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Kaiser Hidijo's Katze [Leseprobe]

eine japanische Dämonensage
von

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Schwertmeister Suruga

Draußen schien heute wundervolles Wetter zu sein. Der alte Meister beschloss, ein wenig die schöne Sommerluft in seine Gemächer herein zu lassen. Er zog jedoch ein sehr verwundertes Gesicht, als er die Türen aufschob und fast über Gemma stolperte, der davor lag. Der gelbhaarige Dämon lag bäuchlings auf dem Holzsteg, der rings um den Innenhof führte. Reglos, wie hingestürzt und nicht wieder aufgestanden. Einer seiner Arme hing lose über den Steg hinunter in den Schotter. Der alte Meister glotzte ihn eine Weile dumm an, erntete aber keinerlei Reaktion. „Ist bei dir alles in Ordnung?“, wollte er schließlich wissen.

„Absolut.“, gab der zurück. Und wendete sich in aller Ruhe auf den Rücken herum. Ohne die Augen zu öffnen. „Ich genieße die Sonnenwärme.“, fügte er erklärend an. Als sei es ganz normal, mitten im Weg herumzuliegen, auf dem blanken Boden. Noch dazu wenn sein Herr gerade hier langgehen wollte. Der konnte ja zur Not über ihn drübersteigen, wenn er unbedingt jetzt hier durch musste.

„Aha.“, machte der Alte etwas ratlos. Die Dämonen hatten ja teilweise haarsträubende Manieren, und er duldete die meisten davon mit der Gelassenheit eines Meisters. Aber wenn es in so gänzlich unverständliche Angewohnheiten ausartete, konnte er doch nicht völlig drüber hinwegsehen.

Es folgte eine neuerliche Zeit des gegenseitigen Anschweigens.

„Gemma, ich gehe in die Stadt.“, hob der alte Schwertmeister schließlich von neuem an und beschloss die Situation zu ignorieren. „Kommst du mit?“

Der Dämon mit den hellen Haaren öffnete nun doch mürrisch die Augen. „Ich bin nicht dein Pack-Esel.“

„Nein.“, erwiderte er schmunzelnd. „Das war auch nicht mein Ansinnen. Aber wenn ihr meine Leibwächter sein wollt, wäre es doch zu empfehlen, daß zumindest einer von euch bei mir bleibt, meinst du nicht?“

Gemma überlegte kurz. „Gut, dann lass uns gehen.“, entschied er. Er angelte nach seinem Samurai-Schwert, das neben ihm auf dem Boden lag, und das er auch hier im Haus niemals außer Reichweite ließ, und stand schwungvoll auf. Da er nun schon ein paar Tage hier war, ging es ihm und seinem Kopf inzwischen sehr viel besser. Langsam war er wieder fit.

Der alte Meister schüttelte mit einem milden Lächeln den Kopf und machte sich mit ihm auf den Weg. Anfangs hatte er es für den Fehler seines Lebens gehalten. Diese unbedachte Äußerung, daß er Gemma ja hier nicht gefangen halten würde, Gemma aber wohl kaum aus eigener Kraft gehen könne, selbst wenn er wollte. Seine dämonischen Kameraden hatten es mit einem 'Gut, dann bleiben wir!' selbstverständlichster Art quittiert. Und das hatten sie dann auch getan. Seitdem hockten sie nun alle drei hier in seinem Haus herum. Man musste sich wirklich gut überlegen, was man in der Gegenwart von Dämonen äußerte. Aber inzwischen hatte sich Meister Suruga daran gewöhnt. Sie hatten ihm bisher keinen ernsthaften Grund geliefert, es zu bereuen, daß er sie jemals in sein Heim gelassen hatte. Im Gegenteil hatte er ihnen inzwischen angeboten, zu bleiben und in seine Dienste zu treten. Er hatte durchaus Verwendung für ein paar kampferprobte Schwertträger.

Die drei Dämonen benahmen sich nichtmal ansatzweise wie seine Untergebenen. Sie waren vorlaut, hatten ihren eigenen Kopf und bedienten sich ungefragt an allen möglichen Dingen, die sie hier im Haus fanden. Der Alte ließ sie auch gewähren und sagte nichts. Zumeist gab er den Dämonen nichtmal richtige Befehle, sondern trug ihnen partnerschaftlich seine Anliegen an wie eine Bitte. Sie machten zwar ungeniert Gebrauch von dieser Freiheit, schienen es ihm aber zu danken. Der Schwertmeister hatte oft den Eindruck, daß sich Gemma im Gegenzug williger und wohlwollender seinen Wünschen fügte, als er es unter normalen Umständen getan hätte. Der Alte hatte viel gehört und gesehen. Ihm war geläufig, wie Dämonen waren. Sie waren blutrünstige Schlächter, wenn sie durften. Sie nutzten jede sich bietende Erlaubnis, um zu morden. Und dabei fragten sie nicht, wen sie da gerade töteten, oder warum. Deshalb war auch die einzige Arbeit, zu der sie sich befleißigten, die als Söldner. Er ließ den dreien nicht alles durchgehen, weil er Angst vor denen gehabt hätte – Angst hatte er bestimmt nicht – aber er war sich durchaus bewusst, daß Dämonen sich auch schnell mal gegen ihren Herrn wandten, wenn der sie zu abfällig behandelte. Es war auch nicht sein Ziel, die Dämonen ihren Diener-Status spüren zu lassen. Als Schwertmeister war Respekt sein oberstes Anliegen. Und Respekt zollte er diesen Dämonen in wirklich hohem Maße. Weil sie ihm in so vielen Dingen so weit überlegen waren. Er empfand es als Ehre, mit ihnen zusammenarbeiten zu können. Und da sah er über ihre schrägen Manieren auch gern hinweg, solange sie für niemanden eine Gefahr darstellten. ... Das einzige, was er ihnen nie erlaubt hatte, war, in seiner Waffenschule mit den Schwertschülern zu trainieren. Gemma und seine Kollegen hätten niemals die Disziplin aufgebracht, sich bei korrekt ausgeführten Angriffen geschlagen zu geben oder eigene Angriffe rechtzeitig zu stoppen. Die Dämonen hätten seine Schüler auch mit Holzschwertern einfach nur gnadenlos totgeschlagen. Der Meister wagte es nichtmal selbst, mit den Dämonen zu trainieren, wenngleich Gemma dieses Angebot durchaus schon gemacht hatte.

Von den anderen beiden Dämonen in seinem Haus bekam der alte Schwertmeister gar nicht viel mit, fiel ihm da auf. Gemma war die meiste Zeit sehr präsent, seit er wieder aufstehen konnte, und war immer mehr oder weniger in greifbarer Nähe. Er redete viel, auch im Namen der anderen, und mitunter ehrlicher als es dem Meister lieb war. Die anderen beiden trieben sich dagegen nur selten im Haus herum. Meister Suruga hatte schon sehr früh mitbekommen, daß Gemma wohl der Kopf dieser Dämonentruppe war und das Sagen hatte.
 

Gemma schaute sich mit gerunzelter Stirn das Sortiment des fahrenden Händlers an, bei dem Meister Suruga gerade einkaufte. Der Händler schien öfter durch dieses Städtchen zu kommen und ein guter Freund des Meisters zu sein, wenn man den vertrauten Umgangston beachtete, in dem die beiden miteinander sprachen. Neben Reis und Gemüse hatte er noch einigen anderen Ramsch des täglichen Bedarfs im Angebot. Der Händler verkaufte Meister Suruga gerade ein bestelltes 'du weißt schon was', das unkenntlich verpackt war. Gemma vermutete, es war Fleisch, oder Fisch. Kaiser Shirakawa Hidijo hatte schon seit einer ganzen Weile verboten, Tiere zu töten, daher war der Handel mit Fleisch de facto zusammengebrochen und erfolgte bestenfalls noch illegal. Da Gemma aber selber viel zu gerne Fleisch aß, wollte er da mal nicht meckern. Er war ja froh, endlich mal wieder welches zu bekommen. Was ihm viel mehr zu denken gab, war die Katze in der Gitterbox. Gemma deutete vielsagend aus dem Handgelenk darauf. „Bist du wahnsinnig, eine Katze in einen Käfig einzusperren?“, mischte er sich unterbrechend in das Gespräch ein. „Wenn das einer sieht, wird man dich hinrichten.“

Der Händler sah ihn mit großen Augen an, nicht wissend, ob er den vorlauten Zwischenruf rügen sollte, denn augenscheinlich war der Kerl nur dienstbares Gefolge des Meisters, oder ob er vor dem seltsamen Erscheinungsbild irgendwie Angst haben musste. Immerhin trug der auch ein Schwert. Nur Samurai trugen Schwerter. War er nun ein exotischer Diener, aus einem fremden Land vielleicht, oder doch ein Freund und ebenbürtiger Partner des alten Schwertmeisters?

„Shirakawa-In betet Katzen an. Schon als er noch Tenno war, hat er verfügt, daß diese Tiere wie Götter zu behandeln, zu hegen und zu pflegen sind.“, fuhr Gemma ungerührt fort. In der absoluten Überzeugung, daß er hier sehr wohl was zu melden hatte.

„Ich behandel das Tier ja nicht schlecht.“, gab der Händler zurück.

„Du sperrst es ohne Wasser und Futter in eine Box, in der es sich kaum umdrehen kann, und behauptest, es ginge ihm da drin nicht schlecht?“

„Meister Suruga, darf ich fragen ...“, wandte sich der Händler hilflos an den alten Schwertmeister, weil er absolut nicht mehr wusste, welche Wortwahl jetzt noch schicklich war, ohne sich mit dem gelbhaarigen Fremden über Gebühr anzulegen.

„Lass gut sein, Gemma.“, meinte Meister Suruga beschwichtigend, ohne auf die unvollendete Frage des Händler nach dem Status seines Begleiters einzugehen. „Das ist nicht ganz einfach, weißt du? Hier herrschen die Minamoto. Die Samurai in dieser Gegend stehen der altehrwürdigen Kaiserfamilie Fujiwara nahe und halten nicht viel auf das neu an die Macht gelangte Geschlecht der Shirakawa. Daher nehmen wir es mit den Gesetzen des Shirakawa-In nicht so genau.“ Dann schenkte er dem Händler ein verabschiedendes Nicken und schickte sich an, weiter zu gehen.

„Was habt ihr gegen den Shirakawa-In?“, hakte Gemma nach und schaute zwischen dem Händler und dem Schwertmeister hin und her. Er wollte sich gern noch etwas mit dem Händler weiterstreiten, aber sein Herr war schon halb weg.

„Die Shirakawa haben uns nichts als Unglück gebracht!“, maulte der Händler, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Sie verbieten Fleisch! Sie untersagen den Jägern, Fischern und Viehbauern, ihrem Handwerk nachzugehen und würgen ihnen damit die Luft zum Atmen ab! Hast du eine Ahnung, wie große Teile der Bevölkerung Jäger, Fischer und Viehbauern sind?“

„Oh, du ...!“

„Ich verfluche die Shirakawa!“

Knurrend schnappte der Dämon nach seinem Schwertgriff. Aber bevor er die Waffe auch nur halb gezogen hatte, gebot ihm bereits ein 'Gemma, komm jetzt!' Einhalt. Ruhig, aber bestimmend. Eine kurze Bedenkzeit. Dann rammte Gemma das Schwert wütend in die Saya zurück und ließ sein Gegenüber einfach stehen. „Traust du mir nicht zu, den Kerl zu schlagen? Der war doch ein schwacher Kämpfer!“, wollte er beleidigt wissen, als er wieder zu dem alten Meister aufschloss.

„Eben deshalb ja. Ich will jetzt einfach kein Aufsehen.“ Der Alte lächelte amüsiert. Gemma war eindeutig sauer, weil man ihm verboten hatte, zu morden. Die Art der Dämonen war ihm geläufig, sie hatten Spaß daran, ein fröhliches Massaker anzurichten. Und dieser Streit hätte ihm sicher hinreichenden Grund dazu geboten. Meister Suruga gedachte dieser Blutlust keinen freien Lauf zu lassen. Aber Gemma würde sich schon wieder einkriegen. „Du bist also auf der Seite des Tenno? Stehst du demnach dem Taira-Clan nahe?“, fragte er nach.

„Hättest du ein Problem damit, wenn es so wäre?“

„Nein. Ich versuche nur, Streit rechtzeitig zu umgehen.“, meinte er mild. „Wenn ich es weiß, kann ich das Thema ja in deiner Gegenwart vermeiden.“

Gemma richtete sich mit einem 'hm' das Schwert im Gürtel. „Ich steh auf keiner Seite, wenn du es wissen willst. Ich bin nur immer sehr zugetan, wenn einer Streit sucht.“

„Ist mir aufgefallen.“, lächelte der Meister.

„Und MIR ist aufgefallen, daß ich in dieser Stadt noch keine einzige Katze gesehen habe. Eigentlich müsste die Population doch gedeihen, wenn die wirklich so verhätschelt werden, wie Shirakawa-In es gern sehen würde.“

„Hier gibt es keine Katzen. Wir halten sie aus unserer Stadt fern.“

„Wieso das?“

„Weil Shirakawa-In sagt, daß wir sie wie Götter behandeln müssen. Wir Samurai, die wir noch der alten Fujiwara-Linie treu sind, betrachten es als Protest gegen den neuen Kaiser und als legitime Chance, sich gehässig seinen Befehlen zu widersetzen. Die Bauern haben einfach nur Angst, den göttlichen Miezekatzen irgendwie zu nahe zu treten oder sie zu stören, daher halten sie sich lieber gar nicht erst welche.“

„Und wie schützen die Seidenraupen-Züchter ihre Raupen vor einer Mäuseplage?“, hakte Gemma ungläubig nach.

„Oh, da haben wir Methoden. Wir malen Bilder von Katzen an unsere Wände und Türen und stellen Holz- und Bronze-Statuen von Katzen auf. Die halten die Mäuse fern.“

„Und das hilft?“, lachte Gemma. Das meinte der Alte nicht ernst, oder?

„Naja, im Moment weniger. Katzen sind halt sehr launische Wesen, die uns nur helfen, wenn ihnen gerade danach zu Mute ist.“

Gemma schüttelte den Kopf. Die Menschen hatten eine wirklich verquerte Vorstellung von den mythologischen Kreaturen ihres Landes. Er fragte lieber gar nicht erst nach, welchen Unsinn der Alte über Dämonen zu wissen glaubte. Andererseits hatte er die Menschen auch noch nie so richtig verstanden. Wie wollte er da voraussetzen, daß die Menschen andere Wesen besser verstanden? Gemma blieb ruckartig stehen. „Oh, ein Sake-Händler! Ich will Sake haben!“

„Gut, dann kauf dir welchen.“, schlug der alte Meister lächelnd vor.

„Ich hab kein Geld. Kauf du mir welchen!“, verlangte Gemma dreist.

Das Lächeln des Meisters wurde breiter. „Ich hab auch keins, tut mir leid.“

„Ohne Sake geh ich keinen Schritt weiter.“

„Na, dann bleib halt hier.“, lachte Meister Suruga und ging weiter.

Gemma setzte sich mitten auf die staubige, unbefestigte Straße, im Schneidersitz, und verschränkte die Arme.

„Ach Gemma ...“, seufzte der Alte, der ein paar Schritte weiter stehengeblieben war, als er merkte, daß der Dämon ernst machte. „Jetzt sei doch bitte nicht so störrisch.“, bat er sanftmütig und um Einsicht bittend. „Schau mal, ich hab wirklich nicht so viel Geld bei mir. Wenn ich jetzt Sake kaufe, haben wir heute abend nichts zu essen.“, erklärte er, während er in seine Ärmeltasche griff und eine Handvoll Münzen herausholte, um sie seinem Leibwächter zu zeigen. Der Handel mit Münzen, nach dem Vorbild der Chinesen, war gerade erst im Aufkommen, erfreut sich aber unter denen, die etwas vermögender waren, schon jetzt großer Beliebtheit.

„Ich will aber Sake haben.“, maulte Gemma unnachgiebig.

„Du kriegst zu Hause welchen, einverstanden? Ich habe daheim genug rumstehen.“

Der Dämon musterte ihn skeptisch, ob er das glauben sollte. Dann erhob er sich wieder vom Boden. „Das ist ein Angebot.“ Hurtig marschierte er weiter.

Als der alte Meister ihm mit einem freundlichen Kopfschütteln folgte, kam er nicht umhin zu bemerken, daß Gemmas Kimono nach wie vor blütenweiß war. Obwohl er eben im Dreck gesessen hatte, fand sich kein Staubkorn auf der Kleidung. Er fragte sich, aus welchem Stoff der wohl gewebt war. Gewöhnliche Seide sicherlich nicht.



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