Vergissmeinnicht von dattelpalme11 ================================================================================ Kapitel 26: Im Klang der Herzen ------------------------------- ♥ Mimi ♥ „Ach Mimi, du hast mich ja schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr besucht“, stellte ihre Großmutter fast schon ein wenig vorwurfsvoll fest, was in Mimi prompt ein schlechtes Gewissen hervorrief. Sie wusste selbst nicht so richtig, warum sie ihre Großmutter in letzter Zeit so selten besucht hatte. Vielleicht lag es an dem Praktikum, dass in der Firma absolvieren sollte, es aber ausgeschlagen hatte. Irgendwie hatte sie für sowas zurzeit überhaupt keinen Kopf. Und eine Werbeagentur? Das interessierte Mimi so gar nicht, auch wenn sie das ihrer Großmutter natürlich nicht auf die Nase binden konnte. Schließlich handelte es sich um die gutlaufende Firma ihres Großvaters, die er einst mühsam aufgebaut hatte. „Tut mir leid, ich hatte viel mit unserem Schulprojekt zu tun. Wir präsentieren es nach den Sommerferien“, erzählte sie euphorisch, da sie zugeben musste, dass es zwischen Kaori und ihr wesentlich besser lief, als sie am Anfang erwartet hätte. Mittlerweile trafen sie sich regelmäßig, sodass Mimi bereits das Gefühl hatte, dass sich eine zarte Freundschaft zwischen ihnen entwickelt hatte, weshalb sie am Wochenende auch einen besonderen Schritt wagen wollte. Ihr geheimer Plan, Kaori die Musik wieder schmackhaft zu machen, lief auf Hochtouren, da sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sie Yamato und der Band vorzustellen. Vielleicht war genau das, die neue Richtung, die Kaori brauchte, um sich neu in die Musik zu verlieben. Mimi fand ihren Plan wirklich perfekt, auch wenn sie sich noch nicht überlegt hatte, wie sie Kaori mitsamt ihrer Violine zum Probenraum locken sollte. Doch ihr würde sicher etwas einfallen, heute wollte sie jedoch den Tag mit ihrer Großmutter verbringen. Sie hatten sich zum Backen verabredet, etwas das sie schon früher, als Mimi noch klein war, oft gemeinsam gemacht hatten. Von ihr hatte sie sämtliche Kuchenrezepte gelernt, die sie mittlerweile in- und auswendig kannte. „Du kannst schon mal das Mehl abmessen und die Eier trennen“, wies ihre Großmutter sie direkt an und band sich ihre altbewährte Schürze um die Hüfte, auf die kleine bunte Herzen gestickt waren. „Okay“, antwortete Mimi nur und schnappte sich schon eine Schüssel sowie die Tüte Mehl, um den Inhalt abwiegen zu können. Ihre Großmutter holte den Vanillezucker und das Backpulver aus einer kleinen Dose, die sie direkt wieder in einem ihrer ordentlichen Küchenschränke verstaute. Bei ihrer Großmutter hatte alles ein System und eine Ordnung, sodass es keine fünf Sekunden dauerte, bis sie alles zusammen gesucht hatte. Mimi liebte diese unbeschwerte Zeit mit ihr zu verbringen, besonders, seit sie wieder in Japan lebten. In den USA hatte Mimi ihre Großeltern sehr vermisst gehabt, auch wenn sie sie regelmäßig in den Ferien besuchen kam. Sie fühlte sich immer richtig heimisch, wenn sie in der Küche ihrer Großmutter stand und backte. Sie befanden sich eben auf einer Wellenlänge, weshalb Mimi oftmals das angespannte Verhältnis zwischen ihrer Mutter und Oma nicht verstehen konnte. Immer wenn sie aufeinandertrafen, herrschte unweigerlich ein eisiges Schweigen, das Mimi manchmal ganz schön in den Wahnsinn trieb. Konnten sie sich denn nicht wie Erwachsene benehmen und sich einfach aussprechen? Mimi schüttelte sich kurz, als sie sich danach den Eiern zuwandte, eines davon an der Kante der Theke aufschlug und versuchte das Eigelb vom Eiweiß zu trennen. Sie hatte sich zwei Schüsseln bereitgestellt, in die sie beides jeweils verteilen wollte. „Weißt du denn schon, was du nach der Schule machen möchtest?“, fragte ihre Großmutter unvermittelt und wog bereits den Zucker genauestens ab. Ein wenig verdattert richtete Mimi kurz den Blick zu ihrer Großmutter, nachdem sie bereits das dritte Ei getrennt hatte. Wollte sie ernsthaft schon wieder dieses Thema anschlagen? Ihr Vater hatte ihr doch schon damit in den Ohren gelegen…so langsam war es wirklich mal gut. „Also, ähm…“, sie überlegte kurz, da sie ihrer Großmutter natürlich nicht auf die Füße treten, aber sie auch nicht anlügen wollte. „Ich denke, mich würde die Gastronomie sehr interessieren.“ Anspannung durchzog ihren Körper, als sie das aussprach, was sie schon länger in ihrem Herzen als Wunsch hegte. Am liebsten würde sie ein einiges kleines Restaurant führen, indem sie ihre eigenen Gerichte ausprobieren und präsentieren konnte. Sie wusste nicht warum, aber dieser Traum spukte ihr schon seit längerem durch den Kopf. Vielleicht lag es an Frau Ito, die sie im Kochkurs jedes Mal dazu inspirierte neue Rezepte zu versuchen. „Die Gastronomie? Wie kommst du denn darauf, Liebes?“, hakte sie verwundert nach, mustere sie aber interessiert. Mimi lächelte leicht, als sie von ihrer passionierten Begabung erzählte. Dass die Leidenschaft fürs Kochen sie regelrecht antriebt und Glückseligkeit in ihr auslöste. „Irgendwie habe ich das Gefühl dadurch etwas zu schaffen, was andere Menschen für den Moment einfach nur unglaublich glücklich macht. Essen hält unsere Kultur zusammen und schafft ein Gemeinschaftsgefühl“, antwortete sie überzeugend und sammelte die Schalen der getrennten Eier in einem ausgelegten Stück Zeitungspapier. Ihre Großmutter lächelte leicht, bevor ihre eigene Euphorie etwas abklang und sie nicht ganz einschätzen konnte, wie sie diese Idee letztlich aufnahm. Bestimmt hatte sie sich etwa anderes erhofft. „Dream big and do what you love“, sagte sie verschmitzt und sah Mimi verträumt an. „Das hat dein Großvater immer gesagt. Er hat klein angefangen und sich hochgearbeitet, indem er das getan hatte, was er von Herzen liebte. Ich denke, dass solltest du auch tun, auch wenn wir uns natürlich sehr gefreut hätten, wenn du Interesse an der Firma gezeigt hättest.“ Mimi hörte ein klein wenig Enttäuschung aus ihrer Stimme heraus, als sich eine Frage ihr aufdrängte, die sie sich noch nie getraut hatte ihrer Großmutter zu stellen. „Warum hat Mama eigentlich nie in Erwägung gezogen, die Firma zu übernehmen? Sie hat doch BWL studiert.“ Ihre Großmutter seufzte resigniert, während sie begann die ersten Zutaten miteinander zu vermischen. „Manchmal geht das Leben eigensinnige Wege und deine Mutter hat die Entscheidung getroffen, dass sie lieber nicht in unsere Fußstapfen treten möchte“, erklärte sie fast schon ein wenig abgedroschen, als sie auch schon die Rührmaschine einschaltete und Mimi jegliche Intension nahm, weiter nachzufragen. Anscheinend wollte sie nicht darüber sprechen, auch wenn ihr trauriger Blick Mimi etwas Anderes signalisiere. Doch sie konnte sie wohl kaum dazu zwingen. Und manchmal war es eben auch besser, die schmerzliche Vergangenheit ruhen zu lassen und in die sonnige Zukunft zu blicken. _ „Was zur Hölle soll ich denn hier? Ich dachte es geht um unser Projekt“, flüsterte sie ihr entrüstet zu und umklammerte ihren Violinenkoffer. Mimi lächelte unschuldig und berührte sie zaghaft am Arm. „Okay, vielleicht war das mit dem Projekt ein klein bisschen gelogen, aber ich wollte einfach, dass du mal die Jungs kennen lernst“, sagte sie euphorisch und sah zu einem skeptisch blickenden Yamato, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Juro und Ryota hatten sich auf der Couch niedergelassen und beobachten das Szenario aus einer sicheren Entfernungen, während Mimi all ihre Überredungskünste einsetzen musste. Sie hatte regelrecht mit Engelszunge auf Kaori eingeredet und sie überreden können zum verabredeten Treffpunkt zu erscheinen. Zwar hatte sie ihr gemeinsames Projekt als Vorwand vorgeschoben, aber hätte Mimi die Wahrheit gesagt, wäre sie ganz sicher nicht aufgetaucht. Sie wollte Kaori mit Yamato und den Jungs bekannt machen, die immer noch nach einem neuen Bandmitglied suchten. Da sich Mimi wegen der Makoto-Sache ein wenig Mitschuld gab und Kaori auf einen musikalischen Neuanfang vorbereiten wollte, hatte sie sich überlegt, einfach beides miteinander zu verbinden. Bestimmt wäre Kaori eine gute Ergänzung, während die Jungs sie mit ihrer Leidenschaft etwas beflügeln könnten. Wahrscheinlich wären sie sogar ein interessantes Team, weshalb sie bei dem Bandwettbewerb sicherlich auch eine gute Chance hätte. Mimi hatte Kaori spielen gesehen und sie war sich sicher, dass die Band mit ihr Großes vollbringen könnte. Einen Hauch Magie kreieren, der durch die unterschiedenen Instrumente entstand, auch wenn beide Parteien von Skepsis durchzogen waren. „Also ich weiß ja nicht so recht. Wir suchen einen Gitarristen und keine Geigerin“, untermauerte Yamato streng, während Kaori nervös auf ihrer Unterlippe knabberte. „Also, Kaori kann auch Gitarre spielen“, konterte Mimi sofort und legte beschützend den Arm um sie. „Aber nicht so gut wie Geige…“, murmelte ihre Freundin unsicher, während Yamato seinen angestrengten Blick gar nicht mehr ablegen konnte. Hatte er denn gar kein bisschen Vertrauen in ihren musikalischen Geschmack? „Kannst du denn mit dem Ding überhaupt etwas ‚Modernes‘ spielen? Also Chopin ist jetzt nicht so unsere Richtung“, meldete sich auch Juro zu Wort. „Hallo? Vielleicht lasst ihr sie einfach mal vorspielen?“, erwiderte Ryota stirnrunzelnd und Mimi spürte, dass sie wenigstens einen auf ihrer Seite hatte. Unsicher blickte Kaori zu ihr und schien sich etwas in die Ecke gedrängt zu fühlen, weil sie bestimmt mit sowas nicht gerechnet hatte. „Ich weiß echt nicht, ob ich das hinbekomme…“ Doch Mimi wollte sie endlich aus ihrem Schneckenhaus locken. „Natürlich bekommst du das hin“, sagte sie selbstsicher und legte beide Hände auf ihren Schultern ab. „Zeig ihnen was du draufhast. So wie damals in der Aula!“ „Das war aber eine völlig andere…“ „Keine Ausreden! Jetzt nimm‘ das Ding raus und spiel‘, als gäbe es keinen Morgen mehr“, unterbrach Mimi sie polternd. Sie wollte, dass sich Kaori fallen ließ, auch wenn sie sie sicherlich in eine Situation gedrängt hatte, die ihr unangenehm war. Aber das musste sein. Nur so schaffte sie es, die Liebe zur Musik wiederzufinden. Jedoch erkannte Mimi schnell, wie verunsichert sie war, als sie ihren überaus ängstlichen Blick auffing. „Hey, die Jungs beißen schon nicht…und w-wenn du willst singe ich einfach mit! Vielleicht kennst du ja ein Lied, dass ich mitsingen kann“, schlug Mimi versöhnlich vor, um ihr die Angst zu nehmen. Yamato stöhnte leise auf und setzte sich ebenfalls zu Juro und Ryota auf die Couch, während sich Kaoris Gesicht allmählich erhellte. „Vielleicht gibt es da wirklich ein Lied, dass du mitsingen könntest“, erwiderte sie geheimnisvoll und ging auf die Knie. Sie öffnete ihren Violinenkoffer, ehe ein kurzer Blickwechsel folgte und Mimi wieder dieses deutliche Funkeln in ihren Augen vernahm, dass sie bereits bei ihrem Krisenexperiment bemerkt hatte. Nach einem kurzen Zögern, nahm sie ihre Violine aus dem Koffer und legte sie an, während sie ihren gespannten Bogen bereithielt und ihn mit zitternden Fingern umschloss. Sie atmete tief ein, als sie konzentriert eine Melodie anstimmte. Ihr Kopf war leicht geneigt, sodass die Violine perfekt zwischen ihrem Kinn und ihrer Schulter lag. Mimi hörte gespannt zu, hatte jedoch Schwierigkeiten den Song sofort zu erkennen. Erst als Kaori den Bogen plötzlich festhielt und mit den Fingern die Saiten zupfte, fiel es Mimi wie Schuppen von den Augen. Sie kannte dieses Lied in-und auswendig, sang es oftmals unter der Dusche oder wenn es ab und an mal im Radio lief. Herausfordernd schielte Kaori zu ihr, während sie unbeirrt weiterspielte und Mimi auf die passende Stelle für ihren Einsatz wartete. You told me you loved me Why did you leave me, all alone? Now you tell me you need me When you call me, on the phone Mimi fand sich schnell zurecht, auch wenn sie den anfänglichen Einstieg verpasst hatte. Sie setzte mitten im Refrain ein und konzentrierte sich ganz auf das zarte Violinenspiel von Kaori, dass sie regelrecht dazu beflügelte mit Herzblut diesen Moment auszukosten. Sie hatte noch nie wirklich vor Publikum gesungen und sah es auch mehr als eine Art Freizeitbeschäftigung an, wenn ihr mal langweilig war. Doch irgendwie schaffte Kaori es, dass sie sich voll und ganz darauf einlassen konnte. Sie schloss die Augen und ließ sich von der Musik treiben, indem die beiden eine Klangmauer ergaben, die unumstößlich schien. Massiv, geschaffen aus der puren Hingabe zur Musik. Girl, I refuse, you must have me confused With some other guy Your bridges were burned, and now it's your turn To cry, cry me a river Sie stimmte den letzten Ton an, als die Violine ihren Abschluss präsentierte, indem sie einen hohen Laut anstimmte, der in dem kleinen Probenraum wortlos verhallte. Zufrieden blickten sich die beiden Mädchen an, als sich das Gefühl von Zusammengehörigkeit bei ihnen einstellte und ein glückliches Lächeln über ihre Lippen huschen ließ. Sie wandten sich zu den Jungs, die sie ungläubig anstarrten. „D-Das…das war der Wahnsinn“, stotterte Ryota und grinste breit, während sein Bruder Juro mit offenem Mund neben ihm saß. Yamato war völlig verstummt und schien seinen eigenen Ohren kaum zu trauen, ehe Mimi sich zu Wort meldete. „Also ich glaube, ihr solltet Kaori wirklich eine Chance geben. Sie würde wirklich gut zu euch passen“, stimmte sie fröhlich ein, während Kaori die Stirn runzelte. „Ich finde, ihr würdet beide super reinpassen“, korrigierte Ryota sie, während Yamato sich kopfschüttelnd zu ihm wandte. „Wir suchen aber einen Gitarristen!“, untermauerte er starr und wollte sich wohl nicht eingestehen, dass Kaori großartig war. „Ich kann doch auch Gitarre spielen“, führte Ryota ihm sofort vor die Augen. „So etwas Einzigartiges findest du nur einmal!“ Hilfesuchend sah er zu seinem Bruder, der immer noch völlig sprachlos auf der Couch saß und seine Gedanken sortierte. „A-Aber du bist unser Keyboarder! Willst du unsere Musik völlig durcheinanderbringen?“, warf Yamato erbost ein, während sich die Mädchen zurückhielten. „Nein, natürlich nicht, aber wir müssen uns doch…“ „Sie war fantastisch“, brachte Juro hervor und richtete den Blick zu Yamato, der ihn skeptisch musterte. „Ich weiß, dass es nicht das ist, was du dir wünschst, aber dir muss auch klar sein, dass wir uns so langsam für den Bandwettbewerb rüsten müssen. Das wäre unsere Chance.“ Mimi presste die Lippen aufeinander und konnte ein Grinsen kaum verbergen, auch wenn Yamato immer noch nicht eingeknickt war. „Von welchem Wettbewerb sprechen sie denn? Ich kann nicht vor Publikum spielen“, flüsterte Kaori ihr ängstlich zu, während sich die Jungs weiterhin beratschlagten. „Red‘ dir doch nicht sowas ein! Du spielst wunderbar und sowas darfst du der Menschheit nicht vorenthalten“, meinte Mimi überzeugt. „Aber…“ „Okay gut“, ertönte plötzlich die tiefe Stimme von Yamato und schnitt Kaori sofort das Wort ab. „Wir werden es versuchen. Ihr würdet mich ja sowieso nicht in Ruhe lassen.“ Ein erzürnter Blick streifte seine Bandkollegen, während Mimi freudig die Arme um Kaori schlang und nicht fassen konnte, dass sie ihr eine Chance gaben, auch wenn Kaori immer noch nicht sonderlich begeistert aussah. Sie würde sich sicher schon daran gewöhnen, selbst wenn Mimi auch hier wieder etwas nachhelfen musste. _ „Ich fass‘ es nicht! Du hast mich voll ins Messer laufen lassen“, beschwerte sich Kaori, als sie sich bereits auf dem Heimweg befanden. „Ich und eine Band? Oh Gott, warum habe ich nur ‚ja‘ gesagt?“ Verzweifelt fuhr sie sich durch ihre langen dicken Haare und seufzte herzzerreißend. „Ach komm‘, dir wird es sicher gefallen! Die Jungs sind super nett und ich glaube, das ist genau das, was du jetzt brauchst“, bestärkte Mimi sie. „Ist das so? Ich bin jahrelang gut ohne Musik ausgekommen“, murrte sie engstirnig. „Aber man merkt dir doch an, dass du sie vermisst. Auch wenn ich noch nicht wusste, dass du ein heimlicher Justin Timberlake Fan bist.“ Mimi grinste und konnte nicht verbergen, dass Kaori sie zutiefst beeindruckt hatte. Sie war daher Yamato sehr dankbar, dass er ihr eine Chance gab, auch wenn sie ihr versprochen hatte, anfangs zu den Proben mitzukommen, weil sie doch sehr schüchtern war und die Jungs noch nicht gut genug kannte, um sich fallen zu lassen. Doch Mimi war sich sicher, dass es sich in kurzer Zeit bereits ändern würde. Und wer weiß, vielleicht gewannen sie ja wegen Kaori auch den Bandwettbewerb, der bald stattfinden würde! „Ich bin gar kein Justin Timberlake Fan. Emi hat seine Musik immer gehört und nicht ich“, klärte sie sie leise auf und blickte angestrengt zu Boden, während sich ihr Griff um ihren Violinenkoffer verstärkte. „Emi ist deine Schwester, oder?“, fragte Mimi behutsam nach, da Kaori von sich aus noch nie etwas über sie erzählt hatte. Sie nickte nur traurig und Mimi konnte sofort erkennen, dass sie dieses Thema belastete. Doch was sollte sie nur sagen? So gut kannten die beiden sich leider nicht und sie wollte auch keine Grenze überschreiten, die ihre frische Freundschaft auf die Probe stellen könnte. „Sie studiert an der Juilliard“, begann sie mit zitternder Stimme. „Sie hat damals ein Stipendium bekommen und…und dann hat sie mich alleine gelassen.“ Überrascht wandte Mimi den Kopf zur Seite und wusste nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Sie hatte Kaori alleine gelassen? Wie meinte sie das nur? Dunkel erinnerte sie sich an die Worte von Frau Misa, die eine Trennung der beiden Schwestern bereits vermuten ließ. Doch der Schmerz in Kaoris Augen signalisierte ihr, dass viel mehr dahintersteckte, als Mimi anfangs angenommen hatte. „H-Habt ihr denn noch viel Kontakt zueinander? Wie lange studiert sie schon da?“, fragte sie vorsichtig, da sie Kaori nicht zu nah treten wollte. Doch sie lächelte nur matt, während ihre Augen ganz gläsern wurden. „Wir schreiben oft miteinander, manchmal telefonieren wir auch, aber es ist einfach nicht dasselbe. Ich habe das Gefühl, sie immer mehr zu verlieren und gar nicht mehr zu wissen, wer sie eigentlich ist“, antwortete sie resigniert und machte eine kurze Pause bevor sie weitersprach. „Vielleicht ist das aber auch manchmal so. Dass man die Menschen, die man liebt, loslassen muss. Ihnen die Freiheit schenkt, damit sie sich entfalten können, in der Hoffnung, dass sie eines Tages zu einem zurückkehren.“ Ihre Worte erfassten sie zu tiefst, auch wenn sie noch nicht mal richtig verstand, warum. Sie dachte automatisch an Tai und den winzigen Moment, den sie im Kino miteinander geteilt hatten. Wie sich ihre Hände zärtlich berührten… Dabei wollte ihm Mimi lediglich ein Zeichen geben, dass sie ihn noch nicht aufgegeben hatte. Dass sie sich mehr wünschte, auch wenn sie bisher vergeblich auf eine Reaktion von ihm gewartet hatte. Und Kaori schien es wohl genauso zu gehen. Sie wartete auf die Rückkehr ihrer Schwester, die sie für ihren Traum zurückgelassen hatte, ihr somit die Sicht der schönen Dinge nahm und ihr Herz mit Verbitterung umhüllte. Manchmal wartete man vergeblich, ein anderes Mal schien ein winziger Hoffnungsschimmer durch die dunkeln Wolken, die den strahlend blauen Himmel bedeckten. Vielleicht brauchte es einfach nur ein bisschen Zeit, bis man erkannte, dass es sich um die letzte Chance handelte. Noch war Mimi geduldig, doch sie wusste, dass es nicht ewig so sein würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)