Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 27: Schritt für Schritt ------------------------------- ♥ Taichi ♥ Der restliche August zog wie im Schnelldurchlauf an ihm vorbei und seit ungefähr zwei Wochen hatte der Schulalltag ihn wieder eingeholt. Diesmal jedoch schlimmer als zuvor. Er war unkonzentriert und überhaupt nicht bereit seine Zukunft endlich in die Hand zu nehmen. Auch wenn er wusste, dass nächste Woche sein erstes Testspiel stattfand, dass über das Stipendium entscheiden konnte, befand er sich im Kreise seiner Freunde und feierte Koushiros Geburtstag, der auf einen Samstag fiel. Zwar verzichtete er auf sein herkömmliches Bier, doch diese Entscheidung hatte nur wenig mit dem Sportstipendium zu tun. Er war es leid geworden und konnte es nicht mehr ertragen, wie Alkohol Menschen unaufhaltsam kaputt machte, auch wenn er wohl zu den wenigen gehörte, die an diesem Abend nüchtern blieben. Sein Blick schweifte durch die Runde, die sich aus seinen Freunden, den restlichen Bandmitgliedern und einigen Klassenkameraden von Koushiro zusammensetzte. Es war eine überschaubare kleine Runde, die in Yamatos Probenraum genügend Platz fand, um einen entspannten Abend miteinander zu verbringen. Sein bester Freund unterhielt sich gerade angeregt mit Juro und wirkte auf Taichi sehr gelöst, was bestimmt an ihrem neuen Bandmitglied lag. Taichi kannte Kaori eigentlich nur vom Sehen und wusste, dass Mimi mit ihr ein gemeinsames Schulprojekt vorbereitete, dass sie am Herbstfest vorstellen sollten. Es hatte ihn sehr überrascht als Yamato ihm erzählte, dass er ein neues Mitglied aufgenommen hatte, besonders, weil sie auch ein sehr ungewöhnliches Instrument für eine Rock-Band spielte. Doch sie schienen alle gut miteinander zu harmonieren, auch wenn sie erst seit knapp zwei Wochen zusammen probten. Taichi seufzte leise, umklammerte seine Cola mit steifen Fingern und fixierte mit seinen Augen eine ganz bestimmte Person im Raum. Natürlich blieb er wieder bei ihr hängen – so wie es meistens der Fall war. Seit dem Kinobesuch hatte er kaum etwas von ihr gehört gehabt, sah sie mittlerweile jedoch wieder regelmäßig in der Schule, auch wenn er ihre Geste, nach wie vor nicht verstanden hatte. Was sollte das nur? Wollte sie ihn komplett verwirren? Warum ließ sie zu, dass sie während des Kinofilms Händchen hielten und jetzt spielte sie wieder die Unnahbare... Er verstand sie nicht…er beobachtete sie den ganzen Abend schon dabei, wie sie gemeinsam mit Koushiro und Kaori eine unbeschwerte Zeit genoss, ausgelassen tanzte und herzlich vor sich hin kicherte. Ja, sie hatte Spaß, während er sich völlig deplatziert fühlte. Wie sollte er nur die Gelegenheit bekommen mit ihr alleine zu sprechen, wenn sich ständig jemand in ihrer Nähe befand? Es war sowieso kaum zum Aushalten, da ihn die aufkommende Unsicherheit regelrecht innerlich zerfraß. Doch was sollte er nur tun? Sie einfach nach draußen entführen? Frustriert lehnte er sich gegen die kühle Wand, hatte aber immer noch den Blick auf Mimi gerichtet. „Starr‘ nicht so auffällig“, ertönte plötzlich die Stimme seiner besten Freundin, die sich an ihn herangepirscht hatte. Taichi zuckte kurz zusammen und hielt sich die Brust. „Man Sora, musst du mich so erschrecken?“ „Tut mir leid, aber deine Aufmerksamkeit scheint wirklich nur auf eine Person hier im Raum ausgerichtet zu sein“, stellte sie amüsiert fest und nippte an ihrem Wasser. Angesäuert verzog Taichi etwas das Gesicht, als ihm auf einmal das fahle Gesicht seiner besten Freundin ins Auge stach. Ihr müder Blick wurde von tiefen Augenringen betont, die trotz Make-Up immer noch zu sehen waren. „Sag‘ mal, hast du die Nacht durchgemacht oder warum siehst du so furchtbar aus?“ Entgeistert blickte Sora ihn an, während sich ihr Gesicht abrupt verfinsterte und sie ihm unsanft gegen den Arm boxte. „Du bist echt so charmant! Tut mir leid, dass ich zurzeit nicht viel Schlaf finde.“ „Ach du findest nicht viel Schlaf? Hält dich dein Freund nachts etwa so auf Trab?“, hakte er verwegen nach, während Sora knallrot anlief. „Mensch Taichi!“, zischte sie erbost und zog die Augenbrauen zusammen. „Du weißt doch, dass ich vierundzwanzig Stunden an meiner Mappe sitze. Für sowas habe ich wirklich überhaupt keine Zeit.“ „Oh, der arme kleine Yamato! Liebesentzug…ich hoffe er halluziniert nicht bald vor Entzugserscheinungen“, witzelte Taichi als sich auch Soras Miene etwas erweichte. „Manchmal bist du wirklich dämlich“, sagte sie verschmitzt und lehnte sich ebenfalls gegen die Wand, ehe sie herzlich schnaufte. „Kommst du denn gut voran?“, hakte Taichi interessiert nach. Sora legte ihre Hand in den Nacken und rieb behutsam darüber, während sie sachte mit dem Kopf schüttelte. „Ich glaube, mir wird alles im Moment zu viel. Schule, Nebenjob, Sportverein und noch die Entwürfe? Mein Tag bräuchte achtundvierzig Stunden und das wäre immer noch nicht genug. Im Moment bin ich einfach nur erschöpft und würde am liebsten einfach nur in mein Bett fallen“, erklärte sie ihm deprimiert. „Ich hoffe, dein Sportstipendium läuft besser.“ Sie schenkte ihm einen aufmunternden Blick, den Taichi ein wenig wiederwillig erwiderte. Am liebsten hätte er ihr gesagt, wie es zurzeit bei ihm aussah, doch wenn er in die müden Augen seiner besten Freundin sah, brachte er es nicht übers Herz. Sora war jemand, der sich sehr für ihre Freunde einsetzte und die Probleme von ihnen oftmals zu ihren Eigenen machte. Das wollte Taichi verhindern und entschied sich dazu gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Daher setzte er ein überzeugendes Lächeln auf und erzählte, was sie insgeheim von ihm hören wollte. _ Die Stimmung wurde im Laufe des Abends immer ausgelassener, was natürlich dem überhöhten Alkoholkonsum zu verdanken war. Taichi fand es immer anstrengender den Abend zu überstehen, da ihn diese ständige Kicherei und die Albernheiten der anderen mittlerweile nervte. Mimi schwankte bereits gefährlich hin und her, als sie ihr Mixbier in einem Zug leerte, die Flasche triumphierend in die Höhe hielt und ein alt bekanntes Spiel ankündigte. „Ladys, es wird Zeit für Wahrheit, oder Pflicht“, posaunte sie freudig heraus und rangierte die übriggebliebenen Gäste umher, sodass sie einen großen Kreis ergaben. Wiederwillig setzte sich Taichi neben Sora, die ihren Kopf an Yamatos Schulter gelehnt hatte und sich müde über ihre Augen fuhr. „Auch das noch…“, löste sich leise von Taichis Lippen, als Mimi die Flasche in die Mitte legte und sie schwungvoll drehte, um das erste Opfer zu finden. Die Flasche hielt bei Daisuke an, der sich selbstverständlich für Pflicht entschied und eine Zitrone, die für die Cocktaildekoration gedacht war, vor die Nase gesetzt bekam, in die er hineinbeißen musste. Angewidert verzog er das Gesicht, ehe Yolei ihm die Zitrone durchschnitt und anreichte. „Ich kann doch nicht die Schale mitessen“, beschwerte er sich und musterte die Zitronenhälften argwöhnisch. „Na, dann beiß halt Drumherum“, sagte Yolei locker und setzte sich neben Ken, der herausfordernd zu seinem besten Freund sah. Davis schluckte leicht, als er ohne weitere Widerworte ist das saure Fleisch biss und sofort den Mund verzog. Die Menge applaudierte und feuerte ihn immer weiter an, bis er tatsächlich das Innenleben der Zitrone verspeist hatte. „Oh Gott war das sauer“, verkündete Davis angewidert und nahm die Flasche an sich, um den Nächsten auszuwählen. Je länger sie spielen, desto mehr Alkohol floss, weshalb die Fragen immer ausgelassener wurden. Es wurde viel gelacht und auch Taichi versuchte sich etwas fallen zu lassen, was ihm jedoch nicht sonderlich gut gelang. Er war froh, wenn ihn die Flasche nicht erwischte, damit er seine Ruhe haben konnte. Daher beobachtete er die sich noch immer drehende Flasche, die immer langsamer wurde. Er hielt bereits die Luft an, als sie kurz vor ihm zum Stehen kam und auf Sora zeigte. „Soraaaa“, quietschte Mimi besonnen und kicherte verheißungsvoll, während sie mit Yolei vielsagende Blicke austauschte. „Es wird Zeit für Pflicht! Nochmal werde ich dir ‚Wahrheit‘ nicht durchgehen lassen.“ Mimi rümpfte theatralisch die Nase und fixierte Sora mit festem Blick. „Was? Ist doch meine Sache, was ich nehme“, erwiderte sie verständnislos. „Diesmal nicht! Es wird Zeit, dass du mal ein bisschen lockerer wirst“, murrte Mimi eingeschnappt und starrte sie beleidigt an, bis sich Soras ernste Miene erweichte. „Okay gut, dann nehme ich halt Pflicht“, gab sie letztlich nach, als sich auf Mimis und Yoleis Lippen ein verheißungsvolles Grinsen schlich. „Okay, tausch‘ mit deinem Göttergatten die Klamotten“, wies Mimi sie an und erntete von der kleinen Runde ein überraschtes Staunen. „Aber ihr müsst euch vor uns allen umziehen, ansonsten geht ja der Witz verloren“, ergänzte Yolei grinsend, während sich von den Lippen seiner rothaarigen Freundin ein genervter Laut absonderte. Sie war immer noch genauso nüchtern wie er und hatte sicherlich keine Lust sich vor allen Anwesenden auszuziehen. Doch bekanntlich war in solchen Momenten der Gruppenzwang meist größer, weshalb sie wiederwillig ihre Sachen auszog, während Yamato es wohl kaum erwarten konnte endlich aus seinen zu steigen. Während Sora sich schön langsam aus ihren Sachen pellte, stand Yamato bereits in Unterwäsche da und präsentierte seinen makellosen Körper vor den anderen. „Wow, ein wahrhaftiger Adonis“, steuerte Yolei kreischend bei, während Yamato tänzerisch seine Hüften bewegte. „Oh man, wie peinlich...“, grummelte Takeru, der seinen Bruder noch nicht mal ansehen konnte und sich hinter seiner Schwester Kari versteckte, die sich vor Lachen gar nicht mehr ein bekam. „Na hopp, Sora! Das muss ein bisschen schneller gehen“, tadelte Mimi sie, als sie genervt ihr Shirt sinken ließ und in schwarzer Unterwäsche vor allen stand. Taichi staunte nicht schlecht, auch wenn er sie natürlich nicht anstarren wollte. Seine Wangen verfärbten sich leicht rot, da er zugeben musste, dass seine beste Freundin in Unterwäsche gar keine schlechte Figur machte. Er biss sich bei diesem Gedanken auf die Unterlippe und bemerkte plötzlich, dass Mimi seinen eindeutigen Gesichtsausdruck aufgefangen hatte. Sofort wandte sie den Blick von ihm und fuhr sich hektisch durch ihre langen Haare, ehe sie ein falsches Lächeln aufsetzte und sich Sora wieder zuwandte. „Uhlalala, da kann sich Matt ja richtig glücklich schätzen“, erwiderte sie scharfzüngig. „Sag mal, hast du etwa obenrum zugelegt?“ „Mimi“, zischte Sora peinlich berührt und verschränkte sie Arme schützend vor ihrer Brust, als Yamato ihr bereits seine Sachen anreichte. Etwas ruppig nahm Sora ihm sein T-Shirt aus der Hand und zog es sich sofort über, um sich vor den neugierigen Blicken zu schützen. Es dauerte nicht lange, bis beide tatsächlich in den Sachen des jeweils anderen vor dem Rest standen. Yamato bekam jedoch nicht Soras Hose über die Hüfte, weshalb sie in seinen Kniekehlen hingen und auch ihr Shirt war ihm viel zu eng, während Sora in Yamatos Sachen ein wenig unterging. „Okay, können wir uns jetzt wieder umziehen gehen?“, fragte Sora etwas gereizt, während der Rest sich über die Verwandlung der beiden köstlich amüsierte. „Ach lasst uns noch ein Foto machen! Das müssen wir doch für die Nachwelt festhalten“, lachte Yolei, während Mimi bereits ihr Handy gezückt hatte und die beiden in einer seltsamen Poste ablichtete. Auch Yamato lachte unbeschwert, bis Sora ihn am Handgelenk packte und ihn in eine kleine Abstellkammer zerrte, um ihre Klamotten wieder zu tauschen. „Bleibt aber ja anständig“, rief Mimi ihnen kichernd hinterher, als auch schon die Tür ins Schloss fiel. „Okay, dann drehe ich eben jetzt für Sora!“, bestimmte Yolei und nahm die Flasche an sich. „Aber die nächste Aufgabe steht schon fest. Wir haben ja noch gar nicht an unser Geburtstagskind gedacht!“ Sie wankte zur Mitte und richtete den Blick zu Koushiro, dessen Lachen auf der Stelle verstummte. „Was? An mich?“, hakte er verwirrt nach und blickte unsicher zu Yolei, die die Flasche bereits auf dem Boden platziert hatte. „Ja! An dich, mein Lieber! Du brauchst dringend noch einen Geburtstagskuss!“, lachte sie und drehte die Flasche mit einer geschickten Handbewegung. „Sowas soll ja bekanntlich Glück bringen!“ „W-Was? Weißt du wie viele Kerle hier sind?“, fragte Koushiro stammelnd und blickte in die gutgefüllte Herrenrunde. „Naja, solche Erfahrungen sollte man doch auch mal gesammelt haben, oder?“, meinte Yolei unbeeindruckt. „Also spitz‘ schon mal die Lippen.“ Koushiros Augen weiteten sich blitzartig, als er mit purer Anspannung die Flasche verfolgte. Doch das Schicksal hatte wohl andere Pläne mit ihm. Sie wurde immer langsamer, als sie plötzlich anhielt und die Ernüchterung Taichi prompt entgegenschlug. Das durfte doch nicht wahr sein… „Uhhh, da hast du aber nochmal Glück gehabt“, flötete Yolei fröhlich, während auch Mimi abrupt verstummt war. Denn die Flasche hielt direkt vor ihr. „Na los! Worauf wartet ihr denn noch?“ „Yolei…“, grummelte Mimi kleinlaut. „Was denn? Du wolltest doch Wahrheit oder Pflicht spielen und du hast jetzt die glorreiche Aufgabe unser Geburtstagskind zu küssen.“ Sie spitzte die Lippen und schielte zu Koushiro, der sofort rot angelaufen war. „Na hopp! Ich musste eine dämliche Zitrone essen und werde wohl erst nächste Woche meinen Geschmacksnerven vollständig wiedererlagen! Ganz oder gar nicht!“, protestierte Davis und stachelte Mimi weiter an. „Aber…“ „Die Flasche hat gewählt“, meinte auch Ryota, der neben seinem Bruder saß und gespannt die Lage verfolgte. „Ich…“ „Es gibt kein Zurück mehr“, trällerte Yolei und drückte Mimi in die Mitte. Taichi atmete auf einmal sehr unruhig, als er Mimis angespanntes Gesicht auffing und bemerkte, wie sie mit sich selbst haderte, während die bohrenden Blicke auf ihrer Haut brannten. „Okay ist ja schon gut! Ich mach es ja!“, verteidigte sich Mimi und steuerte ohne Umschweife direkt auf Koushiro zu, der noch nicht mal realisierte, wie ihm geschah, bis Mimi ihre Lippen auf seine gepresst hatte. Taichi schluckte und konnte nicht fassen, welches Bild sich vor seinen Augen bot. Er sah, wie Mimi angestrengt die Augen zukniff, während Koushiro sich nur sehr vorsichtig auf den Kuss einließ. Es fühlte sich wie unzählige Stunden an, in den Taichi die beiden beobachtete. Man spürte förmlich, wie ihr unschuldiger Kuss leidenschaftlicher wurde, indem Koushiro auf einmal die Hand hinter ihrem Nacken platzierte und sich in der süßen Versuchung verlor. Taichi biss sich auf die Unterlippe und wollte am liebsten wegsehen, während die schallenden Rufe der anderen ihn wahnsinnig werden ließen. Er sah kurz zu Kaori, die ihm gegenübersaß, angestrengt ihre Finger um ihre Bierflasche gelegt hatte und alles andere als glücklich aussah. Er hingegen hielt es fast nicht mehr aus, auch wenn es sich nur um ein Spiel handelte. Doch als er erkannte, dass Izzys Zunge plötzlich hinzukam, wurde es Taichi zu viel. Ruckartig sprang er auf und sah aus dem Augenwinkel heraus, dass Mimi sich abrupt von Koushiro gelöst hatte und ihn ungläubig anstarrte – gerade als auch Sora und Matt wieder zurückkamen. „Ich muss mal an die frische Luft“, informierte er Joe, der zu seiner Rechten saß und ihn fragend anblickte. Danach ging er geradewegs zum Hinterhof hinaus, unwissend, dass die Vergangenheit hinter der Tür bereits auf ihn wartete. _ „Du gehst ihr aus dem Weg“, stellte Yamato nüchtern fest und zündete sich eine Zigarette an. „Das bildest du dir ein…“, knurrte Taichi bissig und lehnte sich gegen die Hauswand, während sein Freund genüsslich an seiner Zigarette zog. „Und warum klebst du mir schon den ganzen Abend am Hintern und redest kein Wort mit ihr? Taichi, ich kenne dich gut und merke, wenn du mir etwas verheimlichst.“ „Ich will aber nicht darüber reden“, zischte er wütend und vergrub seine Hände in seiner Hosentasche. „Das wollte ich schon damals nicht und das hat sich bis heute nicht geändert!“ Yamato seufzte resigniert und nahm einen kräftigen Zug seiner Zigarette. „Ich weiß nicht, was zwischen euch alles vorgefallen ist, aber jetzt ist sie eben wieder da und auch ein Teil unseres Lebens. Vielleicht solltet ihr einfach mal miteinander reden.“ „Miteinander reden? Sie würde mir niemals zuhören…“, erwiderte Taichi deprimiert. „Nicht nachdem, was alles passiert ist.“ „Ich glaube, du bist einfach nur zu stur um über deinen Schatten zu springen. Und ich fand es schon immer komisch, dass Mimi damals direkt nach dem ersten August nach Hause geflogen war und ihr dann den Kontakt zueinander abgebrochen hattet. Ihr standet euch nah, das hat fast jeder bemerkt und jetzt guckt ihr euch noch nicht mal mehr an! Das stinkt doch zum Himmel“, erwiderte er gereizt und unterstrich seine Aussagen mit harschen Handbewegungen. „Kannst du mich damit nicht endlich in Ruhe lassen?! Ich brauche wirklich nicht noch mehr Menschen, die sich in mein Leben einmischen und mir sagen, was ich zu tun und zu lassen habe“, brüllte er aufgebracht und wollte am liebsten von der Party verschwinden, doch wahrscheinlich würde ihm das noch mehr Ärger und weitere Fragen einbrocken. Zurzeit stand sein Leben einfach Kopf. Er kam nicht damit zurecht, dass sie wieder da war. Da half es auch nicht, dass sein bester Freund ihm gut zu reden wollte… Matts Augen blitzten erbost, doch kein einziges Wort kam über seine Lippen. Eine bedrohliche Stille legte sich über die beiden, da sich Tai bereits denken konnte, dass er mit seinem Verhalten seinen Freunden das Leben schwermachte. „Tai, du bist mir wirklich wichtig und ich will, dass du glücklich bist, aber so kann ich dir beim besten Willen nicht helfen“, unterbrach Yamato die beißende Stille, die sich über sie gelegt hatte, bevor er seine Zigarette auf den Boden fallen ließ und sie austrat. Danach verschwand er kopfschüttelnd durch die Tür, ohne ein weiteres Wort an ihn zu verlieren. Das lautstarke Knallen signalisierte Taichi, dass er sauer war, doch damit wollte er sich heute Abend nicht auch noch beschäftigen. Er drückte sich gegen die Hauswand, als ein laues Lüftchen ihn erfasste und ihn dazu brachte in den unendlich wirkenden Himmel zu schauen. Die Sterne funkelten hell am Himmelzelt und für den Moment schien er sich ganz in ihnen zu verlieren. Er wusste selbst, wie ätzend seine Laune zurzeit war, doch er schaffte es nicht sie zu ändern. Am liebsten würde er die Zeit zurückdrehen und all seine Fehler rückgängig machen, da er es leid war, Menschen zu verletzen, die ihm wichtig waren. Allerdings war dies nicht möglich, schließlich besaß er keine Zeitmaschine oder Zauberkräfte, die ihn zurückbrachten. Er war hier und alles war ihm zu viel. „Die Sterne sind wirklich ein Traum, oder?“, ertönte plötzlich eine liebliche Stimme. Erschrocken drehte er sich herum und sein Atem stockte abrupt. Mit ihr hatte er wirklich nicht gerechnet… „J-Ja, sind sie…“, brachte er mit schwerfälliger Zunge hervor und sah wie sie näherkam. Er hatte noch nicht mal die Tür gehört, weil er so sehr in seine eigenen Gedanken vertieft war. Sie stellte sich direkt neben ihn, sodass der Geruch ihres süßlichen Parfüms ihm in die Nase stieg und seine Sinne vernebelte. Doch sie starrte nur in die dunkle Nacht, die von den Sternen erleuchtet wurde. „Es ist wirklich selten, sie in Tokio so klar erkennen zu können“, meinte sie und ein zartes Lächeln legte sich über ihre Lippen, während sie sich gegen die Hauswand lehnte. Taichi nickte nur bestätigend, brachte aber keinen Ton hervor, da sie ihm mal wieder die Sprache verschlagen hatte. Heimlich musterte er sie von oben bis unten, weil er sie den ganzen Abend noch gar nicht richtig angesehen hatte. Sie trug einen dickeren hellgelben Pullover, der ihrer Figur dennoch schmeichelte, während sie ihr gewelltes Haar offen trug und es sanft über ihre linke Schulter gelegt hatte. Ihm fiel es unsagbar schwer sich zu konzentrieren, wenn sie so dicht neben ihm stand und auch noch so umwerfenden aussah, dass er kaum ein Wort rausbrachte. Was war nur mit ihm los? So schüchtern kannte er sich gar nicht, aber nachdem was alles passiert war, war es kein Wunder, dass sie sehr befangen miteinander umgingen. Er wollte sich am liebsten für sein Verhalten bei ihr entschuldigen, wohlwissend, alte Wunden bei ihr auszureißen, weshalb er sich dazu entschied nichts zu sagen. Doch diese Stille zwischen ihnen wurde unerträglicher, je länger sie anhielt. „Wie geht es dir denn so? Wir hatten heute kaum eine Gelegenheit miteinander zu sprechen“, sagte sie auf einmal und lächelte milde. Ein wenig aus dem Konzept gebracht, druckste Taichi herum und fuhr sich hektisch durch seine wilde Mähne. „Ganz gut, schätze ich…und d-dir?“, fragte er interessiert, auch wenn er bemerkt hatte, dass ihr Blick traurig wirkte und ihre Augen nicht mehr den lebensfrohen Glanz versprühten, den er immer von ihr kannte. Aber was erwartete er auch? Sie war nicht grundlos nach Japan zurückgekehrt. Ihr Großvater war erst vor kurzem gestorben, weshalb sich diese Frage auch einfach nur bescheuert anhörte. Dennoch bemerkte er, wie sie sich vor ihm zusammenriss und sich selbst zum Lächeln zwang. „Mir geht es gut! Unkraut vergeht bekanntlich nicht“, scherzte sie und lockerte ihre Beine, während Tai sie mit großen Augen ansah. Auch wenn er spürte, dass alles sehr aufgesetzt klang, hielt sie eine perfekte Fassade aufrecht, indem sie sich hinter einem strahlenden Lächeln versteckte, auf das er früher sicher reingefallen wäre. „Mimi…du brauchst mir wirklich nichts vorzumachen! Ich weiß, dass alles im Moment sehr schwer für dich sein muss und ich würde mich auch wahnsinnig gerne für mein Verhalten bei… „Tai, lass‘ es…“, unterbrach sie ihn mit einem scharfen Unterton. „Ich will deine Entschuldigungen nicht mehr hören! Es ist passiert und man kann es nicht mehr ändern!“ Geschockt betrachtete ihr Gesicht, das sich auf einmal komplett verändert hatte. Der Schmerz und die Trauer über ihre Vergangenheit waren immer noch allgegenwärtig und er war nicht in der Lage ihr diese Last von den Schultern zu nehmen, da er sie verursacht hatte. „Mimi…du weißt, dass es mir leidtut. I-Ich weiß auch nicht, wie ich alles wieder gut machen kann, aber ich möchte…“ „Hör bitte auf! Ich komme schon damit klar. Ich bin kein kleines Mädchen mehr und brauche keinen, der mich beschützt und in Watte packt!“, redete sie ihm dazwischen und ging auf Abstand. „Lass uns das Ganze einfach vergessen, okay?“, meinte sie und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. „Es ist einfach eine Erinnerung, die allmählich verblasst, ja?“ Verbittert biss er sich auf die Unterlippe und haderte mit sich selbst. Was war, wenn er es nicht vergessen wollte? Wenn genau diese Erinnerung, die Schönste seines Lebens war und ihm seine wahren Gefühle offenbart hatte? „I-Ich…“, er hielt inne, als er in Mimis weinerlichen Augen sah und sich sofort von ihr abwandte. Es dauerte einen Moment, bis er seine Stimme wiedererlangt hatte und einsehen musste, dass es manchmal vielleicht sogar zu spät war, um jemanden zu kämpfen. Dass es besser war, ihn ziehen zu lassen, auch wenn es einem selbst das Herz zerbrach. „Du hast Recht. Es bringt nichts in der Vergangenheit zu leben. Wir sollten nach vorne schauen“, löste sich schweren Herzens von seinen Lippen und hinterließ bei ihm das Gefühl, sie endgültig verloren zu haben. _ Frustriert hatte er sich nach draußen verzogen und genoss die Ruhe, die ihn umgab. Hier hatten sie sich vor über einem Jahr darauf geeinigt, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Ihrer Freundschaft eine Chance zu geben und die zarte Liebe, die sie verbunden hatte, zu vergraben. Doch er konnte es nicht überwinden. Er war immer noch in sie verliebt, unfähig zu seinen Gefühlen zu stehen, da ihn die Angst vor Zurückweisung regelrecht blockierte. Er hatte keine Ahnung, wie lange er sich schon draußen befand und ob sie dieses dämliche Spiel tatsächlich weiterspielten. Es war ihm auch scheißegal, auch wenn sich vor seinem inneren Auge immer noch das gleiche Szenario abspielte. Mimi. Izzy. Lippenkontakt. Gott, er konnte gar nicht in Worte fassen, wie rasend ihn dieser Anblick werden ließ. Unkontrolliert strömte die Eifersucht durch seinen Körper und raubte ihm jeden klaren Gedanken. Gut, die beiden waren gute Freunde und kannten sich mindestens genauso lang, wie er sie, aber küsste man so eine gute Freundin? Mit so viel Leidenschaft? Er könnte wahnsinnig werden, weshalb er unruhig im Hinterhof entlang spazierte und gar nicht bemerkte, wie sich jemand zu ihm gesellte. „Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich mit sowas deine Aufmerksamkeit errege“, hörte er ihre gebrechliche Stimme, die den dichten Nebel, der sich in seinem Kopf ausgebreitet hatte, urplötzlich durchdrang und ihn herumschnellen ließ. Sie hatte die Arme vor der Brust verschränkt und bewegte sich langsam auf ihn zu, während er immer noch wie erstarrt am selben Platz stand. „Aber vielleicht hätte ich mich auch einfach ausziehen sollen, so wie Sora. Anscheinend hat dir ihr Anblick ja sichtlich gefallen“, untermauerte sie mit gefährlich ruhiger Stimme, die Taichi verunsicherte. „Was? Wovon sprichst du überhaupt“, hakte er nach und runzelte sofort die Stirn. „Keine Ahnung…sag‘ du es mir doch! Den ganzen Abend gehst du mir aus dem Weg, dann sabberst du fast schon bei Soras Anblick und als ich Izzy küsse, rennst du auf einmal aus dem Probenraum?“, hakte sie anklagend nach und machte auf ihn einen viel nüchternen Eindruck als zuvor. Taichi schüttelte aufgrund ihrer ungeheuren Anschuldigungen nur den Kopf, da er nicht verstehen konnte, was sie sich plötzlich einredete. Und er hatte sie doch nicht ignoriert! Er war sich eben unsicher, wie er auf sie zugehen sollte, besonders, weil nach dem Kinobesuch so viele Fragen zurückgeblieben waren. „Das stimmt doch gar nicht! Ich habe dich nicht ignoriert“, verteidigte er sich vehement und stand ihr direkt gegen über. Als ob er es jemals schaffen würde sie zu ignorieren. Auch heute Abend sah sie in ihrer rosanen Bluse und der engen Jeans einfach nur umwerfend aus. „Ach nein? Den ganzen Abend hast du kein einziges Wort mit mir gesprochen und nur bei Sora gestanden! Stehst du etwa wieder auf sie, oder was?“, fragte sie hysterisch und Taichi revidierte seinen ersten Eindruck, als sie wankend noch näher auf ihn zugeschritten kam und ein trüber Blick in ihren Augen lag. „Warum antwortest du mir jetzt nicht? Habe ich etwa recht?“ Sie runzelte die Stirn und blickte weinerlich zu ihm, während Taichi ihr sprachlos gegenüberstand, unwissend, was er ihr antworten sollte. „Ich…“, er druckste herum und sah wie sich Mimis Augen mit Tränen füllten. „I-Ich…ich wusste nicht, wie ich dir gegenübertreten soll…“, murmelte er ihr entgegen und schluckte. „Was? Mir gegenübertreten? Aber warum?“ „Ich wollte nichts falsch machen“, erwiderte er sofort. „Wir befinden uns doch haargenau in der gleichen Situation wie vor zwei Jahren. Du bist frisch getrennt und ich…“ Und er war noch immer hoffnungslos verliebt in sie. Das Letzte was er wollte, war sie erneut zu enttäuschen. „Aber Taichi…denkst du wirklich ich halte im Kino grundlos deine Hand?“, hinterfragte sie spitzfindig, als er plötzlich etwas Goldenes durch ihre Bluse schimmern sah. Ungläubig starrte er auf ihr Dekolleté, ehe sein Herz einen gewaltigen Freudensprung machte. „D-Du trägst mein Geschenk“, stellte er ehrfürchtig fest, während die unbändigen Glücksgefühle in seinem Körper emporstiegen. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet gehabt, auch wenn er insgeheim gehofft hatte, dass sie ihren grazilen Hals zierte. Reflexartig umfasste Mimi ihre Kette und lächelte milde, ehe sie ihren Blick zu Boden wandte. Taichi schluckte und presste nervös die Lippen aufeinander, als er sich ein Herz nahm und seinen Mut bündelte, um endlich seine Gelegenheit zu nutzen und das längst überfällige Gespräch mit ihr zu suchen. Zaghaft berührte er ihr andere Hand und streichelte sanft mit seinem Daumen über ihren Handrücken, als sie einen verstohlenen Blick zu ihm wagte. „Ich möchte dich nicht verletzen, Mimi. Diesmal möchte ich alles richtigmachen“, erwiderte er aufrichtig und spürte auf einmal eine intensive Vertrautheit zwischen ihnen, die sein Herz beflügelte. „Wir haben oft aneinander vorbeigeredet und viel Unsinn zueinander gesagt, der uns beide sehr verletzt hat. Deswegen bin ich einfach vorsichtiger geworden, gerade weil du mir sehr wichtig bist und ich dich nicht schon wieder verlieren will.“ Mimi lächelte milde, ehe sie selbst das Wort ergriff. „Aber dann stoß‘ mich nicht ständig von dir weg. Ich weiß, dass auch ich nicht unschuldig an unserer Situation bin. Dass auch ich viel Mist verzapft habe, aber ich habe erkannt, dass das zwischen uns noch nicht vorbei ist. Und ich will doch auch nur, dass es funktioniert“, murmelte Mimi heiser und kämpfte mit den Tränen, als Taichi sich nicht länger zurückhalten konnte und die Initiative ergriff. Hingebungsvoll legte er die Arme um ihren zierlichen Körper, während sie die Fingernägel in sein Shirt krallte und ihr Gesicht gegen seine harte Brust drückte. Behutsam strich Taichi über ihren Hinterkopf, ehe die Anspannung allmählich von seinem Körper abfiel und der puren Sehnsucht wich. „Vielleicht sollten wir das Ganze langsam angehen lassen“, wisperte sie gegen seine Brust, als er überrascht zu ihr blickte und den Kopf etwas senkte. Er schluckte leicht, während er feststellte, dass sie Recht hatte. Sie hatten es in der Vergangenheit viel zu oft überstützt, weshalb sie auch in das ein oder andere Fettnäpfchen getreten waren. Sowas sollte ihm jedoch kein zweites Mal passieren. Er wollte sie diesmal glücklich machen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)