich auf den offenen Durchgang zu, als Seto plötzlich in diesen tritt. Er hat ein Buch in der Hand, das er nur mit einem Finger offen hält.
 

Streng mustert er mich von unten nach oben und für einen Moment glaube ich, dass er etwas sagen möchte. Doch dann schaut er über seine Schulter zurück ins Wohnzimmer und nach einem Augenblick erkenne ich, dass auch Katsuya noch wach ist. Er schließt zu Seto auf und dann machen sich beide auf den Weg, an mir vorbei, zur Treppe. Als Katsuya an mir vorbei geht lächelt er mir nur sanft und aufmunternd zu, während er mir unauffällig zuzwinkert.
 

Verwirrt blicke ich den beiden hinterher, bevor ich das Licht im Wohnzimmer in den Nachtmodus schalte, der das Licht nur drastisch dimmt, aber nicht ausgehen lässt, bevor ich auch die Treppe nach oben besteige, um zu meinem Zimmer zu kommen. Ohne das es mir wirklich bewusst ist lächle ich.
 

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Einen Schritt sich anzunähern

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt in sich

Eines muss ich Isono zugutehalten: Er versucht gar nicht erst mir auf der Fahrt ein Gespräch aufzuzwingen. Dabei hätte er hier die besten Chancen mich mit Entschuldigungen und Erklärungen zu bombardieren. Immerhin kann ich mich ja nicht einfach aus dem fahrenden Fahrzeug stürzen. Nun ja, können könnt ich schon, aber das wäre hirnrissig.
 

Doch Isono hat schon immer gewusst, wann er etwas sagen konnte und wann es besser war zu schweigen. Wusste, wann er etwas ansprechen konnte und welche Themen er besser ruhen lassen sollte. Ich kann mich nur an ein einziges Mal erinnern, als Isono ein Thema anschnitt, dass ich so offensichtlich vermeiden wollte. Damals war er mit so einem Kinderpsychologen in der Villa aufgetaucht und wollte, dass ich mit dem über Gozaburo spreche. Damals hab ich ihm mit Rauswurf gedroht, sollte er sich so etwas noch einmal wagen.
 

War sein Gespräch mit Detective Nagasato 'so etwas'? Ich bin mir da nicht sicher. Katsuya hat in den letzten Tagen oft gesagt, dass Isono auch mal jemand zum Reden gebraucht hat. Tatsächlich hab ich mich nie gefragt, wie es wohl für ihn gewesen war all die Jahre mitzuerleben was Gozaburo und seine ... Lakaien mit Keizo und mir gemacht haben. Isono war eben immer da und hat sich um mich gekümmert, nachdem die anderen fertig mit mir waren. Das ihm das alles irgendwie auch betrifft ... ist immer noch ein komischer Gedanke.
 

Außerdem: Selbst wenn ich ihn rauswerfen wollen würde, ginge das nicht mehr! Immerhin ist er seit Monaten Miteigentümer der Firma und seit ein paar Wochen Mokubas und mein Vormund. Noch zwei Bereiche, in denen ich die Kontrolle verloren habe ... auch wenn ich diese freiwillig abgegeben habe wird mir erst jetzt so richtig bewusst, was das bedeutet.
 

Aber würde ich - selbst wenn Isono nicht Miteigentümer und Vormund geworden wäre - ihn wirklich rauswerfen? Mein halbes Leben lang ist er meine einzige, wohlwollende Bezugsperson in einer kalten, schmerzhaften Welt gewesen. Er hat an meinem Bett gesessen, wenn es mir nicht gut ging. Hat immer dafür gesorgt, dass ich etwas zu essen bekam, selbst als Gozaburo angeordnet hat, mir nichts zu geben. Hat meine Verletzungen versorgt. Ist niemals übergriffig geworden.
 

Nein... ich könnte ihn nicht einfach so rauswerfen. Weil er für mich schon lange kein Angestellter mehr ist, auch wenn ich ihn noch bis letztes Jahr so behandelt habe, weil ich mir das alles nicht eingestehen wollte. Doch so ist es schon seit Jahren. Isono hat immer nur in meinem Wohl gehandelt, auch wenn ich manche Aktionen abgelehnt habe. Ihm war es immer nur um mich gegangen.
 

Und doch lässt mich dieses Gefühl nicht los, dass er mir Kontrolle entrissen und über meinen Kopf hinweg etwas entschieden hat, was mich betrifft. Bislang hab ich bestimmt, wer von mir und den Sachen, die unter Gozaburo geschehen sind, erfahren hat. Klar, ich wollte Detective Nagasato ohnehin alles erzählen, bevor Kai meine Entschlusskraft einfach mal so untergraben hat, aber das wäre meine Entscheidung gewesen. Meine. Auch was ich ihr erzählt hätte.
 

Wieso klammer ich mich so sehr an Kontrolle? Spätestens seit letzten Dezember ist mir doch klar, dass ich nie wirklich die Kontrolle hatte. Ich verstehe das alles nicht und ich hasse es, wenn ich etwas nicht verstehe. Gefühle sind so komplex und funktionieren einfach nicht nach bestimmten Parametern oder nach Logik. Ich hab meine Gefühle so lange hinter einer Wand verborgen, dass es mir immer noch wahnsinnig schwer fällt, mit ihnen umzugehen. Es ist nicht mehr so angsteinflößend, wie noch zum Jahresanfang, aber Gefühle sind einfach nicht berechenbar.
 

Isono hat uns mittlerweile in die Stadt, am Zentrum vorbei und in das Familienviertel gefahren. Der Wagen wird immer langsamer, bis er vor dem letzten Haus in der Straße, hier am Waldrand, schließlich zum stehen kommt. Meine ehemals rechte Hand schaltet den Motor ab, zieht den Schlüssel aus dem Schloss und steigt aus. Nach einem Augenblick steig auch ich aus und höre hinter mir, wie die Zentralverriegelung sich schließt.
 

Am Gartentor bleib ich noch einmal stehen und blicke auf das Haus, in dem ich meine frühe Kindheit verlebt habe. In dem meine Eltern und ich so glücklich waren. In dem meine Mutter mit ihrem Kugelbauch während Mokubas Schwangerschaft herum gewatschelt ist und dass früher so voller Lachen war. Da ist noch ein Gefühl, dass ich längst bewältigt glaubte: Trauer. Trauer über den Verlust meiner Eltern.
 

Das quietschen des Gartentörchen holt mich wieder zurück in das Hier und Jetzt und ich sehe, wie Isono mir dieses aufhält. Also übertrete ich die Grundstücksschwelle und schiebe mich an meinem Vormund vorbei, bevor ich auf die Haustür zu halte und dort anklopfe. Mein Klopfen klingt ziemlich harsch, obwohl das nicht in meinem Sinn lag.
 

Es dauert nur einen Augenblick da kommt Megumi mit Hoshi auf dem Arm an die Tür und öffnet diese. Überrascht blickt sie uns an und bittet uns dann herein. Hoshi strahlt Isono regelrecht an und möchte zu ihm auf den Arm. Zu meiner Überraschung nimmt er sie auch, als Megumi sie ihm reicht. Hoshi lacht glucksend und betastet sein Gesicht, während er auf eine Art und Weise lächelt, die ich bei ihm noch nie gesehen habe.
 

Isono wäre vielleicht ein guter Vater, geht es mir durch den Kopf. Mokuba und mir war er jedenfalls einer. Aber wenn ich ihn so mit Hoshi sehe muss ich sagen, dass er vollkommen anders wirkt. All der Schwermut ist regelrecht von ihm abgefallen und er wirkt auf einmal so entspannt. Ob sich Isono jemals eine Frau suchen wird, mit der er dann eigene Kinder zeugt? Diese Frage überrascht mich selbst so sehr, dass ich für einen Moment völlig perplex dastehe und einen Anflug von Angst verspüre. Denn wenn Isono das tun würde, dann würde er uns verlassen.
 

Megumi holt mich aus meinem Anflug von Angst raus und fragt, ob ich einen Kaffee möchte. Ich nicke, immer noch etwas neben mir stehend, und folge ihr in die Küche. Dort ist bereits alles für ein kleines Frühstück für sie und ihre Tochter gerichtet. Sie brüht Isono und mir Kaffee auf und wir setzen uns an den Tisch. Fragend blicke ich mich um und Megumi lächelt sanft. Sagt, dass Kei noch schläft und das wohl noch bis zum Mittag.
 

Nachdem Isono einen Schluck seines Kaffees genommen hat fragt er Megumi, wie es Kei so geht. Ihr Lächeln mildert sich etwas und sie bekommt kurz einen traurigen Ausdruck. Doch dann flammt ihr Lächeln wieder auf. Sie meint, dass es gut ist, dass Kei diesen Schritt endlich gewagt hat und sie hofft, dass Detective Nagasato trotz aller Widrigkeiten etwas unternehmen wird.
 

Warum sollte sie nicht? Sie hat eine mehrstündige Aussage, eine unterschriebene Anzeige, mehrere Beweismittel ... warum sollte sie nichts unternehmen? Megumi schaut mich kurz verwirrt an und fragt dann Isono, ob er mir noch nichts erzählt hat. Isono meint nur, dass sich die Gelegenheit bislang nicht eröffnet hat. Also erzählt mir Megumi, dass eine Anklageerhebung noch gar nicht gesichert ist. Keis Drogen- und Prostitutionsvergangenheit, die Kreise, in die die Anschuldigungen reichen, ...
 

Ich bin zutiefst schockiert. Erkenne, dass es bei mir genauso gewesen wäre, wenn ich die Anzeige erstattet hätte. Entschlossenheit formt sich in mir. Irgendetwas muss sich ändern, damit eine Anklageerhebung niemals wieder bei solch erdrückenden Beweisen auch nur in Zweifel gezogen werde kann.

Einen Schritt, um etwas anzupacken

Es ist ungewöhnlich, dass ich alleine im Bett liege. Wenn Seto einen Albtraum hat, werde ich immer schon vorher wach, so wie ein Hund anfängt zu bellen bevor ein Erdbeben stattfindet. Ich hab eigentlich ein recht zuverlässiges Gespür dafür und kann ihn so immer beim Erwachen auffangen.
 

Doch heute scheint dieses Gespür mich im Stich gelassen zu haben. Ich steh auf und schau mich im Schlafzimmer um, doch ich kann meinen Drachen nirgends sehen. Auch im Badezimmer kann ich ihn nicht finden und das Ankleidezimmer liegt auch ruhig und leer vor mir. Rasch zieh ich mir eine Hose und ein Shirt an und verlasse unser Schlafzimmer.
 

Im Flur bleib ich kurz bei Mokubas Zimmer stehen, öffne leise die Tür und schau hinein. Doch der kleine Wirbelwind schläft friedlich, auch wenn ich mich frage, wie er SO im Bett liegen kann ohne rauszufallen. Sein Oberkörper hängt halb aus dem Bett, die schwarze Mähne berührt den Boden. Auf der anderen Seite ragt ein Bein aus dem Bett und ... sabbert Mokuba im Schlaf? Mit einem amüsierten Grinsen schließ ich die Tür wieder.
 

Dann mach ich mir wieder Sorgen. Ich laufe den langen Flur zur Treppe, halte kurz inne und laufe dann weiter in den anderen Flügel, in dem bis letztes Jahr noch Setos Zimmer gelegen hat. Doch auch dieses Zimmer ist verlassen. Es ist fast ein wenig unheimlich es in dieser frühen Morgenstunde im Dunkeln zu betrachten.
 

Also geh ich zurück zur Treppe und hinunter ins Erdgeschoss. Dort schau ich ins Wohnzimmer, die Küche, den Wintergarten, ... aber auch diese Räume sind leer. In unserer Trainingshalle, die früher mal ein Saal für Empfänge gewesen ist, ist mein Drache auch nicht. Ich schau dann noch in das Esszimmer, dass Seto seit ich eingezogen bin auch nicht mehr verwendet.
 

Schließlich komm ich wieder in der Eingangshalle an und geh mir angespannt durch die Haare. Wo ist nur mein Drache? Ich blicke zur Haustür. Nein. Er würde nicht noch einmal weglaufen und uns unwissend zurück lassen. Trotzdem geh ich zur Tür und versuche sie zu öffnen, doch sie ist abgeschlossen. Das erleichtert mich, auch wenn mir bewusst ist, dass man das Haus nicht nur durch diese Tür verlassen kann.
 

Als ich zur Treppe zurück kehre blicke ich kurz in den Flur, der seitlich davon abgeht und zu Setos Hausbüro führt. Weiter vorne kann ich einen Lichtschimmer sehen. Mental klatsch ich mir an die Stirn. Warum hab ich da bislang nicht dran gedacht?
 

Schon seit Seto mit Akito bei Keizo gewesen war ist er jeden Tag nach der Schule sofort in seinem Büro verschwunden, ohne vorher etwas zu essen. Wann immer ich in sein Büro geschaut habe telefonierte er energisch, oft auch in Sprachen, die mir nicht geläufig waren, beugte sich über Notizen, die er hin und her schob, oder hämmerte auf die Tastatur seines Laptops. Abends musste ich ihn förmlich immer aus dem Büro zerren, damit er zum Abendessen kommt.
 

Wann immer Mokuba oder ich ihn fragen, was er da eigentlich tut, kommt nur so eine Antwort wie 'Kann ich noch nicht sagen' oder 'Ist noch nicht konkret'. Ja, damit haben Mokuba und ich uns zufrieden gegeben, denn wir kennen unseren Drachen schon eine ganze Weile. Es bringt nichts von ihm eine Antwort zu fordern, wenn er sie noch nicht geben kann oder will.
 

Doch ganz ehrlich: Irgendwo hört der Spaß auf. In diesem Fall an einem Sonntag um halb fünf in der Früh. Also geh ich den langen, dunklen Gang entlang und bleibe vor der Bürotür stehen. Ich atme noch einmal kurz auf und verdränge meinen leichten Anflug von Ärger. Seto ist - entgegen der landläufigen Meinung - ein sehr sensibler Mensch, der vor allem mir gegenüber sofort Schuldgefühle bekommt, wenn er denkt, dass ich auf Grund seines Verhaltens verstimmt bin.
 

Nach einem langen Augenblick, in dem ich ein paar Mal durchgeatmet habe, öffne ich vorsichtig die Tür und schau in das Büro. Seto steht wieder über seinen Schreibtisch gebeugt da und macht Notizen auf einem Zettel. Leise betrete ich das Büro, schließe die Tür wieder und gehe zu ihm. Als ich meine Arme um ihn schlinge erschrickt er kurz und schmunzelt dann. Er wendet sich zu mir und küsst mich kurz.
 

Als der Kuss ausklingt fällt mein Blick auf die Notizen und dann auf einen Namen: Yamanashi-Stiftung. Von so einer Stiftung hab ich noch nie gehört. Der Name wurde mehrfach von Seto mit einem Stift umkreist und von anderen Namen, die kreuz und quer auf dem gleichen Blatt stehen, hervor gehoben.
 

Wieder frag ich Seto, woran er da arbeitet, denn es muss wohl wichtig sein, wenn er an einem Sonntag so früh aufsteht, um daran zu werkeln. Doch Seto lächelt nur verhalten und meint, dass er mir dazu noch nichts sagen kann und er mich noch um etwas Geduld bitten möchte. Ich nicke und küsse ihn. Was soll ich auch sonst tun?
 

Eigentlich ist es schön, Seto mal wieder so enthusiastisch an etwas arbeiten zu sehen. Seit er den CEO-Posten an Akito abgegeben hat fehlte ihm etwas. Und das scheint er jetzt mit diesem neuen Projekt auszugleichen. Dennoch muss ich ihn hin und wieder etwas bremsen, damit er darüber nicht sich selbst vergisst. Als ich ihn frage, seit wann er hier unten ist blickt er verwirrt auf eine Uhr und meint, dass er noch nicht so lange wach ist, vielleicht zwei, drei Stunden.
 

Entgeistert blick ich ihn kurz an und lächel dann. Streich ihm sanft über die Wange und mein zu ihm, dass ich mal das Frühstück machen gehe. Er nickt nur, während er sich bereits wieder über seinen Notizen beugt und murmelt, ich solle ihn dann holen. Aber sicher werde ich ihn holen. Darauf kann er sich verlassen.
 

Also lass ich ihn wieder alleine, verlasse sein Büro und bekomme, kaum dass ich die Bürotür hinter mir geschlossen habe einen Schreck, als ich gegen Akito pralle. Er fragt, ob Seto bereits an seinem Projekt weiterarbeitet und ich nicke. Dann schieb ich Akito wieder nach vorne zur Treppe und ziehe ihn dann mit in die Küche. Wenn er schon wach ist, dann kann er mir auch beim Frühstück helfen.
 

Scheinbar überrascht ihn das, aber er ist ein williges Opfer. Wir reden dabei miteinander über dies und das. Doch eines lässt mich nicht mehr los. Also frag ich Akito, ob er schon mal was von einer Yamanashi-Stiftung gehört habe. Er blickt mich kurz überrascht an, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ich diesen Namen kenne. Dann schüttelt er aber den Kopf und meint, er habe noch nie von dieser Stiftung gehört.
 

Jetzt blicke ich ihn überrascht an. Irgendetwas ist mir wieder entgangen, aber das werde ich auch noch rausfinden.
 

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Einen Schritt in die Dunkelheit

Keizo sah gestern nicht gut aus. Er wirkte abgespannt und erschöpft und ich mach mir Sorgen um ihn. Daher hab ich gestern noch mit Megumi gesprochen, bevor die beiden nach Hause gefahren sind. Von ihr hab ich erfahren, dass Keizo seit seiner Aussage wieder unter Albträume leidet.
 

Das erfüllt mich mit großem Bedauern, hab ich den Stein doch erst ins Rollen gebracht. Ich wollte Seto helfen und habe dafür Keizo dazu gebracht Detective Nagasato alles über sich, seine Kindheit und Jugend zu erzählen. Das musste ja die alten Wunden wieder aufreißen.
 

Also beschließe ich auch an diesem Montagmorgen, dass ich vor der Firma kurz bei Megumi und Keizo reinschaue. Und wie in der letzten Woche kommt Seto mit, der immer noch nicht mit mir redet. Letzte Woche sah es kurz so aus, als ob Katsuya Recht behalten würde und Seto nach ein paar Tagen wieder zu alten Verhältnisse zurückkehren würden. Doch bei den Mahlzeiten ignoriert er mich nach wie vor und in sein neustes Projekt hat er mich auch nicht mit einbezogen.
 

Aber gut, ich habe nichts anderes erwartet, auch wenn ich gerne Unrecht gehabt hätte. Ich kenne diesen jungen Mann nun schon so lange und weiß, wie wenig er Verrat duldet oder diesen verzeihen kann. Eigentlich kann ich mich glücklich schätzen, dass er mich nicht längst aus der Villa gejagt oder aus der Firma geboxt hat. Sicherlich hat er diesen Wunsch gehabt und Katsuya hat ihn gebremst. Anders kann ich mir das nicht erklären.
 

Bei Keizo angekommen öffnet uns wieder Megumi, die Hoshi auf den Arm hat, die mich glucksend anlacht. Wieder gibt mir Megumi die Kleine auf den Arm und für einen Moment fühl ich mich... wie ein ganz normaler Mensch. Wie einen Onkel, der die Nichte auf dem Arm hält. Im Augenwinkel seh ich, wie Seto mich erneut kritisch mustert.
 

So hat er mich schon letzte Woche angeschaut, als ich Hoshi auf den Arm genommen habe. Was er wohl gerade denkt? Und dann ist da wieder - wenn auch nur kurz - dieser Ausdruck von Angst in seinem Blick. Aber worauf gründet seine Angst? Ich würde der Kleinen nie weh tun, das weiß er doch hoffentlich.
 

Dann kommt auch schon Keizo von oben herunter. Er sieht wieder aus, als hätte er nicht viel Schlaf bekommen. Dennoch grüßt er uns freundlich und bittet uns in die Küche. Wieder wird uns Tee angeboten, den wir gerne annehmen. Seto fragt dann auf seine ganz eigene, direkte Art, ob Keizo Schlafprobleme hat. Dieser lächelt nur und meint, nichts mit dem er nicht fertig werden würde.
 

Seto bietet ihm an, ihm einen Termin bei seinem Therapeuten zu besorgen, damit Keizo mit jemanden darüber reden kann. Doch wieder lächelt Keizo müde und hebt beschwichtigend die Hände. Meint, dass er bereits mit seinem Therapeuten in Kontakt steht. Ich kann sehen, dass Seto einerseits erleichtert, aber auch enttäuscht ist. Er hätte nur zu gern Keizo irgendwie geholfen.
 

Doch dann fragt Keizo Seto, wie es denn bei ihm so voran geht. Damit scheint Seto nicht gerechnet zu haben und schaut seinen Leidensgenossen mit großen Augen an. Dann blickte er kurz aus den Augenwinkel zu Megumi und ich sehe, wie er eine Technik anwendet, die die Schamesröte zurück halten soll. Diese Technik hatte er sich in seiner Jugend angeeignet, damit die Monster, die sich seiner bemächtigt hatten, sich nicht an seiner Scham ergötzen konnten.
 

Aber Megumi spürt, dass Seto noch nicht so weit ist vor jemand, wie ihr, über dieses Thema zu sprechen. Also nimmt sie mir Hoshi vom Arm und meint, dass da wohl jemand eine neue Windel braucht. Dann entschwindet sie, während Keizo uns die beiden Tassen mit Tee vorsetzt und dann gegenüber von Seto Platz nimmt. Seto schaut noch einen langen Moment Megumi hinterher. Dann antwortet er nur mit einem 'gut'.
 

Keizo lächelt ein wenig und fragt, was 'gut' genau bedeutet. Seto nimmt den Zucker und beginnt diesen löffelweise in den Tee zu geben. Er räuspert sich verlegen und scheint zu überlegen, wie er antworten soll. Nach dem sechsten Löffel leg ich eine Hand auf seine die den Zuckerlöffel führt. Völlig entgeistert blickt er mich an, als hätte ich ihn geohrfeigt. Also nehm ich meine Hand wieder von seiner. Nach einem weiteren langen Augenblick beginnt er seinen Tee umzurühren. Keizo verfolgt die Interaktion aufmerksam und prüfend.
 

Dann blickte Seto zu Keizo und erklärte, dass er gut mit seiner Therapie voran kommt, aber es eben Punkte gibt, in denen sein Therapeut und er unterschiedlicher Ansicht sind. Vorsichtig fragt Keizo nach, welche Punkte das sind und Seto blickt zähneknirschend aus dem Fenster. Schluckt kurz bevor er seine Tasse Tee hebt und einen Schluck nimmt. Sofort verzieht er angewidert das Gesicht, als ihm bewusst wird, wie süß das Getränk mit den sechs Löffeln Zucker geworden ist.
 

Schließlich erzählt Seto Keizo, dass sein Therapeut gerne mit ihm das Bildmaterial durcharbeiten möchte, er diese Idee aber ablehnt. Das ist mir ja völlig neu, dass Kai mit Seto die Videos und Fotoraphien durchgehen möchte. Besorgt schau ich nun wieder zu Seto, der mich aber gekonnt ignoriert, wie er es schon die ganze letzte Woche getan hat.
 

Keizo fragt ihn, wovor er Angst habe: Davor, dass jemand dieses Material sehen wird oder die Gefühle, die die Bilder bei ihm auslösen können. Seto schüttelt nur den Kopf und kontert damit, dass er ja bereit war Detective Nagasato dieses Material zu überlassen. Dabei höre ich in Setos Stimme ein leichtes Zittern, das seine Worte Lügen straft. Auch Keizo durchschaut ihn. Lächelt sanft und meint, dass es auch für ihn eine erhebliche Überwindung gewesen ist all das Bildmaterial zu sichten, auszusortieren und dann auch noch Detective Nagasato zu überlassen.
 

Seto nutzt die sich bietende Gelegenheit das Thema zu wechseln und fragt nach, ob Keizo bereits was von Detective Nagasato gehört habe. Er nickt und meint nur, dass sie noch bei der Sichtung des Bildmaterials ist. Sie habe nun ihren Captain ins Boot geholt und einen Kollegen, von dem sie sicher ist, dass er sie nicht verraten wird. Die drei versuchen immer noch einen Staatsanwalt zu finden, der vertrauenswürdig ist. Seto nickt nur.
 

Nach einem Augenblick des Schweigens wechselt Keizo abermals das Thema und fragt Seto, wie lang er noch auf mich böse sein möchte. Sofort schnappt mein Blick zu Keizo, von dem ich diese Frage nicht erwartet habe. Seto ist von dieser Frage mehr als überrascht und schaut mich kurz aus dem Augenwinkel an, bevor er wieder zu Keizo schaut. Er knirscht mit den Zähnen, denn er hat darauf keine wirkliche Antwort. Es ist ja nicht so, dass er am Anfang einen Zeitraum festgelegt hat, in dem er sauer sein möchte und der nun langsam abläuft.
 

Es geht hier um Gefühle und darin ist Seto einfach nicht wirklich geübt. Daher habe ich Verständnis, wenn er mir nicht verzeihen kann, auch wenn es das schwerste in meinem Leben ist, von ihm derartig und wiederholt geschnitten zu werden. Deshalb zwinge ich ihm kein Gespräch im Auto oder am Frühstückstisch auf.
 

Diese Frage und die Nicht-Antwort Setos rütteln dennoch an meiner Fassung. Es fällt mir gerade unglaublich schwer ruhig und sachlich zu bleiben. Also suche ich eine Möglichkeit mich kurz zu separieren. Da fällt mir etwas ein: Ich steh kurz auf und meine, dass ich noch etwas im Auto hab, was ich Keizo geben möchte. Also verlasse ich erst die Küche und dann das Haus, trete in den Vorgarten und höre einen lauten Knall. Ruckartig bleibe ich stehe und schau mich prüfend um. Aber ich kann nirgends ein Auto sehen, dass eine Fehlzündung gehabt haben könnte.
 

Dafür fröstel ich auf einmal, obwohl es bereits so früh am Tag schon so warm ist, und als ich einen weiteren Schritt machen möchte fühl ich mich so, als könne ich mich nicht mehr halten. Die ganze Welt beginnt zu schwanken und plötzlich find ich mich am Boden liegend wieder. Irgendwie verstehe ich gerade nicht, was geschieht.
 

Aber ich sehe, wie Keizo, Seto und Megumi aus dem Haus gestürmt kommen. Während Megumi geschockt stehen bleibt und Hoshi fester an sich drückt, rennt Keizo wieder in das Haus und verschwindet. Währenddessen kniet sich Seto hastig neben mich und presst seine Hände auf meine Brust. Dann seh ich, wie Tränen aus Setos Augen rinnen und sich an seinem Kinn sammeln, bevor sie auf mich niederfallen.
 

Ich frage mich, warum Seto so weint und warum er mir so fest auf die Brust drückt. Es schnürt mir fast die Luft ab. Das Frösteln wird zu einem Frieren und alles rückt in weite Ferne. An den Rändern meines Sichtfelds frisst sich Dunkelheit entlang. Seto sagt irgendetwas, aber ich kann es nicht verstehen. Ich merke nur, wie die Dunkelheit sich immer schneller zum Mittelpunkt meines Sehens vorfrisst und dann ... Schwärze ...
 

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Einen Schritt der Ohnmacht

Als der Knall ertönt zuck ich kurz zusammen, schau fragend zu Kei, der genauso verwirrt zu mir zurück schaut. Dann seh ich durch das Küchenfenster, wie Isono einen Schritt macht und zu schwanken beginnt. Ich steh auf und dann sackt Isono zu Boden. Meine Augen weiten sich und ich renn aus dem Haus in den Vorgarten. Knie mich hastig neben Isono und seh, wie sein weißes Hemd sich rot färbt. Ich presse mehr instinktiv als wirklich überlegt meine Hände auf seine Brust, wo das Blut heraus sickert.
 

Dann fallen Tropfen auf Isonos Gesicht. Ich schau verwirrt nach oben, um zu schauen, ob Wolken am Himmel sind, bevor ich realisiere, dass es meine Tränen sind. Ich beuge mich über Isono und schrei ihn an, dass er ja wach bleiben soll. Er sieht mich verwirrt an und scheint zu rätseln, warum ich weine. Er versucht seine Hand zu heben und legt sie mir mit großer Mühe an die Wange. Ein seltsames Lächeln legt sich auf sein Gesicht, dann schließen sich seine Augen.
 

Ich schrei ihn weiter an. Befehle ihm, seine Augen wieder aufzumachen. Doch er reagiert nicht mehr. Mein Druck auf seiner Wunde wird fester. Da hör ich schon in der Ferne die Sirene des Rettungswagens, der nach wenigen Minuten mit quietschenden Reifen vor dem Garten zum Stehen kommt. Eilig springen die Sanitäter aus dem Wagen, bringen allerlei Taschen mit sich, die sie hastig abstellen. Sofort legen sie einen Druckverband auf die Wunde und schieben mich unsanft zur Seite.
 

Keizo packt mich an der Schulter und zieht mich weg. Ich wehr mich dagegen. Ich will Isonos Seite nicht verlassen. Also reis ich mich los und knie mich wieder neben ihn. Greif nach der kalten Hand, während die Sanitäter ihm eine Atemmaske aufziehen. Einer versucht mit einem Stethoskop nach einem Puls oder Herzschlag zu hören.
 

Er nickt seinem Kollegen schließlich zu, der aus einer sterilen Verpackung einige Elektroden fummelt und - nachdem er das Hemd aufgerissen hat - an einigen Punkten auf der Brust platziert und sie an einen kleinen Monitor anschließt. Auf diesem sind unregelmäßige, kurze Spitzen zu sehen.
 

Die beiden Sanitäter wuchten Isono schließlich auf eine Barre und bringen ihn im Eiltempo zum Krankenwagen. Als ich einsteigen will werde ich vom ersten Sanitäter zurück gewiesen. Doch ich fauch ihn an, dass ich meinen treuen und teuren Freund nicht einfach irgendjemand überlasse. Der Sanitäter schreckt kurz zurück und lässt mich dann zusteigen. Dann gehen hinter mir auch schon die Türen zu.
 

Akito bekommt eine Infusion gelegt, dann ertönt ein durchgehendes Piepsen. Ich keuche entsetzt auf und hab das Gefühl, dass mir jemand das Herz aus der Brust zu reißen versucht. Sofort stößt mich der Sanitäter auf einen Sitz und greift zu einem Notfalldefibrillator, befestigt auch hier rasch zwei Elektroden und drückte dann einen Knopf. Akitos Körper zuckt unter dem Stromschlag, bevor er wieder leblos auf der Trage zur Ruhe kommt.
 

Der Sanitäter studiert einen Moment lang das EKG, bevor er eine zweite, höhere Ladung in den Körper von Akito jagt. Himmel, ich werde ihn verlieren. Seit über einer Woche ignorier ich ihn und straf ihn mit Schweigen, weil ich mich verraten gefühlt habe. Wie unsinnig das auf einmal wirkt. All die verschwendete Zeit. Ich weiß doch, dass er das nicht getan hat, um mich zu hintergehen, sondern allein um mich zu schützen. Ich fahr mir verzweifelt durch das Haar.
 

Noch ein drittes Mal spannt sich Akitos Körper an, als der Sanitäter eine dritte Stromladung in den Körper pumpt und damit wieder einen Herzschlag provoziert. Hastig spritzt er Akito etwas, um ihn zu stabilisieren. Der Druckverband ist bereits durchgeblutet. Aber Akito hat wieder einen Herzschlag und atmet.
 

Der Krankenwagen brettert mit eingeschalteter Sirene durch die Stadt und über stark befahrene Kreuzungen, bis er nach einigen Minuten quietschend zum Stehen kommt. Ich will ihn schon anblaffen, warum er nicht weiterfährt, als die Türen hinten aufgerissen werden und die Trage heraus gezerrt wird. Der Sanitäter ruft dem Notfallteam des Krankenhauses Eckdaten zu, sowie welche Maßnahmen er bereits getroffen hat. Ich renn den Ärzten und dem Sanitäter hinterher.
 

Immer wieder ruf ich, dass sie sein Leben retten sollen, dass sie sich um Geld keine Sorgen machen sollen und verspreche alles mögliche. Dann wird Akito durch eine Schwingtür geschoben, doch mir stellt sich plötzlich ein Pfleger in den Weg, den ich einfach nicht umgehen kann. Der irgendetwas zu mir sagt, was ich aber nicht verstehe, weil meine ganze Aufmerksamkeit alleine auf Akito liegt. Doch dann schließt er vor meiner Nase einfach die Tür und ich kann nur durch die Fensterscheibe zusehen, wie sich eine ganze Schar an Notärzten, Schwestern und Pfleger um ihn scharren.
 

Unbewusst leg ich eine Hand an die Scheibe und hinterlasse einen blutigen Abdruck. Plötzlich bleibt bei mir eine Pflegekraft stehen und will wissen, ob ich Hilfe brauch. Doch immer noch ist meine ganze Aufmerksamkeit auf das Innere des Raumes gerichtet. Dort wird es auf einmal hektisch und in mir erwacht erneut die Panik. Kurz wird erneut mit einem anderen Modell Strom in Akitos Körper gepumpt, bevor der Arzt eilig Anweisungen gibt und das Behandlungsbett, auf das man meinen langjährigen, engen Freund mittlerweile umgebettet hat, wird durch eine zweiten Tür aus dem Raum geschoben.
 

Geschockt versuche ich zu dieser Tür zu kommen, muss aber erkennen, dass ich von dieser Seite keine Chance habe. Also frag ich schreiend, wohin sie Akito bringen. Die Pflegekraft, die immer noch neben mir steht zieht mich mit sanfter Gewalt vom Fenster weg, das mittlerweile einige blutige Schlieren abbekommen hat, da ich gegen die Scheibe geschlagen habe. Versichert mir, dass sie sich gleich um alles kümmern wird und Akito auf den Weg in den OP sein wird.
 

Noch einmal will sie wissen, ob ich irgendwo verletzt bin. Ich schüttle abgelenkt den Kopf und suche immer noch einen Weg zu Akito und dann bekomm ich keine Luft mehr. Alles um mich herum beginnt sich zu drehen und ich bin mir gar nicht bewusst, dass ich auf einmal laut 'Streuner' ruf. Wo ist Katsuya... ich brauch ihn... jetzt... sofort. Dann beginnt alles zu schwanken und ich finde mich stark schwitzend auf dem Boden der Notaufnahme wieder, wie ich kurzatmig hechel und meine Schuluniform vom Schweiß durchtränkt wird.
 

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Einen Schritt, um einen Drachen aufzufangen

Die erste Stunde ist fast rum, als mein Blick zum x-ten Mal zu dem leeren Platz meines Drachens geht. Wo ist er nur? Letzte Woche, als er mit Akito zu Keizo gefahren ist hatte es Seto pünktlich zur ersten Stunde geschafft. Ich bin davon ausgegangen, dass es heute genauso sein wird. Doch... ich habe mich offensichtlich getäuscht. Schon als der Lehrer reinkam und den Unterricht begann hatte ich ein ungutes Gefühl. Und genau dieses Gefühl hält weiter an.
 

Auf einmal durchzieht mich ein furchtbarer Stich in der Brust und meine Hand schnellt an die Stelle über meinem Herz. Meine Finger krallen sich in das weiße Hemd und selbst der Lehrer hält kurz inne. Er kommt zu mir und fragt mich, ob alles in Ordnung ist. Seh ich so aus, als ob alles in Ordnung ist? Dennoch nicke ich nur und versuche normal weiter zu atmen. Besorgt lehnt sich Honda zu mir und wiederholt die Frage des Lehrers leise, nachdem dieser wieder nach vorne gegangen war.
 

Meinem besten Freund gegenüber äußere ich, dass ich mir nicht sicher bin. Ich kann mein Herz heftig unter meiner Hand schlagen spüren. Was ist das nur? Die erste Stunde geht zu Ende und ich geh kurz aus der Klasse, zieh mein Telefon und wähle Setos Nummer. Doch keiner geht ran. Das mehrt meine Sorge nur noch mehr und ich wähle Akitos Telefonnummer. Doch auch da geht keiner ran. Was ist da los? Warum geht denn keiner von den beiden ans Telefon?
 

Die nächste Stunde beginnt und Yugi muss mich erst reinholen, bevor ich meine Versuche einen von den beiden zu erreichen aufgebe. Doch auch in der zweiten Stunde rutschte ich nur unruhig auf meinem Platz hin und her. Immer noch hab ich das Echo des Brustschmerzes von eben in mir und ich frag mich, was das zu bedeuten hat. Da spür ich, wie meine Hose vibriert.
 

Nein, natürlich vibriert nicht meine Hose an sich, sondern mein Handy in ihrer Tasche. Und ja, mir ist bewusst, dass mein Handy eigentlich aus sein sollte und ich es auf gar keinen Fall mitten im Unterricht rausholen und drauf schauen soll. Doch ich kann einfach nicht anders. Also zieh ich es hervor und unter den Tisch, entsperre es und dann hab ich das Gefühl, dass mich ein Vorschlaghammer trifft, als ich die Worte lese:
 

Domino Krankenhaus - Akito wurde angeschossen - Seto hatte eine Panikattacke.
 

Sofort springe ich auf, so dass mein Stuhl rücklings laut umkippt und ich renne aus der Klasse. Ist mir egal, ob der Lehrer oder die anderen sich einen Reim darauf machen können. Ich muss sofort zu Seto. Eilig renn ich die Treppen hinunter und zu den Spinden. Dort werf ich die Schulschlappen in das Fach, krall mir meine Turnschuhe und schlüpf gerade so hinein. Dann renn ich aus dem Schulgebäude, über den Hof, zum gusseisernen Tor und dann Richtung Krankenhaus.
 

Auf dem Weg leite ich die empfangene Nachricht an Honda weiter und wähle die Nummer von Fuguta. Sag ihm, dass er sofort Mokuba abholen soll. Fuguta fragt, wo er mich abholen soll, doch ich sag ihm, dass ich fast schon beim Krankenhaus bin. Und tatsächlich: Am anderen Ende des Parks sehe ich es aufragen. Also mobilisiere ich meine restlichen Kräfte, hechte über die Straße und kann gerade so einem Zusammenstoß mit einem Auto entgehen. Das hätte mir jetzt echt noch gefehlt, tadel ich mich streng.
 

Dann breche ich förmlich durch die Eingangstüren der Notaufnahme und schau mich hastig um. Plötzlich werde ich an den Schultern gepackt. Erschrocken wirbel ich herum und erkenne Keizo, der blass vor mir steht. Hinter ihm Megumi mit Hoshi auf dem Arm. Sofort frag ich nach Seto und sie deuten mir auf einen kleinen Raum der Notaufnahme. Hastig eile ich zur Tür, stoß sie auf und sehe Seto auf der Bettkante sitzen.
 

Als er mich sieht streckt er seine Arme nach mir aus und ich überwinde, was uns trennt. Schließe meine Arme fest um ihn und spüre, wie mein Hemd von Setos Tränen getränkt wird. So verzweifelt, dass er in einem öffentlichen Raum derart reagiert, hab ich ihn noch nie erlebt. Nun gut, vielleicht bei dem einen oder anderen heftigen Albtraum. Aber die kommen gar nicht mehr so oft vor, wie noch vor ein paar Monaten.
 

Sanft streich ich ihm über seinen klatschnassen Rücken und durch das feuchte Haar. Das muss eine heftige Panikattacke gewesen sein, dass er so durchgeschwitzt ist. Da kommt auch schon Mokuba in das Zimmer gestürmt. Durch die Tür sehe ich, wie Fuguta mit Keizo spricht. Dann eilt er auch schon wieder davon. Keine halbe Stunde später kommt er zurück und reicht Seto eine kleine Tasche mit frischer Wäsche. Seto klammert sich immer noch an Mokuba und mich. Daher nehm ich die Tasche entgegen. Dann geht Fuguta raus und schließt die Tür hinter sich.
 

Es braucht etwas Zeit, bis ich Seto dazu gebracht habe sich umzuziehen. Die verschwitzten und Blutgetränkten Sachen pack ich in die Tasche. Dann verlassen wir das Zimmer, wobei eine Schwester herbei eilt und meint, dass wir nicht einfach so gehen können. Doch Seto interessiert sich nicht für ihre Keiferei. Lässt sie einfach stehen, während er zu Keizo, Megumi und Fuguta geht. Ich nehm der Schwester das Klemmbrett ab, auf dem Seto quittieren soll, dass er auf eigenen Wunsch geht.
 

Im Wartezimmer setzen wir uns hin und warten. Warten darauf, dass ein Arzt zu uns kommt und uns endlich sagt, was mit Akito ist. Zwei Mal springt Seto auf und will schon zur Infotheke gehen, um seinem Unmut Luft zu machen, dass es ein Unding ist, dass man uns so hängen lässt. Doch in beiden Momenten können Keizo und ich ihn gerade noch so abfangen und wieder zurück in den Warteraum bringen.
 

Auf meiner Armbanduhr ist es bereits nach 13.00 Uhr, als auch die anderen zu uns kommen. Honda hat meine Tasche dabei und ich danke ihm. Die hatte ich ja völlig vergessen in der Eile. Sie erkundigen sich, ob wir schon was Genaueres wissen. Da begehrt mein Drache erneut auf und lässt seinen Unmut darüber, dass man uns nichts sagt, lautstark freien Lauf. Er zieht damit die gesamte Aufmerksamkeit der anderen Wartenden, sowie der Angestellten an der Infotheke auf sich.
 

Keizo und ich versuchen ihn abermals zu beruhigen und nicken entschuldigend der Infotheke zu. Diese lächelt nur verständnisvoll. Sicherlich würde sie uns helfen, wenn sie könnte. Aber sie nimmt ja auch nur die Daten der Notfallpatienten auf und regelt den Verwaltungskram. Sie kann nichts dazu, dass wir keine Informationen bekommen. Seto kann nicht mehr sitzen bleiben. Er tigert ungehalten auf und ab und nach und nach flüchten sich die Angehörigen anderer aus dem Wartebereich und suchen einen anderen auf.
 

Schließlich ist es kurz nach 15.00 Uhr, als ich weiter unten im Gang einen Arzt im OP-Kittel auf unseren Wartebereich zukommen sehe. Auch Seto entgeht der Mann nicht und bleibt wie angewurzelt stehen. Greift unsicher und Halt suchend nach meiner Hand. Er ist blass und ich kann ihm ansehen, wie er sich innerlich auf das Schlimmste vorbereitet. Mein Drache rechnet immer mit dem Schlimmsten, hat er mir mal anvertraut.
 

Auf den paar Metern zieht sich der Arzt die OP-Haube ab und dann tritt er zu uns, bevor er fragt, ob wir zu Isono Akito gehören. Seto ist so angespannt, dass er ihn anfaucht, ob er hier sonst noch jemand sehen würde. Nach einem Moment, in dem der Arzt diesen kleinen Ausbruch von Seto stoisch über sich hinweg rollen lässt, setzt er schließlich an uns ins Bild zu setzen.
 

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Einen Schritt in die Ungewissheit

Es liegt mir nicht ruhig zu sitzen, doch ich wage nicht, mich zu bewegen. Seit zwei Stunden sitzen wir in dem Einzelzimmer, welches scheinbar für VIPs gedacht ist. Vor uns im Bett liegt an Kabeln und Schläuchen angeschlossen Akito in einem Bett. Er hat gar keine Farbe im Gesicht und in dem Bett wirkt er irgendwie klein und verloren. Es schmerzt ungemein Akito so zu sehen. Den Mann, der Seto und mich immer beschützt hat und immer so stark gewirkt hat.
 

Aber noch viel mehr schmerzt es Seto reglos an Akitos Bett stehen zu sehen. Denn genau da steht er, seit wir zu Akito durften. Er steht da stoisch und wartet. Hat eine Hand auf die Akitos gelegt und regt sich nicht. Als wäre er aus Stein. Manchmal glaub ich sogar, dass er nicht mal blinzelt, doch dann schlägt sein Lid automatisch und verhindert, dass Setos Augen austrocknen.
 

Am Anfang hat Katsuya ihm einen Stuhl hingeschoben, doch Seto wollte sich nicht setzen. Also hatte sich Katsuya neben ihn gestellt und seine andere, freie Hand gehalten. Doch nach einer viertel Stunde schien es meinem Bruder zu viel zu werden und hatte Katsuya von sich geschoben. Er kam dann zu mir und setzte sich neben mich. Legte mir einen Arm um die Schulter, der mir jetzt immer noch viel Trost spendet.
 

Aber er kann nicht die Angst lindern. Die Angst davor, dass Akito womöglich nie wieder wach werden wird. Der Arzt hatte diese Möglichkeit eingeräumt. Scheinbar ist Akito auch während der OP noch einmal kurz weggesackt und war wiederbelebt worden. Dennoch hatten sie Glück. Wäre die Kugel nur ein kleines Bisschen daneben eingeschlagen - egal welches Daneben -, dann wäre Akito sofort tot gewesen.
 

Dennoch hat die Kugel einen erheblichen Schaden angerichtet, der in mühevoller Kleinarbeit der Ärzte wieder repariert werden musste. Sie haben ihr bestes gegeben, so hat der Arzt es uns jedenfalls versichert. Doch jetzt liegt alles in Akitos Händen. Er muss sich zum Leben entscheiden - so hat es der Arzt vorhin ausgedrückt. Ich frag mich, wie das gehen soll? Ist man irgendwie zwischen dem Diesseits und dem Jenseits und wählt den linken oder rechten Pfad? Oder drückt man einen Knopf und wählt das Leben?
 

Ärger über die Wortwahl des Arztes wallt in mir auf und plötzlich steht Katsuya auf. Hält mir seine Hand hin. Verwirrt greife ich nach ihr und stehe auf. Dann gehen wir zu Seto und Katsuya legt eine Hand auf dessen Schulter. Doch wieder reagiert mein Bruder nicht. Er ist voll und ganz auf Akito fixiert. Auch das verstehe ich nicht wirklich. Warum er so aussieht, als habe er selbst auf Akito geschossen.
 

Sanft zieht mich Katsuya aus dem Zimmer und wir gehen gemeinsam den Flur hinunter zu den Automaten. Auf dem Weg hat er seine Geldbörse gezogen und einige Scheine heraus gekramt, die er jetzt am Automaten glättet. Er sagt mir, ich solle mir die Auslage des Automaten anschauen und mir etwas aussuchen. Derweil zieht er am Getränkeautomat einige Getränkedose.
 

Dann kauft er den halben Automaten leer. Ich glaube, dass das eine Ersatzhandlung ist, die ihm hilft, seine eigene Untätigkeit zu kompensieren. Wir überlegen gerade, wie wir das ganze Zeug nun in Akitos Zimmer kriegen, als Stimmen an unser Ohr dringen. Neben den Automaten ist der Wartebereich, in dem Keizo mit Detective Nagasato sitzt und seine Aussage wiederholt, die er bereits vorhin, einem anderen Polizisten gegenüber gemacht hatte.
 

Warum ist Detective Nagasato hier? Ist sie nicht in einer gänzlich anderen Abteilung. Und als ob sie meine Gedanken gelesen hat erklärt sie Keizo, dass sie diesen Fall übernommen hat, da er ganz offensichtlich was mit seiner Aussage zu tun hat. Sie erzählt ihm, dass sie jetzt wissen, woher der Schuss kam und das es wohl ein Profi gewesen ist, der da auf Akito geschossen hat. Dieser Unbekannte hat von einem fünfstöckigen Haus auf der anderen Seite des Parks geschossen, was eine Entfernung von 650 Meter seien. Ich hab keine Ahnung, ob diese Distanz für einen 'Profi' normal oder etwas Außergewöhnliches ist. Es hört sich nach viel an.
 

Keizo scheint aufgebracht aufzuspringen und sie förmlich schreiend zu fragen, wie das alles nur sein kann. Er fragt, warum ausgerechnet Akito angeschossen wurde... auf seinem Grundstück. Scheinbar hat die Frau aber keine Antwort darauf. Sie vermutet, dass Akito eventuell ein Verwechslungsopfer sein könnte und auf einmal verstummt unser Trainer. Ich brauch einen Moment länger, bis mir klar wird, was das bedeutet.
 

Detective Nagasato informiert Keizo schließlich, dass er und seine Familie, ebenso wie Akito ab sofort Polizeischutz bekommen. Sie bittet Keizo darum nach Hause zu gehen und mit seiner Frau und der Tochter Sachen zu packen. Doch er sagt nur, dass er das nicht alleine entscheiden kann. Er muss erst mit Megumi darüber sprechen.
 

Wenn das alles geschehen ist, weil Keizo diese Aussage bei der Polizei gemacht hat... was wäre dann wohl gewesen, wenn Seto eine Aussage gemacht hätte? Wäre dann auch ein 'Profi' auf ihn angesetzt worden? Oder auf Akito? Was sind das nur für Männer, die nicht einmal vor Mord zurückschrecken?
 

Woher wissen die überhaupt von Keizos Aussage? Erst als Katsuya mir in die Seite stößt wird mir bewusst, dass ich das laut gefragt habe. Aber da ist es schon zu spät. Keizo und Detective Nagasato treten aus dem Wartezimmer und schauen uns geschockt an. Dann schüttelt sie den Kopf. Sie weiß nicht, wie wer auch immer von Keizos Aussage erfahren hat. Oder ob es tatsächlich damit zusammen hängt.
 

Ja, womit denn sonst? Hat ein Profi Akito verfolgt und die Gunst der Stunde genutzt ihn vor Keizos Haus niederzuschießen? Und woher hat der gewusst, wann Akito Keizo besuchen würde? Das... das ist doch alles aberwitzig. Ich bin gerade so fassungslos und geschockt und... Ich schnapp mir einen Großteil der Sachen, die Katsuya und ich gerade aus dem Automaten gezogen haben und stürme damit zurück zu Akitos Zimmer.
 

Dort fummel ich irgendwie die Tür auf und stürme rein, um alles auf einen Tisch, der in der Ecke steht, fallen zu lassen. Dann schluchze ich auf. Zu meiner Überraschung schlingen sich plötzlich lange Arme um mich und als ich aufschaue sehe ich in das besorgte, aber behutsam lächelnde Gesicht meines Bruders. Sanft wendet er mich zu sich und drückt mich an seine Brust. Streichelt mir über das schwarze Haar und flüstert mir beruhigende Worte zu.
 

Schließlich zieht er mich mit zu Akitos Bett, setzte sich auf den Stuhl, den ihm vorhin Katsuya hingestellt hat und mich auf seinen Schoss. Dann warten wir gemeinsam darauf, dass Akito erwacht. Auch Katsuyas ist längst wieder im Zimmer und ordnet die Fressalien und Getränke, die wir gerade als Ersatzhandlung gekauft haben, bevor er sich neben uns setzt.
 

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Einen Schritt durch die Konfusion

Es ist wirklich merkwürdig. Ich bin und gleichzeitig bin ich nicht. Bin mir meiner ganz und gar bewusst, doch irgendwie fühl ich mich körperlos... formlos. Ich befinde mich in einem unendlich wirkenden Raum voller Sternen, kosmischer Nebel, Galaxien und doch hab ich gleichzeitig das Gefühl unter Wasser zu sein. Denn hier wimmelt es vor leben. Eigenartige Kreaturen in den unterschiedlichsten Farben, Formen und Größen bewegen sich um mich. Einige weit weg, andere ganz nah. Und selbst die Wesen, die weit weg sind, wirken gigantisch. Fast bedrohlich.
 

Wo bin ich hier eigentlich? Wie bin ich hier her gekommen? Das letzte, was ich weiß, ist das ich Keizos Haus verlassen habe. Ich wollte einen Moment für mich alleine, weil... weil was? Warum hab ich die beiden in der Küche zurück gelassen? Ich spüre einen Schmerz in mir. In meinem Herzen. Schuld. Schuld und Reue. Ich bereue. Was bereue ich? Verrat. Da ist etwas mit Verrat.
 

Plötzlich erscheint vor mir das transparente Bildnis von Seto. Nicht so, wie er heute ist. Nicht halb so erwachsen. Als Kind. Mit den Tränen in den Augen und einem nicht-verstehenden Blick. Er weiß nicht, warum der alte Kaiba ihm so furchtbare Dinge antut. Versteht nicht, warum es mehr von dieser Sorte Mann gibt. Verzweifelt darüber, dass er ihnen nicht entkommen kann. Nicht ohne etwas zu opfern. Nein, nicht etwas... jemand. Mokuba. Natürlich hätte Seto sich all dem entziehen können, aber dafür hätte er seinen kleinen Bruder opfern müssen. Das konnte er nicht. Daher hat er einfach alles stoisch ertragen. Immer wieder.
 

Warum hab ich die beiden nicht genommen und bin mit ihnen weggelaufen? Als der Alte auf einer seiner zahlreichen Geschäftsreisen war. Bevor er Seto auf jede mitgenommen hat. Ich hatte so viele Gelegenheiten. Alle ungenutzt verstrichen. Ich hätte das Leid dieses Jungens beenden können. Warum hab ich es nicht?
 

Weil der alte Kaiba auf der ganzen Welt Kontakte hatte. Es hätte keinen Ort gegeben, an dem er uns nicht gefunden hätte. Keinen. Und dann wäre alles nur noch viel schlimmer geworden. Viel... viel schlimmer. Doch es wurde doch auch so schlimmer. So schlimm, dass der arme Junge sich umbringen wollte. Doch damals konnte ich ihn nicht gehen lassen.
 

Da ändert sich das Bild von Seto und formt ein anderes. Ein kaltes, herzloses Gesicht, welches sich am Leid anderer ergötzt und aufgeilt: Daimon Kogoro. Wie ich diesen Typen schon früher gehasst habe. Er hatte bei dem alten Kaiba den Posten inne, den ich dann bei Seto eingenommen habe, bevor er mich zum Miteigentümer gemacht hat. Aber seine Fixierung auf Keizo und später auf Seto hab ich nie verstanden. Bei jeder, sich bietenden Gelegenheit hat er sich der Jungs bemächtigt und sie durch die Hölle geschickt.
 

Selbst heute noch versucht er an Seto ranzukommen. Dabei muss er doch längst außerhalb seiner Präferenzen liegen. Jedes Mitglied der Big Five war ein Psychopath und sadistisch veranlagt, aber Daimon... der hatte nie seine Triebe wirklich unter Kontrolle. Es gab Tage, da hatte er Seto in der Firma bestimmt ein Dutzend Mal abgefangen und ihn zu unwürdigen Handlungen gezwungen.
 

Ich kann es kaum erwarten, dass dieses Monster vor Gericht kommt. Dann wird ihm seine Maske vom Gesicht gerissen und der ganzen Welt offenbart, was er wirklich ist. Eine Abartigkeit, die sich wiederholt an Kindern und Jugendlichen vergangen hat und endlich seiner gerechten Strafe zugeführt wird.
 

In diesem Moment durchfährt mich ein Schmerz. Ich will mir an die Brust fassen, doch ich hab ja gar keine Brust. Dennoch hab ich das Gefühl, dass an meinen nicht vorhandenen Händen Blut klebt. Mein Blut! Ein gewaltiges Donnern durchzieht den Kosmos, in dem ich vor mich hin existiere und meinen Gedanken nachhänge. Gerne würde ich mir die Ohren zuhalten, aber... keine Ohren, keine Hände. Wieso kann ich überhaupt etwas hören? Das spottet doch jeder Logik.
 

Was war das für ein Donnern. Ich kenne es. Hab es schon mal gehört. Hielt es aber erst für etwas anderes. Es ist eigentlich auch kein Donnern. Es ist etwas Lautes. Vom Auto? Nein... ich weiß noch, dass ich das dachte, doch ich habe mich geirrt. Es ist nicht vom Auto. Ein Bild blitzt plötzlich vor mir auf. Nur für einen Sekundenbruchteil. Es ist eine Waffe. Ein Gewehr. Mit langem Lauf. Dann durchfährt mich die Erkenntnis: Das Donnern war ein Schuss.
 

Ich wurde angeschossen. Angeschossen? Niedergeschossen. Auf einmal spür ich die Panik in mir. Bin ich etwa... tot? Ist das alles hier das Jenseits? Ich war nie sehr gläubig, egal ob es um einen Monotheismus oder einen Polytheismus ging. Hab nie an etwas 'Höheres', wie Schicksal, gedacht. Ich hab mein Leben gelebt und versucht das Beste aus den Situationen zu machen.
 

Dann durchzieht mich wieder das Bild von Daimon. Sein letzter Besuch in der Firma vor anderthalb Wochen war eine Katastrophe. Er hat getobt, weil er nicht mit Seto sprechen durfte. Nicht das Seto in der Firma gewesen wäre. Hat immer wieder davon gesprochen, dass dieses Schauspiel, welches wir hier betreiben würden, eine Beleidigung sei. Er mich nicht als Firmenchef akzeptieren kann. Doch nachdem ich nach wiederholter Ermahnung und seiner Ignoranz den Sicherheitsdienst rufen musste, damit sie ihn aus dem Gebäude begleiten, hat er wutentbrannt gekeift, dass ich ihn nicht ewig von Seto fernhalten werde. Er würde mich 'überwinden' und dann hätte er freie Bahn.
 

SETO. Sofort spür ich eine furchtbare Angst. Ich muss ihn beschützen. Auch wenn er mir nicht verzeihen kann, dass ich Detective Nagasato alles erzählt habe, muss ich ihn beschützen. Vor diesem Monster. Denn heute bin ich in einer Position, wo mir das möglich ist.
 

Mein Kosmos verschwindet schlagartig und helles Licht flutet mich. Was ist jetzt los? Ist das, das berühmt-berüchtigte helle Licht, in das man gehen soll? Ich will nicht in das Licht gehen. Ich muss zurück zu Seto und Mokuba. Muss sie beschützen, muss sie...
 

Ich spüre, wie allerlei an mir hängt und plötzlich fühl ich mich furchtbar schwer. Versuche mich gegen alles zu wehren, was mich binden will, nur damit ich dann spüre, wie mich jemand an der Schulter nach unten drückt. Höre Stimmen. Die rufen meinen Namen. Rufen, ich solle ruhig liegen bleiben. Liegen bleiben? Da spür ich den weichen Untergrund einer Matratze und eines Lakens. Registriere das flache Kissen unter meinem Kopf. Die Decke über meinem Körper. Dennoch sind da viele Stränge, die mich binden.
 

Nein... nicht Stränge... Kabel und Schläuche. Da ist etwas in meinem Mund. Ein Schlauch. Geht bis in den Hals. Es brennt und tut weh. Dann dringt erneut eine Stimme an mein Ohr, die ich so gut kenne. Seto. Er redet mit mir, versucht mich zu beruhigen. Sagt ich soll liegen bleiben und normal weiter atmen. Etwas ist komisch an seiner Stimme. Sie zittert... ist getränkt mit Tränen. Komme ich zu spät? Ich suche seinen Blick und erst seh ich nur dieses gleißende Licht, bis es verlischt. Da erkenne ich, dass es von der Deckenlampe kam, welche von jemandem ausgemacht wurde.
 

Langsam kann ich Formen und Farben erkennen. Sehe, dass da Menschen an meinem Bett stehen. Keizo und Katsuya auf der einen Seite. Mokuba und... Seto auf der anderen. Seto hält meine Hand und lächelt erleichtert, während ihm Tränen über die Wangen laufen. Warum weint er denn?
 

Dann hör ich Seto nur mit brüchiger Stimme mich willkommen zurück heißen.
 

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Einen Schritt in die falsche Richtung

Er ist wach. Er ist wach. Müde schaut uns Akito an und lächelt ein wenig, als er Setos Worte hört, die ihn willkommen zurück heißen. Ich kann sehen, wie Setos Augen feucht sind, aber er hält seine Tränen der Erleichterung zurück. Vermutlich denkt er, dass es ein Zeichen der Schwäche ist, wenn er sie laufen lassen würde. Also schmieg ich mich an ihn und lass meine Tränen laufen. Wenn Seto es schon nicht kann, dann werde ich für ihn mitweinen.
 

Keizo legt seine Hand vorsichtig auf Akitos Schulter und Akito braucht lange, bis er seinen Blick von Seto auf Keizo wechseln lässt. Es ist ein wenig so, als ob Akito in Zeitlupe lebt. Auch ihn lächelt er beruhigend an und legt seine Hand auf die unseres Trainers. Dann meint Akito zu ihm, er soll endlich heim zu seiner Frau und seine Tochter gehen und sie schön grüßen. Keizo nickt und löst sich langsam von dem Bett. Er verspricht morgen wieder zu kommen und geht.
 

Dann schaut Akito zu mir und hebt mit viel Anstrengung seine Hand, um mir über das Haar zu streichen. Meint, ich solle nicht so schauen, sonst würde ich Falten bekommen. Auch ich muss lächeln. Selbst jetzt - in so einer Situation - macht er mir Mut, obwohl er kaum genug Kraft hat sich bei Bewusstsein zu halten. Schließlich sagt er, dass Seto mich und Katsuya endlich heimbringen soll. Er würde ihnen schon nicht weglaufen. Seto nickt, auch wenn ich ihm seinen Unwillen deutlich ansehe.
 

Also versprechen wir Akito, dass wir morgen wieder kommen werden und verlassen das Zimmer. Zu meiner Überraschung stehen links und rechts neben der Tür auf dem Flur zwei uniformierte Beamten und ihnen gegenüber zwei Personenschützer im Anzug. Seto wechselt mit den Personenschützer kurz einige Worte, diese nicken und gehen dann zu Akito ins Zimmer, während die Polizisten ihnen missmutig hinter. Fast wirken sie auf mich ein wenig neidisch. Vermutlich, weil sie nur vor dem Zimmer stehen dürfen.
 

Mein großer Bruder schaut noch einmal lange auf die Zimmertür, hinter der Akito in seinem Krankenbett liegt und sich von der schweren und langen OP erholt. Doch dann geht ein Ruck durch ihn, er greift nach Katsuyas Hand, legt die andere auf meine Schulter und dann schiebt und zieht er uns förmlich mit sich zum Aufzug und dann raus aus dem Krankenhaus. Ich schmunzle nur, denn man sieht ihm wirklich deutlich an, dass er eigentlich gar nicht weg möchte.
 

Fuguta fährt uns heim und während der Fahrt herrscht eine fast erdrückende Stimmung. Doch dann durchbricht Katsuya sie und meint, er wird uns gleich noch was zu essen machen. Er fragt Fuguta, ob er mit uns essen möchte, doch dieser verneint nach einem langen Blick über den Rückspiegel auf Seto.
 

Verwirrt blickt Katsuya zu mir. Doch ehe ich etwas erklären muss, sehe ich, dass er von alleine darauf kommt: Fuguta ist nicht Akito. Er kam erst nach Gozaburos Tod zu uns und steht uns längst nicht so nahe, wie es Akito tut. Seto hält für gewöhnlich eine gewisse Distanz zu Fuguta. Aber Fuguta hat über die Jahre, die er nun bei uns ist, eine gute Freundschaft mit Akito aufgebaut. Und sicherlich hat er am Rande einiges mitbekommen, oder?
 

Schließlich fahren wir auf das Grundstück der Villa. Als das Auto hält steigen wir aus und Seto dankt Fuguta für das Fahren. Dieser nickt uns zu, wünscht uns trotz allem einen schönen Restabend und fährt dann den Wagen in die Garage, bevor er mit seinem Privatauto davon fährt.
 

In der Küche kocht Katsuya uns was Leckeres, auch wenn keiner von uns wirklich nach essen zu Mute ist. Dennoch setzten wir uns an den Esstisch der Küche und löffeln etwas vom Ramen. Auf einmal - ohne das es für mich einen ersichtlichen Grund gibt - schluchzt Seto laut auf, stellt seine Arme mit den Ellenbogen auf die Tischplatte und legt sich die Hände vor das Gesicht. Sofort springen Katsuya und ich auf und flankieren meinen Bruder auf beide Seiten. Sanft streicht Katsuya ihm über den Rücken, während ich mich nah an ihn kuschle.
 

Dann hör ich, wie Seto flüstert, dass er an allem die Schuld trägt. Ich schau zu Katsuya auf, ob er das auch verstanden hat und der Blonde schaut zu mir zurück. Sanft widerspricht er Seto und versichert ihm, dass er keine Verantwortung trägt. Doch Seto schüttelt nur verzweifelt den Kopf. Er wollte zur Polizei gehen und alles aufdecken ohne wirklich alles zu bedenken. Und als ihm klar wurde, dass er das nicht kann sei Akito zu Kei und hat ihn dazu angestiftet seine Rolle einzunehmen. Dadurch hat er irgendwen aufgeschreckt, der jetzt auch noch versucht Akito zu töten.
 

Ich will etwas erwidern, doch als ich den Mund öffne, kommt kein Wort aus mir raus. Was soll ich auch darauf antworten. Irgendwie entspricht das ja schon den Fakten, aber es ist nicht richtig, dass sich jetzt mein Bruder schuldig fühlt. Er wollte diese Monster doch nur aus dem Verkehr ziehen. Wieso... wieso ist das nur so schwer?
 

Da höre ich Katsuya ruhig auf Seto einreden, dass dieser es falsch sieht. Es ist nicht seine Schuld, dass ein Killer auf Akito oder Keizo angesetzt wurde. Die, die die Schuld tragen, sind jene Männer, die sich nach wie vor scheuen die Verantwortung ihrer Taten zu übernehmen. Die sich feige hinter Positionen und Ränge, hinter ihrem Ruf und ihrem Geld verstecken. Nicht Seto.
 

Darauf kann ich nur nicken. Genau das wollte ich sagen ohne zu wissen wie. Aber Katsuya ist es gelungen. Seto blickt zu ihm runter, denn Katsuya hatte sich mittlerweile hingekniet, wie er es immer tut, wenn Seto in einer emotional aufgewühlten Situation steckt. Katsuya lächelt ihn sanft an und ich wünsche mir, dass ich auch irgendwann mal jemand finde, der mich mit einem bezaubernden Lächeln ansieht. Klick.
 

Ich stocke kurz bei dem Gedanken und frag mich, was da gerade geschehen ist? Was war das für ein Klick? Was hat dieses Klicken zu bedeuten? Warum schlägt mein Herz auf einmal so hoch und warum fühl ich mich auf einmal so aufgescheucht?
 

Vorsichtig verschränkt Katsuya seine Finger mit denen meines Bruders und hilft ihm beim Aufstehen. Meint, er bringt ihn jetzt mal ins Bett und fragt mich, ob ich auch gleich dazu komme, um noch zu kuscheln. Doch ich schüttle vehement den Kopf und weiche einen Schritt zurück. Verwirrt blickt mich Katsuya kurz an und nickt dann. Sanft streicht er mir noch über die Wange, bevor Seto mich kurz an sich zieht und mir zuflüstert, wie sehr er mich lieb hat. Dann verlassen sie die Küche und ich schau ihnen hinterher.
 

Noch immer spür ich die Berührung an meiner Wange und mein Herz schlägt aufgeregt. Ich verstehe gerade gar nichts mehr.
 

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Einen Schritt zu einer bösen Vorahnung

Ich lasse die Tür des Büros, das uns der Captain für diesen Fall überlassen hat, ins Schloss fallen. An einer Wand haben wir die Bilder von Herrn Oshita aufgehängt, die den jahrelangen Missbrauch feinsäuberlich dokumentiert und denen von Kaiba Seto so ähnlich sind. Es sind sogar Bilder vorhanden, die den Missbrauch zeigen, wobei man nur selten die Gesichter der Täter erkennen kann. Vor allem erkennt man aber immer wieder das schmerzverzehrte, verzweifelte Gesicht eines Kindes, dass nicht verstand, warum es das alles erdulden muss.
 

Fujimura blickt erschrocken zu mir und ich seufzte schwer. Dann lass ich mich an dem Schreibtisch ihm gegenüber auf meinen Stuhl fallen, stütze die Ellenbogen auf die Tischplatte und bette mein Gesicht müde in meine Hände. Seit ich diese Bilder gesehen habe fällt es mir schwer nach der Arbeit abzuschalten und nachts schlafen zu können.
 

Ich frage mich, wie das alles nur so schnell eskalieren konnte. Wir sind immer noch beim Sichten der Unterlagen, die Herr Oshita uns überlassen hat und außer Fujimura und unserem Captain weiß niemand, woran wir gerade arbeiten. Also wo ist das Leck? Wir haben sogar dieses Mal auf die Dateneingabe in das System der Polizei verzichtet, nachdem die Technik mich darüber informiert hatte, dass in meiner digitalen Fallakte zwei Einbrüche stattgefunden hatten.
 

Mein Junior-Partner steht auf, geht zu unserer Kaffeemaschine und schenkt in eine Tasse etwas davon ein. Dann kommt er zu mir und reicht mir die Tasse. Ich blicke zu ihm auf und nicke ihm dankend zu, während ich die Tasse nehme. Fujimura ist loyal. Da bin ich mir ganz sicher. Auch der Captain steht auf unserer Seite. Er hat uns sogar geholfen einige Männer auf den Bildern zu identifizieren. Und bei manchen war er regelrecht geschockt, denn es handelt sich nicht selten um sehr hochrangige Personen in der Gesellschaft dieser Stadt.
 

Aber das war mir auch schon klar, nachdem Herr Isono mit mir gesprochen und alles über Seto erzählt hat. Dabei ist mir fast das Herz gebrochen. Immer wieder frag ich mich, wie man einem Kind so etwas antun kann. Immer wieder muss ich mich maßregeln. Ich gehöre zur Sondereinheit für Sexualdelikte an. Zur Arbeit in dieser Abteilung gehört es täglich mit den Abscheulichkeiten der menschlichen Natur konfrontiert zu werden. Dennoch... Kinder sind ein völlig anderes Thema.
 

Ich hab immer gedacht, ich wäre Hardcore. Immerhin arbeite ich seit neun Jahren in dieser Abteilung. Aber dieses Ausmaß nagt an mir. Vielleicht sollte ich doch mal den psychologischen Berater des Departments aufsuchen. Aber das ist auch gefährlich. Denn wenn er zu dem Schluss kommt, dass mir das alles zu nahe geht, dann wird er dem Captain empfehlen mich von dem Fall abzuziehen oder gar zu versetzen. Nein. Das riskiere ich nicht.
 

Also informiere ich Fujimura über die neuste Entwicklung: Den Anschlag auf Herrn Isono. Er ist schockiert und wird sogar etwas blass. Nein, so eine Reaktion kann man nicht vortäuschen. Sein Schock ist echt. Ich frage ihn also eindringlich, ob er mit irgendwem über diesen Fall gesprochen habe und er schüttelt sofort energische den Kopf. Beteuert, dass er weiß, wie heikel der Fall ist und er kein Risiko eingehen würde. Auch das glaub ich ihm.
 

Nachdem ich meinen Kaffee ausgetrunken habe und wieder zur Ruhe gekommen bin, stehe ich auf und mein zu ihm, dass ich nun zum Captain gehen werde. Er nickt und widmet sich wieder seiner Arbeit. Ich verlasse das von außen nicht einsehbare Büro und durchquere das Großraumbüro, in dem Fujimura und ich normalerweise unseren Platz haben und geh hinüber zum Büro des Captains.
 

Ich klopfe kurz an die offene Tür und er winkt mich rein. Als ich die Tür durchschritten habe schließe ich diese hinter mir und er blickt mich ernst an. Fragt mich, ob ich den Fall abgeben möchte. Sofort schüttle ich meinen Kopf und verneine. Er scheint erleichtert über meine prompte Antwort zu sein. Das erleichterte Seufzen bestärkt mich in meiner Ansicht und dann meint er, dass er nicht wüsste, wem er diesen Fall anvertrauen könnte, wenn ich einen Rückzieher machen würde. Schön - nur keinen Druck aufbauen, Chef. Dann fragt er mich, wie es um Herrn Isono steht.
 

Knapp setz ich ihn ins Bild und die bisherigen Ergebnisse und er seufzt schwer. Er bietet mir einen Platz an und lehnt sich in seinem Stuhl dann zurück. Es ist verzwickt. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob dieser Anschlag wirklich etwas mit unserem Fall zu tun hat und wir irgendwo ein Leck oder Spion haben, oder ob es hier nicht eher um Herrn Isonos Arbeit geht.
 

Wobei es auch da Überschneidungen gibt. Er hat es mir selbst erzählt, dass Daimon Kogoro immer wieder bei ihm aufschlägt und unter geschäftlichen Vorwand ein Gespräch mit Seto fordert, dass Herr Isono vehement ablehnt, da sich die personellen Zuständigkeiten in der Firma im ersten Quartal verschoben haben. Er hat mir erzählt, wie wütend das Kogoro gemacht hat und das er sogar zwei Mal um einen privaten Termin im Hause Kaiba bat.
 

Plötzlich breitet sich eine böse Vorahnung in mir aus und ich schau zu meinem Chef. Der blickt mich fragend an, denn er ist ja kein Gedankenleser. Doch ich hab jetzt keine Zeit ihm meine Vorahnung darzulegen. Also stürm ich aus seinem Büro, renn in meines und hol meine Jacke, sowie meine Waffe. Fujimura blickt mich wieder erschrocken an, bevor er auch aufspringt und mir mit seinen Sachen folgt.
 

Ich erinnere ihn noch schnell daran, dass er das Büro abschließen soll. Wäre ja noch schöner, wenn es für jeden offen stehen würde. Er nickt, schließt ab und holt mich dann am Aufzug ein, um mich dann zu fragen, wohin es geht, doch ich kann ihm hier nicht antworten. Wer weiß schon, wer alles mithört.
 

Auf dem Weg zum Parkplatz seh ich zwei Streifenpolizisten, denen ich blind vertraue. Das eine ist mein Neffe, das andere sein bester Freund aus dem Sandkasten. Beide kenn ich schon ihr Leben lang und weiß, dass ihnen die Polizeiehre über alles geht. Sie würden sich niemals dazu hinreißen lassen Informationen an Dritte weiter zu geben.
 

Ich bitte die beide uns in ihrem Streifenwagen, aber ohne Blaulicht zu folgen. Die beiden brauchen keine Erklärung, um mir diese Bitte ohne Wenn und Aber zu erfüllen. Dann steigen Fujimura und ich auch schon in unseren zivilen Dienstwagen ein. Als wir den Polizeiparkplatz verlassen reiht sich das Dienstfahrzeug der beiden anderen hinter uns ein. Wir jagen durch die Stadt und ich hoffe inständig, dass ich mich irre.
 

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Einen Schritt der Gegenwehr

Ich sitze in meinem Chefsessel in meinem Hausbüro und habe ihn so gedreht, dass ich aus dem Fenster in den großen, weitläufigen Garten blicken kann. Immer noch versuche ich die ganze Situation zu analysieren. Klar, hab ich mit einer Reaktion gerechnet, wenn ich eine Aussage und eine Anzeige bei der Polizei machen würde, doch dass sie einen Profikiller anheuern, um Akito zu erschießen... das war doch völlig irre.
 

Fahrig lasse ich meine Hand durch mein Haar gehen. Noch immer will es mir nicht in den Kopf. Noch immer wirkt diese Reaktion auf mich völlig überzogen. Vor allem: Warum Akito? Warum nicht Keizo? Nicht das ich Keizo den Tod wünsche, nein, im Gegenteil. Aber Keizo hat die Aussage getätigt und die Anzeige erstattet. Akito zu töten ändert nichts mehr daran. Aber wenn man Keizo erschossen hätte, dann müsste die Polizei die Anzeige fallen lassen, weil es keinen Ankläger und keinen Belastungszeuge mehr gäbe. Also wo liegt der Sinn darin, Akito zu erschießen?
 

Aber, ... vielleicht hat dieses Attentat gar nichts mit Keizo und seiner Aussage zu tun? Was, wenn es um etwas ganz anderes geht? Was würde es einem bringen Akito zu erschießen? Er ist der CEO der Kaiba Corporation. Aber diese ist schon seit fast vier Jahre keine Waffenfirma mehr. Ich habe sie zu einer Spielwarenfirma umfunktioniert. In der Welt der Spielhersteller und -produzenten gibt es keinen Machtkampf auf dieser Ebene, anders wie damals als Rüstungsunternehmen.
 

Okay, nehmen wir mal an, es hat nichts mit der Firma an sich zu tun. Was für einen Grund kann es dann geben, dass man Akito aus dem Weg räumen möchte? Wobei steht Akito nur im Weg, dass man zu so drastischen Mitteln greifen muss? Ich spüre ein ungutes Gefühl in meiner Magengegend. Der Verdacht, dass das alles was mit mir zu tun hat, flammt in mir wieder auf. Denn alles, was noch bleibt ist, dass er schützend vor mir steht, nachdem er all die Jahre zur Hilflosigkeit verdammt war.
 

Meine Nackenhärchen stellen sich auf einmal auf und meine Gedanken kehren ins Hier und Jetzt zurück. Mein Herz bleibt stehen, als ich im Fenster eine Reflektion sehe. Ich will mein Handy aus meiner Hosentasche ziehen, doch ich kann mich nicht rühren. Nicht mal atmen. Ich bin nicht länger alleine in meinem Büro. Meine Hände zittern und ich verdamme mich dafür selbst. Ich bin Kaiba Seto, rufe ich mir selbst scharf in Erinnerung. Also unterdrücke ich die Reaktionen meines Körpers und zwinge mich aufzustehen.
 

Langsam drehe ich mich um und schaue dem Eindringling fest in die Augen. Ein Lächeln kräuselt sich um Kogoros Lippen. Scheinbar gefällt es ihm, dass ich mich entschlossen habe, zu kämpfen und nicht einfach nur zu erstarren. Ich steh ein wenig schräg hinter meinem Schreibtisch. So kann meine Hand unbemerkt in meine Hosentasche gleiten und nach meinem Handy tasten. Mein Herz schlägt wild und Adrenalin beginnt meinen Körper zu fluten.
 

Ich fühl mich, als wäre ich ein Nagetier, dass sich einer Kobra gegenüber sieht. Beide verharren reglos und warten auf ein Zucken beim Gegenüber, um selbst aktiv zu werden. Natürlich wäre es ein Einfaches gewesen einfach wegzulaufen. Aber Katsuya und Mokuba sind im Haus. Sie sind im Medienraum und zocken ein neues Spiel. Ob es ihnen gut geht? Mokuba ist in einem Alter, welches eigentlich viel mehr in Kogoros Beuteschema passt, als meines. Aber hier geht es längst nicht mehr um ein Beuteschema, sondern um seine Besessenheit.
 

Verzweifelt versuche ich auf dem glatten Touchdisplay meines Smartphones mich blind zu meinen Kontakten zu navigieren. Wenn es mir gelingt Katsuya anzuwählen würde er mir zur Hilfe kommen. Ganz bestimmt. Das Lächeln von Kogoro mutiert zu einem breiten Grinsen, als wüsste er, was ich versuche. Auf einmal kommt Bewegung in den massigen Körper und er entwickelt eine ungeahnte Schnelligkeit. Instinktiv schubs ich ihm meinen Bürostuhl entgegen, gegen den er stolpert, während ich über den Tisch rutsche und versuche zu meiner Bürotür zu kommen.
 

Meine Hand liegt schon am Knauf der Tür und ich muss ihn nur noch drehen, als ich die kräftigen Pranken an meiner Schulter und meinem Handgelenk spüre. Dann werde ich von der Tür gerissen und zu Boden geworfen. Ich roll mich dabei ab und komm in eine kniende Position, von der aus ich in den Stand springen kann. Scheinbar zahlt sich das Training endlich aus. Da fällt mein Blick auf die offene Tür des Waschraumes. Doch dieser ist unerreichbar, denn dazu müsste ich mich in Kogoros Reichweite begeben.
 

Wieder prescht Kogoro auf mich zu, doch ich nutze seine Energie und lenke ihn ins Leere, während ich an ihm vorbei hechte und versuche den Waschraum zu erreichen. Doch da spüre ich, wie mich etwas im Rücken am Hemd erwischt und ein lautes Ratschen macht mir deutlich, dass dieses Hemd wohl Geschichte ist. Ein Arm schlingt sich um meine Hüfte und ich versuche mich in dieser ungewollten Berührung zu winden oder zumindest zu drehen.
 

Plötzlich verpasst mir Kogoro einen Stoß im Rücken und stößt mich nach vorne. Erst verstehe ich nicht, warum er mir diesen Spielraum gibt, doch dann wird mir klar, dass er das nicht tut, denn ich stoße mit dem Kopf gegen den Türrahmen zum Waschraum, pralle zurück und falle benommen zu Boden. Ich schlag mir meine Hände vor das Gesicht und an die Stirn, als ob das den akuten Schmerz lindern würde, als sich ein Schatten über mich legt. Ich schau zwischen den Händen nach oben und sehe ihn breitbeinig über mir stehen.
 

Mehr Adrenalin strömt durch meine Adern. Erinnerungen drängen sich in den Vordergrund. Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Mann so über mir steht. Ich weiß, was er mit mir vor hat. Wonach es ihm dürstet. Ich versuche den Schwindel, der seit meinem Zusammenstoß mit der Tür in mir vorherrscht, wegzuschieben, drehe mich um und versuche davon zu robben. Doch er packt mich an meinem Gürtel und zieht mich wieder zu sich zurück, bevor er sich über mich kniet, meine Hände unter seinen Beinen fixiert und sein Gesäß auf meinem Rücken zur Ruhe kommt.
 

Kogoro beugt sich zu meinem Ohr herunter und flüstert mir zu, dass er sich nun das holen wird, was ihm zusteht. Was er schon bei der Gala wollte und wobei wir unterbrochen worden waren. Verzweifelt versuche ich mich zu befreien, doch das Gewicht dieses Mannes macht es mir schon schwer zu atmen. Also schrei ich panisch auf. Da wird mir bewusst, dass Katsuya und Mokuba mich unmöglich hören können. Das Hausbüro liegt am Ende eines langen Flurs und der Medienraum liegt noch hinter dem Wohnzimmer und dem Trainingsraum.
 

Ich spüre, wie Kogoros Pranken über meinen nackten Rücken streichen und die Narben nachziehen. Er faselt was von Kunstwerk. Mein Rücken ist kein Kunstwerk. Er ist ein Zeugnis dessen, was man mir in meiner Kindheit angetan hat. Was man mir geraubt hat. Wut entbrennt in mir und mit einer ungeahnten Kraft bäumt sich mein Rücken nach oben.
 

Kogoro verliert den Halt und fällt auf meine Beine, während ich strampelnd versuche Distanz zwischen uns zu bringen. Dabei stößt mein Fuß in seinen Schritt und er stöhnt schmerzverzerrt und unterdrückt auf, während seine Hand nach vorne schnellt und mich am Hosenbein erwischt. Doch ich geb nicht auf. Ich werde nicht noch einmal zum Opfer. Während ich mich nach vorne stoße, zieht Kogoro nach hinten und der Stoff meiner Hose gibt nach und reist ebenfalls.
 

Für einen Moment denk ich, dass ich es geschafft habe, mich aus der brenzligen Situation zu befreien. Doch ein Blick über meine Schulter lässt mich meinen Irrtum erkennen: Kogoro schiebt sich mir nach, wie ein bedrohlicher Mega-Tsunami.
 

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Einen Schritt zur Niederlage

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt zur Wunschwahrheit

Ich stehe vor dem verspiegelten Einwegfenster und blicke in den Verhörraum. Dort an dem billigen Tisch sitzt einer der reichsten und einflussreichsten Männer dieser Stadt. Ich beschäftige mich schon lange mit ihm, denn unglücklicherweise ist dieser Mann auch ein Serienvergewaltiger, der sich bislang immer wieder mit Geld freikaufen konnte. Nicht bei uns - bei der Polizei. Aber bei seinen Opfern beziehungsweise bei deren Familien. Er hat seinen oft minderjährigen Opfern damit ein Preisschild angehängt und klar signalisiert: Wenn man genug Geld hat, darf man sich alles erlauben!
 

Dieser Mann widert mich an und wären wir nur einen Augenblick später eingetroffen... er hätte Kaiba Seto ein weiteres Mal vergewaltigt. Ein weiteres Mal unter unzähligen. Seto ist ein außergewöhnlicher, junger Mann. Nachdem wir den Angriff auf ihn gestoppt haben und mein Neffe diesen Mistkerl zum Auto gebracht hat, hab ich mit Seto, seinem Freund Katsuya und dem jüngeren Bruder, Mokuba, auf den Hausarzt und seinen Psychologen gewartet.
 

Beide kamen zeitgleich bei der Villa an. Seto hat sich soweit es nötig war untersuchen lassen und machte im Anschluss seine Aussage. Seine Schilderungen waren präzise, akkurat und sachlich. Ich kenn diesen Geisteszustand, wenn ein Opfer sich von seinen Emotionen distanziert, damit es funktioniert und tun kann, was notwendig ist. Mehrmals hat Seto das Angebot eine Pause einzulegen abgelehnt. Er wollte es hinter sich haben.
 

Als er seine Aussage gemacht und mir noch ein paar Fragen beantwortet hatte ließ er sich von Katsuya und Mokuba aus dem Büro führen. Ich begleitete die drei bis in die Eingangshalle, wo sich unsere Wege schließlich trennten. Seto wurde nach oben gebracht und ich verließ mit Fujimura das Haus.
 

Mein Captain fragt mich in diesem Augenblick, ob ich wirklich dieses Gespräch führen möchte oder ob es nicht doch Fujimura machen soll. Fujimura ist ein ambitionierter Nachwuchs-Detective, aber noch fehlt ihm die Erfahrung ein Gespräch mit so einem Mann zu führen. Aber er soll zusehen und lernen. Dann atme ich noch einmal tief ein, als würde ich gleich einen Tauchgang machen und für eine Weile keine Luft mehr holen können. Meine Schultern straffen sich und ich schalte meinen inneren Modus um. Lasse meine Gefühle vor der Tür und betrete den kleinen, fensterlosen Raum.
 

Sofort begehrt Daimon Kogoro auf, dass es sich bei allem um ein Riesenmissverständnis handelt. Ich zieh überrascht die Augenbrauen hoch, lege meine Fallakte geschlossen auf die ihm gegenüberliegende Tischseite und nehme Platz. Dann frage ich ihn, worin das Missverständnis besteht. Er lacht kurz trocken auf, als habe er gerade einen Witz gemacht, den ich noch nicht verstanden habe. Dann beugt er sich zu mir und erzählt mir, dass wir - also ich und meine Kollegen - die Situation falsch verstanden haben.
 

Selbstsicher lehnt er sich auf seinem Stuhl zurück und der Stuhl wackelt kurz. Ich habe dafür gesorgt, dass bei einem der Stuhlbeine der Plastiknoppen entfernt wurde, der verhindert, dass die Stühle beim bewegen quietschen. Dadurch ist das betroffene Bein jetzt einen halben Zentimeter kürzer als die anderen drei und bei einer Gewichtsverlagerung kippelt der Stuhl. Verhörtaktik Lektion 1.
 

Ich frage also distanziert und sachlich nach, was genau wir an der Situation falsch verstanden haben. Da breitet sich sein schiefes Lächeln zu einem Grinsen aus und er wird richtig selbstgefällig. Er antwortet mir, dass es sich bei dem Überfall um ein sexuelles Rollenspiel gehandelt hat. Seto hätte schon seit Jahren Vergewaltigungsfantasien und seit seinem 18. Geburtstag im vergangenen Jahr würden sie hin und wieder so ein Rollenspiel organisieren.
 

Kurz zieh ich meine Augenbrauen zur Mitte, als wäre etwas an der Schilderung unklar. Also hak ich unschuldig nach, woher er das weiß, dass Seto solche Fantasien hat. Da erzählt mir dieser Widerling, dass Seto ihn mal mit einem anderen jungen Mann in der Büroküche der Kaiba Corp überrascht habe. Damals wäre Seto vierzehn gewesen und sein Adoptivvater noch am Leben. Auch er habe die Situation erst falsch verstanden, doch Kogoro und sein Spielgefährte hätten es in einem Gespräch richtig gestellt. Von da an habe Seto immer wieder mit ihm zu diesem Thema das Gespräch gesucht.
 

Doch Daimon Kogoro versichert mir, er habe jede Bitte des Brünetten abgelehnt, die sich darum drehte, dass er einmal mit ihm so ein Spiel spielen würde. Immerhin sei er ja minderjährig gewesen und das wäre gegen das Gesetz gewesen. Sie hätten sich nach der Umstrukturierung der Kaiba Corp schließlich aus den Augen verloren und umso überraschter sei der Perverse gewesen, als sich Seto an seinem letzten Geburtstag gemeldet habe. Er habe ihn informiert, dass er nun 18 sei und noch einmal gebeten mit ihm so ein Rollenspiel erleben zu dürfen.
 

Die Dreistigkeit dieses Mannes verlangt mir gerade meine ganze Selbstkontrolle und Willenskraft ab. Ich sitze ihm gegenüber, lächle ein wenig und höre ihm 'gebannt' zu. Es ist wichtig, solchen Menschen das Gefühl zu geben, dass man sie versteht. Nur dann reden sie sich um Kopf und Kragen. Also frag ich ihn, ob sie vor dem heutigen Abend schon einmal zu einem solchen Rollenspiel getroffen haben.
 

Kogoro nickt und erzählt von der Gala. Er habe von Seto die Information bekommen, dass er bei der ersten Gelegenheit den Waschraum aufsuchen würde und er ihn dort erwarten würde. Es sei heiß her gegangen, bis sie von einem anderen Gast, der reingeplatzt war, überrascht wurden. Auch dieser Unbeteiligte habe ihr Spiel missinterpretiert und ihn aus dem Waschraum geworfen. Seto habe sich später am Abend bei ihm gemeldet und gemeint, er habe sich selten so köstlich amüsiert.
 

Die Gala. Das ist meine Chance. Also frage ich 'fasziniert', wie das mit Teijo auf der Gala war. Irritiert blickt mich der Widerling an und weiß nicht von wem ich rede. Also zieh ich ein Bild aus der Akte, das den Sechzehnjährigen zeigt. Der Küchenhilfe, die an diesem Abend bei der Gala in der Küche ausgeholfen habe und im Hinterhof eine rauchen war.
 

Wieder grinst der Typ vor mir und der Wunsch ihm weh zu tun wächst. Aber würde ich Hand anlegen würde es nie zur Anklage kommen. Dann wäre nichts von dem, was er mir erzählt, brauchbar. Er hebt den Zeigefinger, bevor er damit auf das Foto tippt und meint, dass er diesen Jungen nicht kennt. Natürlich nicht. Denn sonst muss er zugeben, dass er diesen jungen Mann brutal im Hinterhof vergewaltigt und blutend im Dreck zurück gelassen hätte.
 

Ich nehme also wieder das Foto an mich und lege es zurück in die Akte. Er lehnt sich derweil entspannt zurück. Gut, ich will so wirken, als würde ich ihm glauben und wäre auf seiner Seite. Also frage ich ihn, ob er diese Absprache irgendwie belegen kann. Er schaut mich nur überrascht an und meint, dass er nichts belegen muss. Kündigt an, dass er in wenigen Minuten aus dem Präsidium spazieren wird, weil Seto alles richtig gestellt haben wird. Doch ich schüttle meinen Kopf und meine, dass Seto nicht hier ist.
 

Der Geschäftsmann mustert mich lange und ausgiebig, lacht kurz auf, als würde ich versuchen ihn zu verkohlen, nur um kurz darauf zu erkennen, dass ich es ernst meine. Sofort verhärtet sich seine Mimik und er beugt sich halb über den Tisch, ohne von seinem Stuhl aufzustehen. Fordert ein Gespräch mit Seto. Doch ich schüttle nur wieder meinen Kopf. Selbst wenn der junge Mann da wär, würde ich ihn nicht hier rein lassen.
 

Und da fällt die Maske des bisher triumphsicheren Geschäftsmanns und fordert lautstark nach seinem Anwalt. Ich stehe langsam auf, nehme meine Akte und informiere ihn darüber, dass ich seinen Anwalt kommen lassen werde. Er schnaubt und tobt weiter, dass das alles doch nur ein Spiel war. Ein Spiel, höhnt es in meinem Kopf. Ein Kind seiner Kindheit berauben und fürs Leben traumatisieren ist also ein Spiel? Ob er selbst glaubt, was er zu Protokoll gegeben hat? Oder ist es nur eine perfide Masche, um die Verantwortung von sich zu weisen.
 

Unbefugtes Betreten von Privatgrund, Einbruch, tätlicher Angriff, versuchte Vergewaltigung. Es wird darauf hinaus laufen, dass er seinen Pass abgeben und eine deftige Kaution hinterlegen muss, doch spätestens morgen Mittag wird er wieder draußen rumlaufen. Er hat immerhin keine Vorstrafen und ist ein betuchtes Mitglied der gehobenen Gesellschaft, so wie eine 'Stütze der Gesellschaft'. Welcher Richter würde da eine Kaution schon ablehnen und Haft anordnen, sofern sie einen Staatsanwalt finden würden, der das überhaupt fordert?
 

Unser Rechtssystem hängt schief und das wird sich bei diesem Mistkerl wieder zeigen, es sei denn, wir können ihm noch irgendetwas zur Last legen. Aber der Fall Oshita Keizo ist noch in der Vorbereitung und ich würde ihn ungern jetzt schon verpulvern. Das hat der junge Mann nicht verdient. Er verdient ein sorgfältig vorbereiteter, wasserdichter Fall, der vor Gericht Bestand haben kann.
 

Ich kehre in den Raum hinter dem Spiegel zurück und stell mich zu meinem Chef und meinem Juniorpartner. Kogoro grinst sein Spiegelbild und damit auch uns breit an, nachdem seine erste Wut abgeklungen ist. Er weiß, dass ich jetzt mit dieser Aussage wieder auf Kaiba Manson hinaus fahren muss, um Seto damit zu konfrontieren. Allerdings werde ich das erst morgen machen. Sicherlich hat er etwas zur Beruhigung bekommen und wird gar nicht ansprechbar sein.
 

Doch eine Sache kann ich noch machen: Ich kann ins Krankenhaus fahren und Herrn Isono über alles in Kenntnis setzen. Das bin ich ihm schuldig.
 

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Einen Schritt der Veränderung

Ich bin sooo müde. Wer hätte auch schon ahnen können, dass eine Nacht so lang sein kann. Es war nicht das erste Mal, dass ich über Nacht wach geblieben bin, aber diese Nacht war definitiv anders.
 

Nachdem wir uns gestern von Detective Nagasato verabschiedet hatten, haben Katsuya und ich Seto in ihr gemeinsames Zimmer gebracht. Kaum hatten wir das Zimmer betreten fiel die Maske des beherrschten Jungunternehmers von meinem Bruder. Er begann laut zu schluchzen und seine Beine knickten weg. Zum Glück konnte Katsuya ihn auffangen. Er nahm meinem Bruder hoch und brachte ihn zu ihrem Bett. Ich folgte ein paar Schritte, bevor mir in den Sinn kam, wie sehr Seto es eigentlich hasste, dass ich ihn weinen sah. Also wollte ich mich unauffällig wegschleichen.
 

Doch als ich an der Zimmertür ankam schreckte Seto wieder hoch und fragte mich mit panischer Stimme, wo ich hin wollte. Als ich ihm erklärte, dass ich in mein Zimmer wollte schüttelte er wieder energisch den Kopf, sprang auf und zog mich von der Tür weg. Dann schob er einen schweren Stuhl vor die Tür, so dass sie blockiert war und niemand von außen rein kommen konnte.
 

Da wurde mir erst bewusst, wie verängstigt Seto in Wirklichkeit war. Noch ehe ich etwas erwider konnte zog mich Seto mit sich zurück zum Bett. Er kuschelte sich mit dem Rücken eng an Katsuya und zog mich an seine Brust. Immer wieder wurde er von Tränen regelrecht überfallen und die Panik ließ ihn furchtbar zittern. Die ganze Nacht waren wir alle drei wach, während Seto die Tür keinen Augenblick aus den Augen ließ.
 

Katsuya hatte versucht Seto zu beruhigen. Erst verbal, dann wollte er, dass Seto Baldriantabletten nimmt. Doch das hat mein Bruder komplett verweigert. Immer wieder murmelte er, dass er nicht riskieren könnte jetzt zu schlafen.
 

Noch immer frage ich mich, wie dieses Arschloch - pardon - dieser vergewaltigende Kinderschänder in unser Haus gekommen ist. Die Tür war abgesperrt, kein Fenster kaputt, die Terrassen- und Balkontüren alle geschlossen. Also, wie kam dieser Drecksack nur hier rein? Sobald Seto mich aus dem Zimmer lässt werde ich dem auf den Grund gehen. Wenn... wenn Seto mich jemals wieder aus diesem Zimmer lässt.
 

Mein Blick fällt auf die Uhr und eigentlich würden wir jetzt aufstehen, um uns für die Schule fertig zu machen. Doch Seto sieht nicht so aus, als würde ihn das gerade interessieren. Noch immer hält er mich festumschlungen und seinen Blick auf die Tür gerichtet. Katsuya streichelt ihn unermüdlich weiter, obwohl auch er mehr als müde wirkt.
 

Ein Klopfen lässt Seto schreckhaft erst zusammenfahren und sich dann aufsetzen. Durch dieses unerwartete Geräusch ist er noch blasser geworden und hat wieder angefangen zu zittern. Dann klopft es noch einmal und jetzt setzen auch Katsuya und ich mich auf. Wir kennen diese Art zu klopfen, doch es ist völlig unmöglich. Das kann nicht sein. Es gibt nur eine Person, die so klopft, aber die kann nicht hier sein.
 

Katsuya steigt aus dem Bett auf, geht zur Tür und schiebt den Stuhl beiseite. Seto weicht, mit seinen Armen um mich geschlungen, im Bett noch etwas mehr zurück und zwingt mich damit auch zurück. Dann öffnet der Blonde die Tür und tatsächlich: Akito steht vor der Tür.
 

Akito sieht aus wie der Tod. Er hat überhaupt keine Farbe mehr im Gesicht, so wie gestern, als wir darauf warteten, dass er endlich aufwachte. Er hat ein Shirt und eine Jeans an und ich kann mich nicht erinnern, ob ich ihn jemals nicht im Anzug gesehen habe. Dicke Schweißperlen stehen auf seiner Stirn und er scheint Mühe beim Atmen zu haben.
 

Dann lässt Katsuya ihn herein. Auf dem Flur seh ich noch Fuguta und Kai stehen, doch die beiden bleiben erst mal draußen. Ich bin verwirrt. Sollte Akito nach den Schüssen und der langen OP denn schon rumlaufen. Nur langsam kommt er zu dem Bett, setzt sich auf die Bettkante und legt eine Hand auf Setos Schulter. Als wäre es eine wortlose Aufforderung wirft sich Seto plötzlich an Akitos Brust und weint erneut bitterlich. Sanft schließt er meinen Bruder in seine Arme und reibt ihm sanft über den Rücken. Da sehe ich den Zentralvenenkatheter in seinem Arm stecken.
 

Unser langjähriger Vertrauter gibt meinem Bruder die Zeit, die dieser braucht. Langsam fängt Seto sich wieder und schaut dann mehr als besorgt zu Akito auf. Dieser lächelt traurig und entschuldigt sich dann dafür, dass er nicht da gewesen ist. Soll das ein Witz sein? Auf Akito wurde geschossen und eigentlich sollte er immer noch im Krankenhaus im Bett liegen und sich davon erholen. Also warum ist er hier und sitzt auf der Bettkante?
 

Als ob er meine Gedanken gehört hat blickt er mich an und sagt mir, dass Fuguta mit einigen Kisten draußen steht und ich bitte in mein Zimmer gehen soll und alles, was mir lieb und teuer ist einpacken soll. Verwirrt blick ich ihn an, aber da wendet er sich auch schon zu Katsuya und sagt ihm das gleiche, nur statt Fuguta nennt er Kais Name. Seto fragt mit brüchiger Stimme, was das zu bedeuten hat.
 

Liebevoll und väterlich - jedenfalls so, wie ich mir väterlich vorstelle - streicht Akito sanft lächelnd Seto durch das schweißnasse Haar. Dann sagt er, dass er für die Sicherheit seiner Familie sorgen wird und wir dieses schreckliche Haus vorerst verlassen werden. Mit großen Augen und deutlicher Verwirrung schaut Seto ihn an. Dann formuliert Akito es klarer: Wir ziehen um.
 

Eigentlich hab ich erwartet, dass Seto aufbegehrt und sich weigern würde. Ich weiß ohnehin nicht, warum wir nach Gozaburos Tod weiterhin hier wohnen blieben und nicht wo anders hingezogen sind. Am Geld wird es wohl nicht gemangelt haben. Doch zu meiner Überraschung nickt Seto einfach nur und lehnt sich wieder müde an Akitos Brust. Mir streicht Akito noch einmal behutsam über eine Wange und lächelt mich ermutigend an. Ich nicke und krabbel aus dem Bett, kann aber nicht sofort aus dem Zimmer, da ich spüre, dass ich mal dringend ins Bad muss.
 

Nach ein paar Minuten komm ich wieder aus dem Bad und sehe Katsuyas Vater in unserem Schlafzimmer stehen. Es überrascht mich, dass er auch da ist. Gerade als ich das Schlafzimmer der beiden verlassen möchte bleib ich noch einmal stehen, denn da ist mir noch etwas eingefallen: Was ist denn mit Schule heute?
 

Akito dreht sich etwas zu mir und meint, dass er uns für die restliche Woche entschuldigt habe, genauso wie Katsuyas Vater ihn entschuldigt hat. Als ich frage, wie wir den anderen dann sagen sollen, dass wir umziehen erwidert Akito, dass er Honda bereits eine Nachricht geschrieben habe und er darauf vertraut, dass dieser die anderen informiert. Ich nicke. Scheinbar hat Akito selbst in seinem ramponierten Zustand an alles gedacht. Beeindruckend.
 

Ich dreh trotzdem noch mal um und lauf zu Akito und Seto und schling meine Arme auch um Akito. Ich bin so froh, dass er hier ist, auch wenn er eigentlich im Krankenhaus sein müsste. Wieder, als würde er meine Gedanken lesen können, meint er dann, dass wir uns jetzt ranhalten müssen, weil er gegen Mittag wieder zurück in seinem Zimmer sein muss. Also nicke ich und löse mich von dem, der für mich einem Vater am Nächsten kommt, um direkt in mein Zimmer zu streben und mit dem Packen anzufangen.
 

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Einen Schritt ins neue Nest

Ich kenne diese Gegend. Hier hab ich früher Zeitungen ausgetragen. Es ist die Wohngegend der gehobenen Mittelschicht. Relativ nah am Zentrum mit seinen Einkaufsmöglichkeiten, aber dennoch in den Hügeln so gelegen, dass man selbst vor den Nachbarn seine Ruhe hat. Jedes Haus steht auf einem weitläufigen Grundstück und gerade an den Grundstücksgrenzen gibt es stark bepflanzte Zwischenräume um ein Höchstmaß an Privatsphäre zu haben.
 

Dann biegt Fuguta von der Straße und hält den Wagen an. Er wartet, bis ein gusseisernes Tor sich so weit geöffnet hat, dass er bequem hindurch fahren kann. Niedrige, aber schlanke Bäume oder sind es hohe Büsche ragen auf und versperren den direkten Blick von dem Einfahrtstor auf das Haus. Erst nachdem Fuguta zwei Kurven genommen hat sehen wir das großzügige Einfamilienhaus aufragen.
 

Es ist aus Sandstein gebaut und hat hohe, schmale Fenster. Die Eingangstür ist aus schwerem Holz und es hat einen leicht westlichen Touch. Vielleicht mediterraner oder spanischer Stil? Direkt an das Haus angebaut befindet sich die Garage mit vorgelagertem Carport, der von irgendeinem Grünzeug halb überwuchert ist.
 

Fuguta hält in dem Carport und lässt uns dann aussteigen. Seto bewegt sich dank der Müdigkeit und der Erschöpfung nur langsam. Noch langsamer ist nur Akito, der - obwohl ich es kaum für möglich gehalten habe - noch blasser geworden ist. Immer wieder wischt er sich mit einem mittlerweilen richtig feuchtem Taschentuch über die Stirn.
 

Er führt uns über den mit Kies ausgelegten Carport und Vorplatz zur Haustür, die sofort von unserem Dienstmädchen geöffnet wird. Verwirrt seh ich sie an. Doch sie lächelt nur sanft. Das Foyer ist kleiner als in der Villa, was wohl insgesamt der Größe des Hauses geschuldet ist. Es erstreckt sich bis in den ersten Stock und oben kann ich ein Geländer sehen, wo ein Gang entlang führt.
 

Generell hat dieses Haus im Grundriss große Ähnlichkeit mit der Villa, nur das es nicht so viele Zimmer sind und es insgesamt etwas wohnlicher wirkt. Akito führt uns langsam rum. Zeigt uns Wohnzimmer, Wohnküche und die Bibliothek im Erdgeschoss, bevor er sich die Treppe hinauf quält. Oben geht es in zwei Richtungen ab. Er deutete auf den einen Teil und meint, dass wir dort unsere Schlafzimmer finden. Im anderen Hausteil seien sein Schlafzimmer und zwei Gästezimmer untergebracht.
 

Dann führt er uns wieder hinunter durch das Wohnzimmer, das von vorne bis zur hinteren Wand des Hauses geht, in einen dort gelegenen Wintergarten. Er erstreckt sich über die gesamte Breite des Hauses und umfasst nun auch einen Pool. Akito schnauft und meint, dass es im Keller ein Trainingsraum und eine Sauna, sowie für Seto Räume für Büro und Tech-Labor gibt.
 

Aus verständlichen Gründen verzichtet Akito aber darauf uns das zu zeigen. Schwerfällig erklärt er, dass am Tor vorne eine Sicherheitsstation wäre. Der Wachmann habe Fotos und Namen unserer Freunde, als Befugte hinterlegt, ebenso das Hauspersonal. Es gibt ein elektronisches Sicherheitsnetz, dass den Einsatz von Flugdrohnen unmöglich macht, denn nähert sich eine Drohne dem Grundstück wird sie gezielt mit einem kleinen elektromagnetischem Impuls unschädlich gemacht.
 

Akito setzt sich bei der Haustür auf eine Sitzbank, die dort steht. Überhaupt ist das gesamte Haus bereits eingerichtet und sieht in den Grundzügen wie das Mobiliar in der Villa aus. Ich kann sogar noch die Farbe riechen, die wohl noch nicht ganz trocken ist. Hat Akito das alles seit gestern herrichten lassen? Woher wusste er überhaupt, was geschehen ist. Wir haben ihm absichtlich nichts gesagt, damit er sich nicht aufregt und seine Genesung durch irgendeine Aktion, wie diese hier, unterbrochen wird.
 

Mit schwerem Atem, als hätte er eine Stunde Dauerlauf hinter sich, meint Akito, dass dieses Haus nicht auf Kaiba oder Isono läuft, sondern unter einem Decknamen gekauft wurde. Er deutet auf einen kleinen Abstelltisch, auf dem drei Umschläge liegen und meint, dass darin die Zettel mit der neuen Adresse, sowie die Festnetznummern des Haus enthalten sind. Außerdem seien darin die Schlüssel zur Haustür.
 

Wir hören noch ein Auto vorfahren und ich schau durch das kleine Fensterchen in der Haustür. Ich sehe den Wagen, in dem unsere Sachen verstaut wurden und in den mein Vater mit eingestiegen ist und der nun aussteigt. Sofort läuft das Dienstmädchen zu ihnen und hilft beim Ausladen der Kisten. Akito erzählt noch etwas, aber ich hab gerade keine Acht darauf. Ich folge dem Dienstmädchen und umarme erst meinen Vater. Dazu war vorhin irgendwie gar keine Zeit. Dann helfe ich die Kisten auszuladen.
 

Als ich wieder rein gehe höre ich, dass Akito immer noch etwas sagt, während der Wagen, der unsere Sachen hergefahren hatte wieder wegfährt. Auch mein Vater stellt sich zu uns, legt eine Hand auf meine Schulter, während meine Hand sich mit der von Seto verschränkt hat. Dann hör ich, wie wieder etwas Motorisiertes die Auffahrt hochkommt. Als ich durch die noch offene Haustür schaue, erkenne ich einen Rettungswagen. Verwirrt ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.
 

Dann meint Akito, dass wohl sein Taxi endlich eingetroffen wäre. Er versucht humoristisch zu klingen, aber es kostet ihn viel Kraft und er schnauft immer angestrengter. Währenddessen steigen die Rettungssanitäter aus und kommen mit einem großen Koffer auf uns zugelaufen. Als sie rein kommen fällt ihr Blick sofort auf Akito, dessen Shirt furchtbar an ihm klebt.
 

Ohne noch weiter Zeit zu verschwenden nehmen die beiden Akito mit und bringen ihn zurück zum Krankenhaus, nicht ohne das er uns zuruft, dass wir uns in aller Ruhe einrichten und erst morgen zu Besuch kommen sollen. Dann fährt der Rettungswagen auch schon weg. Perplex steht mein Drache neben mir und schaut ihm hinterher ohne sonst irgendwie zu reagieren. Ich fürchte, dass es alles etwas viel für ihn war: Der Überfall, die durchwachte Nacht, Akitos Auftauchen und der Umzug hierher.
 

Auf einmal kommt Bewegung in ihn und er will aus dem Haus hechten und dem längst verschwundenen Rettungswagen hinterher rennen. Doch ich und mein Vater halten ihn auf und halten ihn mit großer Mühe zurück. Sanft lege ich meine Hand an Setos Wange und sag ihm immer wieder, dass Akito wusste was er tat und dass es ihm gut geht, jetzt wo er wieder zurück ins Krankenhaus gebracht wird. Ich hoffe, dass ich überzeugender klinge, als ich es bin.
 

Was hat Akito nur geritten diese Aktion aus dem Boden zu stampfen. Und woher zum Teufel wusste er von dem, was geschehen ist? Mein Vater schließt die Tür und meint nur, dass wir jetzt erst einmal unsere Sachen, die vom Dienstmädchen längst hochgetragen und auf die Räume verteilt worden sind, auspacken gehen sollen. Er macht uns derweil einen ordentlichen Brunch. Also zieh ich Mokuba und Seto mit mir die Treppe hinauf und geh den so viel kürzer wirkenden Gang mit den beiden Brüdern entlang. An einer Tür links hängt ein Zettel, auf dem 'Mokuba' steht. Auf der Tür am Flurende hängt ein Zettel mit Setos und meinem Name. Rechts ist noch eine Tür ohne Zettel.
 

Also öffnen wir unsere Zimmertüren und sind baff. Dahinter ist ein Abbild unserer Zimmer aus der Villa, nur eben in etwas kleiner. Gleiche Raumaufteilung, gleiche Einrichtung, gemütlichere Wirkung. Wie hat Akito das nur alles hinbekommen? So wird das Eingewöhnen sicherlich nicht schwer... aber ob die große Ähnlichkeit meinem Drachen so gelegen kommt? Das kann ich einfach nicht abschätzen und seit die Haustür geschlossen worden ist, ist er wieder etwas abwesender.
 

Sanft zieh ich ihn mit mir hinein und auf das Bett. Dort schlinge ich meine Arme um ihn und plötzlich weint er bitterlich. Ich weiß nicht worüber er so weint... ob das noch eine Nachwirkung von gestern ist oder daran liegt, dass Akito das Unmögliche möglich gemacht hat... Aber das ist auch nicht wichtig... Wichtig ist nur, dass Seto seine Gefühle raus lässt und sich danach besser fühlen wird. Alles andere ist Nebensächlich. Also halte ich ihn eng in meinen Armen und streich ihm beruhigend über den Rücken.
 

Nach einer halben Stunde kommt auch Mokuba wieder zu uns und hilft mir Seto zu trösten und zu halten. Sanft streich ich auch ihm über das schwarze, wilde Haar und er blickt mich mit einem etwas entrückten Blick an. Hm... vielleicht wird er langsam zu alt für diese Geste und traut sich nur nicht, mir das zu sagen. Also lächle ich nur wissend und nick ihm beruhigend zu.
 

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Einen Schritt in den neuen Wintergarten

Als ich den Wintergarten betrete ist es schon spät. Noch kein Abend, aber auch kein Mittag mehr. Irgendwann seit gestern ist mir mein Zeitgefühl abhanden gekommen. Der Angriff gestern hat nur Minuten gedauert, aber mir kam es vor wie Stunden. Stunden voller Angst und Horror. Als ob die Zeit stehen geblieben ist und nun nur schwer wieder in Gang kommt.
 

Ich fühl mich wie gerädert und die neue Umgebung lässt alles erst recht wie ein unwirklicher Traum wirken. Der Wintergarten gleicht hier am Eingang dem in der Villa. Irgendwer hat sich die Mühe gemacht all die Blumen einzupacken und hier genauso aufzubauen wie zuhause. Dafür bin ich sehr dankbar, denn diese Blumen sind alles, was mich noch an meine Mutter erinnert. Sanft streich ich bei einer Orchidee über die Blütenblätter.
 

Als sich jemand hinter mir räuspert zucke ich erschrocken zusammen, wirbel zur Quelle des Geräuschs, während ich gleichzeitig einen Schritt zurück weiche. Dann sehe ich Kai an der Sitzgruppe stehen, die der in der Villa zum Verwechseln ähnelt, aber es nicht ist. Da bin ich mir sicher, denn in einem Wutanfall hab ich irgendwann gegen den niedrigen Tisch getreten und an einem Bein eine Stelle vom Lack abplatzen lassen. Und diesen Schaden kann ich an diesem Tisch nicht sehen.
 

Kai fragt mich, wie ich mich fühle und ich schau ihn an, als ob er von mir die Lösung einer komplizierten mathematischen Gleichung verlangt. Erst nach einem Augenblick nicke ich und meine zu ihm, dass es mir schlecht geht. Ich bin selbst über diese Antwort verblüfft. Also schau ich den neuen Wintergarten entlang, der sich an der hinteren Seite des Hauses an eben diesem entlang schlängelt und ab der Hälfte von einem Swimmingpool dominiert wird.
 

Mit einer Geste macht der Psychologe deutlich, dass ich mich doch setzen soll. Also komm ich langsam auf ihn zu und nehm auf der Bank Platz, während er sich in einen Sessel setzt. Er fragt mich, ob wir noch auf Katsuya warten sollen, doch ich schüttle nur den Kopf. Katsuya schläft und ich war schon dankbar, dass ich aufstehen konnte ohne ihn oder Mokuba zu wecken.
 

Erst jetzt fällt mir ein, dass Kai heute Morgen schon in der Villa war und frag ihn, ob er die ganze Zeit hier gewartet hat. Er nickt und meint, er hat sich mit Katsuyas Vater unterhalten. Stimmt, Katsuyas Dad ist auch hier. Kai setzt hinterher, dass er schon ewig nicht mehr die Gelegenheit hatte mit Jonouchi-san zu sprechen. Ich nicke nur. Stimmt, er kennt ihn ja von damals, als Katsuyas Vater aus dem Gefängnis heraus den besten Kinderpsychologe für seinen missbrauchten Sohn gesucht hat.
 

Vorsichtig lenkt Kai das Gespräch auf den vorherigen Tag. Dem Besuch bei Keizo, den Schuss auf Akito, die darauffolgende Operation und die ständige Angst um ihn. Wieder löst sich bei mir eine Träne. Ich will nicht, dass sowas geschieht, aber ich bin auch nicht in der Lage sie aufzuhalten. Die Angst vom Vortag flutet mich erneut und ich erzähle Kai davon.
 

Er scheint recht zufrieden zu sein, dass ich ihm von meinen Gefühlen erzähle, die mich gestern wegen Akito überkommen haben. Ich erzähl ihm, dass ich es bereue, dass ich in letzter Zeit nicht mit Akito gesprochen habe, weil ich mich verraten gefühlt habe. Das dieses Gefühl - Verrat - an sich völlig unangebracht war. Akito hat mich nicht verraten. Er wollte mir nur helfen. Das ist mir jetzt klar und ich habe wirklich inständig gehofft, dass ich ihm das noch sagen kann und er nicht einfach so wegstirbt.
 

Es macht mich nervös, dass Akito nicht hier ist. Das er wieder im Krankenhaus ist. Gestern war ich noch derjenige, der ihn beschützen wollte. Jetzt wünsch ich mir nichts sehnlicher, als das er mich beschützt. Aber ich weiß auch, dass das nicht möglich ist. Er muss sich von dem Schuss und der OP erholen und gesund werden. Alles andere wäre unverantwortlich. Auch das er heute Morgen plötzlich vor unserem Zimmer stand war... er sah nicht gut aus. Warum ist er nicht im Krankenhaus geblieben und hat von dort alles koordiniert? Wieso hat er seine Gesundheit so aufs Spiel gesetzt?
 

Kai meint nur, dass ich das Akito fragen muss. Das werde ich. Auf jeden Fall. Und ich werde ihm auch sagen, was er mir bedeutet. Wie wichtig er für mich und in meinem Leben ist. Ich glaube, das sag ich generell zu wenig zu denen, die mir nahe stehen. Nicht nur ich. Wir alle sagen zu selten was wir wirklich meinen und was wir fühlen, dann passiert irgendetwas und wir bereuen es. Warum ist das so?
 

Doch auf diese Frage hat Kai keine Antwort. Keine richtige. Dann wechselt er von Akito auf das, was am Abend geschehen ist. Alles in mir sperrt sich. Will nicht darüber nachdenken oder reden. Es einfach nur wegschieben und verdrängen. Doch das ist der falsche Weg. Das weiß ich. Doch mein Kopf hat schon einen schweren Stand gegen meine Gefühle. Jahrelang hab ich alles, was mir unbequem erschien weggeschlossen, bis dann im letzten Jahr meine Mauer unwiederbringlich gerissen und schließlich gebrochen ist.
 

Jetzt hab ich all diese Gefühle, die mich immer wieder beherrschen, lenken und teilweise mein Denken ausschalten. So wie jetzt: Wut, Panik, Ekel. Wut, weil ich mich einfach nicht wehren konnte. Ich hab es versucht. Ehrlich versucht und dennoch hat er mich wieder überwältigt. Panik, weil ich das von früher nicht noch einmal erleben wollte. Diesen Schmerz, wenn er mich zerreißt und beschmutzt, dabei hämisch mir ins Gesicht grinst und immer wieder flüstert, dass ich das doch will. Ekel vor all den blauen Flecken, die er auf meinem Körper hinterlassen hat. Ich kann immer noch jeden Handgriff von ihm an meinem Körper spüren. Vor allem an der Innenseite meiner Schenkel, wo er seine Pranken dazwischen schob um sie auseinander zu zwingen.
 

Ich schlinge meine Arme um meinen Bauch und ziehe meine Beine auf die Sitzfläche. Wieder perlt mir eine Träne über das Gesicht und ich wische es hastig mit dem langen Ärmel meines Pullis weg, den ich anhabe. Der verbirgt, dass auch um meine Handgelenke herum alles blau und violett geworden ist. Von dem eisernen Griff, die meine Hände über meinem Kopf gehalten haben. Von dem Gürtel, mit dem sie zusammen gebunden waren und gegen den ich mich nicht wehren konnte.
 

Es fällt mir sehr schwer meine Tränen überwiegend zurück zu halten. Das Zittern zu unterdrücken gelingt mir gar nicht und dann seh ich, wie Katsuya durch das Wohnzimmer auf die Verbindungstür zum Wintergarten kommt. Er sieht aus, als ob er etwas sucht. Dann fällt sein Blick auf mich und er hastet herbei. Geht neben mir auf die Knie, legt mir eine Hand an die Wange und die Tränen bahnen sich einfach nur ihren Weg. Mein Streuner setzt sich neben mich und zieht mich in seine Arme, während ich mich fest an ihn klammere.
 

Es tut gut, als er mir durch das Haar streicht. Den Nacken krault. Über den Rücken streichelt. Wäre mein Streuner nicht gekommen... dann hätte nichts und niemand Kogoro aufgehalten. Ich bin ihm so dankbar. So dankbar, dass er noch rechtzeitig gekommen ist und mich gerettet hat. Mich sofort in seine Arme gezogen und mich mit einer Decke zugedeckt hat. Mir etwas Würde zurück gegeben hat.
 

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Einen Schritt weiter in den inneren Kreis

Nervös blick ich auf die Uhr im Klassenzimmer. Endlich wird es drei Uhr und es läutet und wir dürfen endlich gehen. Hastig ziehe ich mein Handy erneut aus der Tasche und lese die letzte Nachricht, die von Isono reingekommen ist. Sie erklärt mir, dass Seto, Mokuba und Jou umgezogen sind und wo sie jetzt wohnen.
 

Keiner von uns hat damit gerechnet, dass Seto und Jou heute in die Schule kommen, nicht nachdem gestern Isono angeschossen worden ist. Aber das sie gleich umziehen... besteht etwa immer noch Gefahr für sie? Der Schütze wurde nicht gefasst. Hat er es immer noch auf einen von ihnen abgesehen? Egal, ich muss zu ihnen.
 

Ryuji hat mir sofort angesehen, was mir durch den Kopf geht und auch Yugi und Ryou treten direkt zu mir an den Tisch. Fragen noch einmal nach der neuen Adresse, die ich bereitwillig, nachdem alle anderen bereits die Klasse verlassen haben, an sie weitergebe. Nachdem wir dann auch unsere Schuhe gewechselt und die Schule verlassen haben ruf ich mir einen Stadtplan auf dem Handy auf und schau, wie wir von hier am besten dahin kommen.
 

Mein Freund blickt über meine Schulter und fragt mich, wozu ich einen Stadtplan brauche. Ich schau ihn nur kurz zweifelnd an, bevor ich ihm sage, dass ich nach einem Weg zur neuen Adresse schaue. Er lächelt und meint zu mir, dass das ein guter Witz sei. Nicht verstehend blicke ich ihn an und da erkennt er, dass es mir wirklich ernst ist. Verblüfft mustert er mich und meint, dass ich doch weiß, wo die Straße ist.
 

Aber erst als ich auf die gerade geladene Karte schaue wird mir klar, was Ryuji meint: Meine Eltern und ich wohnen in einem Wohngebiet vor dem Hügel, auf dem auch mein Freund sein Haus stehen hat. Mir war der Name nur nicht geläufig. Auf der Karte erkenne ich, dass es im Grunde nur eine lange Straße ist, die sich den Hügel hinauf windet. Hier und da gingen einige kurze Straßen zu Grundstücken ab, aber im Grunde war es eine lange Straße.
 

Das bedeutet, dass sie nur zehn Minuten von mir und fünf Minuten von Ryuji entfernt wohnen. Ob das ein Zufall ist? Aber das heißt auch, dass wir nur zwanzig Minuten zu mir und dann den Hügel hinauf müssen, statt eine ganze Stunde zur Villa zu laufen. Also gehen wir noch schnell bei Burger World vorbei, mampfen etwas und nehmen ein paar Sachen für die drei mit. Ich weiß, dass Seto westliches Essen hasst, aber an den Sachen von Burger World hatte er eigentlich nie was auszusetzen.
 

Nach rekordverdächtigen 25 Minuten haben wir unser Ziel schließlich erreicht. Natürlich gehört die Adresse zum letzten Grundstück auf dem Hügel, am Ende der Straße. Nur gut, dass zwischen den Grundstücken, öffentliche Treppen hinauf führen, die es uns ersparen die Straße entlang zu laufen und somit Zeit einzusparen. Das Tor ist auch dieses Mal mit einem Wachhäuschen versehen. Manche Dinge ändern sich also nicht. In der SMS stand, dass wir auf der Besucherliste stehen, also werden wir das jetzt mal prüfen.
 

Tatsächlich sieht uns der diensthabende Wachmann, als wir uns nähern, schaut dann wieder runter auf seinen Tisch und lächelt uns dann als nächstes wohlwollend an. Dann, wir sind eigentlich noch gut zwei oder drei Meter vom Tor entfernt, drückt er wohl einen Knopf und das Tor öffnet sich. Er kommt aus seinem Wachhäuschen und verneigt sich wie die Bedienung in einem Teehaus vor uns. Kaum sind wir durch das Tor, schließt es sich bereits hinter uns wieder und der Wachmann nimmt wieder Platz in seinem Häuschen.
 

Okay, den Test hat der Wachmann bestanden. Wir stehen tatsächlich auf der Besucherliste. Die Auffahrt ist mit Kies gefüllt und führt sich schlängelnd an großen, schlanken Bäumen vorbei, die die Sicht vom Tor auf das Haus blockieren. Dahinter offenbart sich ein beeindruckendes, großzügiges Familienhaus. Wesentlich kleiner als die Villa, aber immer noch passend zu Seto. Als wir an die Haustür treten wird uns diese aufgemacht und wie gewohnt begrüßt uns Kikyo an der Tür. Verwundert treten wir ein und ziehen unsere Schuhe aus und dann frag ich sie, woher sie wusste, dass wir kommen. Da erklärt sie mir, dass sie von Daira-san informiert wurde. Als sie merkt, dass mir der Name nicht geläufig ist klärt sie mich auf, dass das der diensthabende Wachmann ist.
 

Gerade als ich Kikyo fragen möchte, wo Seto und Jou sind kommt Mokuba von oben runter. Er wirkt irgendwie total verschlafen, freut sich aber uns zu sehen und kommt sofort auf mich zu. Er schlingt kurz seine Arme um mich und drückt sich an mich. Vorsichtig streich ich ihm über seine Wuschelmähne, bevor er uns dann sofort das Haus zeigen will. Ich frag ihn, ob er weiß, wo Jou und Seto sind. Er schüttelt nur den Kopf, da meint Kikyo, dass die beiden mit Kai im Wintergarten sind.
 

Scheinbar haben sie gerade eine Sitzung. Also lassen wir uns von Mokuba das Haus zeigen. Wir sind alle überrascht, als er meint, dass es auch Gästezimmer für uns gibt. Sie sind sogar schon eingerichtet. Eines bietet ein Doppelbett und Mokuba grinst, dass das wohl das Zimmer für Ryuji und mich ist, das zweite bietet zwei Einzelbetten. Jedes der Zimmer hat ein eigenes, kleines Badezimmer mit Dusche, Waschbecken und Toilette. Aber nicht weniger luxuriös.
 

Als wir wieder unten ankommen möchte Mokuba uns noch das Wohnzimmer zeigen, als Kai uns entgegen kommt. Er lächelt Mokuba an und fragt, ob bei ihm alles okay ist oder ob er auch mit ihm sprechen möchte. Mokuba winkt ab und meint, bei ihm sei alles gut. Ich bin verwirrt. Ist das alles wegen den Schüssen auf Isono? Dann sehen wir, wie Jou und Seto mit verschränkten Fingern aus dem gläsernen Anbau kommen. Setos Augen sind etwas geschwollen und gerötet. An der Stirn hat er eine bläuliche Beule. Als er uns sieht bleibt er stehen und erstarrt kurz, bevor er wegschaut und sich auf die Unterlippe beißt.
 

Jou begrüßt uns freundlich und zieht seinen Drachen zur Couch mit, wo wir uns alle hinsetzen. Sofort strebt auch Mokuba zu Seto, kuschelt sich eng an ihn. Fast schon kommt es mir so vor, als versuche Mokuba in ihn hinein zu kriechen. Yugi und Ryou bekunden ihre Begeisterung über das neue Haus und dann fragt Ryuji, warum sie umgezogen sind.
 

Mein bester Freund schaut kurz zu seinem Freund, der aussieht, als würde er sich wünschen, wo anders zu sein. Auch Ryuji bemerkt, dass Seto schwer angeschlagen ist. Gestern im Krankenhaus wirkte er gar nicht so gebrochen und mitgenommen. Eher aufgebracht und rasend vor Sorgen. Jou meint schließlich, dass sie überraschend heute Morgen von der Villa hier her gezogen seien... aus Sicherheitsgründen.
 

Also treibt der Attentäter immer noch sein Unwesen? Doch der Blonde schaut mich nur an und regt sich gar nicht mehr. Da wird mir klar, dass ich auf dem Holzweg bin. Sie sind nicht wegen dem Schuss auf Isono umgezogen. Als mein Blick wieder auf Setos Beule an der Stirn fällt kommt mir die schreckliche Erkenntnis: Seto muss angegriffen worden sein.
 

Kaum hab ich diese Schlussfolgerung gezogen, hör ich die brüchige, geschwächte Stimme von Seto, die genau das sagt: Er wurde gestern Abend angegriffen. Sofort überschlägt sich Yugis Stimme, als er sich erschrocken wieder aufsetzt und nach Details fragt. Doch mir genügt nur ein Blickkontakt zu Jou um zu wissen, was für ein Angriff es gewesen sein muss.
 

Wie weit der Angriff ging werde ich in einem stillen Augenblick fragen. Nicht jetzt. Ich hoffe und bete, dass es nicht bis zum Äußersten ging.
 

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Einen Schritt vortasten

Wir sitzen zusammen und Yugi und Ryou erzählen Seto und Jonouchi was sie in der Schule verpasst haben. Dabei wirkt Seto seltsam entrückt. Plötzlich beugt er sich zu Jonouchi, wispert ihm etwas ins Ohr und steht dann auf. Kurz meint er zu uns, dass er mal nach etwas zu trinken für uns schauen wird. Schon strebt er eine Tür an, die von hier in die Küche führt.
 

Mokuba lächelt uns unbeholfen an, dann schlägt er vor, dass wir doch was zocken könnten. Können wir, denn hier im Wohnzimmer ist ein gigantischer Fernseher und darunter eine Armee an Spielkonsolen und Controller, genau wie im Medienraum der Villa. Also verteilt der Wirbelwind geschwind Controller an uns und legt ein Dario Kart-Spiel ein.
 

Ich drück Hiroto kurz einen Kuss auf und steh dann auch auf. Sag den anderen, dass ich mal auf Toilette muss. Muss ich wirklich. Also such ich die Gästetoilette, die auch in diesem Haus draußen im Flur zwischen Wohnzimmer und Küche liegt. Generell hat dieses Haus sehr viel Ähnlichkeit mit der Villa was die Raumanordnung und die Einrichtung anbelangt. Es sind lediglich weniger und kleinere Räume. Ob das Zufall ist? Sicher nicht.
 

Da ich ein wenig weiter unten an der Straße wohne weiß ich, dass irgendwo auf dem Hügel nach dem Jahreswechsel etwas begonnen wurde zu bauen. Aber es hat mich nie wirklich interessiert wo und wer da baut. Vielleicht, so geht es mir durch den Kopf, wurde dieses Haus in Rekordzeit aus dem Boden gestampft?
 

Aber sicherlich nicht von Seto. Dann von Isono? Hat der Mann schon damals gewusst, dass es eine Zeit geben wird, in der sich Seto von der Villa verabschieden wird? Wollte er für diesen Fall dann schon etwas in der Hinterhand haben? Fragen über Fragen. Wenn, dann war er echt weitsichtig.
 

Als ich aus der Toilette komme schau ich kurz in Richtung Wohnzimmer aus dem sehr lebhaftes Treiben kommt. Dann fällt mein Blick auf die Schwingtür der Küche. Ich beschließe mal zu schauen, ob Seto noch in der Küche ist. Als ich durch die Schwingtür den Raum betrete springt Seto schreckhaft hinter der Kühlschranktür auf, lässt dabei eine Flasche zu Boden fallen, die dort klirrend zerspringt und ihren Inhalt über den Boden ergießt.
 

Seto schaut mich mit geweiteten Augen an und noch nie wurde ich mit so viel Angst von ihm, oder sonst irgendwem, angeschaut. Die spärliche Gesichtsfarbe ist verschwunden und er ist kreidebleich. Sofort bleib ich stehen und hebe meine Hände, so dass Seto sehen kann, dass ich nichts in den Händen habe. Erst nach einem Moment wird mir bewusst, dass Seto den Atem angehalten hat und jetzt wieder Luft in sich saugt. Sein Atem geht zügig und flach.
 

Langsam nähre ich mich ihm und für einen Augenblick glaub ich zu erkennen, dass Seto zurückweichen will, sich aber zwingt stehen zu bleiben. Besorgt muster ich ihn kurz, was ihm ganz offensichtlich super unangenehm ist. Er geht in die Hocke und beginnt hastig die Scherben aufzusammeln. Auch ich geh in die Hocke und mahne ihn, die Scherben vorsichtiger und langsamer aufzusammeln. Da zischt er schon schmerzerfüllt und lässt seine Scherben wieder fallen. Als ich zu ihm schau, seh ich den langen Schnitt in der Handfläche.
 

Eilig werfe ich die Scherben, die ich aufgesammelt habe, in den Mülleimer und greife dann nach seiner Hand. Doch in dem Moment, in dem ich seine Hand berühre zuckt er zurück, verliert das Gleichgewicht und landet auf seinem Arsch. Himmel, was ist denn mit ihm los? Zittert er sogar? Dennoch müssen wir den Schnitt, der da gerade heftig blutet versorgen.
 

Es dauert einen Augenblick dann nickt Seto. Er bemüht sich wieder auf die Füße zu kommen und scheint frustriert zu sein. Ob er über die Verletzung oder seine Verfassung frustriert ist, kann ich nicht sagen. Aber wenn ich raten müsste, würde ich auf beides tippen. Was auch immer das für ein Angriff gestern gewesen war, er hat Spuren bei dem Älteren hinterlassen.
 

Als wir beide wieder stehen kommt Hiroto durch die Wohnzimmerschwingtür herein und bleibt abrupt stehen, als Seto zusammenzuckt und einen Schritt aus Reflex zurück weicht. Dann sieht er aber das Blut, dass von der Hand auf den Boden tropft und eilt eilig herbei. Er greift nach der verletzten Hand und Seto will auch bei Hiroto seine Hand wegziehen, doch dieser lässt es nicht zu. Dadurch rutscht der Ärmel von Setos Pulli ein wenig hoch und entblößt einen um das Handgelenk laufenden, dunkelvioletten Bluterguss.
 

Hastig schiebt Seto den Ärmel wieder nach vorne und meidet den Blick zu uns. Vorsichtig bugsiert Hiroto Seto zu dem runden Frühstückstisch und dort auf einen Stuhl. Er bittet mich den Erste Hilfe-Kasten zu holen und deutet auf einen Hängeschrank. Ohne drüber nachzudenken geh ich zu dem Schrank, öffne ihn und finde tatsächlich den Kasten. Als ich ihn nehme halte ich kurz inne. Er war genau dort, wo er auch in der Villa war. Um meinen Verdacht zu überprüfen öffne ich den Schrank daneben, in dem in der Villa die Gläser untergebracht waren und finde sie auch hier in diesem Schrank. Okay...
 

Dann ruft Hiroto mit strenger Stimme nach mir. Ich dreh mich um und bring ihm den Kasten. Er kniet bereits vor Seto. Er reinigt sorgfältig die Wunde, sprüht etwas von einem Desinfektionsspray darauf, packt so ein Saugflies auf den Schnitt und beginnt dann das Ganze zu verbinden. Damit der Verband hält führt er ihn auch um das Handgelenk, dass dadurch wieder entblößt wird. Seto schaut derweil aus dem Fenster der Küche.
 

Er scheint gerade alles aufzuwenden, die Fassung zu wahren. Langsam dämmert mir, was für ein Angriff das gewesen sein muss, damit es ihn so aus der Bahn haut. Ich geh neben Hiroto in die Hocke und schau zu Seto hoch. Frag ihn, ob er uns von dem Vorabend erzählen möchte. Doch Seto reagiert nicht. Allerdings seh ich, dass seine Augen feucht werden.
 

Hiroto hebt seine Hand und streicht vorsichtig über Setos Wange, der kurz wieder zusammenzuckt und ihn dann entsetzt ansieht. Sein Kampf mit sich selbst wird auf einmal sichtbar. Er presst seine Lippen fest aufeinander doch die Träne, die sich dann löst, kann er nicht aufhalten. Hiroto streicht sie ihm weg. Seto atmet kaum noch, so angespannt ist er.
 

Also steh ich auf und mein, dass ich Jonouchi holen werde. Ich wende mich also der Schwingtür zum Wohnzimmer vor, wechsel den Raum und stell mich hinter der Couch so, dass ich Jonouchi ins Ohr flüstern kann. Dieser schaut den anderen zwar zu, war aber offensichtlich die ganze Zeit gedanklich bei Seto. Als ich ihn bitte ruhig und langsam mit mir in die Küche zu kommen folgt er dieser Bitte. Vermutlich checkt er sofort, dass ich damit verhindern möchte, dass Mokuba, Yugi und Ryou was davon mitbekommen.
 

Wir gehen zurück in die Küche, wo weitere Tränen über Setos Gesicht rollen. Sofort eilt Jonouchi zu ihm, zieht ihn in seine Arme und hält ihn fest. Hiroto kommt zu mir und wir schauen noch einen Moment zu den beiden. Dann machen wir das kleine Unglück vor dem Kühlschrank weg, nehmen ein paar Flaschen und Gläser und gehen zurück ins Wohnzimmer, während wir Seto in Jonouchis Armen zurück lassen.
 

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Einen Schritt wiederholen

Ich hätte gestern Abend nicht zu Herrn Isono ins Krankenhaus fahren sollen. Hätte ich auch nur geahnt, was er dann tun würde, dann hätte ich es wirklich gelassen. Aber damit hab ich ehrlich nicht gerechnet. Nicht von einem Mann, der in die Brust geschossen und mehrstündig am gleichen Tag operiert worden ist. Doch scheinbar lassen Elterngefühle in einer solchen Situation ungeahnte Kräfte frei.
 

Kaum hatte ich den Angriff auf Seto erwähnt, setzte sich der Mann auch schon auf. Forderte energisch Details. Als ich dann Kogoro erwähnte hielt ihn nichts mehr auf. Er schnappte sich sein Handy, tätigte einige Anrufe und versuchte dann aus dem Bett wieder aufzustehen. Dabei löste er einige der Überwachungssensoren und ein Alarmsignal ertönte. Die Schwester und der diensthabende Arzt eilten herbei und wollten Herrn Isono dazu bewegen, sich wieder hinzulegen, doch da kehrte er den Geschäftsmann heraus, den ich bis dahin nicht gekannt habe.
 

Man, ich hab noch nie erlebt, dass jemand, der immer noch ein wenig unter der Nachwirkung der langen Narkose stand medizinisches Personal so zusammenstaucht. Am Ende hat ihm der Arzt sogar etwas gegeben, welches seinen Kreislauf anregte und ihm mehr Kontrolle gab, als sein Körper ihm in diesem Moment zugestehen wollte. Doch immer wieder machte der Arzt auch auf die Risiken und Nebenwirkungen aufmerksam. Die nahm Herr Isono zwar zur Kenntnis, aber schien sie völlig in den Wind zu schlagen und dann kam Herr Fuguta herein.
 

Vor ein paar Stunden hat mir Herr Isono dann eine Nachricht geschickt, dass Seto und Mokuba umgezogen sind und er wieder zurück im Krankenhaus ist. Bei der Nachricht war auch die Adresse angehängt. Und zu dieser bin ich gerade zusammen mit Fujimura unterwegs. Ich muss mit Seto über Daimon Kogoros Aussage sprechen, auch wenn Herr Isono mir mitgeteilt hat, dass der junge Mann völlig durch den Wind ist. Es sind Handlungsabläufe in Gang geraten, die zeitlich limitiert sind.
 

Als wir die serpentinartige Straße bis zu ihrem Ende gefahren sind lenk ich den Wagen auf das große, edel wirkende Gusseisentor zu. Daneben ist ein Wachhäuschen. Als wir zum Stehen kommen lächelt der Wachmann mich an und meint nur, dass wir durchfahren können. Er spricht mich sogar namentlich an. Dann geht das Tor auch schon auf. Gut geschultes und informiertes Personal, geht mir durch den Kopf, als ich dem Kiesweg langsam um eine Reihe säulenartiger Mittelmeer-Zypressen folge, die keinen direkten Blick vom Tor auf das Haus gestatten.
 

Dahinter steht ein modern wirkendes, einladendes Familienhaus und wir parken auf dem kleinen Kiesplatz vor dem Hauseingang. Das Dienstmädchen macht uns auf und lässt uns eintreten, bittet uns dann aber zu warten. Wir nicken zustimmend und sie strebt fort. Fujimura nutzt die Gelegenheit sich ein wenig umzuschauen. Es ist keine große Halle, wie in der Villa, aber dennoch über beide Stockwerke gehend. Definitiv gehobener Standard.
 

Schließlich kommt das Mädchen nach einem langen Augenblick mit Herrn Jonouchi zurück, der uns freundlich grüßt und sich dann erkundigt, was unser Anliegen ist. Ich erkläre ihm, dass ich mit seinem Freund über die Aussage seines Angreifers reden muss und dass dafür die Zeit drängt. Er scheint kurz zu überlegen und sich suchend umzuschauen. Dann fragt er das Mädchen, ob es hier irgendwo ein Gesellschaftszimmer gibt und sie antwortet, dass es in der Bibliothek eine Nische gibt, die als solche wohl genutzt werden kann. Daraufhin bittet er die Hausangestellte freundlich uns dort hin zu bringen, bevor er sich wieder der Küche zuwendet.
 

Die Bibliothek ist beeindruckend, genauso die gemütlich wirkende Sitzecke, die zum Verweilen und Lesen einlädt. Die Fenster hier gehen nach vorne raus und ich kann ungehindert auf die Zypressen blicken, wie sie das Tor verbergen. Der Garten wirkt gepflegt, bei einigen Pflanzen - wie den Bäumen - sieht man, dass sie wohl erst vor kurzem hier aufgestellt wurden. Man kann das an der Erde am Stamm erkennen, wo kein Gras vorhanden ist und die Erde eine sehr dunkle Farbe hat. Aber wo kann man 10 Meter hohe Bäume kaufen? Ich dachte immer, man pflanzt sie in einem 'Kindergröße' und lässt sie dann wachsen. Aber scheinbar gibt es mit genügend Geld keine Grenzen.
 

Ich schau auf meine Uhr und stelle fest, dass schon zehn Minuten vergangen sind. Die Frage, ob noch jemand kommt beschäftigt mich schon sehr. Gestern hat der junge Mann noch unter Schock gestanden, als er die Untersuchung und seine Aussage gemacht hat. Dieser dürfte sich mittlerweile verflüchtig haben. Sicherlich versucht er die Erlebnisse vom Vorabend von sich zu schieben und zu verdrängen. Ich kann nur hoffen, dass sein Therapeut ihm beim Bewältigen hilft.
 

Gerade als ich nachschauen möchte, wo Herr Jonouchi mit Seto bleibt kommen sie um ein Regal zu uns. Seto sieht grauenvoll aus. Blass. Ringe unter den geröteten Augen. Er versucht so zu wirken, wie bei unseren bisherigen Gesprächen, doch es gelingt ihm nicht. Ich begrüße ihn und lege etwas mehr Sanftheit in meine Stimme. Fujimura versucht es mir gleich zu tun. Dann bitte ich Seto und seinen Freund Platz zu nehmen. Kaum sitzen sie setze ich mich so, dass ich nicht allzu bedrohlich auf den angeschlagenen Jungunternehmer wirke.
 

Dann bitte ich ihn mir den Angriff vom Vortag noch einmal zu schildern. Er scheint davon gar nicht begeistert zu sein und braucht einen langen Moment, bevor er anfängt mit brüchiger Stimme zu erzählen. Seine Aussage heute deckt sich absolut mit der vom Vortag. Ich nicke zufrieden und lobe Seto dafür, dass er mir diese schrecklichen Ereignisse noch einmal geschildert hat. Danke ihm dafür.
 

Kurz schau ich zu dem Blonden, der die ganze Zeit Setos Hand hält. Dann wieder zurück zu Seto. Behutsam erzähle ich den beiden, was der Täter ausgesagt hat: Von der Verabredung zu einem psychologischen Rollenspiel um Setos angeblicher Vergewaltigungsphantasie zu befriedigen. Ein paar Tränen perlen Seto über die Wange, die er hastig mit seinen Ärmeln wegwischt, als er das hört. Er schluckt und presst angewidert die Lippen aufeinander.
 

Vorsichtig wagt sich Fujimura vor und fragt, ob Seto sich erklären kann, wie Daimon Kogoro in die Villa gekommen sein könnte. Seto braucht wieder einen langen Moment und einen Blick aus dem Fenster auf die Bäume, bevor er antwortet. Er erzählt, dass es einen Fluchttunnel unter dem Haus gibt, der unter dem gesamten Anwesen entlang verläuft und an der Waldseite bei einem kleineren Tor endet. Mein Junior-Partner fragt, wo man in der Villa aus dem Tunnel kommt. Da meint Seto, dass es zwei Eingänge gibt: Einmal in seinem Büro und in Gozaburos Schlafzimmer.
 

Verdutzt fragt mein Kollege nach, als der ihm unbekannte Name fällt. Möchte wissen wer Gozaburo ist. Seto blickt ihn erschrocken an und ich werde den Verdacht nicht los, dass die Information mit dessen Schlafzimmer eher ungewollt rausgerutscht ist. Mit erstickender Stimme antwortet Seto schließlich, dass Gozaburo sein Adoptivvater gewesen ist. Dann unterläuft Fujimura ein Fauxpas, als er fragt, wo Gozaburo heute ist und warum er einen Fluchttunnel braucht.
 

Seto schlägt seine Augen zu Boden und sagt, dass sein Adoptivvater sich selbst aus dem Fenster seines Büros im Kaiba Tower stürzte. Entsetzt blickt Fujimura ihn an und wiederholt dann seine Frage wegen den Fluchttunneln. Da erklärt Seto, dass sein Adoptivvater Waffen produziert hat und manche Kunden wohl hier und da auch verärgert hat. Für den Fall, dass diese einen Anschlag auf ihn verüben würden hat er die Tunnel anlegen lassen.
 

Ich finde das schon sehr paranoid, aber ich hab vom Leben in der Welt der Waffen keinen wirklichen Plan. Daher bitte ich Seto, dass er uns beide Zugänge zum Tunnel zeigt. Er schaut mich daraufhin so verletzt an, als hätte ich ihn gebeten sich vor mir nackt auszuziehen. Dann meint er, dass er nicht genau weiß, wo die Eingänge im Haus sind. Er weiß nur, wo der Ausgang des Tunnels ist. Aber den Gang zurück zu verfolgen rät er uns ab. Das da unten sei nicht nur ein einziger Tunnel, das wäre ein Labyrinth und wenn man nicht genau weiß, wie man laufen muss, dann verläuft man sich da drin. Dennoch bitte ich ihn mir genau zu beschreiben, wo dieser Ausgang ist. Vielleicht finden wir dort noch verwertbare Spuren, die wir gegen seinen Angreifer verwenden können. Er nickt und beschreibt mir dann genau, wie man den Ausgang vom Waldtor aus findet.
 

Mit diesen Informationen gebe ich mich vorerst zufrieden, stehe auf und danke Seto noch einmal für seine Kooperation. Ich möchte mich gerade abwenden, als er mich noch einmal beim Namen ruft. Als ich mich zu ihm drehe blickt er mich mit großer Angst an und fragt, ob Kogoro auf Kaution raus ist. Ich schüttle den Kopf. Noch ist er auf dem Revier. Wir können ihn bis morgen Abend festhalten ohne formal Anklage zu erheben und haben in der Frist noch Zeit Spuren nachzugehen und Beweise zu sammeln. Erst dann ist die Staatsanwaltschaft gezwungen sich auf Grund der Hinweise und Beweise zu entscheiden, ob oder ob nicht Anklage erhoben wird.
 

Seto nickt resigniert und lässt sofort die Schultern sinken. Ich weiß, wovor er Angst hat: Das der Mistkerl Verbindungen zur Staatsanwaltschaft hat und diese ihn auf gar keinen Fall anklagen wird. Das ist nämlich auch meine Angst. Doch ich werde alles in meiner Macht stehende tun, dass zu verhindern. Er wird zur Rechenschaft gezogen.
 

Als wir die Nische verlassen wollen stoßen wir gegen den jüngeren Bruder von Seto und dessen Freunde. Sie alle schauen uns ertappt an. Weiter hinten, am Wohnzimmerzugang stehen noch zwei Freunde, die scheinbar mehr Respekt vor der Privatsphäre haben, als diese Rasselbande von Mittelschülern. Also geh ich an ihnen vorbei und verlasse mit Fujimura das Haus.
 

Dann machen wir uns auf den Weg... nicht zum Revier zurück, sondern zur Villa.
 

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Einen Schritt um die eigene Achse

Ich beobachte Detective Nagasato, wie sie aufsteht und gehen möchte, als sie unmittelbar stehen bleibt. Scheinbar schaut sie etwas... nein, jemand an. Mir ist klar, dass da jemand steht. Will ich wissen wer es ist? Nein. Wozu auch? Nun wissen sie jedes einzelne Detail vom Vorabend. Haben nicht darauf vertraut, dass ich es ihnen noch erzählen werde. Also haben sie gelauscht. Einfach so. Das ist so... respektlos!
 

Aber wundert es mich? Wie sollen sie vor mir noch Respekt haben? Seit ich sie in mein Leben gelassen habe und sie nach und nach immer mehr von mir erfahren haben, haben sie den Respekt vor mir verloren. Und ich...? Ich hab das zugelassen. Hab versucht mich anzupassen. Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Sicherlich zerreißen sie sich das Maul über mich, wenn ich nicht dabei bin.
 

Mein Streuner springt auf einmal auf, läuft zu der Stelle, an der Detective Nagasato gestoppt hat und blickt entgeistert in die Richtung. Dann fragt er mehr als aufgebracht, was ihnen einfällt einfach zu lauschen. Keine Antwort. Was soll sie schon antworten? Dazu müssten sie ehrlich sein. Schließlich meint Katsuya, dass er mehr als enttäuscht von Mokuba sei. Mokuba? Mokuba steht da und hat auch gelauscht? Aber warum? Er weiß doch, was geschehen ist...
 

Dann bittet mein Streuner Yugi und Ryou zu gehen. Sofort kann ich die aufgeregte und entsetzte Stimme des kleinen Punks hören, wie er sich versucht zu entschuldigen. Wiederholt. Aber wieso bittet Katsuya nur Yugi und Ryou zu gehen? Was ist mit Honda und Otogi? Langsam steh ich auf und geh zu meinem Streuner und bin überrascht nur Mokuba mit Yugi und Ryou da stehen zu sehen. Honda und Otogi stehen weiter hinten am Wohnzimmer. Von da haben die beiden unmöglich etwas hören können, doch jetzt, nachdem ich neben Katsuya aufgetaucht bin, kommen sie zögerlich näher.
 

Erschöpft lege ich Katsuya eine Hand auf die Schulter. Mein zu ihm, dass er sie nicht rauswerfen muss. Es ist doch eh egal... Haben sie halt gehört, was gestern geschehen ist. Das kann man jetzt eh nicht mehr ungeschehen machen und ich möchte nicht, dass es zu einem Bruch zwischen meinem Streuner und seinen Freunden kommt. Dann geh ich an meinem Bruder und den anderen beiden vorbei. Honda versucht mich abzufangen, doch abwehrend heb ich nur meine Hände, schieb mich an ihnen vorbei und eile hinauf.
 

Nur gut, dass das Haus irgendwie Ähnlichkeiten mit der Villa hat, so weiß ich wenigstens direkt wo ich hin muss. Doch oben an der Treppe bleib ich dennoch stehen und schau in die Richtung des Haus, in dem die Gästezimmer liegen. Auch dort gibt es an der Stirnseite des Gangs eine Zimmertür. Dort, wo in der Villa SEIN Schlafzimmer liegt. Das Zimmer, welches ich hinter einem Regal versteckt habe.
 

Langsam geh ich auf diese Tür zu und öffne sie langsam. Dahinter liegen die gleichen Räumlichkeiten, in die Katsuya und ich eingezogen sind. An den wenigen Sachen, die schon hier sind erkenn ich, dass Akito sich hier eingerichtet hat. Ich hoffe inständig, dass es ihm gut geht und seine Aktion am Morgen nicht irgendwelche schwerwiegende Konsequenzen hatte.
 

Meine Hand gleitet langsam in meine Hosentasche und holt mein Telefon heraus. Ich öffne die Kontaktliste und hab gleich oben in den Favoriten Akito. Als ich es antippe geht sein Kontakt auf. Das Foto zeigt ihn mit der Sonnenbrille, die er früher fast durchgehend getragen hat, selbst im Inneren eines Gebäudes. Viele haben ihn damals für einen Personenschützer oder einen Handlanger gehalten. Nun ja... irgendwie war er das auch. Aber nicht nur.
 

Mein Finger schwebt einen langen Moment über der Option die gespeicherte Nummer zu wählen. Doch dann lass ich das Telefon in meiner Hand wieder sinken. Sicherlich schläft er oder ruht sich aus oder... Plötzlich klingelt mein Telefon und ich heb es wieder höher. Auf dem Display ist Akitos Bild aufgepoppt. Als ob er weiß, dass ich mit dem Gedanken spiele ihn anzurufen. Langsam lass ich meinen Daumen auf das Annahmefeld fallen und heb das Telefon an mein Ohr.
 

Ich hör Akitos Stimme und bin erleichtert. Er klingt zwar immer noch schwach und erschöpft, aber ansonsten gut. Sanft fragt er mich, wie es mir geht und ich... schweige. Behutsam hör ich ihn meinen Namen sagen. Doch ich kann nur kurz als Antwort so einen kehligen Laut von mir geben. Wo kommt nur dieser Kloß im Hals her? Als ob Akito das weiß redet er beruhigend auf mich ein und sagt mir, ich solle mir keine Gedanken machen. Das ist leichter gesagt, als getan. Ich kann meine Gedanken einfach nicht abstellen. Wie auch?
 

Dann fragt er mich, ob ich bereits Gelegenheit gehabt habe, mich im Haus ein wenig umzusehen. Leise sag ich ja und höre ihn gleich fragen, wie es mir gefällt. Wie es mir gefällt? Ich finde gut, dass es einige Ähnlichkeiten zur Villa gibt, es aber insgesamt moderner und wohnlicher wirkt, als der alte Kasten. Für einen Augenblick glaube ich Akito lächeln zu hören. Ich weiß, das klingt vollkommen verrückt und unglaubwürdig... aber wenn ich wetten müsste, dann würde ich alles was ich habe darauf setzen, dass er lächelt.
 

Akito sagt mir, dass er froh ist, dass ich mich wohl in dem Haus fühle und ich frage, woher er es auf einmal hat. Da erzählt er mir, dass er es kurz nach Jahresbeginn sich mit einem Architekten zusammen gesetzt hat und es bauen ließ. Als ich frage warum, schweigt Akito einen Moment. Doch dann gesteht er mir, dass er damit gerechnet hat, dass ich im Laufe meiner Therapie an den Punkt kommen werde, an dem ich erkenne, dass die Villa mir nicht gut tu. All die Geister der Vergangenheit, die mich dort quälen. Selbst wenn man Räume versteckt oder umfunktioniert, so dass sie kaum noch zu erkennen sind, bleiben die Erinnerungen erhalten.
 

Ich weiß, worauf er anspielt. Neben Gozaburos Schlafzimmer, dass ich 'versteckt' habe, redet er von unserem Trainingsraum, der früher ein Saal für Feste war. Feste, an denen ich teilnehmen musste. Die ich vergessen will und nicht kann. Weil das, was auf diesen Festen geschehen ist sich nun mal so prägnant in mein Gedächtnis gebrannt hat. Leise höre ich mich selbst schließlich 'Danke' sagen. Von Akito kommt nur ein sanftes 'Gerne' zurück.
 

Vorhin gab es noch so viel, was ich Akito habe sagen wollen und jetzt... alles weg. Nun ja, vielleicht auch besser so. Die Dinge, die ich ihm sagen möchte, sollte man am besten von Angesicht zu Angesicht ansprechen. Nicht am Telefon. Dazu gehören nicht nur Worte. Auch Gesten.
 

Wir plaudern noch ein wenig. Früher - vor Katsuya - hätte ich so etwas nie gemacht: plaudern. Wenn ich mein Telefon da benutzt habe, dann immer nur zweckdienlich und kurz. Nie, um einfach ein wenig die Zeit totzuschlagen oder weil es mich beruhigt hat, die Stimme eines anderen darüber zu hören. Aber so ist es im Moment.
 

Also gehe ich zu dem einladen wirkendem Bett und setze mich auf die Kante. Während wir reden und ich auch von dem Gespräch mit Kai, dem Besuch des Kindergartens und Detective Nagasato erzähle, lasse ich mich langsam nach hinten fallen, bis ich auf dem Bett liege. Als ich Akito von dem Lauschen erzähle meint er behutsam zu mir, dass es in der Natur des Menschen liegt auch moralisch fragwürdige Dinge zu tun, wenn man sich um jemanden sorgt. Soll das heißen, dass die anderen nicht gelauscht haben, weil sie neugierig waren, sondern weil sie sich um mich gesorgt haben? Das so zu interpretieren wäre mir nie in den Sinn gekommen.
 

Und schließlich beginne ich langsam abzudriften und schlafe ein... das Telefon immer noch in meiner Hand am Ohr.
 

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Einen Schritt zur Hoffnung

Der Arzt der Morgenvisite ergeht sich vor seinen Assistenzärzten über die Dummheit eines Mannes, der einen Tag, nachdem er angeschossen wurde, sich kurzfristig selbst entlassen hat, um seine Söhne in Sicherheit zu bringen. Nein, natürlich weiß er nicht, warum ich gestern gegangen bin. Für ihn ist es nur die Exzentrik eines Mannes, der glaubt, alles besser zu wissen nur weil er reich ist.
 

Immer wieder fragt er seine Assistenzärzte, welche Komplikationen und Unvorhersehbarkeiten dadurch ausgelöst werden können und sie reißen sich darum zu antworten. Nach fast zehn Minuten platzt mir die Hutschnurr und ich bitte ihn mit seiner Meute zu gehen und mir meine Ruhe zu lassen. Er will etwas Altkluges erwidern, doch das lass ich nicht zu. Ich frag ihn nur, ob er mir meine Bitte erfüllen wird oder ob ich erst das Krankenhaus kaufen und ihn feuern lassen muss. Fassungslos plustert er kurz auf, besinnt sich aber dann darauf, dass ich das wirklich tun könnte. Entrüstet stürmt er aus dem Zimmer und seine Schar an Speichelleckern folgt ihm.
 

Endlich Ruhe. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich wohl vor einem Augenblick so geklungen haben muss, wie Seto früher. Wenn ihm etwas nicht gepasst hat, dann hat er es gekauft und hat das was ihm gegen den Strich ging entfernt. Ja, das war definitiv ein Seto-Move und manchmal vermisse ich diese Art des jungen Mannes, der er geworden ist. Aber Katsuya hat ihn verändert... zum Besseren hin. Ihm ist etwas gelungen, woran ich gescheitert bin und das kann nur gut sein.
 

Klar hätte ich dem Arzt erklären können, warum ich gestern gehen musste. Aber je weniger Menschen wissen, was wirklich geschehen ist, desto besser. Wer weiß auf wessen Gehaltsliste der Arzt wirklich steht. Ich gefährde nicht die Sicherheit meiner Jungs, nur damit der Arzt aufhört mich herrisch von oben herab zu behandeln. Sollte er es sich das nächste Mal wagen so mit mir zu sprechen, dann werde ich den Seto-Move durchziehen, das Krankenhaus kaufen und ihn feuern lassen.
 

Ich greife nach meinem Telefon und schreibe eine Nachricht. Fordere Antworten. Der Schuss auf mich ist jetzt zwei Tage her und noch immer liegt mir kein Name vor. Wer hat auf mich geschossen? Sicherlich ein freier Mitarbeiter, der einen Auftrag erhalten hat. Die Frage ist nur, ob sein Auftrag abgeschlossen ist oder ob er durch mein Überleben seine Berufsehre gefährdet sieht? Vielleicht ist mein Tod auch eine Bedingung für das Abkassieren?
 

Meine Gedanken drehen frei. Hätte der Attentäter mich auch nur ein klein wenig weiter in der Mitte getroffen... dann wäre ich jetzt tot. War das ein Anfänger, der den Wind nicht beachtet hat? Oder war mein Tod gar nicht gefordert? Sollte das nur eine Nachricht an mich sein? Schwebe ich immer noch in Gefahr? Normalerweise sind solche Auftragnehmer sehr daran gelegen Fehler immer zügig aus der Welt zu räumen. Das der Schuss also schon zwei Tage her ist und sich niemand die Mühe gemacht hat mich hier aufzusuchen könnte ein gutes Zeichen sein.
 

Oder schrecken die beiden Polizisten vor der Tür und die beiden Personenschützer hier im Zimmer den Attentäter ab? Wartet er auf eine günstigere Gelegenheit? Na die hab ich ihm gestern doch geboten. Da hätte er mich leicht aus dem Weg räumen können. Also was genau heißt das jetzt? Ungeduldig schau ich wieder auf mein Handydisplay und warte auf eine Antwort. Wieso dauert das nur so lange?
 

Kurz reißt mich ein Stich in der Brust aus meinen sich im Kreis bewegenden Gedanken. Immer wieder gehe ich diesen Morgen durch. Seit Keizo wieder mit uns in Kontakt steht fahre ich montags immer bei ihm vorbei um mit ihm kurz Tee zu trinken, während Megumi eigentlich schon unterwegs ist, um mit Hoshi zum Dōjō ihres Vaters zu fahren und dort alles für den Trainingstag vorzubereiten. Aber wer könnte das wissen? Es steht in keinem Kalender und selbst Seto dürfte das neu sein.
 

Vielleicht wurde ich beobachtet? Das müsste dann aber über Wochen gegangen sein um so eine einwöchentliche Routine zu merken. Ich bezweifle, dass mich jemand so lange beschattet hat ohne, dass ich das gemerkt habe. Schließlich war ich selbst mal für die Sicherheit von Seto verantwortlich. Mir wäre ein Verfolger garantiert aufgefallen. Aber was dann? Vielleicht ein Ortungsgerät? An mir oder dem Wagen? Ich fahre überwiegend ja alleine... aber wie und wann sollte so etwas angebracht worden sein? Egal, ich schreibe eine weitere Nachricht an einen zweiten Empfänger und erteile den Auftrag den Wagen auseinander zu nehmen.
 

Da klopft es auf einmal. Ich schau auf und bitte herein. Detective Nagasato tritt ein und lächelt mich sanft an. Bemüht versuche ich ihr Lächeln zu erwidern und sie kommt näher. Erkundigt sich nach meinem Wohlergehen. Ich winke nur ab und frage sie, was sie heute in aller Frühe zu mir treibt. Ihr Lächeln wird kurz breiter. Sie meinte mal zu mir, dass sie meine direkte Art erfrischend findet. So? Erfrischend? Ich könnte ihr Namen nennen, die das nicht erfrischend finden, sondern sich regelmäßig darüber ärgern. Aber lassen wir das.
 

Sie legt mir eine Hand auf die Schulter und meint, dass sie den Schützen gefasst haben. Erstaunt blicke ich sie an. Wie kann das sein? Wieder schau ich kurz auf mein Handydisplay auf dem sich nichts getan hat. Komisch. Normalerweise sind meine Kontakte schneller als die Polizeiermittlungen, also entweder haben meine Kontakte unglaublich versagt oder Nagasato ist wirklich eine ausgezeichnete Polizistin. Sie legt mir ein Foto vor und fragt mich, ob ich den Mann kenne. Doch ich muss verneinen. Der gezeigte Mann Anfang vierzig ist mir völlig unbekannt. Dann nennt sie mir seinen Namen und wie er in der Branche heißt.
 

Erst als ich den Branchennamen höre klingelt etwas in mir. Der Mann hat früher hin und wieder für Gozaburo gearbeitet und hat für diesen 'Zeichen' gesetzt, wenn im Ausland ein Geschäftspartner oder einer, der es werden sollte und sich unkooperativ zeigte, bekehrt werden sollte. Dann hat er diesen Mann beauftragt eine nahe stehende Person des Ziels zu töten. Und das erklärt mir auch, warum der Mann, der nie sein Ziel verfehlt, bei mir danebengeschossen hat: Schlicht und ergreifend stand er in meiner Schuld.
 

Natürlich behalte ich das für mich. Das muss Nagasato nicht wissen. Die Zeiten, als ich noch in Gozaburos Diensten stand wirken auf mich wie ein anderes Leben. Wir können uns eh glücklich schätzen, dass nicht mehr Konsequenzen aus jener Zeit uns heimsuchen. Gozaburo hat sich nicht nur Freunde in der Welt gemacht. Anfangs hatte ich echt befürchtet, dass jeder, der mit dem Alten noch ein Huhn zu rupfen hat, es an Seto auslassen würde. Doch nichts dergleichen war geschehen.
 

Ich frage, ob der Schütze einen Auftraggeber nannte. Sie schüttelt den Kopf und meint, dass der Mann so oder so einfahren wird. Man hat ihm einige andere Tötungen nachweisen können, vor allem weil er sich wohl sicher war, niemals geschnappt zu werden und nicht gerade sparsam mit seiner DNA umgegangen ist. Wieder nicke ich.
 

Dann erkundige ich mich nach dem Stand der Dinge im Falle Daimon Kogoro. Sie seufzt. Meint, dass er noch bis heute Abend in Gewahrsam sein wird und auf jeden Fall Anklage erhoben wird. Die Frage sei nur, wie vehement diese Anklage verfolgt wird oder ob der zugeteilte Richter die Anklage möglicherweise ablehnen wird. Jetzt seufze ich. Das darf doch einfach nicht wahr sein. Dieser Mann ist in die Villa widerrechtlich eingedrungen und hätte fast Seto erneut vergewaltigt.
 

Doch dann beugt sich Nagasato zu mir und flüstert mir zu, dass ich nicht verzagen soll. Eventuell... gibt es da eine Chance: Eine neue Staatsanwältin, die aus Großbritanien immigriert sei und nicht in dem Korruptionsnetzwerk verstrickt sei. In Großbritanien sei sie sogar dafür bekannt gegen Sexualstraftäter sehr erfolgreich vorgegangen zu sein. Ich bitte sie um den Namen der besagten Staatsanwältin und sie schiebt mir ein Kärtchen zu, auf dem der Name steht. Dann werde ich gleich ein wenig recherchieren. Mal sehen, ob das alles so stimmt, was Nagasato zum Besten gegeben hat. Wenn es stimmt, wäre es fabelhaft, auch für Keis Fall.
 

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Einen Schritt in der Dunkelheit

Komisch. Das ist das erste Wort, welches mir durch den Kopf geht, als ich an diesem Morgen langsam wach werde. Kein Schreck, kein Albtraum, keine Erschöpfung. Ich fühle mich gut und ausgeruht, etwas was eher eine Seltenheit in meinem Leben ist. Auch wenn sich die Albträume in den letzten Monaten etwas verflüchtigt haben, so blieb mir immer eine gewisse Unruhe. Vor allem wenn man bedenkt, dass der letzte Angriff keine zwei Tage her ist.
 

Erst jetzt nehm ich die mich umgebende Wärme wahr und wie mir jemand sanft über den Rücken streichelt. Langsam öffne ich meine Augen und blicke in die honigbraunen meines Streuners. Sanft lächelte er mich an und streicht mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. Fragt, ob ich gut geschlafen habe und ich kann nur nicken. Das scheint ihn zu freuen.
 

Das nächste was mir bewusst wird ist, dass wir immer noch in Aktios Zimmer sind und auf seinem Bett liegen. Scheinbar hat mich Katsuya hier gefunden, mich richtig ins Bett gelegt und - nachdem er sich zu mir gesellt hat - uns sorgfältig zugedeckt. Augenblick spür ich die Scham auf den Wangen. Wie konnte mir das passieren, dass ich hier eingeschlafen bin, anstatt in unser Zimmer zu gehen?
 

Doch Katsuya meint mit beruhigendem Tonfall, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen soll. Es sei alles gut und bis Akito nach Hause kommt würde er das Bett schon frisch beziehen. Ich entspanne mich wieder und bin dankbar, dass mein Streuner immer weiß, wann er was zu mir sagen muss, um mich zu beruhigen. Mir wird klar, was für ein unglaubliches Glück ich habe, dass er nicht schon längst schreiend davon gerannt ist.
 

Wir lassen uns noch ein wenig Zeit, bevor wir aufstehen und in unser Reich wechseln, um unsere Morgentoilette zu absolvieren, zu duschen und frisch anzuziehen. Dann fällt mir wieder ein, dass Yugi und Ryou zusammen mit Mokuba gestern unser Gespräch mit Detective Nagasato belauscht hatten. Also frage ich meinen Streuner, wie er nun mit ihnen verblieben ist.
 

Katsuya blickt mich an und lächelt wehmütig. Sagt mir, dass ich mich darauf gefasst machen soll, dass Yugi und Ryou wiederholt versuchen werden sich bei mir zu entschuldigen und sie es bitterlich bereuen, dass sie gelauscht haben. Er entschuldigt ihr Tun nicht oder versucht es zu rechtfertigen, wofür ich ihm dankbar bin. Dankbar dafür, dass er immer auf meiner Seite steht und mir den Rücken stärkt.
 

Ich trete hinter ihn, nachdem er aus dem Badezimmer kommt, und schlinge meine Arme um ihn, während ich meine Lippen auf seinen Nacken lege. Er kichert, neigt seinen Kopf ein wenig, so dass ich meinen Kuss etwas besser platzieren kann. Sanft streich ich ihm über seine Arme und spüre, wie er eine Hand hinter sich und mich legt und seine Finger in meinen Haaransatz im Nacken fahren lässt.
 

Doch bevor sich mehr entwickeln kann löst er sich von mir, küsst mich zärtlich und zieht mich dann aus dem Schlafzimmer, den kurzen Gang entlang zur Treppe. Wir steigen sie hinunter und suchen dann die Wohnküche auf, in der Mokuba bereits am Tisch sitzt und versucht zu lächeln. Allerdings sieht er mehr als belämmert aus und das erregt sofort meine Aufmerksamkeit. Ich geh zu ihm, umarm ihn behutsam und platziere einen Kuss auf seiner Stirn. Dann frage ich ihn, was er hat.
 

Mokuba blickt mich mit großen, unschuldigen Augen an. Sicherlich hat er ein schlechtes Gewissen wegen dem Vortag, denn auch er war mit den beiden anderen - Yugi und Ryou - so dreist uns zu belauschen. Doch dann seh ich, dass er versucht etwas unter seinen Schenkel zu schieben und erst auf den zweiten Blick erkenne ich die Tageszeitung. Ich greife nach ihr und Mokuba packt mein Handgelenk. Diese Geste erschreckt mich und lässt mich meine Hand abrupt zurück ziehen.
 

Entschuldigend blickt er mich an und schiebt die Zeitung noch etwas mehr unter seinen Schenkel. Ich frag ihn, was los ist und er antwortet nur, dass die Zeitung heute nichts für mich ist. Hilfesuchend blickt er zu Katsuya und auch ich dreh mich zu meinem Streuner. Dieser schaut überrascht und nichtsahnend zurück, während er sich einen O-Saft einschenkt, der dabei fast überläuft.
 

Mir passt das nicht, dass Mokuba etwas vor mir verbergen möchte, aber ich vertrau meinem Bruder. Er würde so etwas nicht tun, wenn in der Zeitung nicht etwas stehen würde, was mich aufwühlen würde. Also setz ich mich auf meinen Platz und dann kommt auch Katsuya zu uns. Er stellt mir auch ein Glas von dem O-Saft hin.
 

Sanft legt er mir eine Hand auf die meine und meint, er wird sich nach dem Essen anschauen, was Mokuba in der Zeitung so besorgt. Dann werden wir weitersehen, ob und wie sie es mir zeigen. Ich nicke, was soll ich auch anderes tun? Klar, ich könnte mir die Zeitung erkämpfen, aber... bislang bin ich gut damit gefahren auf meinen Streuner zu hören. Wenn er Mokubas Reaktion so für gut befindet, werde ich es auch.
 

Dennoch hängen meine Gedanken an der Zeitung und präsentieren mir die verschiedensten Themen, die getitelt sein könnten und mir nicht gefallen werden. Aber es muss schon ein heftiges Thema sein, welches bei Mokuba die Alarmglocken läuten lassen und er es mir nicht unvorbereitet zeigen möchte. Also was könnte in diese Kategorie fallen?
 

Gedankenverloren stochere ich in meinem Frühstück umher ohne wirklich was zu essen, als ich spüre, wie sich eine Hand an meine Wange legt. Als ich aufschaue sehe ich Katsuya, der mich liebevoll anlächelt. Er beugt sich zu mir, küsst mich und steht dann auf. Er geht zu Mokuba, der ihm die Zeitung gibt und mit dieser verlässt mein Streuner die Küche.
 

Ich schau ihm nach. Bin zum Zerreisen gespannt und spüre das mulmige Gefühl in meinem Magen, dem für gewöhnlich Übelkeit und Erbrechen folgen wird. Was steht denn nun in dieser Zeitung?
 

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Einen Schritt in die Öffentlichkeit gezerrt werden

Meine Hände zittern vor Wut. Die Zeitung in meiner Hand knistert durch die Bewegung. Wie kann dieser widerliche Typ es nur wagen seine Wahnvorstellungen an eine Zeitung zu verkaufen? Oh man, das darf doch alles nicht wahr sein. Aber ich muss wieder ruhig werden, denn so bin ich meinem Drachen einfach keine Hilfe. Ich muss später Mokuba für seine Weitsicht danken. Hätte Seto das einfach so unvorbereitet selbst gelesen, dann ... ich weiß nicht wie er darauf reagiert hätte.
 

Ich spüre, wie mein Handy in der Hosentasche vibriert. Nur mit viel Mühe angel ich es aus meiner Tasche und auf dem Display wird Akitos Bild gezeigt. Also nehm ich den Anruf an und höre sorgenvoll, wie er mich vor der Schlagzeile der Zeitung warnen möchte. Ich sage ihm, dass ich sie gerade vor mir habe und dass wir es Mokuba zu verdanken haben, dass Seto es noch nicht gesehen hat. Verrückterweise kann ich Akitos Erleichterung hören.
 

Dann frag ich ihn, wie ich das jetzt Seto beibringen soll. Akito meint, ich solle warten bis er da ist, da frag ich ihn, ob er sie noch alle hat. Stille. Ja, vielleicht kam das gerade schroffer rüber, als ich wollte, obwohl ... Nein, eigentlich war es noch viel zu mild. Akito wurde erst vor drei Tage angeschossen, er soll seinen Arsch bloß im Krankenhaus behalten. Genauso sag ich es ihm.
 

Immer noch herrscht Stille, dann hör ich Akito, wie er mich bittet dann zumindest Kai anzurufen und herzubitten. Dem stimme ich zu. Das hier geht definitiv über meine Fähigkeiten. Akito bittet mich noch ihn auf dem Laufenden zu halten und ich verspreche es ihm. Dann legt er wohl eher widerwillig auf.
 

Als ich Kai anrufe hör ich an der Geräuschkulisse, dass er unterwegs ist. Zu meiner Überraschung meint er, dass er gleich da sein wird. Scheinbar hat er auch schon in die Zeitung geschaut. Ich bin froh, dass er mir helfen wird, mit Seto über den Artikel zu reden. Alleine habe ich wirklich gerade keine Ahnung, wie ich das handhaben soll.
 

Ich schlage die Zeitung wieder zusammen, so dass man den Titel nicht sehen kann und gehe zurück in die Küche. Dort schaut mich mein Drache mit großen, erwartungsvollen Augen an. Doch ich kann ihm nur mild zulächeln. Beim Vorbeigehen leg ich Mokuba kurz eine Hand auf die Schulter und er schaut zu mir auf. Scheinbar versteht er, dass ich ihm mehr als dankbar und auf ihn sehr stolz bin.
 

Nachdem ich mich wieder neben meinen Drachen gesetzt habe sag ich ihm, dass Kai auf dem Weg ist und er jetzt bitte was essen soll. Doch ich weiß, dass er nichts essen kann. Sein Magen macht sicherlich einige Überschläge vor Aufregung und Nervosität. Wir können von Glück sprechen, wenn er sich nicht übergeben muss.
 

Mein Drache hat einfach einen emotions-empfindlichen Magen. Wenn ich da an das Weihnachtsfest zurück denke, zu dem wir unsere Freunde eingeladen haben: Er war so nervös, dass er sich einmal in dem American Diner übergeben musste und dann nachdem wir alle eingesammelt hatten. Doch das hat sich dann beruhigt, nachdem er gemerkt hat, dass ihm keiner was Böses wollte.
 

Anders als in diesem Moment: Kogoro will ihn diskreditieren und seine Glaubwürdigkeit untergraben. Scheinbar glaubt er so seinen Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Aber er stellt auch sich selbst damit bloß. Oder will er einfach nur noch so viel Schaden wie möglich anrichten, bevor er in der Versenkung verschwinden wird?
 

Als es klingelt steht Mokuba auf und eilt zur Tür. Nicht, dass Kikyo-chan bestimmt schon aufmacht. Aber ich schätze, dass er einfach nicht mehr ruhig sitzen kann. Das Wissen um den Zeitungsartikel belastet ihn sicher mehr, als er uns zeigt. So verwundert es mich auch gar nicht, dass er auch erst Minuten später mit Kai zu uns zurück in die Küche kommt. Ich hab derweil einen Teil des Frühstückstisches abgeräumt, während Seto auf seinem Stuhl sitzen bleibt und wie erstarrt wirkt. Erst jetzt blickt er zu Kai auf.
 

Kai fragt ihn, wie es ihm geht und Seto erzählt von gestern, dem Gespräch mit Detective Nagasato, den erwischten Lauscher und wie er mit Akito telefoniert und in seinem Bett eingeschlafen ist. Erzählt von der ruhigen Nacht und wie er neben mir aufgewacht ist. Ich serviere Kai einen Tee, genauso wie ich Setos Tee auffrische und auch Mokuba und mir einen frischen hinstelle. Kai hat sich mittlerweile gesetzt, genau wie Mokuba und auch ich gesell mich wieder neben meinen Drachen.
 

Dieser greift unter der Tischplatte nach meiner Hand. Sucht Halt. Den ich ihm gerne gebe. Streich ihm sanft mit dem Daumen über den Handrücken. Dann zieht Kai eine Zeitung aus seiner Tasche, die er neben sich auf den Boden gestellt hat. Sie ist so gefaltet, dass man das Titelblatt nicht direkt sehen kann. Kai schaut zu mir und ich wende mich etwas mehr meinem Drachen zu.
 

Kai schiebt mir sein Exemplar der Zeitung zu und ich nehm sie vorsichtig. Ich halte meine Hand drauf, während sie vor Seto liegt. Mit behutsamer Stimme sag ich ihm, dass etwas von Kogoros Aussage an die Öffentlichkeit gelangt ist. Ob jetzt Kogoro selbst diese Informationen wie auch immer an die Presse weitergeleitet hat oder ob es eine undichte Stelle im Präsidium gibt lasse ich offen, da ich dazu keine gesicherte Kenntnis habe.
 

Seto schluckt und blickt mich ängstlich an. Ich sehe, wie er wohl schon die richtigen Schlüsse zieht, aber noch hofft, dass er sich irrt. Ich würde alles dafür geben, dass er sich irren würde. Doch ich kann die Realität nicht ändern. Langsam nehm ich meine Hand von der Zeitung und mit zittriger Hand greift Seto danach. Öffnet erst das eine Drittel, dann das andere, bis die Titelseite offen vor ihm liegt.
 

Mein Drachen versucht sich zu beherrschen. Presst seine Lippen fest aufeinander und schluckt mehrmals. Das Seto gerade so gar nicht reagiert macht mir große Sorgen und irgendwie wäre es mir lieber gewesen, wenn er jetzt aus der Haut fahren würde.
 

Er klappt die Zeitung wieder zusammen, so dass sie nur eine schmale Form hat und die Titelstory nicht mehr zu lesen ist. Ich bezweifle, dass er etwas vom Artikel gelesen hat. Dann schiebt er sie wie in Zeitlupe über den Tisch wieder zurück zu Kai, bevor er seine Hand zurück zieht und auf seinem Schenkel unter dem Tisch ablegt.
 

Die andere Hand, die ich immer noch halte, hat ihren Griff gefestigt. Als es meinem Drachen bewusst wird löst er ihn etwas. Ich kann nicht sagen, was gerade in ihm vor geht, denn ich war nie in einer vergleichbaren Situation. Mich hat man niemals derartig in der Öffentlichkeit vorgeführt.
 

Mein Drache regt sich auf einmal. Dann steht er auf. Doch sein Stand ist alles andere als sicher. Er geht zwei, drei Schritte. Er murmelt etwas von zu früh. Erst weiß ich nicht was er meint, dann fällt mir ein, dass er am letzten Schultag vor den Sommerferien ursprünglich alles Detective Nagasato erzählen und damit Anzeige erstatten wollte. Das wäre erst in wenigen Wochen gewesen, hätte Kai sich nicht dagegen ausgesprochen.
 

Seto geht neben Mokuba in die Hocke und entschuldigt sich bei ihm. Wir beide sind verwirrt, da wird mir bewusst, dass Seto den letzten Schultag nicht für sich gewählt hat. Er wollte Mokuba vor Hänseleien schützen, denn er ist davon ausgegangen, dass er danach auf niemanden mehr einschüchtern wirken würde. Was für eine selbstlose Geste!
 

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Einen Schritt in die Verzweiflung

Für mich ist es unerträglich meinen Bruder so stoisch am Tisch sitzen zu sehen, während er mit Kai über die neuste Entwicklung redet. Immer bemüht seine Gefühle zu kontrollieren. Weil ich da bin. Also steh ich auf und sag, dass ich in mein Zimmer gehen werde. Seto zieht mich noch mal zu sich und drückt mich an sich und ich erwidere die Umarmung.
 

Dann verlass ich die Küche, während ich merke, dass meine Gefühle immer schwerer ruhig gehalten werden können. Meine Hände krallen sich um das Treppengelände, während ich mich nach oben schleppe. Ich fühle mich, als ob da Gewichte an meinen Füßen wären. Als ob jemand meine Füße in Beton gegossen hat und ich nun mit diesen versuche voran zu kommen.
 

Als ich endlich mein Zimmer erreiche und die Tür hinter mir ins Schloss fällt kann ich meine Gefühle nicht länger im Zaum halten. Ich schluchze laut auf. Mein Bruder wurde diskreditiert. Neben seiner Kindheit haben sie ihm nun auch noch sein Gesicht geraubt. Und alles was er tut ist, sich bei mir zu entschuldigen, weil ich nun die nächsten zwei Wochen bis zu den Ferien eventuell in der Schule gehänselt werden könnte.
 

Ich schlage meine Hände vors Gesicht, während ich vor meinem Bett auf meine Knie falle. Selbst jetzt macht er sich mehr Sorgen um mich und bleibt nach außen völlig ruhig. Sicherlich geht es ihm innerlich auch nicht viel anders als mir. Er will es nur nicht zeigen. Jedenfalls nicht vor mir. Will nicht, dass ich mir noch mehr Sorgen mache.
 

Mir fehlt das Verständnis dafür, dass man ihn nun so öffentlich bloß stellt. Er ist das Opfer, aber er wird hingestellt, als wäre alles seine Schuld. Als ob er das alles gewollt hat. Dabei haben sie ihm Gewalt angetan. Haben ihm seine Kindheit genommen und sein Urvertrauen zerstört. Er muss jetzt mühsam lernen, dass ihm nicht jeder etwas Böses will.
 

Was ist das bloß für eine Welt, in der Opfer für die Taten ihrer Peiniger verantwortlich gemacht werden? In denen sie sich Fragen gefallen lassen müssen, ob sie vielleicht das falsche angehabt oder ob sie das Verhalten der Täter irgendwie provoziert haben? Ich kann das alles einfach nicht verstehen. Meinem Bruder wurde Gewalt angetan. Doch selbst wenn er das jetzt anzeigen würde, würde ihm niemand glauben. Immerhin wird er jetzt als jemand hingestellt, der Vergewaltigungsfantasien hat und seinen 'Spielpartner' in die Pfanne gehauen hat.
 

Auf einmal spüre ich die Wut erneut in mir aufsteigen. Schon als ich den Zeitungsartikel vorhin las war ich unglaublich wütend geworden. Doch dann habe ich meine Wut herunter geschluckt, als ich hörte, dass Katsuya und Seto sich näherten. Denn ich wusste, dass Seto sich sofort groß sorgen würde, wenn er mich so aufgebracht sah.
 

Immer noch perlten Tränen über meine Wangen, als ich mein Handy aus der Tasche ziehe und aus der Schnellwahl Akito wähle. Dieser geht umgehend an sein Telefon und ich kann nur noch verzweifelt in den Höher schluchzen. Akitos Stimme höre ich nur wie aus großer Ferne. Dieser versuchte mich zu beruhigen und sanft auf mich einzureden. Doch das linderte meine aufgewühlten Gefühle kaum.
 

Ich zische ins Telefon das ich nur allzu gern in die Stadt auf das Präsidium fahren möchte, um diesem Dreckschwein den Hals umzudrehen. Ist mir doch egal, ob da ein Dutzend oder mehr Polizisten darum sind. Dem würde ich das Lügen und verleugnen schon austreiben während ich ihn ins Jenseits schicke.
 

Akito erinnert mich daran, dass damit niemand geholfen sei, denn dann könnte man nicht mehr beweisen, dass er lügt. Aber kann man das überhaupt. Es wirkt immer, als sei dieser widerliche Sack uns immer einen Schritt voraus und ich weine erneut bitterlich. Wieso gibt es keine Gerechtigkeit für Seto? Für Keizo? Für all die anderen, die Opfer dieser Art von Gewalt geworden sind? Wieso müssen Opfer so sehr darum kämpfen Gehör und Glauben zu finden und wieso ist es für die Täter so leicht die Glaubwürdigkeit ihrer Opfer zu zerstören? Was ist denn mit den fünf Jahren Hölle, durch die Seto gegangen ist?
 

Sanft redet Akito weiterhin auf mich ein und meint, er habe bereits mit unseren Anwälten gesprochen, damit die Zeitung eine Richtigstellung schreiben muss. Eine Entschuldigung in ihrer nächsten Ausgabe. Aber bei wem würde das hängen bleiben? Solche Sachen werden irgendwo auf den letzten Seiten im Kleingedruckten versteckt. So etwas bleibt den Menschen doch nicht in Erinnerung... anders wie die Schlagzeige auf der Titelseite.
 

Doch Akito lässt nicht locker und beteuert, dass alles gut werden wird. Verspricht, dass Kogoro nicht damit durchkommen wird. Ich will ihm glauben, wirklich... aber wie kann ich das nach so einem Morgen? Vielleicht läuft es in dieser Welt ja so, dass nur die lauten Gehör finden, ungeachtet dessen, was die Wahrheit ist?
 

Dann spür ich, wie mich Arme umschlingen. Ohne dass ich es gemerkt habe ist Seto in mein Zimmer gekommen und schließt mich tröstend in seine Arme. Wiegt mich ein wenig, während ich erneut aufschluchzte. Traurig und entmutigt press ich mich an die Brust meines großen Bruders, der eigentlich von mir gehalten und getröstet werden müsste. Sanft streichelt er mir über das Haar und beteuert, ebenso wie es Akito eben gemacht hat, dass alles wieder gut werden wird - auch wenn es gerade nicht danach aussieht.
 

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Einen Schritt durch den Sumpf waten

Fassungslos schau ich auf die Titelseite der Zeitung. Wie konnte das an die Öffentlichkeit dringen? Ich habe alle Protokolle, die Videoaufzeichnung und die Tonbänder der Gespräche in meinem Schreibtisch unter Verschluss. Zum dritten Mal schließe ich die Schublade auf und kontrolliere den Inhalt. Es ist alles da. Vom Inhalt all dessen hier wussten nur Fujimura und unser Chef.
 

Nachdem ich ein kurzes Telefonat geführt habe, steh ich auf und begebe mich Richtung Verhörzimmer. Ich betrete den Observierungsraum und warte vor dem Einwegspiegel, bis zwei uniformierte Beamte Kogoro herein bringen. Sein Anzug, den er bei dem Angriff auf Seto angehabt hatte, sieht zerknittert aus. Die beiden Beamten zwingen ihn auf einen Stuhl, fesseln seine Hände an den Tisch und gehen. Ich mustere ihn in Ruhe und er starrt zurück, als würde er durch die verspiegelte Oberfläche der Scheibe durchschauen können. Elender Dreckskerl.
 

Doch dann schieb ich meine eigene Meinung von diesem Typen bei Seite und werde ruhiger. Ich nehme die Akte, die Zeitung und ein weiteres Diktiergerät, dann geh ich zu ihm. Als ich reinkomme schlägt mir ein strenger Geruch entgegen, was ich auch mit einer spitzen Bemerkung äußere, zum Fenster gehe und es auf Kipp öffne. Er schaut mich nur mürrisch an. Findet es wohl nicht witzig. So ein Pech.
 

Ich setze mich ihm Gegenüber und ziehe eine Augenbraue hoch, als mir ein weiterer, strenger Geruch entgegenschlägt, jetzt wo ich ihm näher bin. Skeptisch frage ich, ob das Urin ist, was ich da rieche und Kogoro knirscht mit den Zähnen, bevor er antwortet, dass ein Junky ihn angepinkelt hatte. Hm... das tut mir jetzt aber leid - nicht! Sowas kann in der U-Haft schon mal passieren.
 

Langsam mustere ich ihn. Ihm sprießt ein ungepflegter Drei-Tage-Bart. Ich hoffe so sehr, dass heute noch Anklage erhoben wird und er für unsere Akte so fotografiert wird. Denn so kommt er den Vorstellungen eines Kinderschänders näher, als der aalglatte Geschäftsmann, der er vorgibt zu sein.
 

Scheinbar verliert er die Geduld, als ich nicht sofort mit dem Gespräch beginne und fordert energisch, ihn endlich gehen zu lassen. Ich kann ein kleines, kurzes Lächeln nicht unterdrücken. Mache ihn noch einmal darauf aufmerksam, dass wir ihn noch bis zum Abend festhalten können und dann unsere Verwaltung wohl schon im Feierabend sein wird und er - wenn überhaupt - erst morgen früh gehen können wird.
 

Er braust auf und brüllt was von Schikane. Schon lustig, dass ausgerechnet ein Kinderschänder und Vergewaltiger sich über Schikane beklagt. Also zisch ich ihm zu, dass das keine Schikane ist, sondern die viele Stunden, die er im Knast als Schlampe von anderen Insassen dienen wird eher der Definition entsprechen wird.
 

Oh, ich sehe, wie er versucht mich mit seinen Blicken zu erdolchen. Doch dann reißt er sich zusammen, setzt sich wieder gerade hin und lässt die Schultern gelassen sinken. Lächelt sogar, bevor er meint, dass er nicht ins Gefängnis gehen wird. Er hat ja immerhin die teuersten Anwälte der Stadt. Ja, dieses Argument bringen die Reichen immer gerne vor und es langweilt mich.
 

Also beginne ich unser Gespräch auf etwas Produktiveres zu lenken. Ich nehme das Diktiergerät und starte die Aufnahme, nenne Datum und Uhrzeit, sowie die Anwesenden im Raum und die Aktennummer. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, frage ich ihn, wieso er so eine riskante Taktik fährt. Verwirrt sieht er mich an. Ist das echte Verwirrtheit oder weiß er wirklich nicht, wovon ich rede. Gut, ich spiele das Spiel mit und nehme die Zeitung, die ich ihm vor die Hände werfe.
 

Er nimmt sie, faltet sie auseinander und seine Augen werden groß. Verdammt gut einstudiert oder tatsächlich überrascht. Das ist bei dem Mann schwer zu sagen. Dann donnert er mit beiden Händen die Zeitung flach auf den Tisch und stemmt sich hoch. Seine Wut ist wirklich sehr überzeugend, während er mich anfaucht, wer das an die Presse weitergegeben hat.
 

Unbeeindruckt mustere ich ihn stumm. Er erkennt schließlich, dass ich ihn in Verdacht habe. Doch er schüttelt den Kopf. Argumentiert damit, dass dieser Artikel auch ihn in Verruf bringt. Ich wende ein, dass der Fokus des Berichts auf seinem Opfer liegt und er nur am Rande erwähnt wird. Doch er brüllt regelrecht, dass sein Ruf damit ebenfalls beschädigt, wenn nicht sogar ruiniert wurde. Noch einmal umspielt ein kurzes Lächeln meine Lippen.
 

Der Ball geht noch ein paar Mal hin und her, dann verschränkt er die Arme und fordert einen Anwalt. Das ist mein Stichwort. Wenn ich keinen Verfahrensfehler verursachen möchte muss ich das Gespräch hier beenden, meine Sachen nehmen, den Raum verlassen und seinen Anwalt informieren. Genau das mach ich dann und kehre mit dem neuen Diktiergerät zurück zu meinem Schreibtisch.
 

Dort kommt mein Boss zu mir und fragt mich, was für einen Eindruck ich hatte. Scheinbar hat er das Gespräch beobachtet. Ich sag ihm offen, dass Kogoros Reaktion recht glaubwürdig waren, ich aber noch nicht ganz überzeugt davon bin, dass sie echt waren. Er seufzte und nickte, scheinbar konnte er es auch nicht genau erkennen. Das ist alles so verworren. Ich setz mich dran, dass Gespräch schnell abzutippen und dann alles wieder in meine Fallschublade einzuschließen.
 

Mein Handy klingelt und auf dem Display sehe ich Isono Aktios Rufnummern. Also steh ich auf und geh ran. Wir wechseln einige Worte. Er ist besorgt wegen dem Zeitungsartikel. Ich versichere ihm, dass ich dem auf den Grund gehen werde. Sobald mein Gespräch mit Kogoro beendet ist werde ich zu den Räumlichkeiten der Tageszeitung fahren. Vielleicht kann ich den Redakteur oder Journalist, der den Artikel verfasst hat, davon überzeugen mir ihre Quelle zu nennen. Danach werde ich zur Villa fahren und schauen, ob die Spurensicherung Fortschritte gemacht hat.
 

Isono will gerade antworten, als ich Kogoros Anwalt sehe und Setos Schutzengel abwürgen muss. Ich lege also auf und eile zu ihm, um ihn zu begrüßen. Aber dieser Mann kommt aus der Kanzlei Bierernst und Unhöflich. Ja, Männer in ihren 350.000 Yen-Anzügen halten sich alle für etwas besseres, als unsereins, die mit ehrlicher Arbeit ihr Geld verdienen. Ich schmunzle also nur und bringe ihn zum Verhörraum. Im Türrahmen bleibt er stehen und meint zu mir, dass er zuerst ein vertrauliches Gespräch mit seinem Klienten führen möchte. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das zu akzeptieren. Ich schließe hinter ihm die Tür und gehe zu meinem Schreibtisch zurück.
 

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Einen Schritt, der einem entgleitet

Ich bete zu allen erdenklichen Göttern des Shintoismus und flehe Buddha an, mir Kraft zu schenken, mich zu beherrschen. Andernfalls schäle ich mich gleich aus diesem Bett und werde meinen Arzt erwürgen, der abermals mit seinen Assistenzärzten eine Runde dreht und mich nervt.
 

Da fällt mir was ein. Ich zücke mein Handy, blättere kurz durch meine Kontakte und finde schließlich den Namen, nach dem ich gesucht habe. Es klingelt, da sehe ich eine Hand von links nach meinem Telefon greifen. Reflexartig packt meine freie Hand nach der Fremden und hält sie auf. Mein Blick geht von der Hand über das Gelenk, den Arm entlang zur Schulter, bis ich das Gesicht des Arztes erkenne. Er versucht mich zu maßregeln, dass keine Handys im Krankenhaus erlaubt sind.
 

Genervt zisch ich ihm zu, dass er seine Hand verliert, wenn er mein Handy nur berührt. Dann geht jemand ans andere Ende und ich wechsle ein paar Worte auf Englisch mit meinem Gesprächspartner. Am dümmlichen Gesichtsausdruck des Arztes merke ich, dass sein Englisch kaum über den rudimentären Wortschatz hinaus geht. Gut so.
 

Als ich auflege plustert sich der Arzt auf und will wohl direkt rumkeifen, als sein Telefon klingelt. Er schaut auf das Display und seine Augen weiten sich. Sofort nimmt er das Telefonat an - übrigens auch via Handy. Ich hör ihn nur wiederholt 'Ja' und 'Jawohl' sagen. Dabei nickt oder verbeugt er sich sogar. Dann legt er auf und schaut mich entgeistert an. Seine Assistenzärzte sind verwirrt.
 

Plötzlich verbeugt sich der Arzt tief vor mir und bittet mich eindringlich um Entschuldigung. Er versichert mir hoch und heilig, dass er mich nicht beschämen wollte. Dann zieht er sich, rückwärtslaufend, aus dem Zimmer zurück, die Arme links und rechts von sich gestreckt, so dass seine Begleiter mit aus dem Zimmer müssen, und schließlich endlich die Tür von außen. Es ist immer gut Freunde zu haben.
 

Wieder greife ich nach meinem Handy und wähle dieses Mal Detective Nagasatos Telefonnummern. Es hat kaum zwei Mal geklingelt, da geht sie dran und meint, dass sie gerade anrufen wollte. So, so? Was für ein Zufall, was? Ich spüre, dass da noch der Ärger von der Visite meines Arztes mitschwingt und ich nehme mir kurz einen Augenblick, um mein Gemüt aufzuhellen. Dann frag ich sie, wie es bei der Zeitung war.
 

Detective Nagasato erzählt mir, dass sie mit dem Journalisten gesprochen hat, der am Vortag Besuch von einem Mann erhielt, der ihm eine ganze Mappe voller Informationen gegeben hat. In dieser Mappe waren einige Bilder von Seto in gewissen Posen enthalten, sowie angebliche Chatprotokolle, die die Verabredung belegen sollen. Mir bleibt das Herz fast stehen.
 

Doch Nagasato schiebt eilig hinterher, dass sie die Mappe mit dem gesamten Inhalt konfiszieren konnte und der Reporter sie ihr eigentlich sogar recht bereitwillig überließ. Das er sogar froh darüber war, dass er diese Bilder ihr übergeben konnte. Für ihn waren sie viel zu weit unter der Gürtellinie, vor allem weil Seto auf den Bildern noch etwas jünger wirkte.
 

Der Reporter habe sie dann noch einmal zur Seite genommen. Hat sie darauf hingewiesen, dass in der Mappe keine Originale sind. Der Informant war sehr versessen darauf, dass er alles verwendet. Da er das nicht tat könnte den Informant also veranlassen die gleichen Unterlagen an weniger seriöse Redaktionen zu geben.
 

Wieder klingeln bei mir die Alarmglocken. Ich hab vorhin schon mit unseren Anwälten gesprochen und diese haben sich mit der Zeitung kurz geschlossen. Morgen wird eine Richtigstellung gedruckt werden. Das diese Behauptungen falsch oder zumindest nicht erwiesen waren und sie auf einen Betrüger reingefallen waren. Wenigstens ein Trost. Aber was, wenn ein Revolverblatt nicht nur von den angeblichen Vergewaltigungsfantasien Setos berichtet, sondern auch diese Fotos abdruckt. Fotos können in jedes beliebige Licht gerückt werden und wenn sich die Meinung der Öffentlichkeit erst einmal gebildet hat, dann wird es schwer dies zu korrigieren.
 

Ich höre, wie Nagasatos Wagen zum Stillstand kommt und sie aussteigt. Im Hintergrund höre ich weitere Stimmen und ich frage, wo sie ist. Die Antwort ist simple: Sie ist an der Villa. Eigentlich nicht direkt an der Villa, sondern am Ausgang des Fluchttunnels. Auch das gefällt mir nicht und ich verstehe nicht, warum Seto ihnen von diesem Tunnel erzählt hat.
 

Wenn die Beamten es durch das Labyrinth schaffen können sie in Gozaburos Schlafzimmer gelangen und dann haben sie Zugriff auf all die Bilder und Aufnahmen. Nicht nur von Seto. Nicht nur von Keizo. Von jedem namenhaften Geschäftsmann im In- und Ausland, mit denen Gozaburo jemals zu tun hatte.
 

Das darf nicht unkontrolliert stattfinden. Also sag ich dem Detective, dass sie ihre Leute da abziehen muss. Sie möchte wissen wieso. Ja, ... wieso? Wie soll ich das erklären? Am Telefon? Das kann ich nicht. Bitte sie nur, dass sie alle Arbeiten dort einstellen lässt und zu mir ins Krankenhaus kommt. Doch ehe sie antworten kann hör ich im Hintergrund ein Kollege von ihr nach ihr rufen. Sie hätten einen Durchbruch errungen.
 

Schweiß sammelt sich auf meiner Stirn. Das darf nicht wahr sein. Noch einmal wiederhole ich meine Bitte eindringlich und dann... reist die Verbindung ab. Nein, nein, nein. Das darf einfach nicht so ungelenkt ablaufen. Das muss kontrolliert werden. Sortiert. Im kleinen Kreis gesichtet und dann für jede betroffene Person individuell entschieden werden, ob und wie man tätig werden kann.
 

Meine Halsschlagader pocht aufgeregt und ich schlag schon die Bettdecke zurück, als eine Krankenschwester herein gestürmt kommt und nach mir schaut. Sie drückt mich zurück ins Bett, setzt mir eine Atemmaske auf und instruiert mich, dass ich ruhig weiteratmen soll. Nein, ich muss sofort zur Villa. Doch das kann ich ihr nicht sagen oder mich verständlich machen. Eine der Assistenzärzte kommt dazu. Lässt sich kurz von der Schwester ins Bild setzen. Dann spritzt sie mir etwas und ich spüre auf einmal, wie ich ruhiger werde und wegdrifte.
 

Hat diese ... hat sie mich sediert? Doch mein Ärger hat keine Chance aufzukochen, denn mein Bewusstsein löst sich immer mehr von der Realität und trägt mich hinfort.
 

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Einen Schritt, der schockiert

Seto und Mokuba haben sich noch einmal - gemeinsam - hingelegt. Der Morgen hat es echt in sich gehabt. Daher hab ich mich vor die Glotze gehauen. Ich lob mir Netflix, denn im traditionellen Fernseh wird fleißig über die Behauptungen in dem Artikel gesprochen. Das würd ich jetzt nicht ertragen. Doch so wirklich fetzt die Serie, die ich gerade schaue, auch nicht. Als ich gelangweilt aus dem Fenster schaue, sehe ich Otogi die Auffahrt herauf kommen.
 

Eilig schalt ich den Fernseher aus und laufe zur Tür, wo Kikyo-chan bereits die Tür öffnen möchte. Ich lächle sie an und signalisiere ihr, dass ich das übernehme. Sie nickt und verschwindet wieder. Ich öffne die Tür und Otogi blickt mich überrascht an. Dann hebt er ein Körbchen voll mit Erdbeeren hoch und meinte er sei an einem Straßenverkäufer vorbei gekommen.
 

Verwirrt nehm ich ihm das Körbchen ab und bitte ihn herein. Es kommt mir komisch vor, dass er alleine ist, also schau ich draußen noch mal, ob die anderen vielleicht nur etwas länger brauchen. Otogi scheint meinen Gedanken zu erfassen und meint, dass die anderen noch in der Schule sitzen. Mein Blick fällt auf die Standuhr und tatsächlich ist es gerade mal kurz nach eins. Daher frag ich Otogi, warum er nicht in der Schule ist.
 

Er grinst verlegen und meint, dass er bis Ende nächster Woche vom Unterricht befreit wurde. Ich ziehe meine Stirn kraus und frage nach, was er damit meint. Da kommt es trocken von ihm, dass er suspendiert wurde, wendet sich ab und geht in Richtung Küche. Eilig schließ ich die Haustür und folge ihm. Frage ihn, wofür er suspendiert wurde. Hat er wieder jemand in ein Hundekostüm gesteckt?
 

Otogi schaut zu mir und grinst verschmitzt bei der Anspielung. Dann meint er, dass er diese Ehre nur bestimmten Personen angedeihen lässt und wir müssen beide kurz lachen. In der Küche biete ich ihm was zum Trinken an und er nimmt die Limo dankbar an. Kikyo-chan nimmt mir die Erdbeeren ab und beginnt sie zu waschen. Ich setz mich mit Otogi an den Küchentisch und hake nochmal nach.
 

Der Würfelfreak blickt nur kurz auf den Tisch und grinst mich dann wieder verschmitzt an. Dann meint er, dass ihm jemand dumm gekommen sei und er zu schlagkräftigen Argumenten übergehen musste. Das fand der Lehrer wohl nicht so witzig, der dazwischen gegangen ist. Scheinbar... hat Otogi unserem Mitschüler die Nase gebrochen. Doch auf den Grund, warum er so aus der Haut gegangen ist, will Otogi nicht eingehen.
 

Dann fragt Otogi, wie es Seto geht. Scheinbar hat auch Otogi heute Morgen Zeitung gelesen. Mein Lächeln ist gefärbt von Bitternis. Sag ihm, dass Seto versucht die Fassung zu wahren, aber Mokuba damit zu kämpfen hat. Otogi nickt nur betroffen. Fragt, ob er irgendwie helfen kann. Doch ich kann nur den Kopf schütteln. Wie will er auch dabei helfen? Seto wurde bloß gestellt, da kann niemand was dran ändern.
 

Wir reden noch eine Weile, dann verabschiedet sich Otogi und geht wieder. Ich schau ihm noch hinterher, bis er hinter den Bäumen, die die Zufahrt von der Straße abschirmt, verschwindet. Dann werf ich mir ein Spiel in die Konsole und zock ein wenig, bis ich es Klopfen höre. Ich pausiere das Spiel, verlasse das Wohnzimmer und eile zur Tür, wo Kikyo-chan bereits die Tür aufmacht und Honda, Yugi und Ryou herein bittet. Ich begrüße unsere Freunde und bitte sie ins Wohnzimmer.
 

Alle sehen belämmert aus, sicherlich wegen Otogis Suspension. Kikyo-chan serviert uns frische Limonade und Gläser, bevor sie dann wieder verschwindet. Honda fragt, wo Seto ist. Ich erklär ihnen die Situation. Das scheint ihre Situation noch belämmerter zu machen. Verwirrt frag ich, was los ist.
 

Yugi beginnt als erstes den Mund aufzumachen. Meint, dass Otogi suspendiert wurde. Ja, das ist nichts neues, das weiß ich schon. Alle schauen mich verdutzt an und Ryou fragt mich, woher ich das weiß. Ich erzähl ihnen, dass Otogi vorhin da war. Sie scheinen erstaunt zu sein. Da frag ich, was der Typ, der von Otogi eine kassiert hat, denn eigentlich gesagt hat, dass unser Würfelfreak so ausgerastet ist.
 

Alle schauen sich verdaddelt an. Scheinbar sind sie verwirrt darüber, dass Otogi nichts vom Vorfall an sich erzählt hat. Also räuspert sich Honda und beginnt mir zu erzählen, wie sie sich gerade für die Mittagspause zusammen setzen wollten, als einer aus der Parallelklasse rüber kam. Er hat sie gefragt, wie es so ist mit einem Perversen befreundet zu sein und ob sie es gewusst haben. Ob sie Setos 'Hobby' teilen würden.
 

Ich bin ehrlich zutiefst schockiert. Wie kommt jemand dazu uns das zu fragen, der uns gar nicht kennt? Kein Wunder, dass Otogi zugelangt hat. Da schüttelt Yugi seinen Kopf und meint, dass Otogi erst cool reagiert hat. Er hätte gegrinst und gemeint, dass eine verklemmte Jungfrau, wie der Typ, erst mal lernen soll nicht alles zu glauben, was in irgendeiner Zeitung behauptet wird und sich verziehen soll.
 

Ryou löst Yugi ab und berichtet weiter, wie der andere daraufhin Otogi gefragt hat, wie es ist einen Kaiba Seto zu vögeln und wo er sich einschreiben kann, um auch mal an die Reihe zu kommen. Er würde auch gerne mal einem so 'mächtigen' Typen das Hirn rausvögeln. Otogi hatte nur trocken aufgelacht und ihm dann eine verpasst. Dummerweise kam in dem Moment aber ein Lehrer vorbei und hat das gesehen.
 

Ungläubig blick ich in die Runde. Otogi wurde suspendiert, weil er Setos Ehre verteidigt hat? Wer hätte das vor ein paar Wochen schon geahnt, dass er Mal eine Lanze für meinen Drachen brechen würde. Das wärmt mein Herz und ich muss Otogi irgendwie dafür danken.
 

Unsere Freunde bleiben noch eine Weile. Honda hat uns die Abschrift des Unterrichts mitgebracht und die anderen erzählen, was wir sonst noch verpasst haben. Aber keiner von ihnen fragt, ob das, was in der Zeitung steht, wahr ist. Warum sollten sie auch? Sie kennen die Wahrheit bereits, vielleicht nicht im Detail, aber grob. Seto hatte sie in der Golden Week im Onsen einbezogen.
 

Dennoch stell ich mir die Frage, wie es nun weiter gehen wird...
 

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Einen Schritt zum Durchbruch

Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag in das Verhörzimmer komme begehrt Kogoro direkt auf und 'protestiert'. Verlangt, dass man ihn nicht noch einmal in die Sammelzelle des Reviers bringt. Ich lächle und versichere ihm, dass ich seinem Wunsch entsprechen werde. Er grinst selbstgefällig und meint zu mir, dass man mir wohl endlich gezeigt hat, wo mein Platz sei.
 

Ich nicke und erwidere, dass seine Papiere für die Überstellung in das Bezirksgefängnis bereits in Bearbeitung sind und er dann morgen seine Erstanhörung vor Gericht bekommt. Dort wird man dann entscheiden ob er Kaution stellen darf oder ob er bis zur Verhandlung einsitzen wird. Aber bei den erdrückenden Beweisen bezweifle ich, dass er Kaution gewährt bekommt, vor allem bei dem gesteigerten Fluchtrisiko, dass sein Vermögen mitbringt.
 

Für einen Moment schaut er mich schockiert an und lacht auf, als hätte ich einen echt guten Witz gerissen. Ich bleibe ruhig und schaue ihn mit einem seichten Schmunzeln an, als ihm wohl dämmert, dass es kein Witz war. Sofort erstarren seine Züge und er fragt, welche Beweise ich glaube zu haben. Ich genieße seine Frage und den Zweifel in seiner Stimme.
 

Ich öffne die Akte mit den frischen Abzügen von dem, was wir sicher gestellt haben. Als er das sieht verliert er wieder an Farbe und er sieht immer mehr wie das perverse Schwein aus, dass er ist. Das werden echt gute Fotos für die Strafakte. Er schüttelt den Kopf und meint, dass das irgendein Trick von mir wäre. Ein Trick? Ich hab es gar nicht nötig mit Tricks zu arbeiten.
 

Seine Schultern sacken nach unten und er starrt auf die Bilder, die den Inhalt eines Notizbuches zeigen, in dem penibel genau aufgeschrieben wurde, wann der junge Kaiba was gemacht hat. Wo er im Haus war, mit wem er sprach, worüber er sprach, wann er was gegessen hat, in wie weit er mit seinem Freund intim war und wann er Albträume und Zusammenbrüche gehabt hatte. Seit Setos Rücktritt als CEO wurde penibel genau Buch über seine Tätigkeiten geführt.
 

Also frag ich ihn, wie er von all dem erfahren hat und aufschreiben konnte. Tonlos meint er nur, dass er Gozaburos Assistent und rechte Hand gewesen ist und damit auch geholfen hat, dass Sicherheits- und Überwachungssystem in der Villa zu installieren. Er habe sich eine Hintertür eingebaut, um jederzeit Zugriff zu haben.
 

Scheinbar wird ihm gerade bewusst, dass er gestanden hat und fragt nach seinem Anwalt. Ich mein zu ihm, dass ich seinen Anwalt informiert habe, dieser aber noch einen Termin habe und nicht kommen kann. Wieder stiert mich Kogoro ungläubig an und knirscht mit den Zähnen. Ja, die Antwort von seinem Anwalt hat mich auch überrascht, denn für gewöhnlich sagen die juristischen Vertreter so etwas wie 'komme sobald ich kann'. Noch nie - bis zu meinem Telefonat vor diesem Gespräch - habe ich einen Anwalt sagen hören, dass er nicht kommen kann.
 

In Kogoro beginnt es zu rattern, dass sehe ich ihm an. Seine Augen gehen immer wieder hastig von einer Seite zur andere. Ich verstehe nicht genau, was in ihm vorgeht oder was er erkennt, doch auf einmal blickt er mich an und fragt, ob in dem Artikel vom Morgen auch Bilder abgedruckt waren. Der prompte Themenwechsel verwirrt mich, doch ich verneine. Gerade als ich das Gespräch wieder zurück lenken möchte, meint er, dass das dem Informant nicht gefallen haben kann.
 

Bedächtig frag ich ihn, woher er wissen möchte, dass der Informant auch Bilder an den Journalisten gegeben hat, die nicht abgedruckt worden sind. Er schaut mich an und sagt mit ernstem Gesichtsausdruck, dass das der Plan war, falls einer von ihnen auffliegen würde. Ihnen? Ich versuche nicht allzu sehr verwirrt zu wirken. Ruhig frag ich, wen er mit 'Ihnen' meint. Er lacht trocken auf und verspottet mich mit den Worten, dass ich gar nicht weiß, worüber ich da gestolpert bin und was das bedeuten wird.
 

Doch dann wird er wieder ernst und meint, dass ich keine Zeit habe ihm weiter zuzuhören. Dass ich mich sofort auf den Weg zur Redaktion der täglichen Klatschzeitung KUNST machen muss. Die Frage nach dem Warum geht mir durch den Kopf, doch Kogoro fährt bereits fort mir zu erklären, dass die Weigerung der Tageszeitung die Bilder abzudrucken dem Informant nicht gefallen hat und er die Bilder nun an die KUNST weiterreichen wird.
 

Das hat der Reporter der Tageszeitung auch schon gesagt. Doch das reicht mir noch nicht. Ich verlange von ihm einen Namen und Kogoro windet sich. Als ich es mir etwas gemütlicher mache fährt er sich durch sein schütteres Haar und faucht mich an, dass der Informant höchstwahrscheinlich Oka Chikuzen ist. Sein Anwalt? Er nickt und meint, dass sein Anwalt auch Teil der Big Five gewesen ist. Die Big Five?
 

Wieder geht er sich verzweifelt durch das lichte Haar, als er aufbegehrt und meint, dass ich nicht länger Zeit verschwenden soll. Ich müsse ihn aufhalten, bevor er ihn in einem noch schlechteren Licht darstellt. Ich frage nach, warum er seinem Anwalt diesen Auftrag gegeben hat, doch er schüttelt nur den Kopf und meint, dass ich nicht verstehe. Er habe den Auftrag nicht erteilt und auch nicht mehr an die Notfallstrategie gedacht. Wieder drängt er mich sofort nach seinem Anwalt zu suchen, der gerade sicherlich die Informationen an einen Journalist der KUNST weiterreicht. Immerhin würde es auch um Setos Ansehen gehen.
 

Langsam räum ich meine Unterlage zusammen und verlasse das Verhörzimmer. Kaum hab ich das Zimmer verlasse und die Akte in meinem Schreibtisch eingeschlossen zieh ich mein Handy und wähle die Nummer von Herrn Isono. Doch keiner geht ran. Also nutze ich die Internet-Suchmaschine und gebe 'Big Five' ein. Doch ich bekomme erst einmal lauter Bilder, auf denen Elefanten, Büffel, Nashörner, Löwen und Leoparden abgebildet sind, die als Big Five getitelt werden. Das wird er wohl kaum gemeint haben. Also füge ich Kogoros Namen hinzu.
 

Sofort erscheinen Bilder von fünf Männern vor dem Kaiba-Tower oder in luxuriösen Büros. In einer Bildunterschrift erfahr ich, dass 'Big Five' der Vorstand der Kaiba Corp genannt worden ist, bevor dieser vor etwas mehr als drei Jahre von Kaiba Seto entlassen wurden. Und tatsächlich erkenn ich auch Kogoros Anwalt auf dem Bild wieder, der damals offensichtlich Anwalt und Leiter der Rechtsabteilung gewesen war.
 

Als mir langsam die Zusammenhänge klar werden verstehe ich die Dringlichkeit, mit der Kogoro mich auf die Suche nach seinem Anwalt schickte. Also eile ich zum Gericht, um mir die notwendigen Befugnisse zum Orten von Oka Chikuzens Handy zu besorgen.
 

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Einen Schritt nach Hause

Lustlos schieb ich die Gurken-Maki mit den Stäbchen auf meinem Brettchen hin und her. Ich spüre Katsuyas und Mokubas besorgte Blicke auf mir. Normalerweise liebe ich das einheimische Essen und verspeise es mit großem Genuss, vor allem wenn Katsuya - oder in diesem Fall Katsuyas Dad - das Essen zubereitet hat.
 

Katsuyas Dad kam vorhin vorbei. Er wollte sehen, wie es uns geht, nachdem was heute Morgen in der Zeitung stand. Heute Morgen... für mich fühlt es sich bereits wie eine Ewigkeit an. Als wäre es eine Woche oder länger her. Ich fühle mich so bloß gestellt und gleichzeitig scheint alles so unwirklich.
 

Ich versteh mich selbst nicht. Eigentlich hab ich ja vorgehabt eine umfassende Aussage bei Detective Nagasato zu machen und Kogoro das Handwerk zu legen. Da habe ich doch auch damit gerechnet, dass es medial aufgegriffen und zu Schlagzeilen verarbeitet wird. Also wieso haut mich das jetzt so aus der Bahn?
 

Erst als mein Streuner mir antwortet, wird mir bewusst, dass ich laut gesprochen habe. Seine Antwort ist so einfach, wie richtig: Es wirft mich aus der Bahn, weil es unvorbereitet kam. Mokuba ergänzt, dass es mich auch völlig falsch darstellt, so als sei es meine Schuld, dass das alles passiert ist. Dann legt mir Katsuyas Vater eine Hand auf die Schulter und meint, dass nichts davon meine Schuld sei. Das ich mir das nicht einreden lassen darf.
 

Als ich zu ihm aufblicke schaut er mich unfassbar stolz und väterlich an. Für einen Moment seh ich Mokubas und mein Vater in ihm und einmal mehr vermisse ich unsere Eltern schmerzlich. Da schwingt plötzlich die Küchentür auf und Akito steht in der Tür. Überrascht springen wir auf und gehen zu ihm. Hinter ihm sehe ich Doktor Akari mit einigen Sachen in das Haus kommen. Unser Dienstmädchen hilft ihm dabei.
 

Akito zieht mich, als ich nah genug bin, in seine Arme, dann auch Mokuba. Katsuya ist bei seinem Vater stehen geblieben, der nun einen Arm um seine Schultern legt. Warum ist Akito hier? Egal, es tut so gut, dass er da ist. Aber geht das schon? Was ist mit seiner Schusswunde und der Heilung? Doch nicht so egal...
 

Nur langsam lösen wir uns von einander und er lächelt Mokuba und mich ermutigend an. Dann erklärt er, dass er Doktor Akari angerufen hat, weil er nicht länger im Krankenhaus bleiben wollte. Doktor Akari übernimmt von nun an seine Nachbehandlung und wird in einem Zimmer hier unten im Erdgeschoss ein 'Krankenzimmer' einrichten.
 

Doktor Akari wirkt darüber nicht sehr glücklich, aber er scheint sich zu fügen und geht mit Kikyo-san in den abgehenden Flur. Akito wirkt immer noch furchtbar blass und ich frag ihn, ob das Krankenhaus nicht besser sei? Er schüttelt nur seinen Kopf und meint, dass sein Platz hier ist und er hier genauso unter ärztlicher Aufsicht stehen kann.
 

Irgendetwas scheint ihn im Krankenhaus geärgert zu haben, aber nun gut. Ich kann es ihm nicht verdenken, dass er nicht dort bleiben möchte. Mich würde dort auch nichts halten, wenn ich hier eine Alternative habe. Dennoch nagt etwas an mir, dass ich daran die Schuld trage, dass sich Akito nach nicht mal zwei Tage scheinbar selbst aus dem Krankenhaus entlassen hat.
 

Ich stütze ihn etwas und führe ihn in die Richtung, in die Doktor Akari verschwunden war. Es ist ein leichtes das Zimmer zu finden, dass in den nächsten Tagen das Krankenzimmer sein wird. Immerhin ist in diesem Haus nur ein Bruchteil der Räume vorhanden, die wir in der Villa zur Verfügung hatten. Das Mädchen schlägt gerade das frisch bezogene Bettzeug zurück, so dass ich Akito auf die Kante setzen kann. Es strengt ihn ziemlich an, dass seh ich am Schweiß, der sich auf seiner Stirn bildet. Wieder lächelt er mich an und scheint sagen zu wollen, dass ich mich nicht so sorgen soll.
 

Kikyo-san verlässt das Zimmer und Doktor Akari beginnt das Hemd von Akito aufzuknöpfen. Sofort wende ich mich ab und will schon gehen, als Akito mich bittet zu bleiben. Ich bleib mit dem Rücken zu Akito stehen. Hab das Gefühl, dass ich so zumindest etwas seine Privatsphäre wahre.
 

Doch dann bittet mich Doktor Akari um Hilfe. Akito muss kurz aufstehen, um die Hose zu wechseln. Als ich mich umdrehe ist sein Pyjamahemd noch offen und ich seh den Verband, der um seine Brust geht. Ich trete wieder näher, helfe Akito aufzustehen und stehen zu bleiben, während er aus seiner Anzughose steigt und in die Pyjamahose schlüpft.
 

Doktor Akari meint, dass in einer halben Stunde eine vertrauenswürdige Pflegekraft eintreffen wird, die sich dann in den nächsten Tagen um Akito und seine Belangen kümmern wird. Er würde aber morgens und abends vorbei schauen und Werte checken und was sonst noch notwendig wäre und die Befugnisse der Pflegekraft übersteigt.
 

Ich bin wenig begeistert davon, dass eine fremde Person ins Haus kommen wird, aber wenn dafür Akito zu Hause sein kann, werde ich das so hinnehmen. Langsam lass ich ihn wieder auf das Bett nieder, knie mich hin und beginne vorsichtig das Pyjamahemd zuzuknöpfen. Akito lächelt mich dankbar an, dann schließt Doktor Akari ihn an eine Infusion an.
 

Derweil helf ich Akito die Beine auf das Bett zu legen und decke ihn zu. Frage, ob er noch ein Kissen braucht oder ob ich ihm etwas holen soll. Hat er überhaupt was gegessen? Doch er lächelt mich nur dankbar an, bevor er sagt, dass er nichts braucht, jetzt wo er endlich wieder bei seiner Familie ist.
 

Dass er uns seine Familie nennt macht mich unglaublich glücklich und stolz. Dann ist Akito auch schon eingeschlafen. Er wirkt völlig anders als im Krankenhaus. Entspannter. Glücklich. Doktor Akari schließt Akito noch an einen Gerät an, das wohl seine Funktionen überwachen soll, dann lassen wir ihn in Ruhe weiterschlafen.
 

Vor der Tür schau ich Doktor Akari an und dank ihm. Doch er schüttelt den Kopf und meint nur, dass das so für alle besser sei, bevor Akito wirklich noch das gesamte Krankenhaus aufkauft, nur um die Leute, die ihm lästig sind, versetzen zu lassen. Überrascht schau ich ihn an und der ältere Arzt lächelt, während er meint, dass ich wohl auf Akito abgefärbt habe.
 

Dann begleite ich ihn zur Haustür und nach draußen zu seinem Auto. Er gibt mir eine kleine Karte, auf dem ein Bild der Pflegekraft zu sehen ist, mit ihren persönlichen Daten. Ich geb das Kärtchen einer vorbeikommenden Wache, die wohl den Angestellten am Tor ablösen möchte und sag ihm, dass diese Person rein darf. Er nickt und eilt weiter.
 

Schließlich kehre ich - nachdem Doktor Akari losgefahren ist - wieder in die Küche zurück und kann endlich das Abendessen etwas genießen.
 

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Einen Schritt, der alles ändert

So ist das viel besser: Frühstück mit der Familie in der heimischen Küche. Kein nerviger Arzt, der mit seinem Dutzend Assistenzärzte mir auf die Nerven geht. Doktor Akari war bereits da und hat mir die Erlaubnis gegeben richtig zu frühstücken. Also hat mir Kaori - meine Pflegekraft - geholfen mich zu waschen und mir frische Sachen anzuziehen, so dass ich jetzt mit einem Morgenmantel bekleidet hier sitzen kann.
 

Katsuya hat sich wieder um das Frühstück gekümmert und ein wirklich gutes, traditionelles Frühstück gezaubert. Er kommt ganz nach seinem Vater und Seto hat dadurch mittlerweile auch etwas Gewicht zugelegt, was ihn endlich aus der Grenzregion des Untergewichts heraus gebracht hat.
 

Mokuba führt gerade enthusiastisch aus, wie toll er das neue Haus und das Grundstück findet. Seto und ich lauschen mit einem sanften Lächeln und lassen ihn reden. Währenddessen bringt Katsuya uns allen einen frischen O-Saft, bevor er sich neben Seto setzt und auch aufmerksam dem Jüngsten am Tisch zuhört.
 

Schließlich kommt das Mädchen - Kikyo - herein und meint, dass Detective Nagasato da sei und mit Seto sprechen möchte. Sofort erstarrt Seto und lässt seinen Bissen, den er sich gerade in den Mund schieben wollte, wieder auf seinen Teller sinken. Dann straft er sich und steht auf, doch so standsicher ist er dann doch nicht. Katsuya stützt ihn und auch ich kämpf mich in den Stand. Mokuba ist verstummt und schaut traurig auf die Reste seines Frühstücks.
 

Dann wendet sich Seto zu ihm und fragt, ob er nicht mitkommen möchte. Überrascht blickt Mokuba auf, schaut zu mir und dann zu Katsuya, bevor er nickt, aufspringt und seinen Bruder auf der anderen Seite stützt. Gemeinsam verlassen wir die Küche und begleiten Seto in die Bibliothek, in der es eine nette Sitznische gibt, in der bereits vorgestern das Gespräch zwischen Seto und Detective Nagasato stattgefunden hat.
 

Als wir zu viert zu Detective Nagasato und ihrem Juniorpartner Detective Fujimura stoßen wirkt sie überrascht, dass sowohl Mokuba, als auch ich Seto begleiten. Sie lächelte höfflich bevor sie uns grüßt und darauf wartet, dass wir Platz nehmen. Dafür bin ich ihr sehr dankbar, denn das Stehen und Gehen strengt mich immer noch sehr an. Aber ich bin auch selbst schuld, dass ist mir bewusst.
 

Nachdem wir also sitzen wendet sich die erfahrene Polizistin Seto zu und fragt ihn, ob er einen Oka Chikuzen kennt. Seto nickt nur und ich kann mir vorstellen, dass er einen dicken Kloß im Hals hat. Sie fragt ihn woher und er erklärt ihr, dass dieser Mann einmal zum Vorstand der Kaiba Corp unter der Führung seines Adoptivvaters gehört hat. Sie nickt und wirkt zufrieden mit der Antwort. Dann fragt sie, ob er auch einen Otaki Shuzo, Ota Soichiro und einen Oshita Konosuke kenne.
 

Mit jedem Namen wird Seto blasser, nickt aber tapfer und erklärt in welcher Funktion diese Männer zum Vorstand gehört haben. Mokuba drückt sich sanft an ihn und auch Katsuya hält ihn etwas fester in seinem Arm. Schließlich frage ich, woher sie diese Namen hat und warum sie nach ihnen fragt. Sie blickt mich kurz an und dann zu Seto. Dann lächelt sie.
 

Sie erzählt uns, dass sie Daimon Kogoro gestern am späten Nachmittag Ding fest machen konnte. Dieser hatte dann seinen Anwalt angeschwärzt, der für uns auch kein Unbekannter ist: Nämlich Oka Chikuzen, den sie dann am Abend festgenommen hat. Und dieser hatte dann die anderen drei genannt, um die Schuld nicht alleine tragen zu müssen und mit der Hoffnung, dass ihm ein Deal angeboten wird.
 

Bei dem Wort Deal dreht sich mir etwas im Magen um. Ich hoffe inständig, dass es keinen Deal gab oder geben wird. Seto hört ruhig, aber angespannt zu. Nagasato redet ruhig weiter, dass sie Beweise gefunden haben, die diese Männer der gemeinschaftlichen Vergewaltigung an mindestens fünf Jugendlichen überführt. Zwei seien bereits namentlich bekannt. In dem Moment bricht Seto den Blickkontakt und senkt seinen Blick zu Boden. Seto weiß, dass sie Keizo und ihn meint.
 

Sanft meint sie, dass sie genügend Beweise haben, damit eine Aussage von Keizo und ihm nicht notwendig sein wird. Seto nickt nur ohne den Blick zu heben. Er schluckt ein oder zwei Mal und ich sehe, wie er gegen die Tränen ankämpft. Mokuba strahlt ihn behutsam an und fragt seinen großen Bruder, ob das nicht gute Nachrichten seien. Seto nickt abermals. Presst seine Lippen aber weiterhin fest aufeinander.
 

Nagasato geht vor Seto in die Knie, so dass sie ihn von unten herauf anblicken kann. Seto blickt sie mit leichtem Entsetzen an, doch sie lächelt ihn ermutigend zu. Dann sagt sie ihm, dass er kein Opfer ist. Er ist ein Überlebender und er sei unglaublich stark und mutig. Es gibt also nichts, wofür er sich schämen muss. Überraschung verdrängt das Entsetzen in seinem Blick und er nickt wieder.
 

Ich schmunzle, denn Seto scheint durch diese neue Bezeichnung neue Kraft zu ziehen. Ist das Wort Opfer in unserer Zeit oft stigmatisiert und wird synonym für schwach verwendet wirkt Überlebender doch ganz anders. Kraftvoller. Aber sie hat recht: Seto hat überlebt und er kämpft derzeit weiter um sein Überleben, zusammen mit Katsuya und Mokuba, sowie Kai als Therapeut.
 

Nur zögerlich fragt Seto schließlich, ob es eine Möglichkeit für diese Männer gibt ihrer Strafe zu entgehen. Detective Nagasato kniet immer noch vor ihm, während sie antwortet. Sie erzählt ihm, dass einer von ihnen - Oshita Konosuke - nicht angeklagt werden kann. Er liegt - wie wir schon von Keizo wissen - vegetierend in einem mittelmäßigen Pflegeheim, nachdem ein Schlaganfall ihn gänzlich gelähmt hat.
 

Doch was ist mit den anderen? Immerhin haben sie viel Geld und Einfluss. Was wenn Richter und Staatsanwalt Freunde von ihnen sind? Das sind gute Fragen. Aber Nagasatos Lächeln nimmt kein Ende. Sie sagt, dass es eine neue Organisation gibt, die eine internationale Kooperation in die Wege geleitet hat. Bis jetzt sind es 23 Länder, die Teil dieser Kooperation sind.
 

Mokuba horcht auf und fragt nach, was diese Kooperation nun mit Setos Frage zu tun hat. Doch Seto meint zu ihm, er solle den Detective aussprechen lassen. Sie erklärt daraufhin, dass Richter und Staatsanwälte, die daran interessiert sind auch mal in anderen Ländern aktiv zu werden, über diese Organisation die Möglichkeit haben. Sie werden in einem Crashkurs auf die Unterschiede geschult und können dann im jeweiligen Zielland für eine begrenzte Zeit ihrem Beruf nachgehen. Dadurch gibt es Richter und Staatsanwälte, die keine Verbindungen oder Verstrickungen zur jeweiligen Gesellschaft haben und so völlig unvoreingenommen und unparteiisch handeln können.
 

Unser Jüngster scheint nicht zu verstehen, also erklär ich ihm, dass wir wohl einen Staatsanwalt haben, der aus diesem Programm stammt und demnach außerhalb des Korruptionsnetzwerks dieser Männer steht. Fragend blickt er zu der Polizistin und die nickt bestätigend. Mokuba beginnt zu strahlen und fragt dann, wie diese Organisation heißt, die das möglich macht.
 

Ich bin mehr als überrascht, als der Detective meint, dass die Organisation den Namen Yamanashi trägt und ich erkenne an Katsuyas Blick, dass ihm der Name bekannt vorkommt, auch wenn er sich gerade nicht erinnern kann, woher. Er wird sicher darauf kommen... immerhin ist er schlaues Köpfchen.
 

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Einen Schritt der Entwicklung

Yamanashi. Wieso kommt mir dieser Name nur so bekannt vor? Ich kenne niemanden mit dem Namen und dennoch könnt ich schwören, dass ich ihn irgendwo schon einmal gehört oder gelesen habe. Nur wo? Und in welchem Zusammenhang?
 

Noch ehe ich weiter darüber grübeln kann, woher ich diesen Namen kenne, reißt mich ein heftiges Zucken in meinem Arm aus meinen Gedanken. Sofort liegt meine ganze Aufmerksamkeit auf meinem Drachen, der sich in meinen Arm gekuschelt hat und der von einem Albtraum heimgesucht wird. Ganz vorsichtig streich ich ihm über die Wange, was gewöhnlich reicht, um ihn zu wecken. Doch er zuckt nur noch heftiger zusammen.
 

Seine Hand auf meiner Brust krallt sich in den Stoff meines Shirts, während er sich in meinem Arm zusammenrollt und enger an mich presst. Leise beginnt er zu wimmern. Ich streichle ihm über den Rücken und durch das schweißnasse, braune Haar meines Drachens. Kann spüren wie er zittert. Seit dem Angriff hatte er wieder öfters Albträume gehabt, aber keiner von diesen war so heftig, wie dieser hier.
 

Sanft flüstere ich meinem Drachen ins Ohr, dass er bei mir und in Sicherheit ist. Dass ihm niemand weh tun wird. Doch das beruhigt ihn gar nicht. Leise murmelt er immer wieder, dass er nicht will und ich weggehen soll. Ich bin mir sicher, er meint nicht mich, sondern sein Angreifer. Es gibt in seinen Albträumen immer einen Angreifer.
 

Tränen quellen unter seinen Lidern hervor. Während er sich mit einer Hand an mich krallt, versucht er mich mit der anderen wegzuschieben. Vorsichtig streich ich ihm die Tränen von den Wangen und flüstere ihm zu, dass er jetzt aufwachen muss. Doch auch das scheint ohne Effekt zu bleiben. Wie bekomm ich ihn nur wach?
 

Plötzlich schreckt er schreiend auf. Schweiß und Tränen laufen ihm über das Gesicht. Er atmet schwer. Seine Finger haben sich in die Decke verkrallt und er sitzt leicht nach vorne gebeugt da. Atmet schwer. Zittert. Kämpft gegen die Panik und die Tränen an. Mit wenig Erfolg.
 

Auch ich hab mich aufgesetzt, doch ich berühre ihn nicht. Das kann bei ihm in diesem Stadium des Erwachens zu einer Panikreaktion führen. Außerdem könnte er trotz offener Augen noch im Albtraum gefangen sein. Also schieb ich mich langsam vor ihn und versuche in sein Blickfeld zu kommen. Rufe vorsichtig seinen Namen.
 

Seine Augen bewegen sich suchend und es dauert einen langen Moment, bevor er mich sieht und versucht zu fixieren. Noch immer laufen ihm die Tränen über das Gesicht, doch er schaut mich erleichtert und dankbar an, bevor er sich an meine Brust wirft. Sich von mir halten lässt. Sanft lege ich meine Arme um ihn und streichel ihn tröstend.
 

Er braucht dieses Mal lange, bis er sich wieder fängt. Aber schließlich atmet er wieder ruhig und tief ein und aus. Sanft streich ich ihm das Haar nach hinten und heb vorsichtig seinen Kopf, so dass ich ihn anschauen kann. Die Augen sind gerötet und er schaut mich an. Es hat lange gedauert, bis er seine Scham vor mir abgelegt hatte. Aber mittlerweile hat er verstanden, dass es nichts gibt, wofür er sich schämen muss.
 

Zärtlich streich ich ihm die Feuchtigkeit von den Wangen und küss ihn behutsam. Er erwidert den Kuss. Ich bin so stolz auf meinen Drachen. Er hat in fast sechs Monaten große Sprünge in seiner Entwicklung gemacht. Wie hat er noch im Dezember nach jedem Albtraum mit sich gerungen nicht die Flucht vor mir zu ergreifen? Wie hat er sich gequält, bis er begann mit mir über seine Albträume zu reden? Oder bis er mich dabei auch anschauen konnte?
 

Also zieh ich ihn sanft in meine Arme, so dass er sich bequem an mich kuscheln kann und ich auch gemütlich sitze. Es dauert noch eine Weile, bevor Seto ganz alleine anfängt mir von seinem Albtraum zu erzählen. Erzählt, wie er diesen Moment in seinem Heimbüro in der Villa immer und immer wieder erlebt. Wie er versucht sich gegen Kogoro zu wehren. Versucht zu entkommen. Doch immer wieder scheitert er. Kogoro stürzt sich auf ihn, bindet ihm die Hände auf den Rücken und nimmt sich dann, was er will.
 

Früher hab ich ihm in so einer Situation jeden Satz aus der Nase ziehen müssen. Doch eines hat sich nicht geändert: Noch immer scheut er gewisse Worte zu verwenden. Aber ich akzeptiere das. Flüstere ihm sanft ins Ohr, dass Kogoro sein Ziel nicht erreicht hat. Wispere, dass mein Drache alles richtig gemacht hat. Überlebt hat. Das ist alles worauf es ankommt.
 

Doch mein Drache wird wütend und fragt - etwas energisch - wozu wir alle diese Kampfkunst lernen, wenn er sich damit dann doch nicht verteidigen kann. Frust mischt sich mit in seine Stimme, als er sagt, dass das ganze Training völlig sinnlos ist. Doch ich widerspreche ihm. Erinnere ihn daran, dass ein paar Wochen Selbstverteidigung einen noch nicht zu einem geübten Kampfkünstler machen. Wir dürfen nicht aufgeben und müssen weiter hart trainieren.
 

Seto schnauft frustriert. Fährt sich durch das feuchte Haar. Ich kenn dieses Gefühl. Dieses Gefühl, dass, egal was man macht, es nicht genug ist und sich nichts geändert hat. Das man immer noch hilf- und wehrlos ist. Das jeder sich einem einfach bemächtigen kann, wie dieser Lust und Laune hat.
 

Ich würde gerne etwas Kluges zu meinem Drachen sagen, doch was? Was kann man in so einer Situation sagen, um diesem Gefühl die Macht zu nehmen? Wie war das damals bei mir? Ich hab nie einen erneuten Angriff erlebt, nachdem mein Dad mich gerettet hat. Es gab Situationen, die nur im ersten Moment auf mich bedrohlich wirkten, aber bei denen ich dann erkannte, dass sie harmlos waren. Doch Seto... war erneut angegriffen worden. Also was kann ich ihm sagen, damit dieses Gefühl nachlässt?
 

Da wendet sich Seto zu mir und schaut mich an. Vorsichtig legt er seine Lippen auf meine und wir küssen uns kurz und oberflächlich. Als wir uns trennen meint er zu mir, dass er ohne mich längst den Verstand verloren hätte. Dass er so froh ist, dass ich damals so hartnäckig war und ihn gerettet habe... ihm einen Weg aufgezeigt habe... Ich schmunzle sanft und flüstere ihm entgegen, dass ich ihn liebe. Seto erwidert das Schmunzeln, bevor auch er mir sagt, dass er mich über alles liebt.
 

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Einen Schritt ins eigene Martyrium

Wir sitzen am Frühstückstisch und ich hab keine Lust. Keine Lust auf Schule. Katsuya stellt ein traditionelles Frühstück auf den Tisch, legt eine Hand auf meine Schulter und fragt mich, wie ich das Gif finde. Mit großen Augen schau ich ihn an. Welches Gif? Erstaunt sieht er mich an und erwidert, dass er mir auf Whats App ein lustiges Gif geschickt hat.
 

Nur zögerlich lass ich meine Hand in die Hosentasche gleiten und mein Handy rausziehen. Es ist aus. Ich schalte es vorsichtig ein, als ob es kaputt gehen könnte, wenn ich den Powerknopf zu lange oder zu fest drücke. Ich entsperre erst meine Sim-Karte und dann das Handy. Sofort ertönen zahlreiche Klopfgeräusche von meinem zweiten Gehirn und alle Blicke richten sich auf mich. Hastig versuche ich den Ton stumm zu schalten.
 

Seto fragt mich, nicht ohne einen besorgten Unterton, warum mein Smartphone regelrecht Amok läuft. Ich grinse und lüge ihn an, als ich ihm erkläre, dass meine Klassenstufe darüber diskutiert, wo die diesjährige Klassenfahrt hingehen soll. Prüfend mustert mich Seto, nickt dann aber schließlich. Innerlich bin ich erleichtert, dass er mir meine Lüge glaubt.
 

Dann such ich Katsuya aus den dutzenden ungelesenen Nachrichten heraus und schau mir das Gif einer Katze an. Ich muss schmunzeln. Sag ihm, dass es wirklich lustig ist. Er legt mir nur eine Hand auf die Schulter und als ich aufsehe erkenne ich, dass er mir meine Lüge nicht glaubt. Schnell mach ich mein Smartphone wieder aus und steck es weg.
 

Schließlich sind wir mit Frühstücken fertig und stehen auf, um uns auf den Weg zum Auto zu machen. Mir ist ganz flau im Magen und das letzte was ich heute wirklich will ist in die Schule zu gehen. Können wir nicht noch eine Woche der Erholung dranhängen? Die letzte Woche kann doch unmöglich ausreichend gewesen sein, damit Seto sich vom Schock des Angriffs erholen konnte.
 

Doch es hilft alles nichts. Akito bringt uns zur Tür, bevor Seto stehen bleibt und ihm sagt, er soll zurück in sein Bett gehen. Zwar sieht Akito schon wesentlich fitter und gesünder aus, als noch letzte Woche, als er sich selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte, doch immer noch nicht fit genug, um ganz der Alte zu sein. Akito nickt und Seto umarmt ihn zum Abschied.
 

Im Auto rutsch ich nervös auf meinem Platz hin und her, bis Seto mir einen Arm um die Schulter legt und fragt was los ist. Ich lach ihn an und meine, dass ich mich einfach auf die Schule und meine Freunde freue. Aber auch das ist glatt gelogen. Freunde - hab ich schon lange nicht mehr in der Schule.
 

Meine einzigen Freunde sind Yugi, Ryou, Honda, Otogi und Katsuya. Die, die mich so nehmen, wie ich bin. Die keine Geschenke von mir erwarten und sich nicht mit denen zusammen tun, die mich zu Jahresbeginn noch verprügelt haben. Die mir seit letzter Woche hundertfach am Tag schreiben, wie ekelhaft sie mich finden. Die mich fragen, ob ich auch auf so perverse Sachen stehe, wie mein Bruder.
 

Die Richtigstellung haben sie scheinbar nicht gelesen. Dabei war sie auch auf der Titelseite. Sie war verknüpft mit der Meldung, dass der gesamte ehemalige Vorstand der Waffenfirma Kaiba Corp verhaftet worden sind. In dem Artikel ging es um einen Missbrauch- und Kinderpornoring, den die fünf geleitet oder deren Mitglied sie gewesen sein sollen.
 

Ich schau zu Seto auf und werde tief traurig. Erst war es 'nur' Gozaburo, dann die Big Fives, jetzt ein ganzer Ring? Wie viel hat mein großer Bruder da nur ertragen müssen? Wie viele... wie viele haben sich noch an ihm vergangen? Er bemerkt meinen Blick und fragt, was los ist. Ich schüttle nur wieder meinen Kopf und grinse, bevor ich mich in seinen Arm kuschle und ihn lieb hab. Er drückt mich an sich und streichelt mir über mein Haar. Eigentlich bin ich für sowas schon zu alt und dennoch: Ich genieße es, bis der Wagen, der von Fuguta gefahren wird, zum Stehen kommt.
 

Als ich rausschaue sehe ich meine Schule und mir zieht sich etwas im Bauch zusammen. Es sind richtige Bauchschmerzen die ich bekomme, doch ich lass mir nichts anmerken. Ich möchte einfach nicht, dass Seto sich noch mehr Sorgen macht, als er sowieso schon hat. Also lach ich ihn an, drück ihn zum Abschied und steige aus. Ich seh noch dem Auto hinterher, während es wegfährt und betrete nur zögerlich das Schulgelände.
 

Die Blicke der anderen kann ich förmlich auf mir spüren. Jeder auf dem Hof und in den Gängen meiner Schule schaut mich an und wispert zu Freunden, die ihm nahe stehen irgendetwas. Ich kann immer nur Bruchstücke davon hören. Worte, wie 'Pervers', 'Schwuchtel' oder 'Hurenbruder'. Gerade das letzte verletzt mich ungemein, denn mein Bruder ist keine Hure. Er ist ein Opfer... nein, ein Überlebender eines jahrelangen Missbrauchs und Vergewaltigungsmartyriums.
 

Noch bevor ich meinen Spind erreiche werde ich vier Mal angerempelt, bis mir einer der Sportler meine Schulbücher aus der Hand schlägt, so dass sie zu Boden fallen. Ich bück mich und sofort pfeift jemand, während jemand anderes ruft, dass das wohl meine bevorzugte Haltung sei. Als ich bei meinem Spind ankomme dringt Rauch aus ihm und auf der Außenseite steht in roter Farbe 'Schwanzlutscher'.
 

Als ich meinen Schrank aufmachen möchte verbrenn ich mir die Fingerspitzen. Ich zieh sie hastig weg und wedel sie, als ob das den Schmerz lindern würde. Die Schulglocke geht und die anderen streben in die Klassen. Ich nicht. Meine Schulsachen sind noch in meinem Spind... oder verbrennen wohl eher in meinem Spind.
 

Plötzlich werde ich zur Seite gestoßen und der Hausmeister zieht den Universalschlüssel für die Spinde. Er schließt meinen Spind auf, den ich sonst mit meinem Zahlencode öffne, und sprüht sofort mit dem Feuerlöscher, den er mitgebracht hat, in das Innere. Wenn meine Sachen das Qualmen und die Hitze überlebt haben, sind sie spätestens jetzt unterm Löschschaum drauf gegangen.
 

Nachdem das Qualmen aufgehört hat wendet sich der Hausmeister zu mir und fragt mich, was das sollte? Ich zuck nur mit den Schultern und meine, dass ich meinen Schrank schon so vorgefunden habe. Doch der Mann hört mir gar nicht zu, zerrt einen Mülleimer heran und meint, ich solle den Spind ausräumen und alles, was jetzt kaputt ist wegschmeißen.
 

Schwer seufzend komm ich seiner Aufforderung nach und räume unter seiner Aufsicht meinen Spind aus. Die verkohlten und jetzt völlig durchnässten Sachen sind nicht mehr zu retten, also mach ich kurzen Prozess und schieb einfach alles was im Schrank war in den Mülleimer. Der Hausmeister sagt, ich soll warten, dann bringt er den Mülleimer weg und kommt ein paar Minuten mit einem Putzeimer und einem Schwamm zurück.
 

Gut, dann wasch ich den Spind auch noch aus, doch dann sagt der Hausmeister, dass ich auch die Schmiererei außen wegschrubben soll. Ja, schon klar: Alles meine Schuld. Also schrubb ich eine halbe Stunde lang das 'Schwanzlutscher' weg, bis man es kaum noch lesen kann. Dann nimmt der Hausmeister mir den Schwamm aus der Hand und sagt, ich solle in meine Klasse.
 

Ich geh ein paar Schritte und entscheide für mich, dass das heute genug Schule für mich war. Also eile ich zur Eingangstür und verlasse das Gebäude und dann auch das Gelände.
 

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Einen Schritt trotzen

Falsch. Das ist falsch. Zwei Mal steh ich kurz davor Fuguta zu bitten umzudrehen und wieder zu Mokubas Schule zurück zu fahren. Ich bin kein Idiot. Mir ist bewusst, dass mein kleiner Bruder mich am Frühstückstisch angelogen hat. Wahrscheinlich läuft das Mobben schon. Warum hab ich dann nicht reagiert, sondern ihn im Glauben gelassen, dass er mich getäuscht hat? Warum hab ich ihn dann auch noch aussteigen lassen?
 

Katsuya legt mir eine Hand auf die meine und lächelt mich gedrückt an. Er weiß ganz genau, was mir durch den Kopf geht. Versucht mich zu beruhigen. Doch er sorgt sich mindestens genauso um Mokuba, wie ich es tu. Er weiß mehr von dem Mobbing, dem mein Bruder schon seit Jahren ausgesetzt ist. So haben die beiden sich unabhängig von mir kennen gelernt.
 

Das Gefühl, meinen Bruder ein weiteres Mal nicht geschützt zu haben, nagt wieder an mir. Vielleicht hätten wir uns die paar Wochen bis zu den Sommerferien freistellen lassen sollen. Mokuba ist ebenso klug wie ich, wenn nicht sogar klüger. Er ist mit dem Stoff schon weiter als seine Mitschüler auch wenn er oft durch Faulheit bei Arbeiten weniger Punkte erlangt. Oder ist das eine Schutztaktik, dass er nicht zu allem Überfluss auch noch als Streber abgestempelt wird?
 

Als das Auto in die Straße unserer Oberschule einbiegt weiten sich meine Augen. Da stehen vor dem Schultor jede Menge Reporter. Wieso mich das gerade überrascht - keine Ahnung. Unter anderem wegen so etwas wollte ich erst am letzten Schultag mit Detective Nagasato sprechen. Dann hätten sich die Reporter vor der Villa die Beine in den Bauch stehen können.
 

Fuguta wird etwas langsamer mit dem Auto und meint, dass er mal den anderen Eingang zum Schulgelände checkt. Also fährt er am Haupttor vorbei und ich bin froh, dass die Reporter das Auto nicht erkennen. Der Vorteil von Leasingwagen ist die große Auswahl und der stete Wechsel. Jedenfalls bei diesen Firmenautos, wie Fuguta eines fährt.
 

Das Auto biegt um die Ecke, doch auch am Nebentor tummeln sich jede Menge Reporter. Weniger als am Haupttor, aber immer noch genügend. Fuguta fährt weiter, biegt wieder ab und checkt die Zufahrt der Lieferanten, die täglich frisches Essen und alles was eine Schule so im Alltag braucht bringen. Doch auch hier stehen eine Hand voll Reporter. Fuguta fährt weiter und nachdem er noch einmal abgebogen ist bleibt er stehen und schaut zu uns hinter. Fragt bei welchem Zugang er uns absetzen soll oder ob es wieder zurück nach Hause gehen soll.
 

Aber ich kann doch nicht einfach wieder nach Hause fahren, wenn ich meinen kleinen Bruder den infantilen Mitschülern zum Fraß vorgeworfen habe. Ich schau Katsuya an und frag, wo er aussteigen möchte. Er kommt sicherlich unbehelligt durch die Reportermasse auf das Schulgelände. Er blickt mich schockiert an und meint nur, dass er an meiner Seite bleiben wird.
 

Ich lächle ihn sanft an und küsse ihn kurz und oberflächlich. Dann mein ich zu Fuguta das er am Haupttor halten soll. Meine Finger verschränken sich mit denen meines blonden Streuners und er streichelt mit seinem Daumen sanft über meine Haut. Das beruhigt etwas. Skeptisch schaut mich Fuguta an und scheint nicht begeistert von meiner Entscheidung zu sein.
 

Seit wann stehen meine Entscheidungen eigentlich zur Diskussion? Das macht mich gerade wütend. Ich will schon was keifen, als Fuguta wieder losfährt. Katsuya spürt meine Wut und legt seine zweite Hand auf meine, die mit seiner schon verschränkt ist. Er lächelt mich beruhigend an und ein Teil meiner Wut verraucht wieder. Während der Wagen langsam um die Ecke fährt ertönt mein Handy. Ich hol es hervor und schau drauf.
 

Eine Textnachricht von Akito. Ich ziehe meine Stirn kraus. Merkwürdiger Zufall. Was er wohl von mir möchte? Als ich die Nachricht öffne fallen mir fast die Augen aus dem Kopf und jetzt kann ich ein Keifen doch nicht mehr zurückhalten. Ich frage Fuguta, ob er Akito gerade angeschrieben hat. Über den Spiegel schaut Fuguta kurz zu mir und zieht den Kopf etwas ein. Unfassbar.
 

Katsuya fragt mich, was denn los sei, ich zeige ihm die Textnachricht von Akito, in der er meint, dass ich gerne auch nach Hause kommen kann, wenn es zu viele Reporter sind. Das ich niemanden etwas beweisen muss. Meine Zähne knirschen und ich löse meine Hand aus Katsuyas. Verschränke meine Arme vor der Brust und schaue demonstrativ aus dem Fenster.
 

Dann seh ich im Augenwinkel, wie Katsuya mit meinem Handy Akito zurückschreibt. Keine Minute später ertönt Fugutas Telefon, dass er sich auf dem Lenkrad anzeigen lassen kann. Er fährt um die Ecke zum Haupttor, an dem die Schulsecurity aktiv geworden ist. Sie haben die Reporter auseinander gedrängt, so dass eine Gasse vom Bordstein zum Schulgelände entstanden ist.
 

Fuguta hält den Wagen und wendet sich noch einmal zu mir um. Er nimmt die Sonnenbrille ab und neigt den Kopf demütigst, stellvertretend für eine Verbeugung. Dann entschuldigt er sich, dass er über meinen Kopf hinweg Akito angeschrieben hat. Damit wollte er mich und meine Entscheidung nicht unterminieren, sondern...
 

Ich winke ab und er verstummt. Meine Arme vor meiner Brust haben sich wieder gelöst und Katsuya hat unsere Hände wieder miteinander verschränkt. Dann mein ich zu ihm, dass ich mich melde, wenn wir abgeholt werden möchten, bevor ich noch einmal tief einatme, die Tür aufmache und aussteige. Ich ziehe Katsuya an meine Seite und gemeinsam gehen wir durch den Korridor und betreten das Schulgelände. Einige Blitzlichter lösen aus.
 

Erst als wir durchs Schultor sind fährt Fuguta wieder an und verschwindet, während die Schulsecurity den Korridor ändert, so dass auch andere Schüler noch auf das Schulgelände kommen können. Derweil gehen Katsuya und ich zum Schulgebäude. Sollen diese Aasgeier doch meinen Rücken fotografieren. Das ist mir völlig egal. Ich bin nur froh, dass dieses Aufgebot nicht vor Mokubas Schule gelauert hat.
 

Als ich nach meinem Handy in meiner Hosentasche suche wird es mir von Katsuya hingehalten, der es noch hat. Ich danke ihm und schreib Mokuba eine Nachricht, ob alles in Ordnung bei ihm ist. Die Nachricht geht zwar von meinem Handy ab, scheint aber bei Mokuba nicht anzukommen. Das zweite Häkchen will einfach nicht erscheinen. Hat er das Handy immer noch aus? Er weiß, dass ich das nicht leiden kann. Oder ist etwas geschehen?
 

Oh man, was soll ich nur tun? Katsuya erinnert mich daran, dass Mokubas Unterricht früher beginnt, als unsere. Vermutlich sitzt Mokuba schon im Unterricht und hat dort das Handy wegen den ganzen Nachrichten ausgemacht hat. Das klingt plausibel... und dennoch bleibt dieses ungute Gefühl in meinem Magen.
 

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Einen Schritt auf der Suche

Ich schließe gerade mein Hemd und Doktor Akari räumt sein Stethoskop weg. Sein Blick, mit dem er mich dann bedenkt, ist ernst. Er meint, es gäbe da ein, zwei Geräusche, die ihm Sorge bereiten. Die er weiterhin beobachten wird, aber ich möglicherweise zwecks einer umfassenden Untersuchung Mitte oder Ende der Woche noch einmal ins Krankenhaus muss.
 

Noch ehe er ins Detail gehen kann klingelt mein Telefon. Ich schau auf das Display und erkenne die Nummer als die, von Mokubas Schule. Also nehme ich das Gespräch an. Normalerweise mach ich so etwas nicht, denn ich halte es für respektlos meinem Gesprächspartner gegenüber. Aber wenn es um Mokuba oder Seto geht, ist alles andere nebensächlich.
 

Doktor Akari beginnt auch seine restlichen Untersuchungswerkzeuge wegzupacken und verabschiedet sich mit einem Nicken. Ich erwidere das Nicken, während ich drauf warte, dass die Sekretärin mich mit dem Direktor verbindet. Dann hab ich den konservativen Mann am Apparat, der mich darüber informiert, dass Mokuba erst für Unruhe auf dem Schulflur gesorgt habe und dann nicht zum Unterricht erschienen ist.
 

Ich teil ihm mit, dass ich gleich bei ihm sein werde. Dann lege ich auf, ziehe mir einen Anzug über und eile dann zur Haustür. Mein Körper fühlt sich immer noch etwas steif und unbeweglich an als ich in meinen Toyota Avalon einsteige. Nach dem Einsteigen nehme ich mir einen kurzen Moment, um zur Ruhe zu kommen. Dann fahr ich los.
 

Nach nur fünfzehn Minuten erreiche ich Mokubas Schule, parke direkt vor dem Eingangstor, und steige aus. Wieder muss ich mir nach dem Positionswechsel einen Moment nehmen. Dann betrete ich das Gelände und schließlich das Gebäude. Zu meiner Überraschung steht der Direktor direkt an der Tür zum Schulgebäude und scheint mich schon zu erwarten.
 

Ohne eine weitere Begrüßung verlange ich zu erfahren, für was für Unruhen Mokuba gesorgt haben soll. Der Direktor führt mich zu einem Spind, der offen steht und innen total verbrannt wirkt. Er meint, dass es sich dabei um Mokubas Spind handelt. Als ich frage, warum Mokuba seinen eigenen Spind angezündet haben soll zuckt der Mann nur mit den Schultern.
 

Ich schaue mir auch die Tür an und kann feststellen, dass diese von außen vor kurzem erst geschrubbt wurde. Als ich den Direktor darauf anspreche lässt er den Hausmeister rufen. Dieser kommt und erzählt, er habe Mokuba eine Schmiererei wegscheuern gelassen. Scharf frag ich, was für eine Schmiererei. Doch der Hausmeister meint nur, es wäre eine unflätige Bezeichnung gewesen, die er nicht laut wiederholen möchte.
 

Ein schweres Seufzen entkommt meiner Kehle und ich lege meine Finger kurz an die Nasenwurzel. Ich frage die beiden Männer, ob sie wirklich so borniert sind, dass sie einem Opfer von Mobbing die ganze Schuld zuschieben möchten. Der Direktor will sich schon über meinen Vorwurf eschauffieren, als ich ihm das Wort abschneide und ihm drohe, dass wenn meinem Sohn etwas geschehen ist, ich ihn und diese Schule zur Verantwortung ziehen werde.
 

Man könnte meinen, dass der Kopf eines Menschen ab einem gewissen Rotton explodieren oder in Flammen aufgehen kann, doch dem ist nicht so, wie der Direktor beweist. Er weist jede Schuld von sich und seine Einrichtung. Redet von schwierigen Persönlichkeiten. Knurrend warne ich ihn, seine Lage nicht noch schlimmer zu machen. Nicht nur, dass er meinen Sohn, ein Opfer von Mobbing, als Sündenbock ran ziehen will, nein, jetzt möchte er aus ihm noch ein Problemschüler machen?
 

Genug ist genug. Ich verlange auf der Stelle eine Suchaktion nach Mokuba auf dem Schulgelände. Der Direktor faselt was von nicht genügend Kräfte, für so eine Suchaktion. Also teile ich ihm mit, dass ich mich beim Bildungsminister über ihn beschweren werde und er die längste Zeit Direktor gewesen sein wird. Auf einmal fängt er an den Hausmeister anzubellen, er solle mit seinen Assistenten endlich die Suche aufnehmen. Dann eilt er ins Sekretariat und keine Minute später hör ich ihn über die Lautsprecher die Fluraufsichten zu sich rufen, um sie in die Suche einzuspannen.
 

Ich nehme mein Handy und wähle Mokubas Nummer. Doch ich lande nur auf der Mailbox, wobei ich keine Nachricht hinterlassen kann, weil sie voll ist. Also ruf ich eine spezielle App auf und gebe dort Mokubas Handynummer ein. Die App verschiebt alle gespeicherte Sprachnachrichten aus der Mailbox in eine Cloud, so dass ich bei einem erneuten Anruf eine Nachricht hinterlassen kann.
 

Mokuba ist ein kluger Junge. Aber auch sensibel. Das war er schon immer. Wenn er also am Morgen hier rein kam und gemobbt wurde - und daran besteht für mich gar kein Zweifel -, dann seinen Spind brennend vorgefunden hat und schließlich für alles die Schuld bekam wird er sich von hier verdrückt haben. Daher geh ich nicht davon aus, dass er sich hier irgendwo versteckt hat. Er ist nicht nach Hause gekommen. Vermutlich, weil er nicht wollte, dass ich mich aufrege oder Sorgen mache. Also wohin würde der Kleine gehen?
 

Schließlich verlasse ich zügig die Schule wieder, steige in mein Auto und fahre los. Ich hab da so eine Ahnung. Nach einer halben Stunde komm ich an der Villa an. Noch immer ist hier die Polizei äußerst aktiv. Scheinbar suchen sie immer noch den Weg durch das Labyrinth unter dem Haus zu dem Fluchttunnel, der in Setos Büro führt.
 

Einer der Beamte will mich aufhalten, doch ich sage ihm, dass diese Villa nur durch meine Zustimmung untersucht werden darf und ich diese auch gerne wieder zurückziehe, wenn er sich mir weiterhin in den Weg stellt. Er telefoniert kurz mit einem Vorgesetzten, dann nickt er und winkt mich durch. Als ich an ihm vorbei gehe richtet er mir einen Gruß von Detective Nagasato aus.
 

Als ich ins Haus komme steuere ich direkt die Treppe in den oberen Stock an. Ich brauch etwas länger, bis ich die Stufen genommen habe und oben muss ich kurz verschnaufen. Als erstes schau ich in die Richtung, in der zuletzt die Zimmer der beiden Jungs lagen, dann in die Richtung, in der das große Regal die Tür zu Gozaburos Schlafzimmer verbirgt. Irgendetwas zieht mich in diese Richtung und als ich am Gangende ankomme sehe ich, dass die Tür zu Setos altem Zimmer einen Spalt offen steht.
 

Langsam öffne ich die Tür etwas weiter und dahinter schlägt mir blankes Chaos entgegen. Die Schubladen sind aus der Kommode gerissen und wurden teilweise an ihr zertrümmert. Textilien wurden zerrissen oder zerschnitten. Die Federn aus den Kissen sind im ganzen Raum zerstreut. Die Decke liegt in einer Ecke. Der kleine Beistelltisch neben einem Sessel wurde ebenfalls gründlich zerlegt.
 

Dann höre ich ein leises Schluchzen. Ich folge ihm zu einer Ecke, die sich hinter einer umgestürzten Topfpflanze verbirgt. Dort sitzt Mokuba zusammengekauert auf dem Boden. Langsam setz ich mich neben den Schwarzhaarigen, lege mein Arm um dessen Schulter und er presst sich augenblicklich fest an mich. Schluchzt lauter und verzweifelter.
 

Er wollte den Ort, an dem sein Bruder einen Teil seines Schmerzes und Leid erfahren hatte, zerstören. Doch Mokuba musste erkennen, dass das seinen Hass auf ihren Adoptivvater kaum schmälert oder irgendetwas besser macht. Aber ich sage nichts zu Mokuba. Bleibe einfach da sitzen und warte ab...
 

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Einen Schritt, der übertrieben ist?

Ich kann es gar nicht erwarten, endlich nach Hause zu kommen. Der Tag war unglaublich anstrengend. Die Blicke meiner Klassenkameraden am Anfang, bis Otogi gefragt hat, ob sie ein Foto von mir haben wollen, denn das würde sich länger halten. Die Kommentare auf den Fluren von Schülern aus der Parallelklasse oder den unteren Jahrgangsstufen. Egal. Ich bin es gewohnt Kommentare über mich zu filtern. Dennoch berührt das einen Teil meines Lebens, den ich nie mit jemand teilen wollte.
 

Doch Katsuya, Otogi und Honda waren stets bei mir und haben die Kommentare entwertet oder den Spötter klar gemacht, dass sie das besser lassen sollten. Es muss sicherlich so gewirkt haben, als ob ich die drei als meine Bodyguards angeheuert habe. Lächerlich. Wenn ich Bodyguards gewollt hätte, hätte ich welche angestellt. Ich hol tief Atem, während ich die Erinnerung an diesen Schultag abschüttle.
 

Als wir in das Haus kommen - unser neues Zuhause - spür ich sofort eine Veränderung. Nur was anders ist kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass etwas anders ist. Wir entledigen uns unserer Schuhe, bevor wir in die Küche aufbrechen. Die Jacke meiner Schuluniform ist gerade von meinen Schultern geglitten, als wir durch die Schwingtür in die Küche kommen und dort Akito und Mokuba sitzen sehen.
 

Was tut Mokuba denn schon hier? Er hat montags doch länger Schule und... hat er geweint? Sofort eile ich zu ihm und auf dem Weg leg ich die Jacke auf die Kücheninsel. Vor ihm gehe ich in die Knie und blicke zu ihm hinauf, während meine Hand über seine Wange streicht. Frage, was los war. Es muss was los sein, sonst wäre mein kleiner Bruder nicht so blass und hätte keine geröteten Augen.
 

Er schlingt seine Arme um mich und presst sich an mich. Fest. Das muss ein ganz schlimmer Tag für ihn gewesen sein und fragend blicke ich zu Akito, der im Anzug vor mir sitzt. Sollte er nicht legere, lockere Klamotten anhaben, um sich zu erholen. Vorsichtig steh ich auf, heb Mokuba hoch und setz mich auf den freigewordenen Stuhl. Dann frag ich Akito was los ist.
 

Akito erzählt mir von Mokubas Morgen. Dem Terror per Whats App, per Sprachnachrichten, per hinterlassene Botschaften auf der Mailbox. Er erzählt mir von den Hänseleien, Sprüchen, Rempler am Morgen. Davon, dass jemand Mokubas Schrank von Innen angezündet hat und von dem Schimpfwort auf der Tür. Berichtet, von dem Hausmeister und dem Direktor.
 

Wut kocht in mir auf. Würde ich nicht in diesem Moment Mokuba auf dem Arm halten, ich wäre aufgesprungen und ... hätte mir den Hausmeister und den Direktor zur Brust genommen. Doch Akito legt eine Hand auf meinen Unterarm, mit dem ich Mokuba an mich drücke, und meint, er habe das geregelt.
 

Wieder schau ich ihn fragend an. Akito erzählt, er habe da noch einen ausstehenden Gefallen beim Bildungsminister gehabt und diesen habe er um die Versetzung des Direktors gebeten. In den hohen Norden. Gleichzeitig habe er darum gebeten, dass ein Sensibilisierungstraining an Mokubas alter Schule durchgeführt wird, sowohl bei den Lehrern, den Angestellten, als auch bei den Schülern.
 

Alter Schule? Damit hat er sofort meine Aufmerksamkeit sicher. Akito nickt und meint, er habe Mokuba von der Schule genommen und möchte mit mir klären, auf welche Schule Mokuba nach den Sommerferien sein laufendes Schuljahr fertig machen soll. Sanft streiche ich Mokuba durch das schwarze, wilde Haar. Eigentlich ist es viel zu lang für einen Jungen in seinem Alter. Aber wir haben auch noch nie darüber gesprochen.
 

Ich bin dankbar dafür, dass Akito mich in die Entscheidung, auf welche Schule Mokuba nach den Sommerferien gehen soll, einbezieht. Im ersten Moment, als ich hörte, dass er ihn einfach so von der Schule genommen hat, fühlte ich mich etwas überrumpelt und übergangen. Doch ich hätte ganz sicher auch so gehandelt, spätestens nachdem ich all das gehört habe.
 

Sanft stemm ich meinen Bruder etwas von mir, so dass ich ihm ins Gesicht schauen kann. Streich ihm die Tränen von der Wange. Lächel ihn sanft an. Dann mein ich, dass wir gemeinsam eine schöne Schule für ihn finden werden, auf der er sich wohl fühlen kann. Doch das scheint Mokuba irgendwie wütend zu machen und er keift mich an, dass das auch nichts ändern wird: Solange wir den Namen Kaiba tragen werden die Leute uns immer mit dem ganzen Scheiß in Verbindung bringen.
 

Er springt von meinem Schoss und rennt aus der Küche. Ich seh ihm nur nach. Manchmal braucht Mokuba einfach einen Moment, um seine Gefühle wieder zu ordnen und das tut er überwiegend mit Bewegung. Aber an dem, was er sagt ist schon was Wahres. Ich blicke zu Akito und er weiß ebenfalls, dass Mokuba Recht hat. Also fragt er mich, ob eine Namensänderung nicht das Richtige sei.
 

Eine Namensänderung? Der Name Kaiba hat in der Tat viel Leid über Mokuba und mich gebracht, aber auch Macht und Geld. Die Öffentlichkeit kennt mich als Kaiba Seto und es gibt zahlreiche Fotos in den Medien von mir. Eine Namensänderung wäre für mich also keine Option. Ich werde mein Leben lang diesen Namen tragen. Diese Tatsache erfüllt mich mit Schmerz und Trauer, denn der Name wird mich auf ewig mit Gozaburo verbinden.
 

Aber für Mokuba... von ihm gibt es nur sporadisch ein paar Bilder in Zeitungen, die über das Niveau der Mittelschüler dieses Landes hinaus gehen. Also wird auf einer neuen Schule Mokuba niemand mit dem Namen in Verbindung bringen. Eine Namensänderung wäre also etwas, was helfen kann. Die Frage ist nur, welchen Familiennamen Mokuba annehmen sollte? Irgendein x-beliebiger Name käme nicht in Frage.
 

Katsuya kommt zu uns. Er setzt mir und Akito eine Schüssel Suppe vor, lächelt mich sanft an und legt seine Hand in meinen Nacken. Meint, dass ich erst einmal etwas essen soll, bevor ich weiter grüble. Ich kann nicht anders, als sein Lächeln erwidern, ihn zu mir zu ziehen und sanft zu küssen. Nachdem wir uns voneinander gelöst haben lächelt er noch breiter und meint, dass er Mokuba holen geht.
 

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Einen Schritt mit Wut

Ich pack das Glas, welches vor mir steht und werfe es mit aller Wucht an die nahe Wand, wo es zerspringt. Die Scherben fallen auf den Boden und der Saft macht ein klatschendes Geräusch, als er auf der Fliese auftrifft. Die Wut schwelt schon seit dem Morgen in mir und jetzt hab ich einfach ein Maß erreicht, an dem sie ein Ventil fordert und ich nichts anderes finde. Wütend blicke ich zu Seto, der mich unberührt mustert und meint, dass ich das nach dem Essen aufräumen werde.
 

Diese förmliche Nicht-Reaktion schürt meine Wut erst recht. Warum... warum kann er mir nicht einfach antworten? Da legt Akito mir eine Hand auf die Schulter und mein Blick schwappt zu ihm. Er sieht erschöpft und blass aus, was meine Wut sofort etwas zurückdrängt und der Sorge um ihn Platz macht. Mit der Wut schwindet auch meine Selbstkontrolle und ich muss weinen.
 

Meine Wut hat mich den ganzen Tag begleitet. Eigentlich schon seit letzter Woche. Da fingen die Nachrichten an. 'Liegt die Perversität in der Familie', 'Stehst auch du auf Sex-Rollenspiele', 'Hey, wie wär es, wenn du mir einen lutschst', 'Schwuchteln sollten alle vergast werden', 'Stirb Schwucki', 'Mokuba, die Tucke', 'Bück dich tief'... es waren unzählige dieser Nachrichten. Am Anfang hab ich noch zurück geschrieben. Gefragt, warum mir sowas geschrieben wird. Ich hab auf die Gegendarstellung am nächsten Tag verwiesen. Doch das hatte keine Wirkung. Es hat noch alles viel schlimmer gemacht.
 

Heute Morgen waren es dann so viele Nachrichten auf einmal, dass ich mein Handy ausschalten musste. Davor hatte es sich drei Mal neugestartet, weil es mit der schieren Masse an Nachrichten nicht zurechtkam. Und in der Schule? Ich hab damit gerechnet, dass sie mich schneiden, beleidigen, anspucken... aber das sie meinen Spind in Brand setzen und der Hausmeister mir dafür die Schuld gibt... das war einfach genug. Ich will gar nicht wissen, was in der Klasse auf mich gewartet hätte.
 

Ich hab versucht meine Wut zu lenken, in dem ich Setos altes Zimmer in der Villa ramponiert habe. Das Zimmer, in dem er so viel Leid ertragen musste. Eigentlich wollte ich in Gozaburos Schlafzimmer, aber das Regal war einfach zu schwer, als das ich es hätte verschieben können. War auch besser so, geht es mir im Nachhinein durch den Kopf. Hätte ich das Regal verschoben und einer der Polizisten hätte es gesehen...
 

Akito fuhr, nachdem er mich dort fand, zurück zu meiner Schule. Auf dem Weg hat er mit jemand telefoniert und als wir ankamen stürmte der Direx direkt aus seinem Zimmer auf uns zu. Er war wütend und wollte mich packen, doch Akito schob sich schützend vor mich und hatte den Direktor nur mit seiner Ausstrahlung zurück gedrängt. Spöttisch hat er ihn gefragt, ob er schlechte Nachrichten erhalten habe. Der Direktor brüllte nur etwas von Versetzung, bevor er in sein Büro zurück stapfte und die Tür zuschlug.
 

Dann hat Akito mich von dieser Schule abgemeldet. Ich weine dieser Schule keine Träne nach, wirklich nicht. Die zwei Jahre, die ich bislang auf dieser Mittelschule war, waren der Horror. Erst war ich meinen Mitschülern zu klug und hab sie schlecht aussehen lassen. Dann war ich ein Heuchler, weil ich mich ihrem Niveau angepasst habe. Schließlich habe ein paar sich mit mir angefreundet, aber immer Gegenleistungen erwartet: Geld, Geschenke, Privilegien durch meine Freundschaft.
 

Aber das Akito mich vorher nicht gefragt hat, hat mich wütend gemacht. Dass er das einfach so über meinen Kopf hinweg entschieden hat. Dann hatte Akito zu mir gemeint, dass für einen endgültigen Schlussstrich auch eine neue Telefonnummer für mich notwendig wäre. Also fuhr er mit mir in die Stadt, schloss einen neuen Vertrag für mich ab, kündigte den alten und kaufte mir das neuste Smartphone, was auf dem Markt war. Dennoch... auch hier hat er mich nicht wirklich gefragt.
 

Seto hat nach Gozaburos Tod auch über mich verfügt, wie es ihm gepasst hat. Hatte Entscheidungen getroffen, die mich betrafen, ohne vorher mit mir mal darüber zu sprechen. Dann begegnete Seto Yugi im Duel Monsters und wurde das erste Mal von ihm besiegt. Danach hatte sich etwas in ihm geändert und er nahm mehr Rücksicht auf mich, bezog mich mehr in alles ein und entschied nichts mehr über meinen Kopf hinweg. Und ich fand das gut. Fand es gut, dass ich mit einbezogen wurde.
 

Deshalb macht mich dieser ganze Tag heute so wütend. Es wurden Entscheidungen getroffen, die mich betrafen, aber keiner hat vorher mal mit mir gesprochen. Akito nicht und Seto auch nicht. Ich komm zum Abendessen und es heißt: WIR haben beschlossen, dass du deinen Familiennamen ändern wirst. Dann wird sich an deiner neuen Schule das Mobbing nicht wiederholen, dass du wegen MIR an deiner alten Schule erdulden musstest.
 

Großzügig. Wirklich sehr großzügig. Aber auch um den Namen Kaiba bin ich nicht traurig. Dieser Name hat nichts als Leid über meinen Bruder gebracht. Unsagbares Leid und Erniedrigung. Aber das Seto diesen Namen weiter behalten möchte, dass geht mir einfach nicht in den Kopf. Also hab ich nachgefragt. Doch da kamen nur lapidare Antworten, wie, dass er älter sei als ich und die Blicke und das Getuschel besser ertragen kann. Dass er eh nur noch dieses Schuljahr machen muss und dann seinen Abschluss in der Tasche hat. Dass ein Namenswechsel bei ihm die Meute der Reporter nicht die Fährte verlieren lässt, im Gegenteil: Wenn er seinen Namen auch ändern würde, würde das Theater um ihn mir wieder auf die Füße fallen.
 

Schon da war ich an der Oberkante des Maßes meiner Wut. Ich verstand die Argumente und dennoch fand ich es ungerecht, dass ich mich mit einem Namenswechsel einfach so aus der Affäre ziehen konnte und er nicht. Hat Seto denn nicht schon genug gelitten? Warum musste er jetzt noch diesen Spießrutenlaufen mitmachen?
 

Also fragte ich, ob ich dann wieder unseren ursprünglichen Familiennamen annehmen werde und von Seto kommt nur ein schlichtes Nein. Ich hab ihn verwundert angesehen und auf eine Erklärung gewartet. Doch da kam keine. Also hab ich eine gefordert. Er sah mich ruhig an und meinte, dass das nicht möglich ist. Danach war ich genauso schlau wie vorher auch. Gibt es da ein Gesetz, dass man einen Namen nur einmal im Leben tragen darf? Aber wenn das so ist, wie ist das bei all den Leuten, die sich scheiden lassen und wieder ihren Geburtsnamen annehmen?
 

Seto hat darauf nicht reagiert. Also hab ich als dramatische Geste das Glas gegen die Wand geworfen... nicht sehr erwachsen, ich weiß, aber ich werde in ein paar Wochen ja auch 'erst' vierzehn.
 

Nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe, die Wut in mir abgeklungen ist und die Tränen aufgehört haben mich bloß zu stellen spricht mich Akito vorsichtig an. Ich blicke zu ihm auf. Vorsichtig, fast als ob er Angst hat, fragt er mich, was ich davon halte, wenn er seinen Familiennamen mit mir teilen würde? Ungläubig blicke ich ihn an. Er ist Setos und mein Vormund, aber das er sogar bereit ist seinen Namen mit uns... mir zu teilen, dass verblüfft mich. Auf einmal ist die Wut verschwunden und ich fühle mich stolz und geehrt. Also fall ich ihm um den Hals. Allerdings werde ich mich an den Klang erst noch gewöhnen müssen: Isono Mokuba.
 

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Einen Schritt, der einem Paukenschlag gleichkommt

Mokuba hat sich nach dem sehr emotionalen Abendessen noch ein wenig in die Bibliothek gesetzt, während Seto und ich ins Wohnzimmer gegangen sind. Dort haben wir es uns auf der Couch gemütlich gemacht und mein Drachen hat sich an mich gekuschelt. Wir zappen ziellos durch die Fernsehlandschaft. Eigentlich zappe ich. Ich glaube mein Drache ist es egal wo wir sind, solange er sich an mich kuscheln kann.
 

Nach einer kleinen Weile sprech ich ihn an und frage ihn vorsichtig, warum er es so vehement ablehnt, dass Mokuba ihren alten Familiennamen annimmt. Seto blickt von meiner Schulter zu mir. Lange. Dann sagt er leise, dass das eben nicht mehr geht. Aber warum geht es nicht? Ich möchte es gerne verstehen.
 

Doch bevor Seto mir erneut antworten kann signalisiert mir mein Handy den Eingang einer Nachricht von Honda. Ich nehme das Telefon, öffne die Nachricht und verstehe auch hier nicht ganz. Aber ich folge Hondas Anweisung und schalte den regionalen Nachrichtensender ein.
 

Schlagartig sitzen Seto und ich senkrecht auf der Couch. Eher unbewusst schreibe ich Akito eine Nachricht, der nach einigen Minuten zu uns kommt. Er ist ein wenig außer Atem und ich hab ein schlechtes Gewissen. Sicherlich hatte er schon in seinem Bett gelegen. Doch das hier... wirkt wichtig.
 

Im Fernseh wird immer wieder im Schriftband wiederholt, dass es eine große Verhaftungswelle durch die gehobenen Schichten Dominos gibt. Namen werden aufgelistet und passend dazu Bilder von den Verhaftungen eingeblendet, die am heutigen Abend erfolgt sind. Über dreißig Männer in gehobenen Positionen wurden verhaftet. Fünf weitere Männer haben Selbstmord begangen. Darunter auch der Polizeichef.
 

Ich verstehe nicht genau, was gerade geschieht. Da klingelt es an der Tür. Den Blick nicht vom Fernseher nehmend stehe ich auf und stolpere zur Tür, wo es erneut klingelt. Als ich an ihr ankomme ist Mokuba schon da und öffnet die Tür. Davor stehen Otogi und Honda. Sie schnattern aufgeregt und deuten auf die Nachrichten auf ihren Handys. Mokuba ist total perplex.
 

Also zieh ich den Jüngsten zu mir und wir gehen alle zurück ins Wohnzimmer, wo die Zahl der Verhafteten auf 33 gestiegen ist. Die Sprecherin berichtet davon, dass bei einer Ermittlung gegen Daimon Kogoro zunächst dessen Anwalt in das Fadenkreuz der ermittelnden Beamtin geriet, der ebenfalls ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Waffenfirma Kaiba Corporation gewesen war.
 

Dieser hat dann zunächst die damaligen Kollegen Otaki Shuzo, seiner Zeit Personalchef bei KC, Ota Soichiro, Ingenieur und Waffendesigner, sowie Oshita Konosuke, rechte Hand von damaligen Geschäftsführer und Firmeninhaber Kaiba Gozaburo ans Messer geliefert. Als diese im Verhör waren seien weitere Namen gefallen.
 

Mokuba und ich setzen uns wieder zu Seto, ich lege ihm einen Arm um die verspannte Schulter, während Mokuba auf seinem Schoss Platz nimmt und von Seto automatisch gehalten wird. Seto blinzelt nicht einmal. Atmet er noch? Wie besessen beobachte ich ihn, ob ich etwas von Atmung sehen kann. Da atmet er ein. Glück gehabt. Dann beginnt eine Träne über seine Wangen zu rollen. Vorsichtig streich ich sie ihm weg. Doch ihr folgt noch eine und noch eine und auf der anderen Seite auch.
 

Akito sitzt auf Setos anderer Seite und auch er hat einen Arm um ihn gelegt. Er wirkt einerseits schockiert, aber andererseits erleichtert. Seto schluckt. Ein weiterer Name wird eingeblendet und die Reporterin berichtet von einem weiteren Selbstmord. Spricht von Menschenhandel, Kinderpornographie, vertuschten Vergewaltigungen.
 

Erst jetzt wird mir klar, dass wir Zeugen werden, wie diese gelangweilte, perverse, kinderschändende Gesellschaft, die hauptsächlich aus Männern bestand, live und in Farbe in sich zusammenbricht. Und diese Kreise beschränken sich nicht nur auf Domino City. Auch in anderen Städten werden Mitglieder dieses elitären Kreises verhaftet. Die Moderatorin hält kurz inne, nachdem ihr eine neue Karte mit Informationen rein gereicht wurde. Dann berichtet sie, dass Japan in mehreren Fällen Fahndungen an Interpol weitergegeben hat, damit Täter aus anderen Ländern ihrer Strafe nicht entgehen.
 

Der Text in der Laufschrift ändert sich und redet jetzt von einem internationalen Menschen- und Pornoring. Seto hat mir erzählt, dass Gozaburo und der Vorstand nicht die einzigen waren, die sich an ihm vergriffen haben. Und als ich Gozaburos Schlafzimmer gefunden habe hab ich zich Namen auf den Akten, Bändern und Dateien gesehen. Aber wirklich realisiert, was das bedeutet, hab ich da nicht. Erst jetzt wird mir die Dimension wirklich bewusst.
 

Wir sitzen einfach nur da und verfolgen die Entwicklungen an diesem Abend innerhalb Japans. Nach einer Stunde berichtet die Frau, dass man Oshita Konosuke in einem Pflegeheim gefunden habe. Sie beschreibt seinen Gesundheitszustand - nichts, was wir nicht schon von Keizo wüssten. Sie vermutet, dass er unter diesen gesundheitlichen Umständen nicht verhandlungsfähig sei.
 

Dann wird ihr erneut eine Karte rein gereicht und sie verliert ihre Fassung. Vor laufender Kamera schlägt sie sich die Hand vor den Mund und ist sichtlich bemüht ihre Gefühle zu beherrschen. Mit brüchiger Stimme berichtet sie, dass man in der Villa von Daimon Kogoro ein Archiv mit zahllosen Bildern und Aufnahmen gefunden habe. Von Kindern. Verschiedenen Kindern. In eindeutigen Posen und Situationen. Mit verschiedenen Männern. Sie spricht sogar von einer Art Kartei, die weitere Namen von mutmaßlichen Mitgliedern dieses Ringes. Dort seien nicht nur Namen und derzeitige Wohnanschriften festgehalten, sondern auch äußerst präzise die Präferenzen dieser Menschen.
 

Seto presst seine Lippen fester aufeinander, während ihm lautlos die Tränen über das Gesicht laufen. Er weiß, dass auch er auf diesen Bildern und Aufnahmen sein wird. Dass er als Opfer benannt werden wird. Das alles nun durch die Presse geschleift und in der Öffentlichkeit aufgehängt wird, was man mit ihm gemacht hat. Absolute öffentliche Bloßstellung.
 

Akitos Telefon klingelt. Er geht ran und grüßt Keizo. Während dem Gespräch nickt er ein paar Mal. Ob ihm bewusst ist, dass Keizo das Nicken gar nicht sehen kann? Akito schaut kurz zu Seto, bevor er 'den Umständen entsprechend' sagt. Langsam steht er auf und verlässt das Wohnzimmer. Otogi nimmt Akitos Platz neben Seto ein und legt einen Arm um meinen Drachen.
 

Nach nur knapp einer Stunde treffen Keizo mit Megumi und Hoshi, sowie mein Dad ein. Akito telefoniert immer noch. Mittlerweile ist es das fünfte Gespräch. Sicherlich regelt er einiges. Immer noch sitzt Seto weinend neben mir, obwohl seine Ruhe mehr als gespenstig ist. Dann klingelt es erneut und über meine Schulter hinweg kann ich sehen, wie Akito Kai herein lässt.
 

Erst gegen drei Uhr beruhigt sich die Berichterstattung. Die Zahl der festgenommenen ist lächerlich hoch, die der Männer, die den Suizid der Bloßstellung vorgezogen haben, mittlerweile zweistellig. Unbewegt sitzt Seto neben mir. Er hat alles stoisch verfolgt, die ganze Zeit geweint und sich sonst nicht bewegt.
 

Akito kommt zurück und kniet sich vor Seto auf den Boden. Nicht ohne Mühe, möchte ich anmerken. Vorsichtig legt er ihm eine Hand auf die Wange. Setos Blick löst sich von dem Fernseher und richtet sich nur langsam auf Akito. Dieser meint, dass Seto jetzt ein wenig Schlaf braucht. Als Seto nichts dazu sagt legt Akito seine Hand auf Setos Brust, als würde er dessen Fassungslosigkeit so spüren könnte. Ruhig und sanft meint Akito, dass Kai Seto helfen kann zur Ruhe zu kommen und etwas zu schlafen. Kai tritt neben Akito und lächelt Seto traurig an.
 

Langsam schiebt Seto Mokuba von seinem Schoss und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. Dann angelt er nach meiner Hand und ich stehe auch auf. Langsam verlässt er mit mir das Wohnzimmer, Akito und Kai folgen uns. Dann bleibt mein Drache noch einmal stehen und dreht sich zu den Menschen, die sich im Laufe des Abends und der Nacht bei uns angesammelt haben. Er dankt ihnen für ihren Beistand und sie sollen sich nicht scheuen eines der Gästezimmer zu nutzen.
 

Als wir wenige Minuten später in unserem Schlafzimmer ankommen setzt er sich auf die Kante unseres Bettes und blickt zu Kai. Der versteht die stumme Aufforderung und kommt zu uns. Ich helf derweil Seto Hausschuhe und Socken auszuziehen und mich mit ihm hinzulegen. Kai schiebt schließlich den Ärmel von Setos Pullover hoch und setzt eine vorbereitete Spritze nach dem Desinfizieren der Stelle an. Vorsichtig injiziert er ihm das Beruhigungsmittel.
 

Mein Drachen rollt sich in meinen Armen ein und dämmert schließlich weg. Was für ein verrückter Tag...
 

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Einen Schritt, der nicht gegangen werden darf

Seto und Katsuya sind vor einer Stunde nach oben gegangen. Ich bin mit Otogi, Honda, Katsuyas Dad, Keizo, Megumi und Hoshi zurück geblieben. Hoshi schläft eng an ihre Mutter gekuschelt, die wiederum Keizo fest im Arm hat. Er ist genauso mitgenommen wie Seto. Auch ihn hat das alles direkt betroffen. Ich bin mir sicher, dass die Täter bei ihm und meinem Bruder sich überschneiden.
 

Ich geh zu ihm und setz mich auf seine freie Seite. Überrascht sieht er mich an. Sicherlich kann er sich noch daran erinnern, wie ich ihm die Vergewaltigung meines Bruders vorgeworfen habe, zu der er gezwungen worden ist. Das wusste ich damals nicht. Seto hat das kurz danach richtig gestellt und ich habe meinen Irrtum verstanden, aber das Verhältnis zu unserem Trainer war von da an anders.
 

Vorsichtig frag ich leise, so dass nur Keizo es hören kann ob Kai ihm auch etwas zur Beruhigung geben soll, damit er schlafen kann. Keizo lächelt mich kurz an und schüttelt den Kopf. Dankt mir aber für das Angebot. Dann biet ich ihm an, dass er mit Megumi und Hoshi nach oben in eines der Gästezimmer mit Doppelbett zurück ziehen kann. Kurz überlegt Keizo, bevor er schließlich nickt, aufsteht und mit seiner Familie nach oben verschwindet.
 

Dann geh ich zu Katsuyas Dad. Ja, ich weiß, er hat einen Namen und er bot mir an ihn ebenfalls beim Vornamen zu nennen, aber zwei Katsuyas ist einer zuviel. Also bleib ich einfach in meinen Gedanken bei 'Katsuyas Dad' und versuche zu vermeiden ihn direkt ansprechen zu müssen. Er schaut zu mir und fragt, ob ich hunger hab und er mir was machen soll. Ich schüttle meinen Kopf und frag, ob er nicht auch ein wenig schlafen gehen möchte. Erst schüttelt er den Kopf, doch dann nickt er. Scheinbar ist er auch schon ziemlich lang auf den Beinen. Also sag ich ihm, welches der Gästezimmer mit einem großzügigen Einzelbett bestückt ist und auch er zieht sich zurück.
 

Schließlich geh ich zu Honda und Otogi. Sie lächeln mich traurig an, ziehen mich zu sich und umarmen mich erst einmal. Ich umarme sie zurück. Es fühlt sich unglaublich gut an in den Arm genommen zu werden. Als wir uns von einander lösen frag ich sie, ob sie nicht auch eines der Gästezimmer haben möchten. Doch die beiden schütteln den Kopf und verweisen darauf, dass Otogi etwas die Straße runter wohnt und es nur ein Weg von knapp zehn Minuten ist.
 

Eigentlich schade. Ich hab es gern, wenn viele Menschen im Haus sind. Das steht in so einem krassen Gegensatz zu den Jahren seit der Adoption, als ich mich in dem großen Herrenhaus so verloren gefühlt habe. Sanft streichelt mir Honda über die Wange und ich schau ihn mit großen Augen an, bevor ich noch einmal meine Arme um seinen Nacken schling und mich fest anschmiege. Sofort nehmen die beiden mich wieder in die Arme und halten mich ein wenig.
 

Aber jeder schöne Augenblick ist mal zu Ende und so stehen die beiden schließlich auf, verabschieden sich mit den Worten, dass sie nur einen Anruf oder eine Textnachricht entfernt sind. Ich nicke, bring sie zur Haustür und lasse sie hinaus. Für einen Moment schau ich ihnen hinterher, wie Otogi seinen Arm um Hondas Hüfte schlingt und Honda seinen Arm um Otogis Schultern legt.
 

Ich hätte auch gerne jemand, mit dem ich mich so verbunden fühlen kann. Jemand der mich um meiner Selbst liebt und nicht weil ich Kaiba heiße oder Geld hab. Akito und Kai sitzen in der Küche am Tisch und erzählen leise, als ich zu ihnen gehe. Sie verstummen und schauen mich an. Ich lächle nur kurz, geh zum Kühlschrank und hol mir noch was zum Trinken. Nachdem ich Akito, der seinen Familiennamen mit mir teilen möchte, einen Kuss auf die Wange gegeben habe verlasse ich die Küche und steige die Treppe hinauf.
 

Vor meinem Zimmer bleib ich noch einmal stehen, entschließe mich dann aber noch bei Seto und Katsuya vorbei zu schauen. Das Zimmer liegt in gedämpften Licht dar. Seto bekommt Panik, wenn er wach wird und alles dunkel ist. Deshalb ist immer Licht an. Leise geh ich zum Bett: Mein großer Bruder liegt zusammengerollt eng an Katsuya. Der Streuner und der Drache.
 

Plötzlich werde ich an der Hand, mit der ich Seto sanft über die Wange gestrichen habe, berührt und erschrecke. Katsuya lächelt mich sanft an und entschuldigt sich für den Schreck. Ich grins zurück und wink ab. Seto schläft weiter und hat nichts davon mitbekommen. Gut so. Er braucht diesen Schlaf jetzt einfach, um wieder Kraft zu tanken. Katsuya streicht mir vorsichtig über meine Wange.
 

Kurz bin ich geneigt meine Augen genießerisch zu schließen, doch dann ruf ich mir in Erinnerung, dass Katsuya so etwas wie mein Bruder ist... oder praktisch mein Schwager. Also richte ich mich ein wenig auf, so dass er mich nicht mehr berühren kann und bereue es, weil ich sofort seine Finger auf meiner Haut vermisse. Was ist nur mit mir los? Nicht schon wieder... hab ich diese Gefühle nicht längst überwunden?
 

Dann fragt mich Katsuya, ob er einen Schluck von meiner Flasche nehmen darf. Ich reich sie ihm ohne mir was dabei zu denken, öffne ihm vorher aber noch den Deckel. Er nimmt einen Schluck und reicht sie mir dankend zurück. Schließlich meint er zu mir, dass ich schlafen gehen soll. Ich nicke, verlasse leise das Zimmer der beiden und wechsle in meines.
 

Als ich mich auf die Kante meines Bettes setze hab ich immer noch die geöffnete Flasche in der Hand. Die Flasche, aus der Katsuya eben getrunken hat. Seine Lippen haben diese Öffnung berührt. Langsam führe ich sie zu meinen eigenen Lippen. Wenn ich jetzt meine darauf lege, dann ist es fast so, als ob Katsuya mich küssen würde. Doch ich zögere. Ich steh noch einmal auf, geh in mein Badezimmer und kippe den Inhalt der Flasche weg, schraub den Deckel auf sie und schmeiß sie in meinen Papierkorb.
 

Katsuya gehört zu Seto und ist tabu. Ich weiß nicht, wo diese Gefühle auf einmal her kommen, aber ich werde sie nicht zulassen oder ausleben. Nicht einmal in so einer flüchtigen Fantasie, wie eben. Seto hat Glück verdient und Katsuya liebt Seto abgöttisch. Wer bin ich, dass ich meinem Bruder sein Glück streitig mache?
 

Ich lasse mich auf mein Bett fallen, roll mich zusammen und auf einmal muss ich weinen. Aber ich weiß gar nicht warum ich weinen muss. Liegt es an den Ereignissen der vergangenen Stunden? Weil sie Seto so zugesetzt haben? Oder... liegt der Grund darin, dass ich mich selbst betrauere, weil ich diese Gefühle habe, die ich niemals jemanden erzählen darf?
 

Schließlich dämmere ich weg und meine Gedanken verlieren sich in der Morgendämmerung...
 

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Einen Schritt durchhalten

Seto versucht sich nach außen nichts anmerken zu lassen. Er geht stolz erhobenen Hauptes über den Schulhof. Ignoriert die Blicke. Überhört das Flüstern in den Gängen, dass kurz verstummt, wenn wir passieren. Die eine Hälfte unserer Mitschüler ist einfach nur schockiert darüber, was in den letzten Tagen alles ans Licht gekommen ist. Auch über Seto. Die andere - überwiegend Mitglieder aus irgendwelchen testosterongeschwängerten Sportclubs lassen uns Bezeichnungen wie 'Stricher', 'Callboy' oder 'Schlampe' deutlich hören, bevor sie lachend davon stieben.
 

Ignorante Arschlöcher. Wie können sie nach allem, was nun in der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist, noch sowas von sich geben. Plötzlich tritt ein sportlicher Typ in unseren Weg. Warte, sein Name ist... keine Ahnung. Er gehört zum Baseball-Club. Wir bleiben stehen und er mustert Seto ausgiebig. Dann fragt er ihn, ob ihm dass, wozu er 'angeblich' gezwungen wurde so gut gefallen hat, dass er jetzt freiwillig mit mir weiter macht.
 

Seto schaut ihn stumm an. Der Typ vor uns versucht ihn weiter zu provozieren und fragt, ob er ihm nicht auch mal einen blasen kann. Ich presse meine Zähne fest aufeinander. Ich will diesen Typen ungespitzt in den Boden rammen, doch Seto hat mich bereits gestern gebeten nicht zu reagieren. Hat mir erklärt, dass es für ihn wichtig ist, dass er die Leute überzeugt, dass er sich selbst behaupten kann. Ich hab es nicht ganz verstanden, aber es ist Seto wichtig, also erfüll ich ihm diesen Wunsch, auch wenn es nicht leicht ist.
 

Mr. Baseball-Club wendet sich auf einmal mir zu, beugt sich ein wenig an Seto vorbei und meint, dass Seto mich wohl an der ganz kurzen Leine hält oder ich es ganz ähnlich sehen muss, wenn ich nicht widerspreche. Auf einmal, ohne dass ich sagen kann, wie, liegt der Arsch schon auf dem Boden und Seto schaut ihn abschätzig von oben herab an. Dann steigt er über ihn und zieht mich einfach mit.
 

Erst nach und nach verstehe ich, dass Seto gerade eine Technik aus dem Jiu Jitsu angewandt hat, um Mr. Baseball-Club zu Boden zu schicken. Eine einfache Wurftechnik. Sie richtet keinen Schaden an. Sie dient eigentlich als eine Art Warnung, wenn ein Angreifer mit Schwung auf einen zukommt und man mit einem Schritt ausweichen kann. Und diese Warnung ist bei Mr. Baseball-Club angekommen. Vor allem weil die umstehenden Schüler erst perplex sind und dann über den Arsch lachen müssen. Er rappelt sich hastig auf und rennt fort.
 

Obwohl Seto ruhig geht und kontrolliert wirkt, spüre ich an seiner Hand, die mit meiner verschränkt ist, wie unruhig er ist. Sie ist schweiß-feucht und zittert unmerklich. Aber genug, damit ich es wahrnehme. Jetzt mit ihm auf die Toilette zu verschwinde könnte die Gerüchte und boshaften Kommentare nur noch weiter anfachen. Aber ich muss ihm irgendeine Möglichkeit geben kurz seine Maske abzulegen und sich neu zu sammeln.
 

Plötzlich schließen Honda und Otogi zu uns auf. Keine Ahnung, wo die auf einmal herkommen, aber ich merke, dass sie erkennen, in was für einer Situation Seto ist. Also drängen sie uns wortlos bei der nächsten Gelegenheit vom Gang in einen abgehenden Teilgang, der vor einer Tür endet. Seto schaut uns unsicher an, dann öffnet Otogi die unverschlossene Tür, hinter er eine Treppe nach oben führt.
 

Ist das ein Zugang zum Dach? Wie viele davon gibt es eigentlich? Egal. Sanft zieh ich Seto mit mir die Treppe hoch, während Honda ruft, dass sie drauf achten, dass uns keiner stört. Oben umschmeichelt uns die kühle Morgenluft sofort. Sanft lege ich meine Hände an Setos Wangen, der sich dem sofort entziehen möchte, wobei mir das eher wie die Abwehrreaktion nach einem Albtraum vorkommt. Also zieh ich ihn näher an mich und tatsächlich gibt er seinen Widerstand direkt wieder auf, legt seinen Kopf auf meine Schulter, während er mich fest umarmt.
 

Ich weiß nicht, wie lange wir da oben standen. Als wir wieder runter kommen stehen Honda und Otogi aber immer noch stoisch vor der Tür und passen auf. Seto dankt ihnen und Otogi grinst, während er meint, dass es nichts gibt, wofür Seto ihnen danken muss. Als wir in die Klasse kommen werden wir von allen erst einmal gründlich gemustert, genau wie am Vortag. Wir gehen zu unseren Plätzen, während sie uns weiter beobachten. Keiner sagt etwas und ich finde das schon fast unheimlich. Doch gerade als Seto was sagen will kommt der Lehrer rein und beginnt ungerührt mit dem Unterricht.
 

Der Unterricht verläuft ohne Zwischenfälle und als es zur Mittagspause läutet schieben wir unsere Tische wieder zusammen, wie wir es jeden Mittag tun. Dabei fällt mir auf, dass niemand der anderen aus unserer Klasse das Zimmer verlässt. Normalerweise streben sie doch sonst sofort hinaus. Die ganze Situation ist mir trotz unserer Freunde, die zu uns stehen, unheimlich. Es wirkt, als würden die anderen unserer Klassenkameraden, etwas planen oder erwarten oder...
 

Auf einmal kommt Mr. Baseball-Club mit drei weiteren Freunden - allesamt im Baseball-Trikot - herein. Scheiße. Ich hätte mir denken können, dass so ein Alpha-Männchen eine Demütigung, wie am Morgen, nicht einfach hinnehmen wird. Aber dieses Mal werde ich mir nichts gefallen lassen. Wenn diese Drecksäcke Ärger wollen, dann sollen sie nur kommen. Ist zwar schon länger her, dass ich eingesteckt und ausgeteilt habe, aber sowas verlernt man nicht. Seto, ich und unsere Freunde stehen auf.
 

Doch bevor die vier auch nur zwei weitere Schritte gehen können schiebt sich auf einmal unser Klassensprecher vor sie. War klar, dass sie sich mit den Pfeifen verbünden. War es das, worauf die anderen in der Klasse die ganze Zeit gewartet haben? Haben sie sich echt mit diesen Typen zusammen getan, um sich gegen Seto zu stellen? Wieso... wieso verstehen sie einfach nicht, dass...
 

Noch bevor ich meinen Gedanken zu Ende bringen kann erhebt der Klassensprecher das Wort. Bittet die vier Sportclub-Mitglieder den Raum wieder zu verlassen. Die vier Baseball-Spieler lachen nur und wollen sich an ihm vorbei schieben. Da treten drei Jungs aus unserer Klasse rechts neben den Klassensprecher, während zwei Mädchen sich links positionieren. Verwirrt mustern die Sportler unsere Klassenmitglieder und ich kann es ihre Verwirrt gut nachvollziehen. Was geht denn jetzt ab?
 

Einer, der zwei Reihe vor uns sitzt steht auf und ruft, dass die Sportler hier unerwünscht sind. Genau wie jeder andere, der ein Mitglied dieses Klassenverbands als Opfer für stupides Mobbing auserkoren hat. Die stellvertretende Klassensprecherin steht auch auf und zitiert in abgewandelter Form einen Spruch: Was man einem von ihnen tut, tut man allen an. Stammt die Vorlage dafür nicht aus diesem Buch der Christen?
 

Verdaddelt mustern die vier jene, die sich von ihren Plätzen erhoben und sich ihnen entgegen stellen. Und es werden von Augenblick zu Augenblick mehr, bis alle außer unserer Clique stehen. Langsam stolpern die Sportler rückwärts zurück zur Tür. Scheinbar haben sie nicht damit gerechnet, dass die gesamte Klasse sich hinter und vor allem vor Seto stellen würde. Um ehrlich zu sein, hab ich selbst nicht damit gerechnet.
 

Nachdem die vier aus dem Zimmer sind schließt der Klassensprecher die Tür wieder, dreht sich zu uns und lächelt freundlich. Dann setzen sich alle wieder hin, als wäre nichts gewesen, verfallen in ihre Gesprächen und essen zu Mittag. Mein Drache ist fassungslos. Auch er hat nicht damit gerechnet, dass sich Leute, die vor ein paar Monate noch ein Problem damit hatten, dass er mit mir zusammen ist, sich plötzlich geschlossen hinter ihn stellen. Er ist mehr als gerührt, auch wenn er versucht die Fassung zu wahren.
 

Vorsichtig küss ich ihn, bevor wir uns schließlich wieder hinsetzen.
 

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Einen Schritt, um zu entlasten

Mit einem Lappen geh ich noch einmal über die Arbeitsfläche in dieser großartigen Küche. Alle Spuren des Frühstückes sind beseitig, das Geschirr abgewaschen, das Besteck wegsortiert und alles glänzt wieder. Der perfekte Moment um mit den Vorbereitungen für das späte Mittagessens oder des frühen Abendessens anzufangen.
 

Sicherlich sind die Jungs völlig fertig, wenn sie heute nach Hause kommen, genauso wie gestern und vorgestern. Dann sollen sie was Gutes zu essen bekommen, dass ihre Batterie wieder auflädt. Mokuba meinte vorhin zu mir, dass die 'Clique' - die Freunde meines Sunnyboys - mitkommen würden. Also muss ich etwas mehr vorbereiten, so dass die Jungs sich einen schönen Abend machen können.
 

Schrecklich wie sich die Welt gewandelt hat. Damals... als ich vor Gericht stand, weil ich Katsuyas Vergewaltiger kastriert und erstochen habe, hatte die Presse noch den Anstand ein Kind nicht ins Rampenlicht zu zerren. Sie hielten mein tatsächliches Motiv aus den Medien heraus. Doch wenn ich ehrlich bin war meine Tat ohnehin kaum eine Meldung wert. Da waren die sich im Revierkrieg befindliche Yakuza interessanter. Zum Glück.
 

Doch heutzutage werden kindliche Opfer ins mediale Spektakel reingezogen und ausgeschlachtet. Sie werden präsentiert und bloßgestellt. Scheinbar ist der Schutz unserer Kinder kein erstrebenswertes Ziel mehr. Doch diese Detective hält ihren Daumen auf dem Bildmaterial. Das hindert die Zeitungen und Klatschjournalisten jedoch nicht Details, die ihnen von 'Quellen' berichtet werden, zu schreiben. Widerlich. Wenn nur die Hälfte von dem, was dort beschrieben wird, tatsächlich wahr ist... ich bin so schockiert über diese systematische Grausamkeit, anders kann ich das nicht nennen.
 

Ich wusste, dass der gute Junge missbraucht wurde. Von seinem Adoptivvater und 'anderer'. Einer dieser 'anderen' hatte es vor ein paar Monaten tatsächlich gewagt sich ihm auf beruflicher Ebene wieder anzunähern, was zu einem Zusammenbruch des Jungens führte. Dann hat er auf einem Benefitsevent versucht sich seiner zu bemächtigen, was durch das Auftauchen eines Freundes von Seto vereitelt wurde. Schließlich ist er vorige Woche in das große Herrenhaus eingebrochen und hat es erneut versucht. Nur einem glücklichen Umstand war es zu verdanken, dass er nicht bis zum Äußeren gehen konnte.
 

Meine Hand ballt sich um den Griff des Löffels, mit dem ich durch die Brühe rühre, die ich aufgesetzt habe. Dieser widerliche Drecksack. Wäre ich hier gewesen hätte sich die gute Detective die Mühe sparen können ihn zu verhaften. Mir werden meine Wut und Gedanken gerade bewusst und ich lasse den Kochlöffel los, trete zwei Schritte vom Herd, schließe die Augen und atme ein paar Mal durch.
 

Nein, so ist es besser. Vergeltung hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, auch wenn Seto mich für das, was ich Katsuyas Vergewaltiger angetan habe, einen Helden nennt. Doch die Gesellschaft muss Recht sprechen, muss sehen, was alles dahinter steckt... wer weiß, vielleicht rettet das andere Kinder, die durch die gleiche Hölle gehen. Gibt anderen Überlebenden den Mut aufzustehen und sich zu melden.
 

Da höre ich, wie die Haustür geöffnet wird. Wenige Momente später kommt Herr Isono herein, bleibt überrascht stehen und mustert mich. Ich grüße ihn höfflich, dann kommt er die paar Schritte zu mir rüber. Er grüßt mich zurück und fragt, was es denn geben wird. Ich erkläre ihm meinen Plan für das Essen und er lächelt dankbar. Meint dann aber auch, dass ich nicht immer kochen muss, sondern auch einfach so hier sein kann. Immerhin sei ich Katsuyas Vater.
 

Ich lächle und erklär ihm, dass ich das Kochen brauche, damit ich nicht losgehe und etwas Dummes tu. Sein Lächeln mildert sich ab und sein Blick wird trauriger. Nach allem was ich bislang erfahren habe weiß ich, dass Herr Isono damals nichts tun konnte. Ihm waren die Hände gebunden und so konnte er nur für den Jungen da sein. Und das Seto nicht alleine war, als er durch diese Hölle ging, dafür bin ich ihm dankbar.
 

Verwundert blickt mich der Geschäftsmann an und dankt mir dann für die 'netten' Worte. Sie sollten nicht nett sein, sie sind ehrlich. Ich schau den jüngeren Mann an und sehe, wie erschöpft und ausgelaugt er wirkt. Also schick ich ihn an den Tisch, sich hinsetzen. Schnell koch ich Wasser auf und brühe einen aromatischen Tee auf. Dann nehm ich davon zwei Tassen zum Tisch, stell eine vor Herrn Isono und setze mich mit der zweiten zu ihm.
 

Vorsichtig frag ich ihn, wie es ihm geht. Er lächelt schwach und meint, dass alles bestens sei. Doch ich spüre, dass das eine Lüge ist. Ich tadel ihn und sag ihm, dass nur wir zwei Väter hier sind. Wenn wir unter uns sind, können wir über alles miteinander reden, was unsere Söhne nicht wissen brauchen. Überrascht schaut er zu mir und schluckt. Dann führt er seine Fingerspitzen zu seiner Brust und sagt mir, dass angeschossen zu werden nicht förderlich für die Gesundheit ist.
 

Etwas perplex schau ich ihn an, bevor ich zwei, drei Mal blinzel. Ich möchte schon zu einer Erwiderung ansetzen, als er aus seinem Jackett eine kleine Dose mit Pillen zieht und sie vor mich auf den Tisch stellt. Ich nehm sie auf und betrachte das Etikett, dass auf Herrn Isono ausgestellt ist. Herztabletten.
 

Fragend blick ich zu ihm und er erklärt mir, dass sein Herz nach dem Schuss auf ihn mehrfach stehen geblieben war und die wiederholte Reanimation sein Herz geschädigt hat. Ob das ein dauerhafter Schaden ist oder sich wieder zurückbilden wird weiß er noch nicht. Sein Hausarzt habe ihm geraten sich vorerst von allem Stress fernzuhalten. Dann lacht Herr Isono trocken und bitter auf.
 

Dieser Mann hat aber auch in letzter Zeit kein Glück. Erst wird ein Killer auf ihn angesetzt, der ihn anschießt. Dann der Kampf um sein Leben. Die Sorge um die Sicherheit seines Sohnes und nun... die mediale Aufmerksamkeit auf Grund dieses in sich zusammenbrechenden Menschenhändler- und Pornoringes.
 

Wenn ihm niemand helfen wird, dann wird Herr Isono untergehen und damit ist mein Entschluss getroffen. Ich werde in den nächsten Wochen hier bleiben und ihn entlasten. Er muss sich erholen und gesund werden. Herr Isono möchte schon aufbegehren, doch ich schieb nur ein 'für ihre Söhne' hinterher. Sofort erstirbt sein Vorhaben und lässt meine Worte sacken. Dann nickt er und meint, wenn ich nun für die nächsten paar Wochen schon hier wohne, soll ich ihn Akito nennen.
 

Ich grinse ihn an und nehme sein Angebot gerne an.
 

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Einen Schritt, um fast in Panik zu verfallen

Ich bin wie erstarrt. Wieder hab ich was gehört, was nicht für meine Ohren bestimmt gewesen ist. Ganz ehrlich: Ich wollte nicht lauschen. Aber schnell genug reagiert hab ich auch nicht. Und nun?
 

Nun weiß ich, dass Akito Herzprobleme hat. Sogar Medikamente dagegen nehmen muss. Er sich von Stress fern halten muss. Aber wie soll das gehen? Und was geschieht, wenn er das nicht kann? Wird er dann sterben? So viele Gedanken stürmen auf einmal meinen Kopf. Die Angst, dass Akito doch noch sterben kann flutet mich.
 

Plötzlich geht die Küchentür auf und Akito blickt mich überrascht an. Sofort erkennt er, dass ich es weiß und sein Blick wird traurig. Ich rechne schon damit, dass ich eine Standpauke bekomme, weil ich gelauscht habe, auch wenn ich es gar nicht wollte. Doch stattdessen zieht er mich sanft an sich und drückt mich an seine Brust. Streicht mir väterlich durch das Haar.
 

Ich kann nicht anders als meine Arme um ihn zu schlingen und ihn fest zu halten. Wann immer ich mir überlegt habe, wie die Zukunft aussehen kann war da Akito. Seto. Katsuya. Die anderen. Das einer davon nicht mehr da sein könnte... gestorben sein könnte. Das treibt mir die Tränen in die Augen.
 

Als ich endlich aufhöre zu weinen blick ich zu Akito auf und stell fest, dass er irgendwann mit mir ins Wohnzimmer gegangen ist und sich mit mir hingesetzt hat. Sicherlich war es ihm zu anstrengend zu stehen. Ich bereite Akito den Stress, den er doch jetzt meiden soll und das treibt mir wieder die Tränen in die Augen.
 

Er lässt mich weinen. Streicht mir über den Rücken, durchs Haar, hält mich fest. Wartet geduldig, bis meine Tränen wieder versiegen. Mit geröteten Augen blick ich ihn an. Doch er lächelt mich nur vorsichtig an und streicht mir die Feuchtigkeit, die auf meinen Wangen zurück geblieben ist, weg. Schiebt eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
 

Dann erklärt er mir, dass sein Herz einfach in letzter Zeit mehr gearbeitet hat, als gut für es war und es nun etwas überarbeitet ist. Es muss einfach zur Ruhe kommen und sich erholen, nur dass man es nicht einfach abschalten kann. Daher hat Doktor Akari ihm zu weniger Stress geraten. Aber wird auf keinen Fall einfach tot umfallen und ich brauch keine Angst haben.
 

Ich stammel ein Aber und will auf die aktuelle Situation hinweisen. Doch Akito schüttelt den Kopf und beruhigt mich damit, dass wir das alles schon geschaukelt bekommen werden. Er muss ja nur durchhalten bis Ferien sind, dann möchte er mit uns wegfahren. Fragend mustere ich ihn. Sein Schmunzeln wird breiter und er sagt, dass er das nicht alleine bestimmen wird. Wir werden uns als Familie zusammen setzen und überlegen wohin wir fahren. Hauptsache weg aus der Stadt und von all dem Trubel.
 

Die Frage, warum wir nicht sofort wegfahren können, beantwortet er damit, dass Seto und Katsuya noch Schule haben und selbst, wenn er sie für die letzten Schulwochen vor den Ferien entschuldigen würde, sie doch echt viel verpassen. Über Seto macht er sich keine Sorge, fügt er hinzu, aber... den Rest ergänze ich: Katsuya. Er könnte abgehängt werden, hatte er bislang doch ohnehin eher so mittelausreichende Noten. Ich verstehe und nicke nur. Akito hat Recht.
 

Aber, wende ich ein und blickte Akito streng an. Er schaut mich verwirrt an. Ab heute werde ich ihm helfen und er soll mich einspannen. Immerhin hat er mich von der Schule genommen und bis nach den Sommerferien muss ich nicht mehr lernen. Er bedenkt mich mit einem kritischen Blick, doch dann schmunzelt er. Natürlich weiß er, dass meine Noten nicht mein Können wiederspiegelt. Weiß, dass ich mich bislang in der Schule bei Arbeiten und Benotungen zurück gehalten habe.
 

Also ernennt er mich zu seinem Assistenten und ich strahl ihn glücklich an. Endlich darf ich jemand helfen. Endlich mich nützlich machen. Daher frage ich auch gleich, womit wir anfangen? Mit der Firma? Soll ich mich in irgendwas einarbeiten? Doch Akito schüttelt nur den Kopf. Verwundert seh ich ihn an und er meint, dass Fuguta sich in den letzten Monaten zu einem hervorragenden Stellvertreter gemausert hat. Um die Firma soll ich mir keine Sorgen machen.
 

Etwas fassungslos blick ich ihn an. Fuguta? Stellvertretender Geschäftsführer? Akito fragt mich, was mich daran so verwundert. Immerhin habe Fuguta auch Betriebswirtschaft studiert und ist seit fast vier Jahren im Unternehmen. In dieser Zeit war er seine rechte Hand, so wie er selbst Setos rechte Hand gewesen sei. So versichert mir Akito, dass die Firma in den besten Händen ist und das bei wichtigen Entscheidungen er alles so aufbereitet, dass wir uns schnell und einfach ein Bild von der Sachlage machen können.
 

Ich beäug ihn kritisch und frage, was dann noch für mich übrig bleibt? Wann soll ich denn endlich das Handwerk lernen, das Seto in meinem Alter schon beherrschen musste? Akito zieht mich wieder in seinen Arm und meint, dass das eben der Unterschied ist. Seto musste das lernen, ich nicht. Dennoch hab ich das Gefühl, dass ich auch meinen Teil dazu beitragen muss.
 

Akito meint, er habe eine Aufgabe, bei der ich ihm helfen soll. Mit großen Augen seh ich ihn an und frag mich, was er damit meint. Dann bittet er mich seinen Laptop aus seinem provisorischen Zimmer hier unten zu holen. Ich nicke, spring auf und laufe in das Zimmer, in dem das Krankenbett frisch gemacht dasteht. Die Geräte laufen im Leerlauf oder im Standby oder wie man das nennt.
 

Egal. Ich schnapp mir den Laptop und eile zurück zu Akito. Ich lass mich neben ihn auf die Couch fallen und er lässt sich sein Laptop von mir geben. Er klappt ihn auf und als er den Browser öffnet erkenn ich sofort, um was es geht: Von verschiedenen Schulen in der Stadt sind Homepages auf. Nicht was ich mir vorgestellt habe, aber wenigstens wird diese Entscheidung nicht einfach über meinen Kopf hinweg entschieden. Also schauen wir uns gemeinsam die Schulen an. Dabei zieht mich Akito wieder in seinen Arm und wir reden gemütlich über alles.
 

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Einen Schritt von einer Überraschung zur anderen

Eigentlich möchte ich nur noch in unser Bett. Die letzten drei Schultage haben mich doch mehr Kraft und Energie gekostet, als ich mir eingestehen möchte. Wegen dem Medienrummel wollt ich mich erst am letzten Schultag bei der Polizei einfinden und eine Anzeige mit detaillierter Aussage erstatten. Denn von Anfang an hab ich damit gerechnet, dass es jemand geben wird, der mich an die Presse verraten würde.
 

Doch das Thema Victim blaming hab ich erst durch Kai auf den Schirm bekommen und wie es aussieht hat er Recht. Die Presse und die Öffentlichkeit scheinen das wie die Big Five zu sehen und mir die Schuld an allem, was geschehen ist, zu geben. Als ob ich das alles gewollt habe. Das macht mich wütend und gleichzeitig so betroffen. Wie oft hab ich in den letzten drei Tagen den Leuten ins Gesicht schreien wollen, dass ein Kind sich so etwas nicht wünscht. Aber was hätte das schon gebracht?
 

Das führt meine Gedanken zur Mittagspause zurück. Das Tanaka, der mich am Morgen versucht hat zu provozieren, plötzlich mit Freunden aufgetaucht ist, hat mich nicht überrascht. Ich hab damit gerechnet. Er ist nicht der Typ, der so eine Demütigung, von einem Nerd auf die Matte geschickt zu werden, hinnimmt.
 

Aber die Reaktion unserer Klasse... damit hab ich nicht gerechnet. Das auch nur einer aufsteht und sich den Baseballern in den Weg stellt... und dann die ganze Klasse geschlossen...? Aber jetzt, wo ich darüber nachdenke fällt mir auf, dass die anderen Klassenmitglieder schon am Mittwoch und gestern nicht wie gewohnt in die Pause sind.
 

Plötzlich schiebt sich Yugi in mein Sichtfeld und ich blinzel ein paar Mal, als ich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart wechsle. Er lächelt mich auf seine ganz eigene Art an, die mich früher so gestört hat. Voller Optimismus und Unschuld. Aber mittlerweile hab ich diese Art akzeptiert. Hab mittlerweile gelernt, dass Yugi einfach so ist. Und irgendwie beneide ich ihn ein wenig darum.
 

Er fragt mich, ob alles in Ordnung ist und ich nicke. Sag ihm nur, dass ich etwas müde bin. Noch etwas, was ich früher vor ihnen nie zugegeben hätte. Aber mittlerweile fühle ich mich in diesem Kreis sicher und wohl. Sonst hätte ich ihnen nie von mir erzählt. Und keiner von ihnen - nicht einer - hat sich mir gegenüber verändert oder begonnen sich anders zu verhalten auf Grund meiner Offenbarung.
 

Der Wagen hält und wir steigen aus. Als wir ins Haus kommen schlägt uns ein unglaublich guter Geruch entgegen. Wir schlüpfen aus unseren Schuhen und beschließen, uns erst einmal umzuziehen, damit wir nicht weiter in der Schuluniform rumrennen. Also gehen wir hoch und verteilen uns auf die Zimmer. Katsuya und ich in unser Schlafzimmer, Yugi, Ryou, Honda und Otogi auf die Gästezimmer. Dabei fällt mir auf, dass nicht nur Honda und Otogi in einem Zimmer verschwinden, sondern auch Yugi und Ryou.
 

Nach zehn Minuten treffen wir uns wieder an der Treppe. Am liebsten wär ich in unser Bett gefallen, aber mein Streuner besteht darauf, dass ich erst etwas esse. Und er hat Recht. Ich hab - dadurch, dass ich in der Mittagspause nichts runter bekommen habe - durchaus Hunger. Aber für mich war essen nie etwas, was ich priorisiert habe. Schlafen dagegen schon. Noch so eine Sache, die sich geändert hat.
 

Als wir in der Küche ankommen seh ich Katsuyas Vater, der uns herzlich begrüßt. Katsuya geht zu ihm und die beiden umarmen sich. Auch darauf bin ich ein wenig neidisch. Ich mein, Akito war immer für uns da und kommt einem Vater am Nächsten. Nein, nicht am Nächsten. Er ist unser Vater. Aber so etwas, wie Umarmungen, gibt es zumindest zwischen mir und ihm nicht. Unser Verhältnis war immer eher reserviert und ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich konnte seine väterliche Nähe bislang nicht zulassen.
 

Da kommt Katsuyas Vater auf mich zu und zieht mich in eine Umarmung. Überrascht schau ich zu meinen Streuner, der nur sanft lächelt und mir zunickt. Unsicher erwidere ich die Umarmung schließlich und genieße den Augenblick. So fühlt sich also väterlichem Schutz und Geborgenheit an? Wieder spüre ich in mir, dass ich das gerne mit Akito erleben würde. Doch ich weiß nicht, wie ich das zwischen uns in diese Richtung lenken soll.
 

Als Jonouchi-san und ich uns voneinander lösen seh ich, wie die anderen um uns stehen und staunen. Sie haben wohl nicht damit gerechnet, dass ich die Umarmung dulden würde. Sie können ja nicht wissen, dass ich schon heulend bei dem Mann Schutz gesucht habe. Das werden sie auch nie erfahren. Jonouchi-san fragt schließlich, wie es in der Schule war und ich möchte schon abwinken, als Yugi aufgeregt beginnt zu erzählen.
 

Noch bei Yugis erstem Satz kommen Mokuba und Akito in die Küche. Mokuba kommt sofort zu mir und umarmt mich fest. An der Art, wie er mich umarmt, merk ich sofort, dass etwas nicht mit ihm in Ordnung ist. Doch dann lauscht er aufmerksam Yugis Erzählung, der auch Akito folgt, der langsam zu uns aufschließt und eine Hand auf meine Schulter legte. Das ist wohl - gerade nach unserem Zerwürfnis vor fast zwei Wochen - das Höchstmaß an körperlicher Zuwendung.
 

Als Yugi zur Mittagspause kommt ist Akito erstaunt von dem, was er hört. Er kommentiert, dass er so viel Taktgefühl und Solidarität in der heutigen Zeit gar nicht von unseren Mitschülern erwartet hätte. Honda meint ruhig, dass am Dienstag, als Jonouchi und ich nicht in der Schule waren, die ersten Unterrichtsstunden nicht nach Plan gelaufen seien.
 

Unser Klassenlehrer habe die ersten vier Stunden für sich beansprucht und mit der Klasse ausführlich über das Thema sexueller Missbrauch und Vergewaltigung gesprochen. Er sei dabei vor allem auf die Opfer eingegangen. Er habe davon gesprochen, wie viele Opfer sich fühlen, was sie möglicherweise empfinden und womit sie noch Jahre später zu kämpfen haben. Habe auch klar gestellt, dass das nichts mit Perversionen zu tun hat und kein Opfer es jemals gewollt oder provoziert habe, so etwas aufgebürdet zu bekommen.
 

Der Abschluss dieser vier Stunde sei eine Gesprächsrunde gewesen, in der es um Belästigung ginge. Dabei habe es sich gezeigt, dass fast jeder in der Klasse, nicht nur von den Mädels, sondern auch bei den Jungs, Erfahrungen damit hat. Das meiste seien aber 'nur' Rufe oder unerwünschte Berührungen gewesen, was schon schlimm genug ist. Doch dann sei der Klassensprecher aufgestanden und hat erzählt, dass sein Onkel mal mehr mit ihm gemacht habe.
 

Das überrascht mich jetzt ehrlich. Ich hätte nie gedacht, dass es in der Klasse noch jemand geben würde, der durch eine ähnliche Hölle gegangen ist. Dann hab ich zuerst von Katsuyas Vergangenheit erfahren und jetzt vom Klassensprecher. Aber so eine Erfahrung sieht man nun mal niemanden an.
 

Aber das der Klassensprecher seinen Mut zusammengenommen hat, dass vor der Klasse offen zu erzählen... ich würde das nicht können. Es hat mich Monate an Überwindung gekostet, bevor ich es dem Kindergarten erzählen konnte. Ich bin vor dem Gespräch mit ihnen in der Onsen immer wieder durchgegangen, was ich sagen soll. Und der Klassensprecher... macht es einfach mal so... spontan...
 

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Einen Schritt der Feigheit

Es ist noch recht früh an diesem Samstag-Morgen und mein Drache ist nach einer anstrengenden und albtraumreichen Nacht endlich erschöpft in meinen Armen eingeschlafen. Immer wieder war er weinend aufgeschreckt und hat beteuert, dass er nichts von dem wollte, was diese Männer ihm angetan haben.
 

Immer wieder habe ich ihm gesagt, dass ich das weiß und ihm glaube. Doch das die Medien und einige an unserer Schule ihm unterstellen, er habe alles provoziert, macht ihn fertiger, als er zuzugeben bereit ist. Und ich kann es verstehen. Als Überlebender hat man doch ohnehin schon mit Minderwertigkeitskomplexen und falschen Schuldgefühlen zu kämpfen, ganz ohne dass sich jemand das Maul über einen zerreißt.
 

Er war zehn Jahre alt, als der Albtraum für ihn begann. Erst nach seinem 15. Geburtstag konnte er sich von all denen befreien, die ihm so unendlich weh getan haben. Dann hat er sein ganzes Personal außer Akito und Fuguta ausgewechselt. Hat sich jahrelang abgeschottet und jeden von sich fern gehalten. Selbst seinen Bruder. Damit niemand sieht, welchen Schmerz er ertragen muss.
 

Sanft kraul ich ihn immer noch. Beim letzten Aufschrecken hat er so bitterlich geweint und gemeint, dass er es wohl doch irgendwie gewollt haben musste, denn sonst hätte er doch nicht aufgehört sich zu wehren. Wieder habe ich ihm versucht zu erklären, dass nur weil man sich nicht gewehrt hat, es nicht gewollt haben muss.
 

Auch ich habe mich bei dem einen oder anderen Übergriff nicht gewehrt, weil ich immer die stumme Hoffnung in mir getragen habe, dass es dann schnell vorüber sein würde. Oder zumindest nicht ganz so weh tun würde. Manchmal hat man aber auch einfach keine Kraft sich zu wehren. Und genau so war es doch auch bei meinem Drachen. Das weiß ich von dem Abend, als er mir das erste Mal davon erzählt hat.
 

Ich höre, wie jemand die Tür zu unserem Zimmer öffnet und dann seh ich die besorgten grau-blauen Augen von Mokuba. Mit einer Hand klopf ich auf das Bett hinter meinem Drachen. Sofort kommt der Schwarzhaarige herein, schließt die Tür und kommt zu uns gelaufen. Vorsichtig kuschelt er sich hinter seinen Bruder und umschlingt ihn mit einem Arm. Sanft streich ich Mokuba über den Kopf und er scheint es für einen Moment zu genießen, bevor er meine Hand abschüttelt.
 

Für einen Moment verwirrt mich diese Reaktion, doch dann klingelt Setos Handy und lässt ihn wieder aufschrecken. Schwer atmend blickt er sich um. Sieht seinen Bruder und ist verwundert. Dann schaut er zu mir, während ich mich aufsetze und ihm sanft über die Wange streiche. Seine Augen sind gerötet. Schließlich beugt er sich über Mokuba und angelt nach seinem Telefon. Er hört kurz zu und meint dann, dass er gleich kommen wird.
 

Langsam und müde schiebt er sich zur Bettkante. Mokuba ist längst aus dem Bett gesprungen und holt seinem Bruder Alltagskleidung aus dem Ankleidezimmer. Legere, lockere Kleidung. Er schlüpft hinein und zieht Mokuba dann wieder in seine Arme. Hält ihn fest umschlungen, als hätte er Angst ihn zu verlieren, wenn er sich löst. Mokuba erwidert die Umarmung ebenso intensiv.
 

Auch ich hab mir ein paar Sachen angezogen. Kurz gehen wir noch ins Badezimmer, um uns die Zähne zu putzen. Mokuba wartet auf uns und dann verlassen wir gemeinsam das Schlafzimmer. Vor der Tür stehen Otogi und Honda und weiter hinten an der Treppe sehen wir Ryou und Yugi. Sorgenvoll schauen sie zu Seto und ich kann spüren, wie er sich anspannt. Ein deutliches Zeichen von Scham bei ihm. Die Anderen wirken auch, als hätten sie nicht ein Auge zu gemacht.
 

Honda tritt vor ihn und legt vorsichtig eine Hand an Setos Wange. Dann zieht er ihn behutsam in seine Arme und Yugi und Ryou kommen zu uns, um Seto auch sanft zu umarmen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie Seto darauf reagieren wird. Noch vor ein paar Wochen hätte er sich hastig befreit und sie von sich gestoßen. Sie vielleicht zum Gehen aufgefordert. Doch heute...
 

Seto steht da und macht gar keine Anstalten, die anderen von sich zu stoßen. Er lässt sich von ihnen halten und tatsächlich legt er dann seinen Kopf kurz auf Hondas Schulter. Scheinbar tut es ihm gerade sehr gut so stummen Zuspruch zu erfahren. Doch nach einem langen Augenblick beginnt er sich von den anderen zu lösen. Die ganze Zeit hat er meine Hand festgehalten.
 

Als die anderen von ihm lassen sieht er zu Otogi, der nicht Teil des Gruppenknuddelns gewesen ist. Dieser legt ihm jetzt nur eine Hand auf die Schulter. Kurz, während sie einen Blick teilen. Dann zieht er sich wieder zurück. Otogi ist und bleibt für mich ein Rätsel. Mal arrogant und von oben herab, wie es Seto früher einmal war. Manchmal ein echter Trampel, so wie vor der Golden Week, als er nicht aufhören konnte Seto so zu beäugen. Und dann kann er aber auch wirklich feinfühlig sein. Na ja, irgendwas muss an ihm ja dran sein, wenn Honda auf ihn steht.
 

Wir gehen zur Treppe und als ich die Stufen hinunter schaue seh ich Detective Nagasato dort stehen. Auch Akito steht bei ihr, in einen Morgenmantel gehüllt, obwohl er darunter scheinbar voll bekleidet ist. Beide schauen zu uns - eigentlich nur zu Seto - und ich kann die Sorge in ihren Blicken erkennen.
 

Unten angekommen leitet uns Akito ins Wohnzimmer, wo wir Platz nehmen. Der Junior-Partner von Detective Nagasato bleibt im Hintergrund. Seto blickt beide an und sagt, sie sollen einfach auf den Punkt kommen. Die Polizistin wechselt noch einmal einen Blick mit Akito, bevor sie sich vor Seto auf den niedrigen Wohnzimmertisch setzt, damit sie mit ihm auf gleicher Augenhöhe ist und nicht von oben auf ihn hinunter schaut.
 

Dann kann ich kaum glauben, was ich höre: Daimon Kogoro hat sich in der Nacht in seiner Zelle erhängt. Er ist tot. Seto reagiert erst einmal gar nicht. Sein Blick ruht auf dem Detective. Der Atem geht ruhig. Dann zucken seine Augenbrauen zweifelnd etwas zur Nasenwurzel hin. Unsere Freunde stehen betroffen und fassungslos hinter der Polizistin.
 

Schließlich fragt Seto, wie das geschehen konnte. Nagasato wartet einen Moment, bevor sie erzählt, dass dieser widerliche Mistkerl sein Bettlaken zerriss, daraus einen Strang geflochten hat und sich dann an den Gitterstäben seines Fensters aufgehängt hat. Man habe ihn erst am Morgen gefunden, als der Mitinsasse erwacht war und lautstark auf sie aufmerksam gemacht hat.
 

Nur langsam beginnt Seto zu nicken. Dann fragt er nach den anderen Männern, die so öffentlichkeitswirksam verhaftet worden sind. Detective Nagasato meint, dass das Gefängnis, in denen sie sitzen Vorkehrungen getroffen haben, damit sich das nicht wiederholen kann.
 

Für mich ist es schon ein Wunder, dass die reichen Geldsäcke nach fast einer Woche immer noch einsitzen. Das was ihnen Macht verschaffte wurde von den Richtern nun zu ihrem Nachteil ausgelegt: Auf Grund der Vermögen der Männer und damit verbundenen Möglichkeiten, wie Yacht und Privatflugzeug, wurden bei fast allen die Kaution abgelehnt und müssen nun bis zum Prozess im Gefängnis ihre Zeit fristen.
 

Dennoch: Das Daimon Kogoro sich so einfach aus dem Staub gemacht hat wurmt mich. Diese feige Sau hat sich jeder Verantwortung und Strafe einfach entzogen...
 

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Einen Schritt, um ein Ventil zu öffnen

Ich bin einfach fassungslos. Über den Tisch hinweg schau ich zu Seto, der mir gegenüber sitzt. Zu meiner Linken sitzt Megumi, ihr gegenüber - zu Setos Linken - sitzt Katsuya. Megumi legt mir eine Hand auf meine, die sich unbewusst auf meinem Oberschenkel zu einer Faust geballt hat.
 

Daimon Kogoro hat sich in seiner Zelle mit einem selbstgemachten Strick erhängt. Das passt so gar nicht zu diesem Monster. Gleich nach Gozaburo und meinem Vater war er der Schlimmste der Big Five. Vor allem nachdem Seto in diesen Kreis gezwungen worden war, war er ständig hinter dem Jüngeren her.
 

Wut wallt in mir auf. Was fällt diesem Arsch ein sich so aus dem Staub zu machen. Wir - seine Opfer - haben keine andere Wahl, als mit den Erinnerungen zu leben. Da können wir noch so viele Therapien machen, dass wird uns niemals die Erinnerung nehmen oder den Schmerz abschwächen. Klar, wir lernen damit zu leben und uns davon nicht mehr überrumpeln zu lassen, aber...
 

Meine Frau öffnet die Faust, die sich in mein Hosenbein krallt. Sanft streichelt sie über meinen Handrücken und ich blicke zu ihr. Sie blickt mich mit so viel Mitgefühl und Güte an. Weiß, wie sehr es mich ärgert, dass einer dieser Monster sich aus der Affäre gezogen hat. Sich seiner gerechten Strafe entzogen hat.
 

Dann wird mir klar, dass Wut und Hass nicht der richtige Weg sind. Ich atmete ein paar Mal durch und besinn mich auf das, was ich in meiner Therapie gelernt habe. Werde wieder ruhiger. Mein eben noch aufgewühltes Gemüt glättet sich und meine innere 'Seelenfarbe' - wie es mein Therapeut genannt hatte - wechselt von dem feurigen gelb-rot zu einem entspannten grün-blau.
 

Als ich zu Seto blicke stell ich fest, dass dieser völlig unbeteiligt wirkt. Ich steh auf, umrunde den Tisch und gehe neben ihm in die Hocke. Vorsichtig leg ich eine Hand an seine Wange. Er blickt mich an als würde ihn das alles nichts angehen. Scheinbar lässt er seine Gefühle nicht zu oder blendet sie aus.
 

Einer weniger. Jetzt sind es schon drei, die wir überwunden haben. Der erste war Gozaburo, der damals auch den Freitod wählte, als er begriff, dass Seto ihm die Firma weggenommen und damit entmachtet hatte. Der zweite war mein Vater, der einen Schlaganfall erlitt und ich ihm die Erlösung verweigerte, die das Abschalten der Geräte mit sich gebracht hätten. Der Dritte ist nun Kogoro.
 

Die restlichen zwei der Big Fives sitzen ein und werden streng überwacht, damit sich nicht noch einer einfach so aus dem Staub machen kann. Sie werden weder ihr Gesicht, noch ihren Ruf oder ihre Freiheit retten können. Das Gefängnis wartet auf sie und entweder werden sie ihre Zeit dort in Einzelhaft verbringen oder die Hölle auf Erden erleben, wenn die anderen Insassen erst einmal checken, wer sie sind und wegen was sie verknackt wurde.
 

Immer noch keine Reaktion bei dem Jüngeren. Ich kann seine Angst vor seinen Gefühlen nachvollziehen. Also lass ich meine Hand von seiner Wange auf seine Brust sinken. Kann das aufgeregte Schlagen seines Herzes spüren. Er mag nach außen ruhig und distanziert wirken, doch sein Innerstes widersetzt sich ihm und reagiert in heller Aufregung.
 

Es ist alles gut, Seto. Das Wegsperren der eigenen Gefühle ist nicht länger notwendig, denn wir beide haben Menschen, die uns lieben und auffangen werden. Wir können loslassen. Werde wütend, ob dieser Ungerechtigkeit, dass dieser Drecksack so feige war. Schrei herum, weil die Beamten im Stadtgefängnis so nachlässig waren. Mir geht es doch genauso.
 

Dann greife ich nach seiner Hand, steh auf und zieh ihn mit mir. Er scheint davon völlig überrumpelt, lässt es aber zu. Ich zieh ihn an seinen Freunden, die an der Küchentür gewartet haben vorbei und in den Keller, wo unser Trainingsraum eingerichtet ist. Nur im Augenwinkel registriere ich, dass uns alle anderen folgen. Aber das ist mir erst einmal egal. Dann erreich ich mit Seto den Sandsack, der hier aufgehängt wurde. Die hohen, flachen Fenster spenden uns natürliches Licht.
 

Ich löse mich von Setos Hand, nehm einen sicheren Stand vor dem Sack ein und schlag auf ihn. Das ist für Kogoros Untätigkeit zu Beginn. Er hätte aufstehen und etwas sagen können, was die anderen Big Five gebremst hätte, hat er aber nicht. Der zweite Punch von mir trifft den Sack. Dieser ist für all die 'zufälligen' Berührungen des Arsches, um auszuloten, wie ich wohl reagieren würde. Der dritte Hieb gilt dem Streicheln meines Körpers, obwohl ich mehr als deutlich sagte, dass ich das nicht wollte.
 

Mein Blick wandert vom Sack zu Seto. Doch er hört nur stumm und unbeteiligt, was ich zu jedem Schlag zu sagen habe. Also setz ich einen weiteren Schlag nach, der für den Griff in meinen Schritt steht. Noch ein Punch für das erste Mal, dass er mich vergewaltigte und die viele Male, die dem folgten.
 

Seto wendet seinen Blick seitlich weg und zu Boden. Also haue ich noch einmal auf den Sack. Dieser steht für die Bilder, für die ich posieren musste. Dieses Mal scheint sich etwas in Seto zu lösen. Ich weiß, dass Kogoro bei ihm nicht anders vorgegangen ist. Kogoro wollte erst freundlich und beschützend wirken, doch sobald er sich das erste Mal an einem vergangen hatte entpuppte er sich als genauso großes und widerliches Monster, wie die anderen des Vorstandes.
 

Na komm schon, Seto... hör auf, deine Gefühle in dich hinein zu fressen. Der Sandsack wird sich nicht wehren. Wenn du deine Wut und deine Enttäuschung nicht verbalisieren kannst, dann lass sie auf diese Weise raus. Unsicher blickt mich der Jüngere an, dann stellt er sich so hin, wie ich es ihm beigebracht habe und schlägt - zunächst zaghaft - auf den Sandsack ein. Doch schnell weicht die Zaghaftigkeit und er schlägt härter und präziser zu.
 

Je öfters er schlägt, desto mehr scheinen sich seine Gefühle endlich Bahn brechen zu können. Schließlich fängt er sogar an zu schreien. Einfach nur laut, ohne ein Wort zu bilden. Seine gesamte Frustration entlädt sich in diesem Augenblick, bevor er durch einen Schlag, der den Sandsack verfehlt stolpert und mir in die Arme fällt.
 

Plötzlich spür ich, wie sein Rücken zu beben anfängt und seine Beine nachgeben. Ich geh mit ihm in die Knie und spüre, wie mein Shirt feucht wird. Ich kann meine Träne auch nicht länger zurück halten. Also umschlinge ich Seto sanft mit meinen Armen, halte ihn fest an mich gedrückt und lass mich von der Hilflosigkeit mitziehen, die sich in Seto angestaut hat.
 

Die anderen scheinen davon schockiert oder zumindest betroffen zu sein, denn sie ziehen sich wieder nach oben zurück und lassen uns zwei alleine. Ja, dieses Monster ist tot und wird nie wieder uns oder einem anderen weh tun können und doch... das Gefühl keine Gerechtigkeit für das erfahren zu werden, was dieser Mann uns genommen hat, lässt dieses Wissen bitter nachhallen.
 

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Einen Schritt in eine andere Richtung

Keizo ist gelungen, was wir vergeblich versucht haben: Er hat Setos stoische Ruhe geknackt, so dass dieser endlich seinen Gefühlen freien Lauf lässt. Also gehen wir wieder nach oben ins Erdgeschoss. Ich lass alle an mir vorbei gehen und dabei fällt mir auf, dass Ryuji gar nicht bei uns ist. Nachdem alle - außer Keizo und Seto - aus dem Keller gekommen waren schließ ich die Tür und lass die anderen alleine in die Küche gehen.
 

Ich geh schnell die Treppe nach oben und schau in das Gästezimmer, dass Ryuji und ich bewohnen, wenn wir hier sind, doch es liegt völlig leer da. Nachdenklich geh ich wieder ins Erdgeschoss und schau in die Bibliothek, doch auch dort ist mein Freund nicht. Auch das Wohnzimmer ist unbesetzt. Wo ist er nur?
 

Gerade als ich mich abwenden möchte fällt mir im Wohnzimmer der Durchgang zum Wintergarten ins Auge. Also durchquere ich den Wohnraum, gehe zum Durchgang und sehe Ryuji dort am Pool sitzen, die Hosenbeine hochgeschlagen und die Füße im kühlen Nass.
 

Langsam geh ich zu ihm, setz mich neben ihn, zieh meine Socken aus und schlage auch meine Hosenbeine hoch, bevor ich meine Füße in das erfrischende Wasser hänge. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Seit der Detective da war und von dem Selbstmord dieses Widerlings berichtet hat, ist Ryuji so merkwürdig.
 

Hm... nein, eigentlich schon seit dieser große Coup am Wochenanfang stattgefunden hat. Schon die ganze Woche ist er so ruhig und eher in sich gekehrt, was gar nicht zu ihm passt. Eigentlich ist er extrovertiert und muss ständig was tun. Also frag ich ihn ruhig, ob alles in Ordnung ist.
 

Ryuji lächelt nur kurz, bevor er wieder einen relativ neutralen Gesichtsausdruck bekommt und weiterhin auf die Wasseroberfläche blickt. Vorsichtig leg ich meinen Arm um ihn und spüre, wie er sich etwas anspannt. Er spielt mit seiner Ponysträhne. Wickelt sie immer wieder um seinen Zeigefinger, zieht den Finger aus dem Haar und wickelt es von neuem auf.
 

Das macht er nur, wenn er richtig angespannt ist und ihn etwas beschäftigt. Ich lasse ihm die Zeit, die er braucht, bis er bereit ist mir zu erzählen, was los ist. Es vergeht fast eine halbe Stunde, dann durchdringt seine weiche Stimme die Stille des Wintergartens. Seine Hand hat aufgehört mit der Ponysträhne zu spielen und liegt verschränkt mit der zweiten Hand in seinem Schoss.
 

Leise meint er zu mir, dass Seto noch erkennen wird, was für ein Glück es ist, dass dieser Typ sich umgebracht hat. Ich frag ihn, wie er darauf kommt. Da meint er zu mir, dass ein Ende mit Schrecken besser sei, als ein Schrecken ohne Ende. Ich zieh meine Stirn kurz kraus und versuch zu verstehen, was Ryuji damit meinen könnte. Doch ich hab keinen Plan. Also frag ich ihn nach.
 

Es vergeht wieder ein langer Augenblick, bevor Ryuji zur Antwort ansetzt. Er meint, dass diese Männer für das, was sie Seto angetan haben kaum zehn Jahre erhalten werden. Wenn überhaupt. Manche werden nur eine Bewährungsstrafe erhalten. Und selbst wenn sie zu einer längeren Haftstrafe verurteilt werden könnten sie früher schon wieder raus kommen. Auf Bewährung. Wegen guter Führung. Irgend sowas.
 

Vorsichtig frage ich ihn, wie er jetzt darauf kommt. Wieder vergeht ein langer Augenblick. Dann wendet er sein Gesicht zu mir und schaut mir in die Augen. Die Narbe unter seinem Auge ist kaum noch mit dem Kajal abgedeckt und schimmert rötlich durch. Sanft lege ich eine Hand an die Wange mit der Narbe und sofort zuckte er mit dem Gesicht weg - wie fast immer, wenn ich diese Gesichtshälfte berühre.
 

Ich weiß, dass das daran liegt, dass sein Vater ihn früher immer auf dieser Seite geohrfeigt hat. Wann immer Ryuji seiner Meinung nach enttäuscht hat, gab es eine Schelle. Das steckt noch in ihm und Ryuji hasst es, wenn er instinktiv so reagier. Er hat mir mal anvertraut, dass er sich dann immer mental selbst maßregelt, um sich das abzugewöhnen
 

Sein Vater... auf einmal klingelt es bei mir. Wir haben nie darüber gesprochen, was aus seinem Vater geworden ist. Also frag ich ihn vorsichtig. Ryuji lässt seinen Kopf hängen und meint, dass er im Gefängnis sitzt. Das ist gut, oder? Er nickt, aber wirkt nicht wirklich glücklich darüber. Daher hake ich weiter nach.
 

Plötzlich grinst mich Ryuji an, als sei gar nichts gewesen, und meint, dass sein Vater frühestens in zwei Jahren raus kommen wird. Doch in seinen Augen seh ich die Furcht vor diesem Tag. Vor dem, was sein Vater dann tun könnte. Ein Zeichen dessen, zu was sein Vater imstande ist, trägt er mitten in seinem Gesicht und wird jeden Tag daran erinnert, wenn er in den Spiegel schaut.
 

Vorsichtig zieh ich ihn in meine Arme und küsse ihn liebevoll. Bei all dem Drama rund um Seto vergesse ich immer wieder, dass auch andere viel Scheiße im Leben erlebt haben. Andere, wie Ryuji. Er erwidert meinen Kuss und legt etwas mehr Leidenschaft hinein. Oh, ich kenne diese Taktik. Sie führt für gewöhnlich direkt zum Sex. Aber heute möchte ich das nicht.
 

Er blickt mich verletzt an, als ich ihn zurück weise. Langsam zieht er seine Füße aus dem Pool, nimmt das Handtuch auf der anderen Seite und trocknet sich damit ab. Dann steht er auf und verlässt den Wintergarten. Ich haste ihm hinterher. Mit nassen Füßen. Greife nach seinem Arm, um ihn aufzuhalten. Er wirbelt nur wütend herum und fragt giftig, was ich von ihm will.
 

So hab ich meinen Ryuji noch nie erlebt. Ich mustere ihn erschrocken. Dann scheint ihm selbst bewusst zu werden, wie er reagiert hat und beginnt verlegen zu grinsen. Entschuldigt sich bei mir für seine Reaktion, während er sich langsam meinem Griff entwindet. Kurz und oberflächlich küsst er mich, dann huscht er davon.
 

Die Sache mit seinem Vater scheint ihm mehr zu schaffen zu machen, als ich gedacht habe.
 

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Einen Schritt, um Freundschaft zu festigen

Lustlos stocher ich mit dem langstieligen Dessertlöffel in dem Eisbecher herum. Das Choclate-Mint-Eis hat mittlerweile eine cremige Konsistenz und taut immer mehr auf. Wirklich Lust hab ich auf das Eis eigentlich nicht. Dennoch schieb ich mir einmal mehr ein Löffelchen in den Mund und lass das Eis auf meiner Zunge zergehen.
 

Nur gut, dass die Küche - wie fast alle Gemeinschaftsräume - auch nachts gedämpft beleuchtet ist. Das Licht dringt aus den unter den Hängeschränken installierten LEDs und lässt mich nicht im Dunklen sitzen. Sicherlich ist das ein Überbleibsel von Setos Erfahrungen. Oder viel eher wohl ein Resultat seiner Erfahrungen. Sicherlich muss er sofort sehen können, wer alles in seiner Nähe ist.
 

Anders wie ich. Ich hab fast mein ganzes Leben in Dunkelheit verbracht. Mein Vater hat Licht gehasst. In unserem Stadtanwesen - einem Loft - waren die Räume immer ziemlich hoch - bestimmt vier oder fünf Meter. Dementsprechend hohe Fenster hatten wir. Doch jedes einzelne hat hinter schweren und dicken Vorhängen verborgen gelegen, die nicht ein Fitzelchen Licht durchgelassen haben.
 

Die wenigen Leuchten in unserem Loft spendeten nur spärlich schummriges Licht. Es gab Phasen in meinem Leben, da durfte ich nicht mal diese anmachen, weil mein Vater es nicht ertrug. Und wenn ich es doch wagte... dann war er immer sofort zur Stelle und hat mich geohrfeigt. Mit seiner Rechten auf meine linke Wange.
 

Aber auch zu anderen Gelegenheiten hat er das gemacht, vor allem wenn ich sein Missfallen geweckt habe. Und da ich immer sein Missfallen weckte hab ich mehrfach täglich eine Backpfeife kassiert. Schulnoten, Klamottenstyle, wenn ich seiner Meinung nach zu spät nach Hause kam oder frech war. Er war nie verlegen eine Begründung zu finden.
 

Dieser Mann war immer schon so voller Wut und Hass. Auf mich. Auf die Welt. Das Leben. Das Licht. Er hat mir nie erklärt, warum er so war. Er drillte mich. Schwor mich auf einen Familienfeind ein und hetzte mich dann gegen dessen Enkel. Und ich gehorchte. Aus Angst.
 

Plötzlich spüre ich, dass ich nicht länger alleine in der Küche bin. Ich blinzle ein paar Mal, um aus meinen Gedanken zurück in die Realität zu wechseln. Es ist mir ein Rätsel wer noch wach ist. Wir alle waren ziemlich erschöpft, vor allem weil wir die letzte Nacht mit Mokuba wach geblieben und vor Setos Schlafzimmer gewartet haben. Der Kleine wollte nicht ins Bett, bis sein Bruder endlich ruhig schlafen würde. Dummerweise haben wir vergeblich darauf gewartet.
 

Zu meiner Überraschung stell ich fest, dass Seto neben mir sitzt und mich ruhig anschaut. Also frag ich ihn, ob er nicht schlafen kann und er nickt nur bestätigend. Meint, dass er Jonouchi nicht den Schlaf rauben möchte, daher habe er das gemeinsame Schlafzimmer verlassen und sei hier runter gekommen. Dann fragt er mich, warum ich noch wach bin.
 

Ich zuck mit den Schultern und nehme einen weiteren Löffel vom Eis, den ich mir in den Mund schiebe und die cremige Süßspeise dort zergehen lasse. Danach frag ich Seto, ob er sich nun besser fühlt. Er schaut mich irritiert an, als wüsste er nicht, worauf ich anspiele. Also schieb ich das Stichwort Suizid nach und er versteht, wovon ich spreche. Er zuckt nur nichtssagend mit den Schultern.
 

Und genau das ist es, was ich nicht verstehe. Warum ist er nicht glücklich darüber, dass dieser Drecksack tot ist? Genau das frag ich ihn auch. Etwas geschockt blickt mich Seto an und fragt, warum er glücklich sein soll, dass sich so ein feiger Arsch selbst umgebracht hat.
 

Warum? Sollte die Frage nicht eher 'Warum nicht' heißen? Ich meine nach allem, was dieser Typ Seto angetan hat... er wird nie wieder Seto bedrängen, überfallen oder vergewaltigen können. Sich nie wieder an einem anderen vergehen. Wird nicht zu einer lächerlich geringen Haft- oder gar Bewährungsstrafe verurteilt oder viel zu früh aus einer möglichen Haftstrafe entlassen werden.
 

Seto blickt mich überrascht an. Es dauert einen Moment, dann fragt er mich, ob ich befürchte, dass mein Vater vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen werden könnte. Die Frage schockt mich. Eigentlich hab ich nicht gedacht, dass Seto weiß, dass mein Vater im Gefängnis sitzt. Oder das er weiß, dass dieser in ein paar Wochen eine Anhörung bei der Bewährungskommission hat, das hab ich nicht mal Hiroto erzählt.
 

Eine Anhörung, in der mein Vater sieben Männer und Frauen davon überzeugen kann, dass er seine Lektion gelernt hat und nun ein besserer Mensch ist. Jemand, der eine zweite Chance verdient. Wenn er sie überzeugen kann, dann wird er auf Bewährung entlassen und dann... Ein Knoten bildet sich in meinem Magen, wenn ich nur daran denke.
 

Klar, ich hab die Möglichkeit auch vor die Kommission zu treten und ihnen zu sagen, was das für mich bedeuten würde, wenn dieser Mann vorzeitig entlassen werden würde. Doch würde sie das wirklich beeinflussen? Ich denke nicht. Deshalb hab ich die Info-Postkarte, die mir die Justizbehörde zugesendet hat, auch direkt weggeworfen.
 

Auf einmal spür ich eine Hand, die sich auf meine Schulter legt und ich blicke Seto an, dem die Hand gehört. In seinen Augen seh ich Verständnis für meine Gefühle und Gedanken. Für meine Angst vor diesem Mann. Etwas, was ich niemals laut zugeben werde.
 

Mit ruhiger Stimme meint er zu mir, dass 'wir' nicht zulassen werden, dass mein Vater vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wird. Doch jetzt soll ich mir keine Gedanken darüber machen und zu Hiroto gehen, mich in seinen Arm kuscheln und von ihm halten lassen. Dann würde es mir wenigstens ein Stückchen besser gehen.
 

Ich schau ihn prüfend an und frage ihn, woher das von der Anhörung weiß. Er nimmt mir fast schon gemächlich die Pappdose mit dem Eis ab, nimmt sich selbst einen Löffel und schiebt ihn sich in den Mund. Erst nachdem das Eis auf seiner Zunge zergangen ist blickt er mich an, lächelt freundschaftlich und antwortet, dass er es nicht wusste.
 

Kurz erstarre ich. Überlege. Dann muss ich grinsen. Denn tatsächlich hat er mich nur gefragt, ob ich Angst davor habe, dass mein Vater aus dem Gefängnis vorzeitig entlassen werden könnte. Dass er eine Anhörung hat, hab ich ihm dann erzählt, als ich ihn gefragt habe, woher er von dieser weiß. Ich bin eindeutig müde und erschöpft.
 

Immer noch ist Seto ein gewitzter Fuchs, egal was alles in den letzten Monaten geschehen ist oder wie weit er sich geändert hat. Doch vielleicht ist es ja gut, dass er es nun weiß... immerhin sind wir mittlerweile doch recht gute Freunde geworden. Ich für ihn... und er für mich. Gerade weil wir uns irgendwo doch so ähnlich sind...
 

Ich gähne herzhaft und er wiederholt nur, dass ich mich endlich zu meinem Freund ins Bett scheren und bei ihm Halt suchen soll. Also nicke ich, steh auf und spüre ein Knacken in meinem Rücken. Diese Stühle sind einfach unbequem, wenn man zu lange darauf sitzt. Also rate ich Seto nicht allzu lange hier unten zu verweilen und seinen eigenen Rat zu beherzigen. Er grinst zurück und nickt, während er sich noch einen Löffel Eis in den Mund schiebt.
 

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Einen Schritt, ein Geheimnis zu teilt

Mein Blick haftet an Mokuba. Ich weiß nicht wieso, aber etwas ist an dem Jüngsten unserer Clique anders. Es fiel mir schon gestern stellenweise auf ohne, dass ich es richtig benennen kann. Eigentlich ist er ganz normal, doch hin und wieder ist er es eben nicht. Aber was es ist ... keine Ahnung und genau das macht mich wahnsinnig.
 

Auch jetzt, beim gemeinsamen Frühstück, will mich das Gefühl nicht loslassen, dass etwas nicht stimmt. Wir sitzen - wie immer, wenn wir bei Kaiba-kun übernachten - gemeinsam an diesem runden Tisch, quatschen, albern rum, necken einander ... alles ganz normal.
 

Jou-kun kommt mit einem Teller an den Tisch, auf dem frisches Rührei aufgetürmt wurde. Er legt eine Hand auf Mokubas Schulter, der kurz erschrickt - weil er wohl nicht damit gerechnet hat - und zu ihm aufschaut. Dann lächelt er Jou-kun an, der ihm den Teller hinhält, damit er sich mit den zwei Servierlöffeln etwas vom Rührei nehmen kann. Mokuba dankt ihm, nimmt sich etwas und legt die Löffel zurück auf den Teller. Dieser wird von Jou-kun schließlich in die Mitte des Tisches gestellt, damit alle anderen sich auch nach Bedarf bedienen können.
 

Als er seine Hand von Mokubas Schulter nimmt geschieht etwas bei Mokuba. Es ist nur ein winziger Moment, doch der Jüngste scheint traurig, bevor er wieder ein Lächeln aufsetzt, seinen Blick hebt und mich bemerkt. Er erstarrt kurz, dann lächelt er mich noch breiter an und meint, dass das Rührei echt spitze ist. Ich lächle zurück und nehm mir selbst was davon. Ich weiß, dass das Rührei spitze ist, immerhin hat Jou-kun es zubereitet.
 

Dieser winzige Moment der Traurigkeit geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
 

Wir wollen diesen Tag, nach dieser echt anstrengenden Woche, am Pool verbringen. Selbst Kaiba-kun, der es aber vorzieht wieder ein Shirt über der Badehose zu tragen. Wenn er steht oder am Beckenrand sitzt kann man die blauen Flecken an den Oberschenkelinnenseite sehen, wo dieser Mistkerl, der sich gestern erhängt hat, ihn gepackt haben muss, als er versucht hat ihn erneut zu missbrauchen.
 

Das ist etwas, was einfach in meinem Kopf nicht zusammenpassen mag: Kaiba-kun, dieser selbstsichere, hochgewachsene, so erwachsen wirkende Brünette, der von einem Widerling überwältigt und fast zum Opfer gemacht wird. Ich weiß, dass mein Bild noch stark von der Fassade geprägt ist, die uns Kaiba-kun die letzten drei Jahre gezeigt hat. Mir ihn als Kind vorzustellen, das all das schreckliche erlebt hat, fällt mir leicht, eben weil ich ihn dann als Kind sehe. Aber so wie er heute ist fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass ihn jemand überwältigen konnte. Und ich fühle mich schlecht, weil es das tut.
 

Erst jetzt bemerke ich, dass Kaiba-kun zu mir rüber sieht. Hastig lächle ich verlegen und spüre, wie meine Wangen sich etwas röten. Ich wollte nicht starren. Will nicht, dass ihm unsere Anwesenheit unangenehm ist. Also schwimm ich zu ihm rüber und setz mich neben ihn an den Beckenrand. Er ergreift nicht die Flucht, was doch schon mal gut ist. Jetzt merk ich, wie er etwas an seinem Shirt zupft und unauffällig versucht den nassen Stoff bis über die blauen Flecken zu ziehen.
 

Also tu ich das, was mir richtig erscheint: Ich entschuldige mich bei ihm für mein Starren. Er nickt nur, sagt aber nichts dazu. Mein Blick gleitet zurück ins Becken, wo Mokuba gerade einen Tunk-Angriff auf Jou-kun unternimmt und dabei vergnügt lacht. Aber nur, bis sich Jou-kun befreien kann und zur Rache ansetzt. Lachend flieht der Schwarzhaarige vor meinem Freund, wobei er entweder sehr viel Pech hat oder sich nicht wirklich Mühe gibt, denn nach nur zwei Schwimmzüge erreicht Jou-kun den Jüngsten und revanchiert sich.
 

Es ist fast so, als wollte Mokuba sich von ihm fangen lassen. Nach jedem Tunken taucht er lachend auf und nach dem letzten lässt er sich gegen Jou-kun fallen, der ihn auffängt und mit ihm lacht. Und als ob Mokuba plötzlich etwas bewusst wird löst er sich fast schon hastig wieder von Jou-kun und schwimmt zu Ryou rüber, der schon ahnt, was auf ihn zukommt.
 

Irgendwann hat Mokuba genug getobt und sich eine der Luftmatratzen geschnappt, auf der er bäuchlings liegend durch den Pool treibt. Seinen Kopf auf den verschränkten Armen gebettet. Die Augen zu. Nun ja, jedenfalls versucht er so zu wirken, doch jemand, der ihn beobachtet - wie mir - fällt auf, dass die Augen gar nicht zu sind. Sie sind einen Spalt weit geöffnet und beobachtet seinen Bruder mit Jou-kun.
 

Oder etwa nicht?
 

Gegen Mittag treibt uns der Hunger vom Pool in die Küche und wir überlegen gemeinsam, was wir uns zum Essen machen könnten. Da schlägt Jou-kun vor, dass wir doch die Terrasse mit diesem unglaublichen Tischgrill einweihen können. Damit meint er nicht so einen Elektrogrill, den man auf den Tisch stellt, sondern so einen Grill, wie man ihn oft in typisch japanischen Restaurants mit Grillangebot findet.
 

Das kommt bei uns sofort gut an, also bereiten wir alles vor: Wir schneiden Fleisch in dünne Streifen, bereiten Alu-Schalen für das Gemüse vor, während Jou-kun noch schnell einige Fleischspieß vorbereitet, darunter auch sein unglaublich leckeres Yakitori. Mokuba bittet er sich um den Salat zu kümmern, was dieser freudig angeht und immer wieder zu ihm zurück kommt und ihn strahlend anlächelt, wenn er eine Frage hat.
 

Da begreif ich, dass Mokuba Jou-kun anhimmelt. Himmel, er hat sich doch nicht in den Freund seines Bruders verliebt, oder? Mir wird auf einmal schrecklich bewusst, dass wenn das der Fall ist, dass Ganze nicht gut ausgehen kann. Als Mokuba sich umdreht, um zu seinem Salat zurück zu kehren sieht er meinen Blick und erstarrt sofort in der Bewegung. Seine Wangen werden rot und er bricht augenblicklich den Blickkontakt ab. Mit gesenktem Kopf kehrt er zu seinem Arbeitsplatz zurück und schneidet weiter die Zutaten für den Salat klein.
 

Ich würde gerne mit ihm reden, doch jedes Mal wenn ich auf ihn zugehe, sei es in der Küche, beim Essen auf der Terrasse oder danach beim Abräumen, weicht er mir aus und verschwindet. Mir kommt es sogar vor, dass er wahnsinnige Angst davor hat, was ich ihm sagen möchte. Schließlich erwisch ich ihn, als vom Klo kommt und zurück zum Pool wollte, wo wir nach dem Essen wieder etwas rumdümpeln.
 

Sanft zieh ich ihn mit in das Wohnzimmer, in eine ruhige Ecke auf eine der Fensterbänke, die mit Kissen ausstaffiert sind, damit man auf ihnen bequem sitzen kann. Dann frag ich ihn ganz direkt, ob er sich in Jou-kun verliebt hat. Erst wiegelt er ab, dann streitet er es ab und schließlich lässt er traurig und schuldbewusst den Kopf hängen. Er beteuert, dass er das nicht wollte und es sich einfach so entwickelt habe. Dass er weiß, dass seine Gefühle falsch sind.
 

Sanft nehm ich ihn in den Arm und zieh ihn näher zu mir. Er lehnt sich an mich und muss etwas weinen. Scheinbar hat er die ganze Zeit versucht es zu leugnen, bis ich es ansprach und das nicht mehr ging. Jetzt ist er verzweifelt, aber das muss er nicht. Wir werden das schon wieder hinkriegen. Er blickt zu mir auf und ich streich ihm eine Träne von der Wange, während ich ihn beruhigend anlächle. Dann lächelt er zaghaft zurück und wir bleiben noch eine Weile hier sitzen und reden darüber.
 

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Einen Schritt in Katsuyas Vergangenheit?

Es ist Donnerstag und ich stehe an der Arcarde. In etwas Abstand sehe ich einen Personenschützer, der mich schon öfters begleitet hat und der weiß, wie wichtig es mir ist, nicht zu sehr von ihm bedrängt zu werden. Seto hat darauf bestanden, weil er sich immer noch wahnsinnige Sorgen um mich macht und Angst hat, dass irgendein Irrer mich entführen könnte oder so. Vor allem seit letzte Woche sein Geheimnis an die Öffentlichkeit gekommen ist.
 

Dann sehe ich, wie Yugi und Ryou um die Ecke gelaufen kommen. Beide in Schuluniform und mit ihren Taschen voller Bücher. Die beiden treffen mich schon zum dritten Mal diese Woche, denn Yugi meint, dass ich einfach zu viel zu Hause bin. Er vermutet, dass ich deshalb mehr für Katsuya empfinde, als ich darf und einfach etwas Abstand brauche. Daher hat er sich vorgenommen bis zu den Ferien und in diesen viel Zeit mit mir hier draußen zu verbringen.
 

Seto versteht nicht, warum ich diese Woche ständig auf Achse bin. Wie soll er auch? Ich trau mich nicht ihm zu sagen, was ich für Katsuya empfinde, denn ich hab Angst, dass er sein eigenes Glück aufgibt, damit ich eine Chance bei Katsuya habe. Das ist das Letzte, was ich will. Mein Bruder hat sein Glück mit jemand, wie Katsuya, verdient. Jemand, der ihn aufrichtig liebt und sich nicht durch seine Marotten ab und an verscheuchen lässt.
 

Yugi strahlt mich freudig an und winkt mir. Ich winke zurück und lauf den beiden etwas entgegen. Ryou lächelt mich auf seine zurückhaltende Art an. Nach dem üblichen Smalltalk, wie die Schule war, überlegen wir, was wir heute tun. Auf die Spielhalle hab ich nicht wirklich Lust, da waren wir diese Woche schon zwei Mal. Ein lautes Magenknurren durchbricht unsere Überlegungen. Yugi und ich blicken etwas erstaunt Ryou an, der nur verlegen lächelt.
 

Da fällt mir wieder dieses kleine Restaurant ein, in das ich vor ein paar Wochen eigentlich mit Seto und Katsuya wollte. Doch kurz davor hat irgendetwas Katsuya getriggert und er ist davon gewetzt, was dazu geführt hat, dass wir ihn suchen mussten. Aber immer noch möchte ich diesen Geheimtipp einmal ausprobieren. Also schlag ich es den beiden vor und sie sind begeistert. So machen wir uns auf den Weg.
 

Auf dem Weg bummeln wir an einigen Schaufenster und Auslagen vorbei, reden über dies und jenes, gehen hier mal schnell rein und kaufen dort kurz was. Dabei spendieren mir Yugi und Ryou ein paar Sachen, obwohl ich der bin, der von uns mit Abstand das meiste Geld hat. Aber daran sind die beiden nicht interessiert. Sie sind nicht mit mir unterwegs, weil sie sich davon etwas erhoffen, sondern weil sie mich mögen und Yugi mir helfen möchte. Ich spüre, wie in mir der Wunsch keimt genau solche Freunde an meiner neuen Schule zu finden. Aber ich weiß auch, wie selten solch gute Freunde sind.
 

Schließlich kommen wir an diesem Restaurant an, dass wirklich ein beschauliches, kleines Lokal ist und bodenständige, japanisch Küche anbietet. Wir gehen hinein und werden sofort von einer Frau im mittleren Alter lächelnd begrüßt. Sie führt uns zu einem kleinen Tisch an der Wand und wir nehmen Platz. Dann bringt sie uns die Karten, damit wir uns einen Überblick darüber verschaffen können, was hier angeboten wird.
 

Wir überlegen hin und her, bevor wir uns einigen, dass jeder etwas anderes nimmt, so dass wir gegenseitig probieren können. So entsteht eine ganz ordentliche Bestellung. Vielleicht etwas viel, aber was übrig bleibt können wir ja mitnehmen. Während wir warten schauen wir uns im Lokal ein wenig um. Relativ mittig ist die Küche und von allen Seiten einsehbar, so dass jeder Gast bei der Zubereitung seiner Bestellung quasi zusehen kann. Das ist so cool. Die beiden Köche scheinen großen Spaß an ihrer Arbeit zu haben. Das sieht man ihnen einfach an.
 

Dann fällt mein Blick auf die gegenüberliegende Wand, an der einige Bilder gerahmt aufgehängt sind. Etwas lässt mich stutzen und aufstehen. Langsam geh ich auf die Bilderwand zu und kann förmlich spüren, wie mich die beide dabei beobachten. Dann - ohne mein Blick von der Wand zu nehmen - wink ich die beiden herbei. Sie folgen meiner wortlosen Aufforderung und flankieren mich links und rechts.
 

Langsam deute ich auf ein Bild, welches relativ mittig hängt. Darauf ist ein Sechs- oder Siebenjähriger mit blondem Haar abgebildet, der regelrecht in die Kamera strahlt. Das Kind hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Katsuya finde ich und Yugi stimmt mir zu. Aber er räumt auch ein, dass es vielleicht nur an der Haarfarbe liegen könnte, dass er uns an Katsuya erinnert. Möglich. Aber diese Ausstrahlung. Das kann keine andere Person sein. Unmöglich.
 

Die Bedienung kommt an uns vorbei und bleibt stehen. Sie fragt uns, ob sie uns helfen kann. Ich blicke zu ihr und frage, wer die Menschen auf den Bildern sind. Daraufhin erzählt sie uns, dass das Restaurant ein Familienbetrieb sei und das alles Mitglieder ihrer Familie seien. Ich hake etwas nach und frage, ob sie das im Sinne 'wir sind alle eine große Familie, auch wenn wir nicht blutsverwand sind' meint oder wortwörtlich. Sie lächelt und wiederholt, dass sie ein Familienbetrieb sind.
 

Neugierig tipp ich auf das Foto mit dem blonden Jungen und frag, ob er nicht etwas jung ist, um hier zu arbeiten. Sie lacht amüsiert auf, immerhin hab ich meine Frage mit einem scherzhaften Unterton gestellt. Lachend erzählt sie uns, dass das auf dem Bild ihr Neffe sei. Als dieser noch jung war, war er jeden Tag hier, weil sein Vater - ihr Bruder - hier als Koch tätig war. Eine Spur von Traurigkeit legt sich auf ihr Gesicht ohne das sie aufhört zu lächeln.
 

Als ich frage, ob alles in Ordnung sei, winkt sie ab und nickt. Sie meint nur, dass die beiden weggezogen seien und sie ihren Bruder und ihren Neffen doch sehr vermisst. Aber die Umstände ließen keinen intensiven Kontakt mehr zu. Ich merke, dass die Frau keine weiteren Nachfragen wünscht und daher nicke ich nur. Dann kehren Yugi, Ryou und ich zurück zu unserem Tisch.
 

Yugi fragt mich, ob bei mir alles in Ordnung sei. Ich nicke. Doch so sicher bin ich mir nicht. Ständig schwirrt mir die Frage durch den Kopf, ob das auf dem Foto wirklich Katsuya ist und wenn ja, ob sein Missbrauch - von dem er mir erzählt hat - hier stattgefunden hat. Aber es würde alles zusammenpassen und erklären, warum ihn der Weg hier her schon getriggert hat und er danach jeden Versuch noch einmal in diese Richtung zu gehen, geblockt hat.
 

Unser Essen kommt und Ryou und Yugi probieren sich so durch. Ich stochere mit meinen Stäbchen nur gedankenverloren in meinem Reis. Yugi muss mich mehrmals aus meinen Gedanken holen, bevor er erkennt, dass er es heute nicht mehr schaffen wird, meine Gedanken von Katsuya zu lösen. Es tut mir echt leid, dass ich Yugi so enttäusche, aber wie könnte ich in diesem Moment nicht über Katsuya nachdenken?
 

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Einen Schritt, der zurück führen kann

Ich halte das Smartphone meines jüngeren Bruders in der Hand, auf dem mir ein Bild an einer Wand angezeigt wird. Auf dem Bild sehe ich einen sechs- oder siebenjährigen Katsuya, der auf einem Hocker an einem Spülbecken steht und gerade Emaileschüsselchen abwäscht. Er strahlt regelrecht in die Kamera, als würde er sich freuen, dass man ihn ablichtet.
 

Immer wieder sagt Mokuba aufgeregt, dass es unglaublich sei. Doch ich verstehe nicht genau, was unglaublich ist. Als ich ihm das so sage, schaut er mich an, als komme ich vom Mars. Wieder deutet er aufgeregt auf sein Smartphone und meint, dass es doch unglaublich sei, dass in diesem Restaurant ein Bild von einem Jungen hängt, der Katsuya ähnlich sieht.
 

Der Katsuya ähnlich sieht? Ich würde sagen, dass ist Katsuya. Ganz klar. Sein strahlendes Lachen würde ich überall erkennen. Immerhin hab ich mich in dieses verliebt. Dann frag ich meinen Bruder, was er erwartet hat, wenn er in DIESES Restaurant geht. Verwirrt blickt er mich an. Dann macht es Klick bei mir. Mokuba hat es vergessen.
 

Sanft zieh ich ihn zu mir und umschlinge ihn vorsichtig. Dann deute ich auf das Bild und versuche ihm ins Gedächtnis zu rufen, was uns Katsuya anvertraut hat. Das beim letzten Mal, als sie mich zu der Shoppingtour verdonnert haben, wir noch etwas essen wollten. Wie Mokuba uns zu diesem Restaurant gelotst hat und Katsuya in Panik die Flucht ergriff. Ich erinnere ihn, wie verzweifelt wir den Blonden gesucht haben, bevor ich seinen Vater anrief, mit dessen Hilfe wir ihn dann im Conbini fanden. Und wie wir im Wohnzimmer zusammensaßen und Katsuya uns eröffnet hat, dass dieses Restaurant eben jenes war, dass dem Mann gehörte, der in missbrauchte.
 

Mokuba schaut mich geschockt an, dann werden seine Wangen rot. Er klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn und stöhnt auf. Es ist ihm unglaublich peinlich, dass er das förmlich verdrängt hatte. Langsam und mehr als zurückhaltend räumt er ein, dass er dieses Wissen wirklich nicht mehr präsent hatte. Leise flüstere ich ihm zu, dass das nicht schlimm ist. So etwas kann passieren, vor allem wenn in letzter Zeit so viel los war und sich regelrecht überschlagen hat.
 

Erleichtert umarmt mich mein jüngerer Bruder fest. Als er sich löst nimmt er sein Smartphone und steckt es wieder ein. Er seufzt schwer und meint, dass ihm die Frau leid tut - Katsuyas Tante. Ich schau ihn verwirrt an. Katsuyas Tante? Mokuba nickt und meint, dass die Frau, die sie begrüßt und bedient hat, meinte, dass das auf dem Foto ihr Neffe sei und sie derzeit keinen Kontakt zu ihrem Bruder und dessen Sohn - ihrem Neffen - habe, sie aber vermisse. Dann löst sich Mokuba, um vor dem Abendessen noch ein paar Aufgaben für den Heimunterricht mit Akito zu machen.
 

Katsuyas Tante. Diese Information erschlägt mich förmlich. Ich stehe auf, verlasse mein Heimbüro und suche meinen Streuner, der in der Küche mit kochen beschäftigt ist. Als er mich reinkommen sieht lächelt er glücklich. Ich frage, ob ich ihm helfen kann und er nickt. Sagt ich solle mir eine Schürze schnappen und dann kann ich Gemüse schälen und schnippeln.
 

Gesagt, getan. Ich bin gerade fertig mit dem Schälen, als ich es nach Katsuyas Wunsch beginne klein zu schneiden. Wie beiläufig - nachdem wir ein wenig darüber geredet haben, dass Mokuba den Nachmittag über mit Yugi und Ryou unterwegs war - frag ich ihn, ob er eigentlich noch andere Verwandten wie seine Eltern und seine Schwester hat. Überrascht schaut er mich an und zuckt dann mit den Schultern. Dann sagt er mir, dass er wohl irgendwo noch eine Tante habe.
 

Irgendwo? Wieder schaut er mich überrascht an. Er hat wohl nicht erwartet, dass ich nachhake. Er nickt und erzählt, dass sie auch Köchin sei, er aber nicht sicher ist, wo sie derzeit lebt und arbeitet. Ich lege meinen Kopf etwas schief und forsche vorsichtig weiter. Möchte wissen, ob sie damals auch in diesem Restaurant gearbeitet hat, indem auch sein Vater als Koch tätig war.
 

Katsuyas Blick wird kritischer. Er legt seinen Kochlöffel ab und dreht sich ganz zu mir. Fragt mich, warum ich mich auf einmal so für seine Familie interessiere. Auch ich leg mein Küchenmesser hin und wende mich zu ihm. Antworte, dass es mich einerseits einfach interessiert und andererseits Mokuba ihn als Sechsjähriger auf einem Foto an der Wand dieses Restaurants gesehen hat. Erzähl ihm von Mokubas Gespräch mit der Bedienung.
 

Mein Streuner lässt seine Schultern und seinen Blick sinken. Schluckt kurz, bevor er sich wieder von mir wegdreht, den Kochlöffel wieder in die Hand nimmt und die Grundbrühe umrührt. Vorsichtig ruf ich ihn bei seinem Namen und er hält wieder inne. Dann meint er nur, dass sein Vater und dessen Schwester gemeinsam bei dem alten Mann in der Lehre gewesen waren und danach für ihn gearbeitet haben.
 

Vorsichtig lege ich meine Hand um seine Hüfte und zieh ihn etwas zu mir. Sanft streich ich ihm eine Haarsträhne hinter das Ohr. Frage behutsam, ob das mit ein Grund war, warum er beim letzten Mal, als Mokuba mit uns dort essen gehen wollte, Reis aus genommen hat. Katsuya legt mir seine Hände auf die Schultern und schaut zu mir. Alles was ich als Antwort bekomme ist ein 'möglich'. Doch dann schiebt er hastig hinterher, dass es aber doch eher die plötzliche Panik vor dem Ort war, der ihn so kopflos hat reagieren lassen.
 

Schließlich frage ich ihn, ob er seine Tante - und falls er noch andere Verwandten hat - nicht mal wieder sehen möchte? Wir können sie ja hierher einladen oder an einem neutralen Ort treffen. Doch Katsuya schüttelt nur den Kopf und meint, dass das keine gute Idee sei. Verwirrt blick ich ihn an und hake nach, warum er das denkt.
 

Beschämt senkt er seinen Blick und erklärt mir, dass die Sache damals böses Blut hat entstehen lassen und seine Tante weder mit ihm, noch mit seinem Vater - ihrem Bruder - Kontakt wünscht. Jedenfalls habe sie das damals gesagt, als sein Vater verurteilt wurde. Sie habe kein Verständnis für die Tat seines Vaters gehabt und dabei wird er es auch belassen.
 

Hm ... das passt so gar nicht dazu, was diese Frau meinem Bruder erzählt hat. Oder dazu, dass sie nach wie vor das Bild von Katsuya an der Wand hat. Vielleicht ... sollte ich der Sache mal etwas auf den Grund gehen. Irgendetwas passt da doch nicht zusammen.
 

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Einen Schritt, um nachzubohren

Ich sitze gedankenversunken in der Lobby und warte auf meinen Dad. Er hat mich gefragt, ob er mich nach der Schule zum Essen einladen darf und ich schlug vor, dass ich ihn dann von der Arbeit abhole. Also sitz ich in der Lobby eines Wolkenkratzers, indem mein Vater andere Köche in der japanischen Hausmannskost unterrichtet.
 

Als ich eine warme, große Hand auf meiner Schulter spüre, zucke ich kurz zusammen, schau auf und seh ihn mich sanft anlächeln. Ich lächle zurück, steh auf und umarme ihn. Er umarmt mich zurück und dann machen wir uns auf den Weg zu seinem Wohnhaus. Auf dem Weg dahin kaufen wir noch schnell ein paar Sachen zum Kochen ein.
 

Nach dem üblichen Smalltalk - wie es in der Schule läuft, wie es Seto geht, das teils merkwürdige Verhalten von Mokuba in letzter Zeit - erreichen wir seine Wohnung, ziehen die Schuhe aus und schlüpfen in die Pantoffeln, bevor wir in die Küche gehen. Dort räumen wir erst einmal die Einkäufe aus und sortieren sie nach Arbeitsschritt. Dann waschen wir uns die Hände, binden uns Schürzen um und fangen an, gemeinsam zu kochen.
 

Dabei lobt mein Dad mich für meine Schneidekunst und die Geschwindigkeit, mit der ich die Zutaten klein schneide. Hier und da gibt er mir einen Tipp, was ich anders machen kann und irgendwie macht mich das alles unwahrscheinlich glücklich. Früher, bevor mein Vater ins Gefängnis musste, hab ich ihm daheim beim Kochen immer helfen dürfen und das hier erinnert mich gerade echt stark daran.
 

Als alles noch so war, wie es sich gehörte: Meine Eltern, die zusammen Shizuka und mich aufzogen, das Restaurant in dem ich nach der Schule immer Mittagessen bekam und meine Hausaufgaben machen konnte, abends mit Dad nach Hause gehen und dort gemeinsam kochen, ins Bett gebracht werden.
 

Mein Dad spürt, dass mich etwas beschäftigt und legt mir seine Hand auf die Schulter. Als ich zu ihm aufblicke fragt er mich, was mir durch den Kopf geht. Es vergeht ein langer Augenblick, bevor ich antworte und ihn frage, ob er seine Entscheidung von damals jemals bereut hat.
 

Tatsächlich - so plötzlich ohne jeden Kontext - braucht mein Vater einen Augenblick, bevor er versteht, was ich damit meine. Er lächelt mich sanft an und schüttelt den Kopf. Antwortet mir, dass er es niemals bereut habe, dieses Monster zu töten und mir damit ein Teil meines Sicherheitsgefühls wieder zurück zu geben.
 

Doch ich kann mich mit dieser Antwort, die ich schon so oft gehört habe, nicht abfinden. Frage weiter, ob es nicht ein zu hoher Preis war? Immerhin hat er seine Freiheit verloren, im Gefängnis habe man ihm seine Geschicklichkeit geraubt, so dass er danach nicht mehr als Koch arbeiten konnte, ... und er habe seine Schwester verloren, die sich voller Schmerz und Ekel von uns abgewandt hatte.
 

Überrascht, dass ich seine Schwester erwähne, blickt er mich lange an. Dann legt er sein Messer beiseite und dreht sich zu mir. Ich folge seinem Vorbild und lege auch mein Messer ab, während ich mich zu ihm wende. Forschend blickt er mich an und fragt mich dann, wie ich nach all den Jahren auf so etwas komme. Er versucht es neutral und umfassend auszudrücken, doch ich erkenne, dass er sich überwiegend auf den Punkt mit seiner Schwester bezieht.
 

Schwer seufze ich, bevor ich ihm erzähle, dass Mokuba vor kurzem in dem Restaurant mit Yugi und Ryou essen war. Dort ein Bild von mir als Kind an der Wand sah und mit meiner Tante ins Gespräch gekommen ist. Daraufhin nach Hause kam und Seto davon erzählt hat, der mich wiederum ausgefragt hat, ob ich noch Verwandte habe. Und dass mir das seitdem keine Ruhe mehr lässt.
 

Ich erzähle meinem Vater, dass ich überlege zu ihr zu gehen, um mich in aller Form bei ihr zu entschuldigen und um Vergebung zu bitten. Sie bitte, meinem Dad zu verzeihen. Immerhin ist ihr innigliches Verhältnis nur meinetwegen zerbrochen. Mein Dad wird ernst und schüttelt den Kopf. Er zieht mich zu sich und sagt mir mit fester Stimme, dass es nichts gibt, wofür ich mich bei ihr entschuldigen oder um Vergebung bitten muss. Nichts von dem, was geschah sei meine Schuld.
 

Ja, ich weiß, dass der Missbrauch nicht meine Schuld war. Aber das mein Dad den alten Mann erstochen hat, dass schon ... irgendwie. Das daraufhin das Verhältnis zwischen meinem Dad und seiner Schwester zerbrach ... auch irgendwie. Doch mein Dad schüttelt nur weiter den Kopf und verneint das. Bittet mich nur, dass alles mit seiner Schwester ruhen zu lassen. Nimmt mir das sogar als Versprechen ab, dass ich bereitwillig gebe. Vielleicht zu bereitwillig?
 

Langsam lösen wir uns von einander, kochen weiter und setzen uns dann zum Essen an den Esstisch. Wir sind gerade dabei über meine schulischen Leistungen zu sprechen, die sich seit diesem Jahr deutlich verbessert haben, seit ich auch mal Zeit zum Lernen habe, aber immer noch eher mäßig sind, als mein Vater mir plötzlich seine Hand auf meine legt. Überrascht blicke ich ihn an und plötzlich bittet er mich um Verzeihung.
 

Verwirrt mustere ich ihn einen Augenblick und frage dann, wofür ich ihm verzeihen soll? Daraufhin meint er nur, dass er mir dieses Versprechen von vorhin nicht hätte abnehmen dürfen. Wenn ich das Bedürfnis habe den Kontakt zu meiner Tante wieder aufzunehmen, dann habe er nichts dagegen. Aber ich solle seine Tat nicht zum Thema machen. Das verwirrt mich noch mehr. Wieso sollte ich das Bedürfnis haben mit einer Frau Kontakt aufzunehmen, die uns damals so im Stich gelassen hat ... uns sogar fallen gelassen hat?
 

Mein Vater lächelt nur traurig, bevor er mir sagt, dass sie das nur gemacht hat, weil sie nicht alles weiß. So, wie er sein Motiv für den Mord vor der Polizei, der Staatsanwalt und vor Gericht verborgen hat, so habe er es auch vor ihr versteckt. Damals hat er das als das Beste empfunden, denn er habe nicht gewollt, dass sie sich Schuld auflädt, die sie nicht zu tragen hat und auch mich nicht anders behandelt, nur weil sie weiß, was dieser Mann mit mir gemacht hat.
 

Es braucht einen langen Moment, bevor mir bewusst wird, dass das alles für meine Tante dann wie eine völlig irrationale Tat gewirkt haben muss. Eine Tat, die sie sich nicht erklären konnte. Doch ... warum hat sie dann mich und meine Mutter nie besucht, nachdem mein Vater ins Gefängnis gegangen war? Vielleicht ... hat sie ja doch was geahnt und mir dann die Schuld an allem gegeben?
 

Ich bin furchtbar verwirrt. Auf einmal wird mir klar, dass ich meine Tante doch aufsuchen und mit ihr über das damals reden muss. Ich muss ihr die Hintergründe erklären, damit sie erkennt, dass mein Vater nicht in einem Anflug von Wahnsinn gehandelt hat. Dass er mich nur beschützen wollte. Ob sie dann ihren Zorn und ihre Abscheu auf mich lenken wird? Und warum ... hat sie Mokuba erzählt, dass sie uns vermissen würde? War das nur dahin gesagt, weil sie dachte, dass die Leute genau das erwarten zu hören?
 

Sanft streicht mein Dad mir über die Wange und holt mich so aus meinen Gedanken zurück. Dann meint er zu mir, dass er einfach nur stolz auf mich sei. Ich kann nicht anders, als zu lächeln, denn dass mein Vater auf mich stolz ist, macht mich glücklich. Schließlich genießen wir den Rest unseres Essens und reden noch ein wenig über dies und jenes ... und ich nehme mir vor, dass wir das öfters machen müssen.

Einen Schritt der Dreistigkeit

Früher hab ich jeden Augenblick zu nutzen gewusst. So etwas wie Untätigkeit gab es in meiner Welt nicht. War ich nicht in der Schule, war ich in der Firma. Oft bis weit in die Nacht. Viel Schlaf hab ich nicht bekommen, dafür war mein Schlaf geprägt von Erschöpfung und Traumlosigkeit.
 

Heute sitz ich in meinem Büro. In meinem Büro in diesem neuen Haus. Das Haus, welches so unbekannt und doch wohlvertraut ist. Ich sitze also in meinem Büro. An meinem Schreibtisch. Vor meinem Laptop. Und starre auf ein Grafikprogramm das nichts anzeigt. Eigentlich wollte ich an einem alten Entwurf arbeiten, aber ... keine Motivation.
 

Katsuya ist bei seinem Vater und Mokuba gerade mit Akito spazieren. Ich bin nicht alleine in dem Haus, das ist mir bewusst. Das Hausmädchen und unsere langjährige Köchin sind noch da. Und dennoch fühl ich mich unwohl. Hier. In meinem Büro. Seit Kogoro mich überfallen hat find ich keine Ruhe mehr. Völlig verrückt, immerhin ist es nicht mal das gleiche Büro. Schon gar nicht das gleiche Haus.
 

Dennoch kann ich das Gefühl nicht abschütteln. Das Gefühl von Verwundbarkeit und Hilflosigkeit. Wir haben Monate lang Selbstverteidigung geübt und dann ... im entscheidenden Moment ... wurde ich trotzdem überwältig. Von einem Mann im späten, mittleren Alter.
 

Frustriert klappe ich den Laptop zu, steh auf und verlasse das Zimmer. Ich gehe den Flur zur Treppe, steige hinauf und ziehe mich in unser Schlafzimmer zurück. Hier ... hier fühl ich mich wohl. Vor allem, wenn ich mich - wie jetzt - in unser Bett lege und der Geruch von Katsuya noch an seinem Kissen haftet. Katsuya ... wie hab ich nur je ohne ihn leben können?
 

Mir wird plötzlich bewusst, dass meine Augen geschlossen sind. Als ich sie wieder öffne, fallen sie auf die kleine Kommode. Katsuyas Klamotten hängen im Ankleideschrank, aber er bewahrt ein paar persönliche Dinge in diesem Möbelstück auf. Darunter auch ein Fotoalbum. Ich hab es gesehen, wie er es damals noch in der Villa in einem ähnlichen Möbel verstaut hat und am Tag des Umzugs dort rausgeholt und hier wieder sorgfältig eingelagert hat.
 

Ich stehe auf und öffne die Schublade. Es befindet sich nicht sehr viel in ihr. Ein Ordner mit alten Zeugnissen, ein paar gerahmte Bilder von Shizuka, Katsuyas Mutter und eines, auf dem sie alle vier zu sehen sind, wie sie für die Kamera posieren. Darunter kommt das Fotoalbum zum Vorschein, welches mit der Vorderseite nach unten in der Schublade liegt.
 

Vorsichtig heb ich es heraus und dreh es um. Dass das gerade falsch ist, was ich mache, kommt mir nicht in den Sinn. Katsuya hat keine Geheimnisse vor mir. Auf dem Albumdeckel steht in goldenen Kanji das Wort Familie. Als ich es aufschlage präsentiert sich zunächst ein Hochzeitsbild von Katsuyas Eltern. Sie sind traditionell gekleidet und lächeln einander verliebt an. Sie wirken auf mich ... glücklich.
 

Auf den nächsten Seiten sind Babyfotos von Katsuya. Als Kleinkind. Bei Ausflügen. Bei Familienfeiern. Bei diesen sind viele Personen abgelichtet. Eine Frau hat gewisse Ähnlichkeiten mit Katsuyas Vater. Ob das dessen Schwester ist? Neben den beiden steht ein älterer Mann. Katsuyas erster Geburtstag. Zweiter. Dritter. Vierter. Shizuka als Baby.
 

Immer wieder tauchen Bilder von den gleichen Personen auf, genauso wie von Katsuya, wie er in einem Restaurant an einem hinteren Tisch sitzt und in die Kamera lächelt. Oft sitzt ein älterer Mann bei ihm. Dann kommen Bilder von meinem Streuner in so einer Grundschuluniform. Erst strahlt er noch in die Kamera, doch je weiter ich blättere, desto trauriger werden seine Augen.
 

Schließlich komm ich zu einem Bild, auf dem der Alte im Mittelpunkt steht. Vor ihm steht eine Torte mit Kerzen. Er hat einen sechs- oder siebenjährigen Katsuya auf dem Schoss, der nicht wirklich glücklich wirkt, während der Alte sich nach vorne beugt, um die Kerzen auszublasen. Wieder stehen die gleichen Menschen, wie bei allen anderen Feiern, drum herum.
 

Das ist das letzte Bild in dem Album. Die restlichen Seiten sind leer. Dabei wären noch reichlich frei. Mir wird klar, dass das Album wohl nach der Tat von Katsuyas Vater nicht mehr fortgeführt wurde. Vorsichtig löse ich das Foto von der Seite. Ein Leichtes, denn es wird nur von Fotoecken gehalten. Ich schlage das Album zu und lege es genauso zurück, wie ich es gefunden habe. Dann verteile ich die Sachen darauf, die ich vorher runter gehoben habe. Dabei fallen mir die Bilder von Shizuka und Katsuyas Mutter auf. Warum hat er diese nicht ins Album geklebt?
 

Ich stecke das Bild ein und verlasse das gemeinsame Schlafzimmer wieder. Es gibt Fragen, die ich gerne Katsuyas Tante stellen möchte. Doch als ich unten an der Haustür ankomme stocke ich. Es ist eine Sache, wenn ich in Begleitung meines Streuners das Haus verlasse. Oder mit Mokuba. Aber alleine ... es ist schon ewig her, dass ich alleine unterwegs war und damals stand ich nicht so präsent im Fokus der Öffentlichkeit. Ist es da ratsam alleine durch die Stadt zu laufen?
 

Also zück ich mein Handy und schreibe eine Nachricht. Ich kann nur hoffen, dass ich nicht abgewiesen werde. Die Minuten, bis ich eine Antwort erhalte, dehnen sich und kommen mir wie Stunden vor. Doch dann signalisiert mein Smartphone den Eingang einer Textnachricht. Als ich sie lese lächle ich erleichtert und schlüpfe in meine Schuhe und zieh mir eine Jacke über. Es ist zwar recht Warm draußen, aber irgendwie würde ich mir ohne Jacke komisch vorkommen.
 

Nach ein paar Minuten hör ich ein Auto die Auffahrt raufkommen und verlasse das Haus. Ich bin schon ein wenig aufgeregt, doch ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Immerhin ... bin ich Kaiba Seto. Ich weiß, wie man selbstsicher wirken kann, auch wenn man sich gar nicht so fühlt.
 

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Einen Schritt, der unerwartet kommt

Als ich nach Hause komme und gerade dabei bin meine Schuhe auszuziehen, um in meine Hausschuhe zu schlüpfen, seh ich, wie Mokuba wütend aus der Küche gestapft kommt. Er rennt an mir vorbei und die Treppe hinauf, vermutlich in sein Zimmer. Ich zieh meine Stirn kraus, denn so eine Wut passt gar nicht zu dem Jüngeren.
 

Nachdem ich endlich meine Schlappen an hab geh ich zur Küche, um zu sehen, was ihn so aufgeregt hat. Doch in der Küche find ich nur meinen Drachen vor, der mich überrascht ansieht. Er lächelt verlegen und ertappt. Also geh ich ganz in die Küche und zu ihm. Küsse ihn sanft zur Begrüßung und er erwidert diesen Kuss. Ich genieße den Kuss und löse mich nur widerwillig von Seto.
 

Nach dem Kuss frage ich, was er hier macht und er meint nur lapidar 'Abendessen'. Verblüfft schau ich ihn an. Ich bin schon froh, dass er nicht schon im Bett liegt und zusammengerollt darauf gewartet hat, dass ich wieder von meinem Vater nach Hause komme. Doch das er in der Küche ist und für das Abendessen sorgt ... damit hab ich nicht gerechnet.
 

Ich lächle ihn also etwas irritiert an und möchte an ihm vorbei schauen, um zu sehen, was es gibt, doch er schiebt sich nur immer wieder in meinen Blick. Meint, ich solle mich einfach setzen und ihn servieren lassen. Nirgends kann ich Kochgeschirr sehen, also hat er nicht gekocht. Oder er hat kochen lassen und wärmt es nun auf. Egal, ich nicke und geh dann zum runden Tisch.
 

Auf dem Weg zum Tisch frag ich Seto was mit Mokuba los ist. Doch Seto weicht der Frage aus und versucht mich mit einer schwammigen Antwort abzuspeisen. Bei mir läuten die Alarmglocken. Da steckt mehr hinter, als mein Drache mir gerade offenbaren möchte. So etwas tut er immer dann, wenn er Angst hat, dass mich die Antwort aufregen würde. Meistens reg ich mich in solchen Momenten tatsächlich etwas auf.
 

Als Seto mit zwei Schüsseln zum Tisch kommt, mir eine vorsetzt und sich dann mit der zweiten neben mich setzt, mustere ich ihn eindringlich, doch er lächelt nur sanft. Meint, dass ich das Essen mal probieren soll. Ich schau auf meine Schüssel und stelle überrascht fest, dass sie Oyakodon enthält, ein Reisschüssel-Gericht, bei dem Huhn, Ei und Frühlingszwiebel auf Reis serviert wird. Darüber wird eine Sauce gegeben, die regional und nach Saison variieren kann.
 

Es wundert mich, dass ich dieses Gericht vorgesetzt bekomme. Also frag ich, wo Seto es her hat. Doch wieder gibt er mir keine Antwort und meint nur, ich soll einfach probieren. Was soll das? Seit wann weicht er meinen Fragen aus und gibt mir so Wischi-Waschi-Antworten? Das bin ich von ihm im Alltag nicht gewohnt.
 

Eher unbewusst greif ich zu den Stäbchen und nehm mir einen Bissen aus der Schüssel. Doch kaum hab ich diesen Bissen in meinem Mund und kann ihn schmecken zieht er meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Ich bin regelrecht erstarrt. Nicht weil das Essen besonders schlecht oder gut wäre, sondern weil ich diesen Geschmack kenne.
 

Der Geschmack ist unverkennbar, denn er hat eine ganz bestimmte Note. Eine Note, die mir sofort verrät, woher dieses Essen stammt. Hastig finden die Stäbchen ihren Weg auf die Tischplatte, wo sie klappernd aufkommen, während ich nach meiner Serviette greife und sofort den Bissen in meinem Mund in sie spucke.
 

Mein Herz wummert wie wild und ich fühle mich, als müsste ich gleich losheulen. Meine Reaktion hat Seto wohl schockiert, denn er ist erschrocken aufgesprungen und neben mir in die Knie gegangen. Ich kann seine Hand an meiner Wange spüren, während er mich fragt, ob alles in Ordnung ist. Sie kommt mir extrem heiß vor. Doch es ist nicht Setos Hand, die sich anormal anfühlt. Das weiß ich sofort. Denn ich spüre, wie ich vor Kälte zittere, obwohl wir mitten im Sommer sind und draußen sportliche 32° Celsius herrschen.
 

Nur gepresst kann ich ihn bitten, sich jetzt gleich nicht zu erschrecken. Ich spüre, wie mir die Zeit für eine detailliertere Erklärung fehlt, denn die Panik krabbelt rasend schnell in mir hoch. Und dann laufen sie mir schon über das Gesicht: Dicke Tränen und ich beginne zu schluchzen. Meine Hand krallt sich über meiner Brust fest in den Stoff meines Hemdes. Die andere hat sich in Setos Ärmel verkrallt.
 

Ich spüre, wie ich in die Hyperventilation rutsche. Also beug ich mich vor und versuche das zu vermeiden. Meine Hände beginnen zu verkrampfen und es kostet mich einiges an Kraft meine eine Hand von Setos Unterarm zu lösen und sie sich an die Tischplatte krallen zu lassen. Wie aus weiter Ferne höre ich Setos Stimme, der nach mir ruft, aber mehr verstehe ich gerade nicht. Dazu ist das Rauschen in meinen Ohren zu laut.
 

Das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen, weil sich meine Brust zusammenzieht ist nur eine Illusion. Mein rationales Ich weiß das, mein panisches Ich ... dem ist das egal. Schließlich wird einiges schwarz um mich herum und ich hab das Gefühl zu fallen. Mein Körper zieht die Notbremse und ich bin ihm dafür dankbar. Denn die Bilder vor meinem Auge, die Empfindungen auf meiner Haut und in meinem Körper - all das will ich nicht erneut erleben.
 

Als sich die Dunkelheit um mich lichtet liege ich in unserem Bett und sehe einige besorgte Augenpaare, die auf mich gerichtet sind: Seto, Mokuba, Akito ... mein Vater und Doktor Akari. Mir dröhnt der Kopf und ich friere immer noch. Außerdem fühl ich mich, als würde ich flach auf einer Drehscheibe liegen, die sich bewegt. Es dauert einen langen Moment, bis ich realisiere, dass Doktor Akari von mir wissen will, wie ich mich fühle. Mit einem Wort: Scheiße!
 

Langsam versuch ich mich aufzurichten, doch die Hand meines Vaters drückt mich wieder zurück in das Kissen. Vorsichtig fühlt er meine Wange und die Stirn. Ich hab kein Fieber. Doch mein Vater sagt zum Arzt, dass ich mich etwas warm anfühle. Aber der Älteste in dieser Runde lächelt beruhigend zu meinem Vater und meint, dass das durchaus nach einer Panikattacke auftreten kann. Nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.
 

Nachdem der Doktor noch ein paar Werte geprüft hat und ich mich zunehmend besser fühle packt er seine Sachen und Verabschiedet sich. Mein Vater sitzt an der Bettkante und fragt mich, was los ist. Ich schau zu Seto und kann erkennen, wie schuldig er sich fühlt. Statt diese Schuldgefühle zu vergrößern, indem ich meinem Vater sage, dass es am Essen lag, zuck ich nur mit den Schultern.
 

Doch scheinbar hat Seto selbst schon eins und eins zusammen gezählt: Er sagt meinem Vater, dass er von auswärts Essen mitgebracht hat und mich damit überraschen wollte. Überrascht blickt mein Vater zu mir, während ich mich endlich langsam aufsetze. Nur flüchtig treffen sich unsere Blicke und ich erkenne, dass er sofort weiß, welches Essen das Einzige ist, dass bei mir so etwas auslöst.
 

Wieder legt mir mein Vater eine Hand an die Wange. Dieses Mal treffen sich unsere Blicke länger. Dann wende ich mich Seto zu und sag ihm, dass ich weiß, woher er dieses Essen hat. Er wird blass und seine Augen weiten sich erschrocken. Mit brüchiger Stimme fragt er mich, woher ich das weiß. Also erkläre ich ihm, dass in dem Restaurant, indem Mokuba die Tage mit Yugi und Ryou gewesen ist, eine ganz besondere Sauce für dieses Gericht verwendet, die es nirgendwo sonst gibt.
 

Ertappt lässt er sein Kopf hängen und ich verstehe nicht, was er mit all dem überhaut bezwecken wollte.
 

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Einen Schritt der Reue

Ich schau Katsuya nach, nachdem er langsam aufgestanden ist, um auf wackligen Beinen ins Badezimmer zu gehen. Dann spür ich eine Hand auf meiner Schulter. Als ich aufblicke sehe ich Katsuyas Dad mich sanft anlächeln. Er meint ruhig zu mir, dass ich nichts Böses wollte und mir daher keine Vorwürfe machen soll. Wenn es nur so einfach wäre.
 

Er fragt mich, ob ich nach dem letzten Gespräch mit Katsuya nicht gewusst habe, was das für ein Restaurant ist, in dem ich das Oyakodon besorgt habe. Ich lasse meinen Kopf hängen und höre plötzlich Mokuba zischen, dass ich das ganz genau wusste. Erschrocken schau ich zu meinem Bruder, der mich immer noch böse und giftig anschaut. Nur zögerlich blicke ich wieder zu Katsuyas Dad, der mich verwirrt mustert.
 

Seit ich von Katsuyas Tante weiß hat mich die Frage nicht losgelassen, warum sie sich von ihm abgewendet hat. Warum gibt sie ihm die Schuld, der nichts für all das kann? Diese Frage wollte ich ihr stellen und deshalb hab ich mich von einem Freund - welcher spielt keine Rolle - eben zu diesem Restaurant fahren lassen. Doch ich kann Mokuba hören, wie er Otogis Name zischt.
 

Mokubas Abscheu ist kaum zu ertragen für mich, aber das hab ich wohl verdient. Jonouchi Senior spürt wohl, wie mich diese Reaktion meines Bruders entmutigt und legt mir wieder bestärkend die Hand auf die Schulter. Möchte, dass ich weiter erzähle.
 

Als ich das Restaurant betrat blieb ich sofort an der Bilderwand hängen. Sofort strahlte mir Katsuya auf zahlreiche Bilder entgegen. Ich hab ihn ja erst in der Oberstufe kennen gelernt und irgendwie find ich die Bilder, auf denen er als Kind abgebildet ist faszinierend. Da sprach mich auch schon die Frau mittleren Alters an. Sie lächelte und fragt mich, ob ich einen Tisch möchte.
 

Früher war ich immer der direkte Typ und das möchte ich mir bewahren, also hab ich ihre Frage verneint. Ich hab mich vorgestellt und direkt gesagt, dass ich mit Katsuya befreundet bin. Das wir ein Paar sind, hab ich nicht auf den Tisch gepackt, denn ich wollte Katsuya nicht einfach so vor eigentlich Fremden outen. Obwohl ... nach dem großformatigen Bild von uns, wie wir uns küssen, dass nach Valentinstag in der auflagenstärksten Tageszeitung erschienen ist, ist das wohl eine obsolete Überlegung, oder?
 

Die Frau schien überrascht zu sein, strahlte mich aber dann an und bot mir doch einen Platz an einem der hinteren Tische, nahe der Küche an. Sie schien sehr daran interessiert mehr über ihren Neffen zu erfahren, doch ich wollte nicht einfach in eine Plauderei verfallen. Daher hab ich ihr meine Frage gestellt.
 

Erst wirkte sie erschrocken, doch dann senkte sie schuldbewusst ihren Blick. Sie erklärt mir, dass sie damals nicht voll im Bilde war und die Tat ihres Bruders - Katsuyas Dad - nicht richtig einordnen konnte. Als sie es dann konnte habe ihre Schwägerin - Katsuyas Mom - sie nicht reingelassen und gebeten nicht wieder zu kommen. Diesem Wunsch habe sie entsprochen.
 

Ich sehe in Jonouchi Seniors Augen, dass das keine neue Information für ihn ist. Er hat das schon gewusst, dass seine Schwester sich auf Bitten seiner Ex-Frau von Katsuya fern gehalten hat. Aber wenn er das weiß, warum hat er Katsuya das niemals erzählt? Immerhin denkt mein Streuner bis heute, dass seine Tante sich von ihm abgewendet hat und ihm die Schuld an den Entwicklungen von damals gibt.
 

Seine Tante sehnt sich wirklich nach Kontakt, denn immerhin bat sie mich das Essen, welches Katsuya früher als Kind so gern gegessen hat, mitzunehmen. Das mit der Spezialsauce oder das es einen Trigger auslöst, dass wusste ich nicht. Hätte ich auch nur vermutet, dass es ein Essen gibt, welches auf Katsuya ähnlich wirkt, wie westliches Essen auf mich, ich hätte mir das Zeug nicht mitgeben lassen. Darauf geb ich Brief und Siegel.
 

Katsuyas Dad lächelt traurig und meint dann, dass es wirklich Katsuyas Lieblingsessen als Kind gewesen ist. Dann fügt er nach einer kurzen Pause hinzu, dass der alte Mann - dem das Restaurant damals gehörte und der sich an meinem Streuner vergangen hat - ihm das immer zubereitet hat. Nach dem der Missbrauch begonnen hat, habe Katsuya immer häufiger das Essen abgelehnt, bis er es schließlich nicht mal mehr mit einem Blick gewürdigt hat.
 

Mir wird bewusst, was ich da angerichtet habe. Warum mein Streuner dieses Gericht, obwohl es eines der Basics ist, nie gekocht hat. Welch schwere Wunde ich dem Menschen, den ich über alles liebe zugefügt habe. Völlig am Boden zerstört lasse ich meinen Kopf hängen. Dass ich Katsuya so sehr verletzt habe und die Achtung meines Bruders, weil ich hinter Katsuyas Rücken in diesem Restaurant war, verloren habe, macht mir unheimlich zu schaffen.
 

Nur am Rande spüre ich, wie sich eine Träne aus meinem Auge löst und über die Wange rollt. Doch was ich ganz deutlich spüre ist die Umarmung meines Bruders, der seine Stirn an meine lehnt. Der mich wieder seinen dummen, großen Bruder nennt. Aber dieses Mal liegt keine Schärfe und Abscheu in seiner Stimme. Er streicht mir die Träne fort und nur zögerlich wage ich ihn anzuschauen.
 

Dann geht die Badezimmertür auf und Katsuya kommt heraus. Ich löse mich von Mokuba, stehe auf und geh zu meinem Streuner. Dieser mustert mich erschöpft, als ich zu ihm gehe. Dann knie ich mich vor ihn, beuge mich vor und bitte ihn um Verzeihung. Er weicht einen halben Schritt zurück, bevor auch er sich hinkniet, mich an den Schultern packt und mich etwas hochzieht, so dass wir uns ansehen können. Dann zieht er mich in seine Arme und drückt mich fest an sich.
 

Ich kann nicht anders als ihn mit meinen Armen zu umschlingen und festzuhalten. Die Angst, dass er sich von mir abwenden könnte ... mich verlassen könnte, weil ich so etwas Dummes getan habe, ist unerträglich und lässt den Wirbelsturm in mir wieder aufpeitschen. Doch Katsuya hält mich sicher in seinen Armen und lässt nicht zu, dass mich der Sog wieder mitreist und umherwirbelt.
 

Mir ist es völlig unverständlich, wie Katsuya mir gegenüber so wohlwollend sein kann, nachdem ich seine Privatsphäre derartig verletzt und einen so heftigen Trigger ausgelöst habe. Ich ... wäre an seiner Stelle einfach nur wütend und enttäuscht ... doch mein blonder Streuner flüstert mir nur zu, dass schon alles wieder gut werden wird.
 

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Einen Schritt, der zeigt, wie angeschlagen man ist

Auch an diesem Morgen fühl ich mich wie gerädert. Seit ich Montag getriggert worden bin quälen mich nachts wieder Albträume von dem alten Mann. Dieses verdammte Oyakodon aus dem Restaurant meiner Tante. Ich hab es sofort an der unverkennbaren Sauce erkannt, die in diesem Restaurant Tradition ist. Die gleiche Sauce, die der alte Mann immer zubereitet hat.
 

Ich spritz mir kaltes Wasser ins Gesicht und hoffe, dass es mich etwas wacher macht. Da spüre ich eine Präsenz hinter mir und als sich eine Hand auf meine Schulter legt zucke ich schreckhaft zusammen. Gleichzeitig tadel ich mich dafür. Ich weiß, dass der alte Mann schon lange tot ist und hier nur mein geliebter Drache ist, dem sein schlechtes Gewissen immer noch deutlich im Gesicht abzulesen ist.
 

Über den Spiegel schau ich ihn an und ring mir ein Lächeln ab. Vorsichtig schmiegt er sich, feucht, weil er gerade aus der Dusche gestiegen ist, an meinen Rücken und beteuert erneut, wie leid es ihm tut, dass er in diesem Restaurant gewesen ist. Ich versuche gelassen zu bleiben, als ich ihm sage, dass ihm nichts leidtun muss und er endlich aufhören soll sich zu entschuldigen. Doch in seinem Blick erkenne ich, dass es mir nicht ganz geglückt ist und ich wohl schroffer geklungen habe, als ich wollte.
 

Also wende ich mich zu ihm, so dass ich ihn direkt ansehen kann. Sanft streichle ich ihm über die Wange. Sag ihm, dass es nun mal passiert ist. Ich weiß, dass es keine böse Absicht war, aber auch ich Zeit brauche, um einen Trigger zu verarbeiten. Fragend sieht er mich an und ich weiß, was ihm durch den Kopf geht. Also füg ich hinzu, dass jeder trotz abgeschlossener Therapie noch immer von Auslöser getriggert werden kann.
 

Die Frage, was für einen Sinn eine Therapie dann hat, kann ich genauso gut ablesen, wie zuvor seine Schuldgefühle. Ich lächle - dieses Mal von innen heraus - und streich ihm eine Strähne hinters Ohr. Erkläre ihm, dass die Therapie einem hilft einiges zu akzeptieren, einiges, was im Verborgenen liegt, aufzuarbeiten und einem Werkzeuge und Bewältigungsstrategien an die Hand gibt, mit denen man so einen Trigger leichter bewältigen kann.
 

Er umschlingt mich mit seinen Armen und legt seinen Kopf auf meine Schulter. Das Wasser aus seinen Haaren tropft auf mich und auch ich lege meine Arme um ihn. Ich kann ihm seine Schuldgefühle nicht nehmen. Egal, was ich sage. Es geht nicht. Also schlag ich ihm vor, dass wir morgen - wenn Kai regulär wieder zu uns kommt - mit diesem darüber reden. Mein Drache nickt, will sich aber nicht von mir lösen. Seine Arme liegen um meinen Körper, wie große, mächtige Flügel, die mich vor der Welt schützen wollen. Doch das können sie einfach nicht.
 

Vorsichtig heb ich seinen Kopf, so dass wir uns einander ansehen können, dann küss ich ihn behutsam. Er erwidert zaghaft den Kuss und überlässt mir die Führung. Mein Trigger hat ihn doch sehr verunsichert. Vielleicht, weil er ihn ausgelöst hat? Sicherlich hat Seto gedacht, dass ich so etwas gar nicht mehr besitze. Weil ich so frei und offen über das erzählen kann, was mir dieser Mann angetan hat. Und ich wünschte, er würde Recht haben.
 

Langsam lös ich mich von ihm, denn auch ich muss noch unter die Dusche. Meinem Drachen fällt es schwer, mich gehen zu lassen. Schon die ganze Woche ist er so bedächtig und anhänglich. Ich denke, dass er Angst hat, dass ich ihn verlassen könnte. Ihm die Schuld für den Trigger gebe.
 

Klar, Seto hat das Oyakodon mitgebracht, aber er konnte unmöglich wissen, was das in mir auslöst. Daher geb ich ihm daran keine Schuld. Ich hätte ja auch einfach sagen können, dass ich das nicht essen möchte, weil ... es mich an den alten Mann erinnert. Manchmal bin ich halt einfach ein Idiot. Einer, der vor seinem Freund nicht schwach wirken möchte, weil mein Drache doch selbst noch so viel Halt braucht.
 

Doch Seto hat mich überrascht: Ich weiß nicht, woher er die Energie und Kraft hernimmt, aber wann immer ich diese Woche in der Nacht aufgeschreckt bin, war er für mich da. Hat mich aufgefangen. Gehalten. Getröstet, wenn ich es brauchte. Es war fast so, als hätten wir die Plätze getauscht. Und ... es hat sich gut angefühlt, dass er da war. Dass ich mich bei ihm fallen lassen darf. Ich hatte durch die letzten Monaten ganz vergessen, wie stark er sein kann, wenn es um jemand geht, den er liebt.
 

Hinter mir hör ich, wie die Duschkabine geöffnet wird und Seto zu mir steigt. Sanft umfangen mich seine Arme noch einmal und ich spüre seine Lippen an meinem Nacken. Ich schmunzle glücklich und lehn mich an seiner Brust an. Eine seiner Hände streicht mir sanft über die Brust. Über das Rauschen der Duschbrause hör ich ihn sagen, wie sehr er mich liebt. Ich dreh meinen Kopf ein wenig und schau ihn an. Dann zieh ich ihn in einen langsamen, sanften Kuss. Seine Finger graben sich in mein Haar und ich wende mich mehr zu ihm.
 

Die Welt um uns herum verliert ihre Bedeutung, genauso wie die Zeit. Alles was gerade zählt sind nur wir beide und unsere Liebe. Ich kann es kaum noch erwarten den heutigen Schultag hinter uns zu bringen und dann endlich ein ganzes Wochenende mit meinem Drachen zu haben.
 

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Einen Schritt, der zu weit geführt hat

Als ich höre, wie ein Auto vorfährt springe ich auf. Akito, der bei mir im Wohnzimmer sitzt, zuckt kurz zusammen. Vielleicht sollte ich ihm keinen Schreck einjagen, wo doch sein Herz so angeschlagen ist. Wäre nicht gut, wenn er wegen meinem Hibbeln tot umfällt. Also brems ich mich und entschuldige mich bei ihm. Er lächelt mich nur an, schlägt sein Buch zusammen - nicht ohne ein Lesezeichen einzulegen - und steht auch auf.
 

Gerade als wir die Haustür erreichen öffnet sich diese und Katsuya und Seto kommen rein. Sofort senk ich meinen Blick und spüre, wie meine Wangen aufflammen. Beide begrüßen mich und bleiben stehen. Sie mustern mich, wie am Morgen beim Frühstückstisch. Auch da konnte ich sie schon nicht ansehen und war heilfroh, als sie endlich zur Schule los mussten.
 

Aber eigentlich ist es ihre Schuld, dass ich vor Scham im Boden versinken könnte. Die beiden ... warum können sie auch nicht auf die Zeit achten? Ich gönn ihnen ja ihre Liebe und Beziehung und was da noch dazu gehört, aber ... ach Scheiße. Hastig greife ich nach meiner Tasche, die neben der Eingangstür bereit steht, murmle den beiden ein schönes Wochenende entgegen und eile hinaus.
 

In dem Auto, welches Seto und Katsuya heim gebracht hat, sitzen Yugi und Ryou. Beide begrüßen mich freudig, merken aber sofort, dass ich nicht gut drauf bin. Fast hab ich den Wagen erreicht, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre. Ich brauch nicht aufschauen, um zu wissen, dass diese Hand zu meinem Bruder gehört.
 

Er dreht mich noch einmal zu sich, sieht mich besorgt an und fragt, ob alles in Ordnung ist. Ich nicke nur und meide weiterhin den direkten Blickkontakt. Seto fragt mich, ob er mich zum Abschied kurz drücken darf, immerhin werde ich das ganze Wochenende mit Yugi und Ryou verbringen. Wann hab ich das letzte Mal ein ganzes Wochenende nicht daheim verbracht? Keine Ahnung. Da war ich noch im Internat, glaub ich.
 

Da zieht mich Seto in seine Arme und drückt mich herzlich. Ich schlinge meine Arme um ihn und bin froh. Froh über die Umarmung. Das wäre letztes Jahr undenkbar gewesen. Umarmungen waren selten und dauerten kaum länger als ein paar Sekunden. Dank Katsuya hat sich das geändert. Mein Blick fällt über die Schulter meines Bruders auf den Blonden und mein Gesicht geht in Flammen auf. Schnell drück ich es gegen Seto, um meine Scham zu verbergen.
 

Als wir uns lösen wende ich mich rasch zum Auto. Seto wünscht mir auch ein schönes Wochenende, dann schließ ich auch schon die Tür hinter mir. Doch ... ich bin nicht allein in der Fahrgastkabine. Mir gegenüber sitzen Yugi und Ryou und schauen mich nun ihrerseits mit großer Neugierde an. Sie sind sogar zusammengerückt und säuseln meinen Namen, während sie grinsen. Da weiß ich, dass sie nicht aufgeben werden, bis ich ihnen erzähle, warum mein Kopf die Farbe eines Feuerlöschers angenommen hat.
 

Ich seufzte und begrüße kurz Fuguta, bevor ich die Trennscheibe hochfahre. Es ist zwar keine Stretch-Limousine, sondern 'nur' ein Oberklassenwagen und dennoch ist es manchmal notwendig, hier hinten etwas mehr Privatsphäre zu haben. Kaum ist sie oben ziehen mich Yugi und Ryou auf ihre Seite und nehmen mich zwischen sich. Dann bohren sie weiter und ich überlege, wie ich anfangen soll.
 

Vielleicht damit, dass Akito mich heute Morgen bat, Katsuya und Seto zum Frühstück zu holen, da beide etwas spät dran waren. Also bin ich hoch, hab geklopft und keine Antwort bekommen. Vielleicht, ging es mir durch den Kopf, haben sie verschlafen und liegen noch im Bett, also bin ich rein. Bett war leer, hab Wasserrauschen aus dem Bad gehört, also bin ich an die Tür und wollte anklopfen. Doch die war nur angelehnt und ging dabei etwas auf und dann ... sah ich die beiden ... unter der Dusche ... nackt ... zusammen.
 

Verzweifelt schlag ich mir die Hände vor das Gesicht. Ich muss nicht hinsehen, um zu wissen, dass Yugi und Ryou gerade einen langen Blick austauschen und mich gleich auslachen werden. Dann spür ich, wie die beiden etwas näher rücken und mir je einen Arm um die Schultern legen.
 

Neben der Scham spüre ich aber noch etwas anderes: Neid. Ich bin neidisch auf Seto ... meinen eigenen Bruder. Der immer alles für mich getan hat, mir jeden Wunsch erfüllte und dafür sorgte, dass es mir an nichts mangelt. Und der ein so großes Leid ertragen hat, um sein Versprechen mir gegenüber zu erfüllen.
 

Aber er darf Katsuya auf diese intime Art und Weise berühren ... Mit ihm Dinge tun, die ich niemals mit ihm machen darf ... Wie gerne hätte ich heute Morgen den Platz mit Seto getauscht. Als die Tür ein wenig aufglitt sah ich die beiden beim Frotten(1). Eigentlich hätte ich mich sofort abwenden und ihre Privatsphäre achten müssen. Doch ich war von dem Anblick der beiden wie gebannt. Und dann spürte ich, wie ich selbst hart wurde. Das hat mich aus meinem Bann befreit und mich in mein Zimmer flüchten lassen.
 

Schuld überkommt mich. Warum fühle ich so für Katsuya? Er ist der Freund meines Bruders, der endlich ein wenig Glück gefunden hat. Die beiden lieben sich. Sie geben einander Halt, Sicherheit und Geborgenheit. Sie sind schlicht das Dreamteam schlecht hin. Wie kann ich mir da nur wünschen, dass ich an der Stelle meines Bruders wäre?
 

Aus der Schuld erwächst plötzlich Wut. Wut auf mich selbst. Ich will das nicht fühlen. Nicht diese Gefühle für Katsuya haben. Nicht meinen Bruder unglücklich machen. Nicht selbst unglücklich sein. Und doch scheint es mir, als muss es einer von uns sein. Entweder ich, der mit aller Macht versucht seine Gefühle zu unterdrücken. Oder Seto, der - falls er jemals von meinen Gefühlen erfährt - sich mit großer Sicherheit von Katsuya trennen wird, nur damit sich mein Unglück nicht mehrt. Paradoxerweise würde das gar nicht helfen und mich unglücklich machen, weil mein Bruder dann unglücklich wäre.
 

Ich zieh mir an den Haaren und merke erst jetzt, dass ich weine. Alles was ich mir jemals gewünscht habe, ist, dass mein Bruder glücklich wird. Und jetzt wo er es ist ... verlieb ich mich in sein Glück? Wie gemein und grausam ist das? Das will ich nicht! Macht bitte, dass es einfach weggeht...
 

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(1) Frotten von Frot: Wenn zwei Männer ihre Penisses und / oder Hoden aneinanderreiben.

Einen Schritt ins Wochenende

Ich hab dir doch so etwas Gutes gekocht, möchtest du dich dafür bei mir nicht gebührend bedanken?
 

Diese Worte hallen mir durch den Kopf. In einer Stimme, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe. Die mir eine Gänsehaut verpasst, die zwischen meinen Schulterblätter beginnt. Dort, wo er immer seine Hand hingelegt hat. Sie breitet sich über meinen ganzen Körper aus und lässt mich erschaudern.
 

Mir ist klar, dass ich träume. Denn der Mann, den ich höre, ist seit elf Jahre tot. Er kann mich nicht mehr verfolgen. Mir nichts mehr tun. Mich zu nichts zwingen. Dennoch ... schaff ich es nicht aufzuwachen. Normalerweise sehe ich mein Schlüsselbildnis und weiß, ich träume. Sobald ich das weiß kann ich meinen Traum verändern oder mich selbst aufwecken. Doch im Moment kann ich weder verändern noch erwachen.
 

Eine unsichtbare Kraft drückt meinen Oberkörper nach vorne über den leeren Tisch. Ich will mich wehren, doch das was ich aufbieten kann entspricht nicht meiner realen Kraft. Eher der Kraft, die ich damals als Sechsjähriger gegenüber einem erwachsenen Mann hatte, der jeden Tag in der Küche stand und kochte. Mein Shirt wird meinen Rücken hoch geschoben. Die Hose über meine Hüfte gezogen. Ich liege schutzlos und entblößt über den Tisch gebeugt.
 

Doch dann umfängt mich etwas. Eine Wärme, die ich liebe. Der ich vertraue. Die mir alles bedeutet. Ich weiß, dass sie mich beschützt und nicht zulassen wird, dass ich verletzt werde. Und tatsächlich ... passiert nichts weiter. Die Kraft, die mich nach vorne presste, ist verschwunden und ich kann mich aufrichten. Mein Herz, dass eben noch so heftig und aufgeregt schlug beruhigt sich langsam.
 

Höre, wie mich jemand ruft. Mir sagt, dass sein Streuner jetzt aufwachen muss. Endlich löst sich der Traum auf und warme Sonnenstrahlen kitzeln mir um die Nase. Blinzelnd versuche ich mich an das Licht zu gewöhnen. Doch dann schiebt sich eine Person zwischen die Sonne und mich. Nein, so ganz stimmt das nicht. Jemand beugt sich über mich.
 

Dann erkenn ich Seto. Dankbar lächle ich ihn an und hebe meine Hand, um über seine Wange zu streichen. Mein Drache hat so zarte Haut. Einfach unglaublich. Doch dann bemerke ich den besorgten Ausdruck in seinen Augen. Ich frage, was er hat und er legt sich halb auf mich drauf, um mich fest zu drücken. Flüstert mir ins Ohr, dass er Angst hatte, dass er mich nicht wecken könnte.
 

Langsam lege ich meine Arme um seinen Rücken und halte ihn. Mein Drache hält mich und ich halte ihn. Was Schöneres kann ich mir nicht vorstellen. Vorsichtig heb ich sein Gesicht aus meiner Nackenbeuge, so dass wir uns anschauen können, dann küsse ich ihn liebevoll. Er zögert einen Moment, dann erwidert er den Kuss zaghaft. Doch schon einen Augenblick später wird unser Kuss von seiner Seite aus intensiver.
 

Erst nach Minuten lösen wir uns von einander. Schauen uns gegenseitig an. Streicheln einander. Dann fragt mich Seto nach meinem Traum. Mein erster Impuls ist es die Frage mit einem doofen Kommentar abzuwehren, doch mir ist sofort bewusst, dass mich das zu einem Heuchler macht. Also überwinde ich diesen Impuls und erzähle ihm davon, wie das mit dem Missbrauch damals angefangen hat.
 

Wie der Alte mir immer dieses eine Gericht gekocht hat. Allein für mich. Den Sonnenschein des Restaurants, wie er mich damals nannte. Und als wir dann in seine Wohnung über dem Restaurant ausweichen mussten, weil mein Tisch für Gäste gebraucht wurde, hat er mich immer wieder gefragt, ob ich mich nicht für dieses Essen gebührend bedanken möchte. Ich sah ihn anfangs mit großen Augen an und sagte danke, doch das war dem Alten nicht genug.
 

Erst wollte er nur, dass ich beim Essen auf seinem Schoss saß. Dann, dass ich ohne Hose aß, damit ich sie nicht schmutzig machen würde. Da hab ich zum ersten Mal eine körperliche Reaktion bei dem Alten gespürt. Wenige Tage später wollte er, dass ich ihn im Schritt berühre. Obwohl es für mich nichts Ungewöhnliches war, ihn auch mal unbekleidet zu sehen - wir waren regelmäßig zu Gast in einem Badehaus - war es mir nicht geheuer, dass ich ihn berühren sollte. Doch ich tat es, immerhin war er ein Erwachsener und ich hatte zu tun, was die Erwachsenen in meinem Umfeld mir sagten.
 

Diese ganze Vorbereitung lief vielleicht einen Monat, als ich zum ersten Mal sein Essen ablehnte. Wenn ich nichts aß, wäre ich ihm auch keinen Dank schuldig, so hatte sich mein kindlicher Verstand das überlegt. Kein Dank, kein auf ihm sitzen oder ihn anfassen. Doch an diesem Tag legte er mir die Hand in den Rücken, drückte mich nach vorne, bis ich mit dem Oberkörper über dem Tisch lag und verging sich das erste Mal an mir.
 

Davon hab ich geträumt, als mein Drache mich gerettet hat. Erst jetzt, nachdem ich meinem Drachen davon erzählt habe, fällt mir auf, dass ich die ganze Woche schon von diesem einen Mal träume. Dem ersten Mal. Wieso? Es gab danach noch so viele andere Erlebnisse, die mir doch lebendiger in Erinnerung geblieben sind. Also wieso träum ich die ganze Woche, seit mein Drache mir dieses Oyakodon von meiner Tante mitgebracht hat?
 

Ich seufze schwer und mein zu meinem Drachen, dass wir langsam aufstehen sollen. Möchte mit ihm unter die Dusche springen und vielleicht ... das von gestern wiederholen? Ich schmunzle, als ich erst seinen verdaddelten Gesichtsausdruck sehe, auf dem sich dann ein kokettes Grinsen abzeichnet. Er beugt sich noch einmal zu mir und küsst mich und ich genieße, dass er sich von meiner Erzählung nicht abschrecken lässt.
 

Wann immer ich Emon von dem Missbrauch erzählte schien er sich verpflichtet zu fühlen erst einmal auf eine platonische Ebene zu wechseln. Dann brauchte es ein paar Tage oder eine Woche, bis wir uns weiter austesten und in unserer Beziehung voran schreiten konnten. Ist das der prägnante Unterschied, ob dein Freund ein völlig unbelasteter Mensch ist oder eben ein Überlebender?
 

Seto zieht mich schließlich mit sich aus dem Bett und ins Badezimmer und wir lassen uns richtig viel Zeit uns für den Tag bereit zu machen. Es vergeht fast eine Stunde, bis wir schließlich einigermaßen trocken und angezogen im Erdgeschoss in der Küche erscheinen. Am Tisch sitzt bereits Akito und schaut von der Zeitung auf. Scheinbar hat er mit dem Frühstück auf uns gewartet. Wir begrüßen ihn gut gelaunt und setzen uns zu ihm. Er faltet die Zeitung und legt sie beiseite, damit wir uns beim Frühstück unterhalten können. Das macht er jeden Morgen und ich genieße dieses kleine Ritual.
 

Doch ohne Mokuba fehlt einfach etwas beim Frühstück. Die aufgedrehte, fröhliche Art des Jüngeren ... wobei gestern ... da schien er extrem gedämpft zu sein. Er hat jedweden Blickkontakt gemieden und als wir nachmittags heim kamen hat er es so unglaublich eilig gehabt wegzukommen. Dabei hat er uns nicht mal zum Abschied umarmt. Also frag ich Akito, ob ihm etwas aufgefallen ist oder er weiß, was da gestern los war.
 

Akito blickt erst mich, dann Seto an, schmunzelt verhalten und nimmt noch einen Schluck Tee. Dann blickt er uns beide an und meint, dass wir in Zukunft - wenn wir schon gemeinsam das Badezimmer nutzen - die Tür abschließen sollen. Erst versteh ich nicht, was er meint, doch dann fällt der Groschen. Meine Augen werden schlagartig größer. Mein Drache schaut zu mir und scheint nicht zu verstehen. Erst als er meine geröteten Wangen sieht, kommt er darauf, was Akito uns durch die Blume dezent erklärt.
 

Ich kann sehen, wie mein Drache gerade am liebsten im Boden versinken möchte.

Einen Schritt, der helfen kann

Wir sitzen mit Kai im Wintergarten und Katsuya erzählt gerade über meinen Fauxpas letzten Montag. Die Schuld frisst mich förmlich auf. Früher war ich gründlich, überlegt und hatte immer einen Plan. Alles hab ich dreifach gesichert und gecheckt. War immer voll im Bilde und hatte die Kontrolle. Jetzt...?
 

Kai fragt mich, warum ich dort war. Was soll ich antworten, was ich nicht schon erklärt habe? Ich wollte wissen, warum Katsuyas Tante ihn so hängen gelassen hat. Wir kamen ins Gespräch. Sie hat sich erklärt und dann - als Friedensgeschenk - hat sie mir Katsuyas damaliges Lieblingsessen mitgegeben. Hätte ich auch nur einen Moment geahnt, was das auslösen wird, ich hätte es abgelehnt.
 

Katsuya verschränkt seine Finger mit meinen und lächelte mich sanft an. Schon die ganze Woche wiederholt er, dass er mir nicht böse ist. Aber wieso ist er das eigentlich nicht? Ich hab in seinen persönlichen Sachen rumgeschnüffelt. Hab mich eigenmächtig in seine Sache eingemischt. Er verdankt mir einen mächtigen Trigger und das er in den letzten Tagen wieder Albträume hat. Wieso ist er nicht böse auf mich?
 

Der Frage schließt sich Kai an. Katsuya zuckt mit den Achseln und meint, dass er es eben nicht ist. Nimmt mich wieder in Schutz und erklärt, dass ich es nicht wissen konnte. Aber was ist mit der Verletzung seiner Privatsphäre durch mich? Wieso nimmt er das so hin? Wieder zuckt er mit den Schultern. Aber eine Antwort hat er auch nicht. Und das ist etwas, was mich quält. Ich möchte es doch nur verstehen.
 

Mein blonder Streuner lächelt mich weiter an und meint, dass er mich einfach nur liebt und er vor mir keine Geheimnisse haben möchte. Schließlich hat er nie gesagt, dass ich die Sachen aus der Wohnung nicht anrühren soll. Er hat sie nicht weggesperrt. Nicht versteckt. Nie einen Hehl daraus gemacht, wo sie sind.
 

Das klingt zu einfach. Ich kann das nicht nachvollziehen. Wenn er das mit mir abgezogen hätte ... es hätte mein Vertrauen in ihn erschüttert und ich hätte mich wieder eingeigelt. Auf einmal blickt er mich überrascht an und meint, dass ich das nicht habe. Daraufhin blick ich ihn verwirrt an. Ich glaube ich hab den Faden verloren und verstehe nicht, was mein Streuner meint. Auch Kai schaut fragend zu Katsuya und bittet ihn schließlich genauer auszuführen, was er meint.
 

Katsuya zögert kurz, dann sagt er, dass er immerhin das von mir versteckte Schlafzimmer von Gozaburo entdeckt hat und dann - aus Neugierde - hinein gegangen ist. Er habe Dinge gesehen, die ich vor ihm - vor der ganzen Welt - versteckt habe. Doch als ich ihn in diesem Zimmer gefunden habe sei ich auch nicht böse geworden. Es habe mich so erschreckt, dass ich Reis aus genommen habe.
 

Verblüfft schau ich ihn an und ... er hat Recht. Ich habe dieses Zimmer versucht so gut es ging zu verstecken. Doch als er es auf der Suche nach meinen Manschettenknöpfen gefunden und seiner Neugierde nachgegeben hat, war da kein Ärger auf ihn. Ich hab mich nur geschämt. So sehr, dass ich weggelaufen bin. Warum war ich nicht böse? Wäre das nicht normal gewesen? Aber ... es war einfach so. Ist es das gleiche bei Katsuya, nur dass er nicht mit weglaufen reagiert hat?
 

Er lehnt seine Stirn an meine, streicht mir über die Wange und sagt mir, dass ich sein Drache bin, er mein Streuner ist und er mich liebt. Jetzt muss ich auch schmunzeln und die Liebeserklärung erwidern. Ich kann mich einfach glücklich schätzen, dass er so und nicht anders reagiert hat. Wenn er wütend geworden wäre hätte ich es wohl eher nachvollziehen können, doch die Konsequenzen daraus hätten mir weit weniger gefallen.
 

Nachdem das endlich geklärt ist widmen wir uns in der heutigen Sitzung Katsuyas Albträume. Auch Kai erzählt er das, was er mir am Morgen anvertraut hat. Erwähnt aber auch, dass er unfähig war sich selbst zu wecken. Kai hört zu, aber ich kann ihm einfach nicht am Gesicht ablesen, wie er etwas findet oder was er denken könnte. Nachdem Katsuya fertig mit erzählen ist, geht Kai mit ihm noch einmal die Werkzeuge durch, die sich mein Streuner bei der ersten Therapie angeeignet hat. Einige davon kenn ich auch bereits. Viele aber noch nicht. Sie bauen teils aufeinander auf oder fordern andere Voraussetzungen, die ich mir noch nicht angeeignet habe.
 

Am Ende unseres Gesprächs hebt Kai seine Aktentasche auf seinen Schoss und öffnet sie. Das ist das erste Mal, dass mir auffällt, dass er eine Tasche hat. Generell scheint er sich nie Notizen zu machen oder die Gespräche aufzunehmen. Da frag ich mich glatt, wie viel aus früheren Gesprächen noch präsent ist oder welche Technik er zum Memorieren er verwendet.
 

Der Rothaarige holt eine Sache aus seiner Tasche. Ein Döschen mit Schraubverschluss. Dieses reicht er uns und Katsuya schraubt den Deckel ab. Darin liegen bräunliche Tabletten, die selbstgemacht wirken. Jedenfalls nicht pharma-industriell hergestellt. Katsuya wirkt weder überrascht noch so, als wüsste er nichts damit anzufangen. So schraubt er den Deckel wieder auf das Döschen und dankt mit einem verlegenen Lächeln Kai. Dieser nickt nur und steht auf. Er wünscht uns noch ein schönes Rest-Wochenende, bevor er seinen Weg zur Haustür in Angriff nimmt.
 

Erst nachdem Kai außer Hörweite ist frag ich Katsuya, was das für Tabletten seien. Er erklärt mir, dass das ein Naturmedikament ist, welches hilft zu entspannen, angstlösend ist und einen ruhigen Schlaf ermöglicht. Im ersten Moment denk ich an THC. Japan gilt als eines der strengsten Länder, wenn es um Cannabis und Marihuana als Endprodukt geht. Nicht nur der Besitz wird mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug unter Strafe gestellt, sondern auch der Konsum.
 

Also beug ich mich zu meinem Streuner und frag ihn, ob es so etwas ist. Er muss auf einmal laut lachen und schüttelt dabei den Kopf. Verwirrt seh ich ihn an. Dann öffnet er das Behältnis noch einmal, holt eine der Tabletten heraus und gibt sie mir, damit ich sie mir genauer ansehen kann. Sie scheint Pflanzenbestandteile zu beinhalten und ihr Geruch erinnert mich an etwas. Nur an was weiß ich nicht. Fragend blick ich wieder zu meinem Geliebten und er formt ein Wort: Baldrian. Getrocknete Baldrianwurzel.
 

Nachdem ich die Tablette Katsuya zurück gegeben habe und er sie ins Döschen geworfen hat erzählt er mir, dass diese Tabletten ihm schon früher geholfen haben vor dem Schlafgehen in eine ruhigere und entspannte Gemütslage zu kommen. Damit wurde dann das Risiko für Albträume reduziert.
 

Dann hoffen wir mal, dass sie helfen und mein Streuner endlich wieder ruhig und ohne Albträume schlafen kann.
 

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Einen Schritt, um Abstand zu gewinnen

Ich danke Fugaku fürs Abholen und herbringen, bevor ich aus dem Auto steige. Dann höre ich, wie das Auto langsam wendet und den Weg zum Tor hinunter fährt. Währenddessen mustere ich das Haus, welches seit ein paar Wochen unser Zuhause ist. Mich hier einzuleben fiel mir nicht schwer. Es bietet viele Ähnlichkeiten zur Villa, ist aber gemütlicher und ich fühle mich hier tatsächlicher wohler. Dennoch bedaure ich, dass das Wochenende mit Yugi und Ryou schon vorbei ist.
 

Es war schön mal zwei Tage nicht an Katsuya denken zu müssen. Dafür hatten die beiden ein echtes Unterhaltungsprogramm aufgestellt. Freitag waren wir zu Ryou gegangen, da er fast immer sturmfreie Bude hat. Bis dahin hatte ich keine Ahnung wo sein Vater eigentlich war oder was er genau macht. Ryou meinte, dass sein Vater Kurator im Museum der Stadt ist. Er ist für die ägyptische Sammlung verantwortlich und als solcher oft unterwegs.
 

Doch richtig überrascht war ich, als ich rausfand, dass Ryou mal eine jüngere Schwester gehabt hatte. Ich hatte bei ihm ein Foto gesehen, wo sie abgebildet war und tollpatschig gefragt, wer das sei. Ryou hatte sanft gelächelt und sofort geantwortet. Als ich fragte, wo sie denn sei, meinte der Weißhaarige, dass sie zusammen mit ihrer Mutter im Himmel sei. Beide wären bei einem Autounfall gestorben. Was mich verwirrt hatte war allerdings, dass Ryou das einfach so erzählte und da überhaupt keine Trauer oder so in der Stimme war.
 

Yugi hatte meine Verwirrung gespürt und mich zur Seite genommen, als Ryou mal ins Bad gemusst hatte. Dann hatte mir der Bunthaarige erklärt, dass Ryou einen starken Glauben habe und der Ansicht sei, dass nichts ohne Grund geschah. Dass er glaubte, dass seine Schwester bei Gott im Himmel wäre und auf ihn aufpasse und dass sie sich irgendwann dort wiedersehen würden. Daher könnte er über seine Schwester frei von Trauer und Schmerz sprechen.
 

Für mich ist das schwer nachzuvollziehen. Der Tod soll einen Sinn haben? Wenn Seto sterben würde, dann... es würde mich zugrunde richten. Auf einmal wird mir klar, was für ein Glück ich habe, dass Akito damals Setos aufgehalten hatte, als dieser versucht hat, sich die Pulsader aufzuschneiden. Schon alleine der Gedanke daran, dass ich meinen Bruder um ein Haar verloren hätte lässt mein Herz stechen.
 

Nachdem Yugi mich aufgeklärt hatte und Ryou zurück gekommen war, führte er uns in ein Zimmer, dass einfach unglaublich war: In der Mitte war ein großer Tisch dessen Tischplatte aber einige Zentimeter tiefer lag, so dass die Ränder einen Rahmen bildeten. Darin hatte Ryou ein Modell eines Verließ aufgebaut gehabt und an einem Punkt standen bereits drei bemalte Figürchen, die so aussahen wie Yugi, ich und Ryou selbst, nur in europäisch-mittelalterlicher Kleidung. Bis tief in die Nacht hinein hatten wir dann dieses Verließ erkundet und nach einer alten Reliquie gesucht. Das hat unglaublich Spaß gemacht.
 

Als ich Ryou fragte, wo er dieses Spiel gekauft habe, lächelte er mich an und meinte, er habe es das Abenteuer selbst geschrieben und das Verließ eigens dafür gebaut. Das hatte ich kaum glauben können, da zeigte er Yugi und mir ein anderes Zimmer, welches mit verschiedenen Sachen ausgestattet war. Ryou zeigte mir dann, wie er die modularen Teile aus Hartschaumplatten gebaut und bemalt hatte. Er hat mich sogar auch ein paar Teile bauen lassen und irgendwie, hatte mir das echt gut gefallen. Vielleicht fang ich auch an mich damit zu beschäftigen.
 

Am nächsten Tag waren die beiden mit mir in dem neuen Freizeitpark vor der Stadt. Dort sind wir den ganzen Tag rumgerannt, sind mit den Attraktionen gefahren und hatten uns die Bäuche bei den verschiedenen Ständen vollgeschlagen. Dabei hatten die beiden mich nicht einmal zahlen lassen. Daran merk ich immer wieder, dass es ihnen bei unserer Freundschaft nicht ums Geld geht, sondern um Seto und mich als Personen. Deshalb hab ich sie alle so lieb und fühl mich in ihrer Gegenwart einfach pudelwohl.
 

Als wir am Abend wieder zu Ryou kamen hatten wir noch ein heißes Bad genommen. Während ich in der Wanne war hatten die beiden etwas gekocht. Als ich aus dem Badezimmer kam, sah ich sie in der Küche ganz eng beisammen stehen, so dass sie sich seitlich berührten. Die Art, wie sie miteinander sprachen klang so vertraut miteinander. Sie hatten sogar die Sätze des anderen beendet. Da kam bei mir das erste Mal die Frage auf, ob die beiden zusammen waren. Doch ich wollte auch nicht in die Situation reinplatzen und sie stören oder gar zerstören. Daher war ich dann zurück in das Hobbyzimmer gegangen, um mir das Modell des Verließ noch einmal anzuschauen.
 

Heute Morgen hatten wir gemütlich gefrühstückt und waren dann zum Laden von Yugis Großvater gefahren. Dort hatte mir Ryou dann die Ecke für das Basteln gezeigt. Er erklärte mir, dass es auch fertige Stecksysteme und Figuren gab, die aber dann nicht immer so flexibel einsetzbar seien, wie die selbstgebauten. Außerdem würde das Basteln ihm helfen einiges an Zeit totzuschlagen. Er zeigte mir dann auch die verschiedenen Rollenspielbücher zu den unterschiedlichsten Systemen.
 

Da ich jede Menge Zeit totzuschlagen habe, hatte ich mich gleich mit einem Satz Regelwerke, Ergänzungsbände, sowie Quellbücher eingedeckt. Dazu noch eine Menge Zeugs, um selbst zu basteln und zu bemalen. Wenn ich was zu tun habe, dann halten sich vielleicht auch die Gedanken und Gefühle für Katsuya in Grenzen. Oder verschwinden sogar. Hauptsache ich hab etwas, womit ich mich ablenken kann und dann hab ich auch etwas, wo ich Ryou immer mal wieder anhauen kann und zum Schauen einladen kann.
 

Die Sachen, die ich gekauft habe hatte Fugaku vorhin schon abgeholt und nach Hause gebracht. Wir waren dann noch lecker Burger mampfen. Ich liebe Katsuyas Kochkünste und bislang hat alles erstklassig geschmeckt - ohne Frage. Aber manchmal vermisse ich das Fastfood oder allgemein westliches Essen schon. Ich verstehe, warum es das bei uns Zuhause nicht gibt... daher bin ich froh, dass sich an diesem Wochenende die Gelegenheit geboten hat Pizza, Burger und all sowas mal wieder zu genießen.
 

Schließlich gehe ich zur Haustür, schließe sie leise mit meinem Schlüssel auf und trete ein. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen, drehe mich zur Treppe, weil ich eigentlich sofort in mein Zimmer möchte, doch ich erstarre. Auf der Treppe sitzt Seto. Ich hatte ihn gar nicht gesehen als ich reingekommen bin. Vermutlich, weil ich angestrengt zu Boden geschaut habe, als ob mich das leiser laufen lassen würde.
 

Seto steht auf, kommt zu mir rüber und nimmt mich in die Arme. Er flüstert mir zu, dass er mich vermisst hat und er froh ist, dass ich wieder daheim bin. Ich erwiderte die Umarmung und lehn mich kurz an seine Schulter. Er streicht mir sanft durch das Haar. Dann löst er sich von mir, lächelt mich an und fragt mich, ob ich ihm von meinem Wochenende erzählen würde. Ich nicke und wir suchen uns ein ruhiges Eckchen. Dann erzähl ich ihm von dem, was wir gemacht haben. Das mit dem Essen spar ich aus.
 

Mein großer Bruder hört mir aufmerksam zu und scheint sich an meiner Begeisterung für mein neues Hobby zu erfreuen. Meint, er sei gespannt, was ich da wunderbares zaubern werde und würde sich freuen, wenn er mal mitspielen dürfte. Ich strahl ihn glücklich an und umarme ihn erneut.
 

Als ich mich von ihm löse, meint Seto auf einmal, dass es da noch etwas gibt, worüber er gerne mit mir sprechen möchte. Etwas von Freitag und mir wird sofort klar, dass er weiß, dass ich Katsuya und ihn unter der Dusche gesehen habe. Sofort wird mein Gesicht rot und ich wünsche mir, ich könne im Boden versinken...
 

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Einen Schritt zurück zum Alltag

Die Schulglocke beendet die letzte Schulstunde an diesem Dienstag. Wir packen unsere Sachen und verlassen das Klassenzimmer. Dabei angelt Katsuya nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander. Neben mir läuft Otogi, der mit Honda ebenfalls Hand in Hand läuft. Neben Jonouchi sind Yugi und Ryou.
 

Yugi erzählt gerade von seinen Plänen für diesen Tag. Ryou läuft nur lächelnd mit und scheint gar keinen Einwand zu haben, dass der kleine Punk auch seinen Tag gänzlich verplant. Ob das die britische Natur ist, alles gelassen einfach hinzunehmen? Möglich. Vielleicht haben die beiden aber auch schon am Vortag gemeinsam beschlossen, was sie heute so treiben wollen. Sie scheinen ohnehin sehr viel Zeit miteinander zu verbringen.
 

Eigentlich hab ich immer gedacht, dass Yugi auf vollbusige Mädels stehen würde, wie sein Großvater. Aber schon seit einer Weile hab ich ihn nicht mehr von irgendeiner Tussi schwärmen hören. Nicht, dass er überhaupt eine Chance bei den Damen der Schule haben würde. Vielleicht ist ihm das klar geworden und hat beschlossen seine Energien in andere Richtungen zu lenken.
 

Da bemerke ich, wie Ryous kleiner Finger kurz, fast flüchtig, Yugis kleinen Finger berührt. In dem Moment wird Yugis Lächeln etwas breiter, während er weiterhin energievoll mit Katsuya über ihre Tagespläne spricht. Sind... sind die beiden etwa auch... ein Paar? Ich mein, sie teilen sich schon seit jeher ein Zimmer, wenn sie bei uns übernachten oder auch am See. Aber eigentlich dachte ich, dass die beiden... nun ja... Spätzünder sind?
 

Wir erreichen die große Halle mit den Spinden. Wir wechseln die Schuhe und können endlich das Gebäude verlassen. Kaum dass wir durch die Eingangstür sind werd ich durch die Sonne geblendet. Die große Glasfront hat eine Spezialbeschichtung, der das natürliche Licht filtert und abmildert. Sofort umfängt uns die Hitze des Sommers. Was für ein Unterschied.
 

Nach nur wenigen Schritten haben sich meine Augen schließlich an die Lichtverhältnisse hier draußen gewohnt, doch das, was ich erkennen kann, gefällt mir gar nicht. Denn vorne am Schultor steht Detective Nagasato und scheint auf mich zu warten. Kurz stock ich, doch Katsuya streicht mir sanft mit dem Daumen über die Hand. Als wir das Tor erreichen bleiben wir bei der Polizistin stehen, die uns freundlich und mit einem milden Lächeln im Gesicht grüßt.
 

Einige der Schüler, die auch gerade Schluss haben, werden beim Vorbeilaufen langsamer und scheinen erhaschen zu wollen, was los ist. Fehlt nur noch, dass sie stehen bleiben, um alles besser mitzubekommen. Detective Nagasato entschuldigt sich derweil dafür, dass sie hier aufgetaucht ist, allerdings würde Akito sie schon seit letzter Woche immer wieder abblocken. Daher wollte sie mich hier kurz treffen und bitten, im Laufe der Woche auf der Wache vorbei zu kommen.
 

Mir brennt sofort die Frage nach dem Warum auf den Lippen. Aber ehrlich gesagt möchte ich die Antwort nicht in der Öffentlichkeit bekommen. Da trifft es sich ja ganz gut, dass plötzlich mein Wagen vorfährt und stehen bleibt. Am Lenkrad seh ich Akito, der nicht besonders glücklich darüber wirkt Detective Nagasato zu sehen. Er steigt aus und kommt zu uns.
 

Detective Nagasato weicht respektvoll einen Schritt zurück und grüßt Akito mit einer leichten Verbeugung. Dieser grüßt freundlich zurück, aber ich höre an seiner Stimme, dass da eine kleine Verstimmung enthalten ist. Er ist definitiv nicht erfreut darüber, dass Detective Nagasato ihn nach dem Abwimmeln nun umgangen hat. Da stellt sich mir die Frage, was die Frau von mir will, dass Akito sich dazu berufen fühlt, sie abzuwimmeln?
 

Dann wendet sie sich wieder zu mir, reicht mir ein Kärtchen und bittet mich noch einmal im Laufe der Woche bei ihr auf der Wache vorbei zu schauen. Was ich ihr hoch anrechne, ist, dass sie hier nicht ins Detail geht. Zu viele Ohren, die es gar nichts angeht, was hier läuft und warum sie mich zu einem Gespräch bittet. Dann verabschiedet sie sich, dreht sich um und geht weg.
 

Akito fragt mich, ob er die Karte einstecken soll, doch ich schüttle den Kopf und er akzeptiert meine Entscheidung. Wir fragen die anderen, ob wir sie irgendwohin mitnehmen sollen, doch sie winken ab. Also verabschieden wir uns von ihnen und steigen ins Auto. Auch Akito steigt wieder ein.
 

Komisch, wir hatten doch für heute gar keine Abholung verabredet. Da meint Akito über den Rückspiegel mich anschauend, dass er zur Nachuntersuchung im Krankenhaus war und er eben fertig geworden sei. Daher wollte er uns auflesen. Ich nicke erneut und frage ihn dann, wie es bei der Nachuntersuchung war. Er lächelt mich an und meint, dass er auf dem richtigen Weg sei. Das klingt so ungewohnt schwammig. Was soll das heißen, auf dem richtigen Weg sein? Steht es immer noch ernst um ihn oder ist kurz davor sich gänzlich zu erholen?
 

Langsam dreht sich Akito zu mir und lächelt immer noch. Dann erklärt er mir, dass er wohl ein bleibendes Herzproblem zurück behalten wird, aber dass er dieses mit Medikamente schon gut im Griff hat. Dann entschuldigt er sich für seine Schwammigkeit. Doch er will nicht, dass ich mich um ihn sorge.
 

Aber warum nicht? Akito ist mir mit einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Also warum darf ich mir um ihn keine Sorgen machen? Katsuya beugt sich zu mir und flüstert mir in mein Ohr, dass Eltern nun mal so sind. Schlagartig macht es Klick in mir und ich sehe zu Akito zurück. Dieser lächelte nur sanft und erst jetzt - obwohl ich ihm ja erst vor Kurzem Mokubas und meine Vormundschaft überantwortet habe und er in meinem Leben schon so viel für mich getan hat - sehe ich, dass er sich wirklich wie unser Vater fühlen muss.
 

Dann fahren wir nach Hause. Ich werde später mal wegen seinem Herzproblem recherchieren, ob es da nicht doch eine bessere Lösung als Medikamente gibt. Vielleicht im Ausland? USA... Deutschland... Vielleicht haben die für solche Dinge eine andere Lösung. Dabei schaue ich auf die Visitenkarte von Detective Nagasato. Was sie wohl von mir will?
 

Wir kommen wenig später zu Hause an und steigen aus. Dann warten wir, bis Akito geparkt hat und zu uns aufschließt. Gemeinsam gehen wir in das Haus. Aus der Küche dringt ein unangenehmer Geruch und plötzlich kommt Mokuba aus ihr zu uns gerannt. Dicke Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn und ... sind ... das schwarze Rauchwölkchen in unserer Küche?
 

Mokuba will mich umarmen, doch ich eil besorgt an ihm vorbei Richtung Küche. Er ruft aufgeregt hinter mir her, dass ich nicht in die Küche gehen soll, denn er bereitet eine Überraschung für mich vor. Was für eine Überraschung? Ein Hausbrand? Doch Katsuya schiebt sich plötzlich auch vor mich, lächelt mich beruhigend an und meint zu mir, ich solle meine Fragen mit Akito klären und er wird Mokuba beim Fertigstellen seiner Überraschung helfen.
 

Leise seufze ich und nicke dann, bevor mich Akito weg von der Tür und in die Bibliothek führt.
 

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Einen Schritt daneben

Schon den ganzen Tag beobachte ich meinen Drachen, wie er auf dem Zahnfleisch fühlt. Das fing damit an, dass er die Nacht nur schlecht und zu wenig geschlafen hat. Setzte sich dann damit fort, dass er am Frühstückstisch nicht mal seinen Tee runter bekam. Gipfelte schließlich darin, dass er in der Mittagspause seine Bentō nicht eines Blickes gewürdigt hat. In der Schule war er zwar körperlich anwesend, aber sein Geist war wo anders.
 

Nach der letzten Stunde hat uns Akito abgeholt. Dieses Mal saß Fuguta am Steuer und Akito mit uns hinten. Während der Fahrt von der Schule zum Polizeipräsidium rutscht mein Drache nervös hin und her. Dabei versucht er möglichst unbeteiligt zu wirken und aus dem Fenster zu schauen. Doch seine Finger krallen sich in die Hose seiner Schuluniform.
 

Vorsichtig schieb ich meine Hand unter seine und verschränke unsere Finger. Sofort umklammert er meine Hand und ich kann spüren, wie feucht seine Handinnenfläche ist. Spüre, wie er seicht zittert. Das sind alles keine guten Zeichen. Es zeugt davon, wie gestresst mein Drache gerade ist. Bei zu großem, emotionalem Stress laufen wir Gefahr, dass Seto wieder lethargisch wird, wie nach seiner unerwarteten Begegnung mit diesem Monster.
 

Auf seiner anderen Seite legt Akito ihm seine Hand auf die andere, noch freie Hand. Vorgestern war Seto noch erbost darüber, dass Akito Detective Nagasatos Anfragen gefiltert hat. Doch ich schätze, heute wünscht er sich nichts sehnlicher, als dass Nagasato das akzeptiert und ihm seinen Frieden gelassen hätte.
 

Der Wagen wird langsamer und als ich aufschaue sehe ich weiter vorne in der Straße das Präsidium aufragen. Wieder beginnt Seto nervös mit dem Bein zu wippen. Jeder andere würde bei so einer Anspannung den Termin verschieben. Aber nicht mein Drache. Wenn er etwas zusagt, dann hält er sich auch daran. Sehr zum Leidwesen von Akito, Mokuba und mir, die vor allem seine Gesundheit im Blick haben.
 

Schließlich kommen wir vor dem Präsidium an und müssen feststellen, dass einige Reporter, die mit Kameras bewaffnet sind, wohl schon auf uns warten. Das regt mich auf und ich sage klipp und klar, dass ich Seto hier jetzt nicht aussteigen lasse, bis diese Geier verschwunden sind. Akito zieht sein Telefon, wählt eine Nummer und wechselt ein paar Worte. Keine Minute später sehen wir weiter vorne auf dem Bordstein Detective Nagasato, die Fuguta ein Zeichen gibt. Also setzt er das Auto wieder in Bewegung und lässt sich von ihr in die Tiefgarage der Polizei leiten. Die Presse muss vor der Schranke bleiben. Gut so.
 

In der Tiefgarage angekommen legt ich meine Hand noch einmal an Setos Wange und schau ihm in die Augen. Ich sehe, wie dankbar er mir ist, dass ich bei ihm bin. Wo sollte ich sonst sein, als an seiner Seite? Vorsichtig küss ich ihn, aber eher oberflächlich. Spüre, wie er etwas ruhiger wird. Dann nickt er mir zu und ich weiß, er ist bereit auszusteigen. Akito öffnet seine Tür, steigt aus und lässt dann Seto folgen. Dann rutsche ich nach und nehme meinen Platz neben meinem Drachen ein. Wieder verschränken sich unsere Finger.
 

Detective Nagasato kommt zu uns, entschuldigt sich für die Presse und beteuert, dass sie nicht weiß, woher diese von diesem Termin erfahren haben. Dann führt sie uns zu einem Aufzug, der uns direkt zu ihrer Abteilung bringt. Als die Türen sich öffnen prangern die Worte 'Abteilung für Sexualstraftaten' an der Wand und Setos Griff festigt sich erneut. Er schluckt, dann folgt er der Frau und hält mich dicht an seiner Seite.
 

Wir biegen in einen ruhigen Gang ab und plötzlich bleibt Detective Nagasato stehen. Sie bittet Akito und mich in einem Warteraum zu verbleiben. Nein. Sie schaut mich überrascht an und ich entschuldige mich kurz, erkläre ihr aber dann, dass ich Seto nicht in dieser stressigen Situation alleine lassen werde. Dann weiß ich noch drauf hin, dass Akito Setos Vormund hat und daher schon bei dem Gespräch dabei sein darf. Ja, ich weiß, dass ich der letzte bin, dem man diese Argumentation zugetraut hat, aber alles andere ist für mich nicht vertretbar. Sie überlegt kurz, dann nickt sie.
 

Sie bringt uns zu einem Raum, der relativ warm und gemütlich wirkt. Nicht wie ein Verhörraum, der sicherlich eher kühl und steril wirkt. Verwirrt blick ich kurz zu ihr, doch sie lächelt nur warmherzig. Dann bittet sie uns am Tisch, der aus Holz besteht, Platz zu nehmen. Wir folgen der Bitte und platzieren Seto zwischen uns. Die ganze Zeit hat Seto nicht ein Wort gesagt.
 

Kaum das wir sitzen kommt eine weitere Frau ihm Kostüm und saubere, makellosen Pumps herein. Ihre Bluse unter dem Jackett hat ein pastelliges Grün, was gut zu dem dunklen Braun ihres Kostüms passt. Ihre Fingernägel sind manikürt und mit einem gedeckten Grün lackiert. Sie trägt ein Goldkettchen, an dem ein Kreuz hängt, ein goldenes Armband am rechten Handgelenk, eine edle Uhr an der linken Hand. Die dunklen Haare ordentlich zusammengesteckt.
 

Die Frau lächelt uns freundlich an, dann verneigt sie sich und stellt sich als Maggi Thompson vor. Sie gehört zur Yamanashi-Stiftung. Yamanashi? Das hab ich doch schon mal irgendwo gehört oder gelesen. Ich weiß nur gerade nicht wann und wo. Sie erklärt uns noch einmal, was diese Stiftung ist:
 

Die Yamanashi-Stiftung ist eine Organisation, die eine Kooperation mit 23 Ländern erreicht hat. Anwälte und Richter der teilnehmenden Länder können - nach vorheriger Prüfung - für eine begrenzte Zeit in einem anderen Land ihren Beruf ausüben. Dazu erhalten sie einen Crash-Kurs bezüglich der Unterschiede in Rechtslagen und Gepflogenheiten am Gericht ihres Ziellandes. Maggi Thompson ist eine solche Staatsanwältin und sie ist für den Kinder- und Pornoring zuständig, zu dem auch Setos Fall gehört.
 

Die Hand meines Drachens krampft sich bei dieser Formulierung um meine. Ich muss meine gesamte Selbstbeherrschung aufbieten mich nicht von diesem schmerzhaften Griff zu befreien. Ich höre, wie Seto mit den Zähnen knirscht. Er atmet kaum wahrnehmbar und ich mach mir große Sorgen.
 

Die Britin mustert meinen Drachen, dann lächelt sie verständnisvoll und meint dann, dass sie sich uns nur vorstellen wollte und sobald Seto soweit wäre, eine Aussage zu machen, er sich vertrauensvoll an sie wenden kann. Mit diesen Worten reicht sie ihm eine Karte. Ich bin verwirrt. Dafür sind wir hier her gekommen? Hatte Detectiv Nagasato Akito nicht gesagt, dass Seto sich hier irgendwelche Vergrößerungen aus den gefundenen Fotos anschauen und eventuell bei der Identifizierung der Jungs helfen solle?
 

Doch scheinbar hat die Staatsanwältin erkannt, dass Seto für so ein Gespräch noch nicht bereit ist. Sie scheint mit solchen Fällen schon Erfahrungen und daher auch ein Auge zu haben, was sie einem Überlebenden zumuten kann und was nicht. Das rechne ich ihr hoch an.
 

Seto nimmt die Karte dankend entgegen, steckt sie in sein Visitenkartenetui und steht dann auf. Er nickt den beiden Damen zu und wartet kurz, bis auch Akito und ich von den Stühlen aufgestanden sind. Dann verlassen wir den Raum wieder. Setos Schritt ist eilig und schließlich scheint er zu finden was er sucht: Die Toiletten. Er hastet durch die Tür, Akito und ich folgen ihm besorgt und sehen dann, wie sich Seto übergeben muss.
 

Ich hätte das Gespräch gar nicht erst zulassen dürfen, geht mir durch den Kopf, während ich Seto beruhigend über den schweißnassen Rücken streichle.
 

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Einen Schritt, der erschüttert

Ich schau dem jungen Mann besorgt hinterher und will ihm kurz nach, als die Staatsanwältin das Wort an mich richtet. Sie entschuldigt sich dafür, dass sie dachte, ich hätte bei Kaiba Seto übertrieben. Ich nicke ihr nur zu, als Zeichen, dass ich Verständnis dafür hab. Schließlich kennen wir uns ja kaum und sie hat nur rudimentär Ahnung von der japanischen Kultur und deren Gepflogenheit.
 

Sie gesteht mir, dass sie auf Grund dessen, was sie von dem jungen Geschäftsmann schon alles gehört und gesehen habe, nicht erwartet hat, dass er mit dem Thema derart schlecht umgehen kann. Dann fragt sie mich, ob der Oberschüler schon in Therapie ist. Ich überlege kurz, doch dann nicke ich. Sage ihr, dass er von einem der besten Kinderpsychologen für Missbrauchsfälle betreut wird, aber das auch erst seit wenigen Monaten.
 

Das erstaunt sie. Scheinbar hat sie gedacht, dass Seto direkt nach dem Ende seines Martyriums direkt Hilfe in Anspruch genommen hat. Doch ich schüttle nur den Kopf und frag sie, ob ihr der blonde, junge Mann neben Seto aufgefallen sei. Sie nickt. Ich erkläre ihr, dass dieser außergewöhnliche, junge Mann Setos Freund sei und dieser ihn leitet. Er habe die Vorarbeit geleistet, damit Seto die Hilfe eines Psychologen erst einmal akzeptieren konnte.
 

Überrascht fragt sie mich, woher ich das weiß. Ich zier mich kurz, dann offenbare ich, dass ich seit diesem Fall mit Isono Akito bekannt bin, der Vormund von Kaiba Seto und dessen Bruder Mokuba. Er hat mal sehr bewundernd über Jonouchi Katsuya gesprochen und mir erklärt, dass der Blonde dort Erfolg hat, wo er früher gescheitert ist. Die Britin mustert mich kurz prüfend und fragt, welcher Art unsere Bekanntschaft sei, doch ich komm gar nicht dazu ihr zu antworten.
 

Mein Telefon klingelt. Ich zieh es aus der Tasche und nehme das Gespräch an. Es kommt von meinem Einsatzleiter vor Ort, die immer noch versuchen dieses Labyrinth unter dem Herrenhaus zu lösen. Ich kann kaum glauben, was er mir sagt, dann schau ich zu Maggi Thompson und lächle. Endlich.
 

Wir machen uns sofort auf den Weg und ich erzähl ihr von Daimon Kogoros Eindringen in das Herrenhaus, um sich ein weiteres Mal an Seto zu vergehen. Sie ist baff, denn solche Menschen haben eigentlich feste Präferenzen, wie Altersgruppen. Normalerweise interessieren sie sich nicht für mögliche Opfer, die außerhalb dieser Präferenzen liegen.
 

Dann kommen wir auf den unterirdischen Irrgarten zu sprechen. Auch sie erkennt die ungewöhnliche Exzentrik des Erbauers oder Bauherrn. Sie meint, so was würde sie in einem Roman oder einer Fernsehserie erwarten, aber doch nicht im echten Leben. Ich muss kurz lächeln, denn ich hab fast das gleiche gedacht, als ich das erste Mal davon erfahren habe.
 

Schließlich kommen wir an dem Anwesen mit dem Herrenhaus an, parken und laufen zu meinem Einsatzleiter. Er führt uns zu dem eigentlichen Ausgang des Fluchttunnels des Herrenhauses und dann durch die Tür, die sich dort befinden. Die Gänge sind mittlerweile gut ausgeleuchtet und der vermeintlich richtige Gang durch ein Absperrband gekennzeichnet, dass die falschen Gänge überspannt.
 

Ich war schon einmal in Paris und hab dort die Katakomben unter der Stadt besucht. Das hat mir gar nichts ausgemacht. Aber in diesem Gangsystem fröstelt es mich. Eine Gänsehaut läuft mir über den Rücken und lässt mich kurz schaudern. Maggi Thompson geht hinter mir. Währenddessen referiert der Einsatzleiter, dass es einige Sackgassen gibt, die durchaus tödlich enden können. Sie haben schon Fallgruben gefunden. Wie in einem Videospiel, kommentiert er.
 

Wir kommen an eine Treppe und er erzählt, dass sie bislang sieben Treppen gefunden haben, diese aber die einzige wäre, die nicht in eine Falle führen würden. Oben schließt noch ein kurzes Gangstück an, dann teilt sich der Gang. Ein Teil läuft geradeaus weiter, der andere Teil führt erneut eine schmale Treppe hinauf. Der Einsatzleiter erklärt, dass der gerade Gang zu dem Büro führt, dass Seto wohl bislang benutzt hatte, als er noch hier wohnte.
 

Als ich frage, wohin die Treppe führt zuckt er mit den Schultern. Oben an der Treppe sei zwar eine Tür, aber sie hätten noch nicht heraus gefunden, wie man sie öffnen kann. Auf die Frage, ob ich mir das mal anschauen darf nickt er. Also besteig ich die zweite Treppe. Ich schau mir die dortige Tür - keine im üblichen Sinne wohlgemerkt - genau an. Sie muss ja irgendwie aufgehen, sonst wäre der Durchgang ja nutzlos.
 

Maggi ist mir gefolgt und schaut mir über die Schulter. Dann greift sie an mir vorbei in eine Nische, die mir durch die spärliche Belichtung gar nicht aufgefallen war. Es macht Klick und ein Mechanismus setzt sich in Bewegung, wodurch die Tür aufschnappt. Nur ein oder zwei Zentimeter. Ich schau die Staatsanwältin verblüfft an und sie meint, dass sie gerne Krimis liest. Okay...
 

Wir stemmen uns gegen die Tür und sie geht schwerfällig auf. Sie ist schwer und als wir durchgehen erkenne ich, dass es daran liegt, dass auf der anderen Seite der Tür ein Bücherregal als Tarnung angebracht ist, dass voller Bücher bestückt ist. Die Regalböden sind so stark verstaubt, dass der Staub mehrere Zentimeter aufragt. Erst jetzt sehe ich mich im Zimmer um. Die Fenster sind so dreckig, dass zwar noch Licht reinkommt, aber man nur schwammig erkennt, was draußen ist.
 

Das hier ist ein Schlafzimmer. Der gesamte Raum protzt vor Extravaganz. Dominiert wird das Zimmer durch das herrschaftliche Himmelsbett zwischen zwei Fenster. Auch die Beistelltische sehen aus, als würden sie aus einem europäischen Museum stammen. Auf ihnen stehen unverkennbare Stickley-Lampen. Diesen Stil würd ich überall erkennen, vor allem weil ich sie echt hässlich finde.
 

Während ich mich umschaue sehe ich einen Sekretär an einer Wand neben einer Tür stehen. Es ist so ein großer Sekretär mit Schrankaufbau, dessen Türen geschlossen sind. Die Luft hier drin ist trocken und kratzt in meinem Hals. Ich sehe neben der Tür beim Sekretär noch zwei weitere Türen, jeweils links und rechts an den gegenüberliegenden Wänden.
 

Hinter der linken Tür find ich ein Badezimmer, welches ebenfalls einen Prunk widerspiegelt, der mich förmlich erschlägt. Es wirkt so, als wäre es überhastet zurück gelassen worden, denn auf dem Waschbecken steht noch ein Becher mit Zahnbürste und bei der Toilette liegen noch einige vergilbte Magazine. Wirtschaftsjournale, wie ich feststelle.
 

Die andere Tür führt mich in ein Ankleidezimmer. Eine Reihe teurer, scheinbar maßgefertigte Anzüge, Hemden und Hosen hängen auf der Kleiderstange. Darunter steht exklusive Schuhwerk. Sehr hochpreisig alles. Als ich mich umdrehe, um das Zimmer wieder zu verlassen erstarre ich. Mir springt die Wand hinter der Tür in den Blick, an der ein Gitter angebracht ist und an diesem Gitter wurden verschiedene Gerätschaften aufgehängt, die ich sonst nur aus der BDSM-Szene kenne.
 

Dann hör ich Maggi Thompson nach mir rufen. Als ich wieder in das Schlafzimmer komme sehe ich sie am Sekretär stehen, den sie geöffnet hat. Dahinter sind sechs Monitore angebracht, die alle dunkel sind. Es gibt zahlreiche Schubladen, die Maggi wohl aufgezogen hat und in denen hunderte, wenn nicht sogar tausende Bilder sind... und über den Monitoren sind zahlreiche antiquiert wirkende Filmbänder aufgereiht. Worauf sind wir hier nur gestoßen?
 

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Einen Schritt durch den letzten Schultag

Ich fühle mich matt und erschlagen. Meine Arme wirken auf mich schwer und taub. Meine Beine wollen am liebsten ihren Dienst quittieren, bevor sie ihn aufgenommen haben. Selbst meine Haare scheinen heute irgendwie kraftlos zu sein und hängen strähnig herab.
 

Schon alleine sich aufzusetzen war eine Kraftanstrengung und ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe. Der Weg zum Badezimmer wirkt auf einmal wie ein Kilometer den Berg hinauf. Und ich spüre meine Unlust diesen Weg anzutreten. Am liebsten würde ich mich wieder nach hinten ins Bett fallen lassen, mich zudecken und einfach den Tag verschlafen.
 

Das Treffen mit Detective Nagasato und der Staatsanwältin Thompson war so... anstrengend gewesen. Ich glaube der Staatsanwältin nicht, dass sie sich nur vorstellen wollte. Vermutlich hatte sie ein Anliegen und dann hat sie mich in diesem erbärmlichen Zustand gesehen und hat ihre Pläne geändert.
 

An mir nagt das Gefühl, dass ich eine mir völlig Fremde enttäuscht haben könnte und das ist etwas, was mich verwirrt. Ich scheiß doch sonst darauf, was Andere - nein - Fremde von mir denken. Wieso zerbrech ich mir also immer noch den Kopf über dieses gestrige Treffen?
 

Liegt es daran, dass ich nichts aktiv dazu beitrage, diese Drecksäcke endlich wegzusperren? Ich war weder eine Hilfe bei der Befragung des Hilfskellner bei dem Benefits, noch hab ich - wie ich es vorgehabt hatte - Anzeige erstattet und eine Aussage gemacht.
 

Ich weiß, dass Kogoro eine ähnliche Trophäensammlung hatte, wie ER. Wie ... Gozaburo. Durch diese Sammlung kam es doch schließlich zu den Massenverhaftungen dieser Männer aus den gehobenen Schichten. Die Schichten, die ihre Finger in der Wirtschaft und Politik haben.
 

Tatsächlich hatten diese Verhaftungen auch Auswirkungen auf den japanischen und internationalen Aktienkurs. Fast bei allen irgendwie involvierten Firmen kam es zu einem Absturz des Aktienwertes. Auch bei unserer, obwohl ... ich nicht zu diesen Männern zähle. Aber langsam normalisiert sich auch das wieder.
 

Plötzlich spüre ich zwei warme Arme, die sich von hinten unter meinen Armen durchschieben und vor meinem Bauch kreuzen. Sanft wird mir ein Kuss in den Nacken gedrückt und ich lächle - zumindest ansatzweise. Ich liebe es, wenn Katsuya mir so eine Zärtlichkeit schenkt. Dann fühl ich mich geliebt, geborgen und in Sicherheit.
 

Er flüstert mir ins Ohr und fragt mich, ob sein Drache auf ihn gewartet hat. Ich nicke nur. Wieso soll ich ihm Sorgen bereiten? Immerhin seh ich ja ein Licht am Ende des dunklen Tunnels, denn heute ist unser letzter Schultag vor den Sommerferien. Nach heute haben wir sechs Wochen, in denen wir... ja was eigentlich? Ich glaube, dass sind die ersten Sommerferien, in denen ich nicht arbeite. Also nicht in der Firma ...
 

Wir wollen noch mal zur Hütte am See, in der wir schon in der Golden Week waren. Oder vielleicht ins Strandhaus? Vielleicht beides? Erst das eine, dann das andere. Mir ist es egal, solang es dort ein Bett gibt, in dem ich liegen kann und aus dem ich nicht aufstehen muss.
 

Langsam steht Katsuya auf und zieht mich dann mit sich. Ich fühle mich so schwerfällig, doch meinem Streuner scheint es gar keine Mühe zu bereiten mich zu bewegen. Also lass ich mich ziehen: Erst ins Bad, dann unten in die Küche zum Frühstück. Trotz Dusche will mein Haar heute nicht, wie es soll. Es hängt einfach lustlos an mir herab und das nervt mich wiederum. Vielleicht sollte ich sie mir einfach kürzen lassen... auf eine schneidige Kurzhaarfrisur. Wie Katsuya und Mokuba darauf reagieren würden? Bestimmt entsetzt. Oder begeistert?
 

Dann brechen wir langsam zur Schule auf und zu einem dieser Schultage, der weder produktiv noch sinnvoll ist. Der Kindergarten bejubelt natürlich die lasche Haltung der Lehrer und ihre Beschäftigungstaktiken. Doch mir ist nicht nach diesen Tafelspielen zu Mute und daher bin ich dankbar dafür, dass die Lehrer noch nicht gecheckt haben, dass ich nicht mehr der bin, der ich noch kurz vor den Winterferien gewesen war.
 

So bin ich wirklich dankbar, als dieser Schultag endlich endet. Überall wünschen sich die Leute schöne Ferien und bekunden ihre Freuden sie nach dem Sommer wiederzusehen. Der Kindergarten bleibt bei Katsuya und mir stehen. Von ihnen wird nur Bakura die Zeit in England bei seinen Großeltern verbringen, die ihn scheinbar sehr vermissen.
 

Da Bakura erst Montagfrüh fliegen wird beschließt die Gruppe direkt, dass sie das Wochenende bei uns als Abschiedsparty nutzen wollen. Das klingt furchtbar anstrengend, aber ich sag auch nicht nein. Es war ja ohnehin geplant, dass die anderen das Wochenende wieder bei uns verbringen. Ob sie da nun am Pool rumturnen oder eine 'Party' veranstalten wird wohl keinen Unterschied machen ... hoffe ich.
 

Als wir unser Schuhwerk gewechselt haben und das Gelände verlassen seh ich schon Fuguta vorfahren. Honda und Otogi fahren selbst erst zu Otogi, ihre Sachen holen, und dann kommen sie nach. Yugi und Bakura packen wir gleich mit ein. Wir fahren erst bei Yugi vorbei, damit er sich fix umziehen und seine Sachen holen kann. Dann bei Bakura, damit dieser das gleiche erledigen kann. Bis wir dann zum Grundstück kommen sehen wir auch Honda und Otogi ankommen.
 

Wir sind kaum durch das Eingangstor gefahren, da fällt mir der Wagen mit Amtskennzeichen vor dem Haus auf. Mein Herz beginnt sofort wieder schwer zu wummern, denn ich weiß, welcher Beamte dieses Auto vom Staat als Dienstwagen gestellt bekommen hat: Detectiv Nagasato!
 

Ich spüre, wie Katsuya sofort unsere Finger verschränkt, statt nur mit mir Händchen zu halten. Scheinbar sieht er mir meine Anspannung sofort an und ahnt - genau wie ich - nicht gerade heitere Nachrichten. Erst als ich nach dem Halten nicht sofort aussteige merken auch Yugi und Bakura, dass etwas nicht mit mir stimmt. Ich kann ihren fragenden Blick sehen, der zu Katsuya geht.
 

Dieser gibt ihnen nur mit einer Geste zu verstehen, dass sie schon mal vorgehen sollen. Nur zögerlich nicken sie einwilligend und gehen schon mal zum Haus. Können wir nicht einfach woanders hinfahren? Einfach weg von hier.
 

Da legt Katsuya mir eine Hand an die Wange und streicht mir darüber. Ermutigend lächelt er mich an und schaut mir in meine Augen. Meint zu mir, dass wir - egal was da kommen mag - gemeinsam durchstehen werden und es für mich keinen Grund gibt das Weite zu suchen.
 

Ich würde ihm so gern glauben. Wirklich. Doch im Grunde bin ich doch nichts anderes als ein Feigling, der die Flucht ergreift, wenn alles zu schwer wird.
 

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Einen Schritt, der unvermeidlich war

Wir stehen in der Bibliothek. Eigentlich wollte Akito, dass wir in sein Hausbüro gehen, doch dass wollte Seto nicht. Vermutlich, weil ihn das zu sehr an seinen Adoptivvater erinnert hätte. Akitos Einwand, dass die Bibliothek möglicherweise nicht genügend Privatsphäre bieten würde hat Seto ignoriert.
 

Unsere Finger sind verschränkt und ich kann spüren, wie die Hand meines Drachens zittert. Feucht ist. Er ist total verspannt und angespannt. Vor uns steht Detective Nagasato und versucht Blickkontakt zu Seto herzustellen, was dieser ihr unmöglich macht. Denn sein Blick ist leicht nach unten gerichtet. Immer an ihr vorbei. Die Lippen so fest aufeinander gepresst, dass sie nur eine schmale Linie bilden.
 

Detective Nagasato beginnt damit, dass sie endlich den Weg durch das Labyrinth in Setos ehemaliges Hausbüro im Herrenhaus gefunden haben. Sie erzählt von Fallen in dem Labyrinth. Tödlichen Fallen. Ich erwische mich dabei, dass ich mich frage, wie man auf so eine beknackte Idee kommt? Ich meine, wir sind doch hier in keinem absurden Anime, in dem ein reicher Fuzzi seine Opfer durch so ein Labyrinth jagen kann und falls jemand hops geht das einfach mit einem Schulterzucken abtun kann.
 

Seto nickt nur. Ich weiß, dass er gerade seiner Stimme nicht traut und daher auf eine verbale Reaktion verzichtet. Unscheinbar rückt er etwas mehr zu mir. Er war eh schon den ganzen Tag blass, aber jetzt hat er gar keine Farbe mehr. Meine Hand fühlt sich wie in einem Schraubenstock. Denn der Griff meines Drachens festigt sich immer mehr.
 

Die Beamtin setzt erneut im Gespräch mit Seto an und erzählt, dass sie bei diesem Gang im Haus eine Abzweigung gefunden haben, die eine Treppe hinauf führte. Dort wären sie an eine scheinbar nicht zu öffnete Tür geraten. Kurz lockert sich Setos Griff, bevor dieser wieder anzieht. Ja, mir ist die Formulierung auch aufgefallen. Scheinbar ... auf den ersten Blick so scheinen, es aber nicht sein.
 

Tatsächlich folgt direkt die kurze Erklärung, wie die Staatsanwältin, die wir gestern kennenlernen durften, den geheimen Mechanismus fand und die Tür doch öffnete. Das ist doch Irrsinn. Wer baut in sein Herrenhaus schon Geheimgänge und -türen ein? Wie baut man so etwas, ohne das es an die Öffentlichkeit dringt. Ich meine, der Architekt oder Ingenieur oder wer auch immer den Klotz geplant und den Bau überwacht hat, muss das doch komisch vorgekommen sein.
 

Der Schmerz in meiner Hand holt mich aus meinen Gedanken. Ich kann hören, wie Seto mit den Zähnen knirscht und nur noch sehr gepresst durch die Nase atmet. Scheinbar weiß er schon, wo die beiden Frauen rausgekommen sind und wenn ich mir seine Reaktionen während dieses kurzen Gesprächs anschaue, dann ahne ich, was als nächstes kommt.
 

Unsere Erwartungen werden leider nicht enttäuscht. Detective Nagasato erzählt von der Entdeckung des Schlafzimmers des ehemaligen Firmenchefs. Sie erzählt von den Dingen, die ich vor ein paar Wochen - als wir noch in dem Herrenhaus gewohnt haben - selbst gemacht hatten. Sie fand die Toys in der Ankleide und die Staatsanwältin den Sekretär mit den Videos und Fotografien.
 

Mein Drache hat den Blick noch weiter gesenkt und zittert jetzt für alle sichtbar. Er scheint nur noch sehr flach zu atmen. Wohl die einzige Möglichkeit gegen den Fluchtimpuls anzukommen, der in ihm auslöst, wenn es um dieses Zimmer geht. Schon als er mich beim Entdecken dieses Zimmers erwischt hat wusste er sich vor Scham nicht anders zu helfen, als wegzulaufen. Barfuß. Durch den Wald. Auf einen Spielplatz nahe dem alten Wohnhaus seiner leiblichen Eltern.
 

Detective Nagasato erwartet wohl eine Reaktion von Seto, die sie aber nicht bekommt. Also frag ich sie, was nun geschehen wird. Nach einem Moment wechselt ihr Blick von Seto, der immer noch mit sich ringt, zu mir. Sie meint, dass die Sammlung im Herrenhaus wesentlich detaillierter wäre, als die bei diesem Dreckschwein Daimon Kogoro, da jedes Foto auf der Rückseite Datum, Name und Kontaktadresse trug. Damit könnte sie die darauf abgelichteten Männer sicher Ding festmachen. Dann sieht sie wieder zu Seto und fügt hinzu, dass sie das tun kann, wenn Seto ihr das erlaubt.
 

Damit hat Seto nicht gerechnet, denn sein Blick schnappt kurz zu ihr hoch und er schaut sie verwirrt an, bevor er den Blickkontakt wieder bricht und zu Akito schaut. Dieser erklärt Seto, dass diese Beweise nicht direkt etwas mit dem Eindringen und Angriff von Kogoro zu tun hat und daher nicht ohne seine ausdrückliche Erlaubnis mitgenommen werden dürfen.
 

Ich seh schon, wie Seto versucht ist zu sagen, dass diese Sammlung nicht zur Verfügung steht. Er ringt sichtbar mit sich. Noch immer hat er Angst vor der öffentlichen Bloßstellung. Doch auf der anderen Seite will er Abschließen und mittlerweile hat er gelernt, dass das nur durch aufarbeiten geht. Seine Augen bekommen einen verzweifelten Ausdruck und feuchten Glanz.
 

Da fragt Akito die Beamtin, ob Seto das sofort entscheiden muss, oder ob er das Wochenende darüber nachdenken und sich sowohl mit seinem Therapeuten, als auch mit ihren Anwälten beraten darf. Die Polizistin lässt Seto keinen Augenblick aus ihrem Blick, bleibt verständnisvoll und ruhig.
 

Dann nickt sie und meint, dass mein Drache das nicht über das Knie brechen soll. Sie zieht eine Visitenkarte aus ihrem Etui und reicht es Seto. Er nimmt sie mit der freien Hand, bei der er versucht das Zittern zu unterbinden, was ihm aber nicht gelingt. Darauf steht groß 'Opferberatung'. Darunter eine Internetadresse, sowie eine Telefonnummer.
 

Detective Nagasato und Akito wechseln noch einen Blick. Moment mal, was soll dieser Blick? Doch schließlich verabschiedet sich die Beamtin und meint, dass sie den Weg zur Tür alleine finden wird. So verlässt sie die Bibliothek und lässt uns drei zurück. Nach einem weiteren Augenblick, in dem Seto auf die Visitenkarte in seiner Hand gestarrt hatte, lässt er sie fallen, als hätte er sich plötzlich daran verbrannt.
 

Die erste dicke Träne löst sich bei ihm, der weitere folgen, während er immer noch mitten in diesem bücherreichen Raum steht. Vorsichtig tret ich vor ihn und lege meinen nicht gebundenen Arm um ihn. Akito tritt hinter ihn und tut es mir gleich. Seto vergräbt fast augenblicklich sein Gesicht an meiner Halsbeuge und ich spüre die Feuchtigkeit. So bleiben wir einfach stehen.
 

An Akito vorbei kann ich Mokuba an der Tür zum Foyer stehen sehen. Ich geb ihm kurz ein Zeichen und er kommt zu uns. Er stellt sich neben mich und umfängt auch tröstend seinen Bruder. Mokuba ist ein guter Bruder. Aufmerksam und sehr um Seto bemüht, seit er endlich im Bild ist.
 

Wenigstens kann ich mir in den Ferien endlich die Zeit nehmen, die uns seit den Winterferien irgendwie gefehlt hat. Endlich können wir uns ganz auf das Aufarbeiten konzentrieren ohne am nächsten Tag wieder dem Schein nach fit sein zu müssen.
 

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Einen Schritt voran

Vorsichtig schließe ich hinter mir die Zimmertür der Jungs. Neben mir steht Mokuba, dem ich väterlich die Hand auf die Schulter lege. Er blickt zu mir auf und sein Blick zerreißt mich förmlich. Ihm war bewusst, dass sein Bruder von ihrem Adoptivvater und dessen Vorstand missbraucht worden war. Doch das dieser Kreis sich jetzt noch um ein vielfaches erweitert hat, dass trifft ihn unvorbereitet.
 

Dann kommt die Frage, vor der ich bislang immer am meisten Angst hatte: Mokuba will wissen, ob es da noch mehr gibt. Noch mehr, dass er nicht weiß. Noch mehr Schrecken und Schmerz, der nun aufgedeckt werden könnte. Was soll ich ihm darauf antworten? Eigentlich liegt es nicht an mir, ihm zu antworten. Wenn ich antworte entreiße ich Seto noch mehr Kontrolle und er befindet sich schon jetzt hart an der Grenze des Erträglichen.
 

Doch dann demonstriert Mokuba einmal mehr, wie erwachsen und reif er schon ist, denn er winkt ab. Entschuldigt sich bei mir für die Frage, denn diese würde mich in eine dumme Situation bringen. Ich drück ihm sanft einen Kuss auf die Stirn. Weiter vorne sehe ich den mehrfarbigen Schopf von Mutou Yugi auftauchen, der vorsichtig zu uns lugt, als wäre er auf geheimer Mission. Ich mache Mokuba auf ihn aufmerksam, der dann zu ihm läuft.
 

Ich schaue noch einmal zu der Tür hinter mir. Wie gerne würde ich Seto all diese Last abnehmen, die dieses Monster und dessen 'Freunde' und 'Geschäftspartner' ihm aufgebürdet haben. Warum hab ich ihn dessen Schlafzimmer verstecken lassen? Warum hab ich es nicht ausgeräumt und all diesen Mist vernichtet? Was nicht da ist, kann nicht gefunden werden. Warum?
 

Doch bevor ich mich das weiter fragen kann erregt mein Handy meine Aufmerksamkeit. Es hat vibriert und signalisiert mir somit den Eingang einer Textnachricht. Also hol ich es hervor und schau auf das Display. Als ich sehe wer mich angeschrieben hat muss ich schmunzeln. Mit einem Touch öffne ich die Nachricht und lese, wie Yuki sich nach Setos Befinden erkundigt. Ich rechne ihr hoch an, dass sie nach diesem Gespräch sich erkundigt, wie es Seto geht. Das ist nicht selbstverständlich.
 

Also schreib ich ihr, dass es ihm den Umständen entsprechend geht. Daraus entsteht ein Chat, in dessen Verlauf ich den Flur entlang zu meinem eigenen Schlafzimmer gehe. Dort leg ich meine legere Kleidung ab und schlüpfe in einen Alltags-Anzug. Gerade als ich fertig bin erinnert mich mein Smartphone daran, dass ich noch einen Termin habe. Daher schreib ich Yuki kurz, dass Antworten jetzt etwas dauern könnten.
 

Schließlich verlasse ich mein Schlafzimmer wieder, steige die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und geh kurz zum Wohnzimmer, wo Mokuba es sich mit seinen Besucher bequem gemacht hat und mit ihnen einen Film schaut. Ich wink ihm kurz und er kommt sofort zu mir. Leise sag ich ihm, dass ich noch einmal weg muss und er mich jederzeit über das Handy erreichen kann. Er nickt und umarmt mich noch einmal, was mich kurz überrascht. Doch dann erwiderte ich die Umarmung.
 

Als ich das Haus verlasse spüre ich, wie mir Mokuba besorgt hinterher schaut. Er weiß, dass ich einen Arzttermin habe. Das ist momentan keine Seltenheit. So einen Termin hab ich wöchentlich zur Kontrolle, bis einige Werte besser sind. Danach monatlich und ich hoffe, dass ich dann nur noch quartalsweise hin muss. Aber ich sollte mich nicht darüber beklagen... immerhin kann ich froh sein, noch am Leben zu sein.
 

Doch was Mokuba nicht weiß, ist, dass ich nach meiner Routineuntersuchung noch in die Firma muss. Ich muss schauen, was liegen geblieben ist und was sich in den letzten Wochen so getan hat. Zwar hat mich Fuguta täglich auf den neusten Stand gebracht, dennoch sollte ich langsam schauen wieder rein zu kommen.
 

Ich werde über den Sommer auf jeden Fall noch kürzer treten. Auch wenn mir das persönlich nicht schmecken mag. Aber ich bin jetzt ganz offiziell Vormund der beiden Brüder und ihnen schulde ich mehr auf mich zu achten. Doch wenn Mokuba im Herbst auf die neue Schule kommt, dann werde ich wieder in die Vollen gehen und dafür muss ich in Übung bleiben. Den Umgang mit unserer Software immer wieder auffrischen. Die Zahlen kennen. Wissen, wo es hapert. Probleme lösen, bevor sie entstehen.
 

Die Routineuntersuchung dauert - wie immer - knapp eine Stunde. Danach erklärt mir der Arzt, dass ich weiterhin meine Tabletten nehmen und mir Ruhe gönnen soll. Ruhe... selbst wenn ich jetzt nicht im Anschluss in die Firma fahren würde, dann wäre Ruhe das Letzte, was ich mir gönnen könnte. Nicht jetzt. Nicht, wenn mein Ältester kurz vor dem Nervenzusammenbruch oder eine schweren Depression steht. Nicht, wenn mein Jüngster kurz vor dem Verzweifeln, ob der ganzen Wahrheit, die sich plötzlich vor ihm auftut, ist.
 

Dann mach ich mich auf den Weg in die Firma. Dort grüß ich den Pförtner mit seinem Namen. Mir ist wichtig jeden in der Firma mit dem Namen ansprechen zu können. Jeder ist wichtig und egal in welcher Funktion er hier tätig ist, er gehört zur Firmenfamilie. Schließlich fahr ich mit dem Aufzug in die oberste Etage und suche mein Büro auf.
 

Die meisten Büros sind bereits verlassen und eine merkwürdige Stille liegt über der Firma. Ich weiß, dass es noch ein paar wenige gibt, die jetzt noch bis 19 oder 20 Uhr da sein werden und dann noch auf ein Feierabendbier eine Bar aufsuchen, bevor sie dann nach Hause fahren. Doch hier oben sind die meisten bereits im Feierabend, vor allem weil es Freitag ist.
 

Ich schalte meinen Rechner an und während er hochfährt gehe ich in die Büroküche und mach mir einen Tee. Dabei schau ich durch die Glaswand den Gang hinunter zu den Aufzügen. Man könnte meinen, dass diese Stille für mich gruselig oder unangenehm ist, aber tatsächlich bin ich sie gewöhnt. Als Seto noch gearbeitet hat kam es nicht selten vor, dass er bis in die Nacht hinein gearbeitet hat und wir die letzten im Haus waren. Daher hat diese Atmosphäre etwas Vertrautes...
 

Schließlich kehre ich zurück ins Büro, nehme in meinem Sessel Platz und stell meine Tasse ab. Dann nehm ich mir die erste Akte, ruf mir im System entsprechende Daten auf und entscheide dann, ob das was man möchte genehmigt oder abgelehnt wird. Manche Entscheidungen fallen leicht. Andere erfordern die Prüfung mehrerer Zahlen... Seiten voller Zahlen...
 

Als ich auf die Uhr blicke stelle ich überrascht fest, dass es fast 22.00 Uhr ist. Also schlage ich die letzte Akte zu und leg sie auf den Stapel, der sich von einer Seite meines Schreibtisches - dem Eingang - zur anderen Seite - dem Ausgang - bewegt hat. Dann fahr ich meinen Rechner runter, bring meine Tasse in die Küche, wo ich sie kurz ausspüle und in den Schrank zurück stelle.
 

Dann verlass ich das Firmengebäude, steig in meinen Wagen und fahr los. Doch mein Ziel ist nicht unser Haus in den Hills. Ich fahre eigentlich in die entgegengesetzte Richtung. Nach einigen Minuten erreiche ich ein mittelgroßes Appartementgebäude, parke und steig aus. Dann geh ich zu der linken der drei Haustüren und drücke dort auf eine Klingel. Fast augenblicklich wird mir die Tür geöffnet und ich fahre mit dem Aufzug in den obersten Stock. Dort wende ich mich nach links und gehe den Gang bis ganz zum Ende, wo die Tür mich angelehnt zum Eintreten einlädt.
 

Kaum bin ich in die Wohnung geschlüpft umfängt mich ein Wohlgeruch eines selbstgemachten Abendessens.
 

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Einen Schritt von Ärger zur Entzückung

Immer wieder schau ich auf die Uhr über dem Fernseher. Akito ist schon ziemlich lange weg und ich frag mich, ob die Untersuchung im Krankenhaus vielleicht doch nicht so gut gelaufen ist. Aber dann hätte er sich doch gemeldet, um Bescheid zu sagen... oder? Vielleicht wurde er über Nacht zur Beobachtung eingewiesen und möchte nicht, dass wir uns sorgen? Nein, er weiß, dass ich immer auf ihn warte. Also wo bleibt Akito nur? Es ist schon nach Mitternacht.
 

Seto und Jou-kun sind auch nicht wieder runter gekommen. Okay, ich hab nichts anderes erwartet. Mein Bruder fühlt sich entblößt und hat wohl Angst davor, dass er auch vor unseren Freunden sein Gesicht nicht wahren kann. Aber muss man sein Gesicht vor Freunden wahren? Hat er nicht mittlerweile gelernt, dass man vor richtig guten Freunden auch mal zeigen kann, wie verletzt und verwirrt man ist? Sie können einem Halt und Geborgenheit schenken.
 

Da hör ich endlich ein Auto, dass die Einfahrt hochkommt. Das kann nur Akito sein. Ich spring auf, sag Yugi, der neben mir sitzt, dass ich gleich wieder zurück bin. Er nickt nur, bleibt aber voll auf den Film konzentriert. Neben ihm sitzt Bakura-kun und... beide halten Händchen. Ich muss kurz lächeln, weil ich das so süß finde. Honda und Otogi teilen sich den breiten Sessel und sitzen irgendwie kompliziert in einander verschlungen. Wer auf wem sitzt ist... nicht klar zu sagen. Egal.
 

Ich lauf aus dem Wohnzimmer, schiebe die Tür zu und stell mich an die Haustür. Der Schlüssel wird reingeschoben und dann die Tür aufgeschlossen. Akito kommt rein geschlichen, wie ein Dieb in der Nacht. Ich mein, man sieht doch das Flackern des Fernsehers durch das Fenster. Also warum versucht er reinzuschleichen? Als er mich sieht, scheint ihm das auch direkt klar zu werden. Er lächelt mich an.
 

Obwohl Akito wie immer aussieht wirkt er anders. Sein Anzug sitzt ordentlich und auch die Krawatte ist gewohnt sorgfältig gebunden. Er schlüpft aus seinen Schuhen und in die Pantoffeln. Dann kommt er zu mir, geht in die Knie, so dass er von etwas tiefer zu mir herauf schaut. Er lächelt mich an, dann beugt er das Haupt, als wolle er sich nur ab dem Hals ab aufwärts verbeugen. Ruhig bittet er mich um Verzeihung, denn er hat vergessen mir zu schreiben, dass er nach seinem Termin noch ein paar Sachen zu erledigen hat.
 

Die Entschuldigung lässt meinen Ärger nicht verfliegen. Ich kann mir schon denken, was für Sachen er zu erledigen hat. Also predige ich ihm, dass sein Arzt ihm doch bestimmt gesagt hat, dass er sich noch schonen muss. Warum fährt er dann in die Firma. Überrascht schaut mich Akito an. Scheinbar hat er nicht damit gerechnet, dass ich aus den paar Hinweisen, die er wohl unabsichtlich gegeben hat, schließe, dass er arbeiten war.
 

Plötzlich grinst er stolz und wuschelt mir durch das Haar. Er nickt und entschuldigt sich, dass er doch nach dem Rechten schauen war. Dann erklärt er mir, dass er freitags nur für ein paar Stunden am Abend in die Firma zu fahren, um die Entscheidungen abzusegnen, die einen Stempel von den Firmenbesitzer erfordern.
 

Ein paar Stunden? Sein Arzttermin war gegen 17.00 Uhr und jetzt haben wir fast 01.00 Uhr. Dauert seine Untersuchung für gewöhnlich nicht gerade mal eine Stunde? Das heißt er war fast fünf oder sechs Stunden in der Firma. Das sind nicht nur ein 'paar' Stunden. Dass sein Lächeln einfach nicht abebbt macht mich rasend. Was ist denn so lustig daran, dass ich ihm die Leviten lese?
 

Ich dreh mich weg und sag ihm, er soll mitkommen. Dann geh ich in die Küche. Akito folgt mir, da bin ich mir sicher. Dafür muss ich mich nicht extra umdrehen. Denn ich kenne diesen Mann wohl genauso gut wie meinen Bruder. Ich stocke bei dem Gedanken, denn mir wird auf einmal bewusst, dass ich Seto gar nicht wirklich kenne. Klar, als Mensch, aber nichts von dem, was er erlebt hat. Das macht mich nur noch wütender. Schroff weiß ich Akito an, sich an den Tisch zu setzen. Dann hol ich den Teller aus dem Kühlschrank, den ich ihm vorhin beim Abendessen weggetan habe. Ich stell ihn kurz in die Mikrowelle zum Aufwärmen, bevor ich ihn und Besteck zu Akito bringe.
 

Akito schaut mich mit großen Augen an und lächelt dankbar. Dann bittet er mich, dass ich mich zu ihm setze, was ich auch tu. Er meint, dass das Essen gut riechen würde, der es aber nicht ganz packen wird. Was? Erst stundenlang arbeiten und dann das Abendessen auslassen wollen. Ich plustere mich schon für die nächste Standpauke auf, als er hinzufügt, dass er schon gegessen hat.
 

Irgendwie nimmt mir das voll den Wind aus den Segeln. Akito hat schon gegessen? Wo? Bestimmt nur so ein ungesunder Fast Food-Fraß. Doch er schüttelt den Kopf und lächelt wieder mild. Eröffnet mir dann ruhig, dass er nur bis 22.00 Uhr in der Firma gewesen ist und danach zum Essen eingeladen war. Dann beginnt er zu essen.
 

Verdaddelt starr ich ihn an. Akito war zum Essen eingeladen? Von wem? Wo? Was gab es? Sein Schmunzeln wird wieder breiter, als würde es ihn amüsieren, dass ich so baff bin. Mein Ärger ist irgendwie total verpufft. Also wiederhole ich meine Fragen und dieses Mal mischt sich ... Enthusiasmus mit in meine Stimme. Akito war von jemand zum Essen eingeladen? An einem Freitagabend? Das war sicherlich kein Geschäftsessen, oder etwas doch?
 

Unser Ziehvater schüttelt wieder amüsiert den Kopf und beruhigt mich, dass es kein Geschäftsessen war. Und er war auch in kein Restaurant eingeladen, sondern zu etwas Selbstgekochtem. Selbstgekocht? Jemand hat für Akito gekocht?
 

Auf einmal geht mir der Gedanken durch den Kopf, dass Akito eine Freundin haben könnte. Vielleicht lebt er ja auch in einer langjährigen Partnerschaft, von der wir nichts wissen. Aber wo soll er die Zeit für so eine eigentlich hernehmen? Früher war er immer hier und zur Stelle, wenn einer von uns ihn gebraucht hat und selbst nach Gozaburos Tod war er immer bei uns und ist nur zum Schlafen nach Hause gefahren, wobei er auch da immer auf Abruf bereit stand. Gibt es Beziehungen, die so was verkraften?
 

Wieder streichelt er mir sanft über das Haar und meint, ich brauch mir nicht so viele Gedanken zu machen. Wir stehen bei ihm immer an erster Stelle und das wird sich so schnell auch nicht ändern. Scheinbar sind meine Gedanken für ihn ein offenes Buch. Doch bei wem war er denn nun?
 

Er beugt sich etwas zu mir und flüstert mir fast schon zu, dass er bei Kai war. Dieser habe ihn zum Abendessen eingeladen, nachdem Akito ihn wegen der aktuellen Situation mit Seto um Rat gebeten hat. Also ist Akito nach der Arbeit zu Kais Wohnung gefahren, sie hätten nett zu Abend gegessen und dann über Detective Nagasatos Entdeckung gesprochen.
 

Kai? Echt jetzt? KAI? Aber... er ist doch sowohl Setos, als auch meiner, sowie Akitos Therapeut. Ist das nicht irgendeine Verletzung des Arzt-Patienten-Verhältnisses? Akito schüttelt den Kopf. Kai hätte ihn schon vor einiger Zeit an einen Kollegen weiterempfohlen, da der Rothaarige ja eigentlich Kinder- und Jugendpsychologe ist.
 

Irgendwie hatte ich jetzt was anderes erwartet... keine Ahnung was... aber ich hoffe, dass Akito irgendwann mal einen Menschen findet, mit dem er glücklich werden kann. Auf romantische Art und Weise. Da fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, ob Akito... nun ja... ob er auf Männer oder Frauen steht, aber... das ist weder die Zeit, noch der Ort um ihn zu fragen.

Einen Schritt der Ablenkung

Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, warum Hiroto und ich immer hier übernachten. Mein Haus ist nur zehn Minuten von hier entfernt und liegt weiter unten in der Straße. Es ist also kein langer Weg und dennoch: Wenn wir als Clique in dieses Haus einfallen scheint es einfach bequemer zu sein auch hier zu nächtigen. Wenn man schlafen kann.
 

Immerhin ist meine bevorzugte Eissorte immer vorrätig, was mich etwas wundert. Eigentlich scheint im doppelflügeligen Eisschrank jede Sorte immer frisch vorrätig zu sein. Was wohl mit den ganzen angefangenen Eisbechern geschieht? Ich will nicht hoffen, dass man die aussortiert und einfach wegschmeißt. Wäre schade um das Eis. Aber im Grunde ist es mir auch egal.
 

Ich sehe, wie die Schwingtür langsam aufgedrückt wird und dann Seto in die Küche kommt. Man, sieht er scheiße aus: Blasse Haut, gerötete Augen, sein Haar hängt einfach nur kraftlos an ihm herunter. Er trägt Freizeitklamotten und bleibt stehen, als er mich im spärlichen Licht sieht. Sein Lächeln ist kaum mehr als ein schmaler Strich in seinem Gesicht. Er geht zur Besteckschublade, holt einen Löffel und setzt sich dann neben mich. Ich halte ihm den Eisbecher so hin, dass er sich daraus bedienen kann.
 

Was auch immer diese Frau - dieser Detective von der Polizei - vorhin wollte hat Seto ziemlich mitgenommen. Ich beobachte, wie Seto einen Löffel Eis nimmt und ewig braucht um es dann vom Löffel zu lutschen. Dabei merke ich, wie unangenehm es Seto ist, dass ich ihn gerade so beobachte. Also schau ich wieder nach vorne auf den runden Becher in meiner Hand und nehm mir auch etwas Eis daraus.
 

Erst nach einem weiteren Löffel frag ich Seto, wie es ihm geht. Er hält kurz inne, nimmt sich dann selbst noch etwas Eis auf seinen Löffel und scheint zu überlegen. Mit gebeutelter Stimme meint er dann zu mir, dass er sich wünscht, er hätte vor ein paar Jahre andere Entscheidungen gefällt. Dann schiebt er sich den Löffeln in den Mund und ich lass ihm ein paar Augenblicke.
 

Vorsichtig frag ich ihn, um welche Entscheidungen es sich dabei handelt. Schmerz und Scham treten auf sein Gesicht und erschrecken mich. Es ist ungewöhnlich, dass Seto diese Gefühle so offen zeigt. Ein deutlicher Hinweis, wie scheiße es ihm gerade gehen muss. Genau wie die Tatsache, dass er seinen Blick gesenkt hat und sichtlich mit sich selbst ringt.
 

Ich möchte meine Frage schon zurückziehen, als er die Hürde in seinem Inneren scheinbar überwindet. Mit zerbrechlicher Stimme erzählt er mir, dass alles dokumentiert wurde. Alles? Was meint er mit 'alles'? Seto hebt seinen Blick nur leicht und unser Kontakt ist nur flüchtig. Dann sagt er mir, dass jeder Missbrauch von seinem Adoptivvater entweder per Bild oder per Video dokumentiert wurde. Damit wollte dieser wohl seine 'Partner' später erpressen, wenn sie nicht in seinem Sinne gehandelt hätten.
 

Es braucht einen langen Moment, bevor mir die Tragweite von Setos Worten bewusst wird und was für ein Zeichen des Vertrauens es ist, dass er es mir erzählt. Für einen Moment glaub ich seine Hand zittern zu sehen, doch dann festigt sie ihren Griff um den Löffel und Seto holt sich erneut Eis aus dem Becher, den er sich rasch in den Mund schiebt.
 

Jeder Missbrauch in Fotos oder Videos dokumentiert. Wenn ich an die Verhaftungswelle zurück denke, die doch Dutzende von hochrangigen Personen der Stadt und des Landes beinhaltet hat... Leise frag ich Seto, wie viele dieser Bilder und Video es gibt. Wieder braucht es einen längeren Moment, bis er mir antworten kann. Er antwortet mir nur mit einem Wort: Hunderte. Hunderte? Diese Angabe schockt mich enorm.
 

Als Seto vor ein paar Wochen in der Golden Week im Onsen davon sprach, dass er am letzten Schultag vor den Sommerferien einige Männer anzeigen wird, weil er von ihnen missbraucht worden ist hatte ich an fünf oder sechs gedacht. Nicht an Dutzenden. Wie oft müssen die wohl zu Besuch gewesen sein, damit es hunderte von Fotos und Videos von ihnen geben kann? Ich spüre, wie sich etwas in mir zusammenzieht, als mir bewusst wird, von was für einer Hölle Seto damals gesprochen hatte.
 

Noch ehe ich etwas weiter zu dem Thema sagen oder fragen kann kommt von Seto auf einmal eine Frage, die mich fast vom Hocker haut: Er erkundigt sich danach, wann gleich noch einmal die Anhörung von meinem alten Herrn sei. Kurz bleibt mein Herz stehen und ich schau zu ihm. Der Schmerz und die Scham sind aus seinem Gesicht gewichen und bis auf die Blässe wirkt er plötzlich wie immer.
 

Da er mir gegenüber so offen und vertraulich gewesen ist, will ich ihm in nichts nachstehen. Also beantworte ich seine Frage mit dem Datum, welches in der kommenden Woche liegt. Jetzt klingt meine Stimme leicht brüchig und zerbrechlich. Seto fragt mich weiter, ob ich hingehen und mich gegen eine vorzeitige Entlassung aussprechen werde.
 

Ich versuche locker mit der Schulter zu zucken und so zu wirken, als ob mir alles irgendwo egal sei. Doch so wirklich will es mir nicht gelingen. Also lass ich meine Schultern einfach sacken und hängen. Antworte mit der Gegenfrage, was das bringen soll. Ist doch eh egal, was eine vorzeitige Entlassung für mich bedeuten würde.
 

Da legt mir Seto eine Hand auf die Schulter und ich schau ihn erschrocken an. Mit so einer Geste hab ich nun nicht gerechnet. Unser Blickkontakt ist jetzt fester als der vor einigen Minuten. Dann sagt mir Seto mit fester Stimme, dass mein Schmerz nicht egal sei und ich ein Recht darauf habe, diesem Ausdruck zu verleihen, indem ich mich vor diesem Komitee äußere.
 

Doch ich weiß nicht. Jetzt bin ich der, der zögert. Immerhin hab ich nie öffentlich darüber gesprochen, wie mein Vater mir gegenüber oft war. Von den Schlägen, Tritten, ... wie er mir die Narbe im Gesicht zugefügt hat und mich dabei auslachte, weil ich vor Schmerz geschrien habe. Mir androhte, dass er mir das Auge rausschneidet, wenn ich nicht gehorchen würde.
 

Plötzlich meint Seto zu mir, dass wir Montag mal bei seinen Anwälten vorbei schauen und die Firma und mein Eigentum prüfen lassen. Falls ich nicht aussagen möchte und mein Vater früher rauskommen sollte, soll er keinen Ansatzpunkt finden mir irgendetwas wegzunehmen. Ich mustere Seto und weiß, dass er Recht hat.
 

Schon vor Wochen hätte ich das selbst anpacken müssen. Doch wann immer dieses Thema aufkam hat es mich gelähmt. Oft saß ich dann immer wieder reglos da und bekam nichts mehr hin. Dennoch war ich danach so erschöpft, dass ich nur noch schlafen wollte. Hiroto ist diese Erschöpfung ein oder zwei Mal aufgefallen. Doch wann immer er mich danach fragte hab ich ihn abgeblockt.
 

Auf einmal wird mir bewusst, wie froh ich darüber bin, dass Seto mir etwas unter die Arme greifen möchte. Also nicke ich und sag ihm, dass ich das für eine gute Idee halte. Er erwidert das Nicken und nimmt sich dann noch einen Löffel voll Eis. Ich tu es ihm gleich. Mit dieser Sache nicht mehr alleine dazustehen fühlt sich ... gut an.
 

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Einen Schritt für sich selbst

Es ist nicht das erste Mal, dass ich merke, dass Seto unruhig schläft, aufwacht und dann das Bett verlässt. Meist sagt er mir, ich soll weiterschlafen, er würde sich nur was zum Trinken holen. Mir ist bewusst, dass er Rücksicht auf mich nehmen möchte und mir mehr Schlaf gönnen möchte. Doch ich bin dann immer hin und her gerissen: Einerseits braucht Seto das Gefühl, auch mal etwas für mich zu tun. Anderseits hab ich Angst, dass er mich braucht und ich dann nicht für ihn da bin.
 

Deshalb lass ich ihn oft gehen und folg ihm nach ein paar Minuten. Dabei ist mir aufgefallen, dass er das vor allem dann tut, wenn die Clique bei uns zu Besuch ist. Anfangs hab ich gedacht, dass es daran liegt, dass er nicht mehr möchte, dass sie mitbekommen, dass er einen Albtraum hat und daher den Schlaf meidet. Doch dann wurde mir bewusst, dass ich mich täusche. Denn in den meisten Fällen trifft mein Drache in solchen Nächten in der Küche auf Otogi.
 

Schon seltsam: Zwei Menschen, die sich sonst immer aus dem Weg gegangen sind scheinen auf einmal gut befreundet zu sein. Erst im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass die beiden doch einige Gemeinsamkeiten aufweisen: Beide wurden von ihren Väter benutzt. Auf unterschiedliche, aber genauso zerstörerische Weise. Beide sind Geschäftsmänner und leiten ihre eigenen Firma. Und vor allem versuchen sie nach außen anders zu wirken, als sie wohl in Wirklichkeit sind. Eigentlich die perfekten beste Freunde für einander.
 

Mich interessiert schon, was die beiden so in der Nacht miteinander sprechen, aber ich würde niemals das Vertrauen meines Drachens gefährden, nur um meine Neugierde zu stillen. Und da Seto mir nicht von sich aus von den Gesprächen erzählt scheint es auch eher etwas Vertrauliches zu sein. Etwas, von dem Otogi wohl nicht möchte, dass ich es erfahre? Als ich Honda nach dem Frühstück gefragt habe, ob er weiß, was die beiden so in der Nacht erzählen war er total überrascht. Er hat wohl nicht mal gemerkt gehabt, dass Otogi ihr Bett verlassen hat. Na hoffentlich gibt das kein Stress.
 

Nachdem wir alle gemeinsam zu Mittag gegessen haben ziehen Seto und ich mich noch einmal kurz zurück. Küssen uns sanft und ich sag ihm einmal mehr, wie sehr ich ihn für seine Stärke bewundere und das ich ihn über alles liebe. Das mach ich seit unserem Umzug immer bevor Kai zu uns ins Haus kommt. Er spricht ja für gewöhnlich erst eine Stunde mit Mokuba und diese Stunde nehm ich mir mit Seto und versuche ihm positive Energien zu geben.
 

Irgendwann klopft es an unserer Zimmertür und Mokuba schaut kurz rein. Meint, dass er nun fertig sei und Kai auf uns wartet. Ich danke ihm lächelnd, warte bis er sich zurückzieht und küsse dann meinen Drachen noch einmal inniglich. Als ich ihn Frage, ob er für das Gespräch bereit ist nickt er und irgendwie wirkt er kraftlos. Ich verschränke unsere Finger und dann verlassen wir gemeinsam das Zimmer und suchen den Wintergarten auf.
 

Kai begrüßt uns freundlich mit einem Lächeln und bietet uns dann Platz auf dem Zweisitzer-Rattan an. Er fragt, wie es uns geht. Ich blicke zu Seto der nur wieder auf diese kraftlose Art nickt. Als wolle er sagen, dass es ihm gut geht, obwohl man ihm ansieht, dass dem nicht so ist. Doch als er dann verbal antwortet räumt er ein, dass es ihm nicht so gut geht, wie es ihm gehen könnte. Daraus entsteht ein lockeres Gespräch, welches sich mehr nach Small Talk als nach Therapiegespräch anfühlt.
 

Irgendwann kommen wir im Gespräch zu dem Punkt, an dem Seto Kai von Detective Nagasatos Besuch am Vortag berichtet und vor welcher Entscheidung er nun steht. Kai gibt einige Hilfestellung durch gewisse Fragen, die Seto dazu bringen die Situationen von verschiedenen Standpunkten aus zu betrachten.
 

Schließlich gelangt mein Drachen zur Schlussfolgerung, dass er will, dass diese Männer - alle diese Männer - ihre gerechte Strafe erhalten. Doch er will sich dafür nicht öffentlich so bloßstellen. Immerhin zeigen diese Fotos und Videos was er alles erdulden und hinnehmen musste. Zeigen, wie er gequält, gedemütigt und entwürdigt wurde. Und vielleicht bringt das sogar Probleme für Keizo mit sich. Denn er wurde ja auch gezwungen sich ihm aufzudrängen.
 

Der Rothaarige, der uns gegenüber sitzt, nickt und meint, er kann das verstehen. Gibt zu bedenken, dass Seto außerdem noch Zeit hat Anzeige zu erstatten. Immerhin beginnt die Verjährungsfrist bei solchen Verbrechen an Kinder und Jugendlichen erst, wenn diese Volljährig werden. Außerdem gibt es seit ein, zwei Wochen eine Diskussion in der japanischen Regierung die Verjährung für solche Taten gänzlich abzuschaffen, da wohl auch bei der Politik mittlerweile angekommen ist, dass manche Überlebenden oft Jahre, gar Jahrzehnten brauchen, bis sie soweit sind darüber zu sprechen.
 

Scheinbar nehmen die Worte von Kai meinem Drachen große Gewichte von den Schultern. Sicherlich hat Seto Angst gehabt, dass er als egoistisch gelten wird, wenn er nicht 'das Richtige' tun wird. Sanft drück ich ihm einen Kuss auf die Wange und lächle ihn stolz an. Verwundert blickt mich mein Drache an und weiß offensichtlich nicht, worauf genau ich so stolz bin.
 

Wir reden dann noch ein wenig über die Gefühle, die mit dem gestrigen Gespräch in Seto aufgekommen sind und teilweise noch in ihm wüten. Es ist überraschend, wie offen Seto mittlerweile mit Kai darüber sprechen kann. Noch vor ein paar Monaten hat er sich so gesträubt mit diesem Mann überhaupt in einem Raum zu sein oder ein paar Worte zu wechseln, selbst wenn es tatsächlich Small Talk war.
 

Mir kommt es ein wenig so vor, als ob Seto ein Drache war, der lange in einer Höhle angekettet war. Dann hab ich einige dieser Ketten gelöst, andere hat er zerrissen. Hat sich dann aus der Höhle hinaus gewagt. Erst vorsichtig. Schritt für Schritt. Dann begann er zu gehen. Zu laufen. Sicherlich dauert es nicht mehr lange, da wird er rennen, sich vom Boden abstoßen und endlich fliegen können.
 

Ich freue mich schon auf diesen Tag. Den Tag, an dem Seto endlich völlig frei und unbeschwert sein Leben genießen kann. Keine Angst mehr haben muss wer was über ihn rausfindet und veröffentlicht. Einfach nur das tun kann, was er möchte und was ihm Spaß macht. Vielleicht sogar wieder die Führung der Firma übernimmt oder sich voll und ganz der Entwicklung neuer Gadgets oder Programme hingibt.
 

Es ist einfach unglaublich, dass ich meinem Drachen bei diesen Entwicklungen zuschauen und an seiner Seite sein darf. Das alles macht mich heute schon glücklich und mehr als zufrieden.
 

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Einen Schritt, um sich durchzusetzen

Ich würde jetzt tatsächlich viel lieber in der Schule sitzen, als hier, an der Empfangstheke des Polizeireviers, stehen und auf Detective Nagasato warten. Zu meiner Erleichterung bin ich aber nicht alleine. Neben mir steht Katsuya, der geduldig meine Finger mit den seinigen verschränkt hält und mir über die Hand streichelt. Hinter mir steht Akito, der mich diesen Gang niemals hätte alleine machen lassen.
 

Dafür bin ich den beiden so unendlich dankbar. Denn obwohl ich nach außen ruhig und gefasst wirke, man mir möglicherweise auch noch die Rolle des versierten Geschäftsmannes abkauft, fürchte ich, würde ich in einem Gespräch alleine mit dem Detective gnadenlos einknicken. Mich doch überreden lassen, die Bilder und Videos aus diesem Höllennest für weitere Ermittlungen freizugeben.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt der Detective auch schon und führt uns in ein nett wirkendes Besprechungszimmer. Nun ja, kein Besprechungszimmer an sich... es ist mit einem Teppich ausgelegt und ein bequem wirkendes Sofa steht an der Wand. Davor ein hölzerner Kaffeetisch. Die Fenster sind sogar mit Vorhängen besetzt und es wirkt recht heimelig.
 

Detective Nagasato fragt uns, ob wir einen Tee möchten. Aber wir verneinen. Ich mein, wozu der Aufwand? Ich bin ja nur hier, um Detective Nagasato meine Entscheidung mitzuteilen. Dennoch bittet sie uns auf dem Sofa Platz zu nehmen. Ich zögere, doch als Akito mir seine Hand auf die Schulter legt gehe ich auf das Sitzmöbel zu und nehme Platz. Katsuya immer dicht bei mir.
 

Die Polizistin lächelt uns alle an und fragt mich dann, ob es um den 'Fund' geht, den sie und die Staatsanwältin gemacht haben. Rhetorische Fragen sind der Brüller... nicht! Doch ich nicke nur und verkneif mir meinen Kommentar. Ich setze zu meiner Antwort an und stelle fest, dass meine Stimme erst einmal streikt und ich mich räuspern muss. Warum ist mein Hals nur auf einmal so trocken?
 

Detective Nagasato springt auf, eilt zu einer kleinen Anrichte, öffnet einen niedrigen Kühlschrank und holt ein Wasser hervor. Sie öffnet die Flasche, füllt sie in ein Glas um und bringt mir dieses dann. Ich nicke ihr dankbar zu, nehme das Getränk entgegen und trinke einen Schluck. Besser. Aber ich brauche dann doch noch einen zweiten Schluck. Meine Nerven flattern und ich hätte am liebsten etwas zur Beruhigung. Warum schlägt mein Herz nur wieder so schnell.
 

Ich teste vorsichtig meine Stimme. Hält. Dann setz ich erneut zu meiner Antwort an. Sage dem Detective, dass ich die Bilder und Videos nicht zur Verfügung stellen kann. Noch nicht. Vielleicht irgendwann. Aber nicht jetzt. Dann bitte ich sie - ungewöhnlicher Weise für mich - um Verzeihung, dass ich ihrem Anliegen nicht entgegenkommen kann.
 

Die Polizistin lächelt mich nur verständnisvoll an und nickt. Sie versteht das, meint sie. Das sie schon damit gerechnet hat, weil ich doch erst ganz am Anfang meiner Therapie stehe. Wenn sie damit gerechnet hat, warum hat sie dann erst gefragt? Erst zu spät merke ich, dass ich das laut gefragt habe. Doch sie behält ihre stoisch-freundliche Art bei und meint, dass sie mir die Entscheidung nicht einfach abnehmen wollte.
 

Bei dieser Antwort beginnt etwas in mir zu arbeiten. Seit der Alte tot ist hab ich versucht alles und jeden in meinem Umfeld zu kontrollieren. Alle Entscheidungen hab ich mir angeeignet und nie reinreden lassen. Vielleicht... weil ich zu Lebzeiten des Alten nicht mal entscheiden durfte, wann ich wie lange auf Toilette musste? Auf einen Schlag wird mir bewusst, dass ich mit meinem kontrollierenden Verhalten versucht habe die Machtlosigkeit in meiner Kindheit zu kompensieren.
 

Das mir Detective Nagasato also die Wahl lässt... rechne ich ihr hoch an. Dafür danke ich ihr, während ich spüre, wie Katsuya über meinen Handrücken streichelt. Da wird mir bewusst, dass ich auch meinen Handgriff gefestigt hatte und es für meinen Streuner gewisse an der Grenze zu schmerzhaft sein muss. Sofort lockere ich meinen Griff etwas und sehe, wie Katsuya mir sanft zu lächelt.
 

Die Brünette dankt mir, dass ich vorbei gekommen bin, um ihr meine Entscheidung mitzuteilen. Ich nicke nur und steh dann auf. Akito und Katsuya folgen meinem Beispiel. Ich verabschiede mich und gehe mit Katsuya zur Tür des Raumes. Dabei merke ich, dass Akito nicht folgt. Also bleibe ich stehen und schau zu ihm zurück. Er meint, wir sollen schon einmal vorgehen.
 

Was hat er denn mit Detective Nagasato noch zu besprechen? Doch ich kann nicht nachhaken, denn Katsuya zieht mich sanft mit sich in den Flur und dann Richtung Aufzug. Wir müssen einen längeren Moment auf diesen Warten, doch als er endlich seine Türen öffnet sehe ich, wie Akito und Detective Nagasato aus diesem 'Besprechungsraum' kommen.
 

Da fällt mir auf, dass Akito lächelt. Ich glaube, das erste und letzte Mal, dass ich Akito lächeln sah, war an Weihnachten. Aber ganz sicher bin ich mir nicht mehr. Und davor? Da kann ich mich an keine Gelegenheit erinnern. Aber warum lächelt er jetzt? Ist es nur ein Höflichkeitslächeln? Oder hat sie etwas Amüsantes gesagt?
 

Ich halte die Aufzugtür mit der Hand auf, damit sie sich nicht schließen kann und warte auf Akito. Schließlich kommt er herbei geeilt und dankt mir, dass wir auf ihn gewartet haben. Ich blicke noch einmal zu Detective Nagasato, die gerade in das Großraumbüro gegangen ist. Durch die gläserne Wand seh ich, wie sie dieses durchquert und dann in ihrem Büro verschwindet.
 

Jetzt erst nehm ich meine Hand von der Tür, so dass diese sich schließen kann. Sehe zu Akito, der meinen Blick nach einem Moment registriert und mich fragt, was los ist. Ich schüttel nur den Kopf und belass es dabei. Vielleicht ist es gut, dass ich nicht weiß, worüber sie sprachen und Akito gelächelt hat. Oder... haben sie möglicherweise über mich...?
 

Mein Streuner küsst mich kurz auf die Wange und flüstert mir ins Ohr, dass ich diesen Gedanken nicht weiter verfolgen soll. Überrascht blick ich ihn an. Für ihn bin ich einfach nur ein offenes Buch und scheinbar weiß er ein weiteres Mal genau mit welchen Gedanken ich mich gerade gequält habe. Ich lächle nun ihn sanft an. Meine Liebe für meinen Streuner ist und bleibt ungebrochen.
 

Als wir in das Auto - das wieder in der Tiefgarage des Präsidiums geparkt steht - steigen bitte ich Akito mich zu unseren Anwälten zu fahren. Zeitgleich schreib ich Otogi eine Nachricht, wo er hinkommen soll. Akito mustert mich kurz überrascht über den Rückspiegel, nickt dann aber und parkt aus.
 

Ich muss meine Gedanken jetzt einfach von all diesem Chaos in meinem Leben ablenken und da kommt es mir gelegen, dass Otogi etwas Hilfe braucht. Immerhin hab ich ihm auch mein Wort gegeben, dass ich ihm helfen werde. Und Kaiba Seto steht immer zu seinem Wort.
 

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Einen Schritt in die moralische Grauzone

Wenn man Snack-Automaten anzeigen könnte, ich würde es tun. Jedenfalls den in unserem Pausenraum. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ich Geld eingeworfen, einen Snack gewählt habe und der Drehautomatismus zu kurz lief, so dass der Snack nicht in die Ausgabe fiel? Bestimmt schon einige Dutzend Male. Jedes Mal um einen Snack betrogen. Genau wie an diesem Abend. Also muss der Kaffee einfach reichen.
 

Ich kehre mit meinem frischen Kaffee in meiner Lieblingstasse zurück in mein Büro und an meinen Schreibtisch. Dort stell ich die Tasse ab, schlag die Akte erneut auf und ... bin erneut schockiert. Ich sehe täglich bei der Arbeit die Abgründe der menschlichen Gesellschaft. Aber das hier ... das toppt einfach alles. Diese Grausamkeit gegenüber Kindern.
 

Aber ich hab es mir selbst ausgesucht. Für meine Abteilung muss man sich freiwillig melden und einige Tests absolvieren. Selbst wenn man es in die Abteilung geschafft hat muss man halbjährlich zu einem psychologischen Gespräch. Das wurde eingeführt nachdem sich ein paar Kollegen ihre eigene Dienstwaffe beim Putzen in den Mund geschoben und abgedrückt haben.
 

Im Schnitt halten die Beamten in dieser Abteilung es knapp zwei Jahre aus. Nur wenige - wie ich - können diese Arbeit länger machen. Die, die es hier nicht aushalten wechseln in der Regel zu weniger stressigen Abteilungen, wie das Mord- oder Drogendezernat. Ein ehemaliger Kollege, den ich ab und zu auf ein Bier treffe, meinte, dass der Unterschied daran liege, dass man bei der Mordkommission nicht mit lebenden Opfern zu tun hat.
 

Ich bin jetzt seit fast zehn Jahren in dieser Abteilung. Die Abteilung zu verlassen und in eine andere Abteilung zu wechseln kann ich mir nicht vorstellen. Nicht immer können wir einen Täter ermitteln, festnehmen oder der Gerichtsbarkeit zuführen, aber ich kann immer eine Stütze für die Überlebenden sein.
 

Wenn ich in ihr Leben trete haben sie gerade eine unglaubliche Gewalt erfahren. Bin bei ihnen, wenn sie im Krankenhaus untersucht werden und - wie eine Überlebende es einmal formulierte - 'ein zweites Mal vergewaltigt' werden. Und nach einer traumatischen Erfahrung und einer mehr als demütigenden Untersuchung müssen sie mir das Geschehene bis ins kleinste Detail schildern. Immer und immer wieder. Fragen beantworten. Sich an alles erinnern.
 

Danach fahr ich sie nach Hause oder wo anders hin, wenn das eigene Zuhause ein Tatort ist. Biete ihnen einerseits die Nummer der 'Opferberatung', andererseits auch meine Schulter, wenn sie jemanden zum Reden brauchen. Unsere Arbeit beschränkt sich nicht nur auf die Tätersuche oder die Ermittlungen. Sondern besteht auch darin die erste Stütze zu sein, die einen Überlebenden wieder aufrichtet. Denn wir können den Täter nur mit ihrer Hilfe hinter Gitter bringen. Dafür dürfen sie aber kein psychisches Wrack sein.
 

Doch dann gibt es solche Fälle, wie diesen: Ein Pädophilenring, der die gehobenen Gesellschaftsschichten durchzieht. Daimon Kogoro war nicht der Drahtzieher, aber eines der mächtigsten Rädchen, die das Getriebe dieser Perversion am Laufen hielt. In seiner Bildersammlung haben wir bislang drei Dutzend Kinder und Jugendlicher festgestellt. Bei einem Drittel haben wir die Identität ermittelt, aber stießen dort auf eine Mauer des Schweigens. Eine Mauer, die mit Blutgeld gemauert wurde.
 

Der einzige bekannte Überlebende, der frei von so einer Schweigegeldvereinbarung scheint, ist Kaiba Seto. Ich hab ihn erst kennen gelernt, nachdem der letzte Missbrauch mehr als vier Jahre her ist. Er war kein zufälliges Opfer dieses Monsters. Daimon Kogoro war früher einmal Firmenvorstandsmitglied der Kaiba Corporation und konnte sich regelmäßig an dem jungen Mann vergehen. Doch darüber spricht der junge Geschäftsmann nicht. Nicht weil er will, sondern weil er noch nicht kann.
 

Ich hab dafür Verständnis. Gerade Kinder müssen eine Überlebensstrategie entwickeln, die ihnen erlaubt, nicht an dem Erlebten kaputt zu gehen. Gelingt nicht immer. Jene Kinder, deren Überlebensstrategie nicht greift versuchen sich oft anderweitig von den Erinnerungen zu befreien. Sie betäuben sich mit Drogen oder Gewalt. Dadurch geraten sie aber in eine Situation, in der sie ständig Geld brauchen. Die wenigsten sind vermögend, also müssen sie Geld ranschaffen: Sie rauben, stehlen, betrügen oder verkaufen sich selbst, was zu neue Wunden führt, die sie ausradieren wollen.
 

Doch selbst wenn die Überlebensstrategie greift haben die Überlebenden in ihrem späteren Leben enorme Probleme: Sie können niemanden vertrauen. Lassen keine Nähe zu. Manchmal stürzen sie sich wiederholt in ungesunde Beziehungen. Sind oft von Wut und Unbeherrschtheit getrieben. Sie müssen alles kontrollieren. Wenn sie selbst Eltern werden sind sie oft übervorsichtig und sperren ihr Kind lieber ein, um es zu beschützen, was dann zu Problemen mit diesem führt.
 

Was die wenigsten wissen ist, dass so eine Überlebensstrategie nicht für immer hilft. Irgendwann brechen die Mechanismen zusammen, die die Schmerzen und Erinnerungen zurück gehalten haben. Dann erleben die Überlebenden alles so, als würde es in diesem Moment erst geschehen. Alles auf einmal. Einige zerbrechen dann. Wenige schaffen es einen neuen Weg zu finden, auf dem sie mit all dem Ballast zurechtkommen können.
 

Ein Rascheln lässt mich aufblicken und überrascht feststellen, dass ich nicht länger alleine bin. In meiner Tür steht die Staatsanwältin. Sie hält eine braune Papiertüte in der Hand, die sie kurz hochhält. Auf der Tüte erkenn ich das Logo eines chinesischen Restaurants, dessen Ruf ganz gut ist. Ich winke sie also ins Büro und biete ihr einen Platz an meinem Schreibtisch an. Sie kommt und sieht die Akte, die ich zuschlage. Sofort erkennt sie diese und packt dann die verschiedenen Schachteln aus. Dann reicht sie mir Stäbchen und wir beginnen zu essen.
 

Dabei unterhalten wir uns darüber, was mich so spät abends noch hier im Büro hält und dann über den Fall. Sie fragt, ob Seto sich schon entschieden hat, ob wir die Bilder aus dem Herrenhaus dem Fall hinzufügen dürfen. Ich teil ihr mit, dass er am Morgen hier war und sich vorerst gegen die Verfolgung der Männer auf den Bildern entschieden hat. Sie schaut mich verblüfft an, nickt dann aber.
 

Maggi ist in ihrer Heimat berühmt geworden, weil sie die Mitglieder eines ziemlich großen, nationalen Kinderpornorings ins Gefängnis gebracht hat. Sie hat also durchaus Erfahrung mit den Überlebenden solcher Verbrechen. Aber sie muss dennoch konsequent ihr Ziel - diesen Abschaum möglichst lange von den Straßen zu holen - verfolgen. Sie muss etwas resoluter sein, auch den Überlebenden gegenüber.
 

Doch mit dem, was sie mir zwischen zwei Pappschachteln offenbart, hab ich dann doch nicht gerechnet. Sie meint, sie habe Verständnis für die Entscheidung des jungen Mannes, dennoch habe sie alle Bilder kurzerhand abfotografiert und archiviert. Nur für den Fall, dass Seto es sich doch mal anders überlegen sollte und jemand die Originale 'weggeräumt' hat.
 

Ich halte diese 'Begründung' für sehr dünnes Eis. Wenn Seto davon erfährt könnte es sein Vertrauen in mich, diese Abteilung und den Rechtsstaat verlieren. Wohin das führen kann... möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
 

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Einen Schritt, jemanden zurück zu lassen

Wir sitzen gerade beim Abendessen zusammen, als es aufgeregt an der Tür klingelt. Ich schau überrascht Mokuba und Seto an, die aber genauso verdaddelt zurück schauen. Akito will sich schon den Mund mit der Serviette abtupfen, als ich ihm zu verstehen gebe, dass er sitzen bleiben soll. Stattdessen tupf ich mir kurz den Mund mit dem Stofftuch ab, steh auf und steuer die Küchentür an.
 

Doch gerade als ich in ihrer Reichweite komme schwingt sie energisch in meine Richtung auf und Honda kommt herein gestürmt. Er scheint sehr aufgebracht zu sein. Als ich ihn anrede braust er an mir vorbei, als wär ich gar nicht da und steuert Seto an. Dieser blickt ihn überrascht an, wischt sich den Mund mit der Serviette ab und steht auf.
 

Hondas Stimme ist laut und erregt, als er von Seto wissen will, was da läuft. Verwirrt sieht Seto ihn an und weiß erst nicht, wovon Honda spricht. Ich schließe auf und möchte Honda schon bitten sich hinzusetzen, als ich in Setos Mimik erkenne, dass ihm klar wird, um was es hier gerade geht. Dennoch versuch ich Honda dazu zu bringen, sich auf meinen freien Stuhl zu setzen. Doch er wehrt mich ab und fordert erneut eine Antwort von Seto.
 

Seto räuspert sich, weicht aber nicht zurück, wie er es sonst oft tut, wenn ihm jemand zu nah auf die Pelle rückt. Er sucht den Blickkontakt zu Honda und als sich dieser etabliert hält Honda inne. Er fragt - jetzt etwas ruhiger - was ihm bezüglich Otogi entgeht. Ich kann sehen, wie Seto mit sich ringt. Einerseits respektiert mein Drachen Honda und ist ihm für all seine Hilfe in den letzten Monaten dankbar. Andererseits hat er zum ersten Mal einen Freund - einen besten Freund - und dieser hat ihm etwas im Vertrauen erzählt.
 

Also antwortet er das - meiner Meinung nach - einzig Richtige: Das Honda Otogi selbst danach fragen muss. Doch scheinbar ist das in Hondas Augen die falsche Antwort. Er wird wieder energischer und lauter. Verzweifelt will er von Seto wissen, wie er seinen Freund fragen soll, wenn er ihm ständig ausweicht. Das überrascht nun Seto und mit einer Geste bietet er Honda meinen freien Stuhl an. Zu meiner Überraschung nimmt Honda nun tatsächlich Platz.
 

Mein Drachen setzt sich wieder auf seinen Stuhl und ich stell mich knapp hinter ihm und leg ihm eine Hand auf die Schulter. Seto atmet tief ein und aus und bittet Honda zu erzählen, was geschehen ist. Honda will schon wieder aufspringen, als er mich sieht, wie ich ihn stumm ermahne ruhig zu bleiben. Mein Drache verträgt es nämlich nicht sonderlich wenn er angeschrien wird.
 

Honda sammelt sich ein wenig und erzählt dann: Otogi sei nach Hause gekommen. Schon die ganze Woche ist er von morgens bis abends weg. Weicht Fragen danach aus und wenn Honda hartnäckig bleibt schließt er sich in seinem Arbeitszimmer ein. Doch heute wollte Honda das verhindern und war vor Otogi in dessen Arbeitszimmer gelaufen. Seines Rückzugorts beraubt sei Otogi umgedreht, aus dem Haus gestürmt, in sein Auto gestiegen und davon gefahren.
 

Die Schultern meines besten Freundes sacken runter und jetzt sieht er einmal mehr verzweifelt aus. Er erzählt weiter, dass Otogi schon seit ein paar Wochen angespannt sei und diese Anspannung immer mehr zugenommen habe. Immer wieder wollte er Otogi Entspannung - Hondas Codewort für Sex haben - verschaffen, doch der Würfelfreak habe ihn anfangs gelegentlich, dann immer häufiger zurück gewiesen.
 

Seto hört geduldig und ohne eine Regung zu. Könnte man meinen, doch ich seh ihm die Betroffenheit an. Als Hondas Blick sich wieder hebt und den meines Drachens sucht strafft dieser sich etwas. Dann bittet er Honda um etwas Geduld, steht auf und verlässt dann die Küche. Ich blicke meinem Drachen kurz nach, entscheide mich aber hier zu bleiben. Jetzt setz ich mich auf den Platz meines Drachens und leg kurz meine Hand auf Hondas Schulter.
 

Ich weiß, wie es ist, wenn man seinem Geliebten helfen möchte und dieser das nicht zulassen möchte. Eigentlich hatte ich gedacht, dass Honda und Otogi solche Probleme nicht haben würden. Oder... gibt es da etwas in Otogis Vergangenheit, von dem weder Honda noch ich etwas wissen? Ich hab mich schließlich schon immer gefragt, warum sich Seto gerade mit Otogi so gut versteht.
 

Mir geht noch einmal durch den Kopf, was Honda erzählt hat: Schon die ganze Woche ist Otogi von morgens bis abends weg. Das ist Seto auch. Am Montag, nach unserem Besuch bei Detective Nagasato, hatte Seto Akito gebeten ihn zu ihren Anwälten zu fahren. Da hatte sich mein Drache von uns verabschiedet, war ausgestiegen und hatte uns versichert, dass er sich melden würde, wenn er hier fertig sei. Kann es sein, dass er sich beim Anwalt mit Otogi getroffen hat?
 

In dem Moment kommt Seto wieder herein. Honda und ich stehen auf. Mein bester Freund blickt meinen Drachen hoffnungsvoll an. Er braucht eine Antwort. Diese Ungewissheit zerrt an ihm und droht ihn zu zerreißen. Das sieht wohl auch mein Drache und bittet Honda dann mit ihm zu kommen. Dieser nickt und Seto beugt sich zu mir und küsst mich kurz. Dankt mir für das Kochen und dass er später fertig essen wird.
 

Indirekt sagt er mir damit, dass ich nicht mitkommen kann. Aber das ist okay. Es geht um etwas, was Otogi mir nicht offenbaren möchte und ich respektiere das. Ich schau Seto und Honda hinterher als sie die Küche verlassen. Wohin sie wohl gehen? Als ich mich wieder dem Tisch zuwende sehe ich, dass auch Akito sich das gerade fragt. Aber wir beide müssen Vertrauen in Seto haben. Also setze ich mich wieder auf meinen Platz und versuche das Tischgespräch wieder etwas in Gang zu bringen.
 

Dabei merk ich ein weiteres Mal, wie sich Mokuba - der mir gegenüber sitzt - wahnsinnig auf sein Essen konzentriert und den Blickkontakt mit mir zu meiden versucht. Sicherlich liegt es immer noch daran, dass er Seto und mich vor einer kleinen Weile unter der Dusche erwischt hatte. Eigentlich müsste es doch mir peinlich sein, dass der Kleine uns beim Frotten erwischt hat, also warum ist immer noch er so peinlich berührt?
 

Ich sprech ihn direkt an und frag, ob er nicht nach dem Essen mit mir ein wenig Street Combat zocken möchte. Immerhin hat er mich früher doch recht häufig in das Herrenhaus eingeladen, damit wir gemeinsam ein wenig zocken konnten. Das hat uns immer großen Spaß gemacht, auch wenn ich meist verloren habe. Vielleicht kann ich so die Distanz, die da zwischen uns entstanden ist, wieder überwinden.
 

Doch Mokuba schüttelt nur seine schwarze Mähne und meint, dass er mit Yugi heute Abend ins Kino gehen möchte. Yugi würde Ryou gerade mächtig vermissen und braucht ein wenig Ablenkung. Ich lächle und frage, ob ich mitkommen kann. Kein 'nein' erwartend haut mich genau diese Antwort fast vom Stuhl. Dennoch lächle ich nur und nicke schließlich.
 

Dann steht Mokuba mit etwas Hast auf und verlässt auch die Küche. Ich seh ihm nach und dann zu Akito. Irgendwas entgeht mir hier doch gerade, oder? Akito zuckt nur mit den Schultern und sagt nur ein einziges Wort: Pubertät.
 

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Einen Schritt, den man sofort bereut

Ich steh auf dem Parkplatz des Gefängnisses, dass ich in den letzten Jahren stets gemieden habe. Meinen Erzeuger hier zu besuchen kam für mich nie in Frage. Warum auch? Für mich war er ein sadistischer Soziopath, der ohne Rücksicht auf Verluste seine eigenen Ziele verfolgte, ungeachtet der daraus resultierenden Konsequenzen.
 

Unbewusst führe ich meine Finger an den Mund und beginne an den Nägeln zu knabbern, als die extreme Schärfe meine Zunge schmerzen lässt. Ruckartig zieh ich meine Finger vom Mund weg und blicke schockiert auf die angefressenen Fingernägel. Ein lapidares 'Tut's weh' dringt an mein Ohr, in dem ein wenig das süffisante Grinsen des früheren Kaiba mitschwingt.
 

Als ich zu ihm schau seh ich, dass Seto tatsächlich schief grinst und er wie früher wirkt. Doch dann löst sich die Arroganz und der Spott, den ich hinein interpretiere, und sein Blick wird mitfühlender. Ich nicke nur und erwidere, dass das Chili auf den Fingernägel gut hilft. Gedanklich füg ich hinzu, dass ich nach dieser Sache zur Maniküre muss. Dort lass ich mir dann Fingernägel aufkleben und frisch, schwarz lackieren. Vielleicht, so schießt es mir durch den Kopf, geh ich dann auch zu meinem Coiffeur.
 

Zum Dank für seinen Beistand nehm ich Seto gleich mit. Er scheint nicht gemerkt zu haben, wie lang seine Wischmoppfrisur in den letzten sieben Monaten geworden ist. Wobei ich auch schwören könnte, dass er schon zwei, drei Monate vorher aufgehört hat sich die Haare zu schneiden. Egal - ein gepflegter Schnitt wird er schon nicht ablehnen. Schon gar nicht, wenn er nichts dafür löhnen muss.
 

Seto fragt mich auf einmal, ob ich noch einmal hinters Gebüsch muss. Etwas entgeistert schau ich ihn an. Immerhin stellt man so eine Frage nicht. Egal, ob sie berechtig ist oder nicht. Ich horche kurz in mich rein, entscheide dann aber, dass ich mich nicht noch einmal übergeben muss. Also schüttle ich den Kopf und schau auf meine Thomas Sabo Rebel Icon Armbanduhr, die sich mit dem breiten Lederband um mein Handgelenk schmiegt.
 

In zwanzig Minuten beginnt die Bewährungsanhörung meines Erzeugers und diese Erkenntnis lässt die Übelkeit in mir hochschlagen. Also verschwind ich doch noch einmal hinter dem Busch und kehre mein Inneres nach außen. Warum hab ich mich gleich noch einmal dazu bequatschen lassen? Soll er doch entlassen werden, Seto und ich haben meine Firma und meinen Besitz abgesichert. Zur Not kann ich noch eine Verfügung beantragen, die ihn zwingt einen Mindestabstand zu mir einzuhalten.
 

Langsam komm ich wieder in einen geraden Stand und säubere mir meine Mundwinkel mit einem schwarzen Taschentuch, als Seto mir wortlos die angebrochene Wasserflasche reicht. Ich spül meinen Mund kurz aus und nehm dann einen kleinen Schluck. Dann geht Seto vor, auf den Besuchereingang des Gefängnisses zu. Ich selbst zögere kurz, doch dann folge ich ihm.
 

Da wir schon Anfang Juli haben ist es recht heiß in diesem Teil des Landes und ich habe das Gefühl in meinem eigenen Schweiß ertrinken zu können. Doch kaum betreten wir das Haus umfängt uns die klimatisierte, angenehm temperierte Luft. Wir gehen zur Anmeldung, tragen uns dort ein und geben den Grund unseres Besuchs an.
 

Der Wärter, der dort sitzt, schaut auf unseren Eintrag, händigt uns zwei Besucherausweise aus und deutet auf eine Tür weiter hinten. Wir sollen dem Gang folgen, er führe zum Vorzimmer der Anhörungssäle. Dort können wir erfragen, in welchen Raum wir müssen. Wieder tritt mein Wunsch, diesen Ort umgehend zu verlassen, wieder in den Vordergrund.
 

Doch wieder geht Seto voraus und ich kann ihn hier nicht einfach zurücklassen. Da würde mir Jonouchi wieder aufs Dach steigen. Schon vor der Golden Week hat er demonstriert, dass er in Bezug auf Seto keinen Spaß versteht und ich mich an Absprachen zu halten habe. Wie würde der wohl erst reagieren, wenn ich Seto einfach hier im Gefängnis stehen lassen würde? Ich bin mir sicher, er würde mich killen und es wie ein Unfall aussehen lassen.
 

Wir kommen in den Vorraum, in denen einige Dutzend Menschen sind. Seto versucht souverän zu bleiben und sich nicht anmerken zu lassen, dass diese neue Situation ihm Schwierigkeiten bereitet. Dann sieht er mich an und auf einmal scheinen seine Angst und sein Unwohlsein wie weggeblasen. Wir erkundigen uns, in welchen Raum wir müssen und betreten diesen dann. In diesem stehen einige Sitzbänke hintereinander. Vorne ist ein länglicher Tisch an dem sieben Personen sitzen. Davor ist ein sehr schmaler, hoher Tisch, der wohl als Rednerpult fungiert.
 

Zu meiner Erleichterung nimmt Seto mit mir in der letzten Bank, nahe dem Ausgang Platz. Der Sprecher des Bewährungsausschusses kündigt an, dass es nun um meinen Vater gehen wird und fragt, ob jemand anwesend ist, der zuvor etwas sagen möchte. Ich... reagiere nicht. Der Mann möchte schon mit dem Prozedere weitermachen, als Seto mich in die Seite stößt und ich dann aufstehe. Überrascht mustert mich der Mann.
 

Nur langsam geh ich an den anderen Bänken vorbei, auf denen verteilt vielleicht vier andere Personen sitzen. Ich bin nicht mal sicher, ob die wirklich hier sind, wegen der Anhörung meines Vaters oder ob sie auf die Anhörung eines anderen Verurteilten warten. Ich trete an das 'Rednerpult' und nenne meinen Namen und die Beziehung, in der ich zum Betroffenen stehe.
 

Noch einmal sammle ich mich innerlich und lege dann dem Ausschuss dar, was es für mich persönlich bedeuten würde, wenn sie meinen Erzeuger vorzeitig aus der Haft entlassen würden. Das er dann höchstwahrscheinlich versuchen würde, mir die Firma und mein Eigentum wegzunehmen, mich wieder für seine Zwecke zu instrumentalisieren oder seine unbändige Wut an mir auszulassen.
 

Die Damen und Herren vor mir mustern mich zweifelnd, werfen einen Blick in die Akte vor ihnen. Vermutlich hat sich mein Vater hier drin von seiner besten Seite gezeigt, um eine Haftverkürzung zu erreichen. Wieso sollten sie da mir, einem achtzehnjährigen Oberschüler, schon Glauben schenken.
 

Ich greife in meine Jackentasche, zieh ein weißes Taschentuch hervor und entferne den Kajal-Strich, mit dem ich meine Narbe im Gesicht zu übermalen pflege. Scheinbar haben die Mitglieder des Ausschusses das nicht erwartet. Ein Herr, der am Rand des Tisches sitzt, scheint schockiert von der Narbe, die sich nun deutlich rötlich absetzt.
 

Mein Vater ist ein Meister darin andere glauben zu machen, er wäre jemand anderes. Doch ihm fehlt die Fähigkeit oder die Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen und Mitgefühl zu empfinden. Seiner geringen Frustrationstoleranz und seiner Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten hab ich diese Narbe zu verdanken. Denn einmal hatte ich den Mut mich gegen seine Ziele aufzulehnen und sie abzulehnen.
 

Er schlug mich so hart ins Gesicht, dass ich zu Boden ging. Ohne Angst mich schwerer verletzen zu können trat er nach und traf dabei meinen Kiefer, der brach. Dann kniete er sich über mich, so dass seine Unterschenkel meine Hände fixierten, beugte sich über mich und meinte, dass wenn ich sein Ziel nicht sehen könne ich meine Augen nicht mehr brauchen würde. Er zog ein Klappmesser und begann es von der Wange zum Auge zu führen.
 

Ich schrie aus Angst, Schmerz und Panik. Der Versuch mich zu befreien scheiterte daran, dass ich nicht genügend Kraft hatte, ihn von mir zu werfen. Gleichzeitig versprach ich ihm alles, was er wollte, wenn er nur aufhöre. Er musterte mich lange, spuckte mir ins Gesicht und stand dann auf. Sorgfältig reinigte er sein Messer mit einem Taschentuch, klappte es zusammen und meinte zu mir, dass er es hasse, dass ich ihn zu solchen Methoden treiben würde. Dass, wenn ich ihn als Vater aufrichtig lieben würde, ihn nicht so provozieren und zu solchen Taten zwingen würde. Dann ging er einfach weg und ließ mich liegen.
 

Stunden später fand mich der Butler und rief unser Hausarzt. Dieser brachte mich dann in eine Klinik, wo ich operiert wurde, um einerseits den Schnitt unter dem Auge zu nähen, andererseits meinen Kiefer zu richten und zu fixieren. Sechs Wochen lang war mein Mund verdrahtet und ich konnte mich nur flüssig ernähren. Damals war ich gerade in die Mittelschule gekommen und war 13 Jahre alt gewesen.
 

Stille kehrte ein und langsam dreh ich mich von dem Ausschuss weg. Meine Hände zu Fäusten geballt, dass Stofftaschentuch mit den Resten des Kajal total zusammengepresst. Das habe ich noch nie jemanden erzählt und ich spüre, wie die Scham beginnt in mir hoch zu krabbeln. Ich weiß, dass ich an all dem keine Schuld hatte und dennoch legt sich die Scham um mich. Als ich aufsehe, um den Weg zurück zu Seto zu finden bleib ich geschockt stehen und meine Augen weiteten sich.
 

Hiroto sitzt neben Seto. Sein Gesicht hat alle Farbe verloren und er schaut mich genau auf die Art und Weise an, die ich nicht will... nicht ertragen kann. Also geh ich an den beiden vorbei und verlasse den Raum der Anhörung. Hinter mir hör ich nur, wie einer der Männer des Ausschusses bittet, dass mein Erzeuger reingebracht werden soll. Ich stürme an all den Fremden vorbei, den Gang entlang, werfe im ersten Raum dem Wächter den Besucherausweis auf den Tisch und eile ins Freie.
 

Kurz bevor ich mein Auto erreiche packt mich eine Hand am Unterarm. Ich wirbel herum und funkel Hiroto wütend an. Habe ich ihn nicht gebeten von dieser Anhörung fern zu bleiben? Genau aus diesem Grund habe ich Hiroto die letzten Wochen im Ungewissen gelassen und ihm nicht erzählt, dass es diesen Termin gibt. Bis gestern Abend, als Seto mich bat, zu mir nach Hause zurück zu kommen und mir dann versichert, dass es mir besser gehen werde, wenn ich Hiroto in alles mit einbeziehe.
 

Jetzt hat er etwas gehört, was er niemals wieder aus seinem Gedächtnis streichen können wird. Das Resultat dessen ist, dass er mich in Zukunft mit diesem mitleidigen Blick anschauen wird. Wie soll mich Hiroto jemals wieder ernst nehmen? Jetzt, wo er erfahren hat, was für ein Schwächling ich war und vermutlich immer noch bin. Zum Teufel mit ihm.
 

Ich reis mich los, steig in mein Auto und fahr davon.
 

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Einen Schritt, den ein Vater nie machen sollte

Unruhig tigere ich in Ryujis Foyer hin und her. Die Haushälterin hat mich reingelassen, meinte aber, dass Ryuji noch nicht wieder zurück sei. Vor drei Stunden hat er mich neben Seto bei dem Gefängnis stehen lassen und ist davon gefahren. Ich hoff inständig, dass ihm nichts geschehen ist. Er war doch sehr aufgewühlt als wir die Bewährungsanhörung verlassen haben.
 

Das wollte ich nicht. Himmel, ich wollte ihm doch nur beistehen, so wie Jou Seto immer zur Seite steht. Seto hat sich am Anfang auch sehr dagegen gewehrt sich Jou gegenüber zu öffnen. Doch dann hat er gemerkt, dass es doch gut tut all die Albträume mit seinem Geliebten zu teilen. Genau das gleiche wollte ich auch Ryuji zeigen, doch... er hat bei weitem nicht so reagiert, wie ich es mir vorgestellt habe.
 

Erst war er schockiert. Seine Wangen waren so rot geworden, dass seine Narbe sich kaum noch abgesetzt hat. Seine Narbe... die er selbst dann überschminkt, wenn wir unter uns sind. Er vermeidet es mit mir duschen zu gehen und wenn wir bei Seto schwimmen gehen benutzt er sogar einen wasserfesten Kajal, der sich nicht ablöst. Ich hab nie verstanden, warum er das tut. Unsere Freunde interessieren sich schließlich nicht für solche Oberflächlichkeit.
 

Doch dann hab ich gehört, was er diesem Komitee erzählt hat. Wie er zu dieser Narbe gekommen ist. Da schwang so viel Schmerz mit, obwohl es fast fünf Jahre her sein muss. Ryuji meinte, er wäre damals gerade in die Mittelschule gekommen und dreizehn Jahre jung gewesen. Ich kann gar nicht ermessen, wie groß seine Angst und Schmerzen gewesen sein müssen, als sein Vater...
 

Sein Vater! Ich hatte ja gar keine Ahnung, was für ein Psycho der Typ ist. Wie kann er als Vater seinem Sohn nur sowas antun? Wieso hat er sein 'Ziel' über das Wohl seines Sohnes gestellt? Das will mir einfach nicht in den Kopf. Väter müssen doch ihre Söhne beschützen und ihnen zeigen, was die Gesellschaft von einem guten Mann erwartet. Schon bei Seto und dessen Adoptivvater hab ich nicht verstanden, wie man so grausam sein kann.
 

Selbst wenn der alte Kaiba nicht in der Lage war eine väterliche Bindung zu Seto aufzubauen hätte er ihn beschützen müssen. Kinder müssen geschützt werden. Immer. Von jedem in einer Gesellschaft. Sie sind immerhin die Zukunft. Die Zukunft gestaltet sich durch die Kinder von heute. Behandelt man Kinder scheiße, dann wird die Zukunft auch scheiße. Wer würde das wollen?
 

Mir wird auf einmal bewusst, was für ein Glück ich habe. Mein Vater ist oft außer Haus. Er arbeitet schwer und schafft es auch nicht immer bis nach Hause oder muss auf Dienstreise. Doch wenn er da ist, dann nimmt er sich die Zeit mich zu fragen, wie es mir geht und wie es in der Schule läuft. Hat sich früher Zeit genommen mir bei Schulaufgaben zu helfen oder ermöglicht mich auszuprobieren.
 

Ich hab immer gedacht, dass alle normalen Väter so sein müssen... bis ich Jou kennenlernte. Da hab ich das erste Mal gemerkt, dass Väter auch anders sein können. Damals war Jous Vater ein Säufer, Spieler und manchmal - im Suff - hat er Jou schon mal eine gelangt. Klar, er hat diese Gewalt im Nachhinein - wenn er wieder nüchtern war - bereut und sich entschuldigt. Doch was ist so eine Entschuldigung wert, wenn sich nichts ändert? Nichts.
 

Doch dann hat sich Jous Paps geändert. Er hat ein 30 Tage Programm gemacht, um von seiner Alkohol- und Spielsucht zu lösen, hat seine Hände richten lassen und arbeitet heute für Kaiba irgendwo als Ausbilder junger Köche. Ich weiß nicht, wodurch dieser Wandel ausgelöst wurde. In meinem Inneren möchte ich glauben, dass er es aus Liebe zu seinem Sohn tat, denn das würde gut in mein Weltbild von Vätern und wie sie sein müssen passen.
 

Dass er das schon längst tut hab ich erst erfahren, als Jou mir vor einigen Monaten bei einem unserer Wochenenden im Herrenhaus, erzählt hat, was ihm als Grundschüler widerfahren ist. Und was sein Vater damals getan hat. Welchen Preis der Mann dann gezahlt hat. Ich will nicht gut heißen, dass der Alte den Dreckssack getötet hat. Das ist es nicht. Aber er hat seinen Sohn beschützt.
 

Plötzlich reißt mich ein kratzendes Geräusch aus meinen Gedanken und lässt mich stehen bleiben. Mein Blick haftet sofort an der Haustür, von der dieses Geräusch scheinbar stammt. Allerdings ist mir nicht klar, wodurch es entsteht. Also trete ich näher zur Haustür und öffne sie. Da fällt mir Ryuji in die Arme. Der Alkoholgeruch ist nicht zu ignorieren. Mein Freund ist scheinbar total verwirrt und versteht nicht, warum sich die Tür geöffnet hat. In seiner Hand seh ich den Schlüssel, den er wohl versucht hat ins Schloss zu schieben.
 

Himmel, er ist so betrunken, dass er den Schlüssel nicht ins Schloss bekommen hat. Dass wir erst mit zwanzig Alkohol trinken dürfen wird in der Praxis nicht immer berücksichtig. Vor allem, wen man so charmant und charismatisch, aber vor allem vermögend ist, wie Ryuji, findet man Wege diese Beschränkung zu umgehen. Ein Lächeln hier, ein paar Scheinchen dort und schwupps ist man in Clubs, Discos oder bekommt eben in einer Bar oder einem Conbini Alk.
 

Ryuji hängt wie ein nasser Sack in meinen Armen und ich denke schon, er wär völlig weggetreten, als er sich an meinen Oberarmen festhält und hochstemmt. Er mustert mich prüfend. Lallt was davon, dass ich wie sein Freund aussehe. Sein Freund, der habe so schöne braune Augen und ein bezauberndes Lächeln. Kurz fühl ich mich geschmeichelt, doch dann setzt Ryuji in 'nem bitteren Tonfall nach, dass ich ein egoistischer Mistkerl sei.
 

Jap, das hab ich wohl nach meiner verpfuschten Aktion verdient. Auch wenn ich doch nur für ihn da sein wollte. Für ihn hat es sicherlich so gewirkt, als ob ich mich über seinen Wunsch - dieser Anhörung fern zu bleiben - hinweggesetzt habe, um zu hören was er vorbringen würde. Das ist Quatsch. Ich hab doch gar keine Ahnung gehabt, wie so eine Anhörung läuft. Eigentlich dachte ich, dass Ryujis Vater da sitzen und ihn in Grund und Boden starren würde. Daher wollte ich ihm den Rücken stärken, ich hab mich nur knapp verspätet und somit... war ich wohl eine böse Überraschung für ihn, auf die er nicht vorbereitet war.
 

Plötzlich ergeht sich Ryuji in Tränen, während er sich wieder gegen mich fallen lässt. Ich schau völlig schockiert auf das Häufchen Elend in meinen Armen. Ryuji zittert so stark, dass ich nicht zu sagen vermag, was die Ursache dafür ist. Wir haben Anfang Juli und draußen herrscht die übliche Sommerhitze. Er kann also nicht frieren. Vorsichtig versuch ich eine Hand an seine Wange zu legen und ihn dazu zu bringen, mich anzuschauen.
 

Erst nach einigen Versuchen glückt es und ich muss wiederholt fragen, was los ist. Es ist wahnsinnig schwer etwas von dem, was Ryuji mir als Antwort gibt - zwischen dem Lallen durch den Alkohol und dem Schluchzen des Weinens - zu verstehen. Doch dann blickt er mich an, als würde er wieder klar sehen und dann kapiere ich, was er zu sagen versucht: Die Bewährung seines Vaters wurde bewilligt!
 

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Einen Schritt zu einem richtig guten Tag

Als ich an diesem Morgen wach werde dringt das Zwitschern der Vögel an mein Ohr. Eine sanfte, warme Brise streicht über meinen nackten Rücken und einige Sonnenstrahlen kitzeln mich um die Nase herum. Ich liebe den Sommer, geht es mir sofort durch den Kopf.
 

Merkwürdig... ich glaube im alten Haus hab ich nie Vögel gehört, wenn ich bei offenem Fenster geschlafen habe. Überhaupt hab ich nur selten von draußen irgendwelche Geräusche wahrgenommen. Kein Rauschen der Blätter, wenn der Wind hindurch weht. Keine Vögel. Keine andere Tiere, wie Eichhörnchen oder so.
 

Das neue Haus liegt am Waldrand an einem Hügel. Wir wohnen zwar noch nicht lange hier, aber dafür fühlt es sich lebendiger an. Der alte Kasten war wie ein Mausoleum: Der ständige muffige Geruch, die erdrückende Stille, die Boshaftigkeit des alten Kaibas, die selbst nach seinem Tod noch immer in dem Gemäuer haftete...
 

Mir wird bewusst, wie froh und dankbar ich bin, dass wir da endlich raus sind. Ich muss Akito unbedingt dafür danken, dass er dieses Haus planen und bauen ließ. Aber nicht nur dafür bin ich ihm dankbar. Er war für Seto da, als dieser niemand hatte und auch niemand haben können, weil Gozaburo ihm niemand erlaubt hätte. Auch für mich war Akito immer da: An jedem Jahreswechsel, bei jeder Schulfeier, in den Ferien, an meinen Geburtstagen...
 

Schlagartig setz ich mich auf und spüre, wie mein Herz wild schlägt. Ich hab heute Geburtstag!
 

Eilig wühl ich mich zur Kante und spring förmlich aus dem Bett. Ich schau auf die aufgeschlagene Seite meines Bullet Journal[1], welches auf meinem Nachttisch liegt, um sicher zu sein, dass ich mich nicht im Tag vertu. Doch heute ist wirklich mein Geburtstag. Vor Freude quietsch ich und spring ein paar Mal in die Luft.
 

Danach renn ich förmlich ins Badezimmer und hüpf unter die Dusche. Heute wird ein großartiger Tag, davon bin ich überzeugt. Der beste Geburtstag seit... schon immer. Warum? Weil ich heute zum ersten Mal so richtig feiern kann: Mit Akito, mit Freunden und vor allem mit Seto.
 

Es ist nicht so, dass Seto nie mit mir meinen Geburtstag gefeiert hat. Aber meist waren wir dann nur zu zweit, im Höchstfall zu dritt, wenn Akito dabei war. Er hat mich zum Essen eingeladen oder ist mit mir irgendwohin gefahren, wo wir dann unter uns waren. Dann hat er mir meine Geschenke gegeben, über die ich mich immer sehr gefreut habe. Jedenfalls haben wir so seit Gozaburos Tod meinen Geburtstag gefeiert.
 

Letztes Jahr hab ich schon versucht eine Party zu veranstalten und hab die Clique eingeladen. Ich hatte gehofft, dass Seto mir zu Liebe auch daran teilnehmen würde. Doch er hatte auf einmal einen Notfall in der Firma und ist los, noch bevor meine Gäste eingetrudelt waren. Erst spät in der Nacht kam er zurück und war erstaunt, dass ich noch wach war. Ich war sooo enttäuscht von ihm gewesen.
 

Mit meinem heutigen Wissen ist mir bewusst, dass er damals so viele Leute um sich herum nicht ertragen konnte und sich daher in die Firma geflüchtet hat. Sicherlich hat er damals gedacht, dass ich meinen Geburtstag nicht länger mit ihm feiern wollte. Ihn ersetzen wollte... Dabei wollte ich doch nur 'normal' Geburtstag feiern und hatte gehofft, dass die Party eine Tür aufstoßen würde, wodurch Seto sich mit den anderen anfreunden würde. Vielleicht sollte ich mit Seto noch einmal darüber sprechen?
 

Nachdem ich im Bad fertig bin und mich angezogen habe verlasse ich mein Zimmer und schaue erst einmal den Flur entlang. Doch es ist niemand zu sehen. Kurz lausch ich an der Zimmertür von Seto und Katsuya, aber es ist nichts zu hören. Also geh ich vor zur Treppe. Dort sehe ich, dass Akitos Zimmertür offen steht, was ein Zeichen dafür ist, dass er schon aufgestanden und irgendwo anders im Haus unterwegs ist. Auch das ist etwas, was anders ist als in dem alten Herrenhaus: Die Zimmertüren bleiben offen, wenn die Zimmer leer sind. Dadurch gewinnt das neue Haus einen sehr offenen Charakter.
 

Langsam steig ich die Treppe hinab und schau mich unten kurz um. Lausche, ob ich irgendwo was hören kann. Doch alles ist ruhig. Bin ich alleine im Haus? Nur zögerlich wende ich mich zur Küchentür. Ich schau noch einmal über meine Schulter, während ich die Schwingtür öffne.
 

Plötzlich schlägt mir ein überwältigender Geburtstagsgruß entgegen und ich lass meinen Kopf erschrocken nach vorne schnappen. In der Küche stehen Akito, Seto, Katsuya und die Clique... nun ja, alle außer Ryou, der ja seit Anfang der Woche in England ist. Ich muss erleichtert und glücklich auflachen. Das Adrenalin verleiht mir das Gefühl zu fliegen.
 

Eigentlich hab ich nur mit Akito, Seto und Katsuya gerechnet. Dass auch Yugi, Honda und Otogi da sind überrascht mich ehrlich. Vor allem weil ich gar nicht mitbekommen habe, dass sie gekommen sind. Und weil wir eigentlich geplant haben, dass wir uns erst am Nachmittag treffen und dann gemeinsam in die Stadt zum Tanabata-Fest gehen, dass immer auf meinen Geburtstag fällt.
 

Einmal mehr denke ich, dass das ein großartiger Geburtstag werden wird. Vor allem nachdem alle zu mir kommen und mir noch einmal einzeln gratulieren, mich drücken oder auf die Schulter klopfen. Bei Otogi muss ich mich zusammennehmen nicht zurück zu zucken. Er schwitzt... Alkohol aus. Erklärt wohl auch, warum er in unserer Küche eine Sonnenbrille trägt...
 

Schließlich komme ich bei Seto an, der mich sanft und stolz anlächelt. Dann umarmt er mich und gratuliert mir so, dass nur ich es hören kann. Ich erwidere glücklich die Umarmung und halte ihn einfach nur fest. Es ist so schön, dass ich ihn endlich umarmen kann ohne das er nach einigen Augenblicken versucht diese zu lösen und ein paar Schritte zurück zu weichen.
 

Doch dann ruft jemand, dass wir mal langsam zum Frühstück kommen sollen und ich lös mich lachend von meinem Bruder, der ebenfalls schmunzelt. Er streicht mir noch einmal über die Wange, bevor er seine Hand in meinen Rücken legt und wir uns zum reichlich gedeckten Tisch begeben, wo uns die anderen sofort in ihr Gespräch einbinden, was wir denn heute alles unternehmen wollen, bevor wir heute Abend zum Tanabata-Fest in die Stadt gehen.
 

So hab ich mir das immer gewünscht und auch wenn keiner von den anderen es wohl vermuten würde ist bereits jetzt einer meiner innigsten Wünsche in Erfüllung gegangen.
 


 

[1] Ein Bullet Journal ist eine Methode der persönlichen Organisation, die vom Designer Ryder Carroll entwickelt wurde. Das System organisiert Zeitplanung, Erinnerungen, Aufgabenlisten, Brainstorming und andere organisatorische Aufgaben in einem einzigen Notizbuch.

Einen Schritt, der unerwartet kam

Ryuji hat Probleme damit seinen Schlüssel in das Schloss seiner Haustür zu fummeln. Aber ich weiß, dass er es nicht wollen würde, wenn ich ihm den Schlüssel aus der Hand nehmen und ihm die Tür aufschließen würde. Es wäre ihm vermutlich ein weiterer Vorwand erneut einen Streit zu provozieren. Schon nach dem Aufstehen hat das begonnen, dass er einen noch so kleinen Anlass genutzt hat mich anzupampen. Aber den Gefallen darauf einzusteigen hab ich ihm nicht gemacht.
 

Schließlich findet der Schlüssel ins Schloss und wird von meinem Freund gedreht. Die Tür geht auf und er stolpert über die Schwelle. Er zieht seine Sonnenbrille ab und legt sie zusammen mit dem Schlüssel auf ein nahes Sideboard. Seine Augen sind nach wie vor gerötet und etwas geschwollen. Einerseits durch seinen Suff am Vorabend, andererseits weil er selbst heute noch ein paar Weinanfälle gehabt hatte.
 

Eigentlich sollte ich nichts von diesen Anfällen wissen, denn wenn er spürt, dass er den neusten Drang dazu nicht mehr unterdrücken kann verschwindet er. Doch ich kann ihn dann hören, wie er schluchzt... das war so, als er duschen war oder wenn er hastig auf die Toilette musste. Auch während des Vormittags bei Mokuba hatte er einen dieser Anfälle.
 

Aber... ich kann ihm nicht sagen, dass ich davon weiß. Es wäre ihm erneut ein willkommener Anlass mich anzublaffen und einen Streit zu starten. Ich verstehe nicht, warum er mich so dringend unter einem Vorwand wegstoßen will? Selbst Seto hat sich Jou irgendwann anvertraut und zeigt ihm eine Seite an sich, die sonst niemand sehen darf. Eine Seite, mit der er seine Emotionen frei auslebt. Wieso... ist das bei Ryuji und mir nicht so?
 

Dann hör ich ihn sagen, dass ich ruhig mit den anderen Mittagessen gehen soll. Doch ich schüttle nur meinen Kopf. Sag ihm, dass ich bei ihm bleiben werde. Über seine Schulter funkelt er mich bitterböse an und schnauft verächtlich. Murmelt etwas davon, dass er keinen Babysitter braucht und ihm seine Ruhe lassen soll.
 

Als ich auf ihn zu gehe dreht er sich weg und geht in einen der angrenzenden Räume. Dort geht er zum Kamin, auf dem eine kunstvoll geschnitzte kleine Holztruhe steht. Er klappt ihren Deckel hoch und das verwundert mich. Ich dachte bislang, sie wäre nur ein Dekostück, welches der Architekt dort hingestellt hatte.
 

Ein kleines, rundes Döschen kommt zum Vorschein, welches von Ryuji aufgedreht wird. Dann lässt er sich aus dem Döschen zwei Tabletten auf die Hand fallen, bevor er es wieder schließt und zurück in die Truhe legte. Nachdem er auch den Deckel dieser Truhe geschlossen hat wendet er sich dem Barbereich zu.
 

Obwohl wir beide noch nicht in dem Alter sind, in dem wir einfach so im Supermarkt Alkohol kaufen können ist die Bar mit der einen oder anderen Flasche bestückt. Ryuji nimmt sich ein sauberes Glas und sucht sich einen farblosen Alkohol, den er sich zwei Finger breit einschenkt.
 

Gerade als er nach dem Glas greifen möchte, fasse ich nach seiner Hand und frage ihn, was das werden soll. Wieder funkelt mich Ryuji bitterböse an, bevor er seine Hand befreit, dass Glas aufnimmt und sich die zwei Tabletten einverleibt und mit dem Alkohol hinunter spült. Also frag ich erneut, was das für Tabletten sind. Doch Ryuji denkt gar nicht daran mir zu antworten.
 

Er wendet sich erneut von mir ab. Jetzt reicht's. Ich schieb mich vor ihn in seinen Weg und fordere eine Antwort. Mir springt eine ungeahnte Fassungslosigkeit entgegen, während Ryuji mich fest am Oberarm packt. Zu fest, aber einen Teufel werd ich tun, ihm das zu zeigen. Leise, fast schon bedrohlich, faucht mich mein Freund an, was ich überhaupt von ihm will.
 

Was ich will? Ich will, dass er mit mir redet. In mir einen Verbündeten sieht und niemand, den er ständig bei Seite schieben oder dem er etwas vorgaukeln muss. Er lacht kurz trocken auf und fragt mich, wie er das in mir sehen soll, wenn ich selbst eine einfache Bitte einfach ignoriere, nur um meine eigen Neugierde zu stillen.
 

Kurz weich ich einen Moment zurück, bevor mir klar wird, dass er sich auf gestern bezieht. Denn auch nachdem ich ihn frage, ob er das meint, nickt er. Nennt mich einen Schnellmerker. Ich versuche mich zu erklären, doch wieder schnaubt er verächtlich und schreit mich an, dass ich da nichts zu suchen gehabt habe.
 

Ich könnte so viel erwidern, doch ich entscheide mich schließlich dazu mich bei ihm zu entschuldigen. Vielleicht beschwichtigt ihn das ein wenig. Doch er faucht mich nur wieder an, ich solle endlich aus seinem Haus verschwinden. Perplex blick ich ihn nur an und frag erneut, wie er das meint. Fahrig geht er sich durch sein schwarzes Haar und schüttelt etwas seinen Kopf. Dann fragt er mich, seit wann ich so schwer von Begriff sei. Schließlich erhebt er seine Stimme und schreit, dass er mich nicht mehr sehen will. Ich solle gehen und niemals wieder hier, bei ihm aufschlagen.
 

Ungläubig mustere ich ihn. Das kann doch unmöglich sein Ernst sein. Er macht mit mir Schluss, nur weil ich gestern für ihn da sein wollte? Doch er massiert sich nur die Nasenwurzel und meint jetzt wieder ruhiger, dass ich ihn nicht zwingen soll seinen Butler zu rufen, damit dieser mich nach draußen begleiten soll.
 

In meiner Brust spür ich einen stechenden, pulsierenden Schmerz. Unbewusst greife ich an sie und Ryuji rollt genervt mit den Augen. Dann zieht mich mein Freund am Oberarm, wo er mich immer noch schmerzhaft festhält, durch das Wohnzimmer zurück zum Foyer und stößt mich dann an die Haustür. Bevor er sich umdreht meint er noch, ich soll meinen Schlüssel auf dem Sideboard ablegen. Dann stapft er eilig weg von mir und ich schau ihm immer noch wie in Trance hinterher.
 

Was ist da gerade passiert?
 

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Einen Schritt, um Antworten zu erhalten

In der Stadt herrscht reges Treiben wegen dem Tanabata. Die Hauptstraßen und viele der größeren Nebenstraßen sind mit jungem Bambus geschmückt. Die meisten biegen sich von der Last der vielen Zettel, die an sie gebunden wurden. Zettel, auf denen die Menschen ihre Hoffnungen und Wünsche kurz notiert haben. Natürlich anonym. Heute Abend, zum Höhepunkt des Festes, werden die zahlreichen Bambushalme in den Fluss geworfen, der sie mitsamt der Zetteln ins Meer tragen wird.
 

Ich bin ganz froh, dass wir mit dem Auto bis vor das Restaurant fahren, denn auf den Gehwegen sind wesentlich mehr Menschen unterwegs als an einem normalen Werktag. Für meinen Drachen wäre ein Gang durch diese Massen der reinste Spießrutenlauf gewesen, an dessen Ende er schweißgebadet sein Ziel erreichen würde. In vielen Seitenstraßen wurden Stände aufgebaut, an denen man unterschiedlichstes Streetfood bekommt.
 

Der Wagen hält und Fuguta lässt uns aussteigen. Wir betreten das unauffällige Restaurant und ich stelle geschockt fest, dass der Gastraum voll ausgebucht ist. Die Sorge um Seto flammt mehr auf. Er hasst es in Restaurants zu essen, das hat er mir mal anvertraut. Vor allem, wenn westliches Essen serviert wird, wie in diesem. Aber Mokuba hat sich gewünscht, dass wir zu seinem Geburtstag zu diesem Italiener gehen und Seto würde ihm niemals einen Wunsch abschlagen.
 

Die Bedienung begrüßt uns freundlich lächelnd mit einer italienischen Floskel, die ich nicht verstehe. Seto lächelt kurz höflich, aber reserviert. Er nennt die Reservierungsnummer, die Bedienung schaut kurz in ein großes, schwer wirkendes Buch und grinst noch viel breiter, als sie den Eintrag gelesen hat. Dann führt sie uns durch den großen Gastraum und ich bete, dass wir nicht in der Mitte einen Tisch bekommen. Am Rand wäre der Stress für Seto wenigstens etwas erträglich.
 

Doch zu meiner Überraschung führt uns die Bedienung an einer Wand aus blühendem Bambus vorbei. Dahinter befindet sich - wie ich feststellen muss - eine Glasfront, die den Hauptgastraum vom Wintergarten trennt. Der Wintergarten ist ebenfalls festlich zum Tanabata-Thema geschmückt und bis auf unsere Gesellschaft leer. Das ist wesentlich besser, geht es mir durch den Kopf.
 

In der Mitte steht ein Tisch, um den sieben Stühle positioniert sind. Gerade als Seto der Bedienung mitteilt, dass wir nur zu fünft sein werden spür ich, wie mein Handy eine Nachricht empfängt. Ich leg Seto eine Hand auf den Arm, der sofort zu mir schaut. Ich berichtige, dass wir zu sechst sein werden, der letzte Gast aber noch auf dem Weg ist. Die Bedienung lächelt und nickt, dann entfernt sie ein Gedeck und einen Stuhl, so dass wir übrigen etwas mehr Platz gewinnen.
 

Als die Bedienung uns mit der Karte alleine lässt fragt mich Seto, was das wohl zu bedeuten hat. Ich kann nur mit den Schultern zucken. Ich weiß nicht mehr, als das Honda gleich zu uns aufschließen wird. Eigentlich dachte ich, dass er bei Otogi bleibt, während dieser wohl etwas Schlaf nachholt. Dass er jetzt doch kommt... stimmt mich nachdenklich.
 

Wir haben unsere Getränke schon serviert bekommen, als ein strahlender Honda herein geführt wird. Ein viel zu strahlender Honda. Ich kenn ihn lang genug, um zu erkennen, dass das nur aufgesetzt ist. Er grüßt uns alle erneut und setzt sich dann neben mich auf den freien Platz. Ich möchte ihn schon fragen, ob alles in Ordnung ist, doch Honda würgt die Frage mit einer unscheinbaren Geste direkt ab. Eine Geste, die ich gut kenne und von der ich weiß, dass sie 'nicht jetzt' bedeutet.
 

Also folg ich der stummen Bitte meines besten Freundes und frage erst einmal nicht nach. Doch die Sorge bleibt. Normalerweise setzt Honda so ein Strahlen nur auf, wenn es ihm richtig mies geht und niemand es merken soll. Das letzte Mal hat er so versucht den Tod seiner Großmutter zu überspielen. Sie stand Honda sehr nahe und hat ihn immer bei allem unterstützt. Ihr Verlust hat ihn damals schwer getroffen und noch Monate später beschäftigt.
 

Als ich von ihm wegschaue bemerke ich, dass auch Seto ihn besorgt mustert. Ich lege ihm eine Hand auf den Unterarm. Mein Drache blickt mich mit seinen blauen Augen fragend an und ich schenke ihm einen Blick, der einfach nur 'später' sagt. Ich hoffe, dass Seto diesen Blick versteht und tatsächlich wendet sich Seto wieder Mokuba zu, der mit Akito gerade diskutiert, was er bestellen soll.
 

Stimmt. Das ist der Tag des Knirpses. Also setz auch ich ein Lächeln auf und werfe die eine oder andere Empfehlung ein. Doch Mokuba bedenkt mich dabei nur mit einem Seitenblick, bevor er mich wieder ignoriert. Wie schon die letzten Wochen. Dabei bemerke ich Yugis Blick, der mich bedauernd ansieht und mir mit einer leichten Traurigkeit zulächelt. Das macht mich stutzig. Weiß... weiß Yugi etwa, was mit Mokuba los ist?
 

Hm... ich denke, ich werde Yugi bei nächster Gelegenheit mal ausquetschen. Wenn es etwas ist, was mich auch betrifft hab ich ein Recht darauf zu erfahren, was los ist. Wie soll ich schließlich etwas wieder gut machen, wenn ich keinen Plan hab, was ich falsch gemacht habe? Sicherlich war es etwas, was für mich rein nebensächlich und für Mokuba ein schwerer Schnitzer gewesen ist. Ich beginne mir mein Hirn zu zermartern.
 

Als Yugi aufsteht und sich entschuldigt, weil er mal den Waschraum aufsuchen muss, steh ich auch auf und mein, dass ich den gleichen Weg habe. Etwas verdutzt schaut mich Yugi an, lächelt dann aber. Also gehen wir gemeinsam zu den Waschräumen. Erst als wir an den Waschtischen stehen und uns die Hände waschen frag ich den kleinen Punk, warum Mokuba mir gegenüber so komisch ist.
 

Wie vom Blitz gerührt schaut mich mein Kumpel an und versucht auszuweichen. Doch ich lass ihn nicht ausweichen. Ich fleh ihn förmlich an mir zu sagen, was ich falsch gemacht habe und womit ich Mokuba so verärgert habe. Wieder schaut mich der Bunthaarige wie vom Blitz getroffen an und meint, dass es nicht an mir läge. Das sagt er so überzeugend, dass ich einen Schritt zurück trete, um ihm wieder etwas mehr Raum zu lassen.
 

Yugi wirkt kurz erleichtert, doch da es für mich immer noch keinen Sinn ergibt, frag ich erneut nach. Mein Gegenüber bekommt einen leidenden Gesichtsausdruck. Er versucht der Beantwortung auszuweichen. Druckst rum. Versucht abzulenken. Bis aus mir meine Verzweiflung herausbricht. Ich verstehe einfach nicht, warum Mokuba sich mir gegenüber seit ein paar Wochen so abweisend und distanziert verhält.
 

Meine Verzweiflung schindet wohl so viel Eindruck bei Yugi, dass er mir eine Hand auf die Schulter legt und sich nicht länger verweigern kann. Doch was ich dann erfahre... zieht mir die Schuhe aus und überfordert mich total!
 

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Einen Schritt, um dem Spießrutenlauf auszuweichen

Mein Blick richtet sich wieder auf meine Armbanduhr. Meine Hand ruht auf meinem überschlagenden Bein und ich bilde mir ein, dass der Blick so unauffällig ist, dass es wohl niemand merken würde. Schon geschlagene drei Stunden sind wir hier im Restaurant und obwohl wir in einem wirklich wundervollen Séparée sitzen fühl ich mich alles andere als wohl. Aber das liegt nicht an dem Restaurant an sich, sondern einfach an mir. Ich verbinde so ein Restaurantbesuch nach wie vor mit sehr unangenehmen Erinnerungen.
 

Plötzlich schiebt sich eine Hand über meine Armbanduhr und legt sich auf die dazugehörige Hand. Als ich aufblickte schenkt mir Katsuya ein umwerfendes Lächeln. Aber dabei strahlt er nicht so, wie sonst, wenn er mich anlächelt. Er ist verhaltener, als würde er sich zurück nehmen. Das ist erst so seit er von der Toilette zurück gekommen ist. Ob etwas zwischen ihm und Yugi vorgefallen ist?
 

Aber das scheint nicht die einzige Baustelle zu sein. Auch Hondas vergnügliches Auftreten scheint nur Fassade zu sein. Eigentlich hatte ich Otogi und ihn so verstanden, dass sie das Mittagessen aussetzen, damit der Würfelfreak sich kurz hinlegen kann. Dass Honda dann doch nachgekommen hat mich verwirrt. Irgendwie kann ich mich dem Gefühl nicht erwehren, dass da etwas zwischen ihm und Otogi ganz böse schief gelaufen ist. Doch bislang bot sich mir noch keine Gelegenheit nachzufragen.
 

Mokuba fragt, ob wir noch über die Feststraße schlendern. Eine Straße, auf der sich Stand an Stand drängt und hunderte, ach was, tausende von Menschen durch dieses Überangebot schlendern. Auf einmal erscheint mir das Restaurant doch als sehr netter Platz, an dem ich lieber verweilen möchte, als mich durch die Massen zu drängen. Aber so etwas gehört scheinbar eben auch zum Tanabata. Ich werde also nicht drum herum kommen.
 

Doch da kommt mir mein Streuner zur Hilfe und schlägt vor, dass wir erst zum Schneider gehen. Stimmt. Wir wollten nach dem Mittagessen alle in traditionelle Kimonos schlüpfen. Mokuba starrt über mich hinweg den Blonden neben mir kurz an, bevor er zu lachen beginnt und zustimmt. Was war das eben? Wieso benimmt sich Mokuba in letzter Zeit nur so komisch gegenüber Katsuya?
 

Also ist der Spießrutenlauf erst einmal aufgeschoben. Yugi und Mokuba löffeln noch die letzten Bisse ihres Desserts, bevor ich mir die Rechnung bringen lasse. Ich reiche der Bedienung meine Kreditkarte und sie verschwindet damit zur Kasse. Derweil überlegen der kleine Punk und mein Bruder, welche Farbe ihre Yukata haben soll. Sie gehen verschiedene Farben, Muster und Kombinationen durch.
 

Die Bedienung kommt zurück, gibt mir meine Kreditkarte und dankt uns für die Ehre, dass sie uns bewirten durfte. Also stehen wir auf und bahnen uns durch den vollen Gastraum zum Vordereingang. Hinter mir hör ich, wie sie den Sichtschutz wegräumen und die Glaspanelen aufschieben, so dass sie nun den Wintergarten für weitere Gäste nutzen können.
 

Als ich nach draußen trete muss ich kurz stehen bleiben, denn die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht. Doch als sich meine Augen an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnt haben bin ich überrascht, denn vor uns, an sein Auto gelehnt, steht Otogi. Scheinbar hat er auf uns gewartet, wobei mir auffällt, dass Honda demonstrativ in eine andere Richtung schaut. Da ist definitiv Land-unter-Stimmung zwischen den beiden.
 

Doch Mokuba scheint davon nichts zu bemerken und freut sich, dass Otogi wieder dazu gestoßen ist. Da der Schneider nur zwei Ecken weiter ist wollen wir diese Strecke zu Fuß gehen. Katsuya und Otogi flankieren mich, während Yugi und Mokuba vor mir laufen und Honda und Akito hinter uns gehen. Mir ist bewusst, dass die anderen mich somit vor den fremden Menschen um uns herum abschirmen wollen und dafür bin ich ihnen mehr als dankbar.
 

Nach ein paar Minuten erreichen wir das Schneidergeschäft und betreten es. Der Schneider und seine beiden Assistenten begrüßen uns freundlich. Scheinbar haben sie schon auf uns gewartet. Nach einer recht formellen Begrüßung zeigen sie uns eine Vorauswahl an verschieden gestalteten Yukata. Der Erste, der sich für einen entscheidet ist Otogi und wird von einem Assistent in eine der großzügigen Ankleideräume geführt. Sein Yukata hat ein rautenförmiges Muster in den Farben Rot und Schwarz. Es erinnert mich an sein Stirnband, welches er auch heute wieder trägt.
 

Honda schaut Otogi kurz hinterher. Da liegt Schmerz und Sehnsucht in dem Blick des besten Freundes meines Streuners. Was ist denn bloß zwischen ihnen vorgefallen? Es wird doch nicht immer noch um gestern gehen, oder? Doch ehe ich Honda mal kurz auf die Seite nehmen kann entscheidet auch er sich für einen Yukata in einem schlichten Grün, ohne Muster. Er wird vom zweiten Assistent in ein anderes Zimmer geführt.
 

Yugi und Mokuba beraten sich begeistert gegenseitig, bevor auch sie sich entscheiden. Der Bunthaarige nimmt einen relativ farbenfrohen Yukata, deren Farben gut zu seinem gefärbten Haar passen. Mein Bruder hat sich für einen blau-grün gestreiften Yukata entschieden, die mich etwas an seinen Lieblingspulli erinnert. Der Schneidermeister schickt die beiden getrennt zu den anderen beiden. Akito ist längst mit einem Yukata in ein kleines Zimmer entschwunden, da er wohl geübt darin ist so ein Kleidungsstück anzulegen.
 

Dann kommt der Meister auf uns zu und meint, dass er die gewünschten Yukata für uns beide bereits bei Seite gelegt hat. Ich schau ihn überrascht an und frage, was für gewünschte Yukata. Doch Katsuya ergreift meinen Arm und lächelt mich endlich wie gewohnt frei und glücklich an. Er erklärt, er habe den Meister um zwei Yukata gebeten, die als Paar getragen werden können.
 

Der Meister führt uns in ein weiteres Zimmer und dort hängen zwei Yukata in Komplementärfarben. Auf dem einen windet sich ein weißer Drache über den gesamten Stoff, auf dem anderen ein schwarzer Drache. Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass ich genau mit so etwas gerechnet habe. Mir war nicht mal bewusst, dass es Stoff mit dem blauäugigen, weißen Drachen und dem schwarzen Rotauge gab. Doch hier hingen sie.
 

Katsuyas Lächeln wird immer breiter und er erzählt mir, dass er den Schneidermeister gebeten habe diese extra für uns beide anzufertigen. Das heißt, dass sind Einzelstücke. Ich danke dem Schneider mit einer respektvollen Verbeugung. Dann bittet er uns, dass wir unsere Alltagskleidung ablegen. Etwas geschockt schau ich ihn an. Stimmt, der Schneider und seine Assistenten helfen einem auch den Yukata richtig anzulegen.
 

Doch wieder rettet mich Katsuya, der etwas vortritt und bittet, der erste sein zu dürfen. Nachdem der Schneider die Yukata und alles was dazu gehört meinem Streuner angelegt hat, bittet der Blonde ihn, mir die Yukata anlegen zu dürfen. Etwas überrascht nickt der Schneider und tritt zurück. So bleibt mir erspart meinen Rücken dem Schneider zu offenbaren und dafür bin ich nun meinem Streuner über alles dankbar.
 

Als wir wieder in den Hauptraum zurück kehren warten die anderen bereits auf uns. Alle sehen wirklich gut in ihren Yukata aus. Dann kommt Otogi zu mir und reicht mir ein kleines Kästchen, während Honda und Katsuya sich leise unterhalten. Überrascht nehm ich das Kästchen entgegen und öffne es. In ihm sind einige Earpods und eine Fernbedienung für diese. Verwirrt blicke ich zu Otogi auf.
 

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Einen Schritt zum krönenden Abschluss

Ich helfe eine Decke auszubreiten, die wir an einem der Stände gekauft haben. Wir haben einen perfekten Platz auf dem Hügel im Park ergattert. Von hier aus werden wir einen guten Blick auf das Feuerwerk haben, dass bald beginnt. Nach den letzten Stunden, die wir von Stand zu Stand gezogen sind tun mir die Füße richtig weh. Vor allem, da ich es nicht gewohnt bin in Zori rumzulaufen. Es mag ein simples Schuhwerk darstellen, aber wenn man es nicht gewohnt ist, ist es doch etwas anstrengend in den Schlappen zu laufen.
 

Als die Decke endlich zu unserer Zufriedenheit liegt stellt Katsuya den Korb mittig ab, den sein Vater mitgebracht hat. Er kam nach seiner Arbeit zu einem vorher vereinbarten Treffpunkt und hat uns mit dem Picknickkorb überrascht. Ich mag Katsuyas Dad sehr. Seine ruhige und besonnene Art ist sehr sympathisch. Er scheint sich auch mit Akito angefreundet zu haben, denn die beiden plaudern leise miteinander. Schwer vorzustellen, dass dieser Mann tatsächlich mal einen Menschen getötet haben soll.
 

Langsam lass ich mich neben Seto auf die Decke nieder. Hinter uns sitzen Akito und Jonouchi-san. Auf der anderen Seite meines Bruders sitzt Katsuya. Ich hab den ganzen Tag versucht ihn nicht allzu häufig anzuschauen. Nicht auszudenken was passiert, wenn er oder Seto jemals heraus finden, was ich für den Blonden empfinde. Das würde ihr Glück zerstören und das will ich nicht. Mein Bruder hat dieses Glück verdient!
 

Neben mir sitzt Yugi, der - seit Ryou-kun nach England geflogen ist - mein einziger Verbündeter im Kampf gegen meine Gefühle ist. Aber immer wieder merke ich, wie er mich nervös anlächelt. Oder verlegen? Auf jeden Fall scheint ihm etwas peinlich zu sein. Nur was es ist kann ich nicht wirklich erschließen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die Tatsache, dass wir heute alle uns so in Schale geworfen haben. Wann tragen wir schon mal Yukata?
 

Vor uns sitzen Otogi und Honda... aber irgendwas stimmt bei den beiden auch nicht so wirklich. Zwischen ihnen ist viel zu viel Platz, obwohl sie wohl kaum zwanzig oder dreißig Zentimeter auseinander sitzen. Aber da ist kein Händchenhalten, keine Umarmung, sie sprechen nicht mal miteinander. Honda scheint irgendwie total angespannt zu sein. Versucht sogar Otogi nicht mal anzuschauen. Haben sie sich gestritten? Und wenn ja, warum? Ach, das wird sich auch wieder einrenken.
 

Langsam taste ich nach Setos Hand und erschrecke, als ich sie finde. Sie ist eiskalt und schweißnass. Da wird mir bewusst, wie wenig Rücksicht ich auf meinen großen Bruder genommen habe. Erst das Restaurant. Ich weiß eigentlich, wie sehr Seto einen Besuch im Restaurant, gerade den westlichen Richtungen, hasst. Dennoch hat er den Tisch reserviert und wenn ich das noch recht in Erinnerung habe hat er sogar Pasta gegessen.
 

Danach haben wir uns umgezogen, was bedeutet, dass er sich vor dem Schneider entkleiden und sich mit der Yukata helfen lassen musste. Ich kann mir vorstellen, dass das mit Setos Erfahrungen nicht gerade angenehm war. Doch scheinbar hat er das über sich ergehen lassen und hat gar nicht gemurrt.
 

Schließlich sind wir Stunden von Stand zu Stand gezogen, haben Straßenessen gekostet und allerlei Zeug gekauft. Kleinigkeiten eben. Schöne Sachen, um uns immer an diesen Tag zu erinnern. Die Feststraßen waren so voll mit Menschen, dass wir oft an Stellen waren, wo wir uns von der Masse haben mitschieben lassen. Das muss für Seto die Hölle gewesen sein. Dennoch hat er nichts gesagt oder sich abgesetzt, um sich der Situation zu entziehen.
 

Auch das wir hier im Park auf dem Hügel, dem beliebtesten Platz zum Feuerwerkschauen, sitzen und dementsprechend doch von vielen Menschen umgeben sind scheint er äußerlich stoisch hinzunehmen. Eigentlich wäre es nur allzu verständlich gewesen, wenn er an irgendeinem der Punkte oder gar jetzt sagen würde, dass er jetzt nach Hause gehen möchte. Doch nichts lässt auf so eine Intention in der Richtung schließen. Und das macht mich mächtig stolz auf meinen älteren Bruder.
 

Plötzlich schaut er zu mir und als sich unsere Blicke treffen lächelt er mich einfach nur an. Er löst seine Hand aus meiner und legt mir den Arm um, um mich dann etwas enger an sich zu ziehen. Früher wäre das undenkbar gewesen. Dann fällt mir auf, dass er in der anderen Hand noch etwas hat. Es sieht aus wie eine winzige Fernbedienung.
 

Stimmt, vorhin hat Otogi ihm ein kleines Kästchen gegeben. Darin waren kabellose EarPods, die sich Seto nach ein paar Sätzen mit Otogi in die Ohren gehakt hatte. Das sind doch diese neuen Dinger, die nicht nur Musik spielen können, sondern auch die Geräusche aus der Umgebung filtern und ausblenden können. Manche sagen sogar, dass sie mit den Dingern besser hören würden, weil sie durch die Filteroption zum Beispiel Gesprochenes viel klarer hören können.
 

Eine einzelne Leuchtkugel lenkt meine Aufmerksamkeit von meinem Bruder kurz ab, lässt ihn aber kurz zusammenzucken. So schau ich fast sofort wieder zurück. Ich sehe im Augenwinkel, wie er eine Einstellung an der Fernbedienung wählt. Als ich ihn frage, ob alles in Ordnung ist reagiert Seto erst nicht. Erst als er mich anschaut und ich die Frage wiederhole scheint er zu merken, dass ich ihn angesprochen habe. Er nickt. Aber ich hab nicht den Eindruck, dass er wirklich verstanden hat, was ich gefragt habe.
 

Dann beginnt das Tanabata-Feuerwerk. Sofort zieht es mich mit seiner Choreographie und seiner Bildgewalt in seinen Bann. Von Seto kommt kein Zucken oder eine etwaige Reaktion zur Flucht, wie an Silvester. Als ich kurz zu ihm schaue scheint er sogar recht entspannt und fasziniert dem Lichtspektakel zu folgen. Ich lehn mich etwas an ihn an und er festigt seinen Arm um meine Schultern.
 

Das alles war ein wundervoller Tag und ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der das so empfindet. Noch während dem Feuerwerk spüre ich, wie ich wegdrifte ... und schließlich an meinen Bruder gelehnt einschlafe. Was für ein geiler Geburtstag ...
 

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Einen Schritt die Anspannung loszulassen

Vorsichtig heb ich Mokuba von der Rückbank und auf meine Hüfte. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich meinen Bruder in den letzten Jahren so erschöpft, aber glücklich erlebt habe. Im Schlaf kuschelt er sich noch etwas mehr an meine Brust. Als ich zu Katsuya schaue sehe ich, wie er mich sanft anlächelt. Ich lächle zurück. Auch ich bin erschöpft, aber glücklich.
 

Dann kommt das zweite Auto an, in dem Honda und Yugi sitzen. Akito, der unser Auto gefahren hat, deutet mir an, ich solle Mokuba doch schon mal ins Bett bringen, bevor er sich zu Fuguta im zweiten Auto wendet. Honda und Yugi steigen aus und schließen zu Katsuya auf. Yugi ist noch voll aufgedreht... Honda... vorsichtig formuliert würde ich seinen Gemütszustand als geknickt bezeichnen.
 

Otogi hatte sein Auto vor dem Restaurant stehen gehabt, aber ich erwarte nicht, dass er diese Nacht noch zu uns stoßen wird. Zwar haben Honda und Otogi versucht für Mokuba den Schein zu wahren, aber ihre Körpersprache war eindeutig. Was da heute Mittag zwischen ihnen vorgefallen ist geht weit über einen Streit hinaus. Vielleicht...
 

Ich schüttle kurz meinen Kopf und öffne die Haustür. Endlich kann ich aus diesen unbequemen Zori raus. Himmel, bin ich froh, dass Katsuya mir die Geta ausgeredet hat, die ich ursprünglich tragen wollte. Wobei er eher das Argument anbrachte, dass sie mich noch größer und auffälliger in der Menge wirken lassen werden. Da ich nicht auffallen wollte hab ich mich dann auch für die Zori entschieden.
 

Mokuba ist ganz schön schwer geworden. Wohl auch ein Zeichen dafür, dass mein Brüderchen wohl langsam ein Teenager und damit erwachsen wird. Er ist ja auch schon in der achten Klasse und kommt nächstes Jahr auf die Oberschule. Das ist echt heftig, wie schnell die Zeit verfliegt, wenn kein Psychopath mit der Knute hinter einem steht und das Leben zur Hölle werden lässt.
 

Oben angekommen leg ich Mokuba vorsichtig auf sein Bett. Die Yukata kann er ruhig anlassen. Ich löse nur den steifen Obi, der bei diesem Baumwollkimomo nur in einer schmalen Variante und mit einem einfachen Knoten getragen wird. Dennoch ist das Ding länger, als ich dachte und es dauert etwas, bis er ab ist. Zum Glück hat Mokuba einen gesunden Schlaf und lässt sich dadurch nicht stören.
 

Nachdem ich ihm die Zori von den Füßen genommen habe decke ich ihn vorsichtig zu und drücke ihm noch einen Kuss auf die Stirn. Ich streich ihm noch einmal eine verirrte Strähne aus der Stirn, lösche das Nachttischlämpchen und wende mich zur offenen Zimmertür, durch die das Licht des Flurs reinfällt.
 

Erst jetzt bemerke ich, dass Jonouchi im Türrahmen angelehnt dasteht und uns beobachtet hat. Er lächelt immer noch ganz sanft und umfängt mich mit einer Umarmung, als ich zu ihm aufschließe. Ich genieße diese Umarmung und lege meinen Kopf auf die Schulter meines Streuners. Sanft streicht er mir über die Wange, bevor er seine Lippen auf die meinen legt.
 

Diesen Kuss erwidere ich nur zu gern. Noch immer scheu ich mich in der Öffentlichkeit mit ihm körperliche Berührungen oder Zuneigungsbekundungen auszutauschen. Ich möchte nicht, dass er oder ich oder wir gemeinsam in der Klatschpresse landen. Die sind eh nicht an der Wahrheit interessiert und fantasieren sich einen Mist zusammen.
 

Nachdem unser Kuss endet schließe ich die Zimmertür von Mokuba und spüre, wie Katsuyas Finger sich mit den meinigen verschränken. Dann gehen wir gemeinsam eine Tür weiter in unser kleines Reich. Alles was ich jetzt noch möchte ist allein mit meinem Streuner sein und ich bin mir sicher, dass er das weiß. Sicherlich hat er uns schon bei den anderen entschuldigt, die noch unten in der Küche sind.
 

Als hinter uns die Tür ins Schloss gleitet fällt mir eine wahnsinnige Last ab. Endlich... endlich keine Blicke mehr. Keine fremden Menschen. Kein wahnsinniger Lärm. Nur... Katsuya und ich in unseren vier Wänden. Sicher. Geborgen. Zweisam. Und dann geschieht etwas, was ich mir nicht erklären kann: Tränen brechen sich bei mir Bahn. Ich schluchzte leise auf und schlinge meine Arme eng um Katsuya.
 

Dieser erwidert die Umarmung und scheint so gar nicht davon überrascht zu sein. Er fragt weder, was ich hab, noch was los ist. Doch auch das bin ich mittlerweile von ihm gewohnt: Er weiß immer ganz genau was in mir vorgeht und wann er mich einfach nur halten muss. Keine Fragen. Keine beruhigenden Floskeln. Einfach nur seine Nähe. Seine Wärme.
 

Erst nach ein paar Minuten versiegen meine Tränen wieder. Sanft hebt Katsuya meinen Blick zu sich, lächelt mich immer noch so bezaubernd an und küsst mich dann erneut. Wieder genieße ich den Kuss. Drohe mich in ihm zu verlieren und spüre, wie da ein Funken in mir erwächst. Wie kann das sein? Eben weine ich noch, wie ein Baby, im nächsten Moment werde ich spitz wie ... was auch immer spitz werden kann.
 

Als sich der Kuss löst wandelt sich Katsuyas lächeln in ein wissendes Grinsen und ich spüre, wie meine Wangen sich röten. Mit einem geschickten Griff löst er den Knoten meines Obis und dieser fällt einfach so von meiner Hüfte. Das verblüfft mich jetzt. Also versuch ich es ihm gleichzutun und... nichts. Der Obi bei Katsuya bleibt trotz gelöstem Knoten einfach an Ort und Stelle. Katsuya kichert kurz, als er meine leichte Enttäuschung darüber sieht.
 

Doch im Nu hat er uns beide aus unseren Yukata 'befreit' und zieht mich Richtung Badezimmer. Dort lässt er uns ein heißes Schaumbad ein. Okay... das hatte ich gerade nicht im Sinn. Und das weiß Katsuya ganz genau, denn er beginnt sich langsam sinnlich und aufreizend, mit viel Hüftschwung zu bewegen, als er zu mir kommt. Wieder küsst er mich, bevor er mir auf die Lippen haucht, dass wir uns kurz dieses Bad genehmigen und wir danach so oft wir wollen durchs Bett turnen.
 

Na das nenn ich doch mal einen Deal. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht, während sich Katsuya langsam wieder löst, um zur Badewanne zurück zu gehen. Dabei wackelt er wieder ungeheuer einladend mit seinem Hintern und nach einem Augenblick, in dem ich seine Bewegungen einfach nur genieße, folge ich ihm zur Wanne. Wie sehr ich ihn doch liebe...
 

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Einen Schritt, der einen selbst schmerzt

Es ist bereits nach Mitternacht als ich Zuhause eintreffe. Ich parke mein Auto in der Garage, packe die braune Papiertüte neben mir auf dem Beifahrersitz und steige aus. Als ich die Garage verlasse und das Tor sich schließt blicke ich noch einmal in die Dunkelheit zur Grundstücksmauer. Die Mauer macht klar, wo die Grundstücksgrenze ist, aber ich bezweifle, dass sie jemand abhalten würde, der es darauf anlegt auf das Grundstück zu wollen.
 

Langsam geh ich zu meiner Haustür und schließe sie auf. Das Licht im Foyer und einigen anderen Räume ist auf einer gedimmten Stufe bereits an. Das hab ich irgendwann mal so in der Programmierung meines Smart House so festgelegt: Wenn ich mein Auto in die Garage fahre, dann aktivieren sich einige Lichter im Haus. Denn es gibt nichts Ungemütlicheres als ein dunkles Haus.
 

Ungemütlich? Eher unheimlich. Wie Seto sehe auch ich gerne meine unmittelbare Umgebung, wenn ich sie betrete. Ich hasse Überraschungen oder wenn ich im Dunklen auf jemand treffe, den ich da nicht erwartet habe. Eigentlich hasse ich die Dunkelheit als Ganzes. Liegt wohl an meiner Kindheit.
 

Ich werfe meine Schlüssel in die Glasschale neben der Haustür, streif die Schuhe ab und schleuder sie mit einem Tritt in Richtung Garderobe. Dann geh ich mit meiner braunen Tüte ins Wohnzimmer, wo sich prompt der Fernseher aktiviert und mir die neusten Meldungen des Tages präsentiert. Börsenwerte. Wettervorhersagen für die kommenden Tage.
 

Doch daran hab ich gerade so gar kein Interesse. Also wink ich durch die Luft, was der Kontrollsensor meines Fernsehers registriert und als Ausschaltbefehl erkennt. Schon ist es wieder ruhig in meinem Haus. Viel zu ruhig, denn auf einmal kann ich mein Blut als Rauschen in meinen Ohren wahrnehmen.
 

Das ganze verdammte Haus wirkt auf einmal so riesig und leer. Ich spüre, wie die Verzweiflung nach meinem Herzen greift und ich kurz aufschluchzen muss. Doch dann verdräng ich dieses Gefühl wieder und verlasse das Wohnzimmer, um mich die Treppe nach oben zu schleppen.
 

Dort geh ich zum Schlafzimmer und lass mich auf eine Ecke des Bettes fallen. Für einen Moment erwarte ich, dass Hiroto über das Bett krabbelt und mich von hinten sanft umarmt. Doch das kann er nicht. Wird er nie wieder. Wieder kann ich nicht verhindern aufzuschluchzen. Mein ganzes Wesen schreit nach ihm. Will ihn wieder hier wissen.
 

Erneut drück ich diese Gefühle nach unten und fang mich wieder. Hier - in diesem Schlafzimmer voller Erinnerungen an Hiroto - werde ich kein Auge zu machen. Also schnapp ich mir ein Kissen und eine dünne Decke und verlasse auch dieses Zimmer wieder schlurfend.
 

Am Ende lande ich auf dem Sofa meines Hausbüros. Das Deckenlicht ist aus, doch ich hab die Stehlampe in der Ecke angelassen. Absolute Dunkelheit würde ich jetzt nicht ertragen. Dann würden meine Gedanken nur irgendwelche abstrusen Bilder in der Nacht malen. Ich versuche eine bequeme Position zu finden, doch es gelingt mir einfach nicht. Es ist schon ewig her, dass ich über Nacht alleine war. Hätte nicht gedacht, dass es so schwer wäre.
 

Wieder spür ich dieses Gefühl in mir emporsteigen, dass mich schon zwei Mal hat aufschluchzen lassen. Doch dieses Mal nicht. Ich greife zu der Papiertüte und hebe die Flasche Sake heraus. Ein Tässchen hab ich nicht. Brauch ich auch nicht. Schluckweise kann ich auch aus der Flasche direkt trinken. Und genau das tu ich dann auch: Wann immer dieses Gefühl droht in mir hoch zu kommen nehm ich einen Schluck.
 

Schließlich sacke ich irgendwann weg in einen Zustand zwischen wach sein und schlafen. Ich seh Hiroto, wie er mich mit diesem unwiderstehlichen Lächeln begrüßt. Seine Arme um mich schlingt. Mir seine Wärme schenkt. Mich liebt. Doch dann verzieht sich Hirotos Gesicht zu einer Grimasse. Sein Blick bekommt ein boshaftes Funkeln. Das Lächeln wird zu einem schrecklichen Grinsen.
 

Dann spür ich Hände um meinen Hals, die beginnen mich zu würgen. Ich krieg keine Luft mehr. Japse. Versuche mich irgendwie zu wehren, doch da sind nur Hände. Keine Arme. Kein anderer Körper. Nur Hände. Mit Fingern, die sich immer fester um meinen Hals schließen. Panik steigt in mir auf. Ich will schreien, doch dazu hab ich keine Luft mehr.
 

Plötzlich höre ich eine Stimme, die ich schon lange nicht mehr gehört habe. Sie lacht und wiederholt nur, wenn ich ihr nicht nütze, dann bin ich wertlos. Dann bin ich nur ein Klotz am Bein. Müll, den man entsorgen muss. Rechtlos auf Leben. Tränen quellen mir aus den Augen, die ihrerseits aus ihren Höhlen treten.
 

Schließlich hab ich das Gefühl, dass ich falle und mit dröhnt eine Stimme so furchtbar laut im Ohr, dass ich aufschrecke. Meine Yukata ist durchgeschwitzt und klebt an mir. Mein Atem geht heftig und hebt meine Brust in einem schnellen, zittrigen Rhythmus. Meine Hände pressen sich schmerzhaft fest auf meine Ohren, um diesen Schrei zu dämpfen. Plötzlich erkenne ich, dass ich es bin, der schreit.
 

Mein Herz pumpt so heftig, dass ich das Gefühl hab, dass meine Brust entzweireißt. Erst als ich aufhöre zu schreien erkenne ich, dass ich nach Hiroto gerufen habe. Wieder schießen die Tränen in meine Augen und dieses Mal ergebe ich mich diesem hilflosen Gefühl der Verzweiflung.
 

Ich will Hiroto nicht verlieren und deshalb musste ich unsere Beziehung beenden. Nur so kann ich ihn vor der blinden Wut meines Vaters schützen. Deshalb... kann ich auch mit den anderen nicht länger befreundet bleiben. Der Alte ist zu allem fähig. Das ist nicht nur ein dummer Klischeespruch... das ist einfach so. Das hat er mir schon Anfang der Mittelschule bewiesen...
 

... als er meinen damals besten Freund getötet hat!
 

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Einen Schritt der Einschätzung

Als Katsuya und ich an diesem Morgen in die Küche zum Frühstück kommen finden wir nur einen verloren wirkenden Honda am gedeckten Tisch vor. Scheinbar schlafen Yugi und Mokuba noch. Katsuya grüßt seinen besten Freund mit einem Lächeln, bevor er sich zum Wasserkocher wendet, um uns Tee aufzubrühen. Ich gehe zum Tisch und setze mich auf meinen angestammten Platz. Erst jetzt kann ich erkennen, dass Hondas Augen gerötet und leicht geschwollen vom Weinen sind... und er versucht meinem Blick auszuweichen.
 

Katsuya hat mit mir viel über Taktgefühl gesprochen. Das es manchmal besser ist erst etwas Small Talk zu betreiben, bevor man auf das eigentliche Thema hinstößt. Die Sinnhaftigkeit hab ich ehrlich gesagt nicht verstanden. Warum soll man sich mit belanglosem und unwichtigen Bla Bla aufhalten, statt direkt das aktuelle Thema anzuschneiden. Daher fragt ich Honda direkt, was gestern zwischen ihm und Otogi vorgefallen ist.
 

Der andere Brünette hält inne und beginnt mit einem leicht gequälten Ausdruck einseitig zu grinsen. Er erinnert mich mit diesem Gesichtsausdruck ein wenig an Katsuya... früher... wenn ich eine Grenze überschritten und ihn wissentlich verletzt habe. Habe ich mit dieser Frage Honda verletzt? Katsuya schließt zu uns auf, stellt eine Teetasse vor mir und setzt sich dann auf seinen Platz neben mir. Er straft mich kurz mit einem strengen Blick.
 

Dann hebt Honda seinen Blick, schaut uns an und meint, er habe meine ehrliche, direkte Art schon immer bewundert, aber auch gehasst. Okay... scheinbar hab ich Honda tatsächlich verletzt, auch wenn mir noch nicht ganz klar ist, wie. Doch bevor ich zu einer Entschuldigung ansetzen kann verschwindet das Grinsen aus Hondas Mimik. Er sagt, Otogi habe mit ihm Schluss gemacht und ihn dann aus dem Haus geworfen.
 

Otogi hat ihre Beziehung beendet? Warum? Natürlich war Hondas Auftauchen bei der Anhörung etwas, was Otogi nicht gut weggesteckt hat, aber das Beenden der Beziehung halte ich als Konsequenz doch für etwas übertrieben. Doch wie sich rausstellt vermutet Honda genau darin den Trennungsgrund. Etwas anderes fällt ihm nicht ein, was Otogi zu dieser Entscheidung veranlasst haben könnte.
 

Echt nicht? Nach allem, was Honda bei der Anhörung gehört hat, fällt ihm kein anderer Grund ein? Mir schon... aber ich wurde in meiner Kindheit auch anderes geprägt, als der wohlbehütet aufgewachsene Honda Hiroto. Und wie ich seit der Anhörung weiß, war Otogis Kindheit auch nicht gerade märchenhaft. Kein liebender, beschützender Vater. Im Gegenteil. Unsre beiden Väter waren Monstren, jeder auf seine eigene Art.
 

Wenn ich überlege, wie es wäre, wenn Gozaburo nicht aus dem Fenster gesprungen, sondern stattdessen vielleicht im Gefängnis gelandet wäre... Ich hätte alles daran gesetzt mit Mokuba und Akito zu verschwinden. Ein normales Leben wäre unmöglich. Auch wenn ich ihm damals die Firma weggenommen habe, hatte er doch noch ein recht ordentliches Privatvermögen. Damit hätte er doch durchaus kämpfen können.
 

Selbst wenn ich trotz allem hier geblieben und den Weg gegangen wäre, den ich wirklich genommen habe, dann hätte ich mir niemals erlaubt Katsuya in mein Leben zu lassen. Denn wenn Gozaburo aus dem Gefängnis gekommen wäre hätte er auf Rache gesinnt und dabei - und dabei bin ich mir sicher - wäre er über Leichen gegangen... so wie er es mich in meiner Jugend glauben gemacht hatte, als es um Keizo gegangen war.
 

Fürchtet Otogi das Selbe? Sein Vater ist definitiv nicht zu Mitgefühl und damit auch nicht zur Vergebung für den Verrat seines Sohnes empfänglich. Einen Verrat, der sein erklärtes Lebensziel - Rache an Yugis Familie - zerstört hat. Ich sollte Personenschützer beauftragen auf Yugi und seinen Großvater acht zu geben. Katsuya nennt den kleinen Punk schließlich nicht umsonst das Herz der Clique. Nicht auszudenken, wenn ihm etwas geschehen würde.
 

Erst nachdem Katsuya mich scheinbar wiederholt beim Namen ruft bemerke ich, dass ich alles um mich herum ausgeblendet hatte. Honda fragt mich erneut um Rat und möchte wissen, was ich denke. Was ich denke? Ich denke, dass da Klärungsbedarf besteht an mehr als einer Front. Ich meine, dass die Justiz dringen mal ihre Maßstäbe überdenken sollte. Ich sehe, welches Opfer Otogi bereit ist zu erbringen und das werde ich nicht zulassen.
 

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schmerzhaft und schädlich die Selbstisolation sein kann. Wie wenige Erfolgsaussichten er haben wird, wenn er seinem Vater diese Macht zugesteht. Denn sein Vater wird nicht logisch oder rational vorgehen. Otogi hat sich damals offen gegen ihn gestellt und damit seinen Fall eingeläutet. Für Menschen, die er damals kaum kannte. Für Yugi und dessen Freunde. Also wird der Alte alles dran setzen, dass Otogi diese Entscheidung bereuen wird.
 

Beängstigend, wie gut ich mich in Monster hinein versetzen kann. Aber andererseits hab ich über fünf Jahre unter Monstern überlebt, gerade weil ich diese Denkweisen erlernt habe. Wenn ich das nicht hätte, dann wäre ich früher oder später drauf gegangen und hätte Mokuba in dieser Welt schutzlos zurückgelassen. Es war also notwendig gewesen die Gedankengänge meiner Monster vorher zu sehen.
 

Also verspreche ich Honda, dass sich alles wieder zum Guten wenden und Otogi seinen Fehler bald erkennen wird. Dann wird er, wie in so einer Schnulze, sofort zu Honda zurück kommen, ihn um Verzeihung bitten und ihn anflehen, dass Honda ihn zurück nimmt. So oder so ähnlich... oder vielleicht auch etwas realistischer? Einfach eine Aussprache, alle Fronten klären und dann weitersehen, ob noch eine Basis für eine gemeinsame Zukunft vorhanden ist?
 

Ich möchte schon aufstehen, als Katsuya mir eine Hand auf den Unterarm legt, zu mir aufschaut und mir zu verstehen gibt, dass wir erst frühstücken. Er würde es nicht laut aussprechen, aber ich verstehe auch ohne Worte seine Sorge darum, dass ich gestern kaum was gegessen habe, beziehungsweise von dem, was ich aß nicht bei mir behalten konnte.
 

Also lächle ich meinen getreuen Wachhund an, beug mich zu ihm und küsse ihn kurz. Ich weiß nicht, wo ich heute sein würde, wenn er nicht an meiner Seite wäre. Sicherlich wäre ich längst in irgendeiner Klapse, vollgepumpt mit Medikamenten und nichts mehr um mich wahrnehmend.
 

Wir frühstücken noch nicht lang, da gesellt sich Yugi zu uns und schließlich Mokuba, der total zerknautscht, aber wahnsinnig glücklich wirkt. Er kommt zu mir, umarmt mich und gibt mir einen Kuss auf die Wange. Erst dann setzt er sich neben mich auf seinen Platz und versucht mit dem Gesicht nicht in seinen Reis zu fallen.
 

Schmunzelnd beobachte ich ihn einen Moment und streiche ihm eine wirr abstehende Strähne hinter sein Ohr. Er blickt zu mir auf und strahlt mich mit vollen Backen und einem Reiskorn auf der Wange an. Ein Bild für die Götter.
 

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Einen Schritt abwägen

Wir sitzen noch am Tisch in der Küche. Wir haben das Frühstück ziemlich ausgedehnt und haben es direkt in das Mittagessen münden lassen. Warum auch nicht? So zusammenzusitzen und einfach mal ein wenig zu plaudern ist doch auch mal ganz gut und nett. Über nichts Wichtiges. Einfach nur über dies oder jenes. Ein wenig Duel Monster-Fachsimpelei, die lebhafte Diskussion über den besten Street Combat-Kämpfer, wie geil das Feuerwerk gestern Abend war.
 

Irgendwo in diesem nie enden wollenden Small Talk ist Seto aufgestanden und hat sich 'kurz' verabschiedet. Von wegen kurz. Das ist Stunden her und als ich nach ihm sehen wollte hat mir Akito erzählt, dass Seto sich umgezogen und das Haus verlassen hat. Mir wäre es echt lieb gewesen, wenn Seto was gesagt und ich ihn hätte begleitet dürfen. Kurz halte ich bei dem Gedanke inne: Ich merke, wie wieder die Glucke in mir zum Vorschein kommt. Seto ist vor unserer Beziehung auch gut alleine zurechtgekommen und ich sollte begrüßen, dass er wieder selbstständiger wird.
 

Um mich abzulenken frag ich also in die Runde, wer noch einen Nachschlag vom Mittagessen möchte und alle heben die Hand. Das war so klar, geht mir durch den Kopf, als ich grinsend aufstehe, um noch etwas mehr von dem Mittagsgericht zuzubereiten. Dabei blicke ich immer wieder zurück zum Tisch, an dem Honda, Yugi und Mokuba sitzen und weiter wild diskutieren. Eigentlich... diskutieren nur Honda und Mokuba.
 

Yugi ist heute sehr zurückhaltend und immer wieder blickt er schuldbewusst zu Mokuba und dann zu mir. Mir wird bewusst, in was für eine schwierige Lage ich Yugi gebracht habe und das tut mir unwahrscheinlich leid. Und deshalb liegt es auch an mir die Verantwortung dafür zu übernehmen, aber wie? Ich muss auf jeden Fall mit Mokuba sprechen, bevor Yugi ihm alles beichtet - so viel steht zumindest fest.
 

Da realisiere ich, dass sich jemand zu mir gesellt und als ich meinen Blick von der Wok-Pfanne abwende erkenn ich Yugi. Ich lächle ihn an und blicke kurz zurück zum Tisch, an dem Honda und Mokuba immer noch heftig die Vorzüge der verschiedenen Street Combat-Figuren diskutieren. Also wage ich das Wort an Yugi zu richten:
 

Als Erstes entschuldige ich mich bei meinem Kumpel, dass ich ihn überhaupt in eine solche Lage gebracht habe. Das war ohne wenn und aber scheiße von mir. Er will etwas Entkräftendes sagen, so ist Yugi einfach. Doch ich heb kurz die Hand und bring ihn zum Schweigen. Bitte ihn schlicht nur meine Entschuldigung anzunehmen, sofern er das kann, aber dieses Fehlverhalten nicht klein zu reden. Es war scheiße. Punkt.
 

Yugi lächelt und nickt, dann sagt er mir, dass er meine Entschuldigung annimmt und erwartet, dass ich ihn nie wieder in so eine Lage bringen werde. Also geb ich ihm darauf mein Wort und wie alle meine Freunde wissen: Ich halte mein Wort immer. Darauf strahlt mich der Bunthaarige breit an und fragt, ob er mir helfen kann. Das nehm ich gern in Anspruch, vor allem, weil wir dann weiterreden können.
 

Als Zweites erzähl ich Yugi dann, dass ich mir nach dem Essen Mokuba schnappe und ihm von meinem Fehlverhalten erzähle. Das wird natürlich dazu führen, dass Mokuba erkennt, dass ich von seinen Gefühlen für mich weiß. Doch ich hab noch keinen wirklichen Plan davon, wie es dann weitergehen soll. Vor allem weil ich nicht genau einschätzen kann, wie Mokuba darauf reagieren wird.
 

Doch Yugi legt mir eine Hand auf meinen Unterarm, so dass ich wieder zu ihm blicke. Er schaut mich mit seinen großen, blauen, fast violetten Augen an und schüttelt den Kopf. Ich soll das nicht tun. Das führt nur dazu, dass Mokuba sich verraten und in die Enge getrieben fühlt. Verraten - okay, dass versteh ich noch. Aber in die Enge getrieben?
 

Da erklärt mir Yugi, wie peinlich es Mokuba sein könnte, wenn er erfährt, dass ich von seinen Gefühlen für mich weiß. Er habe doch schon genug damit zu kämpfen und versucht diese gerade irgendwie zu überwinden. Zu wissen, dass ich es weiß, würde vielleicht eine Angriffsreaktion provozieren und das würde sich auch auf meine Beziehung mit Seto auswirken.
 

Seto! Ich muss auf jeden Fall noch mit Seto darüber sprechen. Wir haben keine Geheimnisse voreinander, doch seit gestern habe ich keine passende Gelegenheit gefunden ihm davon zu erzählen. Baustellen, über Baustellen.
 

Doch wieder steht mir Yugi mit Rat zur Seite und bittet mich erst mit Seto darüber zu sprechen und nach Möglichkeit ihn um den gleichen Gefallen zu bitten. Alles gar nicht so einfach, find ich. Ein Geheimnis, welches allen bekannt ist, aber von dem nicht jeder weiß, dass alle im Bilde sind. Ich seufzte schwer und das zieht Hondas Aufmerksamkeit auf uns, der quer durch die Küche fragt, was denn da so geseufzt wird.
 

Also grins ich und mein zu ihm, dass er zwar alles essen darf, aber nicht alles wissen braucht. Mokuba blickt prüfend zu Yugi und mir, bevor Honda auf Grund meiner Antwort lacht und dann das Gespräch mit dem Jüngsten in der Runde wieder aufnimmt. Gerade noch mal die Kurve gekriegt, geht es mir durch den Kopf. Yugi lächelt mich aufmunternd an und nimmt die ersten zwei Schalen Nachschlag mit zum Tisch, während ich die nächsten zwei Schalen befülle.
 

Gerade als ich mich von der Wok-Pfanne abwende geht die Schwingtür der Küche auf und Seto kommt wieder rein. Er sieht nicht zufrieden aus. Ob sein Gespräch mit Otogi nicht so lief, wie er es sich gewünscht hätte? Ich geh zu ihm und küss ihn kurz. Dann mein ich, dass sein Mittagessen schon auf ihn warte. Dabei heb ich eine der Schalen etwas höher.
 

Als mein Drache das Essen sieht hellt sich seine Miene etwas auf und er folgt mir zum Tisch. Da Yugi die beiden Schalen vor Honda und Mokuba abgestellt hat geb ich ihm eine der beiden, die von mir getragen wird. Die andere stell ich vor Seto ab, der mich dankbar anlächelt, bevor er zu den Stäbchen greift und anfängt zu essen. Scheinbar hat er richtig Hunger und das kommt bei meinem Drachen echt selten vor. Aber es freut mich auch, dass ihm mein Gekochtes schmeckt, da er es ohne zu zögern praktisch inhaliert.
 

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Einen Schritt, der Fragen aufwirft

Ich liebe Katsuyas Essen. Es schmeckt einfach großartig und weckt immer wieder Gefühle in mir, die mich an meine frühe Kindheit erinnern. Eine Kindheit, die glücklich war. Bei unseren Eltern. Bevor diese starben. Gefühle, die schön sind und mich für einen Moment normal fühlen lassen - etwas was selten genug vorkommt.
 

Kaum sind wir mit dem Mittagessen fertig springt Mokuba auf und fordert Honda zu einem ausgedehnten Street Combat-Turnier auf. Es geht wohl darum einige Punkte ihrer Diskussion zu erproben und zu schauen, wer von ihnen mit seiner Einschätzung richtig liegt. So ganz hab ich es nicht verstanden, aber das muss ich auch gar nicht. Yugi fragt, ob er beim Abwasch helfen soll und mein Streuner schüttelt den Kopf. Also steht auch der kleine Punk auf und folgt meinem Bruder und dem besten Freund meines Geliebten.
 

Mir ist klar, dass das bedeutet, dass ich wohl gerade zum Spüldienst verdonnert wurde. Aber das ist mir egal, solange mein Streuner bei mir ist. Daher lächle ich ihn an und beug mich zu ihm, um ihn noch einmal 'richtig' zu küssen, jetzt wo wir alleine in der Küche sind. Katsuya scheint den Kuss zu genießen und doch ist da etwas, was ihn hemmt. Also lös ich unseren Kuss wieder und blicke ihn fragend an.
 

Er lächelt mich noch einmal kurz an, dann seufzte er sanft und meint, es gibt da etwas, dass er mir erzählen muss. Das klingt jetzt aber nicht gut. Das klingt nach etwas, was ich nach den drei Stunden vor Otogis Haus nicht hören möchte. Ja. Ich stand geschlagene drei Stunden vor Otogis Haustür und hab geklopft, geklingelt und gerufen. Doch keiner hat aufgemacht und das obwohl ich sehr wohl weiß, dass jemand da war. Einerseits stand sein Auto in der offenen Garage, andererseits hat er auch Hausangestellte, die immer da sind. Aber okay... ich werde mein Gespräch mit ihm schon noch bekommen.
 

Katsuya beginnt das Geschirr zusammen zu räumen und ich helfe ihm. Mit ruhiger Stimme beginnt er, dass er endlich heraus gefunden hat, was Mokuba in den letzten Wochen hat. Ich schau überrascht zu ihm und er schenkt mir kurz einen ernsten Blick. Dann trägt er das Geschirr vom Tisch zur Spüle. Innerlich fress ich mir gerade die Fingernägel ab. Warum foltert mich mein Streuner so?
 

Er beginnt Wasser in eines der Becken laufen zu lassen und wendet sich wieder zu mir. Dann offenbart er mir, dass Mokuba romantische Gefühle für ihn hegt. Im ersten Moment weiß ich nicht, ob das ein Scherz sein soll. Doch schnell wird mir klar, dass das Katsuyas Ernst ist. Es macht mich betroffen. Mokuba... hegt romantische Gefühle für Katsuya? Warum? Wie? Seit wann? Vielleicht... hatte er schon Gefühle, bevor wir zusammen gekommen sind und hat sie zurück gestellt, nachdem er gemerkt hat, dass ich...
 

Da spüre ich plötzlich eine Hand an meiner Wange, die mich sofort aus meinen Gedanken reist und wieder ins Hier und Jetzt bringt. Ich schau in die warmen, bernsteinfarbenden Augen meines Streuners. Dann kann ich kaum glauben, was dieser mir sagt: Wir dürfen Mokuba nicht erkennen lassen, dass wir es wissen. Das versteh ich nicht und ein gigantisches WARUM steht mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben.
 

Also erzählt mir Katsuya, wie er das heraus gefunden hat, was mit Mokuba los ist. Ich zieh dabei nur kritisch meine Augenbrauen hoch. Mir liegt es auf den Lippen zu sagen, dass er da Yugi in eine ziemlich heikle Situation gebracht hat. Aber mein Streuner wird das schon selbst wissen. Und auch wenn ich es nicht gut heißen kann bin ich dankbar dafür, dass wir endlich wissen, was los ist. Aber wie geht es jetzt weiter.
 

Mein blonder Streuner dreht das Wasser ab und beginnt den Abwasch. Dann reicht er mir das Geschirrstück und ich spül es mit klarem Wasser ab, bevor ich es kurz in den Geschirrkorb stelle. Wir überlegen beide hin und her, doch irgendwie ist alles was uns dazu einfällt nicht wirklich das Wahre.
 

Plötzlich ertönt hinter uns ein Räuspern, was uns beide zusammenfahren lässt. Fast wäre mir der Teller aus der Hand geglitten. Wir drehen uns synchron etwas um, und sehen, wie Akito dort mit einer Dessert-Schale sitzt und einen Obstsalat löffelt. Er lächelt uns väterlich an. Nicht Gozaburo-väterlich, sondern wie Mokubas und mein leiblicher Vater. Eben gütig, klug und erfahren.
 

Ich nehme ein Handtuch vom Haken, trockne mir kurz die Hände und reich es Katsuya, der es mir gleich tut. Dann gehen wir zurück zum Esstisch und Akito bittet uns mit einer Geste Platz zu nehmen. Also setzen wir uns ihm gegenüber. Kann es sein, dass Akito auch weiß, dass Mokuba in Katsuya verliebt ist? Was für eine dumme Frage. Wann wusste Akito mal nicht, was bei Mokuba oder mir los war? Natürlich hat Akito das gewusst und er gibt es auch zu.
 

Also frag ich ihn, was wir nun tun sollen. Akito meint nur, dass Yugi da schon den richtigen Riecher hatte: Einfach nichts. So tun, als wüssten wir von nichts. Ich kann kaum glauben, was ich da höre. Nichts tun? Mich dumm stellen? Aber Mokubas Gefühle...
 

Weiter komme ich nicht, als Akito mir die Hand auf die Schulter legt und mich zum Verstummen bringt. Manchmal schwärmen Teenager in der beginnenden Pubertät für jemand Unerreichtes. Das kann ein Star sein oder eben jemand in ihrem Umfeld, bei dem sie aber keine Chance haben. Das gehört zum Erwachsenwerden einfach dazu. Aber diese Gefühle werden sich legen und dann wird Mokuba für jemand, der für ihn erreichbar ist, etwas empfinden.
 

Kann es wirklich so einfach sein? Doch ... und dann stocke ich selbst und werde unsicher. Ich blicke zu Katsuya und hab Angst vor der Antwort auf meine nicht gestellte Frage. Dieser blickt nur erkundigend zu mir. Aber es ist wieder Akito, der das Wort an mich richtet und meint, dass ich mir darüber keine Gedanken machen muss. Ich blicke zu meinem langjährigen Vertrauten und versuche zu ergründen, ob dieser tatsächlich meine Frage erahnt hat.
 

Als Katsuya nachfragt, worüber ich mir keine Gedanken machen muss antwortet Akito ihm: Mokuba hegt erst seit kurzem romantische Gefühle für Katsuya. Es ist kein Gefühl, dass schon länger in meinem kleinen Bruder heran reift. Vermutlich hat es sich einfach entwickelt, weil Katsuya nun fester Bestandteil unseres Lebens ist und er auf irgendjemand diese Gefühle übertragen muss.
 

Dann richtet sich Katsuyas Blick auf mich und schaut mich forschend an. Schließlich meint Katsuya, dass er Mokuba sehr lieb hat, aber er nur mich liebt. Mein Herz macht einen Hüpfer. Niemals würde er mit Mokuba anbandeln, da er 'nur' einen Bruder in ihm sieht. Ich solle mir also gar nicht erst irgendein Unsinn ausdenken, wie zum Beispiel mit ihm Schluss zu machen, damit Mokuba nicht mehr sieht, was er nicht haben kann oder gar Mokuba eine Chance bei ihm haben würde, denn das hätte er dann immer noch nicht.
 

Ich muss schmunzeln. Dann zieh ich Katsuya in einen innigen Kuss, während Akito langsam vom Tisch aufsteht und zur Spüle geht, um die letzten drei Geschirrstücke, inklusive seiner Schale, kurz abzuwaschen. Für einen Moment hatte ich wirklich Angst, dass ich eventuell eine Entscheidung treffen muss, mit der weder ich, noch Mokuba wohl glücklich gewesen wäre.
 

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Einen Schritt endlich umsetzen

Nervös trete ich von einem Fuß auf den anderen und betrachte mich wiederholt im Spiegel. Es ist schon länger her, dass ich so formell - in einem Anzug - gekleidet war. Ich glaube, ich hatte seit dem Gala-Abend keinen Anzug mehr an. Danach hab ich diesem Outfit nichts mehr abgewinnen können, denn es ist nicht mehr als eine Verkleidung, die bei manchen all die hässlichen Neigungen verschleiern soll.
 

Es klopft und ich zucke kurz zusammen. Drehe mich vom Spiegel weg. Erst dann bitte ich den Anklopfenden herein. Die Tür öffnet sich und Seto schaut mich kurz durch einen Spalt hindurch an, bevor er reinkommt. Er lächelt mich stolz an und sagt, wie gut ich aussehe. Ich lächle etwas belämmert und er legt mir seine Hand auf die Wange. Fragt mich, ob was nicht in Ordnung wäre.
 

Noch ehe ich mich versehe presse ich mich gegen seine Brust und umarme ihn fest. Sag ihm, dass ich das Gefühl habe, dass ich ihn verrate und im Stich lasse. Er streicht mir sanft über meinen Kopf und das Haar, dass ich heute zu einem Zopf zusammengebunden habe. Erwidert, dass ich das nicht habe und er davon überzeugt ist, dass ich das nie tun werde. Doch das mildert das Gefühl in mir nicht.
 

Erst nach einer kurzen Weile stemmt er mich etwas von sich, so dass ich meine Umarmung lösen muss. Vorsichtig legt er mir einen Finger unter das Kinn und hebt meinen Blick zu ihm. Immer noch lächelt er mich sanft an. Sagt, dass er mir etwas schuldet und er mit dem, was jetzt kommen wird, hofft mir etwas zu schenken, was mir seit unserer Adoption nicht mehr vergönnt war. Er fügt auch an, dass die Entscheidung darüber aber alleine bei mir liegt.
 

An Seto vorbei seh ich, wie Akito in die offene Tür tritt und uns beide mit einem fast seligen Lächeln mustert. Als ich wieder zu Seto blicke nicke ich und sage, dass ich bereit bin. Wieder streicht er mir sanft über die Wange und dann... zieht er mich wieder an sich und umarmt mich fest. Auch ich schließe meine Arme wieder um ihn und wir nehmen uns noch einen Moment.
 

Die Fahrt in die Stadtmitte dauert nicht lange und doch... kommt sie mir viel zu lange vor. Während der ganzen Fahrt versuche ich aus dem Fenster zu schauen, aus Angst ich könnte Katsuya anstarren. Dieser unterhält sich ruhig mit Seto, der einen Arm um meine Schultern gelegt hat und mir sanft den Nacken krault. Scheinbar hat er gemerkt, dass ich immer noch recht angespannt bin.
 

Als wir vor dem Rathaus ankommen wartet dort schon Yugi. Ich steig eilig aus und begrüße ihn. Er umarmt mich kurz und ich drücke ihn. Schon seit ein paar Tagen versucht mich Yugi davon zu überzeugen, dass ich einfach mal mit Katsuya über meine Gefühle sprechen soll. Doch das kann ich nicht. Ich weiß, alles was ich ihm erzähle wird er mit Seto teilen, denn die beiden haben keine Geheimnisse. Meinem Bruder sein Glück streitig zu machen oder gar zu vermiesen... das will ich nicht.
 

Seto und Katsuya schließen zu uns auf und ich löse mich von Yugi wieder. Er begrüßt strahlend die beiden und dann etwas höflicher Akito. Dieser nickt Yugi nur zu und wir genießen noch einen Moment die frische Luft. Dann gehen wir langsam ins Rathaus und suchen dort das Einwohnermeldeamt.
 

Akito geht an die Anmeldung und legt unser Anliegen vor, sowie die Tatsache, dass wir einen Termin haben. Die Dame nickt und schickt uns in einen Gang, in dem einige Stühle an der Wand stehen. Doch zum Hinsetzen kommen wir erst gar nicht. Unvermittelt öffnet sich die letzte Tür an der Kopfseite des Flures und ein sehr streng wirkender Mann im Anzug mustert uns. Mein Herz wummert nur noch und für einen Moment glaub ich zu spüren, wie es versucht sich durch meinen Brustkorb hindurch zu quetschen.
 

Er bittet Akito und mich in sein Büro. Sanft legt mir Akito eine Hand in den Rücken. Doch ich bleibe stehen und blicke noch einmal zu Seto, der mich nur wieder stolz anlächelt. Ist er etwas stolz darauf, dass ich ihn so verrate und im Stich lasse? Doch dann lass ich mich langsam Richtung Büro schieben.
 

Der Beamte bietet uns auf den Stühlen vor seinem Schreibtisch Platz an und wir setzen uns. Ich mag den Mann nicht. Er erinnert mich in seiner Erscheinung und seinem Auftreten zu sehr an Gozaburo. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her, als er das Wort an uns richtet. Überwiegend redet er mit Akito, der ihm zwei amtliche Schreiben reicht.
 

Das erste ist eine Erlaubnis vom Familiengericht. Das andere... ist der Antrag auf Adoption und Namensänderung. Ich kann kaum ruhig sitzen. Nervös beginnt mein Bein auf und ab zu wippen. Der Beamte mustert mich wieder und fragt mich dann - zu meiner Überraschung - wie alt ich sei. Als ich antworte klingt meine Stimme total zittrig. Dann fragt er mich, ob ich mit dem Antrag einverstanden bin und diesen Schritt tatsächlich gehen möchte. Das hab ich ehrlich gesagt nicht erwartet.
 

Eigentlich dachte ich, dass wir reingehen, alles vorlegen, der Typ seinen Stempel auf die Dokumente drückt und damit alles amtlich sei. Die Frage, ob ich das wirklich möchte, überrumpelt mich etwas, doch dann nicke ich energisch. Er lächelt mich kurz an, dann nimmt er seinen Beamtenstempel, drückt ihn auf den Antrag, reicht das Oberblatt an Akito zurück und behält den Durchschlag davon. Er gratuliert uns beide, als hätte er uns gerade verheiratet und fügt hinzu, dass die Adoptionsurkunde, sowie die Bestätigung der Namensänderung postalisch zugestellt werden.
 

Akito steht auf und verbeugt sich vor dem Mann. Dankt ihm für seine Zeit und seine Zustimmung. Ich mach es ihm nach, auch wenn meine Beine sich wie Wackelpudding anfühlen. Dann führt mich Akito aus dem Büro des Mannes. Draußen sehen uns alle fragend an, als Akito mich als seinen Sohn vorstellt und zum ersten Mal meinen neuen Namen ausspricht: Isono Mokuba.
 

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Einen Schritt, der so nicht erwartet wurde

Scheiß Sommer. Scheiß Hitze. Scheiß Alltag. Scheiß auf alles. Und dennoch steh ich im Aufzug meiner Firma und fahr gerade zu meinem Büro hoch. Das Aufstehen fällt mir von Tag zu Tag immer schwerer. Heute hab ich eine geschlagene Stunde gebraucht, um es überhaupt in eine sitzende Position zu schaffen. Und es lag nicht an dem Kater, den ich habe. Okay, vielleicht ein wenig, aber nicht nur.
 

Alles erscheint auf einmal so sinnlos. So trist. Grau. In mir wütet die Sehnsucht nach Hiroto. Eigentlich hatte ich gehofft, dass sie mit der Zeit nachlassen würde, aber selbst nach einer Woche schmerzt es, als hätte ich ihn erst fünf Minuten weggeschickt. Wie oft hab ich in dieser Woche das Telefon in der Hand gehabt und die Nummer von Hiroto gewählt. Doch bevor das erste Klingelzeichen kam hab ich wieder aufgelegt.
 

Meine Augen brennen wie Hölle. Sie sind zu trocken, zu gereizt... sind gerötet. Also lass ich meine Hand in die Jackettasche gleiten und taste nach einem kleinen Plastikfläschchen. Als ich es finde zieh ich mir mit leicht zitternder Hand die Sonnenbrille ab, leg meinen Kopf in den Nacken und befeuchte sie mit den Augentropfen, die ich mir dafür besorgt habe. Diese sollten die Rötung in ein paar Minuten lindern und die Augen beruhigen.
 

Nachdem ich die Tropfen wieder weggesteckt habe ertönt ein furchtbar grelles Bing vom Fahrstuhl. Dieser teilt mir damit mit, dass ich im gewünschten Stockwerk angekommen bin. Ich sollte meine Sekretärin um eine Kopfschmerztablette bitten, sonst zerspringt mir noch die Birne.
 

Mit schleppendem Schritt verlasse ich den Aufzug und schlurfe in die Richtung meines Büros, bevor mir auffällt, dass ich falsch bin. Also dreh ich um und lauf in die andere Richtung. Man, ich könnt kotzen. Nein, nicht im übertragenen Sinn, sondern eher wortwörtlich. Aber ich verkneif es mir einfach. Hätte vielleicht doch was essen sollen. Egal... ich frühstücke sonst auch nicht... jedenfalls vor Hiroto nicht und jetzt, wo es vorbei ist bin ich wieder dazu übergegangen.
 

Als ich im Vorzimmer meines Büros ankomme bleib ich stehen und bitte Mari um eine Kopfschmerztablette. Sie mustert mich ausführlich, dabei spüre ich, wie ich meine Geduld verliere und sie anblaffe. Erschrocken zuckt sie kurz zusammen, was sofort in mir Bedauern und Scham über mein eigenes Verhalten auslöst. Ich murmel eine Entschuldigung und bitte sie noch einmal höflicher um die gewünschte Tablette.
 

Sie zieht eine ihre Schubladen am Schreibtisch auf, greift zielsicher hinein und hat ein Päckchen Kopfschmerztabletten in der Hand. Während sie mir ein Teil des Blisters abtrennt informiert sie mich, dass mein 08.00 Uhr-Termin bereits anderthalb Stunden auf mich wartet. Verdutzt schau ich sie an und mein nur trocken, dass ich alle Termine doch abgesagt habe. Doch sie zuckt nur mit den Schultern und sagt mir, dass da noch ein Termin im Kalender stand und der nun auf mich warten würde.
 

Ich fluche innerlich. Ist mir tatsächlich ein Termin durchgerutscht? Na ja, bin ja eh der wilde, unstete Jungspund. Wenn's dem Typen nicht passt, kann er sich ja verpissen. Dankend nehm ich die zwei Tabletten entgegen und bitte Mari mir einen meiner Energy-Drinks zu besorgen. Sie nickt und steht dann auf, während ich die Tür meines Büros öffne und eintrete.
 

Noch während ich versuche die Tabletten aus dem Drecksblister zu drücken entschuldige ich mich bei wem auch immer für meine Verspätung. Ich rechne durchaus mit Empörung. Ich wäre es jedenfalls, wenn man mich anderthalb Stunden hätte warten lassen. Aber was ich höre hab ich nicht erwartet und es lässt mich abrupt stoppen. Die Worte verstehe ich nicht ganz, daher hebe ich langsam meinen Blick.
 

An meinen Tisch gelehnt steht Seto - nein Kaiba - und mustert mich streng und scharf. Scheiße. Er wirkt auf einmal wie letztes Jahr, bevor er sich Jonouchi geöffnet hat. Sein Blick ist so schneidend und niederschmetternd, dass ich ihm nicht standhalten kann. So richte ich meinen Blick wieder auf den Blister in meiner Hand. Was macht er hier und wo ist mein 08.00 Uhr-Termin? Als Antwort bekomm ich von ihm nur, dass er mein Termin sei, denn anders scheint ein Gespräch mit mir nicht möglich zu sein.
 

Ich spüre, wie sich die Schamesröte auf meine Wangen legt. Es stimmt: Als er Samstag vor meiner Tür stand, klopfte und klingelte, hab ich die Tür nicht geöffnet. Auch meinem Hauspersonal hab ich die Anweisung erteilt in nächster Zeit niemanden mehr die Tür zu öffnen. Sie halten sich auch daran, doch wenn ich abends heimkommen berichten sie mir kurz wer von meinen Freunden wann da war und geklopft haben. Seto, Jonouchi, Yugi... kein Hiroto. Verstehen sie denn nicht, dass sie sich von mir fernhalten müssen? Nein, wie sollten sie denn, flüstert mich eine kleine Stimme in meinem Kopf zu. Immerhin hab ich es nie erklärt. Werd ich auch nicht.
 

Gerade will ich Seto - Mist, ich meine Kaiba - anfauchen, was er eigentlich hier will und ihn fragen, wie er an den Termin gekommen ist. Doch bevor ich auch nur Luft holen kann merk ich, dass er mir entgegen gekommen ist und mir den Blister aus der Hand genommen hat. Vorsichtig drückt er die Tabletten heraus und in meine Hand. Meine Sekretärin kommt herein und will mir meine Dose Energy-Drink geben, doch Seto - ich knurr mental mich selbst an - blafft sie an, sie soll das Gift wieder mitnehmen und mir Wasser besorgen. Erschrocken springt sie weg.
 

Ich stoße Seto einen Schritt zurück und blaff ihn endlich an, wer er sich einbildet zu sein. Wut flammt in mir auf und das find ich gut. Denn Wut wird mir helfen ihn zu vergraulen. Doch das scheint ihn gar nicht aus der Ruhe zu bringen, denn er schließt wieder zu mir auf. Als seine Worte an mein Ohr dringen spür ich, wie meine Wut sofort erstirbt und etwas in mir zu vibrieren beginnt.
 

Er ist mein Freund, sind die einzigen Worte, die von ihm kommen. Dann legt er vorsichtig seine Hände seitlich an meine Schultern und zieht mich näher zu sich. Seine Arme legen sich langsam um mich und bilden eine Umarmung. Ich... ich darf das nicht zu lassen. Darf ihn nicht wieder an mich ran lassen. Muss ihn wegstoßen. Körperlich. Freundschaftlich. Doch er lässt das nicht zu. Vielleicht... weil er als einziges wirklich weiß, wie ich mich gerade fühle?
 

Plötzlich erkenne ich, dass ich den Kampf gegen mich selbst verloren habe und mich an seine Schulter presse. Ich will, kann aber nicht weinen. Was soll ich nur tun? Ich kann nicht mit und nicht ohne meine Freunde. Sie sind durch mich in ständiger Gefahr und doch will ich nichts anderes, als bei ihnen sein.
 

Da höre ich Setos Worte, dass wir das schon alles hinkriegen werden. Ich möchte ihm glauben. Wirklich. Nur kann ich das wirklich verantworten...?
 

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Einen Schritt erklären

Yugi und ich sind heute, wie fast jeden Abend seit Ferien sind, im Hause Kaiba zu Gast. Und ich bin dankbar dafür. Es lenkt mich ab. Davon, dass mein Freund einfach Schluss mit mir gemacht hat. Ohne mir wirklich zu erklärte, woran unsere Beziehung gescheitert ist. Einfach aus heiterem Himmel. Als ich für ihn da sein wollte, weil ich den Eindruck hatte, dass die bevorstehende Entlassung seines Vaters ihn enorm unter Druck setzt.
 

Eigentlich sollte ich wütend auf Ryuji sein, aber ... ich vermisse ihn so sehr. Vermisse sein Lachen, seine Scherze, seine nachdenkliche Seite, aber auch ihn zu berühren. Von ihm berührt zu werden. Uns zu küssen. Miteinander Sex zu haben. Die Nähe und Verbundenheit, die zwischen uns war. Noch immer will ich das alles nicht verloren glauben. Will es zurück. Mehr als alles andere auf der Welt. Und dieser Wunsch lässt mein Herz einfach schmerzen.
 

Jou bittet mich, ihm beim Kochen zu helfen, während Yugi und Mokuba weiter Street Combat zocken. Dabei haben sie schon unzählige Runden in dieser Woche miteinander bestritten und ein ausgewogenes Verhältnis von Siegen zu Niederlagen erreicht. Die beiden sind sich in diesem Spiel einfach ebenbürtig und dennoch werden sie nicht müde immer wieder neue Kombinationen von Kämpfern gegeneinander zu hetzen und zu sehen, wer in dieser Partie überlegen sein wird.
 

Heute ist es viel Schnippelarbeit, die wir für das Mittagessen bewältigen. Einerseits steht ein Wok in einer Kochmulde in der Jou gleich kurz Gemüse anschwitzen will. Auf dem Herd steht eine Grillpfanne in der gleich Yakitori-Spieße gebraten und glasiert werden sollen. Das wäre so ein Essen, nachdem sich Ryuji die Finger ablecken würden ... wenn er uns nicht seit unserer Trennung meiden würde.
 

Es ist schon klar, dass man nach der Trennung den Ex nicht ständig vor der Nase haben möchte. Aber er könnte was sagen, dann würde ich ihm an dem einen oder anderen Tag das Feld hier überlassen. Immerhin sind das doch auch seine Freunde. Oder ist das die berühmt Scheidungsregelung, dass einer den Freundeskreis behält und der andere leer ausgeht? Was soll der Scheiß?
 

Wir sind fast fertig mit kochen, als Yugi und Mokuba in die Küche kommen und unaufgefordert den Tisch decken. Der Reiskocher ist auch fertig. Die Spieße sind bereits fertig und werden warm gehalten. Das Gemüse wird noch einmal geschwenkt und dann in eine Schüssel umgefüllt. Dann bringen wir alles zum Tisch. Als ich Reis und Yakitori in die Mitte des Tisches stelle fällt mir auf, dass ein Gedeck zu viel auf dem Tisch arrangiert wurde.
 

Doch ehe ich es wegnehmen kann hör ich die Schwingtür hinter mir und bemerke, wie Yugi überrascht aufschaut. Da ich mit dem Rücken zur Tür stehe schau ich erst verwirrt ihn an und dreh mich dann langsam. Seto kommt zum Tisch und gibt Jou einen sanften Kuss. Doch an der Küchentür steht noch jemand: Ryuji!
 

Mein Herz bleibt kurz stehen, bevor es umso wilder weiterschlägt. Aber ich erkenn auf den ersten Blick, dass es ihm nicht gut geht. Er ist wahnsinnig blass, wirkt sogar etwas dünner als letzte Woche, sein Haar hängt strähnig runter und er trägt immer noch eine Sonnenbrille. Sein Hemd ist total zerknittert und die Hose sitzt trotz Gürtel mehr als locker und rutscht etwas.
 

Seto befielt ihm praktisch endlich an den Tisch zu kommen und Ryuji setzt sich widerwillig in Gang. Dann nimmt er am Kopfende, an dem normalerweise Isono sitzt, Platz. Da Isono heute außerhalb zu Mittag isst, ist das okay. Ryuji verschränkt defensiv die Arme vor der Brust. Da bittet ihn Jous Drache seine Sonnenbrille abzunehmen, immerhin seien wir ja im Haus. Zögerlich hebt Ryuji seine Hand und nimmt die Brille ab. Doch erst als er seinen Blick hebt sehe ich, wie blutunterlaufen seine Augen sind.
 

Noch immer stehen wir völlig überrascht um den Tisch als Seto sich dieses Mal an uns richtet und uns bittet uns endlich hinzusetzen. Sofort nehmen wir alle Platz, dabei sitzen Yugi und ich zu beiden Seiten von Ryuji. Ich bräuchte nur meinen Arm ausstrecken, um ihn zu berühren. Seine Wärme zu spüren. Doch sicherlich würde er das nicht begrüßen und recht ungehalten reagieren.
 

Wieder ist es Seto, der das Wort erhebt und die aufkommende Stille unterbindet. Uns sei sicherlich nicht entgangen, dass Ryuji sich in der letzten Woche rar gemacht hat und alle außer mir nicken. Mokuba blickt zu Ryuji und meint zu ihm, dass er ihn vermisst hat. Ganz kurz zucken Ryujis Mundwinkel, als wolle er schmunzeln, es sich jedoch verbietet. Was ist nur mit ihm los? So reserviert kenn ich ihn gar nicht. Allerdings kann ich riechen, wie er Alkohol ausschwitzt.
 

Als Ryuji auf Setos Einleitung nicht reagiert ruft ihn dieser beim Namen. Ryuji blickt fast erschrocken zu ihm auf und scheint mit sich zu ringen. Dann beginnt er zu erzählen. Sofort erkenn ich an seiner Stimme, dass er geweint haben muss. Auch ein leichtes Zittern liegt in ihr. Was ist nur los?
 

Ryuji beginnt von seinem Vater zu erzählen. Im Grunde erzählt er uns das, was er schon vor dem Bewährungsausschuss erzählt hat. Doch am Ende kommt etwas, was ich noch nicht kenne: Er erzählt davon, wie er sich Anfang der Mittelschule mit einem anderen Schüler anfreundete. Wie er dank ihm etwas der Hölle zu Hause entkommen konnte, weil er ihn an manchen Tagen zu sich nach Hause eingeladen hat. Und dann ... verschwand der Freund.
 

Ich zieh meine Stirn kraus. Wie kann ein Mittelschüler einfach so verschwinden? Aber ich erinnere mich plötzlich daran, wie meine Mutter im ersten Jahr der Mittelschule plötzlich anfing mir einzutrichtern vorsichtig zu sein. Mit niemanden mitzugehen, egal ob ich denjenigen kenne oder nicht. Könnte das zusammenhängen? Das damals etwas in den Medien über diesen Jungen war?
 

Tatsächlich erzählt Ryuji davon, dass das Verschwinden seines Freundes ziemliche große, mediale Aufmerksamkeit bekam. Es wurden mehrfach Suchmannschaften losgeschickt, die von Haus zu Haus gingen und die Bewohner fragten, ob sie den Jungen irgendwo gesehen hatten. Doch es gab keine Spur. Schön und gut, so ein Verlust ist tatsächlich tragisch, erklärt aber nicht Ryujis heutiges Verhalten.
 

Doch dann eröffnet er, dass sein Vater ihm gegenüber zugegeben hätte, dass der Junge ihm ein Dorn im Auge gewesen wäre. Also habe er ihn verschwinden lassen. Ihn sogar getötet. Ungläubig blicke ich zu Ryuji. Soll das heißen, nur weil Ryuji mit diesem Jungen befreundet gewesen war, habe sein Vater ihn entführt und getötet?
 

Mein Ex - es schmerzt mich in der Brust ihn als Ex zu bezeichnen - nickt nur langsam mit dem Kopf, merkt dann aber an, dass er keinen Beweis dafür habe. Aber nach allem, was er mit seinem Vater schon erlebt hat, er es ihm tatsächlich zutrauen würde. Und deshalb müsse er sich nun von uns fernhalten, damit uns nicht etwas Ähnliches geschieht.
 

Diese Schlussfolgerung zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Auf einmal wird mir klar, wieso Ryuji so gehandelt hat, wie er es getan hat. Warum er nicht wollte, dass ich ihn zur Anhörung begleite, denn immerhin hätte auch sein Vater ja bei seiner Aussage anwesend sein können. Dann hätte dieser mich gesehen. Und nachdem die Bewährung seines Alten nun bewilligt worden ist...
 

Nein! Erst als alle mich anschauen, wird mir bewusst, dass ich das laut gesagt habe. Wir werden Ryujis Vater nicht diese Macht und diese Kontrolle über ihn gestatten. Denn wir sind mehr als Freunde: Wir sind Familie!
 

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Einen Schritt, den nicht jeder kann

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Freund finden würde, mit dem ich frei über alles sprechen kann. Aber vor allem überrascht mich, wer sich da zu meinem Freund gemausert hat, denn mit ihm hätte ich niemals gerechnet: Kai. Was als therapeutische Sitzung vor Monaten begann hat sich ganz plötzlich weiterentwickelt. Aber ich werde mich nicht beschweren, denn diese Erfahrung, jemand zu haben, bei dem ich frei über alles sprechen kann, ist wunderbar und befreiend.
 

Aber Kai hat auch einiges von sich preis gegeben, was er wohl vor einem Patienten niemals getan hätte. So hab ich mittlerweile rausgefunden, dass er zum Ausgleich zu seinem Beruf gerne kocht und man am gewählten Gericht erkennen kann, wie viel er von dem Gehörten selbst zu verarbeiten hat. Je komplexer die Zubereitung, desto komplexer war das, was ein Patient ihm anvertraut hat. Da frag ich mich, was er wohl nach einem Gespräch mit meinen Söhnen kocht.
 

Heute hat Kai sofort erkannt, wie glücklich und stolz ich bin. Wie könnte ich auch nicht? Immerhin ist Mokuba ganz offiziell seit zwei Tagen nun mein Sohn. Mein Sohn, der auch meinen Namen trägt. Wie könnte mich das nicht glücklich und übermäßig stolz machen? Dennoch ist da auch etwas Bedauern in mir. Bedauern, dass ich Seto nicht den gleichen Dienst erweisen kann.
 

Aber mein Ältester hat Recht: Wenn auch er meinen Namen annehmen würde, dann würde Mokuba immer wieder mit ihm in Verbindung gebracht werden. Das würde den Teufelskreis an der neuen Schule nur erneut in Gang bringen. Aber irgendwann - das schwöre ich vor mir selbst - wird auch Seto ganz offiziell mein Sohn werden. Dann wird auch das letzte, was an den alten Kaiba erinnert verschwinden.
 

Als ich vor dem Haus parke fällt mir das fremde Auto auf. Nun ja, so fremd ist es nicht, denn ich weiß ja, wem es gehört. Scheinbar ist Otogi-kun in den Schoss der Clique zurückgekehrt, was mich sehr freut. Die Clique ist wie ein Organismus: Wenn einer fehlt fühlt sich die ganze Gruppe nicht vollständig und wirkt unausgeglichen. Das spürt man ohnehin sehr deutlich daran, dass Bakura-kun seine Ferien in Großbritannien bei seinem Vater verbringt.
 

Ich steige aus, gehe zur Haustür und wundere mich über die Stille, die mich empfängt. Da ist kein Trubel, der aus dem Wohnzimmer kommt. Vielleicht sind sie auch im Garten? Ich gehe durch das Wohnzimmer und blicke durch die große Glasfront in den Garten, doch auch da sehe ich niemand. Also nehme ich die Nebentür zur Küche und werde von sechs Augenpaaren plötzlich angestarrt. Okay, ich hab sie gefunden.
 

Ruckartig bin ich stehen geblieben und mustere die Runde. Die Stimmung ist gedrückt und alle sehen belämmert aus. Alle, außer Otogi-kun, der eher erbost und gleichzeitig verzweifelt wirkt. Ich grüße in die Runde und Mokuba springt auf. Er wirft sich an mich, umarmt mich und meint, er sei froh, dass ich wieder zurück bin. Sanft streiche ich ihm über sein schwarzes Haar und lächle. Unwillkürlich geht mir durch den Kopf, dass er mein Sohn ist, was mich wieder ungemein stolz macht.
 

Dann frage ich, worum es gerade geht und plötzlich steht Seto auf und bittet mich Platz zu nehmen. Etwas verwirrt gehe ich, mit Mokuba neben mir, zum dargebotenen Platz, während Seto um den Tisch geht und hinter Otogi-kun stehen bleibt. Er legt seine Hände behutsam und vorsichtig auf Otogi-kuns Schultern und erzählt mir dann von dessen Vater. Noch so ein Tyrann. Als die Erzählung zu Otogi-kuns verschwundenem Freund kommt werde ich hellhörig.
 

Ich kann Otogi-kuns Angst und Entscheidungen verstehen. Vermutlich hätte ich im ersten Moment in seiner Situation ähnlich reagiert. Dennoch ist es gut, dass Seto ihn überzeugt hat, dass das nicht die Lösung sein kann. Damit hat mein Ältester einfach goldrichtig gelegen. Man darf Tyrannen keine Macht über sich gestatten, denn sonst hören sie niemals auf. Machen was sie wollen. Wie damals Gozaburo. Damals war ich machtlos, aber heute bin ich gut vernetzt, dass ich nicht untätig bleiben muss. Ich steh auf und verspreche der Clique, dass ich mal ein paar Erkundigungen einholen werde. Mal schauen, was sich ergibt, um Otogi-kun aus seiner misslichen Lage zu helfen.
 

Mit ruhigen Schritten verlass ich die Küche und suche das Zimmer auf, in dem ich die erste Zeit nach meiner Schussverletzung gelegen habe, bevor ich in mein eigentliches Zimmer nach oben gezogen bin. Eigentlich bin ich nicht gerne hier, denn es erinnert mich daran, dass ich fast gestorben bin. Andererseits erinnert es mich aber auch daran, wie kostbar unser Leben und die Zeit, die wir gemeinsam verbringen, sind.
 

Dort ziehe ich mein Handy und tätige einige Anrufe. Mir ist mittlerweile klar, dass die Clique nicht nur Freunde meiner Kinder sind, sondern längst zur Familie gehören. Daher werde ich nicht dulden, dass jemand dieser Familie schaden wird und geeignete Maßnahme einleiten, um sie zu schützen. Koste es was es wolle, denn über Geld brauch ich mir keine Sorgen zu machen, seit Seto und Mokuba mich an Weihnachten zum Teilhaber gemacht haben.
 

Nachdem ich meine Anrufe erledigt habe schreibe ich Kai und informiere ihn über die neuste Entwicklung. Wenn er morgen mit meinen Söhnen spricht soll er auf dem Laufenden sein, so kann er weitsichtiger reagieren und handeln. Und er ist dankbar für diese Insider-Informationen. Nachdem ich den Chat mit Kai beendet habe nehm ich mir vor, dass ich dieser Familie, egal ob es die Kern- oder die erweiterte Familie betrifft, ein ruhiges Leben ermöglichen werde, soweit es in meiner Macht steht. Aber bis dahin müssen wir noch einige Stromschnellen nehmen.
 

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Einen Schritt noch nicht wagen können

Nach dem Frühstück kommt mein Drache zu mir und zieht mich in seine Arme. Er küsst meinen Nacken, während ich die Brettchen kurz abspüle. Ich kichere verliebt und genieße die Zärtlichkeiten meines Geliebten. Seit Otogi zurück in den Schoss der Clique gekehrt ist, ist auch mein Seto wieder etwas entspannter. Sucht Nähe und Intimität. Gemeinsam erforschen wir, was ihm gefällt und was wir wohl besser lassen sollen. Ich bin so wahnsinnig stolz auf ihn, denn er macht riesige Schritte und öffnet sich auch immer mehr in den Gesprächen mit Kai, so dass dieser seine Magie wirken lassen kann.
 

Plötzlich hör ich Setos Stimme nah an meinem Ohr und erschauere. Es ist kein unangenehmes Gefühl, im Gegenteil. Dieser kleine Schauer fühlt sich richtig belebend und angenehm an. Aber auch nur, weil alles drum herum stimmt, dass ist mir klar. Er fragt mich, ob er mich zum Mittagessen ausführen darf. Verdaddelt schau ich ihn an und mustere ihn prüfend.
 

Normalerweise gehen wir zum Essen nicht aus. Seto hasst es in der Öffentlichkeit oder in Restaurants zu essen. Unser letztes Essengehen fand am Valentinstag statt. Da es sich um ein kleines, beschauliches Restaurant mit traditionell japanischer Küche handelte war mein Drache damals nicht ganz so angespannt. Und dennoch: Am nächsten Tag ging ein Foto von ihm und mir durch die Presse, als wir uns kurz über den Tisch hinweg geküsst haben. Daher hab ich bislang gedacht, dass das eine einmalige Aktion gewesen war, die sich nicht wiederholen würde.
 

Dennoch steht er nun hinter mir, seine Arme sanft um meine Taille geschlungen und meinem Blick standhaltend, während er seine Frage wiederholt. Ich lächle und nicke dann. Natürlich freu ich mich, dass er mit mir Essen gehen möchte, denn damit zeigt er mir, dass er auch öffentlich zu mir und unserer Beziehung steht. Das macht mich unsagbar glücklich. Ich spül noch schnell das Besteck ab und frage ihn, was ich anziehen soll. Daraufhin meint mein Drache nur, dass das, was ich täglich im Alltag trage durchaus angemessen ist.
 

Das kommt mir entgegen. Einfach ich sein dürfen. Nicht in einem Anzug steckend. Auch Seto hat dem Anzug förmlich abgeschworen. Das hat sich ja schon zum Jahresbeginn abgezeichnet, dass er diesem Kleidungsensemble nichts mehr abgewinnen kann. Immer wieder hat sich mein Drache damals von dieser Kleidung eingeengt gefühlt und trägt ihn heute nur noch zu besonderen Anlässen, wie letzte Woche zur Adoption Mokubas. Aber so gefällt er mir auch am besten: legere.
 

Den restlichen Vormittag verbringen wir mit Yugi, Honda und Mokuba am Pool und im Garten. Dieser Garten wirkt richtig gemütlich und weniger parkmäßig, wie der Garten des Herrenhauses. Hier könnte ich mir auch gut vorstellen ein paar Hochbeete aufzustellen und eigenes Gemüse, Kräuter und das ein oder andere Obst zu ziehen. Überrascht blicken mich die Jungs an, als ich das laut äußere und ich lache - aus Reflex -, während ich abwinke. Auch sie stimmen ins Lachen ein.
 

Dann, gegen Mittag lösen Seto und ich uns von den anderen und verabschieden uns bis in ein paar Stunden. Wir gehen hoch und ziehen uns um. Na ja, wir versuchen es, aber am Ende landen wir doch im Bett und genießen einander und unsere immer intensivere Intimität. Wir schlafen zwar nicht miteinander, aber das ist ja auch nicht zwingend für Intimität notwendig.
 

Nachdem wir dann noch schnell duschen waren ziehen wir uns aber endlich an und verlassen das Haus. Zu meiner Überraschung wartet Akito mit einem Auto auf uns. Ich lächle ihn sanft an, während wir einsteigen. Dann steigt auch er ein und fungiert praktisch als unser Fahrer. Er wechselt noch einmal einen Blick mit Seto, der mir nicht entgeht und bei dem mir bewusst wird, dass hier gerade etwas läuft, von dem ich nichts weiß.
 

Seto muss spüren, dass ich davon etwas hibbelig werde, greift nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger miteinander. Dann fährt Akito los. Er lenkt den Wagen in die Stadt runter und es kostet uns ein wenig Zeit am Zentrum vorbei zu kommen. Tagsüber ist hier eine Menge Verkehr los und gerade in den Sommerferien sind die Bürgersteige überfüllt mit Menschen. Erst nachdem wir am Zentrum vorbei sind wird auch der Verkehr fließender.
 

Als Akito abbiegt werde ich nervös und rutsche auf der Rückbank kurz hin und her. Ich kenne diese Gegend. Es ist die gleiche Gegend, in die Mokuba uns nach unserem ersten Shopping-Marathon mit Seto gelotst hatte, um was essen zu gehen. Er hatte ein nettes, gemütliches Lokal entdeckt, dass er uns zeigen wollte. Ich weiß noch, dass ich beim Einbiegen in die besagte Straße in Panik kehrt gemacht und einfach weggelaufen bin. Denn das Lokal, von dem Mokuba da gesprochen hatte, war das Lokal, in dem mein Vater früher gearbeitet hatte.
 

Tatsächlich biegt auch das Auto in die besagte Straße ein und ich spüre, wie mein Herz heftig zu wummern beginnt. Nach außen versuche ich ruhig zu bleiben, doch mein Puls rast. Als das Auto direkt vor dem Restaurant hält, indem ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht habe, setzt mein Herz für einen kleinen Moment aus und ich presse meine Lippen fest aufeinander.
 

Sanft blickt mich Seto an. Er steigt nicht aus. Sagt nichts. Sitzt einfach neben mir und hält meine verkrampfte Hand in seiner. Mein ganzer Körper hat sich angespannt und würden wir nicht in einem Auto sitzen würde ich meinem Fluchtinstinkt freie Hand lassen. Würde wieder durch die Straßen rennen, Richtung Zentrum und dort im Conbini Schutz suchen, als nächster zu erreichender Ort, an dem ich mich wohl fühle.
 

Auch Akito sagt nichts und vermeidet den Blick in den Rückspiegel. Stoisch blickt der Ältere durch die Frontscheibe und scheint das mächtig interessant zu finden. Eine Bewegung im Lokal erregt meine Aufmerksamkeit: Eine Frau mittleren Alters steht in der Eingangstür. Lächelt sanft und gütig. Gelassen und geduldig. Ich weiß, dass sie uns nicht sehen kann, denn die Fenster sind getönt. Obwohl es schon so viele Jahre her sind, erkenne ich in ihr sofort meine Tante, die Schwester meines Vaters wieder.
 

Vorsichtig streicht mir Seto über die Wange und zieht meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Lächelt mich liebevoll an. Sagt mir, dass wir nicht aussteigen müssen, wenn ich das nicht möchte. Sagt nichts, was mich unter Druck setzen würde. Das rechne ich ihm hoch an. Es wäre ein leichtes so etwas zu sagen wie: Deine Tante würde sich sicherlich sehr freuen, dich wiederzusehen. Doch nichts in diese Richtung kommt.
 

Ich... bin hin und her gerissen. Auf der einen Seite möchte ich meine Tante nicht vor den Kopf stoßen. Vor allem weil ich durch Mokuba und Seto weiß, wie sehr sie sich den Kontakt zu mir wieder wünscht. Doch andererseits spür ich, wie schwach ich eigentlich bin. Sonst geb ich mich cool und tough, weiß meinen Drachen zu lesen, wie kein anderer, und weiß, wann er was braucht. Aber in diesem Moment möchte ich einfach nur eines: Weg!
 

Dieser Ort hat einfach so unerwartet viel Macht über mich. Ich kann mich einfach nicht überwinden jetzt auszusteigen und dieses Restaurant zu betreten. Schon jetzt spür ich, wie ich kurz vor einem Trigger stehe. Doch als mir das klar wird, ist es längst zu spät und ich fang an bitterlich zu weinen. Ich krümm mich nach vorne und schluchzte einfach laut los. Jeder Versuch von mir, dass zurück zu drängen macht es noch schlimmer. Ich will einfach nur hier weg!
 

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Einen Schritt der Introspektion

Katsuyas Beine liegen über meinen Oberschenkel. Sein Kopf ruht an meiner Schulter. Meine Arme sind eng um ihn geschlossen. Das Gesicht meines Streuners ist noch von den Tränen feucht. Sein Zittern hat fast schon aufgehört. Bewusst atmet er langsam durch die Nase ein und aus dem Mund wieder aus. Auch mir hat Kai diese Atemtechnik gezeigt und erklärt, aber wenn ich Albträume habe find ich keinen Ansatz sie anzuwenden. Das jetzt bei Katsuya zu sehen...
 

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Ehrlich nicht. Natürlich hab ich nicht erwartet, dass wir aussteigen, hinein gehen, seine Tante begrüßen und alles ist Bestens. Natürlich hab ich damit gerechnet, dass sich Katsuya anfänglich nicht wohl fühlen würde. Doch je länger wir dort sitzen und mit seiner Tante sprechen würden, würde sich das legen. Er würde sich nach und nach entspannen können und wieder den Kontakt zu seiner Tante aufnehmen und festigen können.
 

Doch so kam es nicht. Denn ich hab die Situation von vor ein paar Wochen falsch eingeschätzt. Als Mokuba uns hier her geführt hat, hat sich Katsuya plötzlich auf dem Absatz umgedreht und war davon gelaufen. Wir haben ihn erst Stunden später im Conbini wieder gefunden. Da haben wir erfahren, dass seine Tante in dem Restaurant arbeitet. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie hab ich daraus geschlossen, dass er vor dem Wiedersehen Angst gehabt hatte.
 

Aber es lag nicht am Wiedersehen. Das ist mir jetzt bewusst. Es ging um den Ort an sich. Dass ein Ort ein Trigger sein kann ... das hab ich nicht gewusst. Klar hat Kai mit mir schon über dieses Thema - Trigger - gesprochen. Doch da ging es immer um Sinneseindrücke. Gerüche. Geschmäcker. Gefühle. Oder bestimmte Situationen, der dem 'unerfreulichen' Erlebnis ähnelt. Aber das ein Ort ein Trigger sein kann... da müsste ich mich in unserem neuen Haus einsperren und es nie wieder verlassen.
 

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mal von einem Ort getriggert wurde. Dabei gibt es echt viele Orte, an denen ich 'unerfreuliche' Erlebnisse gehabt habe: Im Herrenhaus gibt es kaum ein Raum, der nicht mit so einer geprägt ist. In der Firma in den oberen Etagen auch nicht. Gewisse Restaurants, Clubs und Etablissements. Eine Fahrt durch die Stadt wäre der reinste Spießrutenlauf, wenn Orte mich triggern würden.
 

Trotz alledem bin ich nicht Katsuya und er ist nicht ich. Ich spüre, wie sich Schuld auf mir ablädt. Nur weil ich von keinem Ort getriggert werde heißt das nicht im Umkehrschluss, dass das für andere auch gilt. Immerhin gibt es Trigger, die Katsuya nicht teilt, wie das Knallen von Feuerwerkskörper. Wieso hab ich ihn nie gefragt, warum er damals davon gelaufen war?
 

Wut flammt in mir auf. Wut auf mich. Auf meine falschen Schlüsse. Auf die falsche Selbstsicherheit, mit der ich diese gezogen habe. Darauf, dass ich ihn 'überraschen' wollte. Ich hätte ihn vorher in meine Pläne einweihen und fragen müssen, ob er das möchte. Himmel, ich bin in allem das krasse Gegenteil zu meinem Streuner!
 

Katsuya ist immer so sanft und weise. Er kann mich deuten und lesen, wie kein zweiter Mensch auf dieser Erde. Nicht einmal Mokuba oder Akito. Mein Streuner weiß immer, wie er wann wie mit mir umzugehen hat. Was mich beruhigt. Wie er mich zum Reden bringt, selbst wenn ich das nicht will. Aber er behält immer Recht, wenn er sagt, dass ich mich danach besser fühlen werde.
 

Warum kann ich das nicht? Wieso bin ich emotional der reinste Backstein? Und warum gehen meine Versuche, ihm zu helfen, so schrecklich schief? Und dann mischt sich zu meiner Wut die Angst. Die Angst davor, dass Katsuya die Schnauze voll haben könnte und sich von mir trennt. Weil ich ihn immer wieder so schrecklich triggere. Unbewusst festige ich meine Umarmung um meinen blonden Streuner, der jetzt schon mehr als ein halbes Jahr bei mir verweilt und sich so gut um mich kümmert. Ohne den ich wohlmöglich den Verstand verloren hätte.
 

Plötzlich spüre ich eine kalte Hand an meiner Wange, die mich aus meinen Gedanken reißt. Mein Blick trifft auf honigbraune Augen, die mich warm, aber matt anschauen. Katsuya flüstert mir zu, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen soll. Aber wie soll ich mir keine Gedanken machen? Ich muss das machen, damit ich daraus lerne. Doch mein Geliebter ringt sich nur ein schwaches Lächeln ab und meint, dass er nie von meiner Seite weichen wird.
 

Woher...? Nein. Natürlich weiß er, was mir durch den Kopf geht. Wie ich eben schon sagte: Es versteht kein anderer Mensch auf dieser Welt mich so gut zu lesen, wie Katsuya. Vorsichtig leg ich meine Hand auf seine kalte. Nehm sie sanft von meiner Wange und küsse die Fingerspitzen. Dann lehnt sich Katsuya wieder an mich. Ich weiß, wie erschöpft man nach einem Trigger sein kann. Und, dass er seine Erschöpfung nicht vor mir versteckt... zeigt mir, dass er mich aufrichtig liebt und mir vertraut.
 

Als wir bei unserem Haus wieder ankommen sehe ich zwei Autos, die mir nicht unbekannt sind. Das eine gehört Kai, dass andere gehört Katsuyas Dad. Ich blick zum Rückspiegel, über den Akito mich kurz anschaut und nur sanft nickt. Ein Lächeln huscht über mein Gesicht. Natürlich hat er die beiden informiert. Ich weiß zwar nicht genau wann und wie, aber ich bin dankbar dafür. Genau die beiden Menschen braucht Katsuya jetzt, so wie beim letzten Mal, als ich bei ihm einen Trigger ausgelöst habe.
 

Akito fährt vor den Eingang und sofort kommt Jonouchi Senior, öffnet die Tür und nimmt mir seinen Sohn ab, damit auch ich aussteigen kann. Behutsam trägt er ihn ins Haus und dann in unser Zimmer. Kai folgt ihm. Ich bleibe noch einmal stehen und warte, bis Akito unser Auto in der Garage abgestellt hat und zum Haus rüber kommt. Noch einmal danke ich ihm ausdrücklich für seine Hilfe, sowohl das Fahren, als auch das Rufen der beiden Männer. Sanft lächelt mich Akito an und legt mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter.
 

Dieser körperliche Kontakt stört mich nicht mehr. Früher - vor Katsuya - hätte ich sofort einen Schritt zurück gemacht, wenn ich diese Geste nicht schon vorher im Keim erstickt hätte. Heute kann ich sie akzeptieren und weiß sie zu schätzen. Fühle mich sogar wohl mit dieser Berührung, weiß ich doch, dass Akito nie eine andere, als väterliche Absicht hinein legen wird. Ebenso väterlich schickt er mich dann zu Katsuya, weil er mich nun mal jetzt braucht.
 

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Einen Schritt, der einbezieht

Es ist ungewöhnlich für mich, dass ich mich noch am Tag nach einem Trigger so erschöpft fühle, wie heute. Gestern, nachdem wir heim gekommen waren, haben mich Seto und mein Dad eigentlich gleich nach oben gebracht. Dort hab ich mich hingelegt und den gesamten restlichen Tag verschlafen. Wobei ich immer wieder aufgewacht bin. Nein... das ist so nicht ganz richtig: Ich habe mich selbst immer wieder geweckt.
 

Das ist eine Technik, die man lernen kann. Weiß leider nicht mehr, wie diese Technik heißt. Anfangs fixiert man ein frei gewähltes Bild eines Objektes vor dem Schlafengehen. Sieht man das Bild dann im Traum weiß man, dass man schläft. In meinem Fall hab ich mir die Sündenböcke - den Schaf-Token aus Duel Monsters - auserkoren. Wann immer ich in meinem Traum einen dieser Böcke sehe, weiß ich, dass ich schlafe. Je nachdem, wie sich der Traum dann entwickelt kann ich mich wecken. Meistens funktioniert das sogar.
 

Gestern und auch heute Nacht kam immer wieder das Restaurant in meinen Träumen vor. Kein Wunder: Mein Unterbewusstsein versucht den Trigger von gestern zu verarbeiten. Das weiß ich. Auch, dass es notwendig ist. Aber gestern und in der Nacht war ich einfach noch nicht dafür bereit. Nicht alleine.
 

Dabei war ich seit gestern keine fünf Minuten alleine. Seto ist nur dann von meiner Seite gewichen, wenn er mal kurz ins Bad musste. Ansonsten war er bei mir und hat über mich gewacht. Wann immer ich meine Augen aufschlug, sah er mich verwundert an. Sicherlich fand er es merkwürdig, dass ich nicht aufschrecke... nicht schreie... nicht weine. Aber das liegt nur daran, dass ich meine Albträume am Ansatz abwürge.
 

Beim Frühstück musste ich sogar das Feld Mariko-san, Setos Köchin, überlassen. Erst war mir auf dem Kontaktgrill der Fisch verbrannt und dann stockte das onsen-Ei so stark, dass man es nicht mehr über den Reis geben und damit vermengen konnte. Solche Fehler sind mir bisher noch nie unterlaufen. Essen ist schließlich wertvoll und sollte nicht vergeudet werden. Na ja, zumindest das Ei konnte man noch essen, wenn auch nicht in seiner eigentlichen Funktion als Topping für den morgendlichen Reis.
 

Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, die mich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart holt. Mein Blick fällt auf die unglaublich blauen Augen meines Drachens, der mich sanft anlächelt. Ich erwiderte das Lächeln, aber muss wohl mehr als erschöpft wirken. Anders kann ich mir diesen sorgenvollen Blick meines Geliebten nicht erklären. Umso erleichterter bin ich, als er mir mitteilt, dass Kai eingetroffen ist.
 

Also steh ich auf und danke ihm für die Info. Seto will sich schon abwenden und gehen, als meine Hand nach seiner greift. Etwas unsicher frag ich ihn, wohin er geht. Verdutzt blickt er mich an und antwortet, dass er annahm, dass ich mit Kai alleine reden wolle. Doch ich schüttle nur den Kopf. Will ich nicht. Warum auch? Mein Drache scheut nicht vor mir über seine schlimmsten Erlebnisse zu reden, also warum sollte ich ihn dann in meine Gespräche mit Kai nicht einbeziehen?
 

Sanft lächelt er mich an, dreht sich wieder zu mir und legt mir seine Hand an die Wange. Ich genieße die Wärme seiner Hand und lehne mich ein wenig hinein. Schließe meine Augen für einen Wimpernschlag. Als ich sie wieder öffne zieh ich Seto vorsichtig zu mir und küsse ihn. Ich weiß, dass es ihn verunsichert, wenn ich einen Trigger erfahre. Sonst bin ich sein Fels in der Brandung seiner Gefühle. Doch wenn ich Halt brauche ist er ohne zögern sofort für mich da und hält mich. Das ist nicht selbstverständlich, dass weiß ich und daher schätze ich das sehr.
 

Erst nachdem der Kuss geendet hat zieht mich Seto aus der kleinen Bibliothek. Ich mag sie sehr, denn sie strahlt etwas Behagliches und Ruhiges aus. Wir gehen an der Haustür vorbei zum Wohnzimmer, in dem Mokuba auf der Couch sitzt und gerade zockt. Als er uns hört pausiert er sein Spiel und blickt besorgt zu mir. Ich schenk auch ihm ein Lächeln. Er erwidert es nur zögerlich. Ob aus Sorge oder Angst, dass wir merken können, dass er was für mich empfindet, weiß ich nicht. Dann mein ich nur zu ihm, er soll den recht fies-aussehenden Gegner im Spiel gut vermöbeln. Endlich lächelt Mokuba unbefangen und nickt, bevor er weiterspielt.
 

Mokuba ist in den letzten Wochen so schnell erwachsen und ernst geworden. Das tut mir für ihn wirklich leid, denn er hätte es verdient noch etwas länger einfach nur Kind sein zu dürfen. Aber all das, was er in den letzten sieben Monaten über Setos Kindheit und Jugend erfahren hat, hat auch bei ihm Spuren hinterlassen. Umso besser ist es, dass auch er einmal die Woche bei Kai auf der 'Couch' sitzt und mit ihm spricht. Alles mal richtig raus lassen kann ohne auf Setos oder meine Gefühle Rücksicht nehmen zu müssen.
 

Dann erreichen wir den Wintergarten und Seto schließt hinter uns die Tür zum Wohnzimmer. Kai steht - wie immer eigentlich - an den Orchideen und bewundert diese. Am Anfang hat das Seto irritiert und ein wenig gestört. Mittlerweile findet er es ganz gut, dass noch jemand die Schönheit dieser Blumen bewundert. Diese Blumen, die Seto an seine Mutter erinnern. Ich finde das schön, dass er seiner Mutter auf dieser Weise gedenkt.
 

Nachdem wir uns begrüßt haben setzen wir uns auf unsere Plätze: Seto und ich auf dem Zweisitzer, Kai in dem Sessel gegenüber. Kai nippt kurz an dem frischen Tee, den Mariko-san vor unserem Eintreffen serviert hat. Dann fragt mich Kai, wie es mir seit gestern geht. Offen schildere ich ihm meine Mattheit, meinem nicht erholsamen Schlaf und den immer wieder kehrenden Ansätze für Albträume.
 

Was ich an Kai schätze ist, dass er ein guter Zuhörer ist. Bei ihm hatte ich schon als Kind das Gefühl ernstgenommen zu werden. Gehört zu werden. Anders als bei meiner Mutter, die den Missbrauch durch den Restaurantbesitzer totschweigen wollte. Bei Kai konnte ich alles raus lassen: Wut. Schmerz. Scham. Unverständnis. Fragen. Alles. Er hat mir geholfen alles zu verstehen und mich gelehrt, dass ich meine Emotionen nicht wegschieben darf. Sie anzunehmen und mir gezeigt, wie ich damit leben kann.
 

Genauso ist das auch heute. Anders wie Seto brauch ich keine Fragen, kein Nachbohren oder eine Hilfestellung. Ich rede einfach. Davon, wie ich gestern im Auto ab einem gewissen Zeitpunkt eine Vorahnung hatte. Wie diese mir Angst machte. Aber auch davon, dass ich dennoch nichts gesagt habe. Vielleicht ... weil ich selbst endlich diesen Schritt wagen wollte? Den Schritt auf meine Tante zu und an diesen Ort, der für mich ein Jahr Hölle bedeutet hat.
 

Doch vor dem Restaurant konnte ich die Erinnerungen nicht bändigen und ihrer Herr werden. Sie überrollten mich einfach. Also erzähl ich von meiner Hilflosigkeit, der Panik und dem Schmerz. Dem Gefühl versagt zu haben, weil ich diesem Ort den Schrecken nicht nehmen konnte. Meine Tante nach so langer Zeit nicht begrüßen und mit ihr sprechen konnte.
 

Ich erzähle aber auch davon, wie viel es mir geholfen hat nicht allein gewesen zu sein. Das Seto da war. Mich hielt. Versuchte mich zu beruhigen. Mir Halt bot. So konnte ich nach ein paar Minuten meine Atemübungen anfangen und mich wieder beruhigen. Dabei blicke ich zu meinem Drachen, der mich überrascht anschaut. Wahrscheinlich hat er mit Vorwürfen oder so gerechnet. Aber die mach ich ihm nicht. Wirklich nicht. Ich fand es sehr schön, dass er versucht hat den Kontakt zwischen meiner Tante und mir wieder herzustellen.
 

Am Ende bleibt mir nur noch übrig zu wiederholen, dass ich ihn liebe.
 

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Einen Schritt, der unmöglich sein kann

Wir sitzen im Wohnzimmer. Wir? Neben Katsuya und Mokuba ist Yugi schon gestern vorbei gekommen, um das Wochenende bei uns zu verbringen. Ich glaube er vermisst Ryou unglaublich und es tut ihm gut mit Mokuba Zeit zu verbringen. Und umgekehrt. Mokuba tut es gut mit Yugi hin und wieder allein zu sein und dem Bunthaarigen seine Gefühle und Gedanken anzuvertrauen. Vor allem zu Katsuya.
 

Nein, es schmeckt mir gar nicht, dass mein kleiner Bruder in Katsuya verschossen ist. Hätte Katsuya mir nicht sehr glaubwürdig und eindringlich versichert, dass eine Trennung von ihm Mokuba auch nicht helfen würde, dann... hätte ich das, was wir da haben geopfert. Nur damit mein kleiner Bruder sein Glück haben kann. Aber auch Akito hat mir eindringlich eingebläut, dass das nicht der richtige Weg ist und Mokubas Gefühle wohl eher eine Schwärmerei oder allenfalls eine Verliebtheit als echte, tiefgehende Liebe sei.
 

Ich vertraue Katsuya und Akito. Die beiden können das besser einschätzen als der Gefühls-Legastheniker, der ich nun mal bin. Noch immer kann ich die Gefühle und Regungen der Menschen nicht richtig einschätzen oder missinterpretierte sie. In der Geschäftswelt war es mir nicht so schwer gefallen die Motivationen und Begehrlichkeiten meiner Gegenüber einzuschätzen. Aber bei normalen Gefühlen... Ich seufze.
 

Das zieht Katsuyas Aufmerksamkeit auf mich, der bis eben Yugi und Mokuba beim Zocken zugeschaut hatte. Die beiden spielen irgendeinen Shooter im Koop-Modus miteinander gegen andere Zweierteams. Und sie sind gut. Aber nichts anderes hab ich von beiden erwartet. Ich lächle meinen blonden Streuner sanft an und küsse ihn flüchtig, bevor ich meine, dass ich mal kurz die Beine vertreten muss.
 

Als ich zum Durchgang zwischen Wohnzimmer und Foyer komme sehe ich, wie Kikyo, das Dienstmädchen, gerade die Tür öffnet. Sicherlich hat der Wächter an der Einfahrt Besuch angekündigt, weshalb es hier selten wirklich klingelt. Doch es überrascht mich zu sehen, wer da vor unserer Tür steht: Keizo. Er grüßt das Mädchen freundlich, die ihn rein kommen lässt, und erst dann sehen die beiden mich. Kei wirkt irgendwie erleichtert, dass ich da bin und dankt dem Mädchen. Dann kommt er zu mir und fragt, ob wir irgendwo ungestört miteinander reden können.
 

Ein bisschen perplex darüber, dass Kei einfach hier so auftaucht, nicke ich und deute auf den Zugang zur Kellertreppe. Kurz kann ich sehen, wie er etwas zusammenzuckt, wie eigentlich immer, wenn wir Training haben, bevor er nickt. Dann gehe ich vor, schiebe die Tür zur Treppe auf und beschreite die ersten Stufen hinunter.
 

Unten angekommen eröffnet sich auf der linken Seite eine Glaswand, die den Blick auf die Trainingshalle Preis gibt. Auf der gegenüberliegenden Wand befinden sich weit oben flache Fensterbänder, die Tageslicht in die kleine Halle lassen und sie damit gut erhellen. Aber auch wenn es draußen mal dunkel sein sollte ist das kein Problem, denn in den Decken sind LED-Lampen eingelassen, die in unterschiedlichen Lichtvarianten den Raum erhellen können. Eingerichtet ist die Trainingshalle wie in der Villa.

Hinter der Trainingshalle liegt mit einer weiteren Glaswand sowohl zum Flur, als auch zur Halle selbst abgegrenzt der Wellness-Bereich: Eine moderne Saunalandschaft, in der man sich nach dem Training oder wenn einem danach ist entspannen kann. Sie bietet genügend Platz, dass locker zwölf Personen darin sitzen können ohne sich zu sehr auf die Pelle rücken zu müssen.

Die andere Flurseite ist durch eine normale Wand abgegrenzt. Gegenüber dem Wellness-Bereich befindet sich ein modernes Badezimmer. In dem kann man sich nach dem Training oder dem Besuch in der Sauna abduschen und frisch machen.

Gegenüber dem Eingang zur Trainingshalle liegt eine Tür, die ich nun aufschiebe. Dahinter ist mein kleines Reich: Ein Büro und eine kleine Werkstatt, in der ich meine Ideen in die Praxis umsetzen und erste Prototypen bauen kann. Das Büro bietet mir einen freistehenden Schreibtisch und bequemen Büro-Sessel, eine kleine Couchlandschaft, sowie eine Regalwand, in der Fachliteratur ihren Platz gefunden hat. Wie auf der anderen Seite liegen auch hier in der Außenwand flache Fensterbände relativ weit oben und lassen Tageslicht hinein.
 

Nachdem ich Keizo zuerst eintreten gelassen habe und ihm dann gefolgt bin schließe ich hinter uns die Schiebetür. Dann deute ich auf die Couch, doch Kei winkt kurz ab. Sagt, dass er kurz noch stehen bleiben möchte. Ich frage ihn, ob er etwas trinken möchte und deute auf die kleine Mini-Bar, die in meiner Regalwand eingebaut ist. Natürlich befindet sich in dieser kein Alkohol. Wozu auch? Ich trinke - eigentlich - keinen und ich habe auch nicht vor jemand hier zu empfangen, der einen Drink wollen würde.
 

Etwas in mir warnt mich vor. Irgendetwas stimmt nicht. Kei ist sonst nicht so ernst und reserviert mir gegenüber. Eigentlich ist es für gewöhnlich umgekehrt. Eigentlich brauch ich immer etwas Akklimatisation, bevor ich mich in Keis Gegenwart entspannen kann. Obwohl ... seit ich ihm vergeben habe fiel es mir von Treffen zu Treffen immer leichter entspannt zu bleiben, wenn wir miteinander zu tun hatten. Also frag ich ihn besorgt, was los sei.
 

Kai erzählt mir, dass heute Morgen Detective Nagasato in Begleitung einer reserviert gekleideten Frau bei ihm zu Besuch war. Die fremdländische Dame hätte sich als Staatsanwältin vorgestellt, deren Name er aber nicht mehr weiß. Maggi Thompson helf ich ihm aus. Kei nickt, meint aber auch, dass er nicht versteht, warum eine Amerikanerin bei uns Staatsanwältin sein kann. Zuerst berichtige ich, dass die Staatsanwältin Britin ist und erkläre dann, wie sie hier ihrem Beruf nachgehen kann. Doch so wirklich scheint es Kei nicht zu interessieren.
 

Er zieht auf einmal ein Bild aus seiner Brusttasche des Hemdes, welches er trägt. Meint, dass die Staatsanwältin ihm dieses gegeben hätte und dazu befragt hat. Zögerlich reicht er es mir und ich nehm es entgegen. Als ich es mir anschaue gefriert mein Blut. Darauf ist Keizo zu sehen. Als Teenager. Nackt. Mit einem Hundehalsband um. Wie er sich gerade zwischen meine Beine drängt. Sofort press ich das Foto an meine Brust.
 

Sofort ist mir klar, woher dieses Bild stammt. Es kann nicht aus der Samlung von Kogoro stammen, die ist damals aus der Asservatenkammer der Polizei verschwunden und eine Kopie gab es nicht. Neben ihm gab es nur einen, der noch dieses Foto besaß: Gozaburo. Aber wie kommt die Staatsanwältin an dieses Foto?
 

Genau das ist es, was mich Keizo nun fragt. Verwirrt blicke ich ihn an und weiß nicht, warum er ausgerechnet mich fragt. Daraufhin meint er nur, dass Akito ihm versprochen hat, dass Kogoros Bildersammlung, die vor Wochen nach dem Benefits in seinem Haus gefunden worden waren, kein Thema sein würden.
 

Also hab ich die Erfüllung meines damaligen Wunsches doch Akito zu verdanken? Aber halt! Das ist nicht das Thema. Also erzähle ich Keizo, dass Detective Nagasato mir nach Kogoros Überfall in der Villa mitgeteilt hat, dass sie einen Zugang zum alten Schlafzimmer Gozaburos gefunden habe. Sie hat mich sogar gefragt, ob sie das dortige Bildmaterial als Beweise haben dürfte, um weitere Männer in diesem Sex-Netzwerk aus dem Verkehr zu ziehen. Ich habe das aber verneint!
 

Geschockt schaut mich Kei an. Ich verspreche Keizo, dass ich mich darum kümmern werde. Keizo mustert mich einen langen Augenblick und nickt dann einverstanden. Hoffentlich werde ich sein Vertrauen in mich nicht enttäuschen.
 

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Einen Schritt, der handeln erfordert

Ich sitze in meinem Hausbüro neben der Bibliothek. Hier arbeite ich täglich ein paar Stunden, um auf dem Laufenden zu bleiben und den Rückstand abzutragen, der durch den Schuss auf mich und den darauffolgenden Krankenhausaufenthalt entstanden ist. Mokuba passt wie ein Schießhund auf, dass es nie mehr als zwei Stunden pro Tag sind.
 

Gerade bin ich dabei den gewaltigen Berg an Mails durchzuforsten, als es an der Tür klopft. Da ich mit Mokuba rechne, der mich daran erinnern möchte, dass es schon fast drei Stunden sind, die ich hier sitze und arbeite, klappe ich den Laptop sofort zu und bitte herein, als die Tür auch schon geöffnet wird. Zu meiner Überraschung kommt nicht Mokuba, sondern Seto herein. Mein Ältester sieht nicht gut aus. Er ist blass. Sogleich stehe ich auf und gehe um den Tisch herum, während ich frage, ob etwas geschehen ist.
 

Langsam schließt er hinter sich die Tür und blickt mich dann an. Nur zögerlich zieht er ein Foto aus seiner Hosentasche und reicht es mir. Es wirkt wie ein Foto neueren Datums, dass spüre ich sofort an der Papierart, die dafür verwendet wurde. Doch als ich es so drehe, dass ich das Motiv erkennen kann, wird mir sofort bewusst, dass das Foto eigentlich schon älter ist. Aber wieso wirkt es dann so neu?
 

Fragend blick ich Seto an und er erzählt mir, dass Keizo gerade zu Besuch war. Dieser hatte Besuch von Detective Nagasato und Staatsanwältin Thompson. Von diesen beiden habe Keizo das Bild erhalten und war befragt worden. Sofort frage ich mich, woher die beiden dieses Bild haben? Daimons Kogoros Bildsammlung ist 'verschwunden'. Alle digitalen Spuren sind gelöscht worden.
 

Dann fällt es mir wieder ein: Am letzten Schultag vor den Sommerferien war die Detective hier gewesen und hat uns von einer Entdeckung im Herrenhaus unterrichtet. Gefragt, ob sie und die Staatsanwältin das Bildmaterial dem Fall des Pädophilenring beifügen dürfte. Wir hatten uns das Wochenende als Bedenkzeit erbeten. Seto hatte dann mit Kai darüber gesprochen und sich dann dafür entschieden, dass Bildmaterial nicht freizugeben.
 

Kann es sein, dass sie sich über diese Entscheidung hinweggesetzt hatte? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne Nagasato Yuki mittlerweile ein wenig besser. Pflege hin und wieder mit ihr zu chatten oder zu telefonieren. Haben uns ein oder zwei Mal zum Mittagessen verabredet, wenn es sich einrichten ließ. Sie schätze ich nicht so ein, dass sie sich über den Wunsch eines Überlebenden auf diese Art hinwegsetzen würden.
 

Aber was ist mit der britischen Staatsanwältin. Von Yuki weiß ich, dass nur sie beide im Schlafzimmer des alten Kaibas gewesen waren. Sonst keiner. Wenn es also nicht Yuki war, dann muss es diese Maggi Thompson getan haben, oder?
 

Dann holt mich Seto wieder in das Hier und Jetzt, als er zu mir meint, dass wir endlich das tun müssen, wovor er sich die letzten Jahren immer drücken wollte: Das Schlafzimmer des Alten ausräumen. Doch er ist sich noch nicht ganz sicher, was er damit machen möchte. Aufheben, um es später einmal zu verwenden? Vernichten und sich die Möglichkeit nehmen, dass was ihm angetan wurde zu belegen? Falls er es aufheben wollen würde, wo sollte er das dann aufbewahren, fragt er mich plötzlich.
 

Das ist eine gute Frage. Es gäbe die Möglichkeit das Bildmaterial in einem Bankschließfach aufzubewahren, wobei die Bank genau wissen möchte, was sie da aufbewahren soll. In wie weit sie sich mit der Angabe 'Bildersammlung' zufrieden geben wird weiß ich nicht.

Alternativ könnte man die Bilder aber auch in einem Lagerraum verwahren. Doch solcher Läger sind nicht gerade sicher. Wie oft hört man davon, dass ganze Abteile unbemerkt leer geräumt worden seien und der Verlust erst Wochen oder Monate später festgestellt wurde? Für mich wäre das zu unsicher.

Eine weitere Alternative wäre es, dass 'Archiv' hier aufzubewahren. Aber eigentlich wollte ich unser neues Zuhause frei von negativen Einflüssen halten. Alleine, dass Mokuba sie durch Zufall finden und sich anschauen könnten behagt mir nicht und Seto ebenso wenig.
 

Seto fragt mich, ob wir vielleicht ein paar Sachen in einem Baumarkt einkaufen könnten. Die Frage in diesem Kontext verwirrt mich kurz, aber ich nicke. Dann erklärt er mir, dass er einen Teil seiner Werkstatt abzwacken könnte und sich eine Wand einziehen könnte. Man könnte hinter dieser Wand die Sachen aufbewahren und sicher lagern. Da es sich um einen Kellerraum handelt merke ich an, dass wir dann auf jeden Fall noch Boxen brauchen, die wasserdicht sind. Nur für den Fall der Fälle. Er nickt.
 

Gerade als ich denke, dass wir mit dem Thema vorerst durch sind setzt sich Seto auf die kleine Couch und fragt nach Schreibmaterial. Als ich frage, wozu er das braucht, meint er, dass es dringend notwendig sei erst eine Liste aller Materialien und Produkte aufzustellen, die wir brauchen werden. Strukturiert bis in die letzte Zelle, geht es mir durch den Kopf und ich muss kurz schmunzeln.
 

Mit einem Block und einem Stift setze ich mich neben ihn und frage ihn, ob die Erstellung dieser Materialliste nicht noch Zeit habe. Verwirrt blickt er mich an und fragt zurück, von welcher Zeit ich sprechen würde. Wir müssen handeln, sind seine Worte. Er argumentiert damit, dass Detective Nagasato - Yuki - und die Staatsanwältin Thompson sich jederzeit zu Gozaburos Schlafzimmer verschaffen können. Da ist schon was Wahres dran. Sie kennen jetzt den Weg durch das Labyrinth und haben auch den Öffnungsmechanismus herausgefunden.
 

Also beginnen wir mit einer Auflistung. Am Ende frage ich meinen Ältesten, ob es okay wäre, wenn ich die Sachen aus dem Baumarkt Fuguta besorgen lassen würde. Er nickt und sagt, dass ich noch zwei Säcke Zement und alles zum Anrühren dessen, aufschreiben soll. Verdaddelt blicke ich ihn an und frage, wozu er Zement braucht. Drauf hin erklärt er mir, dass er die neue Wand damit füllen wird, damit sie bei einem Klopftest nicht sofort als Fake entlarvt werden wird.
 

Darauf weiß ich nichts mehr zu erwidern und füge den gewünschten Punkt der Liste noch hinzu. Nur langsam stehen wir gemeinsam von der Couch auf und ich kann förmlich sehen, mit welcher Mühe Setos Beine ihn tragen. Behutsam lege ich eine Hand an seine Wange, die mir sofort seine ungeteilte Aufmerksamkeit sichert. Mit ruhiger Stimme frag ich ihn, ob er mir das nicht alles überlassen möchte. Ich kümmere mich um alles und sag ihm dann Bescheid, wenn alles erledigt ist. Doch er schüttelt nur müde den Kopf. Sagt, dass er das selbst tun muss.
 

Mich hat das jetzt nicht überzeugt, aber ich möchte mich jetzt auch nicht mit ihm streiten. Während er mein Büro verlässt schreib ich Fuguta kurz eine Nachricht mit der Liste, die er uns besorgen soll. Fast augenblicklich bestätigt er den Erhalt der Nachricht und er in spätestens zwei Stunden alles haben wird. Guter Mann, geht es mir nur den Kopf, dann folge ich Seto aus dem Büro, vor dem auch schon Mokuba steht und uns beide kritisch beäugt. Doch dann zieht er uns vor zum Foyer und in die Wohnküche, in der das Mittagessen schon auf uns wartet.
 

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Einen Schritt, der lange aufgeschoben wurde

Ich habe gedacht, es würden Jahre vergehen, bis ich dieses Herrenhaus noch einmal betreten würde. Vielleicht im Rahmen meiner Therapie mit Kai, der mit mir eine Ortsbegehung machen möchte. Damit ich mich den Erlebnissen besser stellen kann? Ja, ich hab ein wenig recherchiert, wie eine Therapie aussehen kann. Und ein Teil dessen, was ich gelesen habe, behagt mir nicht.
 

Doch hier steh ich nun. Mit Akito neben mir, der einen Schlüssel aus der Hosentasche zieht und die große, einladende Tür aufschließt. Als wir los wollten hat mich Katsuya abgefangen und gefragt, was los sei. Ich hatte in dem Moment keine Kraft und keine Zeit ihm alles zu erklären. Also nahm ich ihn zur Seite und bat ihn um Geduld. Versprach ihm, dass ich ihm heute Abend alles erklären werde. Mein blonder Streuner nickte und ließ mich gehen. Es hat ihm nicht gefallen so im Unklaren gelassen zu werden, dass hab ich ihm angesehen, doch er vertraut mir.
 

Die Tür schwingt auf und eine komische Luft schlägt uns entgegen. Staubig. Stehend. Es kostet mich eine gewisse Überwindung die Schwelle zu übertreten. Ein Blick in die Lounge, die wir als Wohnzimmer genutzt haben, zeigt, dass alle Möbel mit Hüllen abgedeckt sind, um sie vor Schmutz und Staub zu schützen. Als wir das Foyer durchqueren kommen mir unsere Schritte unglaublich laut vor.
 

Langsam steigen wir die Treppe nach oben empor. Einerseits mach ich langsam, weil Akito noch nicht ganz fit ist und ich ihn schonen möchte. Andererseits sträubt sich aber auch etwas in mir nach oben zu steigen. Meine Handflächen sind schweißnass und ich reib sie immer wieder an den Hosenbeinen ab. Dennoch haben wir irgendwann das obere Ende dieser Treppe erreicht und ich bleib stehen. Meine Hände haben sich zu Fäusten geballt und ich presse meine Lippen fest aufeinander. Mein Herz wummert und für einen Moment glaube ich, dass meine Brust gleich bersten wird.
 

Doch dann spüre ich eine Hand an meiner Wange, die mich aus meinen Gedanken holt und mich Akito anblicken lässt. Sanft fragt er mich, ob ich mich erst einmal setzen möchte. Mein Kopf schüttelt sich, bevor es mir wirklich bewusst wird. Also legt mir Akito seine Hand in den Rücken und das gibt mir Kraft. Ich weiß nicht wieso, nur dass es eben so ist.
 

Langsam drehen wir uns zu dem Flügel des Herrenhauses, in dem bis Anfang dieses Jahres noch mein und Mokubas Zimmer war. Der Flügel, an dessen Ende ein Regal steht und die Tür zu SEINEM Reich verbirgt. Gozaburos Schlafzimmer. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals, während wir uns Schritt für Schritt dem Ende des Flures mit dem Regal nähern.
 

Vor ein paar Wochen lag ich hier vor dem Regal. Stock besoffen. Nachdem Kogoro auf der Benefits Veranstaltung versucht hat mich auf der Toilette zu überwältigen. Keizo hatte mich damals gerettet und was war mein Dank? Ich hab im Suff mehr als eindeutig zweideutige Andeutungen gemacht, wodurch Mokuba erfahren hat, dass Keizo sich mir aufdrängen musste.
 

Als wir das Regal erreichen wallt auf einmal Wut in mir auf. Warum...? Warum hat er mir das angetan? Warum hat er mich weitergereicht und als Werkzeug benutzt um seine Interessen bei anderen durchzusetzen? Wieso habe ich mich niemals gewehrt? Nicht wehren können? Nein. Ich darf mich jetzt nicht in dieser Wut und der Verzweiflung verlieren. Ich hab hier etwas zu erledigen und plötzlich rücken meine Gefühle in den Hintergrund. Alles in mir wird ruhig.
 

Nachdem wir das Regal ausgeräumt und etwas zur Seite gerückt haben können wir den Vorraum und dann das Schlafzimmer betreten. Sofort fällt mir der Sekretär auf, dessen Türen nicht richtig geschlossen sind. Ich deute auf die Ankleide und Akito versteht mich, ohne dass ich ein Wort sagen muss. Er nimmt eine der Kisten, die wir mitgebracht haben und lässt mich alleine. Die anderen Kisten lässt er neben dem Sekretär stehen.
 

Ich setz mich auf den Stuhl vor dem Sekretär und öffne dann fast andächtig dessen Türe. Die Monitore sind nach wie vor erloschen. Nachdem Katsuya das hier entdeckt hatte hab ich das System deaktiviert. Also drück ich auf einen Knopf und sofort flackern die Monitore wieder auf. Sofort flackert eine Meldung auf dem zentralen Bildschirm: Download komplett!
 

Meine Zähne knirschen und ich geh mir mit der Hand kurz über den Mund. Doch dann wird mir bewusst, dass diese Dateien für wen auch immer nutzlos sind. Zum Abspielen bräuchte er schon ein identisches System, wie es hier im Sekretär vorhanden ist. Aber dieses wurde von Gozaburo selbst programmiert. Es ist also ausgeschlossen, dass irgendwer ein ähnliches hinbekommt, welches einem das Abspielen der Videos ermöglicht.
 

Dann fällt mein Blick auf die Schubladen, die nur unordentlich und teilweise gar nicht vollständig wieder herein geschoben wurde. Ich öffne die erste und mir wird bewusst, dass jemand sich diese Bilder angeschaut hat. Langsam streck ich mich nach einer der Kisten, die wir mitgebracht haben. Ich stell sie mir auf den Schoss und beginne die Fotos aus den Schubladen umzubetten. Es braucht zwei Kisten, bis alle Fotos verstaut sind. Dann nehm ich mir eine dritte Kiste und beginne die Filmrollen einzupacken. Als letztes öffne ich ein Geheimfach neben dem Sekretär in der Wand und es kommt ein niedriges Regal mit Aktenhefter zum Vorschein. Auch die pack ich ein.
 

Während ich noch dabei bin kommt Akito mit einer Kiste, die ihm sichtlich Mühe beim Tragen bereitet. Sofort geh ich zu ihm und nehme ihm diese Kiste ab, in der sich all die Dinge befinden, mit denen mich der alte Kaiba gequält hatte. Ich stell sie auf die anderen fertigen Kisten. Akito meint zu mir, dass er einen Servierwagen holen geht und verschwindet dann aus dem Zimmer. Das gibt mir die Gelegenheit auch die letzten Akten zu verstauen und das Geheimfach wieder zu schließen.
 

Während ich auf Akito warte lass ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen. Irgendwo in meinem Unterbewusstsein regen sich Erinnerungen, die ich vor Jahren schon weggeschoben habe. Doch ich kann sie jetzt nicht gebrauchen. Ich weiß, dass ich sie nicht mehr zurück in die Tiefe schicken kann, aber sie müssen jetzt einfach noch warten, bis ich sie zulassen kann.
 

Die kommenden Nächte werden wohl wieder wenig erholsam sein. Aber mein Streuner wird mich auffangen. Das macht er immer. Darauf muss ich einfach vertrauen. Schließlich kommt Akito mit dem Servierwagen. Wir bestücken ihn mit den Kisten und Akito verlässt dieses Horrorkabinett wieder. Ich setz mich noch einmal an den Sekretär. Ich schiebe eine Schublade auf und entferne drei Datenträger im Format von Notizbüchern. Dann gebe ich einen Befehl ein. Es dauert nur einen Moment, dann erscheint auf dem zentralen Monitor die Worte 'System gelöscht', während die anderen Monitore sofort dunkel werden. Also deaktiviere ich den letzten Monitor, nehme die Datenträger und folge Akito.
 

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Einen Schritt wagen und scheitern?

Der Wachmann an der Einfahrt lässt mich rein und grüßt mich höflich. Ich nicke ihm zu und wechsle ein paar Worte mit Daira-san. Frag nach seiner Tochter, die vor zwei Wochen ein Vorspiel in einer Musikschule gehabt hat. Der Wachmann strahlt über das gesamte Gesicht und ihm ist anzusehen, dass er gleich vor Stolz platzt. Dann schwärmt er von dem musikalischen Talent seiner Tochter und dass sie ein Vollstipendium erhalten habe. Das freut mich ehrlich für den Mann, dann gehe ich weiter zum Haus.
 

Die Juli-Sonne ist heiß in diesem Teil des Landes. Es ist nicht nur heiß, sondern auch relativ schwül. Ich bin es gewöhnt, immerhin leb ich schon mein ganzes Leben hier. Aber ich persönlich mag eine trockene Hitze lieber, als diese schwül-drückende. Doch solange niemand eine Wetterkontrollmaschine erfindet müssen wir alle diese Witterungsbedingungen einfach aushalten.
 

Am Haus angekommen öffnet mir überraschenderweise Jonouchi und nicht Kikyo-chan, Setos Dienstmädchen. Er lächelt mich an und ich nick ihm zu. Trete in das klimatisierte Haus und teile ihm mit, dass Seto mich erwartet. Doch zu meiner Überraschung erfahre ich, dass dieser gar nicht daheim ist. Wie jetzt? Wir waren doch verabredet. Ich bin sogar dieses Mal pünktlich. Der Blonde erklärt mir, dass Seto dringend etwas erledigen musste, aber sicherlich bald wieder da sein wird.
 

Nachdenklich schau ich zur Haustür und überlege, ob ich daheim darauf warte, dass Seto wieder nach Hause kommt. Doch da packt mich Jonouchi bereits am Arm und zieht mich quer durchs Haus zum Pool. In diesem planschen Yugi, Mokuba und... Hiroto. Ich bleib stehen und mustere Hiroto, der noch nicht gemerkt hat, dass ich in der Terrassentür stehe.
 

Da hör ich Jonouchis Stimme nah an meinem Ohr. Er flüstert mir zu, dass Hiroto mich sehr vermisst. Seine Liebe für mich sei ungebrochen und er möchte für mich da sein. Also solle ich mir gefälligst jetzt einen Ruck geben und mit ihm sprechen, um alles wieder ins Reine zu bringen, denn so wie Hiroto mich, würde auch ich ihn brauchen. Dann lässt mich der Blonde stehen und geht zu den anderen, während er sein Shirt auszieht und in den knielangen Shorts ins Wasser springt.
 

Ich habe mit Hiroto Schluss gemacht und es seit diesem Augenblick bitterlich bereut. Dabei hab ich ihm nicht mal einen richtigen Grund geliefert, sondern nur Gemeinheiten ausgeteilt. Hab mich entblößt gefühlt. Jedenfalls hab ich diesen Grund irgendwie unterschwellig vorgeschoben. Doch tatsächlich hatte und habe ich wahnsinnige Angst, dass mein Vater ihm etwas antut. Weil er mir was bedeutet. Um mich zu bestrafen.
 

Auch wenn ich meine Angst letzte Woche mit allen geteilt habe ist sie immer noch vorherrschend in mir. Dieser Angst stehen die Beteuerungen der Clique gegenüber: Niemand wird zulassen, dass jemanden etwas geschehen wird. Tyrannen darf man nicht eine solche Kontrolle und damit Macht über einen selbst zugestehen. Wir sind eine Familie.
 

Vielleicht stimmt dieser Spruch ja doch? Jeder Mensch hat zwei Familien: In die erste wird man hinein geboren und kann man sich nicht aussuchen. Die zweite erschafft man sich selbst und bestückt sie mit den Menschen, mit denen man sich am meisten wohl fühlt. Und ich möchte, dass Hiroto Teil dieser Familie ist. Nein... ich möchte, dass wir wieder eins sind.
 

Doch wie soll ich das anfangen? Ich hab ihm sehr weh getan. Hab ihn von mir gestoßen. Schon vor der Trennung. Selbst wenn es stimmt, was Jonouchi mir zugeflüstert hat, heißt das nicht, dass er mich wieder zurück nehmen wird. Wie soll ich ihm auch beweisen, dass ich ihn wirklich liebe? Wie ihn dazu bringen mir zu verzeihen?
 

Langsam lass ich meine Füße ins Wasser gleiten. Wann hab ich mich gesetzt und mir die Hosenbeine hochgeschlagen? Scheinbar war ich so in meinen Gedanken, dass es mir regelrecht entgangen ist. Die Kühle tut bei diesen Temperaturen gut und kühlt mich etwas ab.
 

Plötzlich wird mir bewusst, dass mich braune Augen anblicken. Als ich meinen Blick darauf fokussiere erkenne ich, dass Hiroto mich anblickt. Mein Herz setzt kurz auf und schlägt dann aufgeregt weiter. Wie soll ich reagieren? Soll ich reagieren? Lächeln? Winken? Wegblicken?
 

Noch ehe mein Hirn weitere Möglichkeiten in Betracht ziehen kann höre ich mich selbst sprechen. Zuerst ist mir nicht bewusst, was ich von mir gebe. Doch dann, nachdem die Worte meinen Mund lange verlassen haben und mich nun alle anschauen, sickert mir die Bedeutung langsam ins Hirn:
 

Ich liebe dich!
 

Genau das hab ich gerade Hiroto über den halben Pool zugerufen. Deswegen blickt er mich etwas geschockt und überrascht an. Genau wie alle anderen, die im Wasser anwesend sind. Dann erst setzt sich Hiroto in Bewegung. Nicht auf mich zu, sondern zu den Stufen, die in das Becken führen. Er steigt sie hinaus, schnappt sich ein Handtuch und geht Richtung Terrassentür.
 

Traurig lass ich meinen Kopf hängen. Scheinbar war das der falsche Weg, wenn er nichts darauf erwidert und stattdessen von dannen zieht. Meine Augen fangen an zu brennen, während ich versuche die Tränen zurück zu halten. Man, wenn ich etwas verbocke, dann aber so richtig und unwiederbringlich. Die Enttäuschung und der Schmerz brennen in meiner Brust. Am liebsten würd ich jetzt nach Hause gehen und mich volllaufen lassen.
 

Doch dann schiebt sich neben mir eine Hand in mein Sichtfeld. Überrascht blicke ich auf und in Hirotos ernstes Gesicht. Er hält mir weiterhin seine Hand hin. Vorsichtig lege ich meine eigene in sie und lass mir aufhelfen, bevor er mich wortlos ins Haus und zur Treppe zieht, die er mit mir dann nach oben besteigt.
 

Erneut keimt Angst in mir auf und ich kann mein Herz wieder wie wild schlagen spüren. Wohin wird das nun führen? Wird er mir die Leviten lesen, dass ich so was nicht einfach bringen kann? Das es unangebracht war, so etwas aus dem Nichts heraus zu sagen? Wird er mich auffordern, so etwas in Zukunft zu unterlassen? Oder...
 

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Einen Schritt, der entlastet

Durch das hochliegende Fensterband meiner Werkstatt sehe ich, dass es draußen bereits dunkel ist. Ich lasse mich einfach mit meinem Hintern auf den Boden fallen, stütze mich etwas nach hinten ab und blicke aus dem Fenster unterhalb der Decke. Das war mehr als anstrengend und schlussendlich musste ich mehr von meiner Werkstatt opfern, als mir lieb ist.
 

Mein Blick geht zu der frisch hochgezogene, gerade verputzten Wand, die wirkt, als wäre sie schon immer hier gewesen. Sie musste oben mit dem Fensterbandsegment abschließen, damit keiner auf die Idee kommt, dass sie da nicht hingehört. Dadurch hab ich fast ein Fünftel meiner Werkstatt für das Versteck geopfert.
 

Dann hör ich eine Stimme hinter mir und dreh mich erschrocken in ihre Richtung. In der Schiebetür zu meinem Büro steht Otogi. Er fragt mich, seit wann ich wieder da bin. Verwirrt blicke ich ihn an, bevor mir bewusst wird, dass ich mit ihm verabredet war. Hab ich ganz vergessen und das bedaure ich nun ehrlich.
 

Langsam stemm ich mich wieder in den Stand. Das Aufbauen der neuen Wand war anstrengender, als erwartet. Ich strauchle kurz, doch sofort ist Otogi zur Stelle und stützt mich vorsichtig. Dann bringt er mich zu einem Hocker an einem der Arbeitstische, auf den er mich langsam absetzt. Besorgt schaut er mich an.
 

Müde danke ich ihm und entschuldige mich schließlich. Erkläre ihm, dass ich kurzfristig was erledigen musste, was keinen weiteren Aufschub duldete. Otogi mustert mich einen langen Moment und schaut dann wieder in die Werkstatt. Etwas habe sich hier verändert, merkt er an. Ich erstarre kurz, doch scheinbar kann er nicht genau sagen, was sich in meiner Werkstatt verändert hat. Das erfüllt mich mit einer gewissen Zufriedenheit.
 

Als er sich wieder zu mir dreht lächelt er und wirkt seit langem wieder glücklich. Forschend blick ich ihn an und er meint langsam zu mir, dass es kein Grund gäbe, mich entschuldigen zu müssen. Er erzählt mir, dass nur weil ich nicht da war, er Gelegenheit hatte sich mit Honda auszusprechen. Es braucht lange, bis ich verstehe, was er mir sagen möchte: Er hat sich mit Honda wieder versöhnt.
 

Doch Otogi macht eine Handbewegung, die wohl 'vage' bedeuten soll. Ja, sie sind wieder zusammen, aber er habe viel kaputt gemacht. Das muss er erst wieder nach und nach aufbauen. Und selbst dann, so befürchtet er, wird wohl immer eine Restangst bei Honda bleiben, dass sich das wiederholen könnte. Langsam nicke ich. Aber es ist doch immerhin gut, dass er jetzt diese Möglichkeit bei Honda hat. Sofort nickt Otogi wieder und strahlt mich erneut glücklich an.
 

Dann wird er wieder ernst und gesteht mir, dass er dennoch Angst hat, dass sein Vater Honda etwas antun könnte, sobald er rauskommt. Ich frage nach, ob das Entlassungsdatum schon feststeht und Otogi zieht einen Brief aus seiner Tasche. Am Briefkopf erkenne ich, dass dieser Brief vom Justizministerium kommt. Er reicht ihn mir und ich falte den einseitigen Brief auseinander. Dort wird Otogi mitgeteilt, dass sein Vater am 01. August entlassen werden wird. Also in etwas mehr als einer Woche.
 

Unruhig scharrt Otogi mit den Füßen über den Steinboden meiner Werkstatt. Ich steh auf und lege ihm die freie Hand auf die Schultern. Er blickt mich an und ich meine, dass wir alles versuchen, damit sein Vater keinen Schaden mehr anrichten kann. Ich sehe in seinem Blick, dass er mir glauben will... nein, dass er mir glaubt. Das ist gut und ich hoffe, dass ich meinen ersten Freund nicht enttäuschen werde. Die nächste Baustelle, die ich mit Akito regeln muss.
 

Ich höre ein Klopfen und blicke durch die Verbindungstür zu meinem Büro in dessen Türrahmen Mokuba erschienen ist. Mit einem Winken signalisiere ich ihm, dass er zu uns kommen soll. Er schlurft durch das Büro und stellt sich, mit beiden Händen in die Seite gestemmt, vor mich. Ein tadelnder Blick trifft mich und ich verstehe nicht, warum mein Bruder mich gerade so maßregelnd anblickt.
 

Dann fragt er mich, ob ich heute nicht etwas vergessen habe. Ich blicke zu Otogi, doch sofort kommt von Mokuba, dass er nicht den Schwarzhaarigen meint. Verwirrt blicke ich meinen Bruder wieder an, der mich dann fragt, was für ein Wochentag wir haben. Sofort antworte ich ihm, dass wir Samstag haben und damit fällt bei mir der Groschen: Ich hab meine Sitzung bei Kai versäumt.
 

Fahrig geh ich mir durch das Haar, bevor ich mich bei Mokuba eindringlich entschuldige. Er meint nur, dass ich mich nicht bei ihm entschuldigen muss. Ja, klar... ich werde mich auch bei Kai entschuldigen, doch Mokuba schüttelt nur seinen Kopf und meint, dass er auch Kai nicht gemeint hat. Wieder dauert es einen langen Moment bevor ich checke, dass es derzeit ja nicht nur meine Sitzung ist, sondern auch Katsuyas. Ich fluche leise und spring auf. Werfe Otogi und Mokuba eine kurze Entschuldigung zu und eile dann aus meinem kleinen Reich.
 

Als ich im Erdgeschoss ankomme wird mir bewusst, dass ich gerade keine Ahnung hab, wie spät es eigentlich ist und daher gar nicht abschätzen kann, wo ich Katsuya jetzt finde. Doch aus dem Wohnzimmer dringen Geräusche eines Actionfilms. Als ich reinschaue sehe ich Honda in seinem Stammsessel, Yugi auf der Couch und mit etwas Abstand zu ihm Katsuya. Zwischen Yugi und Katsuya muss Mokuba wohl gesessen haben. Honda sieht mich und scheint Katsuya ein Zeichen zu geben. Dieser blickt über seine Schulter zu mir und steht dann auf.
 

Mokuba und Otogi ziehen einmal an mir vorbei ins Wohnzimmer, während Katsuya zu mir in das Foyer tritt. Ich will was sagen, doch er greift nur nach meiner Hand und zieht mich in die Küche. Dort lenkt er mich auf einen Hocker am Tresen und geht dann zum Kühlschrank. Er holt eine Schüssel raus und füllt den Inhalt in einen kleinen Topf. Dann rührt er ruhig darin herum.
 

Katsuya kocht wenn er wütend oder enttäuscht ist. Ich weiß aber auch, dass er dann nicht angesprochen werden möchte. Nach ein paar Minuten schöpft er aus dem Töpfchen etwas in eine Schale, garniert es noch mit ein paar Sachen und bringt es zu mir. Er stellt mir die Schüssel Ramen vor und legt dann eine Hand an meine Wange. Besorgt sagt er mir, dass ich Mittagessen und Abendessen verpasst habe und jetzt essen soll.
 

Lange blick ich ihn an, bevor ich nicht anders kann und meine Arme um ihn schlinge. Dann zieh ich ihn eng an mich heran und bette mein Kopf auf seiner Schulter. Sofort legt auch er seine Arme um mich und hält mich sanft. Ich entschuldige mich bei ihm dafür, dass ich ihn den ganzen Tag im Ungewissen gelassen habe. Auch dafür, dass ich die Mahlzeiten und unsere Sitzung bei Kai verpasst habe.
 

Ruhig und geduldig erwidert mein Streuner nur, dass ich sicherlich einen guten Grund dafür hatte und mir wird klar, dass ich ihm noch eine Erklärung schulde. Ich löse mich von ihm und zieh in neben mich auf den Hocker, bevor ich ihm beim Essen von allem erzähle.
 

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Einen Schritt zur neuen Schule

Nervös rutsch ich auf dem Beifahrersitz hin und her. Mein Bein wippt auf und ab, während meine Handinnenflächen etwas feucht werden. Akito blickt von seinem Fahrersitz zu mir herüber und schmunzelt. Würde ich neben Seto sitzen hätte dieser mir längst die Hand auf das Knie gelegt und meine Bewegung gestoppt. Dagegen hat Akito das noch nie gemacht. Nicht einmal als ich jünger war. Er hat immer akzeptiert, wenn ich in einer Übersprunghandlung diese Bewegung brauchte. So ist Akito eben: Er akzeptiert einfach alles an einem.
 

Gestern haben Akito, Seto und ich uns zusammengesetzt und sind die potentiellen Schulen durchgegangen. Dabei haben wir uns angeschaut, was für einen Ruf die Schulkandidaten haben, was sie den Schülern bieten und auch welche Kleiderordnung sie vorgeben. Ich hab den beiden von Anfang an klar gemacht, dass mir eine Schule mit einer militärisch inspirierten Schuluniform nicht passen würde. Auch eine reine Jungenschule wollte ich auf keinen Fall, wobei es mir weniger um die Mädchen ging...
 

Noch vor ein paar Monaten hab ich für ein Mädchen aus meinem Jahrgang in der alten Schule geschwärmt. Ich war mir damals so sicher, dass ich hetero bin. Doch seit einiger Zeit bin ich vollkommen in Katsuya verknallt, was ich nicht verstehe. Einerseits, weil er ein Jungen ist und andererseits, weil er der Freund meines Bruders ist. Alleine das Letztere hätte jedes Gefühl in diese Richtung doch im Keim ersticken müssen. Hat es aber nicht.
 

Doch die Gefühle sind schwächer geworden, nicht zuletzt dank Yugi, der seit ein paar Wochen viel Zeit mit mir verbringt. Das fing schon vor den Ferien an, als Ryou noch da war. Yugi hat einfach erkannt, was mit mir los ist und versprach mir, dass es besser werden würde. Er hat bereits jetzt schon Wort gehalten. Dabei tut es mir jedoch leid, dass ich nicht mehr so viel Zeit mit Katsuya verbringen kann. Früher hat mir das viel Spaß gemacht, doch mit diesen Gefühlen in mir... wäre es keine gute Idee.
 

Akito biegt in die Innenstadt ein und nach ein paar Minuten deutet er auf eine Bushaltestelle. Meint zu mir, dass ich da in Zukunft dann aussteigen muss. Auch so ein Punkt, indem ich mich durchgesetzt habe: Nach den Sommerferien werde ich Bus oder Bahn nehmen, um von Zuhause zur neuen Schule zu kommen. Ich möchte auf keinen Fall, dass jemand in der neuen Schule auch nur einen Moment denkt, wir hätten mehr Geld als man für ein gutes Leben bräuchte. In meiner alten Schule hat das nämlich zu mehr Problemen geführt, als das es gelöst hat.
 

Dann wird der Wagen auf einen Parkplatz gelenkt und Akito schaut mich noch einmal an. Fragt, ob ich ganz sicher sei und ich nicke noch einmal bestätigend. Also steigen wir aus und ich schau erst einmal auf eine gut zwei Meter hohe Mauer, die das Schulgelände umgibt. Dahinter sehe ich ein standardmäßiges Schulgebäude. Wieder einmal bin ich erstaunt darüber, wie viel Ähnlichkeit das Gebäude mit der typischen Oberschule in jedem beliebigen Manga aufweist.
 

Oberschule? Tatsächlich ist meine neue Schule Mittel- und Oberschule in einem. So muss ich mir nächstes Jahr, wenn ich in die Oberschule komme, keine neue Schule suchen. Außer... es läuft hier ähnlich bescheiden, wie auf meiner alten Schule. Verarsche. Mobbing. Schubsen. Nervosität schlägt wieder in mir hoch und für einen Moment führe ich meine Finger zum Mund und knabbere an den Nägel. Doch dann wird mir das schlagartig bewusst und ich zieh sie wieder weg.
 

Meine neue Schule ist eine internationale Schule. Man trägt Blazer, Hemd und Hose. Eine Krawatte gehört sowohl bei den Mädchen, als auch bei den Jungs dazu. Aber die muss nicht streng sitzen und den Kragen schließen. Im Frühjahr und Herbst kann man noch einen Pullunder drüber tragen. Im Winter alternativ einen Pullover. Es gibt keine Vorschriften bezüglich Haarfarben und Frisur. Das heißt, ich muss meine Haare nicht abschneiden. Bei einigen anderen Schulen wäre das notwendig gewesen.
 

Was mit international gemeint ist? Der meiste Unterricht findet auf Englisch statt. Auf dieser Schule sind nur etwa vierzig Prozent der Schüler Japaner, die meisten davon gehören zu gemischten Ehen, bei denen ein Elternteil nicht Japaner ist. Die restlichen sechzig Prozent sind Kinder von Ausländern. Ausländern, die nach Japan eingewandert sind oder im Rahmen ihrer Arbeit für einige Zeit in Japan leben. Es sollen auf dieser Schule insgesamt 67 Nationalitäten geben. Auch die Lehrer sind nur zum Teil Japaner. Ich bin mega-gespannt, wie es an so einer Schule sein wird.
 

Wir betreten das Schulgelände durch einen Seiteneingang, der direkt am Parkplatz liegt, auf dem wir stehen. Scheinbar ist das der Lehrerparkplatz. Direkt dahinter wartet bereits eine blonde Frau auf uns, die uns freundlich begrüßt. Wenn ich ihr Alter schätzen müsste, würde ich auf vierzig tippen. Dennoch wirkt sie noch recht jugendlich. Sie begrüßt erst mich, dann Akito, auch das überrascht mich.
 

Ich nicke ihr kurz zu und erwarte dann, dass sie mit Akito das Gespräch aufnimmt. Sie führt uns zum Hauptgebäude und ich sehe, dass das Schultor gar nicht verschlossen ist, sondern weit aufsteht. Die Frau wendet sich aber nicht Akito zu, sondern an mich. Lächelnd sagt sie mir, dass sie sich freut, dass ich mich für ihre Schule entschieden habe. Dann führt sie uns ins Innere der Schule.
 

Die Wände und der Boden sind sauber und wirken auf mich sehr freundlich und einladend. Links und rechts sind die Schuh- und Jacken fächer, die hier aus Holz gefertigt sind und sehr hochwertig wirken. Die erste Wand, die das Foyer vom Rest der Schule trennt ist - wie mir die Direktorin erklärt - von den Schülern gestaltet. Jedes Jahr, zu Beginn des Schuljahres wird die Wand gestrichen und dann dürfen die Schüler sich daran austoben.
 

Obwohl die Wand die unterschiedlichsten Kunststile beheimatet wirkt alles sehr stimmig. Ob es für die Gestaltung der Wand vom Direktorat Vorgaben gibt? Ich frage das nicht laut. Ich find es eh schon komisch, dass sie die ganze Zeit nur mit mir spricht und das Gespräch nicht mit Akito führt. Die Frau Direktorin führt uns durch einen hellen Gang. Unter der Decke haben die beiden Wände des Ganges durchgehend Fensterbänder liegen, durch die viel Licht in ihn fällt. In den Wänden befinden sich immer wieder Türen, die wohl zu den verschiedenen Klassenräumen führen.
 

Sie erklärt mir, dass es zwar feste Klassen gibt, aber jeder Schüler seinen eigenen Stundenplan nach seinen Schwerpunkten festlegt. Es gibt einmal die Woche eine Doppelstunde im Klassenverbund und ansonsten mischen sich die Schüler je nach Kurse durch. Dabei lassen die Schüler am Ende jeder Stunde ihre Anwesenheit abstempeln und müssen eine gewisse Teilnahme nachweisen. Zu festgelegten Stichtagen müssen die Schüler Scheine vorlegen, die beweisen, dass sie die erforderlichen Schularbeiten mitgeschrieben haben.
 

Irgendwie klingt das nach Uni, geht es mir durch den Kopf. Tatsächlich bezieht sich die Frau Direktorin auch darauf, als habe sie meine Gedanken gelesen. Wir betreten das Sekretariat und danach ihr Büro, welches auch sehr freundlich und fast schon gemütlich wirkt. Sie bietet uns erst einen Platz in einer Sitzecke an und fragt dann, ob wir etwas trinken möchten. Nachdem wir versorgt sind sieht sie mich an und scheint Akito gar nicht wahrzunehmen. Die ganze Zeit redet sie nur mit mir, lässt aber immer wieder Raum für Fragen. Die Frau scheint auf den ersten Blick sehr sympathisch.
 

Am Ende des Gesprächs füllen wir die Anmeldung aus und bekommen verschiedene Unterlagen. Einerseits bekommen wir die Adresse des Ausstattungsladens der Schule und einen Berechtigungsschein. Andererseits eine Bücherliste und eine Liste verschiedener Materialien, die wir noch brauchen. Dann erstellt sie mit mir noch meinen Stundenplan. Auf dem Stundenplan stehen dann nicht nur die Fächer, sondern auch die Namen der Lehrer und Lehrerinnen, die ich haben werde. Anschließend schaut sie in einer umfangreichen, mehrseitigen Liste und weißt mir eine Klasse zu, die sie auf eine Karte schreibt. Daneben schreibt sie noch in lateinischen Buchstaben einen Namen und meint, dass dieser Schüler in meiner Klasse sei und mein Pate.
 

Pate? Sie scheint meine Frage schon zu ahnen, denn sie erklärt mir, dass jeder neue Schüler, für gewöhnlich zu Beginn der Mittelschule, einen Paten zugeteilt bekommt, der ihn am Anfang etwas an die Hand nimmt. Zeigt, wo die unterschiedlichen Klassenräume und Einrichtungen sind und einige schuleigenen Sachverhalte erklärt. Das klingt schon interessant, aber sicherlich wurde diese 'Ehre' einem Schüler aufgebrummt, der noch gar nichts von seinem Glück weiß.
 

Bevor wir gehen macht die Frau noch ein Bild von mir und bittet mich am ersten Schultag eine viertel Stunde früher hier zu sein und mir meinen Schülerausweis abzuholen. Sie schreibt es auf die Karte mit der Klasse und dem Namen des Paten. Schließlich schiebt sie alles in eine Vertragshülle und reicht diese mir. Akito hatte sie die ganze Zeit nur einmal angesprochen, nämlich als er seinen Stempel unter die Schulanmeldung setzen sollte. Doch ihn scheint das gar nicht zu stören.
 

Die Direktorin führt uns dann wieder aus der Schule zum Seiteneingang. Dort bekundet sie noch einmal, dass sie sich sehr freut, dass ich dann nach den Sommerferien auf ihrer Schule den Unterricht besuchen werde. Auch äußert sie die Hoffnung, dass ich mich schnell einleben und mich hier wohl fühlen werde. Wir danken ihr für ihre Zeit und Mühe und verlassen das Schulgelände. Sie schaut uns noch kurz hinterher, bevor sie zurück zum Hauptgebäude geht.
 

Ich blicke zu Akito hoch und der strahlt regelrecht. Meint zu mir, dass das doch sehr erfrischend war und fragt mich nach meinem ersten Eindruck. Ja... mein erster Eindruck? Die Schule wirkt modern und neu auf mich. Die Frau sehr nett. Aber, dass füg ich auch noch hinzu, der erste Eindruck kann auch täuschen und mein endgültiges Fazit werde ich erst nach dem ersten Monat auf dieser Schule ziehen.
 

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Einen Schritt zum Gefühlschaos

Als Mokuba gestern mit Akito heim gekommen war, schien er nicht so begeisterter von seiner neuen Schule zu sein. Er hat die Einkäufe in den unzähligen Taschen sofort in sein Zimmer gebracht und war dann direkt aufgebrochen, um sich mit Yugi zu treffen. Umso erstaunter bin ich, als der Jüngere am Frühstückstisch sitzt und von ihrem Besuch bei der Schule, dem Gespräch mit der Direktorin, dem Paten-Programm und den Einkäufen für die neue Schule erzählt. Er scheint jetzt viel begeistert zu sein, als es gestern gewirkt hatte. Enthusiastischer. So wie vor ein paar Monaten, bevor er anfing Gefühle für mich zu entwickeln, von denen er selbst weiß, dass sie niemals auf Gegenseitigkeit beruhen werden.
 

Als ich ihm etwas Tee nachschenke blickt er kurz zu mir auf und ich schenke ihm ein vorsichtiges Lächeln. Eilig wendet er seinen Blick von mir ab und richtet ihn auf seinen Bruder. Er erzählt von einer Wand, die die Schüler am Anfang des neuen Schuljahrs selbst gestalten dürfen, von der freundlichen Atmosphäre in der Schule und wie modern das Gebäude an sich gewirkt hat.
 

Eine gewisse Traurigkeit befällt mich. Ich vermiss die Zeit, als Mokuba mit mir abgehangen hat und wir einfach Spaß miteinander hatten. Oder er mit mir über seinen Frust und Ärger gesprochen hat. Als er mir unauffällig ein paar Infos über Seto verraten hat, damit ich diesem eine Freude machen konnte, als Danke dafür, dass er mich letztes Jahr davor bewahrte in diese Matschpfütze zu fallen. Doch diese Zeit scheint vorbei und verloren zu sein.
 

Meine Gedanken werden unterbrochen, als das Dienstmädchen in die Küche tritt. Mit gleichmäßigem Schritt schließt sie zum Tisch auf und stellt sich seitlich neben Seto, bevor sie geduldig wartet. Mein Drache lässt seinen Bruder noch kurz aussprechen und blickt dann zu Kikyo-san auf. Diese erkennt die stumme Aufforderung und informiert uns, dass Detective Nagasato vor der Haustür steht und nach Seto gefragt hat.
 

Fast simultan nehmen Akito und Seto ihre Servietten und gehen sich damit kurz über den Mund. Seto dankt Kikyo-san für die Info, dann steht er auf. Akito folgt auf den Fuß. Kurz schau ich zu Mokuba, der sogar zurück schaut und wir sind uns einig: Auch wir stehen auf und folgen den beiden zum Foyer, während Kikyo-san in der Küche zurück bleibt.
 

Das Mädchen hat es wortwörtlich gemeint: Detective Nagasato steht vor der Schwelle zum Haus. Sie scheint sich nicht wohl zu fühlen und als sie uns sieht strafft sie sich. Kurz blickt sie zu Akito, der sie nur streng mustert. Komisch. Sonst reagiert Akito nicht so harsch auf den Detective. Ich hatte sogar den Eindruck, dass die beiden sich gut verstehen würden.
 

Detective Nagasato grüßt uns höflich und respektvoll. Auch komisch. Sonst ist sie nicht so formal, sondern darum bemüht eine gewisse Vertraulichkeit auszustrahlen. Als sie nach unserem Befinden fragt schneidet mein Drachen ihr das Wort ab und verlangt zu wissen, warum sie hier sei. Sie blickt ihn fast schon erschrocken an, doch dann nickt sie nur und verbeugt sich respektvoll vor Seto, bevor sie ihn um Verzeihung bittet.
 

Mein Geliebter blickt kurz seitlich weg und verschränkt defensiv seine Arme vor der Brust. Erst als Detective Nagasato sich wieder aufrichtet blickt er zu ihr zurück und sagt ihr offen, dass er das nicht kann - ihr verzeihen. Sie nickt resigniert und sucht den Augenkontakt zu ihm. Als dieser etabliert ist versichert sie ihm, dass nicht sie seinen Wunsch und seine Entscheidung ignoriert habe und sie alles dafür tun wird, diesen Fehler wieder gut zu machen.
 

Drachen sind wie Katzen, geht es mir plötzlich durch den Kopf. Wie ich darauf komme? Wenn eine Katze sich in ihrem Revier von jemand bedroht oder gereizt fühlt, dann stellt sie erst ihr Fell auf. Damit macht sie sich größer und will gefährlicher wirken. Gleichzeitig ist es auch eine Warnung an den vermeintlichen Feind, dass er jetzt noch machen kann, dass er weg kommt. Dann spannt sie ihren Körper an und macht sich zum Angriff bereit. Genau so ist das auch bei Seto in diesem Moment:
 

Er baut sich zu seiner vollen Größe auf und überragt den Detective um einige Zentimeter. Dann faucht er sie an, dass es ihm egal sei, wer sich da über seinen Wunsch und seine Entscheidung hinweggesetzt hat. Das ganze habe ihm nur deutlich gezeigt, dass dem Polizeiapparat und der Staatsanwaltschaft nicht zu trauen sei. Daher würde er die Zusammenarbeit mit ihr gänzlich einstellen. Dann fügt er noch hinzu, dass die Abteilung von Detective Nagasato sicherlich schon von seinen Anwälten gehört habe und sollte noch ein Foto, eine Aufnahme oder was auch immer aus seinem Besitz irgendwo auftauchen, würde er sie verklagen.
 

Für einen Moment erschreck ich selbst vor meinem Geliebten, der auf einmal wieder so wirkt, wie vor meinem Einzug hier, um ihm zu helfen. Er wirkt stark, durchsetzungsstark und als dulde er keine Widerworte. Auf der Detective ist von seinem Auftreten überrascht und wäre beinahe einen Schritt zurück gewichen. Ihr Blick wird fast schon devot, was aber wohl mehr eine Beschwichtigungstaktik ist. Sie möchte damit Seto zeigen, dass von ihr keine Gefahr ausgeht und sie durchaus Verständnis für Setos Reaktion hat.
 

Noch ehe sie etwas sagen kann dreht sich Seto weg und stapft zurück in die Küche. Mokuba funkelt die Polizistin auch nochmal böse an, bevor er seinem älteren Bruder folgt. Ich bleib noch stehen und sehe, wie sie hilfesuchend zu Akito blickt. Doch dieser deutet ihr mit einer simplen Geste nur an, dass es nun an der Zeit sei dieses Haus zu verlassen. Nur im Ansatz nickt Detective Nagasato und scheint jetzt doch ehrlich geknickt zu sein. Sie verabschiedet sich und geht dann ohne weitere Worte. Akito schließt hinter ihr die Tür.
 

Als er sich nach einem Moment von der Tür wegdreht scheint er überrascht zu sein, dass ich noch da bin. Er lächelt etwas gedämpft und legt mir dann eine Hand auf die Schulter. Gemeinsam kehren auch wir in die Küche zurück. Akito scheint von der Entwicklung wenig begeistert zu sein, doch scheinbar hat er sich damit bereits abgefunden. Hm, ich denke, dass er wohl die Hoffnung gehabt hatte, dass er in Detective Nagasato so etwas wie eine Freundin gefunden hätte. Oder?
 

Am Esstisch herrscht unangenehmes Schweigen, bis Akito die Stimme erhebt. Mokuba zuckt kurz zusammen, da er wohl nicht damit gerechnet hat, dass ausgerechnet sein Adoptivvater die Stille brechen würde. Akito schaut uns alle an und meint dann, dass wir Yugi, Honda und Otogi Bescheid sagen sollen, dass sie alle mit uns für zehn Tage zum Strandhaus fahren werden. Dann steht er auf und verlässt die Küche.
 

Verwirrt blicke ich ihm erst hinterher und dann zu Mokuba und Seto. Auch Mokuba blickt zu Seto. Dieser nickte schließlich und meint dann nur, dass wir Akito gehört hätten. Wir sollen die anderen anrufen und dann packen gehen. Dann steht er auf und verlässt ebenfalls die Küche. Zurück bleiben nur Mokuba und ich. Wir schauen uns etwas überrumpelt an, doch dann beginnt Mokuba zu strahlen. Er hüpft vom Stuhl und verlässt mit beschwingtem Schritt ebenfalls die Küche.
 

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Einen Schritt nicht machen können

Dieser Schwebezustand, in dem Ryuji und ich mich befinden, macht mich kirre. Wir hatten ein langes, klärendes Gespräch, an dessen Ende wir wieder zusammengekommen sind, doch so richtig zusammen fühlt es sich gerade nicht an. Ryuji sucht seitdem wieder aktiv meine Nähe und angelt auch nach meiner Hand zum Halten, wenn wir irgendwo gemeinsam sind,... aber küssen kommt nur höchst selten vor und wenn fühlt es sich abstrakt und merkwürdig an. Von Sex brauch ich erst gar nicht anfangen, denn seit wir wieder zusammen sind hatten wir noch keinen Sex. Wir haben nicht mal nackt zusammen im Bett gelegen oder aneinander rumgefummelt.
 

Es mag egoistisch klingen, aber ich möchte einfach nur wieder in meine Kuschelecke. Diese Ecke, die Entsteht, wenn wir nach dem Sex eng aneinander geschmiegt zusammen liegen, ich in seinem Arm, mein Arm über seinem Bauch. Er streichelt mir sanft über die Schulter, während mein Kopf auf seiner ruht. Gelegentliches küssen. Die Stille gemeinsam genießen. Wenn es um uns herum nach frischem Sex riecht und unsere Haare vom Schweiß völlig außer Form sind.
 

Ich kann nicht mal genau benennen, wieso wir nicht wieder von 0 auf 100 durchgestartet sind. Als das alles mit uns begann, war es schließlich eine Freundschaft mit Vorzügen, bevor daraus eine feste Beziehung wurde. Wir hatten unverbindlichen, lockeren Sex, der himmlisch war. Also woran krankt es gerade, dass wir kaum wagen uns gegenseitig zu berühren?
 

Als Ryujis Telefon einen Ton von sich gibt blicke ich über den Tisch hinweg zu ihm. Er legt den Löffel seines Müslis weg und zieht sein Smartphone aus der Hosentasche. Meine Scheibe Toast, an der ich rumgenagt habe, lass ich auf den Teller zurück fallen und blicke interessiert zu Ryuji rüber. Er liest kurz die eingegangene Textnachricht, dann spüre ich mein eigenes Handy vibrieren. Also zieh ich auch meines hervor und sehe, dass Jou mir eine Nachricht geschrieben hat, in der er mich fragt, ob ich so schnell wie möglich zu ihnen kommen könnte.
 

Ryujis warme Stimme dringt über den Tisch hinweg zu mir und sagt mir, dass Seto ihn gebeten hat so schnell wie möglich zu ihm zu kommen. Ich nicke und sage ihm, dass ich eine identisch klingende Nachricht von Jou erhalten habe. Dann piepst es noch einmal bei Ryuji, der wieder auf das Smartphone blickt und die Stirn runzelt. Dann teilt er mir mit, dass Jou ihn fragt, ob wir noch Yugi abholen könnten. Das klingt nach einer Vollversammlung unserer Clique.
 

Eine halbe Stunde später trudeln wir bei Seto und Jou ein. Das Hausmädchen macht uns die Tür auf und lässt uns eintreten. Mit einer Geste bittet sie uns ins Wohnzimmer, in dem Seto, Jou, Mokuba und Isono bereits sitzen und warten. Uh... die Ernsthaftigkeit ist förmlich zum Greifen. Was wohl wieder geschehen ist, dass sie uns alle hergebeten haben?
 

Isono steht auf und grüßt uns höflich, bevor er uns bittet Platz zu nehmen. Aus Reflex geh ich zu unserem Stammsessel, auf dem Ryuji und ich sonst immer ineinander verschachtelt sitzen. Auch Ryuji scheint mehr aus Gewohnheit, als wirklich gewollt zu dem gleichen Sessel unterwegs zu sein. Wir starren uns gegenseitig kurz an und wissen nicht, was wir einander sagen sollen. Ryuji wendet sich ab und lässt sich dann auf die Couch fallen. Entgeistert beobachte ich ihn. Das hier fühlt sich gerade mehr nach Trennung an, als unsere eigentliche Trennung. Also lass ich den Sessel unbesetzt und setze mich neben Ryuji, der mich kurz fragend anschaut.
 

Dann räuspert sich Isono und erläutert uns, dass in den letzten Tagen und Wochen viel geschehen sei. Nicht nur bei ihnen im Haushalt, sondern auch bei uns anderen. Dabei bedenkt er Ryuji und mich mit einem Blick, bevor er zu Mokuba weiter schaut. Ist mir da was entgangen? Langsam lass ich meine Hand zu Ryujis wandern und verschränke meine Finger mit den seinen. Kurz spür ich seine Überraschung, bevor sich seine Finger um meine legen. Innerlich seufze ich auf. Warum ist das alles nur so steif und kompliziert?
 

Nur am Rande bekomme ich mit, dass Isono gerne mit uns allen zehn Tage zu ihrem Strandhaus fahren möchte. Damit wir alle mal zur Ruhe kommen und abschalten können. Yugi ist sofort Feuer und Flamme. Doch Ryuji räuspert sich verlegen und meint, dass er höchstens sechs Tage mitfahren kann. Fragend schau ich ihn an, doch er meidet den Blickkontakt mit mir. Gerade als ich ihn fragen möchte, was so wichtig sein kann, meldet sich auch Seto zu Wort und meint, dass er und Ryuji am ersten August etwas zu erledigen haben, was sie nicht aufschieben können.
 

Seto und Ryuji haben beide - gemeinsam - etwas am ersten August zu erledigen. Das kann ja nur bedeuten, dass es etwas mit Ryujis Vater zu tun haben kann. Also werfe ich ein, dass wir ja vom Strandhaus - das sicherlich nicht Stunden entfernt sein wird - für einen Tag zurück fahren können, bevor wir dann die restlichen Tage am Strand genießen können. Isono stimmt mir zu. Dann bittet uns der Ältere wieder nach Hause zu gehen und zu packen. Sie würden uns dann nach und nach einsammeln kommen, bevor wir dann gemeinsam zu ihrem Strandhaus fahren würden.
 

Wieder räuspert sich Ryuji und merkt an, dass er mit mir gerne in seinem eigenen Auto, wie beim letzten 'Urlaub' in der Golden Week, nachfahren möchte. Als ich ihn frage, wieso er nicht mit den anderen fahren möchte, antwortet er mir - und dabei schaut er mich endlich wieder an - dass er gerne die Fahrt über mit mir alleine sein möchte. Mit großen Augen mustere ich ihn, bevor ich - mehr neben mir stehend - nicke. Isono scheint zufrieden zu sein und löst dann unsere 'Versammlung' auf. Mokuba springt sofort auf und rennt zur Treppe hinauf, um weiter zu packen. Die Betonung liegt auf 'weiter'.
 

Jou steht ebenfalls auf, während Ryuji sich mit Seto kurz auf die andere Seite des Wohnzimmers verzieht und einige Worte mit ihm wechselt. Mein bester Freund fragt mich, ob alles in Ordnung sei und ich kann darauf nicht antworten. Nicht, weil ich nicht wollen würde, sondern einfach nur, weil ich es selbst nicht weiß. Daher zucke ich nur nichtssagend mit den Schultern.
 

Der Blonde legt mir eine Hand auf die Schulter und lächelt mich sanft an. Meint, dass sich schon alles wieder normalisieren wird. Es manchmal einer offensivere Strategie bedarf, um wieder dahin zurück zu kommen, wo man hin möchte. Offensiver? Stimmt schon. Seit wir wieder zusammen sind tänzeln wir um einander rum, als sei der andere zerbrechlich oder so etwas.
 

Vielleicht liegt unsere derzeitige Situation auch mehr an mir, als an Ryuji. Immerhin bin ich derjenige, der sich wahnsinnig verletzt und vor den Kopf gestoßen gefühlt hat. Jemand, der Angst davor hat, dass sich das plötzlich wiederholen könnte, ohne dass es Vorzeichen dafür gibt. Der Schmerz, den ich in den Wochen nach unserer Trennung gespürt habe, hallt immer noch in mir nach. Doch wie kann ich diese Gefühle, die mir gerade bewusst werden, endlich abschalten und mich wieder glücklich an Ryujis Seite fühlen? WIE?
 

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Einen Schritt ans Meer

Immer wieder kann ich Akito nur bewundern. Heute für sein Organisationstalent. Innerhalb einer Stunde hat er beschlossen, dass wir zu Setos Strandhaus fahren. Hat dann unsere Freund mit an Bord geholt. Schließlich den Van ranschaffen lassen, mit dem wir schon im Mai in die Berge gedüst sind. Und gerade managt er Mokubas Packwut.
 

All das, obwohl er vor knapp zwei Monaten erst angeschossen und fast gestorben wäre. Ich meine, die Ärzte hatten ihn stundenlang operiert. Trotzdem hat er irgendwo die Kraft gefunden am nächsten Tag zu uns zu kommen und mit uns in dieses Haus zu ziehen. Man hätte eigentlich meinen müssen, dass er sich kaum bewegen könnte. Okay, nach der Aktion wurde er von einem Rettungswagen wieder abgeholt und zurück ins Krankenhaus gebracht. Doch da blieb er unterm Strich kaum eine Woche.
 

Entweder ermöglicht Geld Zugang zu medizinischer Versorgung, die Normalsterblichen verwehrt bleibt oder der Mann hat eine außergewöhnlich starke Regenerationsfähigkeit. Hey, vielleicht ist er ja so eine Art Mutant, wie bei diesem US-Comic... diesen X-Men? Vermutlich nicht, aber ein Held ist er trotzdem.
 

Ich höre vom oberen Stockwerk Mokuba, wie er mit Akito verhandelt, dass drei Koffer doch kaum mehr Platz im Wagen wegnehmen würden, als zwei. Doch Akito lässt nicht locker und meint zu unserem Junior nur, dass er lernen muss auch mal zu selektieren und abzuwägen. Doch Mokuba beginnt nur zu argumentieren, dass der Koffer für die Schuhe doch gar nicht mitgezählt werden kann. Koffer für die Schuhe?
 

Wenn ich nicht wüsste, dass Mokuba schwer in mich verknallt ist, würde ich spätestens jetzt wissen, dass er schwul ist. Mokuba ist, was Gepäck anbelangt, noch viel schlimmer als jedes Mädchen, dass ich kenne. Ich sehe, wie im oberen Stockwerk Akito aus dem Flur kommt und am Geländer entlang geht. Er fragt Mokuba, was er tun soll, um das ganze Gepäck zum Strand zu schaffen, ein eigenes Auto nur für die Koffer fahren lassen? Auf einmal beginnt Mokuba breit zu grinsen und sofort kommt ein energisches Nein von Akito.
 

Ein Schmunzeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab. Setos Stimme dringt bedächtig an mein Ohr und fragt mich, ob ich schon mal so eine Packwut erlebt habe. Ich schüttle den Kopf. Sicherlich möchte Mokuba damit einfach nur etwas kompensieren. Genauso, wie mit seinem neusten Hobby, dem Basteln von Table Top Elementen. Ich frag mich, wann er wohl mal eine Spielrunde damit ansetzen wird und ob er mich dabei haben wollen wird.
 

Schließlich verstauen wir unsere fünf Koffer im Van. Akito hat es geschafft, dass sich Mokuba auf zwei Koffer beschränkt und ihm versprochen, dass er dafür vor Ort nachkaufen kann, was ihm am Strand fehlen würde. Aus den Bergen kam Mokuba mit zwei zusätzlichen Taschen zurück. Und die hatte er auf dem Hinweg verborgen in seinem Koffer mitgeschmuggelt. Jetzt hat er offiziell die Erlaubnis vor Ort mit Klamotten- und Schuhkäufen zu eskalieren.
 

Als erstes fahren wir die paar Meter runter zu Otogis Haus. Honda und Otogi sind gerade dabei ihre Taschen im Kofferraum zu verstauen. Als sie uns sehen winkt uns Honda kurz und wir sehen sie dann einsteigen. Dieses Mal scheinen die beiden bessere Laune zu haben, als bei unserer Fahrt in die Berge. Auch hat Otogi das Verdeck seines Autos bereits von der Mechanik einklappen lassen. Ein wenig beneide ich Honda da schon, dass er in einem Cabrio fahren darf, statt bei dem sonnenreichen Wetter in einem Van zu fahren.
 

Der letzte Stopp, bevor wir die Stadt verlassen, ist vor dem Spielshop von Yugis Großvater. Dieser bringt ihn zu unserem Wagen, grüßt uns mit einem breiten Schmunzeln und wünscht uns dann viel Spaß, während Yugi seine Tasche irgendwo neben die Koffer quetscht. Dann springt der Bunthaarige zu uns ins Auto und nimmt neben Mokuba Platz, der ihn sofort lebhaft in ein Gespräch über Table Top zieht. Die beiden tun sich gegenseitig echt gut: Yugi hilft Mokuba seine Gefühle für mich ein wenig zu vergessen, im Gegenzug lenkt Mokuba Yugi ab, damit er Ryou nicht so sehr vermisst, während dieser in Europa ist.
 

Wir fahren los, doch zu meiner Überraschung stellt sich heraus, dass Yugi gar nicht der letzte Stopp war, bevor wir auf die Autobahn fahren. Erst bin ich etwas verwirrt und frage mich, wohin wir fahren. Doch dann erkenn ich das Wohngebiet. Spätestens als wir vor dem Appartementkomplex zum Stehen kommen ist mir klar, wen wir noch holen, nicht zuletzt, weil mein Vater schon am Straßenrand steht und wartet.
 

Als Akito das Auto anhält winkt mein Dad uns kurz, geht dann nach hinten und öffnet die Klappe. Er ruft einen Gruß in die Runde, packt seine Tasche auf Yugis und steigt dann neben Akito auf den Beifahrersitz. Nachdem er sich angeschnallt hat fährt Akito los und dieses Mal direkt auf die Autobahn. Mein Vater dreht sich auf seinem Sitz noch einmal so, dass er zu uns nach hinten schauen kann und strahlt mich sanft an. Er dankt Seto für den kurzfristig genehmigten Urlaub.
 

Mein Blick schnappt zu meinem Drachen, der mich sanft anlächelt. Er meint leise zu mir, dass er meinen Vater eingeladen hat, weil wir in den letzten Monaten wirklich kaum Gelegenheit gefunden haben etwas Zeit miteinander zu verbringen. Dankbar lächle ich zurück zu meinem Geliebten, lege meine Lippen auf seine und zieh ihn in einen liebevollen Kuss, den er nur zu gern erwidert.
 

Nicht nur Akito ist ein Organisationstalent.
 

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Einen Schritt zu einem neuen Freund?

Endlich kommen wir nach zwei Stunden Autofahrt in dem kleinen Küstenstädtchen an. Es ist kein großes Städtchen und zählt vielleicht gerade mal 50.000 Einwohnern. Die Häuser sind meist klein und stehen dicht an dicht. Vermutlich wegen den Herbststürmen, die hier zuweilen heftig auf das Land treffen können. Es ist vor allem für seinen Sandstrand und den Fischerhafen bekannt.
 

Als wir bei unserem Strandhaus ankommen steige ich aus und atme tief ein. Die Seeluft ist so viel anders, als die Luft in Domino City. Sie ist frisch und salzig. Ein wenig riecht sie nach Fisch. Wobei das nicht ganz richtig ist. Was ich da rieche ist eigentlich Dimethylsulfid, welches vom Phytoplankton im Meer abgegeben wird. Kurz gesagt: Bakterienpupse!
 

Ich klatsch mir an die Stirn und zieh damit sofort die Aufmerksamkeit aller auf mich. Also grins ich kurz verlegen, entschuldige mich und tadle mich selbst mental. Einerseits, weil es doch egal ist, warum es hier so riecht, wie es riecht. Solang ich es gerne rieche könnte es auch Häufchen von Gojira sein. Andererseits klang ich gerade wie mein großer Bruder, der auch alles eher analytisch sieht und dadurch oft die Schönheit der Natur übersieht.
 

Während die anderen ihr Gepäck ausladen mein ich kurz zu Seto und Akito, dass ich mal flugs zum Strand gehe und später auspacken werde. Schnell schlüpf ich noch aus meinen Schuhen und laufe dann los, bevor einer der beiden widersprechen kann. Ich brauch jetzt einfach kurz Abstand, denn immerhin hab ich zwei Stunden am Rande mitbekommen, wie mein Bruder und Katsuya rumgeschmust haben.
 

Meine Gefühle sind längst nicht mehr so stark, wie noch vor ein paar Wochen und das ist allein Yugis und Ryous Verdienst. Sie haben mich gut abgelenkt und viel mit mir über meine Gefühle gesprochen. Klar, ich weiß jetzt, dass es sich vermutlich nur um eine Verliebtheit handelt und nicht um Liebe. Dennoch lindert diese Erkenntnis nicht wirklich die Intensität meiner Gefühle. Das hat nur der Abstand bewirkt, den ich durch Yugi und Ryou zu Katsuya gewinnen konnte.
 

Noch immer ertapp ich mich hin und wieder, wie ich Seto beneide und mir wünsche hier und da mal mit ihm den Platz zu tauschen. Aber vermutlich wünsch ich mir einfach nur jemanden, der mich genauso aufrichtig und vorbehaltlos liebt, wie Katsuya Seto. Jemand, dem es egal ist, dass wir Geld haben und nur mich als Person sieht. Vielleicht... find ich so jemand ja an meiner neuen Schule und mit meinem neuen Familiennamen wird keiner sofort vermuten oder wissen, dass ich Geld hab. Ich werde völlig inkognito sein. Selbst meine Schuluniform ist von der Stange.
 

Als ich an unserem Strandhaus vorbei bin und den hinteren Garten durchquert habe führt mich ein kleines, hölzernes Türchen, dass im Zaun eingelassen ist, auf einen Strandweg, der mit Holzplanken befestigt ist. Irgendwo hab ich mal gelesen, dass diese Holzplanken von untergegangenen Schiffen stammen sollen, die an den Strand angeschwemmt worden sind. Dieser Weg wurde vor mehr als hundert Jahre angelegt und dennoch ist er in einem tadellosen Zustand.
 

Auf der einen Seite des Weges reihen sich die Grundstücke mit den Ferien- und Strandhäusern in den unterschiedlichsten Größen, Formen und Farben. Alle diese Grundstücke haben zum Strand rausgehend einen Garten, vermutlich weil es sich abends darin bequem sitzen und auf das Meer blicken lässt.
 

Weiter vorne kann ich erkennen, wie der hölzerne Weg in eine großzügig angelegte Promenadenlandschaft übergeht. Dort stehen dann auch keine Wohnhäuser mehr, sondern Geschäfte und Cafés mit darüber liegenden Wohnungen. Dennoch sind auch diese Häuser kaum höher als zwei Geschosse. Die Promenade bietet einige Baumbepflanzungen, die den Strandflair einfangen und ergänzen sollen.
 

Der Strand ist hier, wo unser Haus ist, relativ leer, während er bei der Strandpromenade recht gefüllt wirkt. Vielleicht liegt es daran, dass die meisten Besucher denken, dass der Strand bei den Häusern privat ist. Tatsächlich hat mein Bruder versucht den Abschnitt vor unserem Haus als Privatstrand deklarieren zu lassen, doch durchgekommen ist er damit nicht. Das hat ihn vor zwei Jahren echt fuchsig gemacht.
 

Gedanken verloren trete ich von dem hölzernen Weg auf den sandigen Strand und mach zwei Schritte, bevor mir auffällt, wie unglaublich heiß er ist. Ich beginne rum zu hüpfen und meine Füße irgendwo in Sicherheit zu bringen. Zurück auf den Weg zu treten fällt mir dabei natürlich nicht ein.
 

Doch weiter Richtung Wasser fällt mir ein Handtuch auf und ich hüpfe darauf. Dabei spritze ich Sand auf die Person, die auf dem Handtuch liegt und die sich erschrocken zu mir dreht. Es ist ein Junge, vielleicht in meinem Alter, mit kurz geschnittenem, türkisen Haar. Erst wirkt er relativ ungehalten über mein Auftreten, doch dann mustert er mich mit seinen blauen Augen. Seine Mimik lockert sich etwas und er beginnt zu lächeln, während er sich aufsetzt.
 

Ich entschuldige mich und stammle mir dabei einen Wolf. Keine Ahnung, warum ich gerade keinen Satz gerade raus kriege. Irgendwie bringen mich seine Augen aus dem Konzept. Irgendwie versuch ich zu erklären, dass ich wohl die Temperatur des Sandes unterschätzt habe und mich völlig kopflos retten wollte.
 

Das Lächeln des anderen wird etwas breiter und fragt mich nur, ob ich das erste Mal am Strand bin. Nun ja... also... eigentlich nicht und dennoch liegen zwischen den einzelnen Besuchen doch so viel Zeit, dass ich manche Sachen einfach nicht parat habe. Mit einer Geste bietet mir der andere Platz auf seinem Handtuch an. Kurz zögere ich, bevor ich mich neben ihn setze. Ich mein, wir sind an einem öffentlichen Platz und das Handtuch ist kein Auto, also was ist schon dabei.
 

Der andere fragt mich, ob ich nicht etwas unpassend gekleidet bin für den Strand. Tatsächlich hab ich noch meine Jeans und ein Hemd an, was furchtbar unpassend wirkt. Ich muss lachen und kratze mich verlegen am Hinterkopf. Erkläre, dass wir eben erst - vor ein paar Minuten - angekommen sind und ich einfach sofort an den Strand wollte. So entwickelt sich ein nettes Gespräch zwischen uns.
 

Als ich das nächste Mal auf meine Armbanduhr schau stell ich fest, dass ich schon fast eine Stunde hier auf dem Handtuch sitze. Seto wird am Durchdrehen sein, weil ich so lange weg bin. Vor allem, weil ich mein Handy wohl im Auto liegen gelassen habe. Ich sollte also schleunigst machen, dass ich heim komme.
 

Höflich entschuldige ich mich, während ich langsam aufstehe. Der andere wirkt etwas enttäuscht, dass ich schon gehen möchte und fragt mich, ob wir uns nicht im Laufe der Tage noch mal treffen und Zeit miteinander verbringen können. Erst bin ich etwas irritiert. Wieso sollte ein völlig wildfremder Typ, der von mir mit Sand bespritzt worden ist, noch einmal Zeit mit mir verbringen wollen?
 

Dennoch nicke ich langsam und deute mit einer Kopfbewegung auf die Ferien- und Strandhäuser weiter unten. Sag ihm, dass wir in einem davon wohnen und er gern vorbei schauen kann, wenn er Bock hat. Er lächelt wieder breit und verspricht, dass zu tun. Als ich mich umdrehen und gehen möchte fragt er mich, wie ich eigentlich heiße. Man, da sitz ich ne Stunde neben ihm und uns fällt jetzt erst auf, dass wir gar keine Namen ausgetauscht haben?
 

Ich stell mich kurz mit meinem neuen Namen vor: Isono Mokuba. Es ist immer noch komisch ihn auszusprechen. Der andere meint, er freue sich mich kennen zu lernen und sein Name wäre Noa.
 

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Einen Schritt, der Freundschaften erblühen lässt

Als ich in den Garten des Strandhauses komme sehe ich meinen Dad am Grill stehen. Er wendet bereits die ersten Fleischstücke und unterhält sich mit Akito. Dabei wirken die beiden, als seien sie alte Freunde. Wann sind die beiden denn so gute Freunde geworden? Vor einer Weile, kurz nachdem Akito aus dem Krankenhaus nach Haus gekommen war, ist mein Dad für ein paar Tage eingezogen. War das vielleicht der Beginn ihrer Freundschaft?
 

Ich freu mich für beide darüber. Vermutlich durfte sich Akito den Luxus von Freunden nicht wirklich erlauben. Er hatte sein ganzes Leben allein in den Dienst Setos und Mokubas gestellt und dafür gesorgt, dass ihnen niemand mehr etwas tun konnte. Das ganze Wissen um das, was Gozaburo Seto angetan hatte, hat Akito all die Jahre alleine geschultert. Ich glaube, nicht einmal Fuguta ist im Bild, was da wirklich alles gelaufen ist.
 

Von Mokuba weiß ich, dass Akito sich mit Kai angefreundet hat. Gelegentlich lädt Kai ihn wohl zur Hausmannskost ein. Ich kenne Kai schon Jahre, aber dass er kochen kann hab ich nicht gewusst. Allerdings ging unser Verhältnis nie über ein sehr vertrautes Arzt-Patienten-Verhältnis hinaus. Klar, haben wir hier und da auch über Hobbies gesprochen, aber damals hab ich meine Energien noch nicht ins Kochen gelenkt.
 

Dann ist da noch Detective Nagasato: Bis heute Morgen hatte ich gedacht, dass Akito sich gut mit ihr versteht und da vielleicht ein Funken wäre. Doch so wie er heute Morgen ihr gegenüber reagiert hat... ich glaub, wenn da ein Funken war, ist er erloschen. Komisch... Akito war für mich nie ein Mensch mit einer Sexualität oder so... aber das ist vermutlich, wie mit den eigenen Eltern: Die möchte man sich auch nicht vorstellen, wie sie... nun ja,... ein Liebesleben haben.
 

Mein Dad hatte nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis eigentlich auch keine Freunde mehr. Klar, es gab den ein oder anderen Saufkumpane, aber Freund würde ich keinen davon nennen. Die Leute aus den Mah-Jongg-Stuben waren auch nur an seinem Geld interessiert, sofern er mal welches hatte. Von daher freut es mich für die beiden, dass sie sich als Freunde gefunden haben und so gut verstehen. Immerhin war es Akitos Idee meinen Dad zu diesem Urlaub einzuladen.
 

Otogi kommt aus dem Haus und bleibt auf der schmalen Veranda kurz stehen. Dann schließt Honda zu ihm auf. Beide lächeln, während Otogi nach Hondas Hand angelt. Schon bei unserer Ankunft vor ein paar Stunden ist mir aufgefallen, dass sich etwas zwischen den beiden geändert hatte. Wieder entspannter läuft. Der Würfelfreak zieht meinen besten Freund in das grüne Gras und zum runden Tisch. Dort lässt er sich in einen der Gartenstühle fallen und zieht Honda dabei auf seinen Schoss.
 

Honda kichert und wirkt zum ersten Mal, seit er und Otogi wieder zusammengekommen sind, glücklich und unbefangen. Man, dass muss auf der Fahrt hier her aber ein wirklich gutes Gespräch gewesen sein. Ich wär da gerne Mäuschen gewesen, aber wer weiß... vielleicht erzählt es mir Honda später noch, wenn wir mal einen Moment für uns haben. Vielleicht, wenn wir später noch eine der Spielrunden haben und wir beide aus dem jeweiligen Spiel geflogen sind?
 

Mokuba und Yugi kommen aus dem Haus und tragen zwei Salate. Einen mit Kartoffeln in Mayo und einen grünen, gemischten Salat mit buntem Gemüse. Als Mokuba die Schüssel auf den Tisch stellt treffen sich unsere Blicke. Zum ersten Mal seit Wochen bricht Mokuba diesen Kontakt nicht sofort. Im Gegenteil: Er strahlt mich förmlich breitlächelnd an, bevor er sich neben Seto in einen Stuhl setzt und Yugi sich neben ihn platziert.
 

Mein Drache fummelt sein Handy hervor, ruft eine App auf und wählt etwas aus. Plötzlich ertönt gemäßigte Musik. Zufrieden schmunzelnd steckt er sein Handy wieder weg, angelt nach meiner Hand und verschränkt unsere Finger, nachdem er sie gefangen hat. Sanft beginnt er mit seinem Daumen über meine Hand zu streicheln. Ich genieße diese Zärtlichkeit. Es hat lange gedauert, bis Seto erkannt hat, dass auch so kleine Gesten zu einer Beziehung dazu gehören. Nähe und Verbundenheit aufbauen. Ein Schmunzeln zeichnet sich auf meinem Gesicht ab.
 

Mokuba springt noch einmal auf und eilt ins Haus zurück. Scheinbar fehlt noch irgendetwas, was aber unbedingt zu so einem Grillevent dazu gehört. Kurz schau ich ihm nach und möchte schon Seto fragen, ob ihm eine Änderung an seinem Bruder aufgefallen ist. Doch vorher bemerke ich im Augenwinkel, dass jemand an der dem Strand zugewandten Seite des Gartens vorbei läuft. Jemand mit türkisenem oder grünem Haar. Doch als ich richtig hinschaue ist die Person auch schon wieder weitergelaufen.
 

Mokuba kommt zurück an den Tisch und stellt scharfe Sauce neben seinen Teller. Dann serviert mein Dad die ersten Würstchen und Frikadellen. Sofort stürzt sich Yugi auf das Angebot. Unwillkürlich frag ich mich, wie der Kurze es schafft so schmal zu bleiben, bei allem, was er sich einverleibt. Eigentlich müssten wir Yugi rollen können. Ich muss kichern, als ich mir das bildlich vorstelle und ziehe damit Setos Aufmerksamkeit auf mich. Also beuge ich mich zu ihm und erzähle ihm meinen Gedankengang. Dann muss auch mein Drachen etwas kichern.
 

Im Augenwinkel seh ich wieder türkisenes Haar auftauchen, welches aber dieses Mal stehen bleibt. Als ich hinschaue erkenne ich einen jungen Mann im Alter von Mokuba, oder etwas älter. Dann geschieht etwas, was ich nicht erwartet habe: Er ruft Mokuba bei Namen, der daraufhin aufspringt und zum Zaun läuft, der den Garten vom Strand trennt. Ich spüre, wie Seto sich etwas aufrechter hinsetzt und sein Griff sich festigt. Mit Argusaugen beobachtete er seinen Bruder und den Fremden.
 

Schließlich öffnet Mokuba das Gartentörchen und lässt den anderen Teenager herein. Er führt ihn zu uns und stellt ihn uns mit dem Namen 'Noa' vor. Ich spüre, wie meinem Drachen das gar nicht recht ist, dass sein kleiner Bruder einfach einen Wildfremden in den Garten und in unsere Runde geholt hat. Seine Anspannung ist für mich förmlich greifbar.
 

Dieser 'Noa' verbeugt sich vor uns und stellt sich noch einmal und in tadellosem Japanisch vor: Sein vollständiger Name sei Noa Bennet. Klingt irgendwie britisch oder amerikanisch, oder? Dafür ist sein Japanisch aber akzentfrei. Vielleicht kommt ein Elternteil von außerhalb und der andere Teil ist japanisch?
 

Als mein Blick zu Seto gleitet seh ich, wie er die Nackenhaare sträubt. Er wirkt ein wenig wie eine Katze, die ihr Fell aufstellt oder in diesem Fall eben einem Drachen, der seine Schuppen aufrichtet. Vorsichtig versuche ich die Aufmerksamkeit meines Geliebten auf mich zu ziehen, doch der Beschützerinstinkt ist längst in ihm erwacht und macht sich bereit, jeden, der seinem kleinen Bruder zu nahe kommt, zu vertreiben.
 

Doch auch Mokuba registriert diese Veränderung bei seinem Bruder und geht mit Noa auf die andere Seite des Gartens und setzt sich dort mit ihm auf eine Bank. Die beiden scheinen sich gut zu verstehen. Jedenfalls wirkt Mokuba so, als würde er das Gespräch mit dem anderen genießen. Immerhin bringt ihn Noa zum Lachen und was sollten wir in diesem Moment mehr wollen, als das sich Mokuba gut unterhält?
 

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Einen Schritt, um sein Selbst zu wecken

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Einen Schritt der Erlösung

Ich sitze auf dem Bänkchen weiter vorne in unserem Garten. Dem Bänkchen, auf dem ich sonst mit Noa sitze, wenn er uns hier besuchen kommt. Das hat er die letzten drei Tage getan und ich hab Hoffnung, dass er auch heute wieder kommt, sobald er bei seinem Onkel fertig ist.
 

Die sommerlichen Temperaturen sind selbst am Vormittag schon echt heftig. Doch die Meeresbrise lässt die Hitze erträglich sein. Dazu der Duft der See und das Kreischen der Möwen, die weiter vorne an der Promenade Ausschau nach Leckerbissen halten. So kann man den Sommer aushalten. Vor allem, wenn man die eigenen Füße nackt durch das leicht feuchte Gras streichen lässt.
 

Auf meinen Beinen ruht ein aufgeschlagenes Buch. Die letzte Seite hab ich vor etwas mehr als fünf Minuten umgeblättert. Liegt wohl auch daran, dass ich mich nicht wirklich darauf konzentrieren kann. Denn eigentlich sitz ich hier nicht zum Vergnügen. Ich warte. Auf Seto.
 

Als ich vor etwas mehr als einer Stunde aufgestanden bin, hatte ich nicht nur das Frühstück verpasst, nein, sondern auch keinen Seto im Haus gefunden. In der Küche hab ich dann Katsuya gefunden. Der hatte gerade mit seinem Dad am Mittagessen gekocht. Katsuya weiß immer, wo sich mein Bruder rumtreibt. Doch als ich ihn fragte, meinte der Blonde nur, er habe keine Ahnung. Wer's glaubt. Aber gut, soll er es für sich behalten.
 

Gerade als ich mich abwenden und wegstapfen wollte reichte mir Katsuya plötzlich eine abgedeckte Schale. Als ich den Deckel wegnahm sah ich etwas Reis, darüber ein Ei, welches langsam stockte, sowie frisches, kleingeschnittenes Gemüse. Wie hätte ich denn so böse auf Katsuya bleiben können? Und als ob er meine Frage gehört hätte, schenkte er mir ein Lächeln.
 

Jetzt so im Rückblick stell ich fest, dass sein Lächeln nicht mehr dieses blumige Gefühl in mir auslöst. Irgendwas hat sich in mir verändert. Ich hab Katsuya immer noch lieb, aber... ich glaube, diese Verliebtheit ist abgeebbt oder... verschwunden? Keine Ahnung, wann das geschehen ist. Mir ist es gerade einfach bewusst geworden, als hätte jemand das Licht in einem dunklen Raum angemacht. Merkwürdig. Soll ich darüber jetzt traurig sein oder mich freuen?
 

Es macht das Zusammenleben auf jeden Fall wieder einfacher. Immerhin sollte ich jetzt nicht mehr ständig meinem Bruder neidische Blicke zuwerfen, wenn er mit Katsuya rumschmust oder ich mitbekomme, wie sie intim werden. Und manchmal ist das kaum zu überhören. Wie gestern Nacht.
 

Ich hab mit Noa noch ein wenig hier auf dem Bänkchen gesessen und geredet. Plötzlich blickte Noa an mir vorbei und etwas nach oben. Als ich seinem Blick gefolgt bin hab ich Seto und Katsuya im Fenster stehen sehen. Seto mit strengem Blick, der auf uns gerichtet war. Katsuya hat ihn dann weggezogen und dann...
 

Meine Wangen haben wie Feuer gebrannt, als ein paar Minuten danach die beiden durch das leicht geöffnete Fenster deutlich zu hören waren. Und auch jetzt muss ich mir die Hand vor das Gesicht legen, denn ich kann spüren, dass es mir erneut die Verlegenheit ins Gesicht treibt. Ich gönn Seto ein aktives Sexleben, aber Himmel, kann er nicht vorher das Fenster schließen?
 

Das Gartentörchen quietscht leise und reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blickte auf und sehe, wie Seto mich überrascht mustert. Er hat mich wohl nicht hier um diese Uhrzeit auf der Bank erwartet. In einer seiner Hände trägt er eine Thermo-Tasche, oder wie man die Dinger nennt, die dafür sorgen sollen, dass TK-Ware auf dem Heimweg nicht ganz auftauen.
 

Ich klappe mein Buch zusammen und leg es neben mich auf die Bank. Dann deute ich auf die freie Fläche neben mich und gebe Seto zu verstehen, dass er sich setzen soll. Doch er meint, dass er kurz das Eis reinbringen möchte. Eis? Was für Eis? Woher? Mein Bruder seufzt und öffnet die Tüte, die starrer ist, als ich gedacht habe. Langsam hebt er einen Becher mit meinem Lieblingseis hervor. Schon am Papier, in den der Becher eingewickelt ist, erkenne ich, wo Seto gewesen ist: Bei Noas Onkel in der Eisdiele. Nein! Bei Noa in der Eisdiele, der vormittags seinem Onkel hilft.
 

Seto drückt mir den Becher in die Hand und geht dann ins Haus. Durch die Terrassentür kann ich sehen, wie er die verschiedenen Eisbecher verteilt. Katsuya küsst er kurz, als er diesem seinen Becher gibt. Dann kommt Seto mit dem letzten Becher wieder zu mir zurück. Er reicht mir einen Löffel und setzt sich dann neben mich, bevor er einen Löffel von seinem Eis nimmt. Scheinbar schmeckt ihm das Eis.
 

Als er merkt, dass ich mein Eis nicht anrühre, fragt er mich, was los ist. Ich frag ihn - obwohl ich die Antwort ja schon weiß - woher er das Eis hat. Mein Bruder antwortet mir, dass es ein Stück den Weg hinunter an der Promenade eine Eisdiele gibt. Okay, er macht also keinen Hehl daraus, wo er das Eis her hat. Noch ehe ich was erwidern kann, meint er zu mir, er solle mir einen Gruß von 'DIESEM' Noa ausrichten.
 

DIESEM Noa? Ja, wie viele Noas kennen wir denn, dass er ihn immer mit 'DIESEM' bezeichnen muss? Perplex schaut mich Seto an und mir wird klar, dass diese Frage gerade aus mir raus geplatzt ist. Dann senkt er seinen Blick auf seinen Eisbecher. Langsam seufzte ich und rück etwas zu ihm auf. Noa ist Noa. Nicht 'DIESER' Noa. Einfach nur Noa.
 

Mein Bruder nickt nur seicht. Dann sprech ich das an, weswegen ich eigentlich hier auf ihn gewartet habe: Behutsamer bitte ich Seto Noa nicht immer so anzustarren oder uns immerzu zu beobachten. Leise erwidert Seto, dass er mir das nicht versprechen kann, immerhin sei er ja mein großer Bruder. Große Brüder passen auf jüngere Geschwister eben auf.
 

Ein Schmunzeln schleicht sich auf mein Gesicht und ich lehn mich an seine Schulter. Danke ihm dafür, dass er auf mich Acht gibt. Aber ich bin mir sicher, dass Noa keine Bedrohung für mich, uns oder sonst jemand ist. Klar, ich kenn ihn erst drei Tage, aber ich hab da einfach so ein Bauchgefühl, dass er wirklich ein ganz Netter ist. Niemand, den man ununterbrochen belauern oder anfauchen muss.
 

Auf das Anfauchen schnappt Setos Kopf sofort wieder nach oben und er pocht darauf, dass er nicht fauchen würde. Ich muss kichern und rate ihm, dass er mal seinen Streuner fragen soll. Immerhin nennt er ihn Drache und manchmal vergleicht der Blonde Drachen mit Katzen. Perplex schaut mich Seto wieder an, bevor er schmunzelt und seinen Arm um mich legt, so dass ich nun an seiner Brust lehne. Er drückt mir einen Kuss auf mein Haar und meint dann, ich soll endlich das Eis essen. Es sei nämlich verdammt gut und viel zu schade, um es einfach schmelzen zu lassen.
 

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Einen Schritt ins Vatersein

Katsuyas Vater und ich stehen an der Spüle und kümmern uns um das Geschirr des Mittagessens. Mein Blick fällt aus dem Fenster in den Garten. In diesem kann ich Mokuba auf einer Decke liegen sehen, wie er in einem Buch blättert und liest. Er wirkt vollkommend anders, als noch zum Wochenanfang, bevor wir hier her gekommen sind. Es ist, als wäre ihm etwas Schweres von den Schultern gefallen, so dass er wieder unbefangen sein Leben genießen kann. Das freut mich sehr.
 

In den letzten Wochen war das Leben doch sehr anstrengend gewesen. Nicht wegen dem Schuss auf mich und meiner Genesung. Auch nicht wegen dem Umzug in das neue Haus. Oder der Sache rund um Otogi-kuns Vater. Die Anstrengung rührte davon, dass wir alle im Haus wie auf Eiern um uns herum gestakst sind. Mokuba wollte seine Gefühle für Katsuya auf keinen Fall offenbaren. Daher hatte er Abstand von ihm und seinem Bruder gesucht.
 

Katsuya und Seto haben von Mutou-kun aber von der Verliebtheit des Jüngeren erfahren. Da sie ihn nicht brüskieren oder in Verlegenheit bringen wollten, haben sie so getan, als wüssten sie nichts davon. Anfänglich hatte Seto für einen Augenblick sogar in Erwägung gezogen seine Beziehung zu Katsuya zu beenden, damit Mokuba eine Chance bei dem Blonden haben konnte. Doch zum Glück hatte Katsuya das schon geahnt und direkt klar gemacht, dass seine Liebe alleine Seto gilt und eine Trennung nichts an Mokubas Chancenlosigkeit bei ihm ändern würde.
 

Und ich mitten drin. Natürlich hab ich vor den beiden selbst gemerkt, dass Mokuba wohl Gefühle für Katsuya entwickelt hat. Schon früher, noch bevor Katsuya ins Herrenhaus gezogen ist, hatte ich gewisse Gefühle vermutet. Immerhin war Katsuya einer der Ersten gewesen, die sich mit Mokuba angefreundet hatte ohne einen Vorteil daraus zu schlagen. Oder etwas zu fordern. Der den vier Jahre jüngere Mokuba wie einen Gleichaltrigen behandelt hat. Das hat Mokuba gefallen.
 

Das leise Quietschen unseres Gartentors lenkt meine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt. So sehe ich, wie Noa in den Garten kommt und Mokuba sich breit lächelnd aufsetzt. Er bietet seinem Gast den Platz neben sich auf der Decke an und dieser zögert nicht lange. Noa erzählt Mokuba etwas, was ich aber von hier nicht verstehen kann. Doch was ich hören kann, ist, wie Mokuba vergnügt auflacht. Wie hat mir dieses Lachen in den letzten Wochen gefehlt.
 

Doch dann frag ich mich, was das mit Noa werden soll? Ist das eine Freundschaft? Es wirkt im Moment jedenfalls so. Aber für eine frische Freundschaft gehen die beiden schon ziemlich auf Tuchfühlung. Es ist jetzt nicht so, dass sie Händchen halten oder knutschen. Das mein ich damit nicht. Aber für Jungs, die sich erst ein paar Tage kennen sitzen sie zu eng zusammen und unterhalten sich auch ziemlich viel, statt irgendeinen Unsinn anzustellen.
 

Eine Beziehung wird das sicherlich nicht werden. Mokuba ist noch viel zu jung für eine Beziehung. Er kommt doch jetzt erst in die Pubertät. Wenn ich mir andere in seinem Alter ansehe, dann ist da viel Ausprobieren und Knutschen angesagt. Fummeln. Partnerwechsel im Wochentakt. Jedenfalls bei den Hetero-Kids.
 

Homosexuelle Teenies werden wohl in dem Alter eher in der Findungsphase sein. Aber selbst, wenn sie sich schon darüber im Klaren sind, dass sie nicht auf das andere Geschlecht stehen, werden sie sich bedeckt halten. Noch immer ist Homosexualität in unserer Gesellschaft ein halbes Stigma. Schwul noch immer ein Schimpfwort. Anders sein ein Grund dafür gemobbt zu werden.
 

Vielleicht... sollte ich mit Mokuba darüber sprechen, dass er seine sexuelle Neigung nicht in der Schule publik machen soll. Nicht mit jemand dort anbandeln soll. Einfach, damit keiner etwas vollkommen Natürliches dafür nutzt ihn erneut zu mobben. Es gibt in der heutigen Zeit genügend andere Möglichkeiten Gleichgesinnte außerhalb der alltäglichen Strukturen kennen zu lernen. Möglichkeiten, die ihn im Alltag vor einem Outing und den etwaigen Konsequenzen schützen. Traurig, dass man das so sehen muss. Aber ich möchte nicht, dass er noch einmal ein solches Leid erfährt, wie auf seiner alten Schule.
 

Womöglich mach ich mir aber auch zu viele Gedanken. Wenn das, was Mokuba und Noa da aufbauen, über eine Freundschaft hinaus gehen sollte, dann wird es sicherlich nicht mehr, als ein Urlaubsflirt. Einfach der erste Schritt in einer Entwicklung...
 

Ich stocke und ziehe damit Jonouchis Aufmerksamkeit auf mich. Er fragt mich, worüber ich mir gerade den Kopf zerbreche und ich sag es ihm. Kurz muss er etwas lachen und dann klopft er mir auf die Schulter. Heißt mich im Leben eines Vaters mit einem heranwachsenden Teenagers willkommen. Nicht hilfreich! Also machen wir kurz die letzten Geschirrstücke, bevor wir uns dann an den Tisch setzen.
 

Jonouchi erzählt mir, dass er sich genau die gleichen Gedanken gemacht hat, als für ihn klar wurde, dass Katsuya schwul sei. Erzählt, er habe damals versucht mit Katsuya zu sprechen, doch zu Beginn habe Katsuya seine Neigung abgestritten. Das verwundert mich jetzt. Doch Jonouchi erklärt weiter, dass er damals vermutete, dass Katsuya Angst davor gehabt haben könnte, dass er ihn als Sohn ablehnen würde. Viele Väter in unserem Land neigen dazu ihre Söhne abzulehnen, wenn sie erfahren, dass sie schwul sind.
 

Nach einem Moment setzt Jonouchi wieder an und meint, dass er einige Monate nach diesem ersten Versuch noch einen unternommen habe, um mit Katsuya darüber zu sprechen. Bei diesem Versuch habe er einfach damit angefangen, dass er ihn immer lieben würde. Katsuya habe ihn einen langen Moment gemustert und sich dann vor ihm geoutet. Darauf folgte ein langes Gespräch und in dessen Jonouchi dann erfahren hatte, dass Katsuya tatsächlich zunächst aus Angst alles verneint hatte. Aber es war die Angst davor, dass sein Vater denken könnte, er habe den Missbrauch irgendwie genossen und hätte sich deshalb entschlossen schwul zu werden.
 

Nun ja, ich denke nicht, dass Mokuba solche Ängste haben wird. Immerhin lebt Mokubas Bruder ja offen schwul bei uns und zum Anderen hat er nie Missbrauch erfahren. In dem Moment bemerken wir beide, dass wir nicht mehr unter uns sind: Noa steht in der Terrassentür und scheint gerade den letzten Satz aufgeschnappt zu haben. Geschockt schaut er uns erst an, dann entschuldigt er sich und verschwindet wieder nach draußen.
 

Sicherlich wollte der junge Mann nur kurz auf Toilette oder sich etwas zu trinken holen und jetzt ... hat er gehört, dass Mokuba einen Bruder hat. Ob er von dem Nebensatz ableiten kann, dass dieser missbraucht wurde ... keine Ahnung. Vermutlich war der Kontext zu schwammig, um da eins und eins zusammenzählen zu können.
 

Doch Seto wird schon wegen der ersten Enthüllung nicht sehr glücklich sein. Er hatte Mokuba nämlich gebeten ihn nicht aktiv als Bruder vorzustellen. Die Angst, dass Noa ein Bild von ihm in der Zeitung gesehen haben könnte und daher wissen könnte, wer er ist, ist ja auch nicht ganz unbegründet. Und schon zu oft haben Menschen versucht Mokuba finanziell auszunutzen, davor wollte Seto ihn dieses Mal bewahren.
 

Ich seufze, stehe auf und folge Noa in den Garten zu Mokuba. Ich kann meinen Sohn mit diesem Durcheinander, welches ich verursacht habe, nicht alleine lasse. Also werde ich nun mit Noa ein Gespräch führen müssen, von dem ich noch nicht ganz weiß, wie ich es anfangen soll.
 

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Einen Schritt, um Animositäten zu überwinden

Bei den Göttern ... wie ich es hasse durch eine Stadt zu bummeln. Wieso hab ich mich nur dazu breitschlagen lassen? Vor meinem geistigen Auge taucht die Antwort auf diese Frage unmittelbar auf: Katsuya, der mich mit seinen Hundeaugen anschaut. Es sei eine gute Gelegenheit zu 'socialisen' und die Freundschaft mit den anderen zu festigen.
 

'Socialisen' ... ein englisches Wort, dass in die eigene Sprache übernommen wurde und wie ein solches Wort im Alltag verwendet wird. Mich schüttelt es jedes Mal, wenn jemand so etwas ausspricht. Chillen. Cringen. Dancen. Fappen. Mich schüttelt es und Katsuya beugt sich etwas zu mir rüber. Fragt, ob alles in Ordnung ist. Klar, ist es das. Irgendwie. Solange er mich nicht hier in dieser gut besuchten Fußgängerzone alleine stehen lässt.
 

Katsuya lächelt mich an und lässt mich meine Animositäten in diesem Moment vergessen. Wenn mein Streuner lächelt, dann ist das so, als würde nach einer langen Nacht endlich die Sonne aufgehen. Es kann noch so kalt in mir sein, eine Sekunde dieses Lächeln reicht aus, damit mein Inneres sich aufwärmt und ich mich wohl fühle. Nur zu gerne würde ich ihn dafür gerne küssen, doch ... ich möchte keine ungewollte Aufmerksamkeit auf uns ziehen.
 

Nicht wie Honda und Otogi, die Arm in Arm im Gleichschritt an den Schaufenstern entlang schlendern. Ich hätte nicht gedacht, dass die beiden diese Harmonie so rasch wieder herstellen würden. Noch vor ein paar Tagen wirkten die beiden nicht so, als wären sie wieder zusammen. Doch seit unserer Fahrt hier her scheinen sie sich auf ihre alte Beziehung besonnen zu haben.
 

Plötzlich zeigt Honda mit dem Finger vor uns auf die große, bis hier her gut lesbare Anzeigetafel eines Kinos. Er fragt, ob wir nicht Bock hätten diesen neuen Film zu schauen. Sofort stellen sich mir alle Nackenhärchen. Kino bedeutet begrenzten Raum, viele Menschen und Dunkelheit. Mein Kiefer beginnt sich zu verspannen. In der Golden Week konnte ich mich vor dem Kinobesuch drücken, doch dieses Mal scheint er unausweichlich.
 

Umso überraschter bin ich, als ich plötzlich Yugi höre. Der Bunthaarige wirft ein, dass wir Mokuba nicht vergessen sollen. Dabei zwinkert er mir kurz zu und lächelt etwas. Ich hatte fast vergessen, dass Yugi und Ryou meinen nyktophobischen* Anfall in der Golden Week miterlebt hatten, als der Strom kurz ausgefallen war. Doch Yugi scheint sich noch sehr gut daran erinnern zu können und versucht mich vor einem Kinobesuch zu bewahren. Kurz lächele ich ihm dankbar zu.
 

Honda stimmt Yugi zu. Meint, er habe keinen Bock, dass Mokuba die nächsten Tage stinkig auf ihn sei. Ja, mein Bruder kann in diesem Punkt sehr nachtragend sein. Doch Otogi zieht sein Handy und schlägt vor, dass wir Mokuba einfach anrufen können. Dann könnte er zu uns kommen, wenn er Lust auf Kino hat. Wieder spannt sich mein Kiefer an. Doch bei der Kiefermuskulatur bleibt es dieses Mal nicht. Auch meine Schultern beginnen sich zu verspannen.
 

Da wirft nun mein Streuner ein, dass er seinem Dad versprochen hatte, ihm bei den Vorbereitungen für das abendliche Grillen zu helfen. Fügt noch schnell hinzu, dass er dabei nicht auf seinen besten Schüler verzichten könnte und blickt mich dabei an. Erst verstehe ich nicht. Doch dann wird mir klar, dass Katsuya von mir redet. Also trennen wir uns von Honda, Otogi und Yugi, um uns auf den Heimweg zu machen, während sie Mokuba anrufen und ihn fragen, ob er mit in den Film möchte.
 

Die Anspannung fällt zum Teil von mir ab. Ich frage mich, wann mich so etwas kalt lassen wird. Wann ich nicht mehr zurück schrecken werde, wenn es um so etwas Banales wie Kino geht. Einfach mit meinem Streuner und unseren Freunden ins Kino gehen und mich neunzig Minuten, zwei Stunden berieseln lassen. Ohne das mir der Angstschweiß ausbricht und ich nach einer Ausrede suche, um aus dem Saal zurück ins Licht zu flüchten.
 

Das vorsichtige Tasten nach meiner Hand reißt mich aus meinen Gedanken. Erst zieh ich erschrocken meine Hand weg. Doch dann fällt mir auf, dass wir die belebte Straße längst verlassen haben. Also lass ich meine Hand zurück in Katsuyas gleiten. Sofort verschränken sich unsere Finger und mehr Ruhe kehrt in mich ein. Die restliche Anspannung fällt von mir.
 

Katsuya dankt mir, dass ich heute mitgekommen bin. Ich schau ihn an. Wieder lächelt er mir zu und meint, dass er weiß, wie anstrengend so ein Bummel für mich ist. Verlegen schau ich auf den Weg vor uns. Mein blonder Streuner kommt einen halben Schritt näher an mich ran und schmiegt seine Schulter gegen die meinige. Flüstert mir zu, dass er wahnsinnig stolz auf mich ist, weil ich meine Animositäten angehe. So werden sie bald keine Macht mehr über mich haben.
 

Ich bleib stehen und schau kurz hinter uns, dann vor uns. Keiner außer uns ist gerade in dem Sträßchen unterwegs. Also beug ich mich zu Katsuya und zieh ihn in einen sanften Kuss, wobei ich meine Finger in das seidig-weiche Haar gleiten lasse. Katsuya ist überrascht, aber erwidert meinen Kuss. Als weiter vorne ein Auto an dem Sträßchen vorbei fährt lösen wir uns langsam wieder von einander. Katsuyas Lächeln ist jetzt viel strahlender.
 

Wir machen uns dran den restlichen Weg zu unserem Strandhaus zu bewältigen. In mir lodert schon wieder das Verlangen nach meinem Streuner. Und Katsuya geht es genauso. Mittlerweile erkenn ich seine Lust, wenn ich sie sehe. Also sputen wir uns ein wenig. Gerade, als mein Verlangen beginnt unerträglich zu werden, erreichen wir das Haus. Eilig schließe ich die Haustür auf und lass zuerst Katsuya eintreten. Hastig streifen wir unsere Schuhe ab und wollen schon nach oben, als ich Akito nach mir rufen höre. Ich bleibe stehen. Das Verlangen fordert, dass ich meinen Weg in unser Schlafzimmer fortsetze. Doch meine Vernunft hat die Dringlichkeit in Akitos Stimme wahrgenommen. Katsuya auch.
 

Langsam und etwas widerwillig steigen wir die wenigen Stufen wieder hinunter und betrete den großen Wohn-Ess-Kochbereich des Hauses. Dort sitzt Akito mit Jonouchi-san am Tisch. Als Katsuyas Dad mich sieht steht er auf und geht an mir vorbei. Dabei legt er mir kurz die Hand auf die Schulter. Dann angelt er nach seinem Sohn und zieht ihn mit in den Garten. Verwirrt seh ich den beiden Blonden hinterher, als Akito mich erneut anspricht.
 

Sofort gehört ihm meine Aufmerksamkeit. Er bittet mich, kurz am Tisch Platz zu nehmen. Das klingt nicht gut. Sofort frag ich nach Mokuba, doch Akito winkt nur ab. Meint, dass mein Bruder mit Noa in die Stadt ist. Dort wollten sie die anderen treffen und sich einen Film ansehen. Ich atme erleichtert auf. Setze mich dann aber wie gewünscht.
 

Ernst blickt Akito mich an. Dann erzählt er mir von seinem Fauxpas mit Noa. Davon, dass Noa jetzt weiß, dass ich Mokubas älterer Bruder bin und... Noa möglicherweise aus dem, was er gehört hat, schließen könnte, dass ich missbraucht wurde. Etwas wallt in mir hoch. Wut. Empörung. Enttäuschung. Noch letztes Jahr hätte ich mich völlig vergessen und hätte rumgetobt. Hätte Akito vorgeworfen, dass er das absichtlich gemacht hat. Doch ich weiß es mittlerweile besser und so bediene ich mich einer Methode, die mir Kai gezeigt hat. Schließlich sag ich Akito, dass er sich keinen Kopf machen soll: So etwas kann halt passieren.
 

Dann steh ich auf und ... weiß nicht so recht wohin. Doch Katsuya ist zur Stelle...
 

*Nyktophobie = Angst vor der Dunkelheit
 

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Einen Schritt, um die Fühler auszustrecken

Es ist schon komisch: Seit gestern Abend ignoriert Seto Noa vollständig. Es gibt sogar Augenblicke, da gewinn ich den Eindruck, dass Seto ihm sogar aus dem Weg geht. Sicherlich liegt das daran, dass Noa gestern etwas aufgeschnappt hat, was meinen Bruder betraf. Einerseits eben, dass Seto mein Bruder ist. Andererseits... hat Noa aus dem, was er gehört hat geschlossen, dass Seto missbraucht worden ist. Noch immer klingt für mich das Wort 'missbraucht' zu harmlos für das, was Seto erdulden musste.
 

Doch nicht nur mir ist das ungewohnte Verhalten meines großen Bruders aufgefallen. Noa nimmt mich etwas zur Seite und fragt, ob er besser gehen soll. Ich schüttle den Kopf. Was soll das bringen? Seto braucht nur ein wenig, um sich an die neue Situation zu gewöhnen. Dann wird er uns beide wieder mit Argusaugen im Blick behalten. Noa lächelt kurz und ich muss schon sagen, dass er damit einfach... attraktiv aussieht.
 

Ich stocke kurz. Ja, doch... ich finde Noa attraktiv. Sein Oberkörper ist etwas trainiert. Gestern hat er mir erzählt, dass er im Baseballteam seiner Schule ist. Er ist der, der immer den Ball wirft. Ach, ich hab vergessen, wie man den nennt. Um auf dieser Position erfolgreich zu sein braucht man eben ein paar Armmuckis. Während mir diese Gedanken durch den Kopf gehen merk ich gar nicht, wie ich Noa in seinem Muscle Shirt intensiv mustere.
 

Erst als sich Honda-kun zu mir beugt und mich flüsternd fragt, ob mir gefällt was ich sehe, wird mir bewusst, was ich da getan habe. Spüre, wie meine Wangen sofort heiß werden. Senke rasch meinen Blick. Wie gern würd ich jetzt einfach gern im Erdboden versinken. Aber kein Boden tut sich auf, um mich zu verschlucken. Nicht einmal ansatzweise.
 

Also steh ich vom Tisch auf und geh ins Haus. Dort streb ich die offene Küche und den Kühlschrank an. Ich öffne die Tür, geh in die Hocke und greife nach einem der Gel-Kissen. Dieses press ich mir dann gegen das Gesicht in der stummen Hoffnung, dass es mein Erröten lindert. Plötzlich spür ich, dass ich nicht mehr alleine bin und als ich mein Gesicht vom Gel-Kissen löse sehe ich Honda neben mir stehen, wie er einen Schluck aus seiner Soda-Flasche nimmt. Er lächelt mich wissend an.
 

Ich lege das Gel-Kissen zurück, stehe auf und schließe die Kühlschranktür. Honda-kun fragt mich, ob ich diese Oberarmmuskeln bei Noa bemerkt habe. Sofort spüre ich, wie mein Gesicht wieder aufflammt. Eigentlich erwarte ich, dass Honda-kun in schallendes Gelächter ausbricht. Doch dieser legt nur einen Arm um meine Schultern. Meint zu mir, dass ich ruhig was wagen soll. Erste Erfahrungen sollte man ganz unverbindlich sammeln ohne gleich große Verpflichtungen einzugehen. Was böte sich da besser an, als ein Sommerflirt.
 

Doch ich stammle nur blöd rum. Was, wenn Noa gar nicht schwul ist und ich Freundlichkeit mit einem Flirt verwechsel. Honda-kun zuckt nur mit den Schultern und meint, dass ich dumm sterben werde, wenn ich es nicht auslote. Mit einem Klaps in den Rücken löst er sich dann wieder von mir und geht zurück in den Garten. Dabei seh ich ihm nur fassungslos hinterher.
 

Vielleicht hat Honda-kun recht? Hier, in diesem Urlaubsort, sind wir nicht bekannt, wie ein bunter Hund. Gerade mit meinem neuen Namen muss ich nicht so sehr drauf achten, dass ich Seto mit meinem Verhalten in Verruf bringe. Und wenn Noa nicht schwul ist... nun ja... im schlimmsten Fall bricht er den Kontakt während unseres Urlaubs hier ab und ich werde ihn nie wieder sehen. Selbst wenn er den Kontakt nicht abbricht: In ein paar Tagen werden wir wieder nach Hause fahren.
 

Also straff ich mich und mach mich auf dem Weg zurück in den Garten. Dort steht Noa neben Katsuya, der gerade am Grill die Schwenksteaks wendet. Noa hält eine Soda-Flasche in einer Hand und lehnt an der Hauswand. Die beiden scheinen sich nett zu unterhalten. Dann fällt Noas Blick auf mich und er beginnt sofort irgendwie zu strahlen. Bild ich mir das nur ein? Wunschdenken? Katsuya blickt über seine Schulter zu mir und lächelt sanft. Dann bittet er Noa von drinnen den Salat zu holen. Noa nickt, löst sich von der Hauswand und geht an mir vorbei. Für einen kurzen Augenblick kommt es mir so vor, als ob er langsamer wird, als er an mir vorbei geht. Wie in so einer Romanzenschnulze, wenn alles in Zeitlupe abläuft.
 

Katsuya winkt mich zu sich und lächelt mich bis über beide Ohren an. Er beugt sich etwas zu mir und meint, dass Noa sich gerade über meinen Bezieungsstatus erkundigt hätte. Kurz steh ich auf dem Schlauch. Welchen Beziehungsstatus? Eben, raunt mir Katsuya sanft zu. Katsuya erklärt mir kurz, dass Noa ihn gefragt habe, ob ich daheim einen Freund oder eine Freundin habe. Laut dem Blonden schien Noa es gern zu hören, dass ich weder das eine, noch das andere habe. Dann sei der Türkishaarige noch etwas vertraulicher geworden und habe gefragt, ob ich mich überhaupt für Jungs interessieren würde.
 

Mein Herz macht einen Hüpfer. Heißt das, dass der andere an mir Interesse hat? Aber warum sollte er sich sonst nach meinem Beziehungsstatus und meine sexuelle Orientierung erkundigen, wenn es nicht so wäre. Plötzlich halte ich inne und schau zu Katsuya. Woher... weiß der Blonde, dass ich vor ein paar Wochen für mich entdeckt habe, dass ich auf Jungs steh? Davor hab ich immerhin für ein Mädchen in meiner damaligen Klasse geschwärmt.
 

Als ob er meine Frage gehört hat schaut mich Katsuya sanft an und für einen Moment schwant mir, dass er weiß, dass ich bis vor ein paar Tagen noch vollkommen in ihn verknallt gewesen bin. Doch das kann unmöglich sein. Die einzigen beiden, die davon wussten waren Yugi und Ryou. Die würden mich nie verraten. Also... woher...?
 

Doch Katsuya zerstreut meine Befürchtung und meint nur, er habe gesehen, wie ich Noa ansehe. Das ließ einfach nur den Schluss zu, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlen würde. Mir fällt ein schwerer Stein vom Herzen. Ich könnte weder Katsuya, noch Seto jemals wieder ins Gesicht schauen, wenn einer von ihnen wüsste, was ich für eine Weile für den Blonden empfunden habe.
 

In dem Moment kommt Noa wieder aus dem Haus, in der Hand die große Bambus-Schüssel mit dem grünen Salat. Er stellt ihn mittig auf den Tisch. Seto tut so, als wäre er gerade in seinem Tablet in ein Buch oder so vertieft. Er dreht sich nur etwas von Noa, als würde dieser ihm in der Sonne stehen und das Licht wegnehmen. Ich muss schmunzeln. Immerhin knurrt er Noa nicht mehr an. Das ist doch ein Fortschritt.
 

Schnell drück ich Katsuya einen Kuss auf die Backe, bevor ich mich von ihm löse und auch wieder zum Tisch schlendere. Dort reicht mir Noa eine Soda-Flasche, die ich dankend annehme. Wir setzen uns und ganz unauffällig angel ich unter der Tischplatte nach Noas Hand. Noch immer rechne ich damit, dass er seine Hand ruckartig wegzieht, aufspringt und davon stürmt.
 

Doch das geschieht nicht. Im Gegenteil. Als Noa meine Hand spürt, wie sie seine streift greift er nach ihr und verschränkt unsere Finger miteinander. In meinem Magen überschlagen sich die Schmetterlinge mit ihrem Flügelschlag und ich kann einfach nicht anders, als breit über das gesamte Gesicht zu grinsen.
 

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Einen Schritt nachahmen

Endlich ist Ryuji eingeschlafen. Wurde auch endlich Zeit. Er hat versucht Widerstand zu leisten. Doch die Woche hat endlich ihren Tribut gefordert und kaum lag er, war er weggedriftet. Schon die ganze Woche versucht Ryuji den Schlaf zu vermeiden. Wenn er schläft, dann nur kurz. Fast immer schreckt er aus einem Albtraum hoch. Außer Atem. Schweißgebadet. Zitternd. Ähnlich wie Seto, wenn dieser aus einem Albtraum erwacht. Nur ist Ryuji Reaktion nicht ganz so heftig.
 

Dennoch darf ich ihn nach so einem Erwachen nicht ansprechen oder berühren. Wann immer ich es versuche wird Ryuji wütend und weicht aus. Flüchtet sich regelrecht ins Erdgeschoss. Wenn ich ihm folge bleib ich auf Abstand. Beobachte, wie er sich einen Eisbecher nimmt und ihn langsam löffelt. Irgendwann hat er dann genug, bringt den Becher zurück in das Eisfach und lächelt mich an, als sei nichts gewesen.
 

Auch tagsüber versucht er so zu wirken, als sei nichts. Doch ich denke, dass Seto ihn durchschaut. Durch seine Erfahrungen kann er meinen Freund besser lesen, als ich ihn. Wusste vor mir, worum es eigentlich geht. Ihm hat sich Ryuji anvertraut. Hat sich von ihm helfen lassen. Nicht von mir. Ich müsste lügen, wenn ich behaupte würde, dass mich das nicht wurmt.
 

Warum denkt Ryuji nur, dass er mir nicht zeigen kann, dass auch er eine verletzliche Seite hat? Sollte ich nicht derjenige sein, dem er so etwas anvertrauen kann? Ich ertappe mich, wie ich erneut die gleichen Fragen durchgehe... immer und immer wieder. Wollte ich damit nicht aufhören? An der Vergangenheit kann ich eh nichts ändern. Also warum kann ich nicht aufhören, mir immer die gleichen Fragen zu stellen?
 

Eigentlich sollte ich froh sein, dass Ryuji überhaupt vertrauen kann. In der Bewährungsanhörung hat er von seiner Kindheit gesprochen. Was ich gehört habe klang furchtbar und grauenerregend. Es hätte ihn genauso werden lassen können, wie Seto lange vorgab zu sein: Jemand, der den Kontakt zu anderen ablehnt und jedem mit Misstrauen gegenüber tritt.
 

Ryuji zuckt im Schlaf etwas. Schweiß steht auf seiner Stirn. Sein Atem geht etwas schwerer. Ich rücke näher an ihn heran. Lege einen Arm um seine Brust. Vorsichtig streichle ich über seine Haut. Flüstere ihm zu, dass er bei mir ist. In Sicherheit. Bei Jou und Seto funktioniert das immer. Vielleicht ja auch bei Ryuji und mir?
 

Langsam dreht er sich in meinem Arm zu mir und presst sich an mich. Schlingt einen Arm um mich. Hält mich fest, wie ein Ertrinkender einen Rettungsring. Das ist noch nie vorgekommen. Sanft streich ich ihm durch sein schwarzes Haar. Noch immer zittert er. Dann murmelt er etwas. Was er sagt, weiß ich nicht. Kann ihn nicht verstehen, weil er gegen meine Brust nuschelt.
 

Vorsichtig streich ihm etwas Haar vom Ohr. Bitte ihn flüsternd, dass er es noch einmal wiederholen soll. Doch Ryuji dreht im Schlaf sein Gesicht mehr gegen meine Brust. Alles was ich verstehen kann ist das Wort 'verlieren'. Verlieren? Was will er verlieren? Oder nicht verlieren? Dann glaub ich meinen Namen zu hören. Träumt... träumt Ryuji von mir? Hat einen Albtraum mit - über - von mir?
 

Plötzlich zuckt Ryuji heftig zusammen und holt tief Luft, als wäre er gerade von einem Tauchgang hochgekommen. Dabei zieht er mich noch enger an sich. Ich kann spüren, wie sich seine Finger in den Stoff meines Shirts krallen. Sanft streich ich ihm über den Rücken. Das scheint ihn gänzlich in das Hier und Jetzt zu holen.
 

Sofort versucht sich Ryuji von mir zu lösen und will sich wegdrehen. Doch das lass ich nicht zu. Sanft halte ich ihn in meinen Armen, was ihn sich weiter winden lässt. Er versucht mich von sich zu schieben. Wie macht das Jou bei Seto? Der Blonde hält seinen Drachen nur und wartet. Wartet darauf, dass Seto bereit ist. Also halte ich Ryuji weiter, sag aber nichts. Und tatsächlich gibt er seinen Widerstand auf und lehnt an meiner Brust. Er scheint mit sich zu ringen. Kämpft um seine Beherrschung. Immer noch kann ich das Zittern deutlich spüren.
 

Ich bleibe einfach so mit ihm liegen und warte. Gebe ihm Zeit. Die Minuten kommen mir wie Stunden vor. Und Ryuji... presst weiterhin sein Gesicht gegen meine Brust. Was nun? Soll ich doch etwas sagen? Etwas tröstenden vielleicht? Aber was sagt man in so einer Situation? Woher weiß Jou nur immer, was er zu Seto sagen kann? ... sagen darf? Ist das ein Bauchgefühl? Vielleicht... weil er etwas Ähnliches wie Seto erleben musste?
 

Dann spüre ich, wie Ryujis Finger sich wieder lockern und der Stoff meines Shirts sich nicht mehr so spannt. Ryuji legt seinen Kopf langsam in den Nacken und blickt zu mir auf. Unsere Blicke treffen sich. Seine Augen sind leicht gerötet. Dann schiebt er sich zu mir hoch und küsst mich. Leidenschaftlich. Das überrascht mich. Woher kommt das auf einmal?
 

Seine Hände gleiten nach unten und schieben sich dann unter mein Shirt. Fahren über meine Haut nach oben und schieben dabei mein Oberteil nach oben. Kurz bricht er den Kuss mit mir und zieht es mir über den Kopf. Noch bevor ich was sagen kann verschließt er meine Lippen mit den seinigen und wirft das Shirt aus dem Bett. Ich spüre, wie mich die Leidenschaft immer mehr mitreist. Also lass ich auch meine Hände über seinen Rücken streichen.
 

Wie sehr hab ich diese Leidenschaft zwischen uns vermisst. Das Feuer, welches immer wieder zwischen uns aufloderte. Es ist, als hätte es unsere Trennung niemals gegeben. Und das fühlt sich gut an. Spüre, wie Ryujis Hände nach unten gleiten und mir die Shorts von der Hüfte schieben. Ich hebe mein Becken etwas. Dann verschwindet auch das Stück Stoff aus unserem Bett. Als ich nach Ryujis Slip taste ist dieser bereits verschwunden.
 

In unserem Kuss hat mich Ryuji auf den Rücken manövriert und hat ein Bein über mich geschoben, so dass er auf mir sitzt. Irgendwo im Hintergrund hör ich das Geräusch einer Kondomverpackung, die aufgerissen wird. Spüre, wie das Kondom über meiner Erregung abgerollt wird. Ryujis Hand massiert meinen Schaft. Eigentlich verteilt er Gleitgel...
 

Dann bricht unser Kuss, als Ryujis sich auf mir aufrichtet. Er legt den Kopf in den Nacken und stöhnt laut auf, während er sich langsam auf mich nieder lässt. Das Gefühl in meinen Geliebten einzudringen ist unglaublich intensiv. Heiß. Eng. So erregend. Es fällt mir nach all den Wochen Abstinenz schwer mich zu beherrschen und nicht sofort zu kommen. Also mustere ich Ryujis, wie er im Hohlkreuz auf meinem Schoss zur Ruhe kommt. Die Brust nach vorne geschoben. Das eigene Glied steil aufgeragt. Seine Hände auf meinen Oberschenkel ruhend. Was für ein Anblick.
 

Nachdem sich Ryujis Körper an mich gewöhnt hat beginnt er sich zu bewegen. Ich lege meine Hände auf seine Hüfte und verstärke die Abwärtsbewegung mit etwas Druck. Ryuji stöhnt erregt und lässt seine Hüfte kreisen. Dann blickt er mich mit lustverhangenem Blick an. Zieht mich an den Schultern aus dem Liegen ins Sitzen. Ich schlinge meine Arme um ihn und er zieht mich erneut in einen leidenschaftlichen Kuss. Seine Bewegungen werden schneller. Erneut bricht der Kuss, während er schwer gegen meine Lippen keucht. Und dann... kommen wir fast zeitgleich: Erst Ryuji und einen Augenblick später ich.
 

Wir klammern uns aneinander. Nach einem langen Augenblick lass ich mich zurück ins Bett fallen und zieh Ryuji mit mir, so dass er auf mir zum Liegen kommt. Wir beide ringen nach Atem, doch keiner von uns ist bereit unsere Verbundenheit und Nähe jetzt zu lösen. Also bleiben wir einfach weiterhin so liegen und genießen die Zweisamkeit...
 

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Einen Schritt näher zusammen

Wir sitzen immer noch im Garten: Noa auf der einen Seite, Seto auf der anderen. Neben ihm Katsuya, dann kommt Jonouchi-san, schließlich Akito. Zwischen Akito und Noa gibt es eine größere Lücke, in der vorhin Honda, Otogi und Yugi gesessen haben. Doch erst haben sich Honda und Otogi für heute verabschiedet, dann Yugi. Er wollte mit Ryou skypen oder so. Er vermisst seinen Freund wirklich sehr.
 

Da spüre ich, wie Noas Daumen sanft über meine Hand streichelt. Noch immer sind unsere Finger unter dem Tisch verschränkt und mein Bauch kribbelt wahnsinnig vor Aufregung. Was bedeutet das? Sind... wir jetzt zusammen? Geht das so schnell? Und wenn ja, was wird, wenn unser Urlaub endet? Fernbeziehung? Wochenendbeziehung? Oder macht man dann wieder Schluss? Da sind so viele Fragen in meinem Kopf und es werden immer mehr.
 

Plötzlich zupft Noa etwas an meiner Hand und beugt sich etwas zu mir. Fragt mich flüsternd, ob ich noch weg dürfte. Er würde mir gern etwas zeigen wollen. Warum sollte ich nicht weg dürfen? Ich nicke ihm zu und wende mich dann der Runde zu. Kurz warte ich, um einzuhaken. Dann sag ich, dass Noa und ich noch etwas an den Strand gehen. An Setos Gesicht erkenn ich, dass ihm das nicht so recht ist, aber Akito nickt und wünscht uns viel Spaß.
 

Also stehen Noa und ich auf und verlassen den Garten durch das Törchen zum Strand. Dabei ist mir gar nicht bewusst, dass die anderen sehen können, dass wir Händchen halten. Erst, nachdem wir draußen auf dem Weg sind, kommt mir dieser Gedanke und lässt mich etwas erröten. Warum, weiß ich selbst nicht. Es fühlt sich nur merkwürdig an vor Seto so etwas zu zeigen.
 

Auch hier draußen lösen sich unsere Hände nicht voneinander. Tatsächlich scheint Noa seinen Griff sogar zu festigen. Als hätte er Angst, ich würde plötzlich meine Hand wegziehen wollen. Aber das werde ich nicht. Ist mir egal, was Leute, die ich nicht kenne, über mich denken. Doch Noa lebt hier... vielleicht sollte ich mehr Rücksicht auf ihn nehmen? Oder ist es ihm auch egal.
 

Mit seiner freien Hand deutet er in die Richtung, die uns noch weiter von der Promenade wegführen wird. Ich nicke und wir schlendern gemeinsam den hölzernen Pfad entlang, bis wir alleine sind. Noa zieht mich von dem Weg auf den Strand, der trotz nächtlicher Stunde immer noch warm ist. Wir umrunden eine Düne, die uns vom Weg etwas abschirmt.
 

Langsam setzen wir uns auf den Boden. Die Wellen rauschen sanft, während sie weiter unten den Strand hinauf rollen. Irgendwo im Dünengras scheinen Zikaden zu sitzen, denn ich höre sie recht laut zirpen. Doch das Zirpen wird schnell nebensächlich, als Noa näher zu mir rückt. Er ist jetzt so nah, wie noch nie. Ich kann seine Körperwärme spüren. Das Kribbeln in meinem Bauch explodiert. Mein Herz schlägt heftiger als zuvor.
 

Dann nickt Noa nach oben und unwillkürlich heb ich meinen Blick... und werde erschlagen von einem Sternenhimmel, wie ich ihn in Domino City noch nie gesehen habe. Unzählige Lichtpunkte erstrecken sich über uns. Das ist einfach unglaublich. Selbst im Garten des Herrenhauses haben wir niemals so eine Fülle an Sternen sehen können. Dazu war einfach Domino zu nah gewesen.
 

Plötzlich spür ich Noas Atem an meinem Nacken, als er mir in mein Ohr flüstert. Eine Gänsehaut jagt mir über den Rücken und das Kribbeln in meinem Bauch breitet sich nach unten aus. Noa flüstert mir zu, ich soll zum Horizont schauen, dort wo das Meer und der Himmel verschmelzen. Als ich hinschaue sehe ich gerade den Mond aufgehen. Alle Härchen an meinem Körper stellen sich auf einmal auf. Das ist so... magisch.
 

Nachdem der Mond ganz zu sehen ist blick ich zu Noa und stell fest, dass er mich wohl die ganze Zeit über beobachtet hat. Meine Wangen röten sich sofort und ich hoffe, dass man es im Schein des Mondes nicht erkennen kann. Noa lächelt mich verträumt an. Streichelt mir sanft über die Wange. Was... was soll ich machen? Soll ich ihm auch über die Wange streicheln?
 

Doch dann nähert sich Noas Gesicht meinem und wie in Zeitlupe legt er seine Lippen auf die meinen. Küsst mich langsam und sanft. Ich schließe meine Augen. Mein ganzer Körper kribbelt. Mein Herz hüpft aufgeregt auf und ab. Da ich keine Ahnung vom Küssen habe lass ich mich von Noa führen. Er... scheint schon etwas mehr Erfahrung zu haben. Ist auch egal... es ist einfach schön.
 

Der Kuss dauert eine Ewigkeit und als Noa ihn ausklingen lässt, will ich nicht, dass er schon vorbei ist. Sein Lächeln wird noch sanfter und er streicht mir eine Strähne hinters Ohr. Flüstert mir zu, dass er mich sehr mag. Mehr als mögen. Ich kann nur nicken. Bin einfach noch vom Kuss so überwältigt, dass ich keinen Ton rauskriege. Doch scheinbar reicht das Nicken, denn sofort beugt sich Noa wieder zu mir und wir küssen uns erneut.
 

Bei den Göttern... ich hab mir immer vorgestellt, wie es ist geküsst zu werden. Doch meine Vorstellungen reichen nicht annähernd bis an die Wirklichkeit heran. Diese Küsse mit Noa... sie sind so viel besser, als meine Fantasien mit Katsuya. Diese Gefühle, die sie in mir auslösen sind so schön und doch erreichen sie langsam ein Maß, an dem ich sie kaum noch ertrage.
 

Noa scheint das zu spüren und lässt auch diesen zweiten Kuss langsam ausklingen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich im Sand liege und Noa sich über mir befindet. Mich mit seinen Augen anstrahlt. Langsam heb ich meine Hand und endlich streichel ich ihm über die Wange. Dann zieh ich ihn wieder zu mir herunter und fordere einen weiteren Kuss, den er mir nur zu bereitwillig schenkt.
 

Ich könnte für den Rest meines Lebens nichts anderes mehr tun, als mit Noa hier in der Düne rumzuknutschen. Das muss der Sinn des Lebens sein...
 

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Einen Schritt machen lassen

Als ich wach werde liege ich alleine in unserem Bett. Man, mein Drache wird immer besser darin sich unbemerkt aus diesem zu schleichen. Also steh ich auf, zieh mir Hose und Shirt über, bevor ich das Zimmer verlasse. Leise geh ich durch den Flur. Mokubas Zimmertür steht offen und das Zimmer ist leer. Kurz schau ich auf die Uhr und stelle fest, dass es schon halb vier ist. Aus Honda und Otogis Zimmer hör ich gedämpftes Stöhnen. Immer noch? Schon wieder? Scheinbar ist bei den beiden jetzt endgültig wieder alles in Butter.
 

Leise steige ich die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Alles liegt in friedlicher Dunkelheit dar. Ich halte kurz inne. Dunkelheit? Die Gemeinschaftsräume in Setos Umgebung sind niemals dunkel. Seto hasst Dunkelheit. Selbst in unserem Schlafzimmer ist immer gedämpftes Licht an. Selbst wenn wir schlafen. Denn Seto braucht immer den sofortigen Überblick über seine Umgebung, wenn er aus einem Traum aufschreckt.
 

Also taste ich nach dem Lichtschalter und als ich ihn finde erhellt sich der kombinierte Wohnraum sofort. Seto sitzt auf einem Sessel und blinzelt geblendet. Von seinem Gesicht kann ich ablesen, dass er sauer ist. So richtig sauer. Muss er auch sein, wenn er sich trotz seiner panischen Angst in die Dunkelheit setzt.
 

Langsam gehe ich zu ihm. Knie mich neben sein Bein vor den Sessel. Lege meine Hand auf die seine, die sich krampfhaft um die Armlehne krallt. Genau wie seine zweite Hand. Meine zweite Hand leg ich ihm auf die Brust. Kann spüren, wie schnell sein Herz rast. Stoisch blickt er über mich hinweg zur Terrassenfront. Seine Zähne knirschen. Das kann ich in der Stille der Nacht deutlich hören.
 

Vorsichtig löse ich Setos Hand von der Armlehne. Drehe sein Handgelenk, bevor ich einen Kuss auf seinen Handballen platziere. Sein Blick schnappt sofort verwirrt zu mir. Als er mich fragt, warum ich das tu, hör ich die Anspannung in seiner Stimme. Ich lächle ihn liebevoll an. Erkläre ihm, dass ich seine Aufmerksamkeit gewinnen wollte. Hat ja auch geklappt. Kurz blinzelt er mich ein paar Mal an, bevor sich seine Haltung etwas lockert.
 

Behutsam schieb ich mich etwas hoch. Meine Hand ist von seiner Brust an die Wange gewandert. Dann zieh ich ihn vorsichtig in einen Kuss, den er langsam erwidert. Ich spüre, wie er langsam wieder geschmeidiger wird und sich zu entspannen beginnt. Langsam schieb ich mich auf seinen Schoss, so dass ich schließlich mit gespreizten Schenkeln auf seinem Schoss zur Ruhe komme.
 

Nur langsam lass ich den Kuss ausklingen. Dabei stelle ich sofort wieder den Augenkontakt her. So wie ich von seinen blauen Augen gefesselt bin, ist mein Drachen von meinen braunen Augen fasziniert. Als ich ihn wieder anlächle, erwiderte er dieses Lächeln. Bei der Natur - Seto sieht einfach umwerfend mit einem Lächeln im Gesicht aus. Ich könnte mich glatt vergessen, doch ich muss mich jetzt erst einmal beherrschen.
 

Vorsichtig frag ich ihn, warum er in der Dunkelheit hier unten sitzt. Das Lächeln schwindet langsam, wie in Zeitlupe. Eine gewisse Ernsthaftigkeit tritt auf seine Miene zurück. Dann antwortet er mir mit einem einzigen Wort - oder vielmehr einem Namen: Mokuba. Mokuba? Stimmt ja, sein Zimmer ist leer. Ist er noch mit Noa unterwegs?
 

Mein Drache nickt und die Sorge mehrt sich wieder in seinem Blick. Leise fragt er mich, ob wir ihn nicht besser suchen gehen sollen. Eine gute Frage. Mokuba ist vierzehn, das erste Mal scheinbar richtig verliebt und mit seinem Schwarm unterwegs. Vermutlich knutschen sie irgendwo rum.
 

Geschockt blickt mich Seto an. Dann schiebt er mich von seinem Schoss und ich hab Mühe aus dem Schwung in einen sicheren Stand zu wechseln. Seto meint nur, dass wir auf jeden Fall nach Mokuba suchen müssen. Scheinbar behagt ihm der Gedanke nicht, dass Mokuba irgendwo mit Noa knutschen könnte. Sofort angle ich nach Setos Handgelenk und halte ihn ab. Zieh ihn zu mir zurück, so dass wir eng Brust an Brust stehen. Streich ihm eine Strähne aus dem Gesicht nach hinten. Dann leg ich ihm die Hand an die Wange.
 

Rumknutschen ist okay, flüstere ich Seto zu. Um ihm das zu beweisen lege ich meine Lippen auf seine. Langsam beginnen wir uns wieder zu küssen. Doch dieses Mal bricht Seto den Kuss relativ schnell. Mokuba sei noch viel zu jung, argumentiert mein Drache besorgt. Dann fügt er noch die Frage hinzu, was wäre, wenn Noa Mokuba zu etwas drängt, zu dem Mokuba noch nicht bereit ist.
 

Seto spiegelt gerade seine eigenen Erfahrungen auf seinen jüngeren Bruder. Hätte mich auch gewundert, wenn das nicht irgendwann geschehen wäre. Also versuche ich meinen Drachen davon zu überzeugen, dass das eine irrationale Angst ist, die er da gerade erlebt. Noa wird Mokuba zu gar nichts zwingen. Da bin ich mir ganz sicher und ich bete im Hintergrund zu allen möglichen Göttern und göttlichen Wesen, dass ich mich nicht täusche. Außerdem kann Mokuba sich verteidigen.
 

Wie falsch gerade dieses Argument ist, wird mir im nächsten Moment schlagartig bewusst. Seto blickt mich entsetzt an. Dann faucht er mir zischend zu, dass ihm das Selbstverteidigungstraining reichlich wenig genützt hat, als Kogoro in sein Büro im Herrenhaus eingebrochen ist und ihn überwältigt hat. Ihn fast... Setos Stimme bricht und er senkte verlegen den Blick.
 

Behutsam bring ich meinen Drachen dazu, mich wieder anzuschauen. Sanft küss ich ihn kurz und oberflächlich. Rede ihm gut zu, dass er sich nicht sorgen soll. Nicht alle Menschen sind solche Monster. Manchmal müssen heranwachsende Jugendliche sich einfach ausprobieren und eigene Erfahrungen sammeln. Unsere Rolle dabei ist hier zu sein, wenn Mokuba jemand braucht, der ihn auffängt oder ihm Fragen beantwortet, die er sicherlich früher oder später haben wird.
 

Setos sieht mich forschend an und nickt dann langsam. Dann schlingt er seine Arme um mich und schmiegt sein Gesicht an meine Nackenbeuge. Sanft umarme ich ihn und drücke ihn vorsichtig an mich. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es ist mit solchen Erfahrungen daneben zu stehen und das jüngere Geschwisterchen machen zu lassen, wenn alles in einem schreit, dass man sie beschützen muss. Doch wir können sie einfach nicht vor allem und der ganzen Welt beschützen. Schon gar nicht davor, eigene Erfahrungen zu machen.
 

Dann reißt uns das Geräusch der sich öffnenden Terrassentür aus der Umarmung. Mokuba steht in der offenen Tür und blickt uns verwirrt und überrascht an. Etwas ist anders an dem Jüngeren. Er strahlt selbst jetzt mit dem erstaunten Gesichtsausdruck regelrecht von innen heraus. Nur langsam fragt er uns, warum wir noch wach sind.
 

Seto löst sich und eilt zu seinem Bruder. Ich rechne mit einer deftigen Standpauke von Seto an seinen Bruder gerichtet. Doch stattdessen schlingt er seine Arme eng um den Schwarzhaarigen und presst ihn fest an sich. Sanft sagt er ihm lediglich, dass er das nächste Mal kurz schreiben soll, wenn er länger wegbleibt. Dann löst sich Seto wieder von Mokuba und streicht ihm sanft über die Wange. Mokuba lächelt seinen großen Bruder erleichtet an.
 

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Einen Schritt des Glücks

Die Müdigkeit greift immer wieder nach mir und ich merke, wie ich immer wieder am Gartentisch wegzunicken drohe. Die Nacht war viel zu kurz:
 

Erst hab ich bis in die frühen Morgenstunden auf Mokubas Rückkehr gewartet. Als er endlich nach Hause gekommen war hat er uns von seinem ersten Kuss mit Noa - dem ersten Mal überhaupt - erzählt. Schließlich haben Katsuya und ich ihn zu seinem Zimmer gebracht, ihm eine gute Nacht gewünscht und sind in unser eigenes Zimmer gegangen.

Doch auch dort fand ich keine Ruhe.

Noa hatte Mokuba geküsst. Ihn... gestreichelt... das brachte mich so sehr in Unruhe, dass ich noch eine ganze Weile im Zimmer rumlief. Irgendwann hatte mein Streuner sich meine Hand geschnappt und mich zurück in unser Bett gezogen, welches ich Stunden vorher leise und heimlich verlassen hatte. Er hatte mich in seinen Arm gezogen und mir erklärt, dass nichts an dem, was Mokuba uns erzählt hatte, besorgniserregend war.
 

NICHT? Dieser... Noa... hat meinen Bruder geküsst und gestreichelt! Ihn angefasst! Als... als Nächstes wird er ihn noch verführen und... und... Ich spüre Katsuyas Hand auf meiner und schau zu ihm. Sanft lächelte er mich an und seine Augen sagen mir, dass alles in Ordnung ist. Meine Verwirrung nimmt zu. Da beugt sich mein blonder Streuner zu mir und flüstert mir ins Ohr, dass ich wieder mit den Zähnen geknirscht habe. Dessen war ich mir gar nicht bewusst gewesen.
 

Mein Blick geht über den Tisch hinweg zu Honda und Otogi, die ineinander verknotet auf einem Stuhl sitzen. Von hier sieht es aus, als ob die beiden versuchen, sich gegenseitig aufzufressen. Wieso haben die überhaupt so viel Energie? Die beiden waren die halbe Nacht dabei, sich gegenseitig die Hirne rauszuvögeln. Sollten sie da nicht völlig erschöpft sein? Wieso sind die so fit?
 

Yugi kommt schließlich auch raus in den Garten und möchte sich neben Honda und Otogi setzen, entscheidet sich dann aber doch einen Platz freizulassen. Der Bunthaarige greift nach seiner Tasse, in der sich ein Kaba befindet. Er nimmt ein Schluck und dreht sich etwas weg von den beiden Knutschenden. Fast so, als wolle er sie möglichst nicht sehen. Aber sehen wäre mein geringstes Problem... die Geräusche find ich gerade viel unangenehmer. Dieses schmatzende Saugen... saugende Schmatzen...
 

Dann taucht Mokuba strahlend, frisch und ausgeruht auf der Terrasse auf. Wie kann mein Bruder so frisch sein? Er ist doch erst heute Morgen gegen vier Uhr ins Bett gegangen und wir haben jetzt erst... halb elf. Er kommt zu mir, schlingt seine Arme von hinten um meine Schultern und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Dann drückt er Katsuya, der neben mir sitzt, schließlich Akito und kommt dann zu seinem Platz zwischen mir und Yugi.
 

Gut gelaunt ruft er Honda und Otogi zu, sie sollen sich ein Zimmer nehmen. Die beiden unterbrechen ihre Knutscherei, blicken in die Runde und dann stimmt Otogi dem Vorschlag nur trocken zu. Er steht auf und zieht Honda mit sich zurück ins Haus und hoch in ihr Zimmer. Mokuba lacht amüsiert und beginnt energiegeladen mit seinem Frühstück. Fragt nach, wie wir alle geschlafen haben. Ich werf ihm nur stumm einen Blick zu und nippe an meinem Kaffee.
 

Yugi seufzt nur schwer, zieht einen Fuß auf die Sitzfläche seines Stuhles und lehnt sich gegen sein Bein. Seit Mokuba Noa kennengelernt hat, ist Yugi etwas auf der Strecke geblieben. Katsuya hat mir erzählt, dass Yugi Mokuba von seinen Gefühlen für meinen Streuner abgelenkt hat. Aber der Bunthaarige hat auch sich davon abgelenkt, dass sein Freund über die Sommerferien tausende von Meilen entfernt ist.
 

Plötzlich rutscht mein Bruder zu Yugi etwas auf, legt einen Arm behutsam um dessen Schulter und zieht ihn sanft zu sich. Er flüstert dem Bunthaarigen etwas ins Ohr, der ihn daraufhin ungläubig anstarrt. Just in dem Moment ertönt ein Klingelton aus Yugis Hosentasche. Er fischt nach seinem Telefon und als er das Display sieht, fängt er an zu quietschen. Es ist ein lautes, schrilles Quietschen, welches dazu führt, dass mir meine Ohren etwas klingeln.
 

Yugi nimmt das Gespräch schließlich an, während Mokuba seinen Stuhl wieder richtet und weiter frühstückt. Scheinbar handelt es sich um einen Videoanruf, jedenfalls hält sich Yugi das Telefon nicht ans Ohr und winkt aufgeregt in Richtung seines Displays. Aus dem Lautsprecher des Gerätes ertönt Bakuras Stimme. Seit Tagen hab ich Yugi nicht mehr so glücklich gesehen wie in diesem Moment.
 

Mein Blick wandert wieder zu meinem Bruder, der mehr als zufrieden lächelt. Wieso ist mein Brüderchen so zufrieden? Doch statt mir zu antworten hebt Mokuba nur kurz die Hand und signalisiert mir, ich soll mich noch einen Moment gedulden. Ich spüre, wie sich eine meiner Brauen fragend und skeptisch hebt. Schließlich nickt Mokuba Richtung Gartentor.
 

Als ob es das Normalste der Welt wäre, spaziert da Bakura von links an unserem Zaun vorbei. Yugi spricht aufgeregt in seine Kamera und bemerkt gar nicht, wie Bakura das Gartentörchen öffnet und reinkommt. Der Weißhaarige hat wohl die Tonausgabe bei seinem Handy stummgeschaltet, damit Yugi sich nicht selbst hört. Schließlich setzt sich Bakura neben Yugi und schiebt sein Handy neben das Yugis, der prompt inne hält.
 

Man kann direkt sehen, wie es in Yugis Kopf gerade rattert, als er versucht zu verstehen, warum er sich auf einem zweiten Display sehen kann. Dann dreht er seinen Kopf ein wenig und sieht Ryou in Fleisch und Blut. War das erste Quietschen schon unerträglich, droht das folgende mir die Trommelfelle zu zerreißen.
 

Yugis Freude überschlägt sich förmlich. Nicht nur stimmlich. Er springt seinen Freund regelrecht an, wodurch dessen Stuhl nach hinten kippt und sie sich anschließend über den Boden wälzen. Durch das Gras. Richtung Zaun. Schließlich durch einen Busch aufgehalten werden. Der Bunthaarige überschüttet seinen Freund regelrecht mit Küssen und ich frag mich, ob wir nicht irgendetwas tun sollen? Nicht... dass Yugi seinen Freund vor lauter Freude zu Tode... kuschelt.
 

Doch Katsuya, Akito und Jonouchi-san setzen ihre Unterhaltung fort, als sei nichts geschehen und Mokuba grinst wie ein Honigkuchenpferd. Vielleicht... sollte ich mich zurücklehnen und entspannen. Bakura meldet sich schon, wenn er Hilfe braucht. Hoff ich... Inständig.
 

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Einen Schritt nicht machen dürfen

Scheinbar besagt ein ungeschriebenes Gesetz für den Sommerurlaub, dass man jeden Tag grillen muss. Auf jeden Fall steht Jonouchi-san erneut an unserem Grill und bringt ihn auf Temperatur. Das Grillen ist in einer Grauzone für mich. Ich verabscheue westliches Essen, vor allem, was in gehobenen Kreisen konsumiert wird. Aber Burger sind okay. Jedenfalls, wenn es sie nicht jeden Tag gibt. Wie... im Moment...
 

Da fällt mein Blick auf Noa. Seit der Mittagszeit ist er da. Schon wieder. Sitzt hinter Mokuba, die Arme um die Hüfte meines Bruders geschlungen. Seinen Kopf auf Mokubas Schulter. Im Moment hält er Mokubas Hände in seinen. Gelegentlich streichelt er ihm über den Unterarm. Platziert einen Kuss am Nacken meines Bruders. Ich beobachte ihn ganz genau. Wenn seine Hand auch nur einmal an eine unangemessene Stelle zuckt, dann wird er es bereuen.
 

Da spür ich Katsuyas Ellenbogen in meinen Rippen. Nicht das erste Mal heute. Scheinbar hab ich wieder mit den Zähnen geknirscht, was ich immer dann mach, wenn mir was nicht passt. Und es passt mir gar nicht, wie vertraut dieser Noa mit meinem Bruder umgeht. Mokuba ist doch erst vierzehn und hat noch jede Menge Zeit, sich einen Freund anzuschaffen und seine ersten Erfahrungen zu machen.
 

Langsam löst sich Noa von meinem Bruder und entschuldigt sich kurz bei allen am Tisch. Dann verschwindet er in unserem Haus, auf dem Weg zur Toilette. Nach einem Augenblick steh auch ich auf und sofort fragt mich Katsuya, wohin ich möchte. Mein Blick schweift über den Tisch und da fällt mir auf, dass eine der Wasserflaschen leer ist. Also werde ich mal volle Flaschen holen gehen.
 

In der Küche hol ich zwei frische Flaschen aus dem Kühlschrank und stell sie auf die Anrichte. Ich kann die Spülung des Gäste-WCs hier unten hören. Sehr gut, jetzt werde ich mir Noa schnappen und ihm klar machen, was ihm blüht, wenn er Mokuba weh tut. Im Gäste-WC wird das Wasser am Waschbecken aufgedreht, kurz darauf wieder abgedreht und der Riegel der Tür zurück schnappen gelassen. Ich mache mich bereit.
 

Doch plötzlich umschlingen mich zwei Arme und lassen mich zusammenzucken. Honigbraune Augen sehen mich fragend an. Katsuya lächelt mich sanft an und fragt, was los sei. Verwirrt seh ich ihn an und frage, was er meint. In dem Moment kommt Noa aus dem Flur zum Gäste-WC, schaut zu uns und lächelt nur, bevor er wieder in den Garten verschwindet. Verdammt.
 

Katsuya fängt meinen Blick wieder ein und legt seine Hand an meine Wange. Flüstert mir ruhig zu, dass alles in Ordnung ist. Noa sei ein guter Junge und keine Gefahr, weder für Mokuba, noch für sonst jemand. Ich nicke nur. Schon seit Mokuba von seinem ersten Kuss erzählt hat, wiederholt Katsuya das. Es kann doch nicht schaden, Noa klar zu machen, was ihm blüht, wenn er meinem kleinen Bruder etwas tut.
 

Mein blonder Streuner seufzt schwer, gibt mir einen liebevollen Kuss und greift sich eine der Wasserflaschen. Also nehm ich die andere und folg ihm. Als wir raustreten sitzt Noa wieder hinter Mokuba, der es sich zwischen Noas Schenkel bequem gemacht hat und sich an ihn kuschelt. Verliebt schaut mein Bruder über seine Schulter und redet mit Noa über... Rollenspiele. Schwups klinken sich auch Yugi und Bakura in das Gespräch ein.
 

Wenigstens beschränken sich die Intimitäten eine Weile auf Händchenhalten, unschuldiges Streicheln der Arme oder Anlehnen. Irgendwann gesellt sich Katsuya zu seinem Vater an den Grill, um ihm mit den Burgern zu helfen. Akito nutzt die Gunst des Augenblicks, um zu mir aufzurücken. Beiläufig fragt er mich, wie ich mich fühle, wenn ich sehe, wie mein Bruder mit jemand, den wir kaum kennen, so vertraut umgeht.
 

Aus irgendeinem Grund ist es mir peinlich, dass Akito wohl gemerkt hat, dass ich damit Probleme habe. Also senk ich meinen Blick auf meine Hände, die in meinem Schoss gefaltet liegen und konzentriere mich kurz auf meine Technik, die mir hilft nicht zu erröten. Doch ich werde davon abgelenkt, dass Akito mir behutsam seine Hand auf die Schulter legt und mich damit dazu bringt, wieder zu ihm aufzuschauen.
 

Der Blickkontakt zwischen uns dauert einen langen Augenblick. Dann antworte ich ihm leise, dass es mir damit nicht gut geht und breche wieder den Blickkontakt. Natürlich wünsch ich mir, dass Mokuba glücklich ist und jemand findet. Aber ich finde eben auch, dass er noch zu jung dafür ist. Das bringt Akito etwas zum Schmunzeln. Erwidert, dass es ihm auch schwer fällt Mokuba einfach machen zu lassen. Überrascht schau ich wieder zu ihm auf.
 

Akito erklärt, dass alle Eltern durch diese Entwicklung ihrer Kinder müssen. Eltern? Ich meine, ja... so gesehen ist Akito Mokubas und mein... Mokubas Ziehvater, er hat ihn ja auch adoptiert. Aber wie trifft das auf mich zu? Als ob er meine Frage erkannt hat, setzt Akito an und erklärt, dass auch ich in gewisser Weise eine Vaterfigur in Bezug auf Mokuba bin. Verdaddelt blick ich Akito an und lass seine Worte auf mich wirken.
 

Ein Kichern zieht sofort meine Aufmerksamkeit auf sich: Mokuba, der von Noa gekitzelt wird. Wieder knirschen meine Zähne. Dieses Mal auch so laut, dass es mir selbst auffällt. Ich steh auf und geh um den Tisch, als sich auf einmal Otogi vor mich schiebt. Also mach ich einen Schritt nach links und Otogi macht in dem gleichen Augenblick einen Schritt nach rechts. Unsere Situation ist unverändert. Also mach ich einen Schritt nach rechts und im selben Moment geht Otogi einen Schritt nach links.
 

Genervt beginne ich, mir die Nasenwurzel zu massieren. Zu wenig Schlaf, leichte Kopfschmerzen und ständig kommt mir jemand in die Quere, wenn ich mit Noa mal ein Wörtchen reden möchte. Als ich wieder zu Otogi schau, erkenne ich ein schiefes Grinsen in seinem Gesicht. Er ... hat sich mir absichtlich in den Weg gestellt?
 

An Otogi vorbei kann ich Mokuba sehen, wie er uns beide beobachtete, während Noa sich mit Yugi und Bakura weiter über Rollenspiele unterhält. Als ich unauffällig über meine Schulter blicke, sehe ich, dass auch Katsuya zu mir schaut. Dann spricht mich Otogi an und bittet mich ihm zu helfen. Dabei deutet er mit einer Hand zur Terrassentür und das Innere des Hauses. Langsam drehe ich mich um und trete von der Terrasse zurück ins Haus. Otogi folgt mir.
 

Im Wohnraum bleib ich stehen und schau durch die Fensterfront hinaus in den Garten. Mein Blick auf Mokuba und Noa gerichtet. Da hör ich Otogi, dass ich mir keine Sorgen machen soll. Kurz blicke ich den Schwarzhaarigen an, der wieder breit grinst. Er versichert mir, dass alle Anwesend ein Auge auf Mokuba haben und sie niemals zulassen, dass Noa etwas tut, was dieser nicht auch möchte.
 

Ich fühl mich im ersten Moment entblößt. Wieder springt mein Blick von Otogi zu Mokuba im Garten. Eigentlich... sieht mein Bruder nicht aus, als ob es ihm unangenehm wäre, wie Noa mit ihm umgeht. Also nicke ich und erwidere, dass ich mich darauf verlasse. Otogi klopft mir freundschaftlich auf die Schulter. Meint nur, dass ich das ruhig kann, dafür wäre Familie doch da.
 

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Einen Schritt, um zu besänftigen

Der Mond ist bereits aufgegangen und unser Garten wird von einigen Leuchten erhellt. Noa sitzt - wie schon den ganzen Tag - hinter mir und hat seine Arme um meine Hüfte geschlungen. Wir unterhalten uns noch immer mit Yugi und Ryou über Rollenspiele und die Kunst, Modelle anzupinseln.
 

Stillsitzen fällt mir sonst ja recht schwer, selbst wenn ich mit den Jungs Street Combat auf der Konsole spiele. Ständig ist da dieser Drang in mir, mich bewegen zu müssen. Selbst in der Schule fiel es mir bislang immer sehr schwer die Stunde über ruhig da zu sitzen und dem Lehrer zuzuhören, wie er seinen Stoff runter rattert. Vielleicht kommt es deshalb immer wieder dazu, dass ich 'den Unterricht durch Zwischenrufe störe'?
 

Doch heute, so mit Noa ... find ich es schön, einfach nur zusammen auf einem Stuhl zu sitzen ... aneinander gekuschelt. Noch vor unserem Besuch hier am Strand hab ich nicht verstanden, was daran so toll sein soll, wenn man sich derartig auf die Pelle rückt. Immer wieder hab ich mich gefragt, warum Honda und Otogi immer gemeinsam auf dem einen Sessel sitzen müssen. Oder wieso Ryou und Yugi immer Händchen haltend rumrennen.
 

Aber mittlerweile... kann ich dieses Bedürfnis echt gut verstehen. Im Moment kann ich selbst kaum genug davon kriegen und genieße jede Berührung von Noa. Bei dem Gedanken, dass unser Urlaub hier am Strand bald enden wird, bildet sich in meinem Bauch ein Knoten. Ob ich Noa einfach mit nach Hause nehmen kann? Ich könnte ihn in einem meiner Koffer verstecken. Das würde doch keinem auffallen.
 

Eine Bewegung am Tisch weckt mein Interesse und zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Seto, der aufsteht. Er beugt sich noch einmal zu Katsuya und gibt ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er ins sanft beleuchtete Haus geht. Sicherlich muss er einfach nur mal auf die Toilette. Nur noch am Rande bekomme ich etwas von dem Gespräch über Rollenspiele mit. Dann löse ich mich von Noa und verspreche, dass ich gleich wieder zurückkommen werde.
 

Ich folge meinem Bruder ins Haus und bin überrascht, als ich feststelle, dass er gar nicht auf Toilette wollte. Tatsächlich sitzt Seto in einem Ohrensessel und hat ein Buch in der Hand, welches er wohl gerade aufschlagen wollte. Mit einer ebenso großen Überraschung sieht er mich an. Dann senkt er seinen Blick auf das Buch und schlägt es auf. Scheinbar denkt er, dass ich nur auf Toilette möchte.
 

Umso verblüffter blickt er zu mir, als ich zu ihm komme und mich neben ihn auf den großzügigen Sessel schieb. Vorsichtig lege ich meine Arme um seine Schultern und lehn meinen Kopf an ihn. Seto legt das Buch auf seinen überkreuzten Beinen ab und schiebt sich so, dass er auch einen Arm um mich legen kann. Stumm genießen wir diesen Moment.
 

Wieder spür ich tiefe Dankbarkeit für Katsuya. Noch vor acht Monaten wäre so etwas mit meinem Bruder nicht möglich gewesen. Wenn überhaupt, ertrug er nur sehr kurz anhaltende Umarmungen. Nur wenn ich Albträume hatte, hat er sich ein paar Minuten zu mir gelegt. Doch schon beim Wegdämmern hab ich dann gespürt, wie er wieder aufstand, mich noch einmal ordentlich zudeckte und mich alleine ließ. Daher machen mich seine Fortschritte umso stolzer.
 

Den Rest wird er auch noch packen, da bin ich mir ganz sicher. Angefangen bei seiner übertriebenen Wachsamkeit, die er Noa und mir gegenüber an den Tag legt. Leise flüstere ich ihm zu, dass Noa sehr behutsam mit mir umgeht. Seto blickt mich ertappt und prüfend an. Sanft lächle ich ihn an. Erzähl ihm, dass Noa mich immer fragt, ob er mich küssen darf, bevor wir uns küssen. Er meine Grenzen akzeptiert und respektiert. Mich nicht bedrängt.
 

Es dauerte einen sehr langen Moment, bevor Seto reagiert. Er ringt sich ein Lächeln ab und nickt dann. Erwidert, dass er froh ist, das zu hören. Rät mir, dass ich mir Zeit lassen soll. Nichts überstürzen. Mir gut überlegen soll, was ich bereit bin Noa von mir zu geben. Das manche Sachen unwiederbringlich weg sind, sollten sie erst einmal 'verschenkt' worden sein.
 

Ich weiß, dass er mit mir gerade auf seine unbeholfene Art über Sex spricht. Noch immer kann ich mich gut daran erinnern, wie er mich aufklären wollte. Am Ende hab ich dann über Sex, die Gefahren des Geschlechtsverkehrs und Verhütung referiert. In solchen Sachen könnte man wirklich meinen, ich wäre der Ältere von uns beiden. Allerdings bin ich durch Erfahrungen nicht so gravierend vorbelastet wie Seto.
 

Da unser Urlaub sehr limitiert ist, versuche ich, Seto mit einem Versprechen zu beruhigen. Dem Versprechen, dass ich nicht mit Noa Sex haben werde. Seto schmunzelt milde, bevor er das Versprechen zurückweist. Meint, dass ich nichts versprechen soll, dessen Einhaltung möglicherweise im Eifer des Gefechtes nicht möglich sei.
 

Im ... Eifer ... des ... Gefechts? Mit großen Augen schau ich Seto nur an und er beginnt wieder rum zu stammeln. Irgendwas mit 'richtiger Augenblick', 'hochschlagenden Gefühle' und 'Feuer der Leidenschaft'. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich Seto unterstellen, dass er zu viele schnulzige Liebesromane liest. Aber Seto würde nie seine Zeit mit so einer Lektüre verschwenden.
 

Also formuliere ich mein Versprechen um. Wenn Seto es nicht annehmen möchte, dann verspreche ich es mir selbst: Ich werde meine Jungmännlichkeit nicht in einem kurzweiligen Urlaub an meine Sommerromanze verschenken. Dabei nicke ich überzeugt so fest, dass mein Nacken kurz zieht. Ich reib ihn fix etwas, damit sich die Muskulatur wieder lockert.
 

Seto schmunzelt wieder und drückt mich sanft an sich. Dann schubst er mich von sich und vom Sessel. Ich solle mich wieder um 'diesen Noa' kümmern. Verwundert dreinblickend bleib ich stehen und frag Seto, warum er immer 'dieser' vor Noa setzt. Als würde der Strand vor Noas wimmeln und er wolle auf diesen einen und keinen anderen hinweisen.
 

Jetzt ist es mein großer Bruder, der mich verwundert anschaut. Scheinbar war ihm das selbst gar nicht bewusst. Daher verspricht er mir, dass er zukünftig drauf achten wird, nicht länger von 'dieser' oder 'diesen' oder 'diesem' zu sprechen. Nur noch Noa. Schlicht. Einfach. Drei Buchstaben, zwei Kana oder einem Kanji.
 

Nochmal umarm ich ihn auf meine stürmische Art, bevor ich aus dem Wohnraum durch die Tür zurück auf die Terrasse und damit in den Garten laufe. Dort strahlt mich Noa an, der mich scheinbar vermisst hat und mich zu sich zieht, bevor er sich wieder an mich kuschelt.
 

Hach ... könnte es noch schöner sein?
 

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Einen Schritt, um einen Gang runterzuschalten

Männer denken alle sieben Sekunden an Sex. Schwule Männer alle vier Sekunden. Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Allerdings klingt es nach einem stereotypischen Vorurteil. Allerdings hab ich seit ein paar Tagen täglich rund ein Dutzend Mal Sex mit Ryuji. Nein, ich möchte damit jetzt nicht angeben. Ehrlich gesagt, hört es sich schöner an, als es ist.
 

Am Anfang dachte ich noch 'Woooaaa, da sind wir wieder'. Wir waren ja nie Kinder von Traurigkeit. Zwei, drei oder vier Mal am Tag miteinander zu schlafen, war Standard bei uns. Aber wir haben dazwischen auch noch was anderes gemacht. Mit der Clique abgehangen, in der Stadt unterwegs gewesen, ... geredet.
 

Klar, wir sind im gemeinsamen Urlaub mit unseren Freunden und haben uns auch dieses Küstenörtchen angeschaut. Doch wir reden nicht mehr miteinander. Wann auch immer ich mit Ryuji sprechen möchte, egal über was, macht er dicht und will vögeln. Immer. Ständig.
 

Dazu kommt noch sein Koffeinkonsum. Seit wir uns wieder versöhnt haben, säuft er locker die vierfache Menge von seiner Energy-Drink-Plörre. Früher - bevor er mit mir Schluss gemacht hat, um mich zu beschützen - trank er vielleicht zwei Dosen pro Tag. Derzeit trinkt er fast ausschließlich nur noch dieses Zeug. Und wenn keine da ist, sattelt er auf Kaffee. Wobei, ... kann man es noch Kaffee nennen, wenn der Löffel senkrecht stehen bleibt?
 

Wenn wir abends nach oben in unser Zimmer gehen, versucht er mir oder sich das Hirn rauszuvögeln. Nur nicht schlafen. Nur nicht träumen. Denn dann kommen seine Albträume. Die, über die er mit mir nicht redet. Wenn er dann nach zwei oder drei Stunden hochschreckt und ich ihn trösten möchte ... fängt die Fickerei wieder von vorne an.
 

Vielleicht ... sollte ich mit Jou mal darüber reden. Aber würde ich Ryuji dann nicht irgendwie bloßstellen? Oder mit Seto? Aber Seto und Ryuji sind richtig gute Freunde geworden. Würde das ihre Freundschaft nicht ... ich weiß auch nicht ... ins Wanken bringen? Ich versteh ja nicht mal, worauf ihre Freundschaft basiert. Sicherlich nicht auf Setos Frage nach der Alternative zu Gleitgel in der Golden Week, oder?
 

Eine Bewegung neben mir im Bett holt mich in das Hier und Jetzt zurück. Im Halbdunkel beobachte ich, wie sich Ryuji beginnt unruhig hin und her zu wälzen. Halbdunkel deshalb, weil im Badezimmer das Licht noch an und die Tür einen Spalt weit offen ist. Bei Seto hilft das, wenn er nach dem Erwachen aus einem Albtraum sofort sehen kann, wo er ist und wer bei ihm ist. Vielleicht ... hilft es auch meinem Geliebten.
 

Seine Atmung wird abgehackter. Flacher. Schneller. Seine Augenbrauen ziehen sich immer wieder über der Nasenwurzel zusammen. Das Zucken seiner Arme wird heftiger. Es ist, als würde er sich gegen etwas Unsichtbares, welches auf ihm hockt, wehren. Dann - im Bruchteil eines Augenblickes - sitzt Ryuji senkrecht im Bett. Die Augen weit geöffnet. Die Lippen fest aufeinander gepresst. Er versucht gleichmäßiger und tiefer durch die Nase zu atmen. Der Schweiß auf seiner Brust glitzert im Badezimmerlicht.
 

Vorsichtig setze ich mich auf und rück neben ihn. Berühre ihn nicht. Schieb mich in sein Sichtfeld, damit er merkt, dass er nicht alleine ist. Ryuji blickt mich erst kurz aus dem Augenwinkel an, bevor er ganz zu mir schaut. Langsam heb ich meine Hand und lege sie an seine Wange. An die Wange mit der Narbe. Für einen Moment duldet Ryuji meine Hand dort. Doch als ich mit dem Daumen sanft über die Haut streichen möchte, entzieht er sich der Berührung. Niemand, außer ihm, darf seine Narbe berühren.
 

Also wechsel ich die Hand und streiche liebevoll über die andere Wange. Ryuji lehnt sich in die Berührung. Noch immer heben und senken sich Ryujis Bauchmuskeln etwas schneller, während er seinen Atem in einen ruhigen Rhythmus zwingt. Unter meiner Hand kann ich ein seichtes Zitter spüren. Noch immer schaut er mich an und hat bislang nicht einmal geblinzelt. Ich rutsch noch etwas näher zu ihm, leg ihm den Arm um die Schulter und zieh ihn sanft zu mir. Erst nach einem Augenblick lässt er sich darauf ein und lehnt dann an mir.
 

Doch dann knabbert er erneut an seinen Fingernägeln, die schon ziemlich abgenagt sind. Behutsam leg ich meine andere Hand auf die seine, an der er gerade rumknabbert und unterbrech ihn. Ich weiß, dass das Knabbern an den Fingernägeln eine Übersprunghandlung meines Freundes ist. Aber ich weiß auch, dass ihm gepflegte Fingernägel eigentlich wichtig sind.
 

Ryuji presst sein Gesicht fester gegen meine Nackenbeuge ... und dann spür ich, wie er mich dort küsst. Mehrfach. Unter normalen Umständen würde mich das jetzt heiß machen. Aber ich kann ... nein ... ich will jetzt keinen Sex. Sanft stemm ich ihn etwas von mir. Mit wässrigen Augen blickt mich Ryuji an. Eine Ablehnung wird er jetzt nicht verstehen. Was mach ich nur? Mein Schwanz fällt mir sicherlich noch irgendwann ab und meine Rosette wird noch völlig ausleiern.
 

Da spüre ich, wie Ryujis Finger über meine Brust nach unten gleitet. Über die Bauchmuskeln und noch etwas tiefer. Wieder ergreife ich seine Hand und halte sie auf. Erschrocken sieht mich mein Geliebter an. Dann lass ich mich nach hinten, zurück in die Kissen fallen und zieh Ryuji gleich mit mir. Ich schlinge meine Arme und eines meiner Beine um ihn und halt ihn fest an mich gedrückt.
 

Nach einem Augenblick macht es mir Ryuji nach. Er klammert sich an mich wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Dann spüre ich etwas Feuchtes auf meiner Haut. Es dauert einen Moment, bevor mir bewusst wird, dass es Tränen sein müssen. Ryujis Tränen. Also zieh ich ihn noch etwas fester an mich und flüstere ihm sanft ins Ohr, dass ich ihn über alles liebe. Nie wieder werde ich mich von ihm wegschicken lassen oder gehen. Verspreche ihm, dass ich an seiner Seite bleiben werde. Immer.
 

Das scheint ihn etwas zu beruhigen und dann schläft er wieder erschöpft in meinen Armen ein. Kurz angel ich nach der Decke und zieh sie abermals über uns. Wenn ich diesem Mann irgendwann begegne, der die Bezeichnung 'Vater' absolut nicht verdient ... Sollte er es tatsächlich wagen, meinem Freund nach seiner morgigen Entlassung auch nur anzuschauen, dann kratz ich ihm seine scheiß Augen aus. Danach wird er einfach so verschwinden und niemand wird ihn je finden!
 

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Einen Schritt, um seiner Angst zu begegnen

Natürlich hab ich einen Führerschein. Es kommt zwar nicht oft vor, dass ich selbst fahre, aber das ist so ein Augenblick. Für heute hab ich ein sportliches, aber nicht sehr auffälliges Auto mit allen Extras gemietet. Vielleicht kauf ich das Auto auch, denn es fährt sich wirklich gut.
 

Neben mir, auf dem Beifahrersitzt, befindet sich Otogi, der unruhig immer wieder hin und her rutscht oder an seinen Fingernägel knabbert. Dunkle Ringe zeichnen sich unter seinen Augen ab und zeugen von dem Schlafmangel, den er selbst verursacht. Honda hat mich vorhin noch beiseite genommen und mir von Otogis Problemen in der Nacht erzählt.
 

Ich kann seine Probleme wirklich gut nachvollziehen, ging es mir vor einigen Monaten doch genauso. Um jeden Preis wollte ich vermeiden zu schlafen. Aus Angst. Vor meinen Albträumen. Dem damit einhergehenden Kontrollverlust. Vor allem aber, weil ich mit meinen Albträumen auch Mokuba vom Schlafen abgehalten habe. Doch Schlaf ist leider etwas Elementares und kann nicht einfach wegrationalisiert werden. Weiß ich aus eigener Erfahrung. Der Körper holt sich irgendwann, was er braucht, ob man will oder nicht. Ganz ohne Rücksicht auf den Geist.
 

Als ich das Auto auf die Autobahn lenke spreche ich Otogi an und frag ihn, wie sein Schlaf so ist. Er schenkt mir kurz einen Blick, der ergründen möchte, ob ich mir gerade einen Scherz erlaube. Dann richtet mein Beifahrer seinen Blick seitlich aus dem Auto. Erst denke ich, dass ich keine Antwort bekomme. Doch dann höre ich, wie Otogi mir leise antwortet, dass sein Schlaf unerträglich ist.
 

Vorsichtig frage ich nach, inwiefern sein Schlaf unerträglich ist. Natürlich weiß ich von Honda, dass Otogi Albträume hat. Aber das heißt nicht, dass Otogi von meiner Kenntnis weiß. Außerdem gibt es einem ein Gefühl von Kontrolle, wenn man die Wahl hat, ob man etwas erzählt oder nicht. Und ich denke, dass Kontrolle etwas ist, wonach auch Otogi gerade sucht und braucht.
 

Wieder mustert er mich kurz aus dem Augenwinkel. Dabei zieht er nebenbei seinen Fuß auf die Sitzfläche und schlingt seine Arme um das Bein. Müde lehnt er sich gegen seinen Oberschenkel und schaut mich dadurch direkt an. Dann erzählt er langsam von seinen Albträumen.
 

Auch wenn ich nach außen ruhig und gefasst bleibe, schockiert es mich zu hören, was Otogi träumt. Kein Wunder, dass er nicht freiwillig schlafen möchte. Aber man kann schließlich auch mit einigen Mittelchen schlafen ohne zu träumen. Einfach mal mit dem Hausarzt über diese Möglichkeiten sprechen. Natürlich ist das keine Dauerlösung. Es ist nur für ein gelegentliches Überbrücken gedacht.
 

Wieder mustert mich der Schwarzhaarige eingehend und stumm. Dann fragt er, was ist, wenn er mal schnell und ungeplant aufwachen muss. Das ist eine gute Frage und eine zufriedenstellende oder allgemeingültige Antwort kann ich ihm nicht geben. Es kommt immer auf das Präparat an sich an. Manche sollen nur beim Entspannen helfen, damit man besser einschläft. Andere hauen einen direkt weg. Daraufhin schüttelt Otogi seinen Kopf und meint, ihm sei das zu unsicher.
 

Zu unsicher? Dann wird mir klar, dass er befürchtet oder gar damit rechnet, dass sein Vater bei ihm einbrechen könnte. Dann wäre er ihm hilflos ausgeliefert, wenn er in dem Moment unter dem Einfluss von Schlaftabletten stünde. Ich kann diese Angst so gut nachvollziehen. Aus den Gründen hab ich nach Gozaburos Tod auch keine Schlaftabletten nehmen wollen.
 

Eine Alternative zu Medikamenten könnte ein Gespräch mit einem Therapeuten sein. Für einen Moment schaut mich Otogi an, als wolle er fragen, ob ich sie noch alle habe. Doch dann scheint ihm wieder einzufallen, dass ich mich gerade in einer Therapie befinde. Ich erzähl ihm, dass ich mich vor Monaten noch gegen die Therapiegespräche gewehrt habe. Angst davor hatte, dass Kai etwas von dem, was ich ihm anvertraue, gegen mich verwenden könnte. Doch im Großen und Ganzen kann ich heute sagen, dass mir die Therapie bereits jetzt geholfen und mein Leben verbessert hat. Otogi murmelt nur, dass er es sich überlegen wird und damit gebe ich mich in diesem Punkt zufrieden.
 

Dann kehrt Stille ein. Im Augenwinkel sehe ich, wie Otogi die Augen zufallen. Für einen Moment denke ich schon, dass er endlich etwas Schlaf findet. Doch dann spricht er mich an. Fragt, ob wir nicht lieber in Domino City shoppen gehen wollen. Statt zu antworten, stell ich ihm eine Gegenfrage. Frage, ob er das wirklich möchte. Otogi schwankt und schüttelt dann den Kopf. Also fahren wir weiter.
 

Wir lassen unsere Heimatstadt links von uns liegen und fahren weiter nach Norden. Otogi wird noch unruhiger. Knabbert wieder an seinen Fingernägel. Streng schlag ich ihm auf die Hand und er schaut mich schockiert an. Ich erinnere ihn daran, dass ich nur seinem Wunsch folge, ihn beim Knabbern zu unterbrechen. Es vergeht ein langer Moment, dann dankt mir Otogi.
 

Nach zwanzig Minuten nehm ich eine Ausfahrt und Otogi wird wieder unruhig. Er setzt seinen Fuß wieder vom Sitz und fängt an mit ihm zu wippen. Seine Hand krallt sich in das Knie des anderen Beines. Der Wagen wird langsamer und dann lenk ich ihn auf einen Parkplatz eines Supermarktes. Verwirrt blickt mich Otogi an, während ich den Motor abschalte.
 

Aus einer Tasche hinter dem Beifahrersitz hol ich ein Lederetui hervor und reich es dem Schwarzhaarigen. Dieser wirkte zunehmend verwirrter. Also bitte ich ihn das Etui zu öffnen. Mit zittrigen Fingern folgt er meiner Bitte und ist erstaunt, als der offene Reisverschluss einen Blick ins Innere erlaubt. Otogi ist so abgelenkt, dass sogar das Zittern aufhört. Dann zieht er einen Kajalstift hervor.
 

Ich dreh mich zu Otogi, der mich wieder fragend anschaut. Also sag ich ihm, dass wir seinem Vater zeigen, dass wir keine Angst vor ihm haben. Wir ihm zeigen werden, dass es uns am Arsch vorbei geht, ob er jetzt draußen rumturnt oder nicht. Ihm demonstrieren, wie gut es uns ohne ihn gegangen ist und er nichts daran ändern kann oder wird. Immerhin sind wir Geschäftsmänner und wissen, wie wir etwas verkaufen.
 

Dadurch ermutigt nickt Otogi zustimmend. Dann nimmt er das runde Wattedingens, um sich den schludrigen Kajal aus dem Gesicht zu wischen. Ich lass ihm ein paar Minuten, während er seine Blässe und die Augenringe gekonnt überschminkt, den stylischen Kajalstrich über die Narbe zieht und mich dann anlächelt.
 

Beängstigend, dass der Schwarzhaarige - genau wie mein Streuner - so wirken kann, als wäre nichts. Doch das jetzt zu kritisieren ist nicht sehr dienlich, also lächle ich Otogi nur kurz stolz an. Anschließend setze ich mich wieder richtig hin, starte den Motor erneut und fahre vom Parkplatz runter. Das Gefängnis liegt etwas außerhalb des Vorortes. Dort angekommen parken wir genau gegenüber dem Ausgang des Gefängnisses. Kurz frag ich Otogi, ob er aussteigen möchte, doch er schüttelt den Kopf. Ich akzeptiere diese Entscheidung.
 

Wir stehen noch nicht lange, als das Tor zur Seite rollt. Dahinter ist ein zweites Tor zu sehen, dass geschlossen ist. Zwischen den Toren gibt es gerade so viel Platz, dass ein einfacher Bus darin Platz hat. Doch jetzt steht da kein Bus, sondern ein Mann mit einer Papiertüte. Er tritt über die Schwelle. Otogi hält sein Pokerface. Das Tor schließt sich hinter Otogis Vater. Dieser blickt nach links und dann nach rechts, als plötzlich ein unauffälliger, dunkler Wage vor ihm hält und Detective Nagasato und ihr Partner aussteigen. Sie weisen sich scheinbar aus und dann halten sie Otogi Senior die hintere Wagentür offen, der nur widerwillig einsteigt und dann von ihnen mitgenommen wird.
 

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Einen Schritt voller Verwirrung

Ich verstehe das nicht. Was ist da vorhin passiert? Er war doch kaum raus aus dem Knast, da hat ihn diese Detective mitgenommen. Die, die für Setos Fall verantwortlich ist. Aber es sah nicht aus, als wär der Alte verhaftet worden. Aber warum sollte sie ihn dann mitnehmen? Oder hat er sie gefragt, ob sie ihn mit in die Stadt nimmt, statt den scheiß Bus zu nehmen? Nein, dass kann ich mir nicht vorstellen. Also was ist da passiert?
 

Wieso sind wir auch nicht ausgestiegen oder haben näher geparkt, damit wir mehr mitkriegen? Vermutlich, weil ich auch so schon ein Nervenbündel war und Seto wohl gedacht hat, dass ich sonst zusammenklappe? Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Aber dann wüssten wir jetzt wenigstens, was da vor sich gegangen ist und warum die Detective mit ihrem Partner den Sack mitgenommen hat.
 

Als ich nach dem inneren Türgriff greife fällt mein Blick auf mein Hand. Scheiße sehen meine Fingernägel aus... ich muss mich echt mehr am Riemen reißen. Das geht echt nicht, dass ich sie mir fast bis aufs Nagelbett abgefressen hab. Ich brauch dringend einen Termin in einem Nagelstudio. Eine Maniküre und vielleicht Gel-Nägel, bis sie mir nachgewachsen sind. Bei der Gelegenheit könnte ich auch gleich zum Friseur und mein Frisur nachschneiden lassen.
 

Beim Aussteigen aus Setos Wagen fällt mir mein Spiegelbild im halbverspiegelten Seitenfenster auf. Selbst das Make up kann meine Augenringe nicht vollständig abdecken. An den Übergängen am Gesichtsrand kann ich sehen, wie blass ich eigentlich bin. Überhaupt seh ich mehr als fertig aus. Ich muss mein Leben endlich wieder in den Griff kriegen. Wenn ich doch nur wüsste, warum Detective Nagasato den verrückten Clown mitgenommen hat.
 

Seto kommt um den Wagen. Erst jetzt fällt mir auf, dass es sich dabei um einen kleinen Sportflitzer handelt. Hätte ich nicht so viel im Kopf, dann würde ich mir das Auto genauer anschauen und überlegen, ob ich mir nicht so einen zulege. Doch jetzt ist nicht die Zeit für solche Überlegungen. Als ich wieder zu Seto schaue steht dieser schon am Eingangstörchen zum Vorgarten des Strandhauses und wartet auf mich. Er lässt mir den Vortritt und noch auf dem Weg geht die Tür auf.
 

Ich kann einen besorgt dreinschauenden Hiroto sehen, der an der Tür auf uns wartet. Als ich die zwei Stufen hochgestiegen bin, umarmt er mich sofort und zieht mich eng an sich heran. Auch ich schlinge meine Arme fest um ihn und vergrabe für einen Moment mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Hiroto riecht so gut und am liebsten würde ich ihn jetzt hoch in unser Zimmer schleifen.
 

Sex hilft mir so gut dabei abzuschalten und den Kopf frei zu kriegen. Dann existiert der Psycho nicht mehr, der mir in den letzten Wochen das Leben so vergällt hat. Das Problem sind nur die Zeiträume zwischen dem Sex. Die Zeit, in der Hiroto reden möchte. Versteht er denn nicht, dass ich darüber nicht reden will? Nicht über den Mistkerl, nicht über meine Kindheit oder Jugend oder sonst etwas, was mit ihm zu tun hat.
 

Hiroto fragt mich, wie es war und der Anflug von Verlangen verebbt. Wäre er nicht vorzeitig entlassen worden, dann hätten ich jetzt noch knapp drei Jahre meine Ruhe gehabt. Dann hätte dieses Monster keine Gelegenheit mehr, mir die Firma streitig zu machen, denn dann wäre ich längst volljährig.
 

Daher bin ich Seto umso dankbarer, dass er mir geholfen hat. Seine Anwälte waren echt spitze und haben meine Firma und mich vorerst vor dem Zugriff des Gestörten abgesichert. Wenn er es also drauf anlegt, dann wird er rechtliche Schritte gegen die Maßnahmen einleiten müssen und dann werden ihn diese Anwälte zerfetzen. Das haben sie mir zugesichert. Aber man weiß ja nie, was vor Gericht so passiert. Richter können ja doch recht unberechenbar sein.
 

Da ich nicht geantwortet habe, schaut Hiroto nun zu Seto, der hinter mir die Haustür schließt. Ich löse mich von meinem Geliebten und bin erstaunt darüber, dass niemand hier im Wohnraum ist. Doch dann seh ich die anderen: Vor der Terrassentür, wie sie aus dem Garten zu uns schauen. Interessiert. Neugierig. Okay, Ryou und Noa wirken etwas konfus und können scheinbar nicht das plötzliche Interesse der anderen an unserer Heimkehr nachvollziehen.
 

Isono verscheucht die anderen von der Terrassentür und kommt dann ins Haus. Er schließt die Tür wieder hinter sich und geht in die Küche. Dort beginnt er uns einen Tee aufzubrühen und wir setzen uns an den Frühstückstisch. Hiroto fragt ungeduldig ein drittes Mal, wie es war. Ob wir ihn gesehen haben? Er uns gesehen hat? Worte gewechselt wurden? Welche Worte es waren? Ich würde ihn am liebsten wegschicken, denn im Moment wirkt er eher wie Mokuba, wenn dieser über irgendetwas alles wissen möchte. Dafür hab ich einfach gerade keine Kraft und Energie.
 

Dann erzählt Seto von dem, was vor dem Gefängnis geschehen ist. Währenddessen setzt Isono uns Tassen mit frischem Tee vor und reicht mir ein Milchkännchen. Ich lass reichlich von der Milch in den Tee fließen und rühre um. Hirotos Mund steht überrascht offen, als Seto an dem Punkt in der Erzählung kommt, in der Detective Nagasato auftritt. Anders wie Isono. Andererseits lässt sich Isono selten so etwas wie Überraschung anmerken. Obwohl... an Weihnachten wirkte er doch sehr überrascht über Setos Schritt, ihm ein Drittel der Firma zu schenken.
 

Ich richte mich kerzengerade auf und fragte Isono direkt, ob er was dazu weiß. Alle Blicke am Tisch richten sich erst auf mich, dann auf den Ältesten in der Runde. Er nickt. In aller Seelenruhe berichtet er davon, dass nach unserer Abfahrt Detective Nagasato angerufen habe. Dann nippt er an seinem Tee und ich frag mich unwillkürlich, ob er das absichtlich macht... uns auf die Folter spannen. Dann platzt aus mir die Frage heraus, was sie wollte. Wieder richten sich alle Blicke auf mich. Ja, Tschuldigung, aber können wir mal zum Kern kommen?
 

Isono räuspert sich und erklärt, dass er Detective Nagasato kontaktiert hatte, nachdem ich alles von meinem Vater erzählt hatte. Er habe ihr von dem vermeintlichen Mord an meinem damaligen besten Freund erzählt und sie gebeten, sich nochmal die alte Fallakte anzuschauen. Tatsächlich hat die engagierte Polizeibeamtin irgendwie einen Beschluss erwirken können, damit sie sich in dem alten Loft meines Vaters umsehen durfte. Scheinbar hat sie was gefunden und dann ein forensisches Team dazu gerufen, dass mit Spezialgeräten kam und tatsächlich etwas gefunden hat.
 

Etwas?
 

Nein. Jemanden. Und plötzlich wird ein schrecklicher Verdacht zur Gewissheit. Man hat eine Kinderleiche hinter einer der Wände gefunden. Sie haben meinen damals besten Freund gefunden. Endlich!
 

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Einen Schritt zu mehr Intimität

Ryuji sitzt ruhig auf der Kante unseres Bettes und schaut auf seine Hände. Sein Haar hängt ihm feucht über die nackten Schultern. Das Wasser sammelt sich in schweren Tropfen, die dann über seinen Rücken und die Brust nach unten laufen. Bis sie auf das Handtuch um seine Hüfte herum treffen und von ihm aufgenommen werden.
 

Langsam nähere ich mich ihm. Selbst nichts weiter am Leib, als ein Handtuch um die Hüfte. Eigentlich wollte ich zu ihm in die Dusche steigen. Doch als ich dazu stieg hatte er die Kabine verlassen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Normalerweise, wenn ich zu ihm unter die Dusche steige ergehen wir uns in Leidenschaft. Doch nicht heute.
 

Ich knie mich vor ihn, leg ihm meine Hände auf die Knie und schau zu ihm hinauf. Es braucht einige Augenblicke, bevor er mit seinen Gedanken zu mir zurück kehrt und mich anblinzelt. Sanft lächle ich ihn an. Gewöhnlich erwidert er mein Lächeln sofort. Aber auch das scheint heute anders zu sein. In seinem Blick erkenn ich nur unsägliche Traurigkeit.
 

Vorsichtig streck ich mich ein wenig und lege meine Lippen auf seine. Nur zögernd erwidert Ryuji den Kuss. Dann spür ich etwas, was ich bei ihm noch nie erlebt habe: Tränen rollen ihm über die Wangen. Der Kuss bricht und er legt seine Stirn gegen meine. Weitere Tränen drängen sich unter seinen geschlossenen Lidern hervor. Bahnen sich einen Weg über sein Gesicht. Sammeln sich an seinem Kinn. Fallen dann in die Tiefe, wo sie vom Handtuch aufgefangen werden.
 

Noch nie hab ich meinen Freund weinen gesehen. Es jetzt zu erleben, erschüttert mich. Vorsichtig heb ich meine Hände an seine Wangen und küss ihn behutsam auf die Stirn. Dann zieh ich ihn zu mir auf den Boden und umfange ihn mit meinen Armen. Sofort schlingt er seine um mich. Ich kann gar nicht genau sagen, was für Tränen es sind.
 

Tränen der Erleichterung? Erleichterung darüber, dass sein Freund aus der Mittelschule endlich seine Ruhe finden kann? Nach all den Jahren der Ungewissheit endlich Gewissheit zu haben. Wie muss das erst für die Eltern des armen Jungens sein? Ich könnte mir vorstellen, dass sie die ganze Zeit noch gehofft haben. Gehofft, dass ihr Sohn doch noch irgendwann wieder heim kommen könnte. Das muss für sie schrecklich sein.
 

Tränen des Entsetzens? Entsetzen darüber, dass die sterblichen Überreste seines Freundes in einer Wand seines Zimmers gefunden worden waren. Das er ihm ein paar Jahre so nah gewesen war, ohne es auch nur zu ahnen. Er praktisch Nacht für Nacht neben ihm geschlafen hatte. Ihn zurück gelassen hatte, als er nach der Verhaftung seines Vaters aus dem Loft ausgezogen war.
 

Tränen der Enttäuschung? Enttäuschung darüber, dass sein Vater zwar zur Vernehmung mitgenommen worden war, aber nicht wieder verhaftet wurde. Das dieser jetzt auf Staatskosten in einem mittelmäßigen Hotel untergebracht wurde, da er nicht in sein Loft zurück konnte. Scheinbar wird dort immer noch nach Spuren auf den genauen Tathergang gesucht. Daher konnte der Alte dort nicht wieder einziehen.
 

Da kommt eine Menge bei Ryuji gerade zusammen. Vor allem aber auch wieder die Angst. Die Angst vor seinem Vater, der jetzt wieder frei durch Domino City stromert. Seine Bewährung sieht vor, dass er die Stadt nicht verlassen kann. Also versuch ich Ryuji klar zu machen, dass wir hier erst einmal sicher sind. Außerdem weiß der Alte nicht, wo Ryuji wohnt.
 

Ursprünglich wollten Seto und Ryuji eine Abstandverfügung erwirken. Doch dazu hätten sie die Adressen des Wohnortes, der Arbeit und der Schule angeben müssen. Arbeit und Schule wären egal gewesen, denn diese sind allgemein bekannt und kann man in jedem Telefonbuch nachschlagen. Doch sein Wohnort... die Verfügung hätte dem Alten sofort wissen lassen, wo er seinen Sohn finden könnte.
 

Langsam beruhigt sich Ryuji wieder. Seine Finger suchen Halt an meiner Brust. Die frisch manikürte und hergerichteten Fingernägel, die abwechseln schwarz und rot lackiert sind. Ich lege meine Hand über die seine, so dass sich unsere Finger verschränken können. Sein Gesicht liegt wieder in meiner Halsbeuge verborgen, als er mir zuflüstert, dass er mich liebt.
 

Ich erwidere die Liebesbekundung und streich ihm durch das feuchte, frisch geschnittene Haar. Er löst sich etwas von mir und blickt mich dann an. Flüstert mir zu, dass er es nicht ertragen würde, wenn mir jemals etwas zustoßen würde. Wieder versichere ich ihm, dass mir nichts zustoßen wird. Ich mich nicht noch einmal von ihm wegschicken lassen werde. Wir gemeinsam seinem Vater die Stirn bieten werden.
 

Daraufhin nennt er mich dumm, bevor er seine Lippen gegen meine presst und wir uns erneut küssen. Im Kuss setzt er sich etwas auf und rutscht mit gespreizten Schenkeln auf meinen Schoss. Ihn so auf mir sitzen zu haben facht meine Leidenschaft nur noch mehr an und ich spüre, wie ich hart werde. Ebenso kann auch Ryuji spüren, wie erregt es mich macht, ihn so auf meinem Schoss zu haben.
 

Er grinst in den Kuss und beginnt mein Handtuch zur Seite zu schieben. Als nichts mehr zwischen uns ist positioniert er sich und lässt sich langsam auf mir nieder. Er stöhnt, als ich in ihn eindringe und muss den Kuss brechen. Mit einer anmutigen Bewegung wirft er seinen Kopf in den Nacken und drückt seine Brust nach vorne. Meine Hände schieben sich in sein Hohlkreuz. Dann lass ich eine langsam nach unten zu seinem festen Arsch sinken.
 

Langsam beginnt sich Ryuji auf mir zu bewegen. Stöhnt erregt im Takt seiner Bewegungen auf. Die Feuchtigkeit auf seiner Haut lässt sie glitzern und glänzen. Ich kann mich an diesem Anblick gar nicht satt sehen. Meine Erregung und die Leidenschaft unserer Liebe lassen mich alles andere beiseiteschieben oder vergessen. In diesem Augenblick zählen nur noch wir beide und die Liebe, die wir füreinander empfinden.
 

Der ganze Rest kann warten. Muss warten. Wird warten.
 

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Einen Schritt in die erste Liebe

Es ist wieder ein herrlicher Abend und ich liege mit Noa im Garten des Strandhauses und schau mit ihm in die Sterne. Mein Kopf ist auf seiner Schulter gebettet, während sein Arm meine Schultern umschließt. Sanft streichelt er mir über meinen Oberarm, während meine Hand auf seiner Brust ruht und sich mit dieser hebt und senkt. Es ist ein wundervoller Augenblick nach diesem wirren Tag.
 

Erst fahren Seto und Otogi-kun gemeinsam weg. Er hat sich dafür sogar selbst hinters Steuer geschwungen, was recht selten vorkommt, seit er seinen Führerschein hat. Also ist das schon etwas Besonderes. Aber scheinbar war Otogi-kun ihm das wert und das zeigt mir, wie sehr ihm die Freundschaft zu dem anderen Unternehmer am Herzen liegt.
 

Als sie wieder nach Hause kamen wirkten beide merkwürdig beklommen oder verwirrt? Sie haben sich dann zusammen mit Akito in die Küche gesetzt und miteinander gesprochen. Über was genau haben sie uns auch im Anschluss nicht erzählt. Sicherlich hatte das was mit Otogi-kuns Vater zu tun... oder?
 

Nach dem Gespräch war Otogi-kun aufgestanden, hatte sich Honda-kun geschnappt und hatte mit ihm zusammen das Haus verlassen. Stunden später kam er mit frisch geschnittenen und manikürten Finger wieder nach Hause. Ob auch Honda-kun sich beim Friseur oder Pflegestudio etwas hat machen lassen konnte ich nicht sagen.
 

Als wir dann zum Abendessen zusammensaßen erhielt Akito einen Anruf. Es war nur ein kurzer Wortwechsel an dessen Ende er für die Neuigkeiten dankte. Welche Neuigkeiten? Er war dann mit Otogi-kun und Honda-kun ins Haus gegangen und hatte einige Worte mit ihnen gewechselt. Daraufhin war Otogi-kun aufgebracht zur Treppe und nach oben gestürmt.
 

Nach und nach haben sich auch die anderen etwas verteilt. Seto und Katsuya sind zum Strand, während Ryou-kun und Yugi-kun sich auf die Couch zurückgezogen haben. Akito ist mit Jonouchi-san außer Haus und so blieben nur Noa und ich übrig. Und wir liegen hier im Garten auf einer Decke und schauen in den Nachthimmel hoch.
 

Eine Sternschnuppe rast über den dunklen Himmel und gerade als Noa zu mir meint, ich soll mir schnell was wünschen hören wir lautes, erregtes Stöhnen aus einem der Zimmer. Ich spüre, wie mein Gesicht schlagartig rot wird und die Verlegenheit mich dazu bringt mein Gesicht an Noas Brust zu verstecken.
 

Otogi-kun und Honda-kun könnten auch gleich hier vor uns miteinander kopulieren. Das könnte kaum peinlicher sein. Doch dann spüre ich, wie Noa anfängt zu kichern und das Kichern sich zu einem Lachen weiterentwickelt. Worüber lacht Noa so? Ich hebe meinen Kopf ein wenig, um verwirrt zu ihm zu schauen.
 

Er meint zu mir, dass die beiden - er meint Otogi-kun und Honda-kun - schon zu beneiden sind, dass sie immer noch so viel Leidenschaft miteinander teilen. Oder überhaupt scheinbar alle Paare in dieser Clique. Diese Aussage verunsichert mich jetzt schon ein wenig. Heißt das... das Noa... ähm... es auch gern tun würde?
 

Ich stemm mich ein wenig auf meinen Ellenbogen und sehe ihn ernst an. Dann erkläre ich ihm, dass ich meinem Bruder versprochen habe, dass ich noch etwas warte, bevor ich... mit jemandem so intim werde. Mein Gesicht fühlt sich an, als wäre es in Flammen aufgegangen und hätte mir die Haut verbrannt.
 

Noa lächelt mich sanft an und streicht mir dann eine Strähne hinter das Ohr. Meint zu mir, dass er das gut findet und er sich wünscht, dass er bei seinem ersten Mal auch so umsichtig gedacht hätte. Dann entschuldigt er sich bei mir dafür, dass seine Worte so klangen, als wolle er darauf hinaus, dass er mit mir schlafen wollen würde. Irgendwie macht mich diese Aussage etwas wütend. Heißt das, dass er mich nicht begehrenswert findet?
 

Entsetzt blickt mich Noa an und schüttelt rasch den Kopf. Beteuert, dass er mich natürlich begehrenswert findet und er, wenn ich irgendwann so weit bin, gern mein Erster wäre. Dabei legt er behutsam seine Hand an meine Wange und ich genieße die Kühle seiner Hand, die meine Haut etwas runter kühlt.
 

Irgendwann? Soll das heißen, dass Noa auch über den Sommer hinaus mit mir... zusammen sein möchte? Ein strahlen legt sich auf das Gesicht des Türkishaarigen und er fragt mich, was ich von einer Fernbeziehung halten würde? Wir könnten uns in den Ferien treffen, mal bei ihm, mal bei mir oder wenn es ein verlängertes Wochenende gäbe. Und dazwischen könnten wir uns ganz viele Lines (1) schicken und videochatten.
 

Ich bin einfach nur baff. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das, was wir haben, für Noa nur eine Sommerromanze sei. Doch er schüttelt nur den Kopf und meint, dass er nicht zu dem Schlag Mensch gehört, der leichtfertig sein Herz verschenkt. Er habe sich sofort, im ersten Moment, als ich mich auf sein Handtuch rettete, in mich verliebt.
 

Plötzlich fühlt sich meine Brust an, als würde sie gleich platzen. Mein Herz scheint gerade Zirkeltraining zu machen und schlägt wie wild gegen meine Rippen. Ich bin auf einmal so glücklich, dass ich nicht anders kann, als mich gegen Noa zu werfen und zu lachen. Dabei lösen sich auch einige Tränen. Die Angst, dass das mit Noa in ein paar Tage enden würde, löst sich. Dabei war ich mir gar nicht bewusst, wie massiv sie gewesen ist.
 

Noa umschließt mich mit seinen Armen und wir rollen über die Decke auf das Gras. Als wir endlich wieder zum Liegen kommen befindet sich Noa halb über mir, schaut mir tief in die Augen und bekundet noch einmal, dass er mich liebt. Dann küsst er mich zärtlich und liebevoll.
 

Hach... wenn dieser Augenblick doch ewig anhalten würde...
 


 

(1) Line ist das japanische Whats App. Lines sind demnach Nachrichten, die man sich hin und her schickt.
 

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Einen Schritt, um sich zu lösen

Ich mag diesen Sessel. In ihm zu sitzen ist sehr bequem. Selbst nach ein, zwei Stunden wird es nicht unangenehm in ihm zu sitzen. Außerdem bietet er genügend Platz, so dass sich Mokuba oder Katsuya mit reinsetzen können. Vielleicht sollte ich ihn mit nach Hause nehmen?
 

Langsam realisiere ich, dass Mokuba vor mir steht und mich anlächelt. Warum lächelt er mich an? Hab ich was Dummes gesagt? Er fragt mich, ob ich überlege, den Sessel mit nach Hause zu nehmen. Entweder kann er mich mittlerweile recht gut lesen oder... ich hab meine Überlegungen anderweitig irgendwie enthüllt. Vielleicht durch das prüfende Streicheln der Armlehne?
 

Er setzt sich vorsichtig neben mich, als hätte er Angst, dass ich zerbrechen könnte. Ich schließe das Buch und leg es in meinem Schoss ab. Dann lege ich sanft einen Arm um seine Schultern, damit er seine Angst verliert. Behutsam kuschelt er sich an mich und fragt, ob ich wegen dem Sessel schon eine Entscheidung getroffen habe. Ich nicke sachte mit dem Kopf und erkläre, dass ich Akito bitten werde, einen baugleichen für Zuhause zu ordern.
 

Mein kleiner Bruder nickt, als würde es gerade um eine schwerwiegende, geschäftliche Entscheidung gehen. Ich muss einfach schmunzeln, weil diese nachdenkliche Art von ihm so gar nicht zu dem Thema passt. Sanft drücke ich ihn kurz an mich und küss ihn auf sein schwarzes Haar. Er kichert vergnügt.
 

Gerade als ich mich frage, was Mokubas Anliegen ist, räuspert er sich. Ah, scheinbar bekomme ich gleich meine Antwort, ohne selbst zu fragen. Als er mich mit Ni-sama anspricht, weiß ich, dass mir nicht gefallen wird, was er fragen wird. Er möchte also etwas, von dem er jetzt schon weiß, dass es mir nicht gefallen wird. Also schau ich ihn prüfend an und er haspelt sich so durch, bis er schließlich die Bombe platzen lässt:
 

Statt morgen mit uns nach Hause zu fahren, möchte er gerne noch eine weitere Woche bleiben. Alleine. Um mehr Zeit mit Noa zu haben. Überrascht und etwas geschockt blick ich ihn an. Ist das sein Ernst? Er. Noa. Hier alleine. In diesem Haus. Ja, warum leg ich ihnen nicht gleich eine hunderter Packung Kondome auf den Frühstückstisch und wünsche ihnen viel Spaß beim... Otogi würde es ficken nennen, aber dieses Wort in Kontext mit meinem kleinen Bruder zu verwenden kommt überhaupt nicht in Frage.
 

Aber zurück zu Mokubas Frage und für die gibt es nur eine Antwort. Natürlich gibt es für mich dazu nur eine Antwort: Nein! Da muss ich gar nicht nachdenken. Das kommt nicht in Frage. Auf keinen Fall. Niemals. Ich werde meinen gerade 14jährigen Bruder nicht alleine mit einem Wildfremden eine ganze Woche alleine lassen. Ich versuch ja wirklich viele von Mokubas Wünschen zu erfüllen, aber auch für mich gibt es Grenze. Hier haben wir eine solche.
 

Sofort wechselt mein kleiner Bruder in einen Schmollmodus und möchte von mir wissen, warum ich so antworte, wie ich es getan hab. Als sei das nicht offensichtlich. Noch ehe ich antworte, setzt er die Frage hinterher, ob ich ihm nicht vertraue. Ihm vertraue ich bedingungslos. Aber Noa eben nicht! Der Türkishaarige hat nichts getan, was Vertrauen in ihn rechtfertigen würde.
 

Mokuba springt aus dem Sessel und stampft wütend auf den Boden auf. Wirft mir an den Kopf, wie gemein ich sei. Das ich Noa nie eine faire Chance zugestanden habe. Genau wie Yugi und seinen Freunden, bis ich Katsuya an mich gelassen habe. Dann rennt er weg, die Treppe hinauf. Ich kann das Knallen seiner Tür hören und sehen, wie ein paar der anderen fragend nach oben schauen.
 

Tja, diese Seite gehört nun mal auch zu meinem kleinen Bruder, auch wenn er sie nicht sehr oft zeigt, wenn der Kindergarten bei uns zu Besuch ist. Daher kann ich schon verstehen, dass sie jetzt etwas erschrocken oder schockiert sind. Aber was haben sie auch erwartet: Mokuba ist erst vierzehn.
 

Wieder bin ich in meinen Gedanken abgedriftet, denn plötzlich sitzt mir Akito gegenüber und schaut mich an. Fragt, was Mokuba wollte. Ich erzähle es ihm. Er nickt ruhig und geduldig. Dann fragt er mich, was mich bei Mokubas Frage gestört hat: Das Mokuba alleine hier bleiben möchte oder das er dann noch eine weitere Woche mit Noa hätte?
 

Ich wiederhole stoisch, dass er vierzehn ist und nicht allein hier zurück bleiben wird, während wir alle für die letzte Ferienwoche wieder nach Hause tingeln. Ruhig fragt mich Akito, ob ich Mokuba das Hierbleiben erlauben würde, wenn er auch bleiben würde. Überrascht schau ich ihn an. Was? Warmherzig schmunzelt Akito etwas und bietet noch einmal an, dass er auch hier bleiben würde, wenn ich Mokuba die Woche erlauben würde.
 

Unruhig rutsch ich in meinem Sessel hin und her. Ich vertraue Akito. Bedingungslos. Aber der Gedanke, morgen ohne meinen Bruder nach Hause zu fahren, macht mich nervös. Vielleicht, weil es mich daran erinnert, wie Mokuba auf dem Internat war. Ja, es war damals meine Idee gewesen, den Alten so zu manipulieren, dass er mich damit 'bestraft' hat, meinen Bruder wegzuschicken, dennoch...
 

Als ob Akito meine Gedanken lesen könnte, ruft er mir in Erinnerung, dass wir hier von sieben Tagen sprechen. Nächste Woche Freitag würde er mit Mokuba zusammen nach Hause kommen. Fügt noch hinzu, dass Mokuba jeden Abend sich via Skype melden könnte, um mir von seinem Tag zu erzählen.
 

Das gefällt mir alles einfach nicht. Mokuba. Noa. Hier. Nur mit Akito. Was, wenn das Noa einlädt, irgendwas zu tun, was Mokuba eigentlich nicht möchte? Ihn unter Druck setzt, weil der Schutzrahmen bestehend aus unseren Freunden, nicht länger besteht? Viele, sehr beängstigende Bilder tauchen vor meinem geistigen Auge auf. Doch dann spür ich Akitos Hand auf meiner Schulter. Wann ist er rüber gekommen und hat sich neben den Sessel gehockt?
 

Ernst versichert er mir, dass er auf Mokuba genauso gut aufpassen wird, wie bislang auch. Das ihm nichts geschehen wird. Ich glaube Akito. Das hat er die letzten acht Jahre auch gemacht und immerhin hat er Mokuba sogar adoptiert. Langsam nicke ich, bitte ihn aber, dass er Jonouchi-san fragt, ob dieser mit ihm hier bleiben würde. Irritiert sieht mich Akito an. Daher ergänze ich, dass ich finde, dass er eine gute Gesellschaft für Akito wäre. Natürlich hab ich gesehen, dass die beiden viel miteinander sprechen und sich gut verstehen. Einverstanden nickt Akito und schmunzelt sanft, bevor er aufsteht und wieder geht.
 

Langsam greife ich nach dem Buch in meinem Schoss, leg es neben mich auf den Beistelltisch und stehe auf. Ohne große Eile steige ich die Treppe hinauf und folge dem Flur, bis ich vor Mokubas Zimmer stehe. Dort klopfe ich vorsichtig und bekomme ein harsches 'verschwinde' durch die Tür zu hören. Ich klopfe noch einmal. Dann ein drittes Mal. Beim vierten Mal wird die Tür aufgerissen und Mokuba funkelt mich mit Tränen in den Augen an.
 

Sanft und innerlich darauf vorbereitet, dass er mich wegstößt, ziehe ich meinen kleinen Bruder langsam zu mir und schließe ihn in meine Arme. Streich ihm durch das Haar, welches mir mittlerweile bis zum Kinn reicht. Wann ist er nur so gewachsen? Egal. Leise sag ich ihm, dass er bleiben darf. Zusammen mit Akito und Jonouchi-san. Er löst sich etwas von mir und schaut mich mit seinen graublauen Augen wässrig an, bevor er sich wieder gegen mich wirft und mich fest umarmt. Innerlich seufzte ich nur und hoffe, dass ich keinen Fehler mache.
 

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Keinen Schritt nach Hause

Wir sitzen zu sechst in dem kleinen Van, der dieses Mal von Seto gefahren wird. Neben ihm sitzt Jou auf dem Beifahrersitz. Ryuji und ich haben uns die Mitte gesichert, während Yugi und Ryou in der letzten Reihe sitzen, jeder von ihnen ein Handheld in den Händen und gemeinsam irgendein Spiel zockend.
 

Abgesehen von den beiden Zocker ist die Stimmung im Van doch recht angespannt. Zum einen ist da Seto, der das Auto lenkt, weil Isono zusammen mit Jous Dad und Mokuba im Strandhaus geblieben ist. Das ist dann wohl auch das Problem, denn Seto ist alles andere als begeistert, dass sein kleiner Bruder noch ein wenig dort bleibt, um mit seinem ersten Freund noch etwas Zeit zu verbringen.
 

Freund? Jop, so hat es Mokuba uns am Frühstückstisch erzählt. Noa und er werden eine Fernbeziehung führen und jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um sich zu treffen. Dabei hat Mokuba über das gesamte Gesicht gestrahlt. Ich freu mich für ihn, aber frage mich gleichzeitig, ob ihm bewusst ist, wie anstrengend es sein kann eine Beziehung auf Entfernung zu führen. Sich nach jedem Wiedersehen trennen zu müssen. Ich könnte mir vorstellen, dass es einen mit der Zeit echt zerreißen könnte.
 

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als ich sehe, wie Setos Blick erneut zu einem Vorwegweiser geht. Er zieht wohl - zum vierten Mal auf dieser Fahrt - in Erwägung, von der Autobahn runter und in die entgegengesetzte Richtung wieder raufzufahren, um zurück zum Strandhaus zu fahren. Doch ich sehe Jous Hand, die sich sanft auf Setos legt, die sich angespannt um dessen Knie gekrallt hat.
 

Wie schon die drei Mal zuvor reicht genau diese sanfte Berührung, damit Seto an der Ausfahrt vorbei fährt und unsere Heimreise fortsetzt. Jou ist der reinste Kaiba-Flüsterer. Ich muss kurz kichern, denn in dem Familiennamen des anderen Brünetten ist auch das Kanji für Pferd enthalten. Also ist Jou so gesehen ein Pferdeflüsterer... sofort erstirbt mein Kichern, als ich den kritischen Blick von Seto über den Rückspiegel bemerke. Ich sagte ja schon: Angespannte Stimmung.
 

Zum anderen ist da Ryuji, der nicht weniger angespannt wirkt als sein bester Freund. Auch er krallt seine Finger um seine Knie oder in den Stoff seiner Hose. Vorsichtig lege ich meine Hand auf die mir nächste Hand und spüre, wie er leicht zusammenzuckt. Er schaut mich mit diesem fragenden Ausdruck an, bevor er seine Hand von seinem Knie löst und sich unsere Finger verschränken können. Doch ein Lächeln kann ich ihm nicht entlocken.
 

In den letzten Tagen im Strandhaus war er noch etwas entspannter. Vermutlich, weil er wusste, dass sein Vater ihn dort niemals finden könnte. Das gab ihm sicherlich eine gewisse Sicherheit. Doch jetzt, auf der Heimfahrt, scheint er zu befürchten, dass sein Vater plötzlich aufkreuzt. Und wer weiß: Vielleicht tut er das wirklich. Aber dazu muss er auch erst einmal rausfinden, wo sein Sohn wohnt.
 

Ruyji hat sich mit Setos Hilfe rechtlich gut abgesichert. Sein Vater kann selbst jetzt, nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis, keine Vormundschaft für ihn beantragen oder sonstige väterliche Rechte einfordern. Er hat den Mistkerl sogar voll ausbezahlt, damit er keinen Anspruch auf die Firma erheben kann und das war nicht gerade eine unerhebliche Summe. Mit dem, was Ryuji ihm gezahlt hat, könnte sich der Alte ein schönes Leben machen. Weit, weit weg von uns. Von Ryuji.
 

In mir keimt erneut die Hoffnung, dass es genau so laufen könnte. Das der Alte das Geld nimmt und geht. Nie wieder kommt. Uns in Ruhe lässt. Doch mein Kopf befürchtet das Schlimmste. Nach allem, was Ryuji erzählt hat, erwarte ich, dass er versuchen wird, uns auf die Pelle zu rücken. Wieder Einfluss auf Ryuji zu nehmen. Ihn unter Druck setzen wird.
 

Als Seto das nächste Mal Anstalten macht eine Ausfahrt zu nehmen hält ihn Jou nicht auf. Erst verwirrt mich das, doch dann sehe ich, dass es sich dabei um unsere Zielausfahrt handelt. Der Wagen wird zielsicher von der Autobahn in den städtischen Straßenverkehr gelenkt. Dabei wirkt der Brünette auf mich, als ob er schon dreißig Jahre Auto fahren würde: Absolut routiniert und sicher.
 

Zuerst setzen wir Ryou und Yugi ab. Scheinbar wird Ryou die letzte Ferienwoche bei Yugi verbringen, da er keine Lust hat, alleine in der großen Wohnung seines Vaters zu bleiben. Seto scheint das nur recht zu sein, dass er nur einmal anhalten muss. Die beiden laden ihre Taschen - in Ryous Fall die beiden Koffer - aus dem Heck und verabschieden sich von uns. Yugi dankt Seto noch einmal für die letzten zwei Wochen. Dieser nickt nur.
 

Erst als die beiden im Haus von Yugis Großvater, der im Erdgeschoss seinen kleinen, beschaulichen Game Shop beherbergt, verschwinden, fährt Seto erneut an. Scheinbar war es ihm wichtig zu sehen, dass die beiden wirklich gut drinnen ankamen. Zum ersten Mal fällt mir auf, wie fürsorglich Seto uns gegenüber geworden ist. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Schön, dass der Drache endlich zu uns gehört.
 

Schließlich lenkt er das Auto in die Hügel der Stadt und lässt ihn vor Ryujis Grundstück halten. Doch mein Freund bewegt sich nicht. Er schaut aus dem Fenster der Schiebetür auf sein Haus. Sein Blick scheint was zu suchen und nicht zu finden. Doch was es ist, will sich mir nicht entschließen. Gerade als ich ihn ansprechen möchte, fährt Seto erneut an. Fragend blick ich zu ihm, der über den Rückspiegel wieder kurz nach hinten - dieses Mal aber zu Ryuji - geblickt hat.
 

Scheinbar fällt gerade eine schwere Last von Ryuji. Die Angst nach Hause zu gehen, scheint größer zu sein, als ich geahnt habe. Bei Setos Grundstück sitzt der Wärter in seinem kleinen, aber komfortablem Wachhäuschen und nickt dem Brünetten kurz zu, als er ihn erkennt. Sofort betätigt er einen Knopf, so dass das Tor sich langsam öffnet. Seto fährt in Schritttempo auf das Grundstück und um den natürlichen Sichtschutz herum, bevor er den Van parkt.
 

Er dreht sich um und sagt bestimmend, dass wir unsere Taschen in unser Zimmer bringen und die Schmutzwäsche in den Korb werfen sollen. Dann steigt er aus, als wäre es das Selbstverständlichste, dass er uns einfach kurzerhand bei sich einquartiert. Ich kann sehen, wie Jou grinsen muss, bevor er zu mir schaut und mit einer Schulter zuckt. Dann steigt auch er aus.
 

Ryuji lehnt sich plötzlich an meine Schulter. Die Anspannung ist aus ihm gewichen. Er wirkt auf einmal wieder furchtbar müde und erschöpft. Sanft streiche ich ihm mit meiner Hand über die Wange und lehne meinen Kopf gegen sein schwarzes Haar. Jou und Seto sind bereits zur Haustür unterwegs und haben darauf verzichtet, ihre Taschen aus dem Auto zu holen. Sicher, um uns kurz einen Moment zu geben.
 

Aber wie soll das weitergehen? Ryuji kann hier doch nicht fix einziehen. Er hat ein eigenes Haus, gerade mal ein paar Minuten die Straße runter. Ein Smart Home mit ausgeklügeltem Sicherheitssystem. Er hat ein Dienstmädchen und Setos Köchin, die bei ihm wohnen. Ich bin fast jeden Tag, oft sogar über Nacht bei ihm. An mir wird sein Vater nicht vorbei kommen.
 

Hm, belassen wir es erst einmal dabei, dass wir hier bei Seto bleiben. Vielleicht regelt sich ja alles irgendwie. Wer weiß, vielleicht findet die Polizei ja doch endlich mal Beweise und kann diesem Monster den Mord an diesem armen Jungen anhängen. Dann würden sie ihn sicher für den Rest seines Lebens einbuchten und Ryuji müsste ihn nie mehr fürchten.
 

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Einen Schritt der Rückeroberung

Ich sitze auf meinem Bett in Setos Haus. Alleine. Hiroto musste sich mal bei seinen Eltern blicken lassen. Er ist eigentlich der Einzige aus der Clique, der ein intaktes, funktionierendes, dramafreies Elternhaus besitzt und fast beneide ich ihn darum. Aber nur fast. Ich liebe meine Unabhängigkeit und Freiheit. Selbst entscheiden zu können, was ich für das Richtige und Beste für mich halte. Niemand, der meint, mich mit irgendwelchen Predigen für mein Verhalten kritisieren zu müssen.
 

Plötzlich wird mir bewusst, dass ich schon wieder drauf und dran bin, an meinen Fingernägeln zu kauen. Verdammt. So wie es aussieht, werde ich spätestens Samstag noch einmal ins Nagelstudio müssen, um mir die Nägel erneut richten zu lassen. Damit das nicht wieder hinten runterfällt zieh ich direkt mein Smartphone, ruf die Seite meines Stammnagelstudios auf und reserviere mir für Samstag einen Termin.
 

Als das erledigt ist, möchte ich das Smartphone schon wieder wegstecken, doch dann fällt mein Blick auf ein Anwendungssymbol auf der Hauptseite meines Smartphones. Kurz zögere ich, bevor ich die Anwendung starte. Sie bittet mich, mich zu identifizieren, also press ich meinen Daumen auf den Sensor. Sofort werde ich eingeloggt und bekomme eine Übersicht aller aktiven Kameras auf meinem Grundstück und meinem Haus.
 

Ich wähl das erste Bild an. Die Kamera zeigt mir eine Live-Übertragung meines Gartens, der friedlich da liegt. Hier und da kann ich einige Vögel sehen, die in den Bäumen sitzen oder über den Garten fliegen. Nach ein paar Minuten swipe ich zur nächsten Kamera. Sie zeigt den Teich in meinem Garten. In ihm schwimmen meine Koi herum, die gut versorgt scheinen. Mein Dienstmädchen füttert sie gerne und hat mir einmal erzählt, dass jeder Fisch eine eigene Persönlichkeit habe. Fische. Nun gut, soll sie das ruhig glauben...
 

Als ich schon weiter swipen möchte erstarre ich, als ich eine Bewegung am Rande des Bildes wahrnehme. Mein Körper hat sich schlagartig so sehr angespannt, dass mir mein Rücken schmerzt. Doch dann kommt mein Gärtner ins Bild, der sich heute wohl um den Rasen kümmern möchte. Der Mann ist echt sein Geld wert.

Nach meinem Einzug in das Haus hab ich ihm meine Vorstellungen für den Garten geschildert und er hat sie perfekt umgesetzt. Seitdem kümmert er sich eigenständig um den Garten. Trimmt, mäht und richtet, wo es notwendig ist und wandelt hier und da mal das Bild leicht, damit es nicht langweilig wird. Ich sollte ihm vielleicht eine Gehaltserhöhung geben.
 

Ich wechsle die Kamera, aber auch auf den anderen Ansichten des Gartens ist nichts Verdächtiges zu sehen. Dann wechselt die Ansicht ins Innere des Hauses. Mein Hausmädchen ist zusammen mit der Köchin in der Küche und hilft ihr wohl beim Verstauen von Einkäufen. Sie unterhalten sich miteinander und scheinen sich gut zu verstehen. Das freut mich, dass die beiden sich so gut verstehen. So entsteht wenigstens etwas vergleichbares, wie eine familiäre Atmosphäre.
 

Die restlichen Räume liegen ruhig und verlassen da. Alles scheint so zu sein, wie ich es zurück gelassen habe und scheint an seinem Platz zu sein. Dabei sieht es nicht verlassen aus oder so. Nicht so, als wäre ich seit zweieinhalb Wochen nicht mehr daheim gewesen. Ich sollte dem Dienstmädchen und der Köchin auch eine Gehaltserhöhung geben.
 

Gerade als ich die Anwendung schließen möchte kommt mir noch ein Gedanke: Ich wähle die Archivfunktion und schau mir im Schnelldurchlauf einige Aufnahme seit letzter Woche durch. Genau genommen, seit dem Tag der Entlassung meines Vaters. Doch auf denen ist nichts zu sehen, was verdächtig wirkt. Es enthüllt mir nur, dass das Dienstmädchen nachts gerne mal Eiscreme vernascht und es auf die amerikanische Sorte Rocky Road steht.
 

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe: Das mein Vater in der Nacht durch den Garten schleicht oder sich im Haus rumtreibt? Ich hab eines der besten Sicherheitssysteme, die man für Geld kaufen kann. Niemand kommt unbemerkt auf mein Grundstück. Nicht ohne das ich eine Nachricht erhalte. Allerdings ist kein System unfehlbar. Jedes System hat Schwächen. Manche müssen erst noch entdeckt werden, aber sie sind vorhanden. Wieder knabbere ich gedankenverloren an meinem Daumennagel, während ich mir eine weitere Aufnahme anschaue.
 

Plötzlich wird mir meine Hand, an deren Daumennagel ich gerade noch geknabbert habe, weggezogen und ich zucke erschrocken zusammen. Mein Herz schlägt mir auf einmal bis zum Hals und das Adrenalin rauscht durch meinen Körper, während ich mit weitaufgerissenen Augen in die meines Freundes schaue.
 

Wollte er nicht zu seinen Eltern? Was tut er dann hier neben mir? Er lächelt sanft und meint nur, dass er bei seinen Eltern gewesen war. Als er mich fragt, seit wann ich mir diese Aufnahmen schon anschaue, antworte ich mit einem lapidaren 'noch nicht so lang'. Doch als mein Blick auf den Radiowecker auf der Nachtkonsole fälltm wird mir bewusst, dass das glatt gelogen ist. Scheinbar hab ich gerade geschlagene fünfeinhalb Stunden mit dem Sichten der Aufnahmen verbracht.
 

Hiroto fragt mich, ob ich etwas Verdächtiges gesehen habe. Ich schüttle meinen Kopf als Antwort. Dann greift er wieder nach meiner Hand und meint zu mir, dass es Zeit wird, dass ich mir mein Zuhause zurück erobere. Ich blinzle ihn an. Zurück erobern? Er nickt. Sagt, ich hätte mir mein Zuhause von meinen Vater wegnehmen lassen. Doch wir werden das jetzt ändern. Werden wir?
 

Doch er zieht mich bereits aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und zur Eingangstür. Dem verdutzt dreinblickenden Mokuba, der aus dem Wohnzimmer kommt, sagt Hiroto nur, dass wir einen Spaziergang machen werden. Dabei bugsiert er mich zu meinen Schuhen, in die ich eher automatisch reinschlüpfe, als wirklich gewollt. Auch Hiroto wechselt das Schuhwerk und dann verlassen wir Setos Haus.
 

Mein ganzer Körper spannt sich auf einmal an. Mein Kopf weiß, dass mein Vater nichts von Seto oder diesem Haus weiß. Warum fühl ich mich auf einmal dann so angreifbar? Wieso hilft mir dieses Wissen nicht meine Angst abzuschütteln? Hiroto zieht mich den Kiesweg der Auffahrt entlang und verlässt schließlich mit mir das Grundstück unseres Freundes.
 

Er schlendert mit mir die Straße entlang, als würden wir tatsächlich nur spazieren gehen. Dann verlassen wir die Straße und nehmen einige Treppen, die durch dieses Wohngebiet führen und für Fußgänger die Wege etwas abkürzen. Wir steigen sie hinunter, bis wir plötzlich vor meiner Einfahrt stehen. Ich bleibe kurz stehen, doch Hiroto duldet kein Zögern. Er zieht mich sanft weiter zur Eingangstür meines Hauses. Dort wird uns sofort von dem Dienstmädchen die Tür geöffnet. Denn auch sie wird benachrichtigt, wenn jemand das Grundstück betritt.
 

Sie begrüßt uns freundlich und scheint sich wirklich zu freuen mich zu sehen. Sofort erzählt sie uns, dass während meiner Abwesenheit niemand vorbei gekommen ist oder angerufen hat. Lediglich etwas Post sei eingetroffen, die sie mir auf meinen Schreibtisch im Büro gelegt hat. Sie berichtet mir weiter, dass der Gärtner noch da ist, der sich heute um meinen Rasen und einige Blumenbeete kümmert. Weiß ich schon.
 

Scheinbar ist hier alles genauso sicher, wie bei Seto und nach anderthalb Stunden fühle ich mich hier schließlich wieder zuhause und bin wieder entspannen. Vor allem aber Hiroto, der in meinem Arm liegt, schenkt mir ein Gefühl von Sicherheit. Vorsichtig platziere ich einen Kuss auf seiner schweißnassen Stirn. Er schaut mich erschöpft, aber glücklich an und schenkt mir ein Lächeln.
 

Hab ich mich völlig umsonst verrückt gemacht?
 

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Einen Schritt der Trennung

Unruhig läuft mein Drache im Wohnzimmer hin und her. Er ist nervös und angespannt. Immer wieder schaut er auf sein Smartphone und checkt die Position von Akitos Auto, welches er mit einer App trackt. Er verfolgt die Fahrt, als würde er befürchten, dass Akito, Mokuba und mein Dad auf den letzten Metern verunglücken. So hab ich ihn noch nie erlebt.
 

Ich geh zu ihm und schling meine Arme von hinten um seine Hüfte. Er zuckt kurz zusammen. Wow... er scheint vergessen zu haben, dass ich da bin. Vorsichtig leg ich meinen Kopf auf seine Schulter. Frag ihn flüsternd, wieso er so ein Nervenbündel ist. Kurz kann ich spüren, wie er sich sträuben möchte, mir diese Frage zu beantworten. Doch dann lässt er wieder locker und dreht sich langsam zu mir um.
 

Lange schaut er mir in die Augen und dann antwortet er mir, dass seine Eltern bei einer Autofahrt verunglückt und gestorben seien. Langsam sickern die Worte in mich. Scheinbar lag ich genau richtig: Er befürchtet, dass die drei auf ihrer Heimfahrt verunglücken und er das Liebste, was er auf dieser Welt hat, verlieren könnte. Sanft streich ich ihm über seine Wange und versuche zu lächeln. Ihn zu beruhigen. Ja, Unfälle kommen vor. Doch Japan hat im Vergleich zu anderen Ländern eine geringe Rate von Todesfällen bei solchen Unfällen.
 

Mein sonst so faktenfixierter Freund scheint von meinem Versuch ihn zu beruhigen nicht sehr angetan. Sofort löst er sich von mir und hebt sein Smartphone wieder hoch. Er checkt kurz, wo die drei gerade sind. Dann ruft er sich eine Suchmaschine auf und recherchiert die Todesrate bei Verkehrsunfällen. Scheinbar beruhigen ihn die Ergebnisse dann aber doch. Dennoch wechselt er wieder zur Trackingapp und verfolgt den Weg des Autos in Echtzeit. Ob Akito weiß, dass Seto ihn, beziehungsweise das Auto derartig überwacht?
 

Über Setos Schulter kann ich sehen, wie der kleine blaue Punkt von der Autobahn abfährt und damit die Stadtgrenze passiert. Sie sind schon mal in Domino City. Es braucht einen kurzen Moment, dann erkenne ich, dass Akito wohl erst meinen Vater bei sich daheim absetzen wird. Macht auch irgendwie Sinn, immerhin haben wir ihn auf dem Weg zum Strandhaus ja auch dort abgeholt.
 

Langsam greife ich nach Setos Smartphone und winde es vorsichtig aus seinen Händen. Dann schalte ich es ab und leg es auf einen Beistelltisch. Entgeistert sieht er mich plötzlich an, doch wieder streiche ich ihm behutsam über die Wange. Bedächtig sage ich ihm, dass es egal ist, ob er sie mit der App überwacht oder nicht: Wenn etwas geschehen sollte, wird er es durch die Überwachung nicht verhindern können. Ich kann den Schmerz in seinen Augen sehen, bevor er jedoch nickt und mir recht gibt. Dann legt er seinen Kopf auf meine Schulter und schlingt seine Arme um mich. Sanft erwidere ich diese Umarmung.
 

Wir stehen lange so da, bis sein Smartphone vibriert. Sofort löst er sich von mir, greift nach dem Mobiltelefon und schaut sich die Benachrichtigung an. Sie ist vom Tor und teilt ihm mit, dass ein Wagen eingelassen wurde. Eilig verlässt mein Drachen das Wohnzimmer und steuert die Haustür an, die er aufreißt und nach draußen schaut. Tatsächlich ist das Auto bereits zum Stehen gekommen und parkt vor der Garage.
 

Akito steigt zuerst aus und hebt kurz die Hand zum Gruß, bevor er zum Kofferraum geht und diesen öffnet. Seto ist bis zum Zerreißen angespannt. Erst nachdem die Beifahrertür sich langsam öffnet und Mokuba mit hängendem Kopf aussteigt, löst sich die Angespanntheit ein bisschen, bevor sie zurückkehrt. Warum sieht Mokuba wie ein Häufchen Elend aus? Ich weiß, dass diese Frage auch durch Setos Kopf geht. Also steigt er die zwei Stufen vor der Haustür hinunter und geht - ohne zu hastig zu wirken - zu seinem Bruder.
 

Sanft legt er Mokuba eine Hand auf die Schultern und dieser hebt nur langsam seinen Blick zu seinem älteren Bruder, der ihn immer noch um anderthalb Köpfe überragt. Mokubas Augen sind gerötet und etwas vom Weinen geschwollen. Behutsam legt Seto seine Hand an Mokubas Wange und streicht darüber. Ich kann sehen, dass die Wange wohl noch feucht ist. Vorsichtig fragt Seto, was los ist. Natürlich kenn ich meinen Drachen gut genug, um zu wissen, dass er sich gerade die Frage verkneift, ob Noa ihm etwas getan hat.
 

Sofort presst sich Mokuba gegen Setos Brust und bricht noch einmal in Tränen aus. Liebevoll drückt Seto seinen Bruder an sich und blickt dann fragend zu Akito, der mit einem Koffer und zwei Reisentaschen zu uns aufschließt. Vorsichtig legt auch Akito eine Hand in Mokubas Rücken. Seine Erklärung für Mokubas Zustand besteht nur aus einem einzigen Wort: Trennungsschmerz.
 

Trennungsschmerz? Hat Noa doch noch mit Mokuba Schluss gemacht? Aber warum? Hatte er etwa von Mokuba bekommen, was er wollte? Doch bevor ich etwas davon auch nur laut fragen kann, meint Akito sanft zu Mokuba, dass die Herbstferien ja schon in zehn Wochen sein werden. Achso, diese Art von Trennungsschmerz. Es geht nicht darum, dass sich Noa von ihm getrennt hätte, sondern darum, dass sich die beiden erst in den Herbstferien wieder sehen werden.
 

Man, den Kleinen hat es echt total erwischt. Aber der Ort, in dem das Strandhaus steht ist ja auch nicht so weit von uns weg. Sicherlich können wir das eine oder andere Wochenende hinfahren oder Noa kommt uns einfach mal hier besuchen. Es gibt ja eine gute Zugverbindung zwischen dort und Domino City und viel länger als mit dem Auto braucht man auch nicht.
 

Plötzlich löst sich Mokuba von Seto und stürmt ins Haus. Ich bin mir gerade nicht sicher, ob er einfach so schnell wie möglich mit Noa videotelefonieren möchte oder er das schwere Schicksal, dass man ihm aufgebürdet hat, beweinen möchte. Kurz muss ich schmunzeln. Dann schieb ich meinen Sarkasmus zur Seite, als Akito schwer seufzt und dann auch schmunzelt. Von ihm kommt wieder nur ein Wort: Pubertät. Das führt dazu, dass ich nun kichern muss, während mein Drache uns nicht verstehend anblickt.
 

Dann greift Seto nach meiner Hand, dreht sich um und zieht mich mit sich zurück zum Haus. Es kommt mir so vor, als wolle er sicher gehen, dass ich nicht plötzlich verschwinde und er alleine dasteht. Oh ja, Mokuba und Seto sind sich wirklich wahnsinnig ähnlich ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein.
 

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Einen Schritt in die neue Schule

Ich will nicht. Ganz einfach. Ich will nicht aufstehen. Will nicht meine Sachen für die Schule richten. Nicht neue Leute kennenlernen. Oder mich verstellen, weil es besser ist, dass keiner weiß, dass ich wohl auf Jungs stehe. Jungs... Noa... ich will zurück in den Ferienort und dort mit Noa zusammen sein. Mit ihm dessen Schule besuchen.
 

Mir wird zum ersten Mal bewusst, dass ich viele Dinge von Noa noch gar nicht weiß: Auf welche Schule geht er? In welcher Klasse ist er? Mag er Schule? Würde er mich für einen Streber halten? Wissen die in seiner Schule, dass er auf Jungs steht? Würde er mich verleugnen? Ein mulmiges Gefühl bildet sich in meinem Bauch. Wer weiß, ob Noa im Alltag genauso wäre, wie in unseren Ferien. Vielleicht war er da ganz anders, als er es sonst wäre?
 

In dem Moment klingelt mein Handy und auf dem Display erscheint das Bild, welches ich von Noa für seinen Kontakt geschossen habe. Es ist ein Videocall. Ich wische zur Seite und nehm den Anruf an. Noa lächelt mir entgegen. Seine Haare stehen wild in alle Richtungen ab und er scheint auch noch im Bett zu liegen. Sanft lächelte er mich an und wünscht mir einen guten Morgen. Ich erwidere den Morgengruß murmelnd.
 

Wir reden ein paar Minuten, dann hör ich jemand nach Noa rufen. Auf Englisch. Britisches Englisch, wenn ich mich nicht irre. Dann antwortet Noa auf eben diese britische Art, die dieses Englisch so vornehm wirken lässt. Als sich sein Blick wieder der Kamera und damit mir zuwendet sieht er etwas traurig aus und meint, er müsse jetzt aufstehen und sich für die Schule fertig machen. Fragt mich, ob wir nach der Schule wieder telefonieren. Ich nicke. Er strahlt mich an und erwidert, dass er sich schon darauf freut. Jetzt lächle auch ich, bevor das Display schwarz wird.
 

Noch bevor ich mir weiter Gedanken über Noa machen kann klopft es an meiner Zimmertür. Ich brumm etwas Richtung Tür, die dann vorsichtig aufgeschoben wird. Akito schaut zu mir. Er wünscht mir einen guten Morgen und fragt mich, ob ich gut geschlafen habe. Langsam wuchte ich mich in eine sitzende Position und nicke nur. Zögerlich wagt er sich in mein Zimmer und kommt zu mir. Setzt sich auf die Bettkante und fragt mich, wie ich mich fühle.
 

Wie ich mich fühle? Ich vermisse Noa. So sehr, dass es schon weh tut. Dabei sind wir gerade mal drei Tage getrennt voneinander. Und ich soll das noch zehn Wochen bis zu den Herbstferien aushalten? Wie? Das ist die reinste Folter. Gibt es da keine Gesetze, die das verbieten?
 

Sanft schmunzelt Akito und streicht mir übers Haar. Meint zu mir, dass sich sicherlich dazwischen mal eine Gelegenheit finden wird, dass übers Wochenende zu Noa oder er zu mir kommen kann. Ein Wochenende? Wie soll denn ein Wochenende ausreichen, um all diesen Schmerz zu rechtfertigen? Wieder lächelt mich Akito sanft an und meint, dass es mit der Zeit leichter werden wird. Wird es? Soll es? Will ich, dass es leichter wird?
 

Doch ich hab keine Gelegenheit mehr ihn das zu fragen, da treibt er mich mit sanfter Strenge aus meinem Bett ins Badezimmer. Als ich zwanzig Minuten später wieder ins Zimmer komme ist Akito weg, mein Bett gemacht und das Fenster ein wenig offen, um frische Luft reinzulassen. Meine neue Schuluniform liegt bereits ordentlich auf dem Bett: Blazer, Hemd und Hose. Eine Krawatte ruht auf dem Hemd.
 

Bevor ich mich anziehe pack ich alle meine Schulbücher in meine Tasche. Ich hab zwei Sätze an Schulbücher: Einer wird immer in der Schule bleiben, der andere ist für Zuhause. Das erspart mir das Schleppen selbiger oder die Gefahr in meiner gelegentlichen Dusseligkeit ein Buch zu vergessen. An einer Pinwand hängt mein Stundenplan, auf den ich kurz einen Blick werfe. Ich hab ihn mit der Direktorin meiner neuen Schule zusammen erstellt. Daher ist der Montag überwiegend mit meinen Lieblingsfächern gespickt.
 

Aber irgendwas fehlt doch noch. Ich krusche im Chaos der unterschiedlichsten Papiere auf meinem Schreibtisch herum. Entsetzt stelle ich fest, dass mir hier wohl irgendwann mal was Flüssiges ausgelaufen oder drüber gelaufen ist. Wann ist das denn passiert? Jedenfalls kleben einige Papiere zusammen und sind gewellt. Und genau dort finde ich, was ich gesucht habe: Die kleine Karte, auf der steht, in welcher Klasse ich bin, wann ich in der Schule sein soll und wer mein Pate sein soll. Leider kann ich nur noch meine Klasse entziffernd. Die restliche Tinte ist total zerlaufen und unleserlich.
 

Ich seufzte frustriert und entmutigt auf. Die Karte landet wieder auf meinem Papierhaufen, bevor ich mich wegdrehe und mich anziehe. Das Hemd knöpf ich bis oben hin zu und binde mir dann ordentlich die Krawatte. Kurz überlege ich, ob ich mein Haar nach dem Kämen irgendwie... ich weiß auch nicht... zusammenbinde? Mit dem offenen, langen Haar könnte ich irgendwo anecken. Doch da mir nichts dazu einfällt, lass ich sie einfach so wie immer: Offen und wild.
 

Also nehm ich meine Tasche, die unglaublich schwer ist, und verlasse mein Zimmer. Ich steige die Treppe nach unten und mir steigt sofort der süße Geruch von Pancakes in meine Nase. Nachdem ich meine Tasche an die Haustür gestellt habe eil ich in die Küche und werde nicht enttäuscht: Pancakes!
 

Vergessen ist mein Frust und meine Niedergeschlagenheit, während ich zum Tisch hüpfe, meinen Bruder und Katsuya begrüße und mich dann hinsetze. Akito serviert mir schließlich einen Teller mit frischen Pancakes, mit Schokostückchen, die ich dann in reichlich Ahornsirup ersäufe. Seto und Katsuya schauen mir mit einer Mischung aus Faszination und Erstaunen zu, wie ich meine Pancakes verschlinge. Gerne hätte ich einen Nachschlag gehabt, doch da meint Akito zu mir nur, dass wir los müssen.
 

Hat er schon vergessen, dass ich eigentlich alleine zur Schule fahren wollte? Mit den Öffentlichen? Akito schüttelt den Kopf und erklärt mir, dass er mich nur heute fahren möchte, wo ich doch sicherlich all meine Bücher mit mir rumschleppe. Uhm... guter Punkt. Die sind ja in der Tat ziemlich schwer. Okay, ausnahmsweise lass ich mich fahren. Aber nach Hause komm ich dann mit dem Bus. Akito nickt, aber Seto sieht dabei nicht sehr glücklich aus. Ich weiß, dass es ihn stört, dass ich fortan alleine zur Schule und wieder nach Hause fahren möchte, aber... wir hatten das doch alles schon geklärt!
 

Er nickt nur ergeben und bittet mich, noch einmal zu schauen, dass mein Handy geladen ist, immerhin ist nichts mit Busfahren, wenn ich meine App nicht aufrufen kann, in der meine Buskarte hinterlegt ist. Also zieh ich mein Smartphone hervor und stelle zufrieden fest, dass ich 99% Akkuladung hab. Auch Seto beruhigt das. Dennoch bittet er mich, mich zu melden, wenn irgendetwas ist. Ich nicke, stehe auf und drück ihm noch einmal einen Kuss auf die Wange. Dann verlasse ich mit Akito die Wohnküche.
 

Die Fahrt über schweigen Akito und ich, wobei ich unruhig auf dem Beifahrersitz auf und ab hüppel. Ich bin nervös. Hoffentlich sind die Leute an der neuen Schule cool drauf und akzeptieren mich. Hab kein Bock noch einmal auf solche Idioten zu treffen, wie an meiner alten Schule, angefangen bei den drei Vollidioten von Mobber und diesem mehr als dämlichen Direx.
 

Als Akito vor der Schule hält lächelt er mich noch einmal ermutigend an. Ich kann nicht anders als ihn kurz zu umarmen, bevor ich aussteige. Ich reih mich in den Strom an Schülern ein. Lass mich durchs Schultor treiben und auf den Haupteingang zu. Dann such ich meinen Weg zum Sekretariat, wo ich meinen Schülerausweis abholen soll. Dort scheint die Direktorin schon auf mich zu warten und begrüßt mich freundlich. Sie gibt mir eine Spindnummer mit dazugehörigem Zahlencode, sowie mein Schülerausweis und dann stellt sie mich meinem Paten vor: Noa!
 

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Einen Schritt zurück in den Alltag

Seit ich Mokuba an seiner neuen Schule abgesetzt habe, kreisen meine Gedanken um ihn. Ich wünsche mir, dass er einen guten ersten Tag an der neuen Schule haben wird. Freunde finden. Sich gut einleben. Hoffe, dass mein Familienname ihn schützen wird. Davor erneut gemobbt zu werden. Niemand von seinen Mitschüler weiß, wessen Bruder er ist und was über diesen in den letzten zwei Monaten alles in der Presse berichtet worden ist.
 

Sicher steuer ich den Wagen zurück zu unserem neuen Haus. Ich bin für die schnelle und gute Arbeit der Baufirma dankbar. Denn die Notwendigkeit eines neuen Heims kam schneller, als ich damit gerechnet habe. Ich kann die Wut in mir hochkriechen spüren. Darüber, dass dieser widerliche Daimon Kogoro es wagte in das Herrenhaus einzudringen. Dass er versuchte Seto erneut zu vergewaltigen. Dass er sich dann in seiner Zelle das Leben nahm.
 

Vielleicht auch besser so. Wer weiß, was für krude Geschichten er sonst noch erzählt hätte. Die eine, dass Seto ihn verführt habe und sein Eindringen, sowie der Vergewaltigungsversuch zu einem psychologischen Rollenspiel gehört habe, zu dem er aufgefordert worden sei, hat schon mehr als genug Schaden angerichtet. Wie sehr muss man den Bezug zur Realität verlieren, um einem Kind die Verantwortung für dessen Erniedrigung aufbürden zu wollen?
 

Als ich die Auffahrt zum Tor nehme betätigt Gomikawa-san bereits den Toröffner, dass daraufhin langsam zur Seite rollt. Ich lass den Wagen die kleine Steigung nehmen und halte ihn auf Höhe des Wachhäuschens. Überrascht blickt mich der Wachmann an und öffnet das Fensterchen in der Seite. Fragt, ob er etwas für mich tun kann. Ich schüttle den Kopf und frag ihn, wie es ihm und seiner Frau geht. Ich weiß, sie ist schwanger und erwartet sein erstes Kind.
 

Überrascht mustert er mich, bevor er sich dankbar verneigt. Er antwortete mir rasch, denn anscheinend geht er davon aus, dass meine Zeit knapp bemessen sei. Doch ich frag ihn nur, ob er sich schon auf das Kind freut und wann denn der Geburtstermin sei. Wieder ist er baff und ich schmunzel innerlich ein wenig. Wie es aussieht wurde er bei seinem letzten Job nicht als Mensch wahrgenommen und ist es nicht gewohnt, dass sich jemand nach ihm erkundigt. Aber es ist mir wichtig, dass meine Mitarbeiter sich wohl und anerkannt fühlen. Hier, genauso wie in der Firma.
 

Er antwortet mir wieder und wird etwas lockerer. Wir unterhalten uns ein paar Minuten und er berichtet mir, dass die Voruntersuchungen alle gute Ergebnisse erbracht haben. Auf meine Frage, ob sie schon wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen werden wird, schüttelt er nur den Kopf und meint, dass seine Frau das Geschlecht noch nicht wissen möchte.
 

Schließlich fahre ich weiter aufs Grundstück und parke im Carport. Als ich aussteige und zum Haus gehe wird mir sofort die Tür von Mariko-san geöffnet. Auch für sie nehm ich mir ein paar Minuten Zeit und erkundige mich nach ihrer Mutter, die zuletzt böse erkältet war. Sie erzählt mir, dass es ihrer Mutter wieder gut ginge und bedankt sich für meine Nachfrage.
 

Als sie davon geht wird mir bewusst, dass es das erste Mal seit Wochen ist, dass ich alleine im Haus bin: Auch Seto und Katsuya sind bereits auf dem Weg zur Schule. Tatsächlich fühl ich mich etwas verloren und weiß im ersten Moment nichts mit mir anzufangen. Denn ich werde erst ab September wieder in die Firma gehen und meinen Aufgaben dort wieder aufnehmen.
 

Gerade als ich mich dem Wohnzimmer zuwende und losgehen möchte, sehe ich wie Mariko-san aus der Küche zurück ins Foyer kommt. Sie eilt an mir vorbei und zur Tür, um diese zu öffnen. Zu meiner Überraschung steht Kai vor der Tür, grüßt erst Mariko-san, bevor er reinkommt und mich begrüßt. Seine Haut ist gebräunt und er wirkt frisch und ausgeruht. Es sind jetzt etwas mehr als drei Wochen, seit wir uns das letzte Mal sahen: Erst waren wir zehn Tage weg, dann er die letzte Woche in Urlaub.
 

Ich lade ihn ins Wohnzimmer ein. Kai nimmt die Einladung gerne an und wir machen es uns auf der Couch gemütlich. Dann serviert Mariko-san uns noch Tee und lässt uns dann alleine. Also nehmen wir erst einmal einen Schluck von dem frisch aufgebrühten Tee, den Mariko-san wirklich erstklassig beherrscht.
 

Erst frag ich Kai nach seinem Urlaub. Er erzählt mir, dass er eine Woche in der Toskana war und fragt mich, ob ich schon einmal dort war. Ich schüttle den Kopf. Urlaub ist im Grunde ein Fremdwort für mich. Klar, hab ich Seto schon auf Geschäftsreisen begleitet, aber Urlaub ist ja schon was anderes.
 

Kai beschreibt mir die Toskana sehr bildlich, so dass ich sie mir gut vorstellen kann. Was ich höre gefällt mir sehr und mir wird klar, dass ich dort gerne mal hin möchte. Da schlägt Kai vor, dass er mich nächstes Jahr mitnimmt, wenn ich bis dahin nicht schon dort war. Etwas perplex schau ich ihn an und nicke dann. Warum eigentlich nicht? Kai kennt die Toskana scheinbar gut und kann, wie er mir versichert, annehmbar italienisch.
 

Dann fragt mich Kai, wie denn unser 'Urlaub' war. Nun liegt es an mir ihm zu erzählen, welche Entwicklungen Seto und Mokuba die letzten drei Wochen durchlaufen haben. Dazu kommt die Sorge um Otogi-kun, der ebenfalls Probleme mit dem Schlaf hat, seit er von der Entlassung seines Vaters aus dem Gefängnis erfahren hat.
 

Geduldig hört sich der Rothaarige alles an, fragt hier und da mal nach und nickt. Bietet mir an, dass er gerne mal mit Otogi-kun sprechen kann, wenn dieser offen dafür ist. Ich verspreche ihm, das Angebot an den jungen Mann weiterzureichen. Kai zieht sein Smartphone und macht sich eine Notiz. Dann steckt er es wieder weg.
 

Dann bemerke ich, dass sich Kais Körpersprache und Stimme etwas ändert. Er wirkt auf einmal mehr so, wie wenn wir gemeinsam bei ihm zu Abend essen. Das letzte Mal ist ja leider schon eine kleine Weile her und ich frag mich, ob er an einer Wiederaufnahme interessiert wäre. Doch bevor ich ihn fragen kann, fragt er mich, wie es mir eigentlich so geht.
 

Die Frage überrascht mich. In meinem Bestreben Seto und Mokuba zu schützen vergesse ich manchmal mich selbst, sowohl meine körperliche, als auch meine seelische Gesundheit. Tatsächlich muss ich mich noch bei Doktor Akari melden und einen Termin für einen Check up machen. Der wird mir aufs Dach steigen, weil ich seit drei Wochen nicht mehr bei ihm war.
 

Dann reden wir über meine Enttäuschung bezüglich Detective Nagasato, meine Hoffnungen bezüglich Mokuba und seiner neuen Schule, sowie meinen Wunsch, dass Seto weiterhin so gute Fortschritte machen wird. Es tut gut mit Kai über all das sprechen zu können.
 

Klar, ich hab auch viel mit Katsuyas Vater gesprochen, aber meist waren das Gespräch rund um das Vater sein und welche Schwierigkeiten vielleicht noch in Mokubas Pubertät auf mich zukommen könnte.
 

Jemand zu haben, der einen nicht nur in einer speziellen Rolle wahrnimmt, sondern einfach nur als Mensch mit eigenen Bedürfnissen, tut gut. Das wird leider heutzutage viel zu oft unterschätzt oder vergessen. Und so reden wir noch eine ganze Weile miteinander, einfach wie zwei Freunde, die ich in uns sehe.
 

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Einen Schritt der Gewissheit

Ich kann es nicht fassen! Da vor mir im Sekretariat meiner neuen Schule steht Noa. Noa... Mein Noa! Was macht er hier? Hier in Domino City? An meiner neuen Schule? Hat er im letzten Moment die Schule gewechselt? Nein, halt! Die Direktorin meinte, er sei mein Pate, also ist er schon länger an der Schule? Hier. In Domino City. Ich merke selbst, wie sich meine Gedanken im Kreis drehen.
 

Aber lebt Noa nicht eigentlich in dem kleinen Städtchen am Meer? Bei seinem Onkel? Ich denke fiebrig nach. Wir haben irgendwie nie darüber gesprochen, wo wir her kommen. Es war so naheliegend, dass Noa in dem Küstenstädtchen leben würde. Aber gesagt hat er es nie. Wieso haben wir uns in diesen drei Wochen auch nicht einmal darüber unterhalten, woher wir eigentlich kommen?
 

Die Fragen vom Morgen kommen mir wieder in die Sinn: Mag er Schule? Würde er mich für einen Streber halten? Wissen die, in seiner Schule, dass er auf Jungs steht? Würde er mich verleugnen? Da ist wieder dieses mulmige Gefühl, dass den flauen Magen anfeuert und die Übelkeit aufkeimen lässt. Was wenn er so tut, als würde er mich nicht kennen? Oder er hier ganz anders wäre, als im Ferienort?
 

Plötzlich lacht Noa auf. Wieso lacht er? Lacht er über mich? Ich kann das Lachen nicht einordnen. Wie soll ich reagieren? Mitlachen? Weglaufen? Verwundert blickt die Direktorin ihn an. Er hat ein paar Tränen im Augenwinkel, während er über das gesamte Gesicht lacht. Dann erklärt er der Direktorin, dass wir uns aus den Ferien kennen. Die Direktorin blickt von Noa zu mir und ich... bin wahnsinnig erleichtert. Erst jetzt wird mir klar, dass Noas Lachen ein freudiges war. Er... freut sich, dass ich hier bin...
 

Noa verspricht der Direktorin, sich gut um mich zu kümmern. Dann dreht er sich zur Tür des Sekretariats, öffnet sie und hält sie mir auf. Langsam schieb ich mich mit einem genuschelten Danke an der Direktorin vorbei und verlasse das Sekretariat. Vor der Tür bleib ich noch einmal stehen und warte auf Noa, der sich von der Direktorin verabschiedet und mir dann auf den Flur folgt.
 

Da stehen wir nun. Vor dem Sekretariat. Auf dem Flur. Schauen uns an. Schüler laufen in beiden Richtungen an uns vorbei. Dann nickt Noa in eine Richtung und bittet mich, mit ihm zu kommen. Ich folge ihm. Meine Bücher wirken auf einmal megaschwer. Als würden sie mich an den Boden nageln wollen. Doch schließlich schaff ich es doch Noa in ein leeres Zimmer zu folgen. Hinter mir schiebt er die Tür zu und dann fällt er mir um den Hals.
 

Kurz bin ich überrascht. Doch dann fällt etwas Schweres von mir ab. Ich kann gar nicht genau sagen, was es ist, was da von mir fällt. Nur das ich mich jetzt besser fühle. Noa nimmt mein Gesicht in seine Hände und dann küsst er mich sanft. Ich erwidere den Kuss und vergesse für einen Moment, wo wir sind. Fühle mich, wie letzte Woche, als wir noch am Strand waren. Nur wir zwei. Ungestört.
 

Doch dann wird unser Kuss je unterbrochen, als jemand die Tür aufschiebt und überrascht stehen bleibt. Rasch dreh ich mich von der Tür weg. Warum, weiß ich selbst nicht genau. Vielleicht, weil ich immer noch nicht weiß, ob Noa geoutet ist oder nicht? Von hinten könnte man mich für ein Mädchen halten, oder?
 

Ich hör ein verlegenes Gestammel von dem, der reingeplatzt ist. Er erklärt kurz, dass er Noa gesucht hat. Doch Noa vertröstet ihn ruhig auf einen späteren Zeitpunkt, denn jetzt wäre er schon beschäftigt. Der andere entschuldigt sich noch einmal, dann hör ich, wie die Tür zu geht. Mein Herz schlägt wie wild bis zum Hals und mein Magen kribbelt wahnsinnig. Als ob tausend Schmetterlinge in Panik versuchen vor einer aufgebrachten Fledermaus zu fliehen.
 

Dann spüre ich Noas Hand auf meiner Schulter. Ganz behutsam dreht er mich zu sich und lächelt mich sanft an. Ich solle mir keine Sorgen machen, der andere würde nichts erzählen, was er eventuell gesehen habe. Zärtlich streichelt er mir über die Wange und meint zu mir, dass mein Coming Out ganz in meinen Händen liegt und mir das keiner vornweg nehmen wird.
 

Verwirrt blicke ich Noa an. MEIN Coming out? Und was ist mit seinem? Doch Noa lächelt mich wieder sanft an und meint, dass es hier an der Schule kein Geheimnis sei, dass er sich sowohl für Mädels, als auch für Jungs interessiere. Mit großen Augen sehe ich ihn an. Nicht nur, weil er scheinbar recht offen und ungeniert mit seiner Sexualität umgeht, sondern auch weil es mir neu ist, dass mein Freund bi ist.
 

Aber was sollen wir jetzt machen? Soll ich mich offen outen? Aber was ist, wenn das wieder dazu führt, dass ich gemobbt werde? Ich bin immerhin der Neue an der Schule. Sollte ich mich da direkt in den ersten fünf Minuten so angreifbar machen? Die Alternative wäre, dass Noa und ich in der Schule so tun, als wären wir 'nur' Freunde. Ich kann mich noch erinnern, wie das Anfang des Jahres bei Seto und Katsuya gelaufen ist. Diese Anspannung. Wie viel Energie es gerade Seto gekostet hatte.
 

Wieder streicht mir Noa sanft über die Wange und meint, dass ich mir Zeit nehmen soll. Ich solle einfach ich selbst sein. Dann würde ich schon gut bei den anderen hier ankommen. Ja, das sagt er so einfach. Er weiß ja auch nicht, durch welche Hölle ich vor den Sommerferien gegangen bin. Einfach ich selbst sein. Wer bin ich eigentlich? Bruder eines jungen Genies? Zweifach adoptierter Sohn? Streber?
 

Als ob Noa meine Gedanken lesen könnte, meint er sanft zu mir, ich solle einfach Mokuba sein. So wie in den Ferien am Strand. Der smarte, gutaussehende Nerd, in den er sich verliebt hat.
 

Ich spür, wie meine Wangen sich röten. Ich, smart und gutaussehend? Kurz kichere ich. Doch dann nicke ich. Noa hat diese Art, mir meine Unsicherheit zu nehmen. Dann fragt er mich, ob ich bereit für die Schultour sei. Wieder nicke ich und er küsst mich noch einmal kurz und flüchtig, bevor wir uns der Tür zuwenden und das Zimmer verlassen. Dabei fühl ich mich, als ob ich auf Wolken gehen würde. Die Bücher, die eben noch so schwer wirkten scheinen ihr Gewicht verloren zu haben. Und für den Augenblick bin ich einfach nur glücklich.
 

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Einen Schritt zurück zum Anfang?

Kai schmunzelt uns beide aus dem Sessel, in dem er sitzt, sanft an. Seine Haut ist gebräunt und er wirkt gut erholt und ausgeruht auf mich. Sicherlich war er in seinem jährlichen Urlaub wieder in der Toskana. Er hat mir früher von diesen Urlauben erzählt und somit den Wunsch in mir geweckt, irgendwann mal selbst nach Italien zu reisen. Wenn ich arbeite und mein eigenes Geld verdiene. Es mir also auch leisten kann.
 

Na ja, bislang war dieser Wunsch wohl eher ein Wunschtraum, denn bis zum Jahreswechsel hatte ich mir keine großen Chancen ausgerechnet jemals einen guten Job zu ergattern, in dem ich genug verdienen würde, um etwas anzusparen. Doch seit diesem Schuljahr sehen meine Noten gar nicht mal so schlecht aus. Vielleicht find ich doch eine Ausbildung, mit der ich nicht dort lande, wo ich her komme.
 

Mein Blick fällt auf Seto, der neben mir sitzt. Die Arme vor der Brust verschränkt, wie vor Monaten, als die Gespräche mit Kai noch neu und ungewohnt für ihn waren. Die Frage, warum er gerade so defensiv und passiv ist, drängt sich mir förmlich auf. Liegt es daran, dass wir Montag haben, statt Samstag, und er einfach aus Prinzip nicht bereit ist an diesem "außer der Reihe Gespräch" teilzunehmen? Oder liegt es daran, dass er jetzt fast vier Woche keine Sitzung mehr hatte und sich das Gefühl für Kai erst wieder etablieren muss?
 

Nein... ich denke, dass Setos Vertrauen allgemein durch Detective Nagasato und Maggie Thompson Handlungen stark beschädigt wurde. Ich kann ihm förmlich ansehen, wie er in seinem Kopf mit sich selbst argumentiert, ob er es riskieren kann Kai weiterhin zu vertrauen oder er die Therapie abbrechen soll.
 

Scheinbar ist das auch Kai bewusst. Also beginnt er harmlos mit etwas Smalltalk und fragt nach unserem Urlaub am Strand. Fragend blicke ich zu Seto, der meinen Blick stoisch erwidert, sich aber im Moment scheinbar nicht wirklich dazu durchdringen kann, zu antworten. Vorsichtig angle ich nach einer seiner Hände und versuche seine defensive Haltung etwas aufzubrechen. Hab die Hoffnung, dass es ihm hilft, sich wieder Kai zu öffnen.
 

Seto lässt seinen Blick von mir zu Kai schwenken, dann zuckt er kurz nichtssagend die Schultern, während er einsilbig mit einem 'gut' antwortet. Mehr nicht. Man, mein Drache ist heute aber auch eine harte Nuss. Kurz seufze ich und zieh damit die Aufmerksamkeit meines Geliebten wieder auf mich. Dann blick ich kurz zu Kai, der versteht, aufsteht und sich kurz unter einem Vorwand aus dem Wintergarten zurück zieht.
 

Sanft ziehe ich meinen Drachen näher zu mir und streich ihm über die Wange. Suche den Blickkontakt, den er bereitwillig mit mir eingeht. Versichere ihm behutsam, dass alles, was wir Kai anvertrauen zwischen uns bleiben wird. Kai wird nichts nach außen geben oder etwas tun, was wir nicht wollen. Setos Blick wird skeptisch. Hm... wie kann ich ihm nur die Angst davor nehmen, dass Kai ihn so hintergehen könnte, wie diese Staatsanwältin und Detective Nagasato?
 

Da klopft es an der Tür zum Wohnzimmer und als wir zur gläsernen Tür blicken, sehen wir Akito. Seto nickt und Akito kommt herein. Als er uns erreicht geht er vor Seto in die Hocke und sucht seinen Blick. Als er ihn hat, versichert Akito Seto, dass Kai absolut vertrauenswürdig ist. Seto fragt, warum sich Akito so sicher sei. Die ehemalige rechte Hand meines Drachens lächelt warmherzig. Antwortet dann, er würde Kai mittlerweile recht gut kennen. Wüsste, dass er auch andere prominente Kinder und Jugendliche als Patienten gehabt hatte. Das überrascht jetzt Seto. Sicherlich war er davon ausgegangen, dass er der erste prominente Patient von Kai wäre.
 

Doch dann zieht mein Geliebter kritisch die Augenbrauen zur Nasenwurzel. Woher Akito wissen möchte, dass Kai andere prominente Patienten gehabt hat? Hatte Kai damit angegeben? Wie vertrauenswürdig macht ihn das? Ich blinzle erstaunt. Erstaunt darüber, wie Seto um jeden Preis gerade versucht Kai zu demontieren. Doch Akito schüttelt nur den Kopf. Versichert, dass Kai nie angeben würde, dass entspräche nicht seiner Natur. Er wüsste das nur, weil er bei Kai daheim an einer Wand Dankesschreiben und -bilder von den Patienten gesehen habe und die Namen wiedererkannt hatte.
 

Hm... stimmt, ich hab ihm nach unserer ersten Therapierunde auch ein Bild gemalt gehabt. Wusste gar nicht, dass Kai sich so etwas an die Wand hängen würde. Aber sicherlich macht es sein Beruf notwendig sich irgendwo seine 'Erfolge' bewusst zu machen. Was der Mann wohl schon alles erzählt bekommen hat? Und noch hören wird... von Seto.
 

Wieder streich ich Seto sanft über die Wange und versichere ihm auch noch einmal, dass ich Kai für absolut vertrauenswürdig halte. Sehe, wie Seto mit sich ringt, bevor er schließlich nickt. Es fällt ihm nicht leicht sein Misstrauen wieder abzulegen. Wie ihn das jetzt in seiner Therapie zurück wirft.
 

Wut wallt in mir auf. Auf Detective Nagasato und diese Maggi Thompson. Wenn die wüssten, was sie mit ihrer dämlichen Aktion angerichtet haben, nur weil sie sich nicht etwas länger gedulden konnten. Wie gern würd ich ihnen den Schaden, den sie verursacht haben, zeigen. Aber leider ist der Schaden nicht greifbar oder auf Bilder zu bannen. Und in jemand hineinschauen kann niemand.
 

Stolz lächelt Akito Seto an, streicht ihm kurz über die Schulter, bevor er aufsteht und den Wintergarten wieder verlassen möchte. Doch da schnellt Setos Hand vor und hält ihn fest. Bittet ihn, zu bleiben. Überrascht schauen sowohl Akito, als auch ich meinen Drachen an. Dieser scheint verlegen zu sein. Doch das könnte trotz allem ein Schritt nach vorne Richtung Gruppensitzung sein. Also nickt Akito und nimmt auf einem Sessel platz.
 

Kai kommt zurück und setzt sich wieder auf seinen Stammplatz. Lächelt sanft in die Runde und ist etwas überrascht davon, dass Akito in dem zweiten Sessel sitzt. Doch dann beginnt er wieder mit dem Smalltalk über den Urlaub und dieses Mal ist Seto gesprächiger. Lässt die 10 Tage noch einmal Revue passieren. Erzählt von Mokuba und wie er Noa kennen gelernt hat. Dass die beiden für seinen Geschmack zu schnell zu eng wurden und er erleichtert ist, dass jetzt zwischen den beiden erst einmal etwas Distanz liegt. Redet nach ein wenig Zögern über seine Ängste und Befürchtungen bezüglich der beiden.
 

Na endlich... es läuft wieder. Und ich kann meinem Drachen ansehen, wie es ihn erleichtert, dass alles mal raus und von Kai einordnen zu lassen. Damit sind wir wieder auf einem guten Weg. Darauf können wir weiter aufbauen.
 

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Einen Schritt, der sich wiederholt

Eilig schließe ich die Haustür auf, bevor ich über die Schwelle stolpere. Eine Hand packt mich am Oberarm und verhindert, dass ich hinfalle. Ich folge der Hand über den Arm zur Schulter, bis ich Noas Lächeln sehen kann. Ein Lächeln, welches von niemand getoppt werden kann. Welches ich nur glücklich erwidere. Dann betreten wir gemeinsam das Haus.
 

Noa wirkt auf einmal unsicher auf mich. Er sieht sich unschlüssig um. Als ich ihm seine Gästepantoffeln hinstelle, damit er die Schuhe wechseln kann, fragt er mich erneut, ob das wirklich okay ist. Er meint damit, dass ich ihn einfach so hier her mitgenommen habe ohne jemand um Erlaubnis zu bitten. Ich nicke und erkläre, dass unsere anderen Freunde auch ohne Voranmeldung hier ein und aus gehen. Er sich also keine Gedanken machen soll.
 

Gerade als Noa seine Schuhe gewechselt hat und wir von der Garderobe wegtreten, kommt Kai aus dem Wohnzimmer. Baff bleib ich stehen, bevor ich ihn freudig begrüße. Ich stelle ihm Noa vor und er nickt meinem Freund freundlich zu. Er scheint gar nicht überrascht zu sein, dass ich einen Freund habe. Kurz erkläre ich Noa, dass Kai mein Therapeut ist, bei dem ich jeden Samstag Sitzung habe. Daher stellt sich mir die Frage, wieso Kai an einem Montag hier ist?
 

Kai lächelt weiterhin unbeirrbar höflich und meint, dass er nur kurz da war, um ein wenig mit Akito zu plaudern. Doch ich sehe hinter ihm Seto, Katsuya und Akito aus dem Wintergarten kommen. Seto sieht nicht gut aus. Eher so, als hätte er gerade eine schwierige Sitzung hinter sich gebracht. Aber das ist ausgeschlossen. Hätte er eine Sitzung bei Kai gehabt, dann wäre Akito nicht mit im Wintergarten gewesen. Mein Bruder duldet dann nur Katsuya an seiner Seite. Oder?
 

Als meine Familie näher tritt, sehe ich wie ein überraschter Ausdruck auf ihre Gesichter tritt. Katsuya begrüßt Noa als Erster mit einem sanften Lächeln. Fragt, ob er mit in die Küche kommen möchte, um beim Tischdecken zu helfen. Noa schaut mich kurz an und nickt dann, lässt sich vom Blonden wegführen. Kurz schau ich den beiden hinterher, bevor ich wieder zu Akito und Seto schaue.
 

Seto fragt mich in einem angespannten Tonfall, was Noa hier zu suchen hat. Ich schau ihn verwirrt an und frage zurück, seit wann ich Besuch erst absegnen lassen muss. Mein älterer Bruder zieht die Stirn kraus und beginnt sich die Nasenwurzel zu massieren, als hätte er wieder einen Anfall von Kopfschmerzen. Fragt mich mit bemüht ruhiger Stimme, ob mir klar wäre, was für Folgen das haben kann. Für Aktio. Für ihn. Für uns. Jetzt versteh ich gar nichts mehr.
 

Ungehalten frag ich ihn, worum es eigentlich geht. Noa weiß doch, dass er mein Bruder ist. Also was soll sein Hiersein schon für Folgen für Seto haben? Und überhaupt, was für Folgen soll es für Akito haben? Noa hat doch gar nichts mit meinem Adoptivvater zu tun. Also was soll das Theater jetzt auf einmal?
 

Gerade als Seto Luft holt, um mir was zu entgegnen, legt Akito ihm die Hand auf die Schulter. Davon wird Seto abgewürgt, der wohl gerade was zurückkeifen wollte. Stattdessen verschränkt er nur seine Arme defensiv vor der Brust und wechselt ein Blick mit Akito. Dieser löst sich schließlich von Seto und kommt zu mir. Legt mir eine Hand in den Rücken. Führt mich zur Sitzbank bei der Garderobe. Dort setzen wir uns hin. Seto bleibt wo er ist, Kai an seiner Seite.
 

Langsam und geduldig beginnt Akito mir zu erklären, dass es nicht in Ordnung ist, dass Noa so einfach her gekommen sei. Sicherlich hat sein Vormund keine Ahnung, dass er hier bei ihnen sei und macht sich Sorgen. Nicht verstehend blick ich Akito an und möchte was erwidern, doch Akito redet schon weiter. Erklärt mir, dass es rechtlich schwierig werden könnte, wenn Noas Vormund glaubt, wir hätten ihn dazu angestiftet her zukommen. Angestiftet? Ich hab ihn nicht angestiftet, ich hab ihn eingeladen. Seto bekommt Schnappatmung.
 

Was geht denn ab? Seit wann muss ich mir erst eine Erlaubnis einholen, wenn ich Freunde mit nach Hause bringen möchte? Die anderen kommen doch auch, wie es ihnen gefällt. Seto schleudert mir entgegen, dass das doch was völlig anderes ist. Ich begehre auf und will wissen, warum das was anderes ist. Energisch schleudert mir Seto entgegen, dass die anderen älter seien und vor allem hier in Domino wohnen und leben.
 

Jetzt begreife ich, was los ist. Seto und Akito denken, dass Noa aus dem Urlaubsort mir nichts, dir nichts in einen Zug gesprungen und her gefahren sei, um hier zu sein. Ich muss einfach nur laut lachen, was die Rage meines großen Bruders nur anfacht und er nun zwei Schritte auf mich zueilt. Akito stoppt ihn mit einer Handbewegung und blickt mich fragend an. Er wartet kurz, bis ich fertig mit lachen bin.
 

Entspannt schau ich die beiden an und erkläre ihnen, dass es nicht so ist, wie die beiden wohl glauben. Noa ist nicht einfach von wo auch immer nach Domino gereist, um bei mir zu sein. Er lebt auch hier in Domino und geht auf meine Schule. Dort ist er sogar mein Pate. Beide blicken mich ungläubig an, als hätte ich mir das ausgedacht, um sie zu beruhigen. Ich lehn mich nur kurz entspannt zurück, bevor ich aufstehe. Sag ihnen, wenn sie mir nicht glauben, sollen sie Noa doch selbst fragen. Dann geh ich an ihnen vorbei und in Richtung Küche davon.
 

In der Küche wurde der Tisch bereits gedeckt. Noa steht neben Katsuya und hilft ihm beim Kochen des Mittagessens. Fragend blickt er zu mir. Scheinbar kam das eine oder andere Wort hier an. Ich geh zu ihm, schling meine Arme um seine Hüfte und lege meinen Kopf auf seine Schulter. Lächle ihn nur an und mein, dass es nur ein Missverständnis war.
 

Hinter mir höre ich die Küchentür und als ich rüber blicke sehe ich Seto in ihr stehen, wie er Noa und mich mustert. Was ist nur mit meinem großen Bruder. Ich dachte, er hätte seinen Widerwillen gegen Noa bereits im Urlaub überwunden. Immerhin hat er mich doch sogar eine ganze Woche länger dort bleiben lassen, damit ich noch etwas Zeit mit Noa hatte. Also was stört ihn?
 

Akito kommt herein und schließt ohne Zögern zu Katsuya und uns auf. Dann beginnt er ein Gespräch mit Noa. Fragt ihn nach der Schule und wo er wohnt. Geduldig beantwortet Noa alle Fragen und erklärt, dass er im Sommer bei seinem Onkel war, da sein Großvater im Krankenhaus lag und sein Dad keinen Urlaub bekommen hatte. Aber jetzt würde es seinem Großvater wieder gut gehen.
 

Nachdem das Essen fertig ist verlagert sich das Gespräch an den Esstisch. Seto muss erst von Katsuya an der Küchentür abgeholt und an den Tisch gezogen werden, bevor er sich auch setzt. Stumm beobachtete er das Gespräch und rührt sein Essen nicht an. Es erinnert mich ein wenig an das Ende des letzten Jahres, als die anderen zu Besuch waren und Seto noch versucht hat sie von sich fern zu halten. Aber warum... macht er das jetzt bei Noa? Im Sommer haben wir doch so oft miteinander gegessen... das macht doch alles keinen Sinn. Oder?
 

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Einen Schritt auf die andere Seite

Als ich meine Augen öffne, umfängt mich sofort warmes, gedämpftes Licht. Mein Blick gleitet zum Fenster, doch draußen ist es noch dunkel. Komisch. Normalerweise, wenn ich mitten in der Nacht wach werde, dann hatte ich einen Albtraum. Bin innerlich total aufgewühlt. Brauche eine Zeit lang, um soweit ruhig zu werden, dass mein Streuner mich wieder in den Arm nehmen kann. Bis ich über meinen Traum reden kann. Doch ich fühle mich gerade nicht aufgewühlt. Kann mich nicht an einen Albtraum erinnern. Also warum bin ich wach?
 

Da zuckt neben mir in meinem Arm plötzlich etwas. Sofort schnappt mein Blick auf den blonden Schopf meines Streuners, der eng an mich gekuschelt daliegt. Wieder zuckt er zusammen. Sanft streichle ich ihm das lange Pony aus dem Gesicht. Katsuya wirkt gequält und Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn. Was hat mein Streuner nur? Normalerweise wird er nur dann von Albträumen malträtiert, wenn er einen Trigger hatte.
 

Langsam dreh ich mich zu ihm. Zieh ihn etwas mehr in meinen Arm und platziere einen Kuss auf seiner Stirn. Streich ihm behutsam über den Rücken. Ich weiß, dass Katsuya oft mit mir redet, wenn ich Albträume habe. Er meint, dass es mich manchmal wieder beruhigt, so dass ich durchschlafen kann. Doch ich würde mich wie ein Idiot fühlen, jetzt mit Katsuya zu sprechen. Was soll ich auch schon groß sagen? Dass es nur ein Traum ist? Dass er bei mir ist? Keine Ahnung.
 

Plötzlich zuckt mein Streuner so zusammen, dass er seine Augen aufschlägt und mich verwirrt anblickt. Sein Atem geht schwer und sein Körper zittert ein wenig. Er blinzelt einige Male und dann zeichnet sich langsam ein Lächeln auf seinem Gesicht ab. Hebt seine Hand an meine Wange und streichelt mir sanft darüber. Dankt mir dafür, dass ich auf ihn aufgepasst habe, bevor er sich wieder enger an mich schmiegt und scheinbar prompt wieder einschläft.
 

Wie... wie kann er nach einem Albtraum sofort wieder einschlafen? Wenn ich ein Albtraum habe, dann ist Stunden lang nicht an Schlaf zu denken, egal, wie erschöpft ich eigentlich bin. Viel zu sehr fürchte ich, dass sich mein Albtraum im Schlaf fortsetzen würde. Bei schweren Albträumen zieht sich diese Furcht über Tage hinweg und Katsuya hat immer einiges zu tun, um mich auch nur in die Nähe des Bettes zu manövrieren. Und er...? Er wacht auf, dankt mir und pennt weiter?
 

Ich hab noch lange darüber gegrübelt, als sich Katsuya erneut in meinem Arm bewegt. Langsam räkelt er sich und legt mir einen Arm quer über die Brust. Dann legt er seinen Kopf in den Nacken, schaut mich an und lächelt. Mit diesem wundervollen Lächeln, dass er so lange vor mir verheimlicht hat. Welches er mir erst schenkte, nachdem ich ihm erlaubte, in meinen inneren Kreis einzutreten. Dann streckt er sich mir entgegen und küsst mich liebevoll. Ich kann nicht anders, als den Kuss zu erwidern.
 

Wir haben es uns angewöhnt, morgens immer noch ein wenig zu kuscheln. Hätte man mich letztes Jahr gefragt, ob ich mir das für mich vorstellen könnte, hätte ich es vehement verneint. Aber damals habe ich auch nicht geglaubt, dass ich jemals jemand finden würde, der mich bedingungslos liebt oder das mein Love Interest auch Gefühle für mich hat.
 

Nachdem unser Kuss ausgeklungen ist streich ich ihm wieder eine Strähne hinters Ohr und frag ihn behutsam, was er heute Nacht geträumt hat. Wieder fühlt es sich falsch an, dass unsere Rollen gerade vertauscht sind. Ich möchte nach einem Albtraum nicht danach gefragt werden und dennoch lieg ich jetzt hier, schau meinem Streuner in die honigbraunen Augen und stell ihm diese ungeliebte Frage.
 

Erst schaut er mich etwas verwirrt an, dann lächelt er mich sanft an. Streicht mir wieder liebevoll über meine Wange, bevor er zur Antwort ansetzt. Erzählt mir davon, wie er davon geträumt hat, das der alte Restaurantbesitzer hinter ihm her war und sein jüngeres Ich verzweifelt versuchte ein sicheres Versteck zu finden. Doch egal wo er sich versteckt habe, der Alte hatte ihn gefunden und ihm weh getan.
 

Aufmerksam beobachtete ich meinen Streuner. Doch er scheint gar kein Problem damit zu haben, mir davon zu erzählen. Kein Sträuben. Kein Zögern. Wie macht er das nur? Wie kann er nur so offen über seine Erlebnisse und seine Albträume reden? Für mich ist sowas immer ein Kampf und die reinste Überwindung. Ohne Katsuya würde ich gar nichts davon schaffen. Dann wird mir bewusst, dass ich ihn dafür wirklich bewundere: Dafür, dass er so ist, wie er ist und mich aus diesem Loch rausgeholt hat, dass ich mir selbst geschaufelt hatte. In dem ich vermutlich elendig verendet wäre.
 

Also zieh ich ihn noch einmal in einen Kuss und lege all meine Liebe für meinen Streuner hinein. Ich möchte, dass es keinen Zweifel daran gibt, wie sehr ich ihn liebe und wie dankbar ich ihm bin. Als wir uns wieder voneinander lösen, seh ich sein breites und glückliches Lächeln. Mein Streuner strahlt regelrecht. Dann beginnen wir unseren Tag. Gemeinsam.
 

Es ist halb vier, als wir aus der Schule wieder nach Hause kommen. Wir ziehen gerade unsere Schuhe aus, als mir ein Paar Turnschuhe auffallen, die dort schon stehen. Ich kenne dieses Paar. Innerlich stöhn ich auf. Wieso ist Kai denn schon wieder hier. Er war doch erst gestern da. Dachte eigentlich, wir hätten uns darauf verständig, dass es Samstag regulär weiter gehen wird. Also warum ist er jetzt schon wieder da?
 

Mein Streuner spürt mein Unwohlsein und verschränkt seine Finger mit den meinigen. Sucht meinen Blick. Als ich ihm diesen schenke, lächelt er mich ermutigend an. Meint zu mir, dass alles gut sei und es sicherlich ein Grund für alles gibt. Einen Grund? Welchen Grund kann es dafür geben, dass Kai schon wieder der Meinung ist, außer der Reihe mit mir ein Therapiegespräch führen zu müssen?
 

Sanft zieht mich mein Streuner in die Küche, in der am Tisch Akito und Kai sitzen. Beide schauen zu uns, als wir reinkommen und grüßen und freundlich. Dabei stehen beide auf. Akito fragt uns, wie unser Tag war. Doch mein Blick haftet an Kai, der am Tisch stehen geblieben ist und nur auf seine eigene höfliche Art lächelt. Irgendwie macht mich dieses Lächeln wütend. Ich kann gar nicht sagen, warum. Es ist einfach so.
 

Erst als Katsuya mit dem Ellenbogen mir in die Seite stupst besinn ich mich auf Akitos Frage und beantworte sie knapp und einsilbig. Daraufhin bittet Akito uns schon einmal am Tisch Platz zu nehmen, während er zwei vorbereitete Teller noch einmal aufwärmen möchte. Vorbereitete Teller? Wer hat denn gekocht? Doch Katsuya zieht mich bereits mit zum Tisch, an den wir uns dann zusammen mit Kai setzen.
 

Da fällt mir auf, dass Kai gar nicht mich anschaut, sondern Katsuya. Er fragt ihn, wie er geschlafen habe. Ich ziehe meine Stirn etwas kraus. Es kommt mir komisch vor, dass er meinen blonden Streuner ausgerechnet heute nach seinem Schlaf fragt. Katsuya zuckt kurz mit den Schultern und lächelt auf eine merkwürdige, bedrückte Art. Statt einer Antwort entgegnet er Kai nur, dass dieser doch weiß, wie sehr er Fragen hasse, auf die der Therapeut schon die Antwort wüsste.
 

Sanft lächelt Kai und entschuldigt sich bei Katsuya. Dann fragt er meinen Freund, ob dieser morgen wieder auf den Friedhof gehen wird. Verwirrt blicke ich zwischen den beiden hin und her. Friedhof? Von was sprechen die beiden? Ist mir da irgendwas entgangen?
 

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Einen Schritt nicht schaffen

Ich hasse diesen einen Tag im Jahr. Es gibt nicht viel, bei dem ich dieses Extrem nutze. Dieser Tag hat es sich redlich verdient. Der Tag, der mich bloß stellte, das Leben meines Vaters zerstört und meine ganze Familie für immer und unwiederbringlich zerspringen ließ. Alles nur wegen den Taten eines einzelnen Mannes, der die Kontrolle über sich verloren hatte. Dieser Kontrollverlust hat mich für mein Leben geprägt und wird mich bis zu meinem Tod begleiten.
 

Dieser Tag jährt sich nun zum elften Mal und wie jedes Jahr steh ich hier, vor dem Tor des Friedhofs und betrachte es lange. Man sollte meinen, dass die zehn Besuche vor diesem mir eine gewisse Übung oder Abgeklärtheit geschenkt haben. Haben sie nicht. Dafür möchte ich mich am liebsten ohrfeigen.
 

Mich wieder wie der Siebenjährige zu fühlen, der sich mit seiner schlimmsten Angst konfrontiert sieht, ist fast unerträglich. All die Scham von damals ist so präsent, als wäre sie nie weg gewesen. Die Scham, die ich damals empfunden habe, als mein Vater uns im Keller bei der Tiefkühltruhe erwischt hat. Nein, nicht uns! Es war nicht meine Schuld, mein Fehler oder meine Verantwortung, wie es der Alte mir immer wieder eingetrichtert hatte. Es war ganz alleine der Alte, der erwischt wurde.
 

Damals, als mein Vater den Alten wegstieß und mich packte, hatte ich gedacht, er würde mich jetzt zum Jugendamt bringen, um mich zu verstoßen. So hatte es der Restaurantbesitzer mir eingeredet. Immer und immer wieder hatte er mir erzählt, dass meine Eltern aufhören würden, mich zu lieben, wenn sie das mit ihm und mir jemals heraus fänden. Deshalb hab ich nie um Hilfe gerufen, wenn mich der Alte fand und begann sich über mich herzumachen. Ich wollte meine Familie nicht verlieren.
 

Aber auch die Wut meines achtjährigen Ichs zu fühlen, ist nicht gerade das Angenehmste. Nach einem dreiviertel Jahr Therapie hatte ich endlich verstanden, was der Alte mit mir gemacht hatte. Hatte verstanden, dass ich ein Überlebender war. Hab es als ungerecht empfunden, dass er mich ausgesucht hatte. Weil ich verfügbar gewesen war. Hab mich damals oft gefragt, ob ich etwas hätte anders machen können, damit der Alte von Anfang an die Griffel von mir gelassen hätte. Hab aber schnell erkennen müssen, dass diese 'was wäre wenn'-Gedanken mich nicht voran bringen, also hab ich sie irgendwann gelassen.
 

In den vergangenen Jahren hab ich mir oft die Frage gestellt, ob ich wirklich das erste oder einzige Opfer des Restaurantbesitzers gewesen war. Ich meine, so eine Neigung entwickelt man doch nicht von null auf gleich, nur weil man eine Gelegenheit wittert. Oder war das der ausschlaggebende Grund? Die Gelegenheit? Das ich verfügbar und wir in seiner Wohnung ungestört waren? Hat er sich deshalb an niemanden sonst ran getraut? Nur an mich?
 

Da spüre ich plötzlich etwas an meiner Hand. Als ich hinunter schaue, erkenne ich Finger, die sich mit meinen verschränken. Wie in einem Traum hebe ich langsam meinen Blick, bis ich das Gesicht meines Drachens neben mir sehen kann. Das erinnert mich daran, dass der Besuch dieses Jahr anders ist, als die letzten paar Male, denn ich bin nicht alleine. Bei den ersten Jahrestagen hatte mich Kai begleitet, bis ich anfing in die Pubertät zu kommen. Ab da bin ich alleine hergefahren.
 

Wenn es nach mir gegangen wäre, dann wäre ich auch heute alleine hier. Ich kann gar nicht erklären, wieso ich lieber alleine hier wäre, als in Begleitung meines Drachens. Vielleicht hat es etwas mit der Angst zu tun, dass er mich als seinen Partner ablehnen könnte, wenn er erst einmal gesehen hat, dass ich doch nicht so stark bin? Aber was unterscheidet dieser Besuch auf dem Friedhof von einem Trigger? Klar, haben ihm die Trigger Angst gemacht, weil er sie nicht von mir kannte, aber er fing mich auf und hatte viel Verständnis dafür. Das hatte nichts zwischen uns geändert. Wird es mit diesem Besuch genauso sein?
 

Ich kann spüren, wie Seto sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken streichelt. Mit Mühe lächle ich ihn an und er bittet mich, dass nicht zu tun. Perplex schau ich ihn an. Sanft streicht er mir mit seiner freien Hand über die Wange. Flüstert mir zu, dass er ahnen kann, wie schwer mir das Hiersein fällt. Das mir sicherlich nicht zum Lächeln zu Mute sei. Also soll ich mich nicht zwingen. Tja, mittlerweile kann mein Drache auch mich ganz gut lesen. Das macht mich stolz. Stolz auf ihn. Was mein geliebter Drache für eine Entwicklung bis hier her schon hinter sich hat. Das ist einfach verblüffend.
 

Als ich gestern Seto erzählte, dass heute der Todestag des Restaurantbesitzers sei, hat er mich nur verwundert angeschaut. Fragte mich, warum ich jemanden, der mir solchen Schmerz zugefügt hat, die Ehre erweise, ihn am Todestag zu besuchen. Wieder musste ich lange überlegen, bevor ich antwortete, dass es dabei nicht um Ehre ging. Fragend hatte mich mein Drache angeschaut.
 

Da hatte Kai das Wort ergriffen. Er hatte Seto dann erklärt, dass es um eine letzte Aufgabe ging. Eine Aufgabe, die er nur jene Patienten auftrug, die ihre Therapie erfolgreich abgeschlossen haben. Dabei kann sich diese Aufgabe von Person zu Person unterscheiden. Fragend hatte mich Seto wieder angeschaut und ich musste ihm gegenüber einräumen, dass ich diese letzte Aufgabe noch nicht erfolgreich bewältigt habe.
 

Für einen Moment hatte ich geglaubt in seinem Blick Zweifel zu sehen. Ich war mir sicher, er würde sich fragen, ob ich ihn belogen oder ihm etwas vorgemacht hatte. Doch dann beugte er sich zu mir rüber und küsste mich sanft. Nach dem Kuss meinte mein Drache, dass er mich begleiten würde. Es war keine Frage gewesen, sondern eine Ankündigung. Wie hätte ich ihm da sagen sollen, dass mir das nicht so recht wäre?
 

Langsam setze ich den ersten Schritt durch das Tor auf den Friedhof. Wir schreiten an unzähligen Grabsteinen vorbei. Bei manchen glimmen Räucherstäbchen, bei anderen liegen einige frische Blumen. Ich hab weder Räucherstäbchen, noch Blumen bei mir. Warum auch? Schließlich kommen wir zu der Reihe, in der auch die Urne des Alten beigesetzt wurde. Noch einmal bleib ich stehen. Zögere. Dann betrete ich die Reihe.
 

Erst nach einigen Metern erreichen wir den Grabstein des Restaurantbesitzers und ich kann hören, wie Seto überrascht Luft in sich zieht. Vielleicht hab ich ein kleines Detail in meiner Erzählung falsch dargestellt... ein unwichtiges Detail, meiner Meinung nach. Seto sagt nichts. Er wird es sicherlich später zur Sprache bringen und mich danach fragen. Muss er tun. Das ist zwanghaft bei ihm. Ich weiß das und werde ihm daher auch nicht böse sein.
 

Wie schon die viele Male zuvor steh ich stumm an dem Grab meines Peinigers und hab keine Stimme. Irgendwas schnürt mir immer den Hals ab, wenn ich hier stehe. Ein großer, fetter Kloß bildet sich in meinem Hals und ich kann nichts anderes tun, als meine Lippen fest aufeinander pressen. Spüre, wie die Scham und die Wut in mir auf ein unerträgliches Maß anschwellen. Ich will schreien. Klagen. Fragen. Doch kein Ton kommt aus einem Mund.
 

Alles was ich tun kann, ist meine Hände zu Fäusten ballen. Okay, meine eine Hand zu einer Faust ballen, denn die andere wird von Seto gehalten. Durch das Ballen meiner Hand zerknüll ich den Brief, den ich in meiner Hand halte. Nicht zum ersten Mal. Dieser Brief hat schon einige Jahre und Besuche hier auf dem Friedhof hinter sich. Hier und da ist der Brief schon so abgenutzt, dass er droht zu zerfledern. Ohne große Sorgfalt stopf ich den Brief schließlich wieder in meine Hosentasche und wende mich von dem Grab ab. Stapfe eilig und wütend davon und ziehe einen verwirrten Seto einfach mit mir.
 

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Einen Schritt der Evaluation

Ich sitze mit meinem Streuner auf der Rückbank meines Autos, während Fuguta ihn sicher durch den Verkehr steuert. Mein Streuner hat seine Arme vor der Brust verschränkt und stiert aus dem Seitenfenster. Auf mich wirkt er wütend. Enttäuscht? Eine Mischung aus beidem? Aber warum ist er wütend oder enttäuscht?
 

Das letzte Mal, dass ich ihn derartig erlebt habe war... das ist schon eine gefühlte Ewigkeit her und doch, war es erst letztes Jahr. Bei einem unserer Wortgefechte. Eigentlich war es ein ganz normales Gefecht, wie so viele davor. Doch dann hab ich etwas gesagt - ich weiß gar nicht mehr, was es war -, dass hatte ihm die Sprache verschlagen und den restlichen Schultag hatte er so eine missmutige Stimmung, wie jetzt.
 

Langsam rück ich näher zu ihm. Ich möchte ihm zeigen, dass ich für ihn da bin. Doch er scheint wo ganz anders zu sein. Oder vielleicht wünscht er sich auch gerade, dass ich nicht da wäre. Immerhin hab ich mich förmlich aufgedrängt, ihn zum Friedhof zu begleiten. Vielleicht hätte ich vor dem Friedhof oder an der Grabreihe warten sollen und ihn allein zu diesem Grab gehen lassen sollen? Aber... hätte ich dann je die Wahrheit erfahren?
 

Ich gehe noch einmal unser Gespräch vom letzten Jahr durch. Immer und immer wieder. Wie war der genaue Wortlaut? Hab ich ihn nur falsch verstanden? Gedanklich setze ich etwas früher an:

Es war ein Freitag und kurz vor Mitternacht, als Katsuya im Conbini Feierabend gemacht hatte. Mit zwei Papiertüten trat er auf den Bordstein und sah mich verwundert an. Eigentlich hatte er mir gesagt, dass ich ihn nicht abholen bräuchte und er etwas später heim käme. Doch ich hab es daheim nicht mehr ausgehalten. Also hatte ich ihn doch abgeholt.

Nachdem er mich nochmals versucht hatte, heim zu schicken, ließ er mich ihn fahren. In ein sozialschwaches Wohngebiet. Zu einem heruntergekommenen Wohnhaus. Dort bot er mir erneut an, einfach im Auto zu warten, doch ich konnte seine Hand einfach nicht loslassen. Also bin ich mit rein. In diesen siffigen Hausflur, der mehr wie eine Toilette roch. Dann noch dieser Schmierlappen, der in dieser unangenehmen Singsang-Stimme nach der Miete fragte.

Doch Katsuya hat ihm kontra gegeben und ihn auf den Ersten verwiesen. Ich weiß nicht warum, aber diese Art meines Streuners den Vermieter in seine Schranken zu verweisen, hat mich stolz gemacht. Stolz, weil er sich einfach nichts gefallen ließ. Dieser Teil seines Wesens hatte mich schon immer interessiert und vielleicht war es der erste Teil, in den ich mich verliebt hatte.

Dann sind wir die Treppen hochgestiegen. Durch den Etagenflur. All diese lauten Nachbarn empfand ich so unangenehm und belastend. Hätte ich hier wohnen müssen, hätte man mich vermutlich nach vier Wochen irgendwo einweisen müssen.

Schließlich hab ich zum ersten Mal Katsuyas Vater kennengelernt und erlebt. Das erste, was mir durch den Kopf gegangen war - und das weiß ich heute noch sehr genau - waren die Worte 'mieser Säufer'.

Katsuya hat sich wirklich rührend um seinen Vater gekümmert. Dann nahm er mich in sein Zimmer mit und wollte ein paar Sachen packen. Als ich damals erkannte, dass Katsuyas Versprechen, bei mir zu bleiben, bis ich ihn wegschicke, keine leere Worten waren, war ich so froh.

Ein Poltern aus dem Wohnzimmer unterbrach meine Freude. Katsuya wurde sofort aufmerksam und wirkte mehr denn je wie ein Hund. Ein Wachhund. Er bat mich in seinem Zimmer zu bleiben. Dann ließ er mich alleine. Durch einen Spalt in der Tür hab ich raus gespäht und drei Yakuza gesehen. Diese wollten Geld und Katsuya hatte ihnen alles gegeben, was er hatte. Versprochen, dass sie den Rest die Woche drauf bekommen würde.

Ich hatte ihm Hilfe angeboten. Geld. Doch er hat sie abgelehnt. Bis heute weiß ich nicht, ob es Stolz war, dass ihn meine Hilfe ablehnen ließ. Oder Angst, dass ich den falschen Eindruck von ihm gewinnen könnte?

Also hatte ich ihn gefragt und Katsuya meinte, dass es um seinen Vater ginge und er diese Verantwortung nicht einfach auf jemand anderen abwälzen könnte. Die Frage, was er dem Totalversager schon schuldig sei, zeigte mir damals eine Seite von Katsuya, die ich bis dahin nicht kannte: Wut. Nicht die übliche Wut, die er zeigte, wenn wir uns in den Wortgefechten nichts schenkten. Eine andere, unverfälschte Wut, die seine Stimme zittern ließ. Mit der er mich aufforderte nach Hause zu gehen. Die mich glauben ließ, er hätte das, was da gerade begonnen hatte, beendet.

Erst später erkannte ich, dass das nicht der Fall gewesen war. Aber bis dahin durchlief ich emotional eine Hölle, die ich nicht gekannt hatte. Die erst abebbte, als er plötzlich hinter mir auftauchte und mich sanft umarmte. Die Erleichterung, dass Katsuya doch nicht mit mir Schluss gemacht hatte, war so überwältigend.

Dann hat er mir alles erzählt und erklärt: Wer sein Vater einmal war, was geschehen war und wie sein Vater ihm Gerechtigkeit verschafft hatte. Wie waren noch einmal die genauen Worte?
 

'Die Mitarbeiter dieses Restaurants waren WIE eine Familie zueinander'. Neben seinem Vater hatte auch Katsuyas Tante dort gearbeitet. Spätestens, als ich das im Frühjahr rausgefunden hatte, hätte es doch bei mir schon klingeln müssen. Das war nicht nur 'wie' eine Familie... es war Familie.
 

'Der Mann war für mich, wie ein Großvater', hatte Katsuya mir damals erzählt. Hatte er doch, oder? Nein, ich bin mir sicher, dass das seine Formulierung war. Doch als wir vorhin auf dem Friedhof an dem Grab dieses Mannes ankamen stand auf dem Stein der Familienname meines Streuners.
 

Das Monster meines Katsuya... er war nicht WIE ein Großvater, sondern er war sein Großvater. Die Tragweite dieser Erkenntnis ist immer noch nicht ganz greifbar für mich. Die Frage, warum mein Streuner es so formuliert hat, lässt mich einfach nicht mehr los. Hat er es so formuliert, weil er dachte, dass die Wahrheit für mich zu erschreckend gewesen wäre? Aber er hat es auch der Clique so erzählt. Nicht nur mir alleine.
 

Oder... leugnet Katsuya diese Tatsache auch vor sich? Ist das vielleicht eine Art Selbstschutz? Was bedeutet es für ein Kind, wenn jemand aus der Blutsverwandschaft ihm so etwas Schlimmes antut? Das muss doch viel schlimmer sein, als wenn es - wie bei mir - ein Nichtverwandter gewesen wäre. Oder spielt das keine Rolle?
 

Der Wagen kommt zum Stehen und Katsuya steigt eilig aus und geht sich mit der Hand durch das blonde Haar. Ich danke Fuguta kurz fürs Fahren, bevor ich meinem Streuner folge, der die Küche ansteuert. Er muss sich erst einmal sortieren, wie sonst auch, wenn er emotional aufgewühlt ist. Also gedulde ich mich mit meinen Fragen, bis er wieder er selbst ist, auch wenn es mir gerade unendlich schwer fällt.
 

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Einen Schritt abwarten

Als ich die Auffahrt zum Haus hochlaufe bin ich immer noch total geflasht. Mein Schultag war einfach fabelhaft. Meine Klasse ist gar nicht mal so groß und zählt zwanzig Schüler. Natürlich haben sie mich Anfang der Woche erst einmal neugierig gemustert, immerhin ist das Wechseln im laufenden Schuljahr nicht alltäglich. Doch es kamen bislang keine dummen Kommentare. Ich vermute, man glaubt, dass ich neu zugezogen bin.
 

Ich hab mich in den ersten Tagen im Unterricht etwas zurück gehalten. An meiner alten Schule wurde ich vor allem dadurch zum Außenseiter, dass ich als Streber verschrien war. Doch selbst nachdem ich meine Leistungen gedrosselt habe, um mit den Noten ins Mittelfeld zu fallen, hörte das Ausgrenzen nicht auf. Denn dann wurde sich plötzlich auf meinen Familiennamen und den damit verbundenen Reichtum fixiert.
 

Doch dank Akito und die Adoption durch ihn, kann mir das an der neuen Schule nicht mehr passieren. Niemand an meiner neuen Schule bringt mich mit den Namen Kaiba oder dem damit verbundenen Reichtum in Verbindung. Es gibt also nichts, woran sich jemand aufreiben oder nutzen könnte, mich erneut auszugrenzen... nun ja... bis auf die eine Sache, über die ich seit Montag grübel:
 

Meine sexuelle Orientierung. Noa, der in meiner Klasse ist, ist offen bisexuell. An meinem ersten Tag wurden wir von einem anderen Schüler beim Knutschen erwischt. Doch wie Noa mir versichert hatte, hatte der andere nichts weitererzählt. Ich weiß, dass Akito möchte, dass ich mich nicht öffentlich oute, eben um nicht erneut zum Opfer von Mobbing zu werden. Aber da kannte ich auch noch nicht Noa und auf den ersten Blick scheint die Schule mitsamt der Schülerschaft sehr offen für LGTBQ+ zu sein.
 

Gerade in der Pause sehe ich häufig hier und da Pärchen aller Facetten offen miteinander Händchen halten und küssen. Vielleicht... sollte ich mit Akito noch einmal darüber reden. Da spüre ich auch schon, wie sich Finger mit meinen eigenen verschränken. Automatisch fange ich an glücklich zu lächeln. Wie schon die letzten Tage hat mich Noa nach Hause begleitet. Es lernt sich mit einem Partner einfach besser, ganz zu schweigen von den ganzen kleinen Belohnungen, die wir uns gegenseitig gönnen. All die Küsse... Berührungen... Streicheleinheiten... Wie es wohl ist, wenn wir mal weiter gehen werden?
 

Gerade als ich die Tür aufschließe und Noa vorlasse, merke ich sofort, dass etwas nicht stimmt. Ich kann gar nicht erklären, woran ich das merke. Es ist einfach ein Gefühl, welches sich sofort einstellt. Während ich aus meinen Schuhen schlüpfe und in die Hausschuhe steige lass ich meinen Blick durch das Foyer schweifen. Dann schau ich kurz ins Wohnzimmer, doch das liegt verlassen vor uns. Also geh ich mit Noa Richtung Küche.
 

Direkt als ich die Schwingtür auch nur etwas öffne, bestätigt sich mein Verdacht: Der Tresen und die Anrichte steht voller Muffins, Servierplatten mit Taiyaki[1] und Teller mit Dorayaki[2]. Dazu steht Katsuya am Herd und hat auf mehreren Flammen Töpfe stehen und scheint etwas zu kochen. Dazu zieht der Geruch von gebratenem Fisch durch die Küche.
 

Seto steht neben der Schwingtür an der Wand gelehnt. Akito sitzt am Esstisch und beobachtet ebenfalls Katsuya sorgenvoll. Erst als wir ganz in die Küche kommen schauen uns die beiden kurz an. Akito steht auf und kommt zu uns. Begrüßt uns. Doch Noa ist mehr als verwundert über den Anblick der vielen Süßspeisen und dem leichten Kochwahn des Blonden.
 

Langsam gehe ich zu Seto und frag ihn, was los ist. Doch mein älterer Bruder meint nur zu mir, dass Katsuya einen anstrengenden Tag hatte. Und das erklärt diese Back- und Kochwut? Ich löse mich von Seto und wage mich vorsichtig zur Kücheninsel und dahinter, bis ich Katsuya erreiche. Vorsichtig umarme ich ihn von hinten und der Blonde fährt erschrocken zusammen. So schreckhaft kenn ich den anderen gar nicht.
 

Er blickt mich überrascht an und fragt mich, warum ich schon zu Hause bin. Als ich meinen Blick zur Küchenuhr hebe, folgt Katsuya diesem und stellt fest, dass wir schon nach fünf Uhr haben. Die Erkenntnis scheint ihn noch mehr zu verblüffen. Leise frag ich ihn, ob alles in Ordnung ist. Er nickt und meint, ich solle mit Noa Hausaufgaben machen gehen, er würde mich holen, wenn das Essen fertig ist. Dann konzentriert er sich wieder auf das Kochen.
 

Wie könnte ich jetzt einfach mit Noa die Küche verlassen und Hausaufgaben machen gehen? Ich würde mich auf nichts konzentrieren können, solange Katsuya hier in der Küche so... exzessiv kocht. Also stell ich mich neben Seto, der einen Arm um meine Schulter legt. Noa gesellt sich neben mich und verschränkt wieder unsere Finger miteinander.
 

Wir stehen noch gar nicht lange da, als die Küchentür ein weiteres Mal aufgeht und Jonouchi-san rein kommt. Er grüßt uns kurz mit einem Nicken, bevor sich sein Blick besorgt auf seinen Sohn richtet. Wo kommt denn jetzt Katsuyas Dad her? Ich schau erst zu Seto und dann weiter zu Akito, der seit unserem Kommen neben meinem großen Bruder steht. Da erkenn ich die Erleichterung in seinem Blick. Scheinbar hat er Katsuyas Vater gebeten zu kommen.
 

Jonouchi-san geht zu Katsuya und umschließt mit seiner Hand die seines Sohnes, die ein Kochbesteck hält. Katsuya wirkt auf mich erst, als sei er nicht willens, das Besteck loszulassen, doch dann lässt er es sich aus der Hand nehmen. Dabei lässt er seinen Kopf nach vorne sacken. Jonouchi-san dreht alle Flammen ab und zieht dann Katsuya behutsam in seine Arme. Fest drückt er ihn an sich und erst nach einem Moment schlingt auch Katsuya seine Arme um ihn.
 

Was ist hier eigentlich los? Was hab ich verpasst?
 

Langsam lösen sich die beiden Blonden voneinander wieder. Jonouchi-sans Hände liegen auf Katsuyas Schultern, der immer noch seinen Kopf hängen lässt. Dann zieht Katsuya etwas aus seiner Hosentasche: Ein ziemlich zusammengeknülltes, gefaltetes Stück Papier. Dieses reicht er seinem Vater. Dieser nimmt es entgegen und steckt es dann in die eigene Hosentasche. Mit sanfter Stimme richtet der Ältere das Wort an seinen Sohn und meint nur 'Dann nächstes Jahr'.
 

Nächstes Jahr? Was ist das für ein Zettel? Um was geht es eigentlich?
 

Als Katsuya seinen Blick hebt, schaut er kurz zu seinem Vater und dann bemerkt er uns. Also nicht nur Noa und mich, sondern auch Akito und Seto. Langsam löst sich Seto von der Wand und nimmt seinen Arm von meiner Schulter. Er geht einen Schritt vor, dann kommt auch schon Katsuya zu ihm und umarmt ihn eilig. Entschuldigt sich.
 

Aber wofür?
 

Da spüre ich, wie Noa mich an der Hand zieht. Ich schau ihn an und er gibt mir mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass wir vielleicht doch die Küche mal verlassen sollten. Also lass ich mich von ihm rausziehen und in unsere kleine Bibliothek ziehen. Dennoch bleiben meine Gedanken bei Katsuya in der Küche.
 

[1] Taiyaki: japanisches Gebäck in Form eines Fisches, welches tarditionell mit Anko (Rote Bohnenpaste) gefüllt ist.

[2] Dorayaki: japanische Süßspeise, bei der sich zwischen zwei Eierkuchen eine Bohnenpaste als Füllung befindet. Alternativ kann man auch Kastanien, Kürbis oder Matcha als Füllung verwenden.
 

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Einen Schritt, der zurückblicken lässt

Als ich aus dem Bad komme sitzt mein Drache mittig auf dem aufgeschlagenen Bett und lächelt mich sanft an. Kurz bleib ich stehen, lösche im Badezimmer das Licht und gehe zu unserem gemeinsamen Bett. Dort krabble ich auf die Liegefläche und dann zieht mich Seto in seine Arme. Verkehrte Welt, geht es mir durch den Kopf. Sonst halte ich meinen Geliebten.
 

Doch heute war einfach nicht mein Tag. Ist er in keinem Jahr. Das war jetzt das zehnte Mal, dass ich an seinem Grab war. Mit diesem Brief. Den ich nicht vorlesen kann. Stattdessen starr' ich jedes Jahr wütend auf dieses Grab und fühle mich wie der Grundschüler, der ich einst war. Der sich gegen den alten Mann nicht wehren konnte. Nicht verstecken konnte.
 

Ich verstehe es einfach nicht. Hab' doch meine Therapie erfolgreich beendet. Kann über alles, was er mit mir gemacht hat, sprechen. Mit Kai, mit meinem Vater, mit Seto und mit all meinen Freunden. Wieso kann ich also nicht diese kindlichen Worte, die ich damals aufgeschrieben habe, vorlesen?
 

Sanft streichelt Seto mir durch das Haar und krault mich im Nacken. Mein Inneres wird ruhiger. Von wem er sich das wohl abgeschaut hat? Ein seichtes Lächeln zeichnet sich kurz auf meinem Gesicht ab. Acht Monate... und noch immer kommt es mir vor, als würde ich träumen. Anderthalb Jahre hab ich ihn angeschmachtet und mir null Chancen ausgerechnet. Hatte mich zu Beginn an jemand anderen geheftet. Doch jetzt lieg ich hier. In seinem Arm. Genieße seine Wärme.
 

Dann höre ich seine warme, weiche Stimme. Kommen jetzt seine Fragen? Die Fragen, die ich seit dem Friedhof von ihm erwarte. Vielleicht sogar Vorwürfe? Weil ich ihm in einem Punkt nicht die Wahrheit erzählt habe? Alles, was ich ihm als Rat gegeben habe, könnte jetzt kompromittiert und in einem zweifelhaften Licht dastehen. Dabei weiß ich selbst nicht, warum ich ihn nicht als die Person benennen kann, die er doch war.
 

Wenn ich von 'meinem Großvater' denke, dann denke ich nicht an den Missbrauch in dem ersten Jahr der Grundschule. Dann denke ich an die vielen Ausflüge, die wir gemacht haben. Die humorvolle, heitere Art, die ihm zu eigen war. Die Fürsorge, die er hatte, wenn ich krank war und meine Eltern arbeiten mussten. Wie wir gemeinsam am Strand waren. In den Bergen. Am See. Wie er mir schwimmen beigebracht hat.
 

Als er sich mir zum ersten Mal aufgezwungen und mich missbraucht hat, hat er aufgehört mein Großvater zu sein. Nach außen hin war er weiter wie mein Großvater. Aber dahinter... da war er ein Monster geworden. Ein Monster, dass mich immer öfters bedrängte, mir auflauerte, Dinge mit mir tat, die ich nicht wollte. Die mir weh taten. Die mich ängstigten. Die mich wieder ins Bett machen ließen. Über die ich damals mit niemanden zu reden wagte.
 

Damals hab ich mich unendlich schmutzig gefühlt. Ich hab so oft versucht duschen oder baden zu gehen, wie es nur ging. Wollte nicht, dass meine Mutter oder mein Vater mich badeten. Aus Angst, sie würden die blauen Flecken an meinen Oberschenkel vielleicht sehen. Damals hab ich auch angefangen mich selbst anzuziehen. Wie überrascht meine Mutter damals war, als sie mir helfen wollte und ich schon fix und fertig angezogen vor ihr stand. Sie war so stolz auf mich und lobte mich, dass ich langsam ein 'großer Junge' wurde.
 

Ja, diese Wortwahl hatte auch er benutzt, wenn er sich mir aufzwängte und sein Tun damit legitimierte. 'Wenn man ein großer Junge wird, dann kann es passieren, dass man schlimme Dinge tun', hatte er immer gesagt. Damals hatte er mir die Schuld für den Missbrauch eingeredet. Hat mir eingeredet, ich hätte ihn verführt. Weil ich diese Pheromone abgebe. Heute weiß ich, dass das Bullshit ist. Doch damals wusste ich es nicht besser. Er hat gemeint, dass wenn meine Eltern herausfinden, dass ich das mit ihm tun würde, sie mich sofort aufhören würden zu lieben und mich weggeben werden. Diese Angst hat mich immer begleitet. Hat mir Zuhause meine Stimme genommen.
 

Ich spüre, wie sich Tränen in mir hochkämpfen wollen. Doch ich will sie nicht zulassen. Nicht wegen dieser Erinnerungen. Nicht wegen dem Mann, der damals aufhörte, mein Großvater zu sein. Kämpfe gegen die Tränen.
 

Da dringen die Worte meines Drachens endlich an mein Ohr. Sag mir, dass ich mich bei ihm fallen lassen kann. Er wird mich auffangen. Mich halten. Worte, die mir nicht unbekannt sind und doch sind sie so ungewohnt für mich. Denn normalerweise sag ich sie zu meinem Drachen. Sanft flüstert mir Seto ins Ohr, dass ich heute nicht stark sein muss. Heute ist er mein Fels in der Brandung. Mein Anker, der den Sturm keine Macht über mich geben wird. Das mir vor ihm nichts peinlich sein muss.
 

Diese Worte... die sonst ich zu ihm sage... lösen meine Blockade und lassen mich weinen. Ich press mich gegen Setos Brust und weine ungeniert. Lasse den Schmerz zu, den dieser Tag immer in mir aufwühlt und den ich doch längst verarbeitet habe. Zum ersten Mal seit zehn Jahren weine ich an diesem Tag. So bitterlich, wie damals, als mein Vater uns im Keller 'erwischt' hatte und mich packte.
 

Damals hatte mich die Angst gepackt, dass all das, was mir der Alte eingeredet hatte, sich nun bewahrheiten würde. Mein Vater, der mich so hastig gepackt, mir die Hose hochgezogen hatte und mit mir aus dem Gebäude gelaufen war, hatte die in mir eingepflanzte Angst ausgelöst. Die Angst davor, dass er mich wegbrachte, um mich irgendwo abzugeben. Angewidert von mir und mir die Schuld daran gebend, wesen Zeuge er unfreiwillig geworden war.
 

Als er sich im Krankenhaus von mir lösen wollte flehte ich ihn an, mir nicht böse zu sein. Beteuerte, dass ich das alles nicht gewollt habe. Ich mich in Zukunft um mehr Kontrolle bemühen würde. Ein guter Junge sein würde. Klammerte mich an ihn, in der panischen Angst, ihn danach nie wieder sehen zu werden. Niemanden von meiner Familie jemals wiedersehen zu werden.
 

Mein Dad hatte mich fest in seine Arme geschlossen und mir versprochen, dass alles wieder gut werden würde. Er hatte mich auf den Kopf geküsst und mich gehalten. Dann wurde alles schwarz um mich herum. Einer der Ärzte hatte mir ein Beruhigungsmittel gegeben.
 

Als ich mich endlich beruhige sehe ich meinen Drachen dankbar an und er lächelt mich sanft an. Hält mich in seinen Armen und fragt, ob es mir jetzt besser geht. Ich nicke. Dann fragt er mich, ob ich darüber reden möchte? Wieder nicke ich, bevor ich mir der Antwort bewusst bin. Dann reden wir. Die ganze Nacht. Ich in seinem Arm. Hier und da weine ich dann doch nochmal und gelegentlich sehe ich, wie auch Seto Tränen vergießt.
 

Erst in den frühen Morgenstunden schlafen wir dann gemeinsam ein. Eng umschlungen. Wir uns gegenseitig Halt gebend. Froh, dass wir zueinander gefunden haben.
 

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Einen Schritt, der nicht erwartet wurde

Die Schulglocke klingelt und läutet somit unser Wochenende ein. Ich packe meine Sachen und steh auf. Mein Blick fällt auf Jou. Es hat mich gewundert, dass er und Seto heute überhaupt in der Schule waren. Gestern haben sie entschuldigt gefehlt und mein bester Freund sieht - gelinde gesagt - scheiße aus. Er ist blass und sieht nicht erholt oder fit aus. Ob es wirklich okay ist, dass wir alle das Wochenende über bei den beiden residieren werden?
 

Dann fällt mir auf, wie Jou zurück blickt. Ich versuch ihn anzulächeln und er erwidert das Lächeln ruhig, bevor er zu Seto geht und nach dessen Hand greift. Sofort verschränkt Seto seine Finger mit denen meines Kumpels. Ich muss schmunzeln. Was war das vor einem halben Jahr ein Akt, Seto davon zu überzeugen, dass es doch egal ist, ob und wer was gegen seine Beziehung zu Jou haben könnte. Es hat dann noch ein Coming Out von Ryuji und mir gebraucht, doch dann hat der 'Drache' meines Kumpels nachgelegt.
 

Wir schlendern aus dem Klassenzimmer in die Eingangshalle, in der unsere Schränke mit unseren Straßenschuhen stehen. Wir wechseln das Schuhwerk und unweigerlich frag ich mich, warum Uwabaki - die Schulschlappen - so hässlich sein müssen. Warum können sie nicht etwas stylischer sein?
 

Als ich die Schlappen in meinem Fach verstaut habe, schlingen sich zwei Arme um meine Taille und ich werde sanft an die Brust meines Freundes gezogen. Er haucht mir ins Ohr, dass wir nicht direkt von ihm zu Seto weiterziehen werden. Dass er - und dabei knabbert er mir etwas am Ohrläppchen - Lust auf etwas Zweisamkeit hätte. Ich muss schmunzeln.
 

Ryuji war in den letzten Wochen so angespannt, von unserer Trennung, zu dem Wiederzusammenkommen, über die Bewährungsanhörung und seiner Hypersexualität im Urlaub, bis hin zur Entlassung seines Vaters aus dem Gefängnis. Ihn jetzt in einigermaßen gewohnten Bahnen zu erleben ist Balsam für die Seele.
 

Vor allem seine Freundschaft zu Seto hat ihn in den letzten Wochen gestärkt. Unglaublich, dass sich nach all der Zeit ausgerechnet zwischen Seto und Ryuji eine Freundschaft entwickelt hat. Soweit, dass Seto unaufgefordert Hilfestellung geleistet hat, als Ryuji seinen Kopf verlor. Im Gegenzug steht mein Freund ihm mit Rat und Antwort zur Seite, wenn Seto in gewissen Belangen etwas Hilfe benötigt. Bei der Erinnerung, wie Ryuji vor ein paar Monaten in der Hütte am See den Kaffee durch die Nase gefiltert hatte, muss ich wieder schmunzeln.
 

Gemütlich schlendern wir zum Ausgang des Schulgebäudes und überlegen schon mal, was wir gemeinsam zu Abend essen wollen. Kaum haben wir das Gebäude verlassen bleibt Ryuji abrupt stehen und löst seine Hand hastig von meiner. Perplex schau ich ihn an. Ryuji ist kreidebleich geworden und sein starrer Blick ist auf das Schultor gerichtet. Auch die anderen, vor allem Seto und Jou, die hinter uns gingen, haben das abrupte Stehenbleiben bemerkt. Langsam folge ich Ryujis Blick zum Schultor.
 

Am Schultor steht ein Mann mit so runzligem Gesicht, dass ich es fast entstellt nennen möchte. Er blickt in unsere Richtung und auf seinem Gesicht beginnt sich ein echt widerliches Grinsen abzuzeichnen. Sein Blick ist stur auf meinen Freund gerichtet. Ist das... Ryujis Vater?
 

Was tut er hier? Ich dachte, es gibt eine Abstandverfügung? Verstößt er nicht in diesem Augenblick dagegen? Wie weit muss er sich gleich noch einmal fernhalten? 50 Meter? 100? Ich weiß es nicht mehr. Aber ich bin mir sicher, dass das Tor keine 50 Meter von uns entfernt ist und er damit gegen die Verfügung verstößt.
 

Im Augenwinkel seh ich, wie Seto Ryuji eine Hand auf die Schulter legt und sich dann an ihm vorbei schiebt. Erst jetzt scheint mein Freund aus seiner Starre zu erwachen und greift nach Setos Oberarm, der ruckartig stehen bleibt und sich noch einmal zu uns umdreht. Angst steht nun im Blick meines Freundes, der sonst immer den Coolen raushängen lässt. Seto sagt ihm, dass er sich nicht sorgen soll, doch ich kann in Jous Blick die gleiche Angst sehen, wie bei Ryuji. Dennoch löst Seto die Hand meines Freundes an seinem Oberarm und setzt seinen Weg mit sicherem Schritt zum Tor fort.
 

Seto geht geradewegs auf den Mann zu, während er noch etwas auf seinem Smartphone eingibt. Dann wechselt er einige Worte mit Ryujis Vater, der daraufhin energisch etwas erwidert. Noch einmal richtet Seto das Wort ruhig an den Mann. Was sie sagen kann ich hier nicht verstehen. Kann nur sehen, wie der Mann wütend wird. Das kann ich bis hier hin erkennen. Doch davon scheint sich Seto nicht beeindrucken zu lassen.
 

Woher nimmt Seto gerade diese Stärke? Er wirkt fast so, wie früher, als er uns nur seine Maske präsentiert hat. Als er uns weiß machen wollte, dass ihn nichts berührt. Nichts interessiert. Nichts anhaben kann. Er, der Big Boss der Kaiba Corporation, der immer alles unter Kontrolle hat. Das Sagen hat. Weiß was er will und wie er es bekommen kann. Es ist fast so, als gäbe es zwei Setos. So grundverschieden. Und gerade sehen wir den CEO, mit dem man sich lieber nicht anlegen sollte.
 

Ich spüre, dass Ryuji zusammenzuckt, als sein Vater einen Schritt auf Seto zu machen möchte und auch Jou hastet zwei, drei Schritte in Richtung seines 'Drachens', bevor er wieder stehen bleibt. Ich schau wieder nach vorne zum Tor und sehe, wie sich plötzlich Fuguta zwischen den Mann und Seto schiebt. Woher...?
 

Mir wird klar, dass Fuguta Seto und Jou abholen wollte und er auch eine Gefahr in der Situation erkannt hat. Daher sein Einschreiten. Ich bin wahnsinnig erleichtert, dass Fuguta da ist und Ryujis Vater wieder drei Schritte zurück drängt. Das facht die Wut von diesem aber noch weiter an, der darauf tatsächlich versucht mit einem Faustschwinger Fuguta im Gesicht zu treffen. Dieser wehrt den Schlag ab und dreht dem Mann den Arm auf den Rücken, während er ihn gegen den Zaun der Schule presst.
 

Jetzt dringt das laute Fluchen von Ryujis Vater bis zu uns. Brüllt, dass er ein Recht darauf hätte mit seinem Satansbraten zu sprechen. Schreit etwas von wegen feige und undankbar. Doch dann trifft auch schon ein Streifenwagen ein. Zwei Beamten in Uniform steigen aus, wechseln kurz einige Worte mit Seto, bevor sie sich Ryujis Vater zuwenden. Sie übernehmen den Griff von Fuguta und legen dem Alten Handschellen an. Danach bringen sie Ryujis Vater zum Auto und zwingen ihn zum Einsteigen.
 

Selbst als die Beamten weggefahren sind verharrt Ryuji unbeweglich am Gebäudeausgang. Vorsichtig angel ich nach seiner Hand, die er zur Faust geballt ist. Erst jetzt beginnt er wieder ein paar Mal zu blinzeln und sieht auf meine Hand an seiner. Folgt der Hand über den Arm und zur Schulter, bis er mir ins Gesicht sehen kann. Seine Faust löst sich und seine Finger verschränken sich sofort wieder mit meinen.
 

Seto kommt zurück und sagt, dass wir jetzt alle gemeinsam fahren. Stellt einen Plan auf und dirigiert uns dann Richtung Auto, vor dem Fuguta wartet. Ryuji sagt nichts. Lässt sich einfach führen. Sieht immer noch mehr als geschockt und betroffen aus. Ich kann jetzt schon absehen, dass es spätestens in ein paar Stunden ein Krampf werden wird meinen Freund dazu zu bewegen sich hinzulegen und zu schlafen. Aber das ist ein Problem, um das ich mich kümmere, wenn es soweit ist.
 

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Einen Schritt hinaus finden

Ich weiß gar nicht, warum ich so überrascht war. Es war doch klar, dass er früher oder später auftauchen würde. Vor allem, nachdem ich Setos Drängen nachgegeben habe, doch eine Abstandverfügung zu erwirken. Dazu hab ich neben meiner Firmen- und Schuladresse auch meine private Wohnanschrift angeben müssen.
 

Daher hab ich eigentlich damit gerechnet, dass er bei mir Zuhause aufkreuzen würde. Nicht vor der Schule. Mein Fehler. Ein Fehler, der meine Freunde in Gefahr bringt. Denn jetzt weiß er, wer meine Freunde sind. Ob es ihn überrascht, dass ich mich mit jenen angefreundet habe, gegen die er mich damals gehetzt hat? Oder wird er darin einen ultimativen Verrat an seiner Person hineininterpretieren?
 

Dieser sadistische Bastard wird sicherlich alles tun, um mich erneut zu isolieren. So wie in der Mittelschule. Als er mir meinen damals einzigen Freund genommen hatte. Lange wusste ich nicht genau, was mit diesem geschehen war. Klar, mein Vater hatte mir gegenüber gestanden, dass er ihn entführt und getötet hatte. Doch es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass mein Vater einen Umstand für seine Zwecke benutzt und zweckentfremdet hätte.
 

Doch seit ein paar Wochen ist es Gewissheit. Mein erster, bester Freund ist tatsächlich tot. Gefunden in einer Wand in meinem alten Zimmer im Loft meines Vaters. Der Wand, an der mein Bett gestanden hatte. Das Loft, welches ich nach der Verurteilung meines Vaters verlassen habe. Ich hatte immer gedacht, dass mir die Gewissheit einen gewissen Frieden geben würde. Dem ist nicht so. Er ist gestorben, weil ich mich mit ihm angefreundet hatte.
 

Und jetzt? Jetzt hab ich mehr als einen Freund. Ich hab Hiroto, meinen Geliebten. Dann Seto, mein neuer bester Freund. Jou. Yugi. Ryou. Mokuba! Ein Glück, dass Mokuba noch in die Mittelschule geht. Das hat ihn davor bewahrt, dass er nun in Gefahr ist. Hoff ich aufrichtig. Aber was ist mit den anderen? Sie sind jetzt wegen mir in Gefahr. Oder... ist mein Vater durch die letzten Jahre im Gefängnis harmlos geworden? NEIN! Das Gefängnis bekehrt niemand. Im Gegenteil... Menschen werden durch einen Gefängnisaufenthalt nur noch gefährlicher.
 

Da schlingen sich zwei Arme von hinten um meine Taille. Lassen mich kurz erschrocken zusammenzucken. Schimpf mich mental selbst aus. Es ist ausgeschlossen, dass diese Arme meinem Vater gehören. Erstens, weil er gar nicht weiß, wo ich gerade bin. Zum anderen, weil er mich nie mit einer solchen Behutsamkeit oder Liebe behandeln würde. Wenn hinter mir mein Vater stehen würde, dann würde er mich am Kragen meines Hemdes packen und herum wirbeln.
 

Dann vernehme ich Hirotos sanfte Stimme nah an meinem Ohr. Flüstert mir zu, dass mein Vater sicherlich wegen dem Verstoß einfahren wird. Lächerlich. Nicht Hirotos Versuch, mich zu beruhigen und mir Sicherheit zu geben. Aber die Annahme, dass der Alte wegen dem Verstoß der Abstandsverfügung wieder einfahren würde. Klar, er ist auf Bewährung draußen, aber der Verstoß ist gerade mal eine Ordnungswidrigkeit. Dafür gibt es eine Verwarnung. Vielleicht ein Bußgeld. Aber sicherlich kein Knast. Nicht beim ersten Verstoß.
 

Langsam lehn ich mich etwas gegen meinen Freund. Noch vor ein paar Wochen hätte ich das nicht gemacht. Mich von ihm halten lassen. Ihm gezeigt, wie sehr mich das alles aus der Bahn wirft. Doch nach der Entlassung meines Vaters aus dem Gefängnis... da hat sich in mir was geändert. Ich kann gar nicht genau benennen, was es war. Nur, dass ich seitdem Hiroto viel näher stehe. Ihm erlaube, Seiten an mir zu sehen, die ich ihm nie zeigen wollte. Es sogar zulasse, dass er meine Narbe ungeschminkt sieht. Tatsächlich scheint sich Hiroto an der Narbe gar nicht zu stören.
 

Aber wie werde ich diesen Teufel nur wieder los? Wie kann ich ihn aus meinem Leben verbannen, so dass ich keine Angst mehr vor ihm haben brauch? Ich möchte mich nicht ständig umschauen müssen. Nicht ständig Angst um meine Freunde haben. Mich nicht eingesperrt fühlen, nur weil ich irgendwann nicht mehr das Haus zu verlassen wage. Ich will ihm keine Macht mehr über mein Leben und meine Entscheidungen zugestehen.
 

Da höre ich Hirotos Stimme. Sanft. Liebevoll. Aber auch besorgt. Etwas ängstlich. Ängstlich? Leise fragt er mich, ob ich nicht mal mit Kai reden möchte. Ich spann mich direkt wieder an. Dreh mich langsam zu ihm um. Schau ihm tief in die braunen Augen. Hält er mich wirklich für so kaputt, dass ich zu einem Seelenklempner muss?
 

Ich seh die Angst in seinen Augen aufflammen und mir wird auf einmal bewusst, wovor er sich fürchtet. Genau vor dieser Reaktion von mir. Ich lasse traurig den Kopf hängen. Das Letzte, was ich möchte, ist, dass sich Hiroto vor mir oder meinen Reaktionen fürchtet. Wenn nicht er, als mein Freund, mir so etwas vorschlagen darf, wer dann? Also entschuldige ich mich bei ihm für meinen Ausbruch.
 

Langsam legt Hiroto mir die Hände an die Wangen und hebt meinen Blick zu sich hoch. Lächelt mich sanft an und ich verstehe nicht, wieso er nicht wütend auf mich ist. Hätte Hiroto mich so angefahren, dann ... hätte ich ihn wohl erst einmal stehen lassen. Doch Hiroto tut das nicht. Bedächtig zieht er mich in seine Arme und hält mich fest an sich gedrückt. Wieder flüstert er mir ins Ohr, dass es nichts mit Schwäche zu tun hat, wenn man mal jemand zum Reden braucht, der darauf geschult ist. Das hat nichts mit kaputt sein zu tun.
 

Die Worte brauchen eine Ewigkeit, bis sie bei mir wirklich ankommen. Mokuba redet jede Woche mit dem Rothaarigen, obwohl er nicht missbraucht wurde. Danach scheint er sich leichter zu fühlen. Strahlt regelrecht. Seto scheinen die Gespräche mit diesem Kai auch zu helfen. Wie könnte man sonst seinen Wandeln der letzten Monate erklären. Vielleicht hat Hiroto recht und ich sollte mal mit ihm sprechen... falls er dazu überhaupt bereit ist. Aber hatte Jou nicht mal erwähnt, dass Kai eigentlich nur Kinder als Patienten aufnimmt?
 

Aber Fragen kostet ja nichts... und mehr als 'Nein' kann er auch nicht sagen. Also beschließe ich, dass ich in einem ruhigen Moment Seto nach der Nummer seines Therapeuten fragen werde.
 

Doch das muss jetzt erst einmal warten, denn jetzt zieh ich Hiroto erst einmal in einen liebevollen Kuss. Wie erwartet reagiert er freudig überrascht. Lässt seine Hände über meinen Rücken gleiten. Über meinen Arsch. Knetet ihn sanft durch. Er weiß ganz genau, was mich anmacht. Was mich hart werden lässt. Aber ich kann auch spüren, wie es ihn anturnt.
 

Das ist, was ich jetzt brauche: Die Gewissheit, dass Hiroto mich nach all dem noch begehrt. Das ist so ein gutes Gefühl, welches mir Sicherheit gibt. Eine Sicherheit, die ich für heute schon verloren glaubte. Die mir Hiroto nur zu gerne schenkt. Dafür bin ich ihm dankbar. Und dafür liebe ich ihn, wie noch nie jemanden in meinem Leben zuvor.
 

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Einen Schritt des Ausloten

Ich denke, jetzt hab ich es endlich. Schon seit einigen Wochen sitz ich an der Überarbeitung der Duell Disk, um die Abhängigkeit von diesem einen Bauteil zu lösen. Dem Bauteil, dass Daimon Kogoro nutzen wollte, um sich wieder in mein Leben zu drängen und wodurch ich den Posten des CEO der Kaiba Corp an Akito abgetreten habe.
 

So kann ich mich dem widmen, dass mir wirklich Spaß macht: Die Neu- und Weiterentwicklung von Produkten. In diesem Fall der Duell Disk Version V. Nicht länger abhängig von patentierten Einzelteilen, deren Patent nicht bei der Kaiba Corp liegen und uns erpressbar machen.
 

Natürlich muss die neue Duell Disk Version V noch ausgiebig getestet und optimiert werden, aber ich hab die weltbesten Spieler in meinem ... ich halte kurz inne und schau auf die Treppe, die nach oben ins Erdgeschoss führt, bevor ich meinen Gedanken vollende: ... in meinem Freundeskreis.
 

Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. Wie immer, wenn mir bewusst wird, dass ich nach all den Jahren Freunde gefunden habe. Menschen, die sich nicht für meine Firma oder mein Geld interessieren. Denen ich wichtig bin. Die sich über meine Schwächen und Ängste nicht lustig gemacht haben oder sie ausnutzen, um sich einen Vorteil zu verschaffen.
 

Noch letztes Jahr, hab ich alles getan, um sie von mir fern zu halten. Doch dann durchbrach erst mein Streuner meine Abwehr und schaffte es hinter meine Maske zu schauen. Danach hat er mich meinem eigenen Bruder näher gebracht, indem er mich überzeugte, dass er mir eine Stütze sein kann. Als nächstes hat es Honda in meinen inneren Kreis geschafft und ihm folgte Otogi.
 

Otogi... merkwürdig, dass er heute das ist, was ich einen sehr guten Freund nennen würde. Vielleicht sogar... meinen besten Freund? Wir beide sind seit unserer Jugend - ich klinge wie ein alter Mann - in der Geschäftswelt aktiv, haben Firmen geführt, litten unter Vätern, die keine waren und kämpfen heute noch mit unseren Dämonen. Es mag ja sein, dass die Gewalt, die wir erlebt haben, sich unterschied, aber dennoch bleibt es Gewalt.
 

Da sehe ich durch die verglaste Wand, die meine Werkstatt von dem Flur trennt, wie Otogi just in diesem Moment die Treppe herunter gestiegen kommt. Er sieht nicht gut aus. Sicherlich hat er heute Nacht wieder keine Ruhe und damit wenig Schlaf gefunden. Wenn überhaupt. Auch das kann ich gut nachvollziehen, geht es mir doch auch so, wenn ich mit meinen noch lebenden Dämonen konfrontiert werde.
 

Als er zu mir schaut wink ich ihm kurz und geb ihm zu verstehen, dass er ruhig rein kommen soll. Das tut er auch und tritt von der anderen Seite an die Arbeitsfläche heran. Beschaut sich die neue Duell Disk und fragt, wie es läuft. Ich grinse zufrieden und meine, dass sie soweit wäre, dass man sie testen kann.
 

Erstaunt blickt er mich an und meint, dass ich doch noch gar nicht so lange an der Überarbeitung sitze. Mein Grinsen wird breiter und mit einer mir fremd gewordenen Selbstsicherheit erwidere ich, dass ich eben gut in dem sei, was ich tu. Das ringt nun auch Otogi ein Grinsen ab und er stimmt dem zu. Meint, dass es mindestens ein Duellant oben gäbe, der sofort zur Verfügung stünde, um sie zu testen.
 

Ja, das weiß ich. Und ich brenne darauf, einen zweiten Prototyp fertig zu kriegen, damit ich mich mit diesen Duellanten messen kann. Natürlich nur, um die überarbeitete Duell Disk ausgiebig zu testen und zu erproben. Otogis Grinsen wird breiter. Mit Sarkasmus in der Stimme wiederholt er, dass es natürlich nur ums Austesten der Duell Disk ginge. Das lässt auch mein Grinsen noch etwas breiter werden.
 

Dann blick ich ihn an und frag ihn, wie es ihm geht. Sein Grinsen weicht augenblicklich aus seinem Gesicht. Er hat auf einmal großes Interesse an einem Schraubendreher, den er von der Arbeitsfläche nimmt. Zuckt nichtssagend mit den Schultern. So schlimm also? Er nickt nur im Ansatz. Kurz zieht Stille in meine Werkstatt.
 

Was nun? Soll ich zu ihm gehen und ihm eine Hand auf die Schulter legen? Oder wäre das zu vertraulich? Zu vertraulich? Ich glaube, unsere Freundschaft hat im Eiltempo ein Level erreicht, indem es ein 'zu vertraulich' nicht mehr gibt. Also geh ich zu ihm und lege ihm die Hand auf die Schulter. Er blickt zu mir auf und lächelt mich kurz dankbar an. Ich nicke zur Eckcouch und er nickt. Also gehen wir uns setzen.
 

Plötzlich fragt mich Otogi, wie es denn so mit meiner Therapie läuft. Über diesen abrupten Themenwechsel erstaunt, kann ich nur stumm nicken. Antworte dann, dass es läuft. Ohne Wertung. Kein 'gut', kein 'schlecht'. Tatsächlich kann ich selbst nicht wirklich beurteilen, ob meine Therapie bei Kai gut oder schlecht läuft. Es gibt Sitzungen, die sind so anstrengend, dass ich mich völlig zerschlagen fühle. Dann gibt es aber auch Gespräche, da fühl ich mich hinterher besser. Leichter.
 

Aber ich bin ehrlich: Die meisten Fortschritte mach ich nur, wenn Katsuya bei mir ist und mir seine Kraft leiht. Ohne meinen Streuner hätte ich mich nie überwunden mit Kai zu sprechen. Dazu kommt die unaufdringliche Art von Kai, der so anders ist, als ich mir Therapeuten immer vorgestellt hat.
 

Diese Aussage scheint Otogi zu überraschen und er fragt nach, inwiefern Kai anders sei oder was ich erwartet hätte. Also gestehe ich ihm, dass ich immer dachte, dass Therapeuten sehr zielorientiert wären, unangenehme Fragen stellen würden und sich sofort an den schmerzhaften Themen festbeißen.
 

Doch Kai... er ist geduldig, passt sich an mein Tempo oder meine Stimmung an. Die ersten Sitzungen, in denen ich überhaupt den Mund aufgemacht habe, haben wir nur Smalltalk betrieben. Als ich dann soweit war mit ihm vertraulich zu sprechen, hat er mir die Themenwahl überlassen. Wir haben lange über den Tod von Mokubas und meinen Eltern gesprochen. Darüber, wie wir von Verwandten zwei Monate rumgereicht wurden, bevor wir ins Heim kamen. Wie es zur Adoption durch Gozaburo kam.
 

Otogi schaut mich erstaunt an. Da wird mir bewusst, dass das bislang außer Katsuya niemand vom Kindergarten gewusst hat. Aber nun gut, Otogi ist ja nicht irgendwer. Er ist ... mein bester Freund. Als ich ihm das sage, steigert sich sein Erstaunen. Dann lächelt er wieder und nickt. Meint, dass auch er in mir seit langer Zeit endlich wieder einen besten Freund sieht. Irgendwie macht mich das stolz.
 

Doch ich schätze, dass Otogi nicht einfach aus Jux nach meiner Therapie gefragt hat. Also wage ich einen weiteren Vorstoß, von dem ich mir nicht sicher bin, ob ich mir das erlauben darf: Ich frag ihn, ob er nach meinem Gespräch mit Kai mal ganz unverfänglich Kai kennenlernen und mit ihm sprechen möchte.
 

Mit großen Augen blickt mich Otogi an und beißt sich unsicher auf die Unterlippe. Ich erkenne, wie er innerlich gerade mit sich ringt. Sicherlich wollte er ausloten, was Kai für ein Therapeut ist, aber scheinbar gefällt ihm der Gedanke noch nicht so recht. Zu meiner Überraschung nickt er aber dann doch. Ich schenk ihm ein beruhigendes Lächeln und sag ihm, dass er auch gerne Honda mitbringen darf, wenn ihm das Mut oder Kraft gibt. Davon kann man schließlich nie genug haben.
 

Noch ehe Otogi was erwidern kann klingelt ein kleiner Funkwecker und signalisiert mir, dass meine Zeit hier unten zu Ende ist und Mokuba in zehn Minuten mit seinem Gespräch mit Kai fertig sein wird. Also steh ich auf und lasse den Wecker verstummen, bevor ich mit Otogi wieder nach oben gehe. Oben warten Katsuya und Honda auf uns und empfangen uns mit einem Lächeln, bevor sich unsere Wege trennen.
 

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Einen Schritt teilen

Der digitale Wecker auf meinem Nachttisch zeigt mir in blauer Schrift an, dass wir kurz nach 02.00 Uhr in der Früh haben. Langsam setze ich mich und stehe vorsichtig aus dem Bett auf. Ich möchte meinen Streuner nicht stören. Oft genug weck ich ihn mit einem meiner Albträume und er beruhigt mich geduldig über Stunden hinweg, bis ich den Schrecken endlich wieder ablegen kann.
 

Langsam schlüpf ich in meine Schlappen und greife nach meinem Morgenmantel, der auf dem Stuhl neben dem Nachttisch liegt. Als ich aufstehe ziehe ich ihn mir über und binde ihn vorne zu. Dann schlurf ich leise zur Zimmertür. Dank dem gedimmten Licht, welches immer in der Nacht an ist, find ich meinen Weg ungehindert zur Tür. Ich blicke noch einmal zum Bett zurück, in dem Katsuya immer noch schläft. Zufrieden öffne ich die Tür und verlasse unser Schlafzimmer.
 

In der Retroperspektive fällt mir auf, dass das alte Herrenhaus für mich nie ein Zuhause war. Es war viel zu groß und erinnerte zu sehr an IHN. Gozaburo. Die Einrichtung, der Stil, die unzähligen Räume mit all ihren schrecklichen Erinnerungen. Warum ich nach seinem Tod dort geblieben bin, ist eine gute und berechtigte Frage. Vielleicht, weil es sich als Niederlage angefühlt hätte, wenn ich damals ausgezogen wäre? Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann hatte ich damals Angst, dass ein Auszug aus dem Herrenhaus ein falsches Signal nach außen hätte senden können.
 

Als ich in der Küche ankomme, stell ich fest, dass ich nicht der einzige bin, der heute scheinbar noch keine Ruhe findet. An der Theke der Kücheninsel sitzt Otogi. Er holt sich gerade einen Löffel aus einem Eisbecher, als er mich bemerkt. Zu meiner Überraschung hebt er einen zweiten, noch unbenutzten Löffel hoch und zeigt ihn mir. Das ist seine Art mich zu sich einzuladen und zaubert mir ein Schmunzeln auf das Gesicht.
 

Nachdem ich neben ihm Platz genommen habe, nehm ich den Löffel danken an und hol mir auch ein wenig Eis aus dem runden Becher. Beiläufig frag ich ihn, wie sein Gespräch bei Kai war. Seine Antwort lässt ein wenig auf sich warten. Ich hab auch nicht damit gerechnet, dass er hellauf davon begeistert sein würde. Das war ich zu Beginn ja auch nicht. Dann antwortet er mir, dass er es noch nicht weiß. Otogi erzählt mir, dass das Gespräch eine Menge bei ihm aufgewühlt hat.
 

Auch das ist mir nicht unbekannt. Wie oft hab ich noch Tage nach meinem Gespräch mit Kai an dem Inhalt zu knabbern? Katsuya versucht mir immer dabei zu helfen. Daher frag ich Otogi, ob er bereits mit Honda darüber gesprochen hat. Doch er schüttelt nur den Kopf und nimmt sich noch einen Löffel vom Eis. Behutsam frag ich nach, warum nicht. Doch dieses Mal bleibt er mir eine Antwort schuldig. Vielleicht, weil er selbst noch keine Antwort darauf hat? Oder, weil er noch am Sortieren seiner Gedanken ist?
 

Erst nach zwei weiteren Löffel Eis hör ich, wie Otogi mir gegenüber eingesteht, dass er vor Honda nicht noch schwächer wirken möchte. Ich seufze innerlich. Es ist gespenstig, wie sehr Otogi mir in seinem Denken ähnelt. Meinem Denken, bevor ich Katsuya in mein Leben gelassen habe.
 

Na ja, das ist falsch formuliert: Ich habe Katsuya nicht gelassen. Hab ihn sogar von mir gestoßen, ignoriert... doch er war da, als ich ihn am Dringendsten gebraucht habe. Nachdem mich Katsuya am Tiefpunkt gesehen hatte, hab ich meinen Widerstand gegen ihn aufgegeben und beschloss ihm zu vertrauen. Mein ganzes Inneres hat sich wochenlang dagegen gesträubt. Aber jetzt, rückblickend, finde ich, dass es sich gelohnt hat.
 

Also sag ich Otogi, er soll kein Kaiba Seto sein. Er soll nicht meine Fehler wiederholen und nach dem handeln, was uns Männer eingeprügelt haben, die nicht unser Bestes im Sinn hatten. Überrascht schaut er mich an und scheint meine Worte in sich sacken zu lassen. Fragt, wie ich das meine. Ich dreh mich etwas mehr zu ihm. Schau ihm in die Augen und merke, wie sehr er heute kämpfen muss, den Blickkontakt zu halten. Vorsichtig lege ich ihm eine Hand auf die Schulter, die der Grünäugige dort duldet. Dann lächle ich ihn sanft an.
 

Es hat nichts mit Schwäche zu tun, wenn man sich von einer Person, die einen liebt und die man ebenso sehr zurück liebt, auffangen lässt. Halten lässt. An den eigenen Erfahrungen und Ängsten teilhaben lässt. Das lässt uns nicht schwach erscheinen. Nicht in den Augen dieser Person. Dieser Person, die uns bedingungslos liebt. Die wir beide von uns gestoßen haben und die immer noch an unserer Seite ist.
 

Dann nehm ich meine Hand von seiner Schulter und hol mir noch einen Löffel von dem Eis, bevor ich diesen auf meiner Zunge zergehen lasse. Spüre, wie Otogi mich immer noch mustert. Oh ja, ich kenne diese Zerrissenheit. Bei mir ist es auch noch nicht so lange her, dass ich mich gesträubt habe mit Katsuya über meine Albträume zu sprechen. Doch seit ich es tu hat sich die Häufigkeit und Intensität der Albträume reduziert.
 

Nach einigen Augenblicken und einem weiteren Löffel seh ich im Augenwinkel, wie Bewegung in Otogi kommt. Langsam steht er auf. Fragt mich, ob ich noch Eis möchte. Ich schüttle den Kopf und er schließt den Eisbecher mit dem dazugehörigen Deckel. Dann bringt er den Becher wieder zum Eisschrank. Als er dann hinter mir vorbei geht, bleibt er kurz stehen und dankt mir.
 

Über meine Schulter hinweg schauend, frag ich ihn, wofür er sich bedankt. Jetzt lächelt er milde. Er dankt mir dafür, dass ich meine Erfahrungen mit ihm teile und ihm eine grobe Richtung deute. Ich erwidere das Lächeln und nicke. Gern geschehen. Dann verschwindet er aus der Küche.
 

Eine Weile sitz ich mit mir und meinen Gedanken alleine in der Küche und lasse dieses Gespräch noch ein paar Mal durch meinen Kopf gehen. Hoffe, dass ich ihm wirklich mit meinem Ratschlag geholfen habe und dabei kein Murks rauskommt. Da schlingen sich plötzlich Arme von hinten um meine Brust und ich zucke kurz zusammen, bevor ich meinen Streuner erkenne. Ich war so in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht gemerkt habe, dass er reingekommen ist.
 

Sanft legt er seinen Kopf auf meine Schulter. Flüstert mir ins Ohr, dass es ohne mich im Bett so kalt und leer sei. Wieder schmunzle ich. Es ist schön, wenn die richtige Person einen begehrt und vermisst. Also dreh ich mich langsam auf dem Thekenhocker etwas, so dass ich ihn besser anschauen kann. Fragend blickt er mich an, dann zieh ich ihn zu mir und küsse ihn voller Liebe, die ich für ihn empfinde. Erst nachdem der Kuss geendet hat stehe ich auf und wir gehen zurück in unser Schlafzimmer.
 

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Einen Schritt lang brauchen

Seto und ich kommen als letztes in die Küche und an den Frühstückstisch. Mokuba und Akito sind schon da und unterhalten sich. Aus Mokubas Antwort schließe ich, dass Akito danach gefragt hat, was bei unserem Jüngsten heute so auf dem Plan steht. Natürlich weiß Akito die Antwort bereits.
 

Er kennt unsere Stundenpläne. Wann wir welche Prüfungen schreiben. Wer wann Schulclubaktivitäten nachgeht oder außerschulische Unternehmungen geplant hat. Es ist beeindruckend, was dieser Mann alles im Kopf hat und damit nie durcheinander kommt. Akito hat einfach den Durchblick!
 

Kikyo - das Hausmädchen - kommt rein und reicht Akito und Seto einige Briefe, die sie schon vorsortiert hat. Dann bleibt sie mit einem relativ großen Umschlag neben Mokuba stehen. Dieser stockt in seinem Redefluss und schaut dann zu ihr auf. Sie lächelt ihn zurückhaltend an, dann reicht sie ihm den großen Umschlag, bevor sie einen Schritt zurück tritt und beginnt in der Küche Ordnung zu schaffen.
 

Verwirrt blickt Mokuba auf den Umschlag. Dann weiten sich seine Augen und er springt vom Stuhl. Dabei spautz er seine Trinkschokolade in feinen, aber zahlreichen Tröpfchen gegen den Umschlag. Akito steht auf und geht zu unserem Wirbelwind, dessen Augen zu leuchten anfangen. Auch Seto steht auf und geht zu seinem Bruder.
 

Dieser dreht plötzlich den leicht feuchten Umschlag zu Seto und dann zu Akito. Das die beiden den Absender lesen können, bezweifel ich stark. Dazu hibbelt Mokuba einfach zu viel herum. Also legt Seto seine Hände auf Mokubas Schultern und stoppt ihn abrupt. Erst jetzt hält Mokuba still genug, damit Akito und Seto den Absender erkennen können.
 

Die Miene der beiden hellt sich auf, dann schauen sie einander an und Seto entfährt ein trockenes 'Oh'. Dann setzt sich Seto wieder hin. Ich beuge mich zu Seto und frage leise, von wem der Brief denn ist. Er antwortet nur mit einem einzigen Wort: Familiengericht. Familiengericht? Was kann denn das Familiengericht von Mokuba wollen?
 

Da hör ich auch schon, wie Mokuba den Briefumschlag aufreißt und eine Aktenhülle hervorzieht, die einen stabilen Bogen Papier im Rücken hat. Stolz blickt Mokuba auf das Dokument in seinen Händen, während der mit Trinkschokolade benetzte Umschlag achtlos auf dem Tisch landet. Schließlich dreht Mokuba die Aktenhülle um und präsentiert stolz seine Adoptionsurkunde.
 

Ja, stimmt. Der Richter hatte vor einigen Wochen, als Akito Mokuba offiziell adoptiert hatte, ja gesagt, dass die Urkunde postalisch zugestellt werden würde. Hab das ganz vergessen gehabt. Nochmal gratuliere ich dem Schwarzhaarigen, der mich glücklich angrinst. Daher beug ich mich etwas über den Tisch und beschau mir die Urkunde. Da fällt mein Blick auf die Zeile mit Mokubas Geburtsname: Yamanashi.
 

Irgendwas klingelt da bei mir. Ich kenne diesen Namen, aber mir will einfach nicht einfallen, woher. Seto fragt mich ruhig, was ich habe. Da wird mir bewusst, dass ich wohl meine Stirn gerunzelt haben muss. Doch ich wink nur ab, lehne mich zurück und löffle den Rest meines Frühstücks.
 

Der Rest des Tages ist Routine: In der Schule treffen wir unsere Freunde und mir fällt auf, dass Otogi gar nicht so lebhaft ist, wie er sich sonst immer gibt. Honda weicht Otogi nicht mehr von der Seite. Ryou und Yugi turteln ein wenig, denn auch sie haben sich mittlerweile in der Schule offen zueinander bekannt. Die anderen aus unserer Klasse halten respektvoll Abstand zu uns. Nicht aus Furcht oder Ekel. Man hat uns einfach so akzeptiert, wie wir sind... selbst Seto scheint sich in unserer Klassengemeinschaft langsam wohl zu fühlen. Jetzt, wo sie sich allmählich dem Ende neigt.
 

Nach der Schule werden wir von Fuguta abgeholt, der uns wie jeden Tag fragt, wo er uns hinbringen soll. Wie jeden Tag antwortet Seto, dass er gerne nach Hause möchte. Seit Seto nicht mehr in die Firma muss ist er entspannter, aber auch introvertierter geworden. Er provoziert niemand mehr offen und wenn es nicht unbedingt sein muss verlässt er das neue Grundstück nicht.
 

Als wir daheim ankommen ziehen Seto und ich uns um, bevor er sich - wie jeden Tag - in den Keller zurückzieht. Er arbeitet da an irgendetwas für die Firma. Entwickelt wohl einen neuen Prototypen für die Duell Disk. Ich bin gespannt, was dabei rauskommen wird. Und ich freu mich schon drauf, die neue Duell Disk irgendwann mit Yugi, Ryou und Seto testen zu dürfen.
 

Derweil such ich die Küche auf und beginne mit unserem Abendessen. Jetzt, da ich mal für mich bin, schweifen meine Gedanken wieder zu Mokubas - und damit Setos - Geburtsnamen: Yamanashi. Woher kenne ich diesen Namen nur. Der Name ist nicht so gewöhnlich, dass er einem ständig über den Weg laufen würde, aber ich bin mir sicher, dass ich schon mal auf ihn gestoßen bin.
 

Während ich dieser Frage weiter nachgehe und eher beiläufig koche, hab ich ganz offensichtlich meine Wahrnehmung für alles um mich herum verloren. Denn plötzlich wird mir bewusst, dass ich nicht länger alleine bin. Also drehe ich mich von der Anrichte zum Raum und tatsächlich sitzt am Esstisch Akito und liest in einer Zeitung. Als er bemerkt, dass ich zu ihm schaue, begrüßt er mich und faltet die Zeitung wieder zusammen. Er steht auf und kommt zu mir. Fragt mich, ob er mir helfen kann. Doch noch ehe ich wirklich bewusst antworten kann, schüttle ich schon meinen Kopf. Dennoch bleibt er neben mir stehen und beobachtet meine Handgriffe.
 

Nach einem Augenblick, hör ich ihn dann sagen, dass Mokuba sich neulich mit einer Frage an ihn gewandt habe, die zu beantworten jedoch eher mir obliegen würde. Wieder schau ich ihn an, mit einem leicht verwirrten Gesichtsausdruck möchte ich meinen. Akito schmunzelt darüber leicht amüsiert, bevor er Mokubas Frage wiederholt: Warum ich nur traditionell japanisches Essen kochen würde und nicht mehr - wie es Anfang des Jahres noch üblich war - hin und wieder etwas Westliches.
 

Ich halte inne und schau Akito mit großen Augen und einem geschockten Blick an. Es vergeht nur ein Wimpernschlag, dann bekommt Akitos Lächeln etwas Trauriges und er nickt. Meint, dass ich es wohl wüsste und daher beim Kochen Rücksicht auf Seto nehme. Ich nicke zustimmend.
 

Es überrascht mich gar nicht, dass Akito auch das weiß. Mittlerweile weiß ich ja, dass er wohl fast alles mitbekommen hat. Oder einen Großteil. Ob er auch diese Silvesterparty von vor drei Jahren mitbekommen hat? Sicherlich nicht. Von Mokuba weiß ich ja, dass Akito an Silvester immer mit ihm unterwegs war, um ihm den Jahreswechsel so unterhaltsam wie möglich zu gestalten. Sollte ich es ihm erzählen? Nein. Wenn jemand entscheidet, wann Akito etwas aus Setos Vergangenheit erzählt bekommt, dann ist das mein Drache.
 

Aber dann fällt mir was anderes ein und ich richte meinen Blick wieder auf Akito. Ich frage ihn, woher mir der Name Yamanashi bekannt vorkommen könnte. Überrascht blickt mich der Ältere an, dann zuckt er kurz mit den Schultern. Er könne nicht in meinen Kopf schauen, daher kann er mir nicht beantworten, woher ich diesen Namen kennen würde. Fragt mich, ob Seto den Namen mir gegenüber mal erwähnt hat.
 

Plötzlich macht es bei mir Klick und ich weiß wieder, wo ich diesen Namen gesehen habe!
 

.


Nachwort zu diesem Kapitel:
GESUCHT: Beta-Leser*in im Bereich Rechtschreibung und Grammatik, sowie Inhalt

Vielen Dank für 18 Favos und 10 Kommis. Ich freu mich immer, wenn ihr mir mitteilt, was ihr gut oder weniger gut findet oder ihr Ideen und Wünsche für Fortsetzungen an mich heran tragen möchtet. Alle, die sich nicht öffentlich äußern wollt, können mir gerne auch ENS schicken :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
GESUCHT: Beta-Leser*in im Bereich Inhalt und Logikfehler, sowie im Bereich Rechtschreibung und Grammatik.

Vielen Dank für 23 Favos und nun mehr 12 Kommis. Es freut mich sehr, dass die Story so gut bei euch ankommt und scheinbar gefällt. Wie immer freu ich mich über jeden Kommi und konstruktive Kritik.

Ihr habt Ideen und / oder Wünsche für die Entwicklung von Ippo ni Yoko? Dann ab in die Kommentare damit oder schickt mir eine ENS. Ihr habt eine Idee für eine Story im Kopf, könnt oder wollt sie nicht selbst schreiben: Auch dafür bin ich offen - einfach per ENS an mich und sobald sich ein wenig Luft in meiner To-Do-Liste eröffnet schau ich, was ich daraus zaubern kann :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gesucht: Ich bin immer noch auf der Suche nach einem/r Beta-Leser*in mit dem Schwerpunkt Charakterentwicklung, Inhalt und Kontinuität :-)

Vielen lieben Dank für 27 Favos und mittlerweilen 16 Kommis. *verbeug* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Boa Leute! Ich danke euch für 31 Favos und mittlerweile 18 Kommis. Lasst mich weiterhin wissen, was euch an der Story gefällt und was weniger, damit ich sie in eurem Sinne weitererzählen kann :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen, vielen Dank für 35 Favos und 37 Kommis :) Ich freu mich über jeden einzelnen von euch und es motiviert mich ungemein, dass euch die Story scheinbar gefällt *sich tief verbeugen* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bonus-Upload, weil ich heute einfach einen sauguten Tag habe und euch an meiner guten Laune teilhaben lassen möchte :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Noch ein Bonus-Upload, weil ich mit euch das 40. Favo auf meine Story feiern mag :) Vielen, herzlichen Dank <3

Regulärer nächster Upload dann Mittwoch :D Dieses Mal aber wirklich <3 Komplett anzeigen
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So, nach den zwei außerordentlichen Uploads geht es nun wieder regulär alle zwei Tage mit einem neuen Kapitel weiter :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Weil dieses Kapitel etwas arg kurz ist und ich mich auch mal bei allen treuen Leser*innen bedanken möchte, gibt es gleich im Anschluss noch ein neues Kapitel, das etwas länger und... aufschlussreicher ist, wieso Jou / Joey seinem Vater so verbunden ist! - Viel Spaß <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen treuen Leser*innen bedanken, insbesondere bei allen, die mir ein Favo und / oder einen Kommi hinterlassen haben. Ich freue mich über jeden einzelnen Favo und jedes Feedback, das ich als Kommi oder ENS erhalte und es motiviert mich ungemein, die Story weiter- und vor allem zu Ende zu schreiben.

*sich tief verbeugen* Also nochmal von Herzen Danke <3 Komplett anzeigen
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Zur Feier des 100. Kommentars zu meiner FF möchte ich mich mit einem Zusatz-Kapitel bei euch allen bedanken. <3 Ihr seid großartig und ich freu mich immer, wenn ihr mir einen Kommi hinterlasst und mich wissen lasst, was euch gefallen hat, nicht gefallen hat oder was ihr euch für die Zukunft der Story an Entwicklung wünschen würdet :) *sich tief verbeugen* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heute ist großer Jubiläumstag :) Dieses Kapitel gibt es als Dank dafür, dass wir heute 50 Favos auf der Story hier vereinigt haben <3 Ich danke euch allen und freue mich gerade so tierisch, dass ich einfach mal noch ein Kapitel hochlade :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen treuen Leser*innen bedanken, insbesondere bei allen, die mir ein Favo und / oder einen Kommi hinterlassen haben. Ich freue mich über jeden einzelnen Favo und jedes Feedback, das ich als Kommi oder ENS erhalte und es motiviert mich ungemein, die Story weiter- und vor allem zu Ende zu schreiben.

*sich tief verbeugen* Also nochmal von Herzen Danke <3

P. S. Falls es etwas gibt, was DEINER Meinung in die Story passen würde und DU gerne mal lesen möchtest, schick mir eine ENS mit deinem Wunsch :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben,
danke für 55 Favos :-) Freut mich, immer noch treue Leser dazu zugewinnen. Noch mehr freue ich mich natürlich über Feedback, Anregungen oder Wünsche! Einfach Kommi hinterlassen oder mich via ENS anschreiben :) Ich beiße auch nicht - versprochen ;-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
WoW... 150 Kommentare auf Ippo ni Yoko. Ich bin ganz gerührt und begeistert!

Über Feedback - egal ob als Kommi oder als ENS - freu ich mich immer. Auch begrüss ich jede Kritik - ob positiv oder negativ - solange sie konstruktiv ist. Lasst mich wissen, was euch gefällt, dann bring ich davon mehr... und umgekehrt genauso: Lasst mich wissen, was euch nicht so gefallen hat, dann bring ich davon weniger!

Auch freu ich mich über jeden Leser, der sich mit mir austauschen möchte und vielleicht den ein oder anderen Wunsch - was er oder sie gern mal in Ippo lesen möchte - an mich heran trägt (siehe beispielsweise Kapitel 27 für Onlyknow3 aus der Sicht von Isono geschrieben oder Kapitel 41 für solty004 aus der Sicht von Yugi geschrieben und bald noch ein weiteres Kapitel für die liebe Nezumi_Li). Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun... heute, am 25. Oktober hat unser guter Seto Geburtstag, von daher wollte ich das mit euch feiern, indem ich einen Bonus-Upload mache und wer weiß... vielleicht kommt heute noch einer, je nachdem ob sich ein 60. Favo findet oder wir die 200 Kommis voll machen :3 Bleiben wir gespannt und warten ab, ansonsten geht es morgen mit dem regulären Upload weiter :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich möchte mich recht herzlich bei allen bedanken, die mich auf ihre Favo-Liste gesetzt haben!

Das ich jetzt schon 60 Favo-Einträge habe, macht mich völlig baff, vor allem wenn ich mich zurück erinnere, dass dieser OneShot damals - 2005 - gerade mal vier Leser*innen begeistern konnte :3 Und jetzt finden 60 Leute die Story so gut, dass sie sie aboniert haben... danke euch allen!

*Gruppenknuddler* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben, ihr seid der Hammer! 200 Kommentare und das seit Juli 2017... ich bin euch so dankbar für jedes Feedback und jeden Kommentar, den ich von euch bekomme! Ich freue mich über jeden einzelnen davon und über jede ENS, die ich erhalte.

Fall jemand von euch mal einen Wunsch bzgl. der Story hat, scheut euch nicht mir eine ENS zu schreiben :3 Ich werde dann schauen, ob ich euren Wunsch irgendwie einbauen kann :3

*sich ganz tief vor der Leserschaft verbeugen* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Dieses Kapitel ist der guten Onlyknow3 gewidmet, weil sie mich darauf hinwieß, dass Isono's / Roland's Sicht in dieser Situation vielleicht von Interesse sein könnte :3 Ich hoffe dir hat das Kapitel soweit gefallen, liebe Onlyknow3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Erst einmal möchte ich mich bei euch allen dafür bedanken, dass ihr innerhalb von 9 Tagen über 50 Kommis beigesteuert habt. Das macht mich sehr, sehr stolz.

Zum anderne hoffe ich, dass solty004 sich über dieses Kapitel freut und es in etwa ihren Erwartungen entspricht!

Wie immer an dieser Stelle: Sollte jemand von euch da drausen einen Wunsch haben, aus welcher PoV / Sicht oder welches Thema / welche Situation ihr gerne mal lesen wollen würdet, dann schreibt mir eine ENS. Ich verspreche nichts, aber wenn es sich passend einbauen lässt, erfüll ich gerne eure Wünsche :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,

der Bonus-Upload zum 300. Kommi verzögert sich ein wenig, ist aber nicht vergessen! Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen. Eigentlich wollte ich schon letzte Woche weiter uploaden, doch auf der einen Seite hat der Umzug von Mexx länger gedauert und zum anderen war bei mir privat einfach der Wurm drin.

AAABER... jetzt geht es wie gewohnt im zweitägigen Rhythmus weiter. Ab und an wird ein Kapitel außer der Reihe hochgeladen, um nach und nach die ausstehenden Bonuskapitel für den 300., 350. und 400. Kommi, sowie das 70. Favos zu Ippo zu feiern :3

Ich freu mich auch unglaublich, dass einige neue Leser*innen über die beiden Adventskalender von Onlyknow3 und mir dazu gekommen sind. Für alle, an denen die Adventskalender vorbei gegangen sind: Bei der guten Onlyknow3 findet ihr den Yu Gi Oh-Adventskalender "Das Herz der Drachen", während ihr bei mir den Naruto-Adventskalender "Fuyu no Ai" finden könnt. Die Adventskalender sind als Dankeschön auf die großartige Ressonance unserer beiden Stories "Was so alles passiert..." (Yu Gi Oh) und "Keiner von Ihnen" (Naruto) entstanden. Falls ihr die beiden Stories noch nicht kennt, kann ich sie euch nur wärmstens empfehlen :)

So,... lange Rede, kurzer Sinn: Ich hoffe euch gefällt das neustes Kapitel von Ippo. Lass mich wissen, was euch gefallen und was euch weniger gefallen hat. Gerne auch per ENS, falls ihr keinen öffentlichen Kommi schreiben wollt. Und falls es etwas gibt (PoV, Situation, Ereignis), was ihr gerne mal in Ippo lesen wollen würdet, scheut euch nicht mir eure Wünsche und Anregungen per ENS zukommen zu lassen <3

Habt einen fabelhaften Dienstag :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Sorry ihr Lieben, da war meine Zwischenablage nicht leer und ich hab aus Versehen den falschen Text reinkopiert, aber jetzt stimmt er. An dieser Stelle in herzliches Danke schön an Aria_Crown :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Jetzt müsste es wie gewohnt wieder weiter gehen, also alle zwei Tage ein neues Kapitel. :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wünsche allen Leser und Leserinnen schöne Feiertage :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich wollte mich ganz herzlich bei allen Leser und Leserinnen, sowie allen, die fleißig kommentieren, einfach mal Danke sagen.

Ich weiß, die letzten Wochen waren vom Upload her eher unregelmäßig, aber das sollte sich jetzt bessern, denn gesundheitlich gehts Berg auf. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich möchte mich für eure Geduld und euer Verständnis bedanken, dass ihr mir entgegen bringt. In letzter Zeit lauf ich immer noch nicht so wirklich in der Spur und kann nicht alle Upload-Termine einhalten. Aber ich bemühe mich, dass das wieder klappt.

Außerdem möchte ich mich bei euch für 83 Favo-Einträge und über 800 Kommentare und noch einige PNs bedanken zu meiner Ippo hier. Ich freu mich über jeden einzelnen Favo, Kommi und PN. Ihr wisst: Wenn ihr einen Wunsch habt, bzgl einer bestimmten Situation oder mir auch gerne mal eine Herausforderung stellen wollt, in dem ihr mir einen groben Rahmen (oder eine Sammlung von Worten) vorgebt, dann versuche ich das gerne sinnvoll einzubauen, sofern es passt :) Mein kleines Dankeschön an euch und eure Treue. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich möchte euch allen recht herzlich für 850 Kommentare und 77 Favo-Einträge danken. Vor allem möchte ich mich ganz recht herzlich bei meinen Stamm-Kommentaroren danken, allen voran Onlyknow3, solty004, Shijin, Lunata79, Neko20, Sunny_Valentine, Kikono-chan und Nezumi_Li. Ihr habt mich bislang mit euren Kommis immer sehr motiviert und inspiriert. Ich danke euch dafür von ganzem Herzen. <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke

Danke für 950 Kommentare und 91 Favoriten... Ich hätte nie gedacht, dass aus einem simplen, durchschnittlichen One Shot etwas werden könnte, dass soviele Kommentare und Favoriteneinträge verdienen könnte :3 Ihr motiviert mich mit jedem Kommentar, mit jedem Favo ungemein und ich freue mich, dass diese Story so gut gefällt. In diesem Sinne ein herzliches Danke an Onlyknow3, ohne die ich den One Shot niemals noch mal aufgegriffen und weitergeschrieben hätte <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe das Kapitel hat dir gefallen Aria_Crown :3

Falls jemand von euch einen Wunsch zu Ippo hat, eine PoV, die euch mal Interessieren würde oder eine Wendung oder ein Ereignis, dass ihr euch gut in der Story vorstellen könnt, dann hinterlasst mir diesen als Kommi oder schickt ihn mir als ENS. Ich schau dann ob und wie ich euren Wunsch dann umsetzen kann :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine lieben Leser*innen,

mal eine kleine Frage von mir an euch: Gibt es etwas, was in der Story oft vorkam, bei dem ihr das Gefühl habt, dass ich das in den letzten Kapitel irgendwie vergessen habe? Wenn ja, dann hinterlasst mir doch bitte ein Kommi oder eine ENS und helft mir meinen Tunnelblick wieder los zu werden :3

Ich danke euch allen <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

ich kann euch dieses Jahr zwar nicht mit einem FF-Adventskalender auf meinem Account erfreuen, aber so langsam möchte ich wieder hier weiterschreiben und hochladen. Ich möchte euch für eure Geduld danken. Ob ich direkt wieder in den zwei-Tages-Rhythmus starte, lass ich erst einmal offen. Aber mindestens einmal die Woche möchte ich uploaden.

Für alle, die auch dem Fandom Naruto angehören noch ein kleiner Geheimtipp: Bei der lieben Onlyknow3 findet ihr einen Naruto-Adventskalender namens Heimkehr, an dem wir gemeinsam gearbeitet haben.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen eine besinnliche, wenig streßige Adventszeit :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn ihr Ideen für die Golden Week habt, dann haut sie mir doch in die Kommis. Ich schau dann mal, was ich davon alles einbauen kann :-) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben,

mir kommt es so vor, als hätte sich seit Juli hier stark was geändert. Das ist mir nicht nur bei Ippo aufgefallen, sondern auch bei zwei anderen Projekten, an denen ich mitschreibe. Daher möchte ich gerne noch einmal sagen, wie viel es mir bedeutet, wenn ihr mir hier und da einen Wunsch - was ihr gern mal als Kapi in Ippo lesen möchtet - oder ein paar Spekulationen darüber, wie es weitergehen könnte, da lassen würdet. :)

Solltet ihr in einem Kapi mal etwas nicht so toll finden (abgesehen von Rechtschreibfehler, die sich dieses Jahr irgendwie bei mir häufen), dann lasst mich auch das wissen. Solltet ihr diese Kritik nicht öffentlich da lassen wollen, dann schickt sie mir als ENS :)

Habt eine wundervolle Woche :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo meine lieben Leser*innen,

ich wende mich heute an euch, weil ich eure Hilfe brauche :)

Sicherlich gibt es den einen oder anderen unter euch, der Ippo bestimmt schon ein zweites oder öfters gelesen hat oder ein besonders gutes Gedächtnis hat. Mir ist ein kleiner Fauxpas geschehen im Laufe dessen meine Noitzen, welche Handlungsstränge ich noch offen habe und die auf ihre Wiederaufnahme oder ihren Abschluss warten, hops gegangen sind :(

Daher würde ich euch gerne bitten, mir eine PN / ENS zu schreiben, in welchem Kapitel ein Handlungsfaden aufgenommen worden ist, der bislang noch nicht abgeschlossen wurde. Für jede Hilfe eurerseits wäre ich überaus dankbar, denn ich möchte keinen Handlungsfaden lose hängen lassen.

Habt eine wundervolle Restwoche :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Meine lieben Leser*innen,

im Juni wird es vorerst nur zwei Uploads pro Woche - nämlich Dienstag und Samstag - geben. Ich hab im Mai einfach gemerkt, dass ich derzeit keine drei Uploads schaffe und auf etwas zu warten, was nicht kommt stell ich mir wahnsinnig frustrierend vor.

Bis zum nächsten Kapitel :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was glaubt ihr, wen besucht Isono hier? Oder wen würdet ihr euch wünschen, wen er hier besucht? Lasst es mich in den Kommis wissen oder - falls ihr euch nicht öffentlich äußern möchtet - schickt mir doch eine ENS :3

*wink*

Bis zum nächsten Kapitel :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tatsächlich hab ich eigentlich mit Yuki als Gastgeberin geplant, aber mich schlussendlich doch aus verschiedenen Gründen dagegen entschieden: Einerseits könnte das ihre Ermittlungen gefährden, wenn heraus kommen würde, dass sie Angehörige der Opfer, für die sie ermittelt, privat trift (egal ob nun nur freundschaftlich oder mit einer romantischen Natur). Andererseits könnte eine romantische Verstrickung zum jetzigen Zeitpunkt auch familiär problematisch werden, da die kleine Familie ja noch nicht so lange eine ist und z. B. Mokuba Yuki dann eher als 'Konkurenz' was Akitos Zeit und Gefühle anbelangt sehen könnte.
Als ich also Yuki ausgeschlossen hatte, dachte ich als nächstes an Jonouchi Senior, doch ich hatte in einem früheren Kapitel dessen Wohnhaus anders beschrieben, als das Wohnhaus, in das Akito im letzten Kapitel hinein ist.
So bin ich schließlich bei Kai gelandet, ich hoffe, es enttäuscht nicht allzu sehr und ihr könnt verstehen, warum es nicht Yuki sein konnte (die nach dem letzten Kapitel am Häufigsten genannt wurde). Komplett anzeigen

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Von:  Blanche7
2023-11-30T18:30:05+00:00 30.11.2023 19:30
Ich bin schon gespannt wie es weitergeht.
lg Blanche7
Antwort von:  MAC01
01.12.2023 00:27
Hu hu Blanche7,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Spannung ist immer gut und du hast den Vorteil, dass du noch einige Kapis vor dir hast und deine Neugierde stillen kannst :-)

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Blanche7
2023-11-30T16:47:31+00:00 30.11.2023 17:47
Hallo, das war wieder ein schönes Kapitel<3
Antwort von:  MAC01
30.11.2023 18:22
Hallo Blanche7,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Ich freu mich immer, wenn du ein Kapitel schön fandest :-)

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  -Pharao-Atemu-
2023-11-14T23:01:25+00:00 15.11.2023 00:01
Plötzlich macht es bei mir Klick und ich weiß wieder, wo ich diesen Namen gesehen habe!

SO!? Und wo??? Wo?
Los Katsuya, sag es uns!?
Antwort von:  MAC01
15.11.2023 00:05
Schönen guten Abend -Pharao-Atemu-,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Mac: Katsuya, möchtest du uns aufklären?
*Große Augen mustern Mac*
Katsuya: Nö, noch nicht :P
Mac: O_o Da müssen wir uns wohl noch etwas gedulden -.-'

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  -Pharao-Atemu-
2023-11-10T13:15:52+00:00 10.11.2023 14:15
Mein Kommentar will einfach nicht bleiben....
Versuch nummer drei -.-"
Also ich finde es schön, dass Seto nun Otogi nun helfen kann und es vor allem auch tut. 🖤
Antwort von:  MAC01
10.11.2023 17:23
Hu hu -Pharao-Atemu-,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Es freut mich, dass du es schön findest, dass Seto Otogi hilft und an seinen Erfahrungen teilhaben lässt. Ich denke, es tut Seto ganz gut, nach den Monaten, in denen er sich fast ausschließlich hilflos gefühlt hat, mal helfen zu können.

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Lexischlumpf183
2023-11-07T09:28:19+00:00 07.11.2023 10:28
oh, das Kapitel kannte ich noch gar nicht und dabei is es so schön 😍 so ruhig und doch so intensiv, echt der Knaller. 🍪🥛❤️
Antwort von:  MAC01
07.11.2023 17:30
Hallo  Lexischlumpf183,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Das Kapitel ist auch ganz frisch raus ;-) Vielleicht liegt es daran, dass du es noch nicht kanntest. Es freut mich, dass es dir gefällt ❤️

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Blanche7
2023-10-22T10:42:58+00:00 22.10.2023 12:42
Das Dojo einzurichten war eine tolle Idee<3<3<3
Antwort von:  MAC01
22.10.2023 12:57
Hu hu Blanche7,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Über dieses Lob wird sich Katsuya sicherlich freuen :-)

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Blanche7
2023-10-22T10:19:59+00:00 22.10.2023 12:19
Hallo<3
Diese Atemübungen kenne ich jetzt auch schon eine weile und sie sind am Anfang wirklich nicht leicht gewesen aber mit Übung schafft man es dann doch<3<3<3 Ein schönes Kapitel!

Liebe Grüße

Blanche7
Antwort von:  MAC01
22.10.2023 12:33
Hu hu Blanche7,

vielen lieben Dankf ür deinen Kommi :3

Es freut mich, ass du das Kapitel schön findest. Oft wird unterschätzt, wie wichtig das richtige Atmen sein kann und welche Wirkung es haben kann :D

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Lunata79
2023-09-08T02:36:22+00:00 08.09.2023 04:36
Hey, hab mal wieder Zeit gefunden, deine neuesten Kapitel zu lesen.

Hab das Gefühl, du bist mit der Rechtschreibung bissi schleißig geworden. "zu würden" in Kap. 341 ist inakzeptabel. Das "würden" solltest du ganz entfernen. "wieder zu sehen" x2 passt besser. (4. Absatz von unten, die letzten 2 Sätze)

Ich hab mich total gefreut, dass du meinen Rat, Noa in Mokubas Schule unterzubringen, gefolgt bist. Eine Fernbeziehung wäre auch echt schwer geworden.

Dass du die bisher letzten Kapitel mit Otogi und dessen Vater in den Vordergrund gestellt hast, hat mich schon überrascht. Vor allem, weil man so von Mokuba und Noa nichts mehr mitbekommt. *fg* Ist aber auch sinnvoll, da Otogis Vater auch grade voll das Thema ist, weil ja vor allem Gefahr lauert.

Bin gespannt, wie die Freunde vorgehen und was noch passiert.

Mach weiter so.

Lg
Lunata79
Antwort von:  MAC01
08.09.2023 06:56
Guten Morgen Lunata79,

vielen lieben Dank für deinen Kommi und dein wachsames Auge :3

Ja, immer im Sommer schlagen mir die Temperaturen aufs Gemüt und rauben mir jegliche Energie, was man leider beim Schreiben auch merkt. Das sowas wie 'zu würden' trotz Beta-Leser durchrutscht ist aber auf jeden Fall ein no Go.

Ja, Noa und Mokuba müssen gerade ein wenig kürzer treten, damit ich den Handlungsstrang um Otogis Vater abschließen kann. Ich möchte den Strang nur ungern unter den Tisch fallen lassen. Aber so viele Kapitel wird der Handlungsbogen um den alten Otogi auch nicht mehr umfassen.

Bis zum nächsten Kapitel :3
Antwort von:  Lunata79
08.09.2023 16:45
Kein Ding! Hauptsache, die Story endet nicht einfach so. Hatte sie nämlich nochmals von vorne zu lesen begonnen, um wieder reinzukommen. Sie ist einfach ein Hammer und grenzgenial umgesetzt. Möge die Story niemals enden. *fg*

Ich bin immer noch überrascht, dass du mit Onlyknow3 gemeinsam Storys verfasst hast, in der Zeit, wo ich nicht hier reingeschaut habe. Man merkt aber dennoch ihre schlechte Rechtschreibung und Grammatik. *beschämt grins* (-> beziehe mich auf das Gegenstück "Joeys steiniger Weg!" - Bin grad dabei, es wieder zu lesen.)
Von:  Blanche7
2023-09-02T20:47:21+00:00 02.09.2023 22:47
Schön dass die beiden offen miteinander geredet haben. Wie immer ein schönes Kapitel<3
Antwort von:  MAC01
03.09.2023 10:23
Hallöchen Blanche7,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

So sollte es unter besten Freunden doch sein, oder? :-)

Bis zum nächsten Kapitel :3
Von:  Blanche7
2023-09-02T20:18:45+00:00 02.09.2023 22:18
Mal eine schöne Abwechselung<3
Antwort von:  MAC01
03.09.2023 08:34
Hey Blanche7,

vielen lieben Dank für deinen Kommi :3

Freut mich, dass es für dich eine schöne Abwechslung war. Kam nicht bei allen gut an XD

Bis zum nächsten Kapitel :3


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